Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/4/1998

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Die Sitzung ist eröffnet. Ich darf alle ganz herzlich begrüßen. Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich folgendes bekanntgeben: Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die Ihnen mit der Zusatzpunktliste vorgelegten Punkte zu erweitern: 1. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Gruppe der PDS: Maßnahmen der Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Rückerwerb von Bodenreformland durch Alteigentümer 2. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege ({0}) - Drucksache 13/ 10 013 3. Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Jürgen Meyer ({1}), Dr. Herta Däubler-Gmelin, Hermann Bachmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Zeugenschutz im Strafprozeß - Drucksachen 13/5034, 13/81564. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({2}) zu dem Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung ({3}) - Drucksachen 13/7165, 13/8990, 13/9063, 13/ 9542, 13/10001Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Ferner ist vereinbart worden, die Beratungen des Tagesordnungspunktes 10 „Rückführung von Kulturgütern" und des Tagesordnungspunktes 15 „Deutsche und europäische Unternehmen in China", die für Donnerstag vorgesehen waren, auf heute vorzuziehen. Außerdem soll der für Donnerstag vorgesehene Tagesordnungspunkt 7 „Aktionsprogramm der Bundesverwaltung" abgesetzt werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 1 auf: Fragestunde - Drucksache 13/9987 Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Heinrich Kolb zur Verfügung. Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Michael Müller ({4}) auf: Sind nach dem vorliegenden Entwurf des Multilateralen Abkommens zum Investitionsschutz ({5}) Verschärfungen von nationalen und europäischen Umweltstandards durch neue Gesetze möglich, und wenn nicht, wie wäre dies in Deutschland mit der Staatszielbestimmung Umweltschutz in Artikel 20a des Grundgesetzes vereinbar?

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Herr Kollege Müller, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Das Multilaterale Abkommen für Investitionen, kurz: MAI, erlaubt es den Vertragsparteien, ihre nationalen Umweltstandards einschließlich der einschlägigen europäischen Regelungen zu verschärfen.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Eine Zusatzfrage, Herr Müller?

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Erste Zusatzfrage: Ist die Position der Bundesregierung mit dem Bundesministerium für Umwelt abgestimmt, und wird sie von ihm mitgetragen?

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Herr Kollege Müller, es ist üblich, daß Antworten auf Fragen im Rahmen der Fragestunde mit den betroffenen Ressorts abgestimmt werden. So ist es auch hier geschehen.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Zweite Zusatzfrage.

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Zweitens: Wenn es nach Verabschiedung des Abkommens eine deutliche Verschärfung im nationalen Bereich gäbe, wäre dies vereinbar, oder müßte dies genehmigt werden?

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Herr Kollege Müller, das MAI ist ein internationales Abkommen zur Förderung ausländischer Investitionen. Im Kern geht es darum, daß ausländische Investitionen nicht schlechter behandelt werden dürfen als inländische. Insofern ist das, was im MAI geregelt wird, zunächst einmal ganz losgelöst von der Frage zu sehen, wie die nationalen Regeln ausgestaltet sind. In einem Punkt soll es allerdings im MAI eine einschlägige Regelung geben: Es soll verhindert werden, daß inländische Standards zugunsten ausländischer Investoren abgesenkt werden. Aber zurückkommend auf Ihre Frage: Ich glaube, das, was ich eingangs auf Ihre Frage gesagt habe, gilt auch hier: Verschärfungen sind auch nach Abschluß des MAI möglich.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Dann kommen wir zu Frage 2 des Abgeordneten Michael Müller ({0}): Sieht das MAI in seiner jetzigen Fassung die verbindliche Einhaltung international vereinbarter ISO- und IEC-Standards ({1}) bzw. die Anwendung der bestverfügbaren Umweltschutztechniken bei Investitionen vor, und welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, dies im Rahmen des MAI zu vereinbaren? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Herr Kollege Müller, ausländische Investoren sind verpflichtet, die im Gastland geltenden Umweltregelungen einzuhalten. Hierzu zählen auch international vereinbarte Standards, soweit diese in nationales Recht umgesetzt worden sind. Außerdem wird derzeit ein Vorschlag diskutiert, wonach die Vertragsparteien in rechtlich nicht verbindlicher Form dazu aufgefordert werden sollen, möglichst hohe Umweltstandards einzuhalten und sich um eine stetige Verbesserung des Umweltschutzes zu bemühen.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Eine Zusatzfrage, bitte schön.

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ist es im Vertrag ausdrücklich erwähnt, daß nationale Standards gelten und daß eine Anpassung beispielsweise in der EU automatisch übernommen wird?

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Herr Kollege Müller, es ist vielleicht notwendig, daß ich zunächst einmal darauf hinweise, daß es derzeit nur Arbeitstexte gibt, die von einer Arbeitsgruppe konzipiert werden. Es gibt noch keine Vertragsversionen im engeren Sinne, über die von der Hauptverhandlungsgruppe schon verhandelt würde. Aber ich wiederhole: Soweit internationale Vorschriften in nationales Recht umgesetzt worden sind, sind diese natürlich auch nach Inkrafttreten des MAI zu beachten.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Zweite Zusatzfrage, bitte schön.

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die zweite Frage: Wann wird denn der Vertrag wahrscheinlich ratifizierungsreif? Wird vorher der Bundestag damit befaßt?

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Es gab, Herr Kollege Müller, ursprünglich einen Fahrplan, der vorsah, daß die OECD-Verhandlungen bis April 1998 zu Ende kommen sollten. Es ist jetzt erkennbar, daß das OECD- Ministertreffen im April wohl noch keinen Abschluß der Verhandlungen bringen wird. Es wäre dann auf allen Seiten eine Verlängerung des Verhandlungsmandates erforderlich. Wir gehen davon aus und hoffen, daß ein Abschluß der Verhandlungen noch in 1998 erreicht werden kann.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Weitere Zusatzfragen haben wir nicht. Ich bedanke mich beim Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Heinrich Kolb. Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Ernst Hinsken zur Verfügung. Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Klaus Hagemann auf: Wie beurteilt die Bundesregierung im Zuge der Agenda 2000 die Chancen auf eine Verlängerung der europäischen Zuckermarktordnung über das Jahr 2000 hinaus, und welche Positionen konnte die Bundesregierung hierzu im Interesse der deutschen Rübenanbauer bislang durchsetzen?

Ernst Hinsken (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000906

Frau Präsidentin! Herr Kollege Hagemann, die Zukkermarktordnung ist aus der Agenda 2000 vollständig ausgeklammert. Sie läuft in ihrer derzeitigen Ausgestaltung noch bis zum Jahre 2001. Die Kommission sieht auf Grund folgender Vorteile keinen Änderungsbedarf für die Zuckermarktordnung: Die Produktionsmenge ist kontrolliert, so daß die Überschüsse in Grenzen gehalten werden. Die Marktordnung ist haushaltsneutral gestaltet, so daß es keine Finanzierungsprobleme gibt. Die Zuckerpreise sind für Verarbeiter und Verbraucher stabil und garantieren den Erzeugern Zuckerrübenpreise auf einem zufriedenstellenden Niveau. - Die Bundesregierung teilt diese Auffassung der Kommission. Vorschläge für die Weiterentwicklung der Zuckermarktordnung werden voraussichtlich im Jahre 2000 vorgelegt. Unter Berücksichtigung der bestehenden Vorteile der Marktordnung für Rübenbauern, Zukkerwirtschaft und Verbraucher wird die Bundesregierung dann ihre Position festlegen.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Eine Zusatzfrage, bitte schön.

Klaus Hagemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002668, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die erfreuliche Nachricht, gerade auch für die Rübenbauern, die in der Zuckerindustrie arbeiten. Sie haben festgestellt, daß bis 2001 alles stabil sei und daß die Kommission die Zuckermarktordnung bis 2001 beibehalten will. Wird das auch von den einzelnen EU-Mitgliedstaaten so gesehen, wie es die Bundesregierung jetzt ausgeführt hat?

Ernst Hinsken (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000906

Momentan ja. Ich freue mich, wie auch Sie, darüber, daß die Zuckermarktordnung zumindest bis zum Jahre 2001 Bestand hat.

Klaus Hagemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002668, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, ich habe keine weiteren Fragen.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Ich bedanke mich beim Parlamentarischen Staatssekretär Ernst Hinsken. Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Bernd Neumann zur Verfügung. Ich rufe die Frage 4 des Abgeordneten Horst Schmidbauer ({0}) auf: Welche Forschungsprojekte der Firma Alcatel wurden 1995 bis 1998 von der Bundesregierung an den Standorten dieser Firma gefördert, und in welchem Umfang war das Projekt „Passive optische Komponenten und Optohybride " daran beteiligt?

Bernd Neumann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001593

Das BMBF hat in den Jahren 1995 bis 1998 35 Vorhaben mit rund 60 Millionen DM bei der Firma Alcatel an Standorten in Deutschland gefördert. Der weit überwiegende Anteil, nämlich 53,5 Millionen DM, sind zum Standort Stuttgart geflossen, 4,1 Millionen DM nach Pforzheim, 0,3 Millionen DM nach Berlin und 2,1 Millionen DM nach Nürnberg. Bei dem Projekt „Passive optische Komponenten und Optohybride" handelt es sich um insgesamt fünf Teilprojekte zu diesem Themenkomplex, für die das BMBF insgesamt 13,8 Millionen DM zur Verfügung stellt.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Eine Zusatzfrage, bitte.

Horst Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001996, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ich habe eine Frage zur Mittelzuordnung und deren Kontrolle. Mir stehen unterschiedliche Angaben zur Verfügung, zum einen die Angabe, die Sie eben vorgetragen haben, und zum anderen eine Angabe aus dem Betriebsbereich. Diese beiden widersprechen sich zum Teil. Meine Frage an Sie: Wird denn vom Ministerium auch die räumliche Zuordnung der Fördermittel kontrolliert, oder beziehen Sie sich bei der Kontrolle ausschließlich auf die Angaben der Firmen- oder Konzernleitungen?

Bernd Neumann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001593

Hierbei muß man wissen, wer jeweils Zuwendungsempfänger ist, wer die Fördermittel bekommt und was dieser dann damit machen kann. Ich nehme einmal den von Ihnen konkret angesprochenen Fall, das Projekt „Passive optische Komponenten und Optohybride". Der Zuwendungsempfänger ist Alcatel Stuttgart. Er ist ausschließlich unser Verhandlungspartner und hat - wie von mir bereits gesagt - in dem genannten Zeitraum 13,8 Millionen DM zur Verfügung gestellt bekommen. Nun hat Alcatel Stuttgart verschiedene Standorte; es handelt sich nicht um Tochterunternehmen, sondern um zusätzliche Standorte außerhalb von Stuttgart. Einer dieser Standorte ist Nürnberg; dort liegt ja Ihr Wahlkreis. Unsere Aufgabe ist es nun nicht, die Verteilung der Fördermittel auf die Standorte festzulegen und zu kontrollieren. Wir können höchstens nachfragen, was die Firma innerhalb ihrer Standorte macht. Entscheidend ist, daß das Projekt abgewickelt wird. So interessieren wir uns im Normalfall nicht für die innerbetriebliche Verteilung und wollen uns auch nicht dafür interessieren. Das gibt es häufig, daß eine Firma den Zuschlag für ein Projekt bekommt und dieses Projekt dann an mehreren Standorten abwikkelt. Das ist bei Alcatel so gewesen. Die Auskünfte, die ich Ihnen zur Beteiligung der Standorte gegeben habe, basieren auf den Auskünften der Firma. Ich habe keinen Grund anzunehmen, daß diese falsch sind. Ich will das einmal konkretisieren, obwohl Sie so detailliert nicht gefragt haben. Für dieses Projekt, dessen Thema ich jetzt schon zweimal genannt habe, sind Mittel in Höhe von knapp 1 Million DM nach Nürnberg geflossen. Der Standort Nürnberg ist an dem Gesamtprojekt, das sich in fünf Teilprojekte aufgliedert, mit zwei Teilprojekten beteiligt. Diese Teilprojekte werden, wie mir gesagt worden ist, auch was Nürnberg betrifft, ordnungsgemäß abgewickelt. Sie sind wohl Mitte des Jahres abgeschlossen.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Möchten Sie eine weitere Zusatzfrage stellen?

Horst Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001996, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, danke.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Dann kommen wir zur Frage 5 des Abgeordneten Horst Schmidbauer ({0}): Inwieweit sind mit der Gewährung dieser Fördermittel Auflagen hinsichtlich der Arbeitsplätze in Forschung und Produktentwicklung verbunden, in dem Sinne, daß seitens der Firma Alcatel bei der Antragsstellung an die Bundesregierung Zusagen hinsichtlich der Sicherung vorhandener oder Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze gemacht wurden, und wie ist gewährleistet, daß die mit Forschungsmitteln aus dem Bundeshaushalt entwickelten Produkte auch an Standorten in der Bundesrepublik Deutschland hergestellt werden? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Bernd Neumann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001593

An die Gewährung von Fördermitteln des BMBF sind grundsätzlich keine Auflagen hinsichtlich von Arbeitsplätzen in Forschung und Produktentwicklung gebunden. Fördermaßnahmen können nicht von der Verpflichtung zur Schaffung einer definierten Zahl von Produktionsstandorten und Arbeitsplätzen abhängig gemacht werden. Eine direkte Verbindung von Ergebnissen aus der Förderung von Forschungsvorhaben zu Produkten und Arbeitsplätzen ist häufig nicht nachvollziehbar. Im übrigen nimmt der Weg von der vom BMBF geförderten Forschung bis zu einem möglichen Produkt oder Verfahren meistens Jahre in Anspruch. Grundsätzlich gilt, daß Unternehmen, die mit Mitteln des BMBF gefördert werden, das Ergebnis ihrer Forschung möglichst im Inland verwenden. Trotzdem kann es in einer globalisierten Wirtschaft durchaus Sinn machen, Unternehmen auch dann zu fördern, wenn die Forschungsergebnisse nur indirekt dem Standort Deutschland zugute kommen. Dies wird im BMBF jeweils von einer Einzelfallprüfung abhängig gemacht. Gerade die Bundesrepublik Deutschland als eine weltweit führende Exportnation muß dieser Entwicklung offen gegenüberstehen.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Ihre erste Zusatzfrage.

Horst Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001996, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Zu dem ersten Teil Ihrer Ausführungen, Herr Staatssekretär, meine erste Zusatzfrage: Sie sagen, es gebe keine Grundlinie dafür, mit international agierenden Konzernen verpflichtende Vereinbarungen zu treffen, daß die eingesetzten Forschungsmittel zumindest vorrangig oder ausschließlich dem Produktionsstandort Deutschland zur Verfügung stehen oder ihm zugute kommen sollen. Was würden Sie denn den Arbeitnehmern in diesen Betrieben sagen, wenn Sie ihnen erklären wollten, daß dafür Millionen von Steuergeldern eingesetzt werden, ohne daß gewissermaßen über diese Steuergelder ein Nutzen für den Arbeitsplatz der betreffenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gegeben ist?

Bernd Neumann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001593

Diese Frage kann nicht mit Ja oder mit Nein beantwortet werden, sondern ist differenziert zu beantworten. Erstens können wir, was das Ausschöpfen der Erkenntnisse von Forschung und Entwicklung angeht, auf Grund von EU-Recht keinen Unterschied zwischen Deutschland und den EU-Ländern machen. Das wissen Sie. Selbst wenn wir uns natürlich wünschen, daß möglichst in Deutschland investiert wird, gibt es da keine Grenzen. Wenn wir also von uns sprechen, müssen wir von Europa, sprich: den EU- Staaten, sprechen. Das gilt von vorneherein. Das müssen Sie dann auch den Arbeitnehmern so erklären. Das hat für uns nicht nur Nachteile, sondern auch Vorteile. Zweitens ist die Phase, während der wir fördern, auf das Projekt bezogen. Dieses Projekt als solches, das Forschungsprojekt, wird in der Firma im Inland abgewickelt. Durch diese Förderung werden häufig Arbeitsplätze im Forschungsbereich gesichert. Dann kommt die nächste Phase - das ist nicht immer so -, in der es darum geht, ob aus diesem Forschungs- und Entwicklungsprojekt nun ein Produkt entsteht, mit dem man Geld verdienen kann. Das wünschen wir uns; aber wenn das von vornherein klar wäre, dann bräuchte man ja nicht mehr zu forschen, sondern könnte gleich produzieren. Das heißt, an die Projektförderung schließt sich eine Phase an, auf die wir selbst gar keinen Einfluß mehr haben. Dennoch gibt es Richtlinien, die sogenannten „Nebenbestimmungen für Zuwendungen auf Kostenbasis des BMBF an Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft für Forschungs- und Entwicklungsvorhaben" , in welchen solche Fälle angesprochen und geregelt sind. Wir fördern also eine Firma im Inland, und das Know-how, welches dabei entsteht, wird für eine Produktpalette im Ausland genutzt, wobei ich hinzufüge, daß mit „Ausland" immer nur „außerhalb der EU" gemeint sein kann. Bei Verwertung außerhalb der EU haben wir zumindest die theoretische, in manchen Fällen auch die praktische Möglichkeit zurückzufordern, bzw. hier haben wir die Möglichkeit, gegebenenfalls gefragt zu werden und zuzustimmen. Das klappt in der Regel, wenn es in der Phase der Projektdurchführung selbst geschieht. Doch häufig erfolgt das erst Jahre später. Wenn dieser Vorgang nicht gemeldet wird, dann ist es schwierig, überhaupt die Zustimmung zu geben. Von den Vorschriften her können wir sagen: Das war nicht angedacht, und das genehmigen wir nicht. Im Einzelfall könnten sogar Rückforderungen gestellt werden.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Herr Staatssekretär, wir haben noch eine Reihe von Fragen. Vielleicht könnten Sie diese Gedanken in Ihre Antwort auf diese einfließen lassen.

Bernd Neumann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001593

Letzte Bemerkung. Ich füge hinzu: Das ist im Einzelfall wohl möglich; praktisch aber ist es sehr schwer. Im übrigen gibt es viele gute Beispiele dafür, daß die Nutzung von Forschungsergebnissen im Ausland wieder Rückwirkungen auf Arbeitsplätze im Inland gehabt hat. Ich könnte hier als Beispiel Daimler-Benz und die Brennstoffzellenforschung nennen.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Herr Schmidbauer, Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Horst Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001996, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich wollte nur noch einmal etwas Bestätigendes dazu hören, daß eine Koppelung zwischen Forschungsmittelvergabe und Arbeitsplatzgarantien nicht generell ausgeschlossen ist, sondern daß die Angelegenheit indiHorst Schmidbauer ({0}) viduell unterschiedlich gehandhabt wird. Habe ich das richtig verstanden, Herr Staatssekretär? Bernd Neumann, Pari. Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie: Nein. Sie vermischen zwei Sachverhalte, wenn ich das so sagen darf. Der eine Sachverhalt beinhaltet die Frage, ob man die Vergabe von Forschungsmitteln an Firmen im Inland an die Zusicherung von Arbeitsplätzen, Ausbildungsplätzen etc. koppeln kann. Darauf lautete meine Antwort: Das kann man nicht, das geht nicht, das tun wir auch nicht; es wäre auch nicht zweckmäßig. Ich beziehe mich auf meine Ihnen bereits gegebene Antwort. Es gibt einen zweiten Sachverhalt, den Sie auch in Ihrer zweiten Frage ansprechen: Wie steht es um den Ergebnistransfer von in Deutschland durchgeführten Projekten ins Ausland und um die sich daraus ergebende Produktentwicklung? In diesem Punkt muß im Prinzip eine Zustimmung erfolgen; wir müssen gefragt werden. Wir können sie in Einzelfällen verweigern, was aber sehr schwierig ist. Im übrigen ist es ein Geben und Nehmen. Forschung ist international; sie ist vernetzt. Es gibt nicht immer befriedigende Antworten. Aber gehen Sie davon aus: Nicht nur von uns zum Teil geförderte Projekte finden hier und dort im Ausland Anwendung, sondern es gilt auch umgekehrt - daran sind wir interessiert -, daß woanders stattfindende Entwicklungen in Deutschland zur Herstellung von Produkten führen.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Die nächste Frage hat Frau Abgeordnete Blank.

Renate Blank (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000194, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie meine These, daß eine Forschungsförderung in Deutschland nicht mehr stattfinden würde, wenn wir die Fördermittel an eine Arbeitsplatzgarantie - nicht nur im Bereich der Forschung - binden würden?

Bernd Neumann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001593

Ich beantworte die Frage so, indem ich Ihnen recht gebe, daß das wahrscheinlich die langfristige Folge wäre.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Catenhusen.

Wolf Michael Catenhusen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000326, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, da sich Ihr Ministerium gerne mit Zukunftsinnovationen schmückt, will ich Sie fragen, ob es in Ihrem Hause gesicherte statistische oder wissenschaftlich gestützte Erkenntnisse über den direkten Zusammenhang zwischen Forschungsaufwendungen für international operierende Unternehmen, wie zum Beispiel Alcatel, und deren Umsetzung dieses Knowhows in Produktentwicklung am Standort Deutschland gibt. Oder drücken Sie nur eine Hoffnung aus?

Bernd Neumann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001593

Ich teile Ihre Auffassung nicht, daß das Anlegen von Statistiken mit Innovationen gleichzusetzen ist. Wir haben in Deutschland viele Statistiken, aber zuwenig Innovationen. Herr Kollege Catenhusen, man kann überhaupt keine globalen Aussagen dazu machen. Deswegen glaube ich nicht, daß für irgendeinen Bereich solche allgemeinen zusammenfassenden Statistiken vorliegen. Vielmehr kann man hier und dort im Einzelfall feststellen, wo etwas richtig oder falsch läuft und wo man einschreiten muß. Sie erinnern sich an die Diskussion über ASE Wedel. Im Hinblick auf die Globalisierung und auf die Vernetzung der Forschung im internationalen Bereich, die wir ja wollen, ist es sehr schwierig, handfeste Statistiken anzulegen.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie. Ich bedanke mich beim Parlamentarischen Staatssekretär Bernd Neumann. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Für die Fragen 6 bis 9 wurde schriftliche Beantwortung beantragt. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Zur Beantwortung der Fragen steht uns die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl zur Verfügung. Ich rufe die Frage 12 des Abgeordneten Klaus Kirschner auf: Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, daß Versicherten der deutschen gesetzlichen Krankenkassen für in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union ({0}) angefertigten medizinisch notwendigen Zahnersatz ein Festzuschuß nach § 30 SGB V zu erstatten ist, und gilt umgekehrt, daß für in NichtEU-Staaten angefertigten medizinisch notwendigen Zahnersatz ein Zuschuß ({1}) zu den Kosten von den deutschen gesetzlichen Krankenkassen nicht erstattet werden kann?

Dr. Sabine Bergmann-Pohl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000155

Frau Präsidentin! Herr Kollege Kirschner, unabhängig vom Versichertenstatus können Krankenkassen nach § 18 SGB V grundsätzlich nur dann die Kosten einer erforderlichen Behandlung ganz oder teilweise übernehmen, wenn eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur im Ausland möglich ist und der Medizinische Dienst der Krankenversicherung dies bestätigt hat. Diese Fälle sind in der Regel bei der Versorgung mit Zahnersatz nicht gegeben. Darüber hinaus ist nach dem Recht der Europäischen Union sowie nach einigen bilateralen Sozialversicherungsabkommen die Gewährung von medizinischen Leistungen im Ausland möglich. Voraussetzung dafür ist, daß das Krankenversicherungsrecht des anderen Staates seinerseits die zahnprothetische Versorgung als Leistung der KrankenParl. Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl versicherung kennt. Weiter ist notwendig, daß es sich entweder um einen Notfall während eines Auslandsaufenthaltes handelt oder daß die zuständige deutsche Krankenkasse ihre Genehmigung für die Durchführung einer medizinischen Leistung in dem anderen EU-Staat bzw. Vertragsstaat erteilt hat. Die Genehmigung steht im Ermessen der Krankenkasse. Dieser Fall wird jedoch kaum praktisch angewandt, da in den Ländern, die preislich besonders interessant wären - ich nenne beispielhaft Spanien und die Niederlande -, Zahnersatz in aller Regel nicht zu den Leistungen der sozialen Krankenversicherung gehört. In Nicht-EU-Staaten bzw. in Staaten ohne Sozialversicherungsabkommen darf von den Kassen kein Festzuschuß für Zahnersatz erstattet werden, zum Beispiel in Polen und Ungarn.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Ihre Zusatzfrage bitte, Herr Abgeordneter Kirschner.

Klaus Kirschner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001102, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, können Sie dem Hause mitteilen, um welche Länder der EU bzw. Länder, mit denen wir entsprechende Sozialversicherungsabkommen haben, es sich handelt, in denen solche zahnprothetischen Leistungen gewährt werden?

Dr. Sabine Bergmann-Pohl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000155

Herr Kollege Kirschner, das sind in der Regel EU-Staaten. Im Katalog der sozialen Krankenversicherung gibt es Zahnersatz in Belgien, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Irland, Luxemburg, Österreich, Portugal, Schweden und Großbritannien.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Weitere Zusatzfrage, bitte schön.

Klaus Kirschner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001102, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Habe ich Sie richtig verstanden, Frau Staatssekretärin, daß in den von Ihnen gerade genannten Ländern ein Versicherter der deutschen Krankenversicherung Zahnersatz anfertigen lassen kann, wenn der Zahnersatz den Qualitätsanforderungen entspricht und der Preis angemessen ist und dies vor dem Hintergrund, daß die KZBV meint, es müßten immer mehr Leistungen außerhalb des GKV-Leistungskatalogs mit den Zahnärzten privat abgerechnet werden?

Dr. Sabine Bergmann-Pohl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000155

Herr Kollege Kirschner, ich habe die rechtlichen Grundlagen dafür genannt. Es liegt im Ermessen der Krankenkasse, hier zuzustimmen. Nur dann wird der Festzuschuß übernommen. Das ist aber nicht im Sinne des Gesetzes, das wir verabschiedet haben; das möchte ich hinzufügen.

Klaus Kirschner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001102, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber das Gesetz steht dem nicht entgegen?

Dr. Sabine Bergmann-Pohl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000155

Das Gesetz steht dem nicht entgegen. Allerdings muß die Krankenkasse, wie gesagt, zustimmen.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das war die dritte Frage. - Ihre Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmidbauer.

Horst Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001996, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, in Ihrer Antwort ist sichtbar geworden, daß hier Weiterungen denkbar sind, die den Rahmen einer national orientierten solidarischen Krankenversicherung sprengen könnten. Gibt es denn bei Ihnen im Ministerium auch Erkenntnisse zur materiellen Dimension angesichts der Entwicklung, daß - was von Krankenkassen sogar angeregt wird - Zahnersatz im Ausland angefertigt wird?

Dr. Sabine Bergmann-Pohl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000155

Herr Kollege Schmidbauer, ich kann Ihnen in dem Gedanken nicht folgen, daß das die solidarische Krankenversicherung finanziell sprengen würde. Im Gegenteil: Wenn der Zahnersatz im Ausland billiger angefertigt wird, kann das theoretisch nur von Vorteil sein. Ich habe allerdings nichts zur Qualität des Zahnersatzes gesagt. Sie wissen, daß sich die Versicherten, wenn Qualitätsmängel vorhanden sind, mit dem entsprechenden Zahnarzt auseinandersetzen müssen. Wenn sich dieser weit weg vom Heimatort befindet, könnte ich mir vorstellen, daß es Probleme gibt. Insofern muß das ein Versicherter mit berücksichtigen, wenn er sich im Ausland - mit Zustimmung der Krankenkasse - Zahnersatz anfertigen läßt.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Wir kommen jetzt zur Frage 13 des Abgeordneten Klaus Kirschner: Wie beurteilt die Bundesregierung die Rechtslage, wenn Zahnärzte ausländische Labors, z. B. in EU-Staaten, im sonstigen europäischen Ausland, in Südostasien usw. beauftragen, die zahntechnischen Leistungen zu erbringen?

Dr. Sabine Bergmann-Pohl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000155

Herr Kollege Kirschner, grundsätzlich können Zahnärzte zahntechnische Leistungen aus dem Inland oder aus dem Ausland beziehen. Entscheidend ist, daß die gelieferten Qualitäten den deutschen Qualitätsstandards entsprechen und die gesetzlichen Importbestimmungen eingehalten werden. Über die Einhaltung der in Deutschland geforderten Qualitätsstandards wachen die Zahnärzte, die die zahntechnischen Arbeiten eingliedern. Im übrigen gelten bei zahntechnischen Arbeiten die Vorschriften des Medizinproduktegesetzes. Auf Grund der bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen besteht keine Möglichkeit, ausländische zahntechnische Labore von der Belieferung deutscher Zahnärzte auszuschließen. Außerdem würde sich ein derartiges Verhalten als Bumerang für die exportorientierte deutsche Dentalindustrie erweisen.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Bitte schön, Zusatzfrage.

Klaus Kirschner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001102, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, Sie weisen zu Recht darauf hin, daß Zahnärzte ausländische Labors beauftragen können. Sollte ein dann möglicher Preisvorteil Ihrer Ansicht nach zugunsten des Zahnarztes oder zugunsten des Patienten ausfallen?

Dr. Sabine Bergmann-Pohl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000155

Herr Kollege Kirschner, natürlich muß es zugunsten des Versicherten ausgehen. Wenn ein Zahnarzt zahntechnische Leistungen im Ausland bezieht und diese Leistungen als Eigenleistung deklariert, um höhere deutsche Preise in Rechnung stellen zu können, ist dies rechtlich unzulässig.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Zweite Zusatzfrage, bitte schön.

Klaus Kirschner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001102, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, wie stellt die Bundesregierung denn sicher, daß ein solcher möglicher Preisvorteil dem Patienten tatsächlich zugute kommt?

Dr. Sabine Bergmann-Pohl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000155

Herr Kollege Kirschner, über die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften wacht die jeweilige Kassenzahnärztliche Vereinigung bzw. im Bereich der privatzahnärztlichen Versorgung die Zahnärztekammer, die unter der Aufsicht der zuständigen Landesbehörde steht. Sollte einzelnen Beteiligten ein Fall von gefälschten Rechnungen bekannt werden, so wäre es die Aufgabe dieser Stellen, dagegen vorzugehen. Gegebenenfalls können auch die Gerichte eingeschaltet werden.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Dann haben wir eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Schmidbauer. Bitte schön.

Horst Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001996, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, wie verhindert die Bundesregierung einen möglichen Mißbrauch, der in der Praxis darin bestehen kann, daß ein Zahnarzt, der über ein eigenes Labor verfügt, Zahnersatz im Ausland bestellt und einkauft, einen gewissen Bearbeitungsvorgang im eigenen Labor vornimmt und dann die Leistung gegenüber seinen Patienten nicht mehr als Import abrechnet, sondern als vollwertige Leistung nach deutscher Gebührenordnung oder deutscher Kostenordnung?

Dr. Sabine Bergmann-Pohl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000155

Herr Kollege Schmidbauer, nach meiner Auffassung muß er den Preis des Imports in Rechnung stellen und darf nur seine eigenen technischen Leistungen zusätzlich berechnen. Das müßten, wie ich vorhin gesagt habe, die KZVen überwachen.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereiches des Bundesministeriums für Gesundheit. Ich bedanke mich bei der Parlamentarischen Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl. Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Johannes Nitsch zur Verfügung. Ich rufe die Frage 14 des Abgeordneten Horst Kubatschka auf: Aus welchen Gründen wird eine Tiefe von 3,1 m und eine Breite von 90 m bei der Engstelle der Donau in Höhe der niederbayerischen Stadt Vilshofen geschaffen, wenn diese Werte flußaufwärts nicht erreicht werden, und wer hat die politische Entscheidung hierüber getroffen?

Johannes Nitsch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001616

Herr Kubatschka, die herzustellende Fahrrinnentiefe im Bereich des Bürgerfeldes wird unterteilt in einen tieferen Abschnitt stromabwärts von Vilshofen und einen weniger tiefen Abschnitt stromaufwärts von Vilshofen. Der stromabwärts gelegene Teil wird an die unterstromig bereits vorhandene Fahrrinnentiefe von 2,90 Meter bei Niedrigwasser angepaßt, damit die dortigen Liegeplätze wasserstandsunabhängig erreicht werden können. Die Herstellungstiefe ergibt sich auf Grund einer für Unterhaltungsbaggerungen notwendigen Tiefenreserve von 0,2 Meter mit insgesamt 3,1 Meter unter Niedrigwasser. Mit der Herstellung der Liege- und Koppelstelle in Vilshofen wird die Dispositionsfreiheit und Wirtschaftlichkeit der Schiffahrt verbessert. Diese Liegestelle ermöglicht der Schiffahrt einen erheblichen Zeitvorteil bei der Disposition und der Überwindung der hinsichtlich der Fahrrinnentiefe als Engstelle zu betrachtenden Donaustrecke Straubing-Vilshofen. Die Fahrrinnentiefe des stromaufwärts gelegenen Teils orientiert sich an der Gleichwertigkeit der Abladetiefen zwischen Niedrigwasser- und Mittelwasserabfluß bei den derzeitigen Verhältnissen in der freifließenden Strecke Straubing-Vilshofen. Hierzu ist eine Fahrrinnentiefe von 2,95 Meter unter Mittelwasser notwendig. Bezogen auf den ENR entspricht dies einer Fahrrinnentiefe von mindestens 2 Metern. Die Fahrrinnenbreite von 90 Metern im Bereich des Bürgerfeldes ergibt sich auf Grund der von der Versuchsanstalt für Binnenschiffbau in Duisburg durchgeführten Untersuchungen und Versuchsfahrten für eine sichere Begegnung von 22,8 Meter breiten Schiffsverbänden. Die dem Ausbau des Bürgerfeldes zugrunde liegenden Fahrrinnenabmessungen wurden von dem Träger des Vorhabens, also der Bundesrepublik Deutschland, im Einvernehmen mit dem Freistaat Bayern festgelegt.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Zusatzfrage? - Bitte.

Horst Kubatschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001234, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß durch die Maßnahmen, die eine Tiefe von 3,10 Metern und eine Breite von 90 Metern vorsehen, ein Ausbau flußaufwärts zwischen Straubing und Vilshofen nicht vorbestimmt wird?

Johannes Nitsch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001616

Diesen Standpunkt teilt die Bundesregierung.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Die zweite Zusatzfrage. Bitte schön, Herr Kubatschka.

Horst Kubatschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001234, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wann ist der Baubeginn dieser Maßnahme? Und: Verzögert ein etwaiger Erörterungstermin den Baubeginn?

Johannes Nitsch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001616

Für das von mir beschriebene Bürgerfeld sind die Baumaßnahmen für 1998 und 1999 geplant. Das heißt, in diesem Jahr müßte es zu einem Baubeginn kommen; Verzögerungen sind mir bis jetzt nicht avisiert worden.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Die nächste Zusatzfrage. Bitte, Frau Dr. Angelica Schwall-Düren.

Dr. Angelica Schwall-Düren (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002795, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär Nitsch, welche ökologischen Ausgleichsmaßnahmen sind bei dieser Baumaßnahme vorgesehen?

Johannes Nitsch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001616

Es handelt sich bei diesen Maßnahmen ja nicht um irgendwelche Überflutungen von Landschaftsflächen; vielmehr beziehen sich diese Maßnahmen lediglich auf das Flußbett. Diese Maßnahmen werden in Anbetracht der zurückgestellten Maßnahmen in bezug auf die Staustufen - über sie muß im Jahre 2000 entschieden werden - im Hinblick auf eine Erleichterung des Schiffsverkehrs durchgeführt.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Wir kommen jetzt zur Frage 15 des Abgeordneten Horst Kubatschka: Welche Kosten entstehen bei einer Ausbaggerung der Donau im Raum Vilshofen auf 3,1 m Tiefe und 90 m Breite, und welche Kosten würden bei einer Ausbaggerung auf 2,5 m Tiefe und 80 m Breite anfallen?

Johannes Nitsch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001616

Die Baukosten für den Ausbau des Bürgerfeldes betragen rund 25 Millionen DM. Sie setzen sich zusammen aus rund 17 Millionen DM für die von mir beschriebenen flußregelnden Maßnahmen und rund 8 Millionen DM für die Anpassung der Straßenbrücke Vilshofen. Eine eventuelle Reduzierung der Fahrrinnenabmessungen auf 80 Meter Breite und 2,50 Meter Fahrrinnentiefe würde nach überschlägigen Ermittlungen der Rhein-Main-Donau AG zu Einsparungen bei den Baggerarbeiten in Höhe von rund 2 Millionen DM führen. Das wären also rund 8 Prozent der vorgesehenen Gesamtkosten. Solche knappen Abmessungen würden aber zu einer extremen Minderung der Nutzung des Liege- und Leichterplatzes führen. Deshalb wären sie nicht sinnvoll.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Zusatzfrage? - Bitte schön, Herr Abgeordneter Kubatschka.

Horst Kubatschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001234, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, war die Engstelle bei Vilshofen - also das Bürgerfeld - ein Schwerpunkt der Schiffsunfälle an der deutschen Donau? Wie verteilen sich die Schiffsunfälle auf der gesamten deutschen Strecke?

Johannes Nitsch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001616

Das kann ich Ihnen im Moment nicht sagen. Das kann ich Ihnen gern schriftlich geben, wenn Sie das haben wollen. ({0}) Im Moment bin ich darauf nicht vorbereitet.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Zweite Zusatzfrage. Bitte schön.

Horst Kubatschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001234, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Kann das anfallende Schüttgut für flußbauliche Maßnahmen zur Verbesserung der Schiffahrtsverhältnisse oberhalb von Vilshofen bis nach Straubing verwendet werden?

Johannes Nitsch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001616

Die Grundzielstellung dieser Maßnahme im Bürgerfeld ist die Anpassung der Möglichkeiten des Schiffsbetriebes oberhalb von Vilshofen dahin gehend, daß die bereits oberhalb der Staustufe Kachlet bestehenden Verhältnisse erreicht werden. Wir beseitigen also einen Engpaß, der sich aus den Differenzen zwischen den Verhältnissen oberhalb des Kilometers 2250 und den Verhältnissen zwischen den Kilometern 2250 und 2246 ergibt; Sie kennen ja die Verhältnisse. Der bestehende Engpaß wird beseitigt.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Nächste Zusatzfrage, bitte, Frau Dr. Angelica Schwall-Düren.

Dr. Angelica Schwall-Düren (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002795, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie eine Vertiefung eines Flußbettes nicht als einen Eingriff in ein Ökosystem verstehen und deswegen keine ökologischen Ausgleichsmaßnahmen für geboten halten?

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Der Zusammenhang mit der ursprünglichen Frage ist nur noch schwer zu erkennen. Aber bitte schön, Herr Staatssekretär.

Johannes Nitsch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001616

Ich habe eben auf die Frage des Abgeordneten Kubatschka geantwortet: Wir beseitigen einen Engpaß zwischen dem Kilometer 2250 und dem Kilometer 2246, indem wir einige Untiefen beseitigen und eine glatte Sohlenlinie herstellen.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Vielen Dank. - Die Fragen 16, 17 und 18 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Wir kommen zur Frage 19 der Abgeordneten Gila Altmann ({0}): Welche gegenüber den vorliegenden Erkenntnissen ({1}) neuen Fakten hat die von der Bundesregierung in der Antwort auf die Kleine Anfrage „Sicherheit in der Deutschen Bucht III" ({2}) angekündigte Prüfung, ob es angesichts der besonderen Sicherheitslage in der Deutschen Bucht angezeigt ist, „die [...] Mehrzweckschiffe auch künftig durch private Bergungsschlepper zu ergänzen", zum Gegenstand, und wann wird vor dem Hintergrund des zum 31. März 1998 auslaufenden Chartervertrages für den Hochseeschlepper „Oceanic" ein Ergebnis vorliegen? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Johannes Nitsch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001616

Frau Abgeordnete Altmann, die angekündigte Prüfung bezieht sich auf die Erprobung des Gewässerschutzschiffes „Neuwerk" nach dessen Werftauslieferung sowie auf gemeinsame Übungen der bundeseigenen Schiffe „Mellum" und „Neuwerk" , die, wie Ihnen bekannt ist, für den Notschleppeinsatz vorgesehen sind. Mit den Ergebnissen aus diesen Prüfungen wird im Herbst 1998 gerechnet. Das Bundesverkehrsministerium hat Vorsorge getroffen, daß bis zu diesem Zeitpunkt zusätzliche Notschleppkapazität zur Verfügung steht. Die Wasser- und Schiffahrtsverwaltung wird die erforderlichen Verhandlungen führen.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Zusatzfrage, bitte schön, Frau Altmann.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine Frage geht dahin, ob - möglicherweise auch parallel dazu - Gespräche mit den Nachbarn geplant sind, zum Beispiel mit den Holländern, mit dem Ziel, langfristig ein gemeinsames Sicherheitskonzept auf die Beine zu stellen.

Johannes Nitsch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001616

Die Bundesregierung hat mit der Indienststellung der „Neuwerk" noch in diesem Jahr und der Erprobung des Zusammenwirkens zwischen der „Neuwerk" und der „Mellum" die erforderliche Vorsorge, die in diesem Raum notwendig ist, getroffen.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Zweite Zusatzfrage, bitte schön.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich finde es ein bißchen unfair, daß ich meine zweite Frage hergeben muß, bloß weil Sie meine erste Zusatzfrage nicht beantwortet haben. Aber ich mache es trotzdem. Noch einmal: Auf einer Veranstaltung, die sich mit der Sicherheit in der Deutschen Bucht befaßt hat und bei der auch Herr Hintz zugegen war, hat es auch von seiten der Holländer, die ihrerseits für fünf Jahre den Schlepper „Waker" gechartert haben, den klaren Appell gegeben, ein internationales Sicherheitskonzept zu initiieren. Meine Frage ist, ob es neben der Prüfung, die Sie gerade zum wiederholten Male angesprochen haben, Gespräche gibt, die auf eine internationale Zusammenarbeit hinsichtlich eines gemeinsamen Sicherheitskonzeptes in der Deutschen Bucht zielen.

Johannes Nitsch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001616

Wir sind ständig in Gesprächen mit unseren Nachbarn, vor allem wenn es um die Sicherheit in der Deutschen Bucht geht. Die Empfehlungen, die auf der 35. Umweltministerkonferenz in Lüneburg in diesem Jahr zu diesem Punkt gefaßt worden sind, werden von der Bundesregierung umgesetzt.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Dann kommen wir jetzt zur Frage 20 der Abgeordneten Gila Altmann ({0}): Welchen Stand haben die Verhandlungen zwischen dem Bund, der Deutschen Bahn AG und der Industrie zur Risikoabgrenzung und Lastenaufteilung beim Transrapid-Projekt Hamburg - Berlin für die Fälle - eventueller Ausfall des Gesamtsystems über einen Zeitraum von mehr als drei Monaten, - Kostensteigerungen beim Bau des Fahrweges, - mangelnde Erlöse durch - wegen des Wegfalls des Haltepunktes Hamburg-Moorfleet - nicht realisierte Fahrgastprognosen erreicht, und bis wann wird die Bundesregierung das Parlament über die diesbezüglichen Verhandlungsergebnisse unterrichten? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Johannes Nitsch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001616

Frau Altmann, Gegenstand der von Ihnen angesprochenen Verhandlungen der am Projekt Magnetbahn Berlin-Hamburg Beteiligten ist jetzt die vertragliche Umsetzung der Vereinbarungen des Eckpunktepapiers vom 25. April vorigen Jahres. In diesem Zusammenhang werden natürlich auch die Investitionskosten des Fahrweges überprüft. Nach den Vereinbarungen des Eckpunktepapiers hat die Industrie unter anderem auch die Verantwortung für die dauerhafte Verfügbarkeit des Gesamtsystems im laufenden Betrieb nach Inbetriebnahme übernommen. Zu Ihrem nächsten Punkt: Hinsichtlich des Haltepunktes Moorfleet hat sich die Deutsche Bahn AG als zukünftiger Betreiber der Magnetschnellbahn für eine zeitnahe Realisierung ausgesprochen. Hierfür sprechen insbesondere betriebliche und wirtschaftliche Gründe. Zusammenfassend geht die Bundesregierung davon aus, daß die Vertragsverhandlungen zwischen den Partnern zu einem positiven Ergebnis führen.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Bitte eine Zusatzfrage, Frau Altmann.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Zuerst einmal möchte ich feststellen, daß Sie die schriftliche Frage nur teilweise beantwortet haben, weil auch ganz klar nach dem Zeitpunkt gefragt worden ist. Es wurde gefragt, wann mit dem Ende der Vertragsverhandlungen und dem Abschluß zu rechnen sei. Ich bitte, das nachzutragen. Ansonsten möchte ich fragen: Sie haben gerade von der dauerhaften Verfügbarkeit gesprochen, die die Industrie zu garantieren hat. Es gibt einen Artikel vom 4. März, aus dem hervorgeht, daß das Konsortium nur bereit sei, die Kosten eines Betriebsausfalls bis zu einer Dauer von drei Monaten zu tragen, daß der Bahn AG das Risiko zu hoch sei und daß der Streckenbau ohne Einigung zwischen Herstellern und Betreibern nicht starten kann, es sei denn, die Bundesregierung übernähme die Haftung. Ist diese Annahme richtig, und wenn ja, wann wird das Parlament daran beteiligt? Das schließt die Frage nach dem Zeitpunkt des Abschlusses der Verträge mit ein.

Johannes Nitsch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001616

Frau Abgeordnete Altmann, es ist sicherlich bei jedem Vertrag so, daß für einen Ausfall gegenseitige Vereinbarungen zwischen den Partnern zu treffen sind. Es kann nicht ein Dritter in Anspruch genommen werden, der irgendwelche Kosten übernehmen soll. Die Bundesregierung wird diesbezüglich nicht in das Verhältnis eintreten. Die Partner müssen sich schon selbst einigen.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Zweite Frage, bitte schön.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich versuche es noch einmal. Die Frage lautete: Wann ist mit dem Abschluß der Verträge zu rechnen, und wann wird das Parlament mit der Gesamtthematik noch einmal betraut?

Johannes Nitsch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001616

Wir werden Sie nach Abschluß der Verträge in gewohntem Maße informieren. Wir sind in die Verhandlungen nicht einbezogen, und wir werden diese Verhandlungen auch nicht stören.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Zusatzfrage, Frau Dr. Enkelmann, bitte schön.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin gesagt: auf der Grundlage des Eckwertepapiers von April. Ich muß jetzt einmal rückfragen. Danach kam allerdings die vom Bundesrechnungshof angeforderte Wirtschaftlichkeitsberechnung. Auf Grundlage welcher Wirtschaftlichkeitsberechnung werden diese Verhandlungen jetzt geführt, und welchen Einfluß könnte eine Wirtschaftlichkeitsberechnung haben, die möglicherweise im Ergebnis des Raumordnungsverfahrens vorgelegt wird?

Johannes Nitsch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001616

Ich sagte gerade: Wir haben im April vorigen Jahres gemeinsam ein Eckpunktepapier vereinbart. Die Verhandlungen sind zur Ausfüllung dieses Eckpunktepapiers zu führen, und die Bundesregierung - das habe ich bereits in meiner Antwort gesagt - geht davon aus, daß die Verhandlungen bald zu einem positiven Ende geführt werden. Anschließend werden wir Sie informieren. ({0})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Zusatzfrage, Herr Catenhusen, bitte schön. Vielleicht könnten wir die Gesprächszirkel ein wenig einstellen, dann wäre es auch für den Staatssekretär einfacher.

Wolf Michael Catenhusen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000326, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, der Kollege Blüm stört im Moment. ({0}) Die Frage an den Herrn Staatssekretär lautet: Rechnen Sie damit oder halten Sie es für möglich, daß die Verhandlungen noch vor der Bundestagswahl abgeschlossen sein werden und eine entsprechende Information noch vor der Bundestagswahl an das Parlament erfolgen kann?

Johannes Nitsch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001616

Auf eine so konkrete Frage kann ich auch eine konkrete Antwort geben: Ja, wir werden noch in dieser Legislaturperiode darüber informieren.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Dann kommen wir jetzt zu der Frage 21 der Abgeordneten Frau Dr. Angelica Schwall-Düren: Verfügt die Bundesregierung gegenwärtig über ausreichende Fakten, die Aufschluß darüber geben, in welcher Zusammensetzung Herbizidchemikalien von Zügen der Deutschen Bahn AG ({0}) zur Durchführung von Entkrautungsverfahren zugelassen und verwendet werden, und erfolgt eine - auch der Öffentlichkeit zugängliche - Dokumentation über die Gesamtmenge des Chemikalieneinsatzes?

Johannes Nitsch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001616

Frau Dr. Schwall-Düren, die Deutsche Bahn AG verwendet für Entkrautungsmaßnahmen auf Gleisanlagen ausschließlich ein von der Biologischen Bundesanstalt für Land- und ForstwirtParl. Staatssekretär Johannes Nitsch Schaft zugelassenes Blattherbizid mit dem Wirkstoff Glyphosat bzw. Glyphosat-Trimesium.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Zusatzfrage, bitte, Frau Dr. Schwall-Düren.

Dr. Angelica Schwall-Düren (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002795, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, welche Gesamtmengen an diesen Mitteln verwendet werden - das war ja schon Bestandteil meiner schriftlichen Frage - und vor allen Dingen welche Wirkungen diese derzeit verwendeten Mittel zur Entkrautung der Gleisanlagen beispielsweise hinsichtlich der Halbwertszeit, also der Abbaurate, und damit der Beeinträchtigung der Bodenfunktion, der Durchlässigkeit, der Belastung des Grundwassers und der gesundheitlichen Auswirkungen haben?

Johannes Nitsch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001616

Zu der ersten Teilfrage: Es liegen der Bundesregierung entsprechende Erkenntnisse vor. Zu der zweiten Teilfrage: Dies betrifft Ihre zweite schriftliche Frage. Wenn Sie erlauben, würde ich diese dann gleich mit beantworten.

Dr. Angelica Schwall-Düren (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002795, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe aber noch eine Zusatzfrage zu meiner ersten schriftlichen Frage.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Dann haben Sie gleich drei Zusatzfragen. - Damit rufe ich auch Frage 22 der Abgeordneten Dr. Angelica SchwallDüren auf: Welche vorsorgenden Maßnahmen zur Verringerung etwaiger Risiken für das Grundwasser - im Hinblick auf den fortgesetzten Einsatz von Herbiziden auf Gleisanlagen der Deutschen Bahn AG - hat die Bundesregierung getroffen oder unterstützt, gerade auch deshalb, weil die Bundesregierung noch im Januar 1996 erklärt hatte, sie könne eine endgültige Beurteilung zur Grundwassergefährdung nicht treffen, da dazu - nach der damaligen Sichtweise der Bundesregierung - ergänzende Gutachten abgewartet werden sollten ({0})?

Johannes Nitsch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001616

Uns liegen die Ergebnisse der Fresenius-Studie, also der wissenschaftlichen Untersuchungen über die Auswirkungen des derzeitigen Herbizideinsatzes im Gleisbereich unter besonderer Berücksichtigung - so, wie Sie das gesagt haben - des Grundwasserschutzes, noch nicht vor. Sie werden nach unseren Informationen der Deutschen Bahn AG im Herbst 1998 übergeben. Als vorsorgliche Maßnahme zur Verringerung der Risiken für das Grundwasser hat die Bundesregierung bereits mit der Zweiten Verordnung zur Änderung der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung vom 24. Januar 1997 die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln mit dem Wirkstoff Diuron auf Gleisanlagen verboten. Zuvor hatte die DB AG in einer Presseinformation mitgeteilt, daß sie auf die Anwendung von diuronhaltigen Mitteln auf ihren Gleisen verzichtet. Die Ausbringung der Mittel erfolgt von durch die Deutsche Bahn AG beauftragten Fachunternehmen unter Beachtung aller einschlägigen staatlichen Anordnungen und Bestimmungen. Es werden besondere Spritzfahrzeuge eingesetzt, die eine randscharfe Ausbringung des Pflanzenschutzmittels auf dem eigentlichen Gleisbereich einschließlich der schmalen Randwege gewährleisten. Bahnböschungen und -einschnitte werden nicht mit Pflanzenschutzmitteln behandelt; sie bleiben als ökologische Nischen erhalten.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Zusatzfrage, bitte, Frau Dr. Schwall-Düren.

Dr. Angelica Schwall-Düren (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002795, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Zunächst zu meiner ersten schriftlichen Frage die Zusatzfrage: Was sagt die Bundesregierung zu dem Vorwurf, daß Restbestände von Herbiziden, die für die Landwirtschaft produziert und später wegen ihrer Giftigkeit, wegen ihrer Gesundheitsgefährdung verboten worden waren, anschließend auf Betreiben der Chemieproduzenten auf DB-Anlagen ausgebracht worden sind?

Johannes Nitsch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001616

In welchem Zeitraum?

Dr. Angelica Schwall-Düren (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002795, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das soll bis in das Jahr 1996 passiert sein. Diese Aussagen liegen vor.

Johannes Nitsch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001616

Ich habe deshalb nachgefragt, weil, glaube ich, im Jahre 1996 eine ähnliche Frage gestellt wurde. Anläßlich dieser Fragestellung im Deutschen Bundestag gab es damals die Presseerklärung, von der ich gesprochen habe. Vielleicht ist das der von Ihnen angesprochene Zeitpunkt. Ich kann Ihre Frage jetzt nicht messerscharf beantworten. Ich könnte Ihnen aber eine schriftliche Antwort geben, wenn Sie darauf bestehen.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Zweite Zusatzfrage, bitte schön.

Dr. Angelica Schwall-Düren (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002795, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Denkt die Bundesregierung daran, regelmäßige Kontrollen durchzuführen bzw. den Gesundheitsbehörden uneingeschränkte Kontrollmöglichkeiten für die Gleispflegemaßnahmen zu geben, damit die Maßnahmen, die Sie vorhin angekündigt haben, im Sinne der Vorsorge tatsächlich durchgeführt werden?

Johannes Nitsch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001616

Die Gleisanlagen gehören der Deutschen Bahn AG. Die Deutsche Bahn AG wird die Gesundheitsbehörden auf der Grundlage dieses Gutachtens, das über mehrere Vegetationsperioden erstellt wird, über den jetzigen Zustand informieren und daraus auch Ableitungen für die Zukunft ziehen können.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Sie haben noch eine Frage?

Dr. Angelica Schwall-Düren (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002795, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Bitte.

Dr. Angelica Schwall-Düren (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002795, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Hat die Bundesregierung Auskünfte darüber eingeholt, welche umweltorientierten Praktiken zur Gleisentkrautung die Deutsche Bahn seit 1996 entwickelt hat, wie sie es in ihrer Selbstverpflichtung, die Sie vorhin selbst erwähnt haben, angekündigt hatte?

Johannes Nitsch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001616

Ich habe in meiner Antwort betont, daß es ein Blattherbizid ist, das nur die grünen Teile der Pflanzen, die an der Bahnböschung wachsen, niedrig hält. Das ist die Maßnahme, die die Deutsche Bahn AG gegenwärtig realisiert.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Zusatzfrage des Abgeordneten Kubatschka, bitte schön.

Horst Kubatschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001234, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, oft sind nicht das Herbizid oder das eingesetzte Mittel, sondern die Abbauprodukte giftig. Ist auch das Abbauprodukt dieses Mittels auf seine Giftigkeit kontrolliert worden? Ich möchte noch etwas klarstellen: Sie haben vorhin von der Bahnböschung gesprochen. Es geht aber um den Gleiskörper. Dies sage ich nur, damit es keine Mißverständnisse gibt.

Johannes Nitsch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001616

Ich habe in meiner Antwort gesagt: Die Bahnböschung wird nicht behandelt. Ich meinte immer den Gleiskörper, der freigehalten wird. Insofern korrigiere ich das. Ich danke Ihnen vielmals. Genau dieses Thema liegt der Fresenius-Studie zugrunde. Die DB AG läßt auch kontrollieren, was mit den Abbauprodukten im Untergrund passiert. Soweit ich informiert bin, wird die Fresenius-Studie auch Aussagen darüber treffen, welche Reststoffe dort noch aus der Zeit der Behandlung mit Diuron vorhanden sind und welche Auswirkungen diese auf das Grundwasser oder andere Dinge haben werden. Dies wird also eine umfassende Studie sowohl über die alten Behandlungsmethoden als auch über die jetzigen Behandlungsmethoden sein.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums für Verkehr. Ich bedanke mich bei Staatssekretär Nitsch. Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Walter Hirche zur Verfügung. Ich rufe die Frage 23 der Abgeordneten Anneliese Augustin auf: Wie bewertet die Bundesregierung die Ergebnisse des Gießener Instituts für Hygiene- und Umweltmedizin zum gesundheitlichen Gefahrenpotential von Kompostierungsanlagen, die auf einer Expertentagung des Regierungspräsidiums Darmstadt vorgestellt wurden ({0})?

Walter Hirche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002678

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin Augustin, das Institut für Hygiene- und Umweltmedizin der Universität Gießen führte im Auftrag des hessischen Umweltministeriums und im Auftrag von drei Anlagenbetreibern Messungen von Keimbelastungen in der Umgebung hessischer Kompostierungsanlagen und eine Befragung der Anwohner solcher Anlagen über atemwegsbezogene Beschwerden durch. Die endgültigen Ergebnisse des Gutachtens liegen bisher weder dem zuständigen Landesministerium noch der Bundesregierung vor. Nach Auskunft des Auftraggebers des Gutachtens erfolgt derzeit noch die Auswertung der Befragung der Anlieger von Kompostierungsanlagen. Erst nach Abschluß dieser Auswertung sind Aussagen darüber möglich, ob bei Anwohnern dieser Kompostierungsanlagen Atemwegserkrankungen in erhöhtem Umfang auftreten oder nicht. Expertengespräche, die in den letzten Jahren seitens des Bundes und der Länder durchgeführt wurden, haben bislang keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben, daß für Bürger, die in der Nähe von Kompostierungsanlagen wohnen, erhöhte Risiken von Atemwegserkrankungen bestehen.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Eine Zusatzfrage, Frau Augustin?

Anneliese Augustin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe keine Zusatzfrage.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Dann können wir als letzte Frage noch die Frage 24 der Abgeordneten Anneliese Augustin aufrufen: Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung zu gesundheitlichen Risiken biologischer Abfallbehandlungsanlagen für Anwohner vor?

Walter Hirche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002678

Es liegen keine Erkenntnisse darüber vor - das habe ich vorhin bereits gesagt -, daß für Anwohner in der Umgebung von Kompostierungsanlagen erhöhte gesundheitliche Risiken bestehen. Verschiedene Fachgespräche haben ergeben, daß die aus den Anlagen emittierten Organismen in der Atmosphäre in der Regel stark verdünnt werden, so daß sich die Konzentrationen in der Luft bereits nach einer Entfernung zwischen 50 und 300 Metern vielfach nicht mehr von normalen Hintergrundbelastungen unterscheiden dürften. Erkenntnisse darüber, ob Keime in höheren Konzentrationen auf Grund besonderer geographischer, oder genauer: topographischer Verhältnisse auch über größere Entfernungen transportiert werden, werden von dem Gutachten des Gießener Instituts für Hygiene und Umweltmedizin erwartet. Hinsichtlich der Kompostierungsanlagen selbst ist seit langem bekannt, daß innerhalb dieser Anlagen mit sehr hohen Keimbelastungen zu rechnen ist. Sie sind das Ergebnis der gleichen intensiven biologischen Zersetzungsprozesse, wie sie zum Beispiel auch in der freien Natur vorkommen. Auffällige Unterschiede im Krankheitsbild von Personen, die als Beschäftigte von Kompostierungsanlagen mit sehr hohen Keimkonzentrationen konfrontiert sind, im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern sind bislang allerdings nicht belegt. Um das gesundheitliche Risiko von Beschäftigten in Kompostierungsanlagen auf der Grundlage medizinischer Untersuchungen zu klären, führt derzeit die Bundesanstalt für Arbeitsmedizin ein Forschungsvorhaben durch, dessen Ergebnisse im Jahr 1998 veröffentlicht werden. Eine besondere Vorsicht im Umgang mit biologisch abbaubarem Material ist jedoch generell für den Personenkreis geboten, dessen Immunsystem gravierend beeinträchtigt ist. Dies betrifft zum Beispiel Personen in der Nachbehandlung einer Organtransplantation.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Bitte schön, eine Zusatzfrage, Frau Augustin.

Anneliese Augustin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, dieses sensible Thema weiter zu beobachten und, wenn neue Erkenntnisse vorliegen, Bericht zu erstatten, entweder schriftlich zu meinen Händen oder an wen auch immer, der sich dafür interessiert?

Walter Hirche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002678

Das sage ich gerne zu, Frau Kollegin Augustin.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Ich bedanke mich beim Parlamentarischen Staatssekretär Walter Hirche. Die Fragen 36 und 37 des Abgeordneten Dr. Burkhard Hirsch sind vom Fragesteller zurückgezogen worden. Wir sind damit am Ende der heutigen Fragestunde. Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf: 2. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen und anderer Formen der Vermögensbildung der Arbeitnehmer ({0}) - Drucksache 13/10012 -Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({1}) Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Hans-Peter Repnik, CDU/CSU-Fraktion.

Hans Peter Repnik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben heute ein erfreuliches und, wie ich meine, auch wichtiges Thema auf der Tagesordnung, nämlich die verbesserte Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen. ({0}) Privateigentum ist eine wesentliche Grundlage der persönlichen Freiheit und ein konstitutives Prinzip der sozialen Marktwirtschaft. Eine breite Streuung des Eigentums, vorrangig beim Wohneigentum, aber nicht zuletzt auch beim Produktivvermögen, festigt unsere Wirtschafts- und unsere Gesellschaftsordnung. In einer Zeit, in der angesichts sehr verantwortungsbewußter Tarifabschlüsse in den vergangenen Jahren der Zuwachs des Vermögens bei den Arbeitnehmern auf der einen Seite gering, bescheiden ist und andererseits eine Diskussion um das Shareholder-Value-Prinzip und über steigende Aktienkurse geführt wird, ist es wichtig, daß wir uns gerade dieses Themas annehmen. Wir alle wissen: Privates Eigentum fördert eigenverantwortliches und kreatives Denken und Handeln. Es sichert die persönliche Unabhängigkeit, und, wenn ich gerade an die Alterssicherung denke, die persönliche Vermögensbildung dient nicht zuletzt auch der sozialen Sicherheit. Aber, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, solidarische Sicherung setzt auch wirtschaftliche Prosperität voraus. Gerade diesem dient die Anlage in investives Kapital. Ludwig Erhard bringt die Zusammenhänge wie folgt auf den Punkt: Die Konzentration des Produktivvermögens ist kein Kennzeichen der sozialen Marktwirtschaft und kein Schicksal. Sie kann und muß durch marktwirtschaftliche Ordnungspolitik überwunden werden. Eine Vermögenspolitik der sozialen Marktwirtschaft beteiligt alle durch Vermögensbesitz an den Unternehmen. Ihr Ziel ist eine Gesellschaft von Teilhabern. Diesem Ziel, liebe Kolleginnen und Kollegen, fühlen wir uns nach wie vor verpflichtet. Es gibt Themen, die in einzelnen Parteien mit bestimmten Köpfen, mit bestimmten Persönlichkeiten verbunden werden. Deshalb will ich in diesem Zusammenhang einen Kollegen aus meiner Fraktion ansprechen, der sich wie kein zweiter über Jahrzehnte hinweg gerade dieses Themas angenommen hat. Das ist Wolfgang Vogt. Nicht zuletzt seinem beharrlichen Nachhaken und Betreiben ist es zu verdanken, daß wir heute soweit sind, wie wir mit dieser ersten Lesung sind. Ein herzliches Dankeschön, Wolfgang Vogt, für dieses langjährige Engagement! ({1}) Wir haben - das wissen wir - mit unserer Vermögenspolitik in der Vergangenheit viel erreicht. Die Verteilung des Vermögens in Deutschland ist gleichmäßiger geworden. Aber selbstkritisch müssen wir natürlich auch beleuchten, daß dies in erster Linie auf das Grundvermögen zutrifft. Diese durchaus positive Bilanz wird durch eine inzwischen zwar bessere, aber nach wie vor geringe Streuung des Produktivvermögens getrübt. Genau an diesem Punkt setzen wir mit unserem Gesetzentwurf an. Er soll die Förderung der Vermögensbildung weiter verbessern und vor allem zu einer gleichmäßigeren Verteilung des Produktivvermögens in unserer Gesellschaft beitragen. Um dieses Ziel zu erreichen, haben wir eine Reihe von Maßnahmen in diesen Gesetzentwurf geschrieben: Erstens. Wir heben die Einkommensgrenzen von 27 000 bei Alleinstehenden bzw. 54 000 DM bei Verheirateten auf 35 000 und 70 000 DM an. Das ist eine gewaltige Steigerung. Selbstverständlich hätten wir gerne noch höhere Einkommensgrenzen gewählt. Angesichts der finanziellen Situation der öffentlichen Haushalte sahen wir uns dazu leider nicht in der Lage. Aber vielleicht muß man einmal übersetzen, was dies heißt, welche Arbeitnehmer mit welchem Bruttoeinkommen darunter fallen. Ein Alleinstehender ohne Kinder: 41 000 DM, ein Verheirateter ohne Kinder: 80 000 DM. Ein verheirateter Arbeitnehmer mit zwei Kindern fällt jetzt immerhin bis zu einem Bruttoeinkommen von 94 000 DM unter diese Förderung. Damit haben wir mehr als zwei Drittel aller Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland in diese Förderung einbezogen. Ich glaube, dies ist ein gewaltiger, auch qualitativ interessanter Schritt. ({2}) Zweitens. Die Beteiligungen am Produktivvermögen werden besonders gefördert. Zusätzlich zum bestehenden Förderbetrag von 936 DM, der zukünftig für das Bausparen reserviert sein wird, soll es einen zweiten Förderkorb für Beteiligungen am Produktivvermögen in einer Größenordnung von 800 DM additiv zu diesem ersten Förderkorb geben. Wir haben uns natürlich auch mit den Vermögensverhältnissen zwischen den neuen und den alten Bundesländern auseinandergesetzt. Wir müssen feststellen, daß es einen erheblichen Nachholbedarf gerade in den neuen Bundesländern gibt. Deshalb haben wir über die Präferierung des Produktivvermögens hinaus die neuen Bundesländer noch einmal mit einer Präferenz versehen: 1 000 DM Förderbetrag pro Jahr. Dies bedeutet, daß wir in den neuen Bundesländern mehr als eine Verdoppelung der Förderung bei der Vermögensbildung haben. Auch dies ist, glaube ich, eine ganz wichtige Maßnahme und ein Signal an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gerade in den neuen Bundesländern. ({3}) Drittens. Wir haben den Förderhöchstsatz für inner- und außerbetriebliche Beteiligungen am Produktivvermögen auf 20 Prozent festgesetzt. Damit geben wir den Arbeitnehmern ganz besondere Anreize, sich am Produktivvermögen zu beteiligen, weil dieser Satz doppelt so hoch wie die Förderung für andere vermögenswirksame Leistungen ist. Viertens. Wir haben - darauf kam es uns an - eine staatliche Förderung auch dann gewährleistet, wenn die Tarifpartner die Verwendung der vermögenswirksamen Leistungen tarifvertraglich auf Beteiligungen und Bausparen konzentrieren. Wir möchten die Tarifpartner mit dieser Erweiterung nachhaltig ermuntern, sich dieses Themas anzunehmen und so die Idee einer investiven Verwendung eines Teils des Lohnes voranzutreiben. Die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen eröffnet nach unserer festen Überzeugung mit diesem Entwurf der Tarifpolitik neue Spielräume. Wir würden es uns wünschen, wenn die Tarifpartner diese Spielräume auch nachhaltig in Anspruch nehmen würden. Wir glauben, daß die verteilungspolitische Diskussion bei Tarifverhandlungen durchbrochen werden könnte, wenn die Arbeitnehmer an den Gewinnen der Unternehmen beteiligt würden. Dabei ist uns eines wichtig - dies war in der Diskussion ein ganz wesentlicher Punkt - : Die Wahlfreiheit des Arbeitnehmers bleibt erhalten. Er selbst muß zwischen den Formen der Beteiligung und dem Anlageinstitut frei wählen können. Hier darf, ja, muß Wettbewerb herrschen. Nur der Wettbewerb kann den notwendigen Druck ausüben, daß die Anlage im Interesse der Arbeitnehmer ertragsorientiert bleibt. Denn so ist eine Kontrolle durch den Markt gegeben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben uns überlegt, ob wir im Zusammenhang mit § 19 a Einkommensteuergesetz Korrekturen bei der Mitarbeiterbeteiligung vornehmen sollten. Wir haben darauf verzichtet und verweisen auf die Steuerreform. Wir wollen mit diesem Gesetzentwurf die Voraussetzungen dafür schaffen, daß sich durch eine verstärkte Beteiligung am Produktivkapital und damit an den Unternehmensgewinnen die Einkommenssituation der Arbeitnehmerhaushalte in mittlerer Frist verbessert. Für Unternehmen bedeutet die Förderung der Beteiligung am Produktivvermögen die Chance, mehr Eigenkapital, und zwar auf günstige Art und Weise, zu bilden. Dadurch wird die Finanzierung von Investitionen erleichtert. Neue Arbeitsplätze können geschaffen bzw. vorhandene gesichert werden. Gerade für junge, innovative, kapitalschwache Unternehmen und auch für den mittelständiHans-Peter Repnik schen Bereich bietet sich hier eine Möglichkeit, günstig zu zusätzlichem Eigenkapital zu kommen. Mit diesem Gesetzentwurf leisten wir einen weiteren Beitrag zu mehr Wachstum und Beschäftigung. Wir schließen an Erfahrungen an, die in diesem Zusammenhang im angelsächsischen Bereich gemacht worden sind. Deshalb haben wir in den Förderkatalog nicht nur direkte Beteiligungen einbezogen, sondern eine ganze Reihe von Maßnahmen, die wir in den letzten Monaten zum Beispiel im Rahmen der Diskussion zum Thema Finanzmarktförderungsgesetz neu auf den Markt gebracht haben. Wir hoffen, daß von diesen Maßnahmen intensiv Gebrauch gemacht wird. Ich möchte schon heute die Opposition sehr herzlich einladen, sich, diesem Gedanken verpflichtet fühlend, anzuschließen und mitzumachen. ({4}) Wir haben in den nächsten Wochen in den Ausschüssen und Anhörungen die Chance, das Thema zu vertiefen. Ich hoffe auch, daß sich der Bundesrat, der hier ebenfalls zu Rate gezogen und seine Zustimmung erteilen muß, im Sinne der besseren Vermögensbildung und Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital konstruktiv in dieses Verfahren einbringt.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Herr Abgeordneter, denken Sie bitte an die Redezeit.

Hans Peter Repnik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich glaube, die Situation am Arbeitsmarkt und bei der Einkommensentwicklung der Arbeitnehmer erfordert dieses konstruktive Mitwirken. Herzlichen Dank. ({0})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ottmar Schreiner, SPD-Fraktion.

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Aufforderung bzw. Bitte des Kollegen Repnik an die Opposition gerichtet mitzumachen, war im Prinzip überflüssig. Seit 1996, also seit gut zwei Jahren, liegt dem Deutschen Bundestag ein Antrag der SPD-Bundestagsfraktion zur verstärkten Förderung der Arbeitnehmerschaft, was die Beteiligung an Produktivkapital anbelangt, vor. Wir haben, wie ich finde, einen wesentlich ausgereifteren Vorschlag präsentiert, der in den vergangenen Jahren und Monaten auf breite Zustimmung auch der Fachleute gestoßen ist. Gemessen an dem, was wir dem Bundestag präsentiert haben, ist das, was Sie seit wenigen Stunden hier vorgelegt haben, eher nach dem Motto zu beurteilen: Der Berg kreißt und gebiert ein Mäuslein. Was Sie hier vorlegen, ist ein Mäuslein. ({0}) Ich will versuchen, Ihnen dies in aller Kürze zu erläutern. Die Ausgangslage ist völlig unstreitig und so nicht mehr hinnehmbar. Etwa 3 Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung verfügen über mehr als 80 Prozent des gesellschaftlichen Produktivkapitals. Die untere Hälfte der Bevölkerung, die unteren 50 Prozent der Bevölkerung, verfügt über weniger als 4 Prozent des gesamtgesellschaftlichen Vermögens. Das ist eine Situation, wie sie in kaum einem anderen europäischen Land vorgefunden werden kann. Diese Situation ist völlig unannehmbar. Insoweit ist zumindest bei der Ausgangsbetrachtung Konsens vorhanden. Daß die Koalition hier eher an den Wahlkampf denkt, zeigt bereits das Verfahren, Herr Kollege Repnik. Am Montag dieser Woche war avisiert worden, daß heute die erste Lesung Ihres Gesetzentwurfes stattfindet. Am Montag dieser Woche verfügten wir aber noch nicht über einen Gesetzentwurf der Koalition. Dies ist ein völlig untragbares Verfahren. Noch gestern hatte die Koalition die Faxgeräte bedient, um Änderungsanträge durchzugeben. Das hat mit einem seriösen Verfahren überhaupt nichts mehr zu tun. Sie hatten vor knapp vier Jahren in Ihrer Koalitionsvereinbarung verabredet, die Beteiligung der Arbeitnehmerschaft am Produktivkapital deutlich stärker zu fördern. Sie hatten über dreieinhalb Jahre Zeit. In diesen dreieinhalb Jahren ist so gut wie nichts geschehen. ({1}) Und jetzt, gewissermaßen auf der Zielgeraden dieser Legislaturperiode, kommen Sie mit einem Gesetzentwürfchen, das an der Grundsituation im wesentlichen nichts ändern wird. Wenn man sich die Ausgangsüberlegungen etwas genauer vor Augen hält, wozu eigentlich die verstärkte Beteiligung der Arbeitnehmerschaft am Produktivkapital gedacht war, bleibt davon so gut wie nichts mehr übrig. Ich zitiere den sehr verehrten, noch amtierenden Bundesarbeitsminister, den Kollegen Blüm, aus der Zeitung „Die Woche" vor wenigen Wochen: Die Renten zu kürzen, ohne die Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand verstärkt zu fördern, das sei nicht sozialer Umbau, sondern Abbau und sozialpolitische Heuchelei, stellte Bundesarbeitsminister Norbert Blüm fest ... Dem ist nur zuzustimmen. In der Tat: Alle Berechnungen, die uns zur Verfügung stehen, signalisieren, daß, wenn es zu den von Ihnen geplanten Rentenkürzungen kommt, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den unteren Lohngruppen später eine Rente erhalten, die unterhalb der Sozialhilfeschwelle liegt, daß selbst Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit mittlerem Lohneinkommen später eine Rente erhalOttmar Schreiner ten, die nur knapp oberhalb der Sozialhilfe liegt. Insoweit ist dem völlig zuzustimmen. Nur, Sie müßten hier einmal erklären, Herr Kollege Blüm, wieso das, was hier jetzt als Gesetzentwurf präsentiert wird, dafür sorgen kann, die Rentenkürzungen im Alter so auszugleichen, daß die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dann als Rentnerinnen und Rentner auch ein Auskommen an ihrem Lebensabend haben. Wie soll das denn durch diesen Gesetzentwurf bewerkstelligt werden? Das, was Sie hier der deutschen Bevölkerung vortragen, ist doch pure Heuchelei. Das hat überhaupt nichts mit einem angemessenen Ausgleich der von Ihrer Koalition betriebenen Rentenkürzungen zu tun. ({2}) Der Kollege Eppelmann, auch ein verdienter Christdemokrat vor dem Herrn, hat am 13. Januar in der „FAZ" zum besten gegeben: Nach Ansicht der Sozialausschüsse ist die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital die intelligente Alternative „zu den verstaubten Forderungen nach einer expansiven Lohnpolitik" . Wer hat denn eigentlich eine expansive Lohnpolitik gefordert, Herr Kollege Eppelmann? ({3}) - Wissen Sie, Herr Kollege Repnik, von wem der Begriff „expansive Lohnpolitik" ist? Der Begriff „expansive Lohnpolitik" ist in den 60er und 70er Jahren von dem Nestor der katholischen Soziallehre geprägt worden, von Oswald von Nell-Breuning. Wenn man Oswald von Nell-Breuning heute unter Christdemokraten zitiert, dann schlagen Sie das Kreuzzeichen, weil einige von Ihnen ihn für den Leibhaftigen halten. So weit sind wir gekommen. So tief sind Sie in der Tat gesunken. ({4}) Von einer expansiven Lohnpolitik war überhaupt nicht die Rede. Die Rede war von einer produktivitätsorientierten Lohnpolitik, übrigens einer Lohnpolitik, die von Oswald von Nell-Breuning immer wieder gefordert worden ist. Schauen Sie sich die Entwicklung der letzten Jahre an! Schauen Sie sich die Reallohnentwicklung und die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen an! Dann werden Sie feststellen, daß die niedrigen Reallöhne der letzten Jahre keineswegs, wie von Ihnen immer wieder behauptet worden ist, zu einer vermehrten Beschäftigung geführt haben. Es gibt vielmehr enge Zusammenhänge mit der von Jahr zu Jahr gestiegenen Arbeitslosigkeit. Der Kollege Eppelmann hat den Diskussionsstand in der Koalition noch vor wenigen Wochen als „historischen Durchbruch und als einen Riesenerfolg für die CDA" gefeiert. Nun will ich Ihnen einfach einmal deutlich machen, was der Kern dieses Gesetzentwurfes ist. Der Kern dieses Gesetzentwurfes besteht aus zwei kleinen Verbesserungen: Erstens wird die Einkommensgrenze von 27 000 DM für Ledige und 54 000 DM für Verheiratete auf 35 000 DM bzw. 70 000 DM, bis zu der die Arbeitnehmersparzulage beantragt werden kann, erhöht. Das ist die erste bescheidene Verbesserung. Zweitens wird die Sparzulage von 10 auf 20 Prozent für Beteiligungen am Produktivkapital bis zu 800 DM jährlich erhöht. Das ist alles. Das sind die beiden kleinen Verbesserungen. Hier von einem „historischen Durchbruch", von einem „Riesenerfolg" zu reden, bedeutet, die Tatsachen geradezu auf den Kopf zu stellen. Sie diskutieren den Stand der Dinge heute ja wesentlich nüchterner. Ich zitiere Ihnen heute einmal aus der „Frankfurter Rundschau" : Sozialausschüsse lehnen Vermögensbildungsplan ab. Ja, was denn nun? Wo ist denn der Riesenerfolg? Wo ist der historische Durchbruch? Es heißt in der „Frankfurter Rundschau" von heute weiter: Gegen den Widerstand der CDU-Arbeitnehmergruppe haben sich am Dienstag die Fraktionsführungen von CDU/CSU und FDP auf einen Koalitionsentwurf zur Förderung der Beteiligung von Arbeitnehmern am Produktivvermögen verständigt ... Die CDU-Sozialausschüsse kritisieren besonders die auf Druck der FDP und der Wohnungsbaupolitiker der Union in den Entwurf aufgenommene „Wahlfreiheit" von Bausparen und Beteiligungssparen, von der sie strukturelle Nachteile für eine breitere Vermögensbeteiligung am Produktivkapital befürchten. Der erhoffte Durchbruch für den Investivlohn mit Unterstützung der Tarifvertragsparteien sei mit diesem Koalitionskompromiß nicht gelungen, hieß es. ({5}) Das ist CDA heute morgen, verbreitet über die „Frankfurter Rundschau". Vor wenigen Wochen sagten die gleichen Fürsten der CDA: „Riesenerfolg", „historischer Durchbruch". Was gilt denn jetzt eigentlich? Wen wollen Sie eigentlich mit solchen Sprüchen veräppeln? Wen wollen Sie da eigentlich durch den Ring führen? Was gilt? ({6}) - Ja, Eppelmann, der Veräppelmann. - Das geht nun wirklich nicht. ({7}) Entweder es ist ein Riesenerfolg, oder es ist ein mißratenes Stück. Sie können nicht beides gleichzeitig behaupten. ({8}) Ich sage Ihnen: Das sind zwei kleine, bescheidene Verbesserungen, gemessen an der gegenwärtigen Situation. Das ist dann aber auch schon alles. Viel Lärm um wenig - nicht um nichts, aber um wenig. Wir bieten Ihnen hier von seiten der SPD-Bundestagsfraktion ausdrücklich an, unverzüglich Verhandlungen aufzunehmen, um zu einem wirksamen Gesetzentwurf zu kommen. Wir bieten Ihnen das ausdrücklich an, weil Sie wissen, daß die entsprechenden Regelungen zustimmungsbedürftig im Bundesrat sind. Sie können hier nicht machen, was Sie wollen. Sie brauchen uns. Wir wollen kein langes Verfahren. Wir wollen nicht Monate ein Hickhack haben. Wir wollen mit Ihnen möglichst schnell an einen Tisch kommen, um zu bereden, wie man zu einer sinnvollen, vertretbaren und auch wirksamen Lösung kommen kann. Die SPD wird dabei versuchen, entscheidende Verbesserungen im Beratungsverfahren durchzusetzen: Erstens. Die Förderung von Beteiligungen am eigenen Unternehmen oder - wenn dies nicht möglich ist - an überbetrieblichen Fonds. Hierzu soll es eine rechtliche Klarstellung geben, die den Tarifvertragsparteien einen sicheren Verhandlungsrahmen bietet. Zweitens. Anhebung der Einkommensgrenzen für eine staatliche Zulage bei Beteiligung am Produktivkapital auf 50 000 bzw. 100 000 DM, je nachdem, ob ledig oder verheiratet. Die Zulage sollte außerdem in den neuen Ländern 25 Prozent betragen, weil hier ein besonderer Nachholbedarf besteht. Schließlich wollen wir eine Risikoabsicherung für betriebliche Mitarbeiterbeteiligung, die bei Ihnen völlig fehlt. Diese betriebliche Risikoabsicherung muß obligatorisch sein, damit Arbeitnehmer im Falle einer Insolvenz ihres Unternehmens neben ihrem Arbeitsplatz nicht auch noch ihr dem Arbeitgeber überlassenes Sparkapital verlieren. Das sind die Kernpunkte, über die wir mit Ihnen gerne ins Gespräch kommen. Ein solches Konzept würde den Spielraum für Tarifverhandlungen erheblich erweitern, da Investivlöhne im eigenen Unternehmen oder zumindest im Unternehmenssektor verbleiben, aber den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern trotzdem einen ordentlichen Ertrag bringen. Abschließend: Der Koalitionsentwurf ist dagegen eine Mischung aus unterschiedlichen Konzepten, eine Folge von im Grunde unvereinbaren Positionen innerhalb der Koalition. Trickreich ist auch die Verlagerung der Finanzierung auf die Jahre 2006 folgende, wenn Sie längst in der Opposition sind. Wenn die Prämie aber erst im nachhinein ausgezahlt wird, sinken erstens die Rendite und zweitens die Motivation für in der Breite angelegte Vermögensbeteiligungen. Sie haben es nun in der Hand. Wenn Sie mit uns reden, tragen Sie mit dazu bei, daß es rasch zu einem brauchbaren und vernünftigen Abschluß kommt. Sind Sie dazu nicht bereit, haben Sie auch dieses Manöver endgültig als Wahlkampfmanöver entlarvt. Schönen Dank. ({9})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Herr Abgeordneter Andres, die Art, wie Sie Herrn Abgeordneten Eppelmann tituliert haben, das war kein parlamentarischer Ausdruck. Das Wort erteile ich jetzt der Abgeordneten Margareta Wolf, Bündnis 90/Die Grünen.

Margareta Wolf-Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002831, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Kollege Repnik, mir ging es ähnlich wie dem Kollegen Schreiner. Ich habe gestern abend den letzten Entwurf Ihres Gesetzentwurfes gelesen, und ich muß sagen: Ich war wütend. Herr Kollege Vogt, Herr Kollege Eppelmann, man kennt das ja schon in der Koalition: Wenn die CDA hier explizit gelobt wird, dann ist es immer ein gutes Zeichen, daß Sie sich nicht durchgesetzt haben, weil von Ihren Vorschlägen, die ich mit viel Interesse begleitet habe, relativ wenig übriggeblieben ist. Wir wissen alle: Die Debatte um die Brückenbildung zwischen Arbeit und Kapital, um Beteiligung am Produktivkapital, beschäftigt die Wissenschaft und die Politik seit Jahren. Jetzt hat sich die Bundesregierung auf die Suche nach dem Ei des Kolumbus gemacht und siehe da - ich sage: leider -: Dieses Ei ist verdammt faul. Dieser Gesetzentwurf macht deutlich, daß Sie ein Thema, das in der Tat für das gesamtgesellschaftliche Gleichgewicht ganz wichtig ist, als Wahlkampfthema benutzen und umfunktionieren. Wenn Sie, Herr Repnik, sagen: „Individuelles Eigentum ist eine wesentliche Grundlage persönlicher Freiheit und Vorsorge und somit eine tragende Säule unserer sozialen Marktwirtschaft", dann ist das richtig. Wir müssen uns aber doch anschauen, wie die von Ihnen produzierte Realität nach 15 Jahren aussieht. Da ich mit Oswald von Nell-Breuning aufgewachsen bin, kann ich Ihnen nur sagen: Sie konterkarieren Oswald von Nell-Breuning, den Vater der Vermögensbildung und der katholischen Soziallehre. Die Verteilungssituation in diesem Lande hat sich mitnichten verbessert, sie hat sich verschlechtert. ({0}) Ich sage Ihnen, wie sich die gesamtwirtschaftlichen Daten zwischen 1992 und 1997 entwickelt haben. Während das Bruttoinlandsprodukt um 16,9 Prozent anstieg, erhöhten sich die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen netto um 46,8 Prozent, die Lohn- und Gehaltssumme erhöhte sich hingegen netto um 3,1 Prozent. Die Zahl der Beschäftigten ging um 2,1 Millionen zurück. Trotzdem lag das Aufkommen aus veranlagter Einkommen-, Kapitalertrag- und Körperschaftsteuer bei einem Minus von 6,9 Prozent unter dem Niveau von 1992. Das Lohnsteueraufkommen hingegen wies ein Plus von 20 ProMargareta Wolf ({1}) zent gegenüber 1992 auf. So viel zu der Verteilungsfrage. Wir alle wissen doch, daß sich heute 80 Prozent des Produktivvermögens in der Hand von nur 3 Prozent der Bevölkerung befinden und 32 Prozent der Gewinne aus Kapitalanlagen lediglich 3 Prozent der Bevölkerung zufließen. Da ist es zynisch, heute zu behaupten, in der Verteilungsfrage gebe es eine Änderung hin zu mehr Gerechtigkeit. Das, meine Damen und Herren, stimmt nicht. ({2}) Wann begreifen Sie endlich, daß Placeboeffekte keine strukturellen Probleme in diesem Lande lösen? Es kann doch nicht sein, daß den Menschen seit Jahren erst das Geld aus der Tasche gezogen wird und sie anschließend eine klitzekleine Sparzulage erhalten. ({3}) - Das hat etwas von Gutsherrenart. - Ich finde, das Thema eignet sich überhaupt nicht zu Wahlkampfzwecken. Im Klartext heißt das, um hier noch einmal Ihre geradezu revolutionären Reformen vorzustellen: Wer in Form von Wohneigentum als auch in Form von Beteiligungen spart, kann einen maximalen Subventionsbetrag von 160 DM jährlich für Beteiligungen und für Wohneigentum einen Förderbetrag von 93,60 DM geltend machen. Und selbst wenn Sie für die Menschen in Ostdeutschland eine maximale Förderung pro Person und Jahr von zusätzlich 20 DM vorsehen, meine Damen und Herren, die Sie bis zum Jahr 2004 begrenzen, so kann ich Ihnen nicht abnehmen, daß Sie tatsächlich glauben, damit Fehlentwicklungen entgegenwirken zu können. Ganz im Gegenteil erinnert mich diese Art von Ostförderung nach dem Motto 5 mal 20 gleich 100 an die 100 DM Begrüßungsgeld, die Sie den Ostdeutschen 1989 gezahlt haben, und an sonst überhaupt gar nichts. ({4}) Die Menschen in diesem Land haben Angst - das wissen Sie auch - und leiden unter realen Einkommensverlusten. Da kommen Sie mit Zuckerstücken, das reicht nicht aus. Mit Freiheit und Vorsorge hat das schon gar nichts zu tun. Es ist endlich an der Zeit, eine überfällige soziale, gerechte und transparente Einkommensteuerreform in diesem Land durchzusetzen. Dann steigen die Nettolöhne in Deutschland, und die Gerechtigkeitslücke wird geschlossen. Dann können die Menschen auch tatsächlich eine Vorsorge betreiben, die diesen Namen verdient. Es besteht kein Zweifel und ist Konsens, daß wir eine Reform der Vermögensbildung und eine Brücke zwischen Arbeit und Kapital brauchen. Meine Fraktion hat in ihrem Einkommensteuerkonzept die Grundlagen für eine wirkliche Reform der Vermögensbildung gelegt. Wir rücken bei der Reform der Vermögensbildung die Funktion in den Mittelpunkt, die das Vermögen für Menschen tatsächlich hat: Sie dient dem Aufbau eines sicheren Polsters für die Zukunft. Wir brauchen neue und attraktive Formen der Vermögensbildung, die auch den zu erwartenden Strukturveränderungen in der Bevölkerung und den entsprechenden Auswirkungen auf die Alterssicherung gerecht werden. In diesem Punkt, in dem Sie, Herr Schreiner, Herrn Blüm aus der Zeitung „Die Woche" zitiert haben, hat er tatsächlich recht. Es müssen neue Formen der Beteiligung vieler am gesellschaftlichen Wohlstand entwickelt werden; die Eigentumsfrage muß neu gestellt werden. Vor allem die jüngere Generation kann und will sich doch nicht mehr ausschließlich auf die gesetzliche Rentenversicherung verlassen. Wir legen einen Vorschlag mit dem klaren Ziel der Verbesserung der Altersvorsorge vor. Beiträge - so haben wir es uns in unserem Einkommensteuerkonzept schon vorgesehen -, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für ihre Vorsorge tätigen, werden bis zur Beitragsbemessungsgrenze in der Sozialversicherung von der Besteuerung freigestellt. Hierzu zählen die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung wie auch private Aufwendungen für Vorsorge. Insgesamt sind das zirka 2500 DM im Monat. Viele Verbände und die Rentenversicherungsträger - wir reden mit vielen Leuten darüber - finden diesen Vorschlag wirklich weitsichtig und der gesellschaftlichen Entwicklung angemessen. Der Arbeitgeber kann die Arbeitnehmer dabei unterstützen. Selbständige werden abhängig Beschäftigten bei der Besteuerung gleichgestellt. Dieser Gedanke fehlt bei Ihnen völlig. Sie wissen, welche Belastungen gerade auf kleine und mittlere Unternehmen zukommen. Die Vermögensbildung wird in unserem Konzept zu einem Baustein weiterentwickelt, der die bisherigen Systeme der Alterssicherung sinnvoll und zukunftsweisend ergänzt. Wenn Sie Investitionen in Produktivkapital tatsächlich anregen wollen, dann frage ich Sie: Wo bleibt denn im Dritten Finanzmarktförderungsgesetz die Gleichstellung der Anlageformen? Dort sind Sie doch wieder vor den Lebensversicherungen eingeknickt! Abermals werden die Investitionen in Immobilien und in Lebensversicherungen solchen in Produktivkapital bevorzugt. Sie haben hier ein Placebo vorgeführt. Sie sind gar nicht mehr in der Lage und haben gar nicht mehr die Kraft, eine Umverteilung mit Verteilungsgerechtigtkeit in dieser Gesellschaft tatsächlich zu evozieren. Ich bedanke mich. ({5})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Ich erteile jetzt das Wort dem Abgeordneten Dr. Günter Rexrodt.

Dr. Günter Rexrodt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002759, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei der vermögenspolitischen Initiative, wie wir sie hier heute diskutieren wollen, handelt es sich um einen der letzten offenen Punkte aus dem sogenannten 50-Punkte-Programm. Wir haben vor zwei Jahren gesagt, daß wir in dieser Legislaturperiode auf diesem Gebiet etwas machen wollen. Das hat überhaupt nichts mit Wahlkampf zu tun. Das wird jetzt von Ihnen abgewischt und niedergemacht. Vielmehr ist es eine Aktivität, die wir ergreifen, weil wir meinen, daß dieses Thema in den letzten Jahren sträflicherweise vernachlässigt worden ist: von den Tarifparteien, den Arbeitgebern, den Arbeitnehmern, auch von der Politik. Wenn Sie auf Ihre Initiative von 1996 verweisen, dann können Sie uns nicht weismachen, daß Ihnen das nun ein besonderes Herzensanliegen, ein besonders wichtiger Punkt sei. Ich sage das auch gar nicht für unsere Seite. ({0}) Das ist leider ein Punkt, der 25 oder 30 Jahre lang vernachlässigt worden ist. Das ist bitter. Wir müssen da etwas tun; denn Teilhabe am Produktivvermögen schafft Verantwortung und im übrigen mehr Sicherheit bei der Altersvorsorge. Das brauchen wir, und das fordert und fördert Leistungsbereitschaft und Selbständigkeit. ({1}) Darauf setzen wir in unserer Politik. Deshalb haben der Bundesarbeitsminister Blüm, der Bundeswirtschaftsminister und die Koalitionsfraktionen auf diesem Gebiet aktiv etwas erarbeitet. An Eigentum generell und an Eigentum am Produktivkapital im besonderen fehlt es in den unteren Einkommensgruppen. Hier müssen wir denn auch mit der staatlichen Förderpolitik ansetzen. Man kann natürlich immer sagen: Wir würden uns bei der Einkommensgrenze, beim förderbaren Betrag oder beim Fördersatz mehr wünschen. Man kann immer mehr wünschen. Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein Einstieg, nicht mehr und nicht weniger. Kein Mensch stellt sich hierhin und sagt: Das war's denn, und das soll's denn auch für die Zukunft gewesen sein. Nein, das ist ein Einstieg. Dieser Einstieg muß in der nächsten Legislaturperiode ausgebaut und ergänzt werden, insbesondere, wenn es darum geht, zusätzliche Maßnahmen, auch Fördermaßnahmen, im Zusammenhang mit der Altersvorsorge ins Auge zu fassen. ({2}) Der Weg zu einer breiteren Vermögensbildung darf nicht zu einem Zwangssystem führen. Vermögensbildung braucht Freiheit und Freiwilligkeit: Wahlfreiheit für den Arbeitnehmer bei der Art der Anlagen und Freiwilligkeit bei Vereinbarungen in den Betrieben. Das ist auch im vorliegenden Gesetzentwurf der zentrale Punkt. Wenn diese Wahlmöglichkeit innerhalb des Produktivkapitals durch die Tarifparteien eingeschränkt wird, dann entfällt die Förderung für den Arbeitnehmer. Wir wollen diese Wahlfreiheit; darauf werden wir bestehen. ({3}) Der Arbeitnehmer muß im übrigen, was die Institute angeht, die Freiheit behalten, dort anzulegen, wo er will. Beides ist für eine liberale Eigentumsordnung unverzichtbar. Eine besondere Förderung der Tariffonds lehnen wir ab. Ich weiß sehr wohl - das klang beim Kollegen Schreiner an -, daß einige von Ihnen mit diesen Fonds die Hoffnung auf eine ganz andere Wirtschaftsstruktur verbunden hatten. Das ist, Herr Kollege Schreiner, die Diskussion von vorgestern. Eine dritte Ebene der Mitbestimmung braucht die deutsche Wirtschaft bestimmt nicht. ({4}) Was nötig ist, ist ein funktionierender Wettbewerb, nicht ein Kartell der Tarifparteien. Es ist im übrigen verwegen, zu glauben, daß Verbands- und Gewerkschaftsamateure für die einzelnen Arbeitnehmer bessere Erträge erwirtschaften als Profis, die ausschließlich auf die Anlage spezialisiert sind. Mit diesem Gesetzentwurf, den wir, wie vor zwei Jahren angekündigt, noch in dieser Legislaturperiode verabschieden - nichts da mit Wahlkampf -, setzen wir ein wichtiges Signal, nicht mehr und nicht weniger. Trotz der schwierigen Haushaltslage bleiben wir in der Vermögenspolitik handlungsfähig. Neben der Wohneigentumsförderung, die weiter bestehenbleibt und ausgebaut wird, machen wir einen zweiten, also einen zusätzlichen Korb auf. Für die Anlage in Produktivkapital wird ein Betrag von 800 DM zulagebegünstigt sein. Der Fördersatz wird auf 20 Prozent verdoppelt. Das ist schon gesagt worden. Das ist für mich ein ganz besonders wichtiger Punkt, damit Produktivkapital neben dem klassischen Wohneigentum in Deutschland an Attraktivität gewinnt. Produktivkapital verdient eine besondere Förderung. Deshalb wollen wir einen Fördersatz von 20 Prozent und nicht nur von 10 Prozent. Ich meine, daß wir mit dieser Regelung vielen Arbeitnehmern die bisher nicht in Produktivkapital investiert haben wichtige Impulse geben. Das ist ein Beitrag, den Markt für Beteiligungen in Deutschland attraktiver zu machen. Was die Fördervarianten angeht - ich will sie nicht abtun nach dem Motto: das ist nichts; der Berg kreißte und gebar ein Mäuslein -, möchte ich sagen: Durch die Verschiebung der Einkommensgrenzen von 27 000 bzw. 54 000 DM auf 35 000 DM bzw. 70 000 DM können 3 Millionen Arbeitnehmer in Deutschland mehr gefördert werden, Herr Kollege Schreiner. Ich glaube, diese Tatsache kann sich sehen lassen. Man kann sie nicht einfach vom Tisch wischen. ({5}) Bei der Aufzählung dessen, was sich geändert hat, haben Sie einen wichtigen Punkt vergessen. Es handelt sich um die besondere Regelung, daß wir für die Beschäftigten in den neuen Ländern eine zusätzliche Präferenz bereitstellen wollen. Der Förderbetrag soll hier bei 1000 DM und nicht bei 800 DM liegen. Ich habe mich persönlich für diese Präferenz sehr eingesetzt. Es ist angesichts der unterschiedlichen historischen Entwicklung in Ost und West meines Erachtens dringend notwendig, daß wir hier etwas tun. Ich freue mich, daß der Koalitionspartner dieser Regelung zugestimmt hat. In den neuen Bundesländern hatten die Menschen 40 Jahre lang keine Chance, Beteiligungskapital zu bilden. Sie haben auch heute noch nicht das Gefühl, Eigentümer an den Produktivmitteln in den neuen Ländern zu sein. Der höhere Förderbetrag leistet einen Beitrag - nicht mehr und nicht weniger -, um dieses Ungleichgewicht zwischen Ost und West abzubauen. ({6}) Ich will noch eine weitere erfreuliche Regelung erwähnen, die auch einfach unter den Tisch gekehrt wird. Wir wollen den § 19a Einkommensteuergesetz, also den steuer- und sozialabgabenfreien Betrag von 300 DM, erhalten. Wenn eine Abschaffung des § 19 a Einkommensteuergesetz im Zuge der Steuerreform erfolgen sollte, dann müssen wir uns für die Kompensation etwas anderes einfallen lassen. Man könnte beispielsweise den förderbaren Betrag von 800 DM auf 1100 DM erhöhen. Die gegenwärtigen vermögenspolitischen Aktivitäten werden im übrigen durch das Dritte Finanzmarktförderungsgesetz, das Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz und das Gesetz über Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich ergänzt. Alles zielt in die gleiche Richtung: mehr Beteiligung am Produktivkapital. Das Wichtigste in diesem Zusammenhang ist aber - spätestens in der nächsten Legislaturperiode -: Wir brauchen auch eine große Steuerreform. Die Bürger müssen stärker von Steuern und Abgaben entlastet werden. Dann haben sie größere Spielräume bei der Vermögensbildung. Ich halte das neben all dem, was wir hier machen, für das Wichtigste, das gemacht werden muß. Danach können wir neue Formen der Altersvorsorge einführen. ({7}) Wir haben bei dem, was wir im 50-Punkte-Programm angekündigt haben, Wort gehalten. Wir nehmen immerhin 1,1 Milliarden DM in die Hand. Der Zug ist wieder in Fahrt gekommen. Er hat viel zu lange auf dem Abstellgleis gestanden. Ich sage das in alle Richtungen des Hauses. Die Weichen sind richtig gestellt. Vermögenspolitik wird ein wichtiger Bestandteil der Reformpolitik der Bundesregierung bleiben. ({8}) Herzlichen Dank. ({9})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Manfred Müller, PDS.

Manfred Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002740, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Verehrte Frau Präsidentin! Es ist wahr: Die Vermögensverteilung in der Bundesrepublik ist unbefriedigend. Das ist hier von allen, auch von den Vertretern der Koalition, wieder bestätigt worden. Nun ist das keineswegs neu und wird mit großer Regelmäßigkeit seit mehr als 30 Jahren beklagt. Neu ist lediglich, daß es unter dieser Bundesregierung eine so gewaltige Umverteilung von unten nach oben gegeben hat, daß die Vermögensverhältnisse nicht mehr als unbefriedigend, sondern als skandalös bezeichnet werden müssen. ({0}) Die Einkommensverluste der abhängig Beschäftigten und die Gewinnexplosionen der vergangenen eineinhalb Jahrzehnte haben zu einer sozialen Spaltung geführt, die auch durch die großzügigsten vermögensbildenden Maßnahmen nicht rückgängig gemacht werden kann. Nehmen wir nur das vergangene Jahr: 1997 stiegen die Einkünfte aus unselbständiger Arbeit nominal um lediglich 0,2 Prozent. Das heißt, daß sie real niedriger als im Vorjahr waren. Aber die Einkommen aus Unternehmen und Vermögen stiegen um satte 8,9 Prozent. Das heißt, sie kletterten 44mal so schnell wie die Arbeitseinkommen. Wenn die Arbeitseinkommen 1997 im gleichen Maße gestiegen wären wie das Volkseinkommen, nämlich um 2,7 Prozent, dann hätten die abhängig Beschäftigten rund 66 Milliarden DM mehr erhalten müssen. Das heißt, daß sich die Schere zwischen Gewinnen und Arbeitseinkommen in nur einem Jahr um weitere 66 Milliarden DM geöffnet hat. In dieser Situation bringen Sie einen Antrag ein, der angeblich eine gerechtere Vermögensverteilung bewirken soll und dabei nicht einmal in der Lage ist, einen minimalen Bruchteil der Einkommensverluste eines einzigen Jahres auszugleichen. Im August des vergangenen Jahres teilte die Bundesregierung auf Grund einer Kleinen Anfrage der PDS mit, daß die Zahl der an Unternehmen beteiligten Beschäftigten, die Zahl der Unternehmen, an denen eine Beteiligung besteht, und auch das Beteiligungsvermögen in den vergangenen beiden Jahrzehnten kräftig gestiegen seien. Derzeit - so wird da stolz aufgeführt - besitzen 2 Millionen Beschäftigte in 2000 Unternehmen ein Produktivvermögen von 20 Milliarden DM. Was aber verschweigen Sie damit? Sie verschweigen, daß die abhängig Beschäftigten, die rund 70 Prozent der Erwerbstätigen ausmachen, in ihren Unternehmen gerade einmal 0,35 Prozent des reproduzierbaren Sachvermögens besitzen. Manfred Müller ({1}) Damit aber nicht genug: Sie verschweigen nicht nur, wie lächerlich dieser Anteil ist, sondern Sie lügen sich auch noch darüber hinweg, daß die Vermögensverteilung während Ihrer Regierungszeit nicht gerechter, sondern ungerechter geworden ist. ({2}) Seit 1986- so heißt es in der Antwort der Bundesregierung - hat sich das Produktivvermögen in Arbeitnehmerhand um 5,8 Milliarden DM erhöht. Das sind in 12 Jahren rund 40 Prozent. Aber im gleichen Zeitraum sind allein die flüssigen Mittel der Produktionsunternehmen um mehr als das Dreifache, nämlich um 138 Prozent, gestiegen. Was von der Bundesregierung als wachsende Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen verkauft wird, ist also das genaue Gegenteil, nämlich ein Rückgang der Beteiligung am Produktivvermögen. Sie haben in Ihrer Regierungszeit die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen nicht verbessern können, sondern Sie haben sie verschlechtert. Wenn Sie nun einen ganz einfachen Taschenrechner zur Hand nehmen und einen Blick in Ihre eigenen Statistiken werfen, dann müßte Ihnen eigentlich klarwerden, daß Ihre angebliche Initiative zur Förderung der Vermögensbildung nicht einmal weiße Salbe ist. Die von Ihnen verabreichte Salbe ist nicht nur unwirksam, sondern sie ist auch schädlich: erstens, weil sie von einer wirklich gerechten Verteilung des Volksvermögens abhält, ({3}) und zweitens, weil es Ihnen gar nicht um Vermögensbildung, sondern um Lohnsenkung geht. ({4}) Denn wie man aus der „FAZ" vom 13. Februar erfahren konnte, wollen die Kollegen Schäuble, Solms und Glos mit dem vorliegenden Antrag hauptsächlich eines schaffen: einen Anreiz zur Zurückhaltung bei den Tariflöhnen. ({5}) Das ist offen und ehrlich, und das sollten Sie dann auch sagen: Sie wollen, daß die Lohnentwicklung auch in Zukunft jämmerlich hinter den Entwicklungen der Gewinne und Vermögenseinkommen hinterherhinkt. ({6}) Aber nennen Sie diese Strategie zur Lohnsenkung bitte schön nicht Bildung von Vermögen in Arbeitnehmerhand, wenn Sie dem Vorwurf der Heuchelei entgehen wollen. Danke schön. ({7})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Ich erteile das Wort jetzt dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Dr. Norbert Blüm.

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zuerst alle Schlagworte wie „Mäuslein", „Zuckerstücke", „Placebo", „Begrüßungsgeld" beiseite und die Tatsachen genannt: Wir erhöhen die Sparzulage für Beteiligungen von 10 auf 20 Prozent. Wir erweitern zweitens den Begünstigungsrahmen von 936 DM auf 1 736 DM bzw. für die neuen Länder auf 1936 DM. Damit wächst die Sparzulage von heute 94 DM auf 254 DM - das sind 160 DM mehr als bisher -, für die Arbeitnehmer in den neuen Ländern auf 294 DM. Der Kreis der zu begünstigenden Arbeitnehmer wird größer: zwei Drittel. Das Ganze kostet 1,1 Milliarden DM mehr. Jetzt mögen die Arbeitnehmer entscheiden, ob die erwähnten Schlagworte stimmen oder nicht. Ich sage: Wir haben etwas angekündigt, und wir haben unser Versprechen eingelöst. ({0}) Ganz schlimm wird es, Herr Müller, wenn sich die PDS zum Fürsprecher der Beteiligung am Kapital, am Produktivvermögen macht. In der DDR waren die Arbeitnehmer am Produktivvermögen so beteiligt, wie ich am Finanzamt beteiligt bin. Privatvermögen war das nicht. Sie waren nicht als Arbeitnehmer Träger des Unternehmens; das ist unser Ziel. ({1}) Meine Damen und Herren, ich will auf den Unterschied aufmerksam machen. In der klassenlosen Gesellschaft des Sozialismus hat niemand Produktivkapital, ({2}) in der sozialen Marktwirtschaft sollen es alle haben. Das ist der elementare Unterschied zwischen sozialer Marktwirtschaft und Sozialismus. ({3}) Sie können ihn am Eigentum erkennen. ({4}) - Ich habe den Marx sehr gut gelesen. Ich möchte vier Gründe für eine stärkere Beteiligung am Produktivvermögen nennen. Erster Punkt, gesellschaftspolitisch: Wohlstand für alle und Eigentum für alle - das waren die zwei großen Ziele von Ludwig Erhard. Dem ersten Ziel sind wir näher gekommen, als viele bei der Einführung der sozialen Marktwirtschaft geträumt haben, jedenfalls näher als in der Planwirtschaft. Denn die Leute waren in Leipzig nicht fauler als in Frankfurt; trotzdem haben wir das Wohlstandsgefälle. Das basiert darauf, daß wir dort Staatswirtschaft und hier soziale Marktwirtschaft hatten. ({5}) Dem zweiten Ziel, Eigentum für alle, sind wir nicht so nahe gekommen wie dem ersten Ziel. Das gehört zur Wahrheit. Nur 11 Prozent der Arbeiterhaushalte in Westdeutschland besitzen Aktien, nur 18 Prozent der Angestelltenhaushalte. In Ostdeutschland sind es jetzt 3 Prozent bei den Arbeitern - die haben aufzuholen - und 6 Prozent bei den Angestellten. Nur 6 Prozent aller Arbeitnehmer in Deutschland sind an ihrem arbeitgebenden Unternehmen beteiligt. Das ist ein Zustand, den wir überwinden wollen. ({6}) Nach Regierungsantritt hat die Bundesregierung schon 1983 die Vermögenspolitik stärker auf die Beteiligung der Arbeitnehmer am Kapital der Unternehmen ausgerichtet. Die Konzeption war nicht wirkungslos. Die Beteiligungen im Rahmen des Vermögensbildungsgesetzes sind von 2 Prozent 1983 auf 10 Prozent 1993 gewachsen. Ich bekenne ausdrücklich: Eigentum in Arbeitnehmerhand, Mitträgerschaft der Wirtschaft ist eine uralte Idee der christlichen Soziallehre - aus Mitarbeitern Miteigentümer zu machen. ({7}) Ein weiterer Punkt bezieht sich auf den wirtschaftspolitischen Aspekt. Die Beteiligung der Arbeitnehmer stärkt die Investitionskraft der Unternehmen. Investitionen führen zu mehr Arbeitsplätzen; mehr Arbeitsplätze verringern die Arbeitslosigkeit. Die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen wird auch deren Motivation stärken. Sie sind dann ja am Betrieb beteiligt und sind nicht nur Arbeitnehmer. Aus Mitarbeitern sind Miteigentümer geworden. Ich komme zu dem tarifpolitischen Aspekt. Dazu bekenne ich mich ausdrücklich. ({8}) Die Tarifpolitik erhält durch den Investivlohn und die investive Ertragsbeteiligung neue Spielräume. Was haben Arbeitnehmer denn von einer Lohnpolitik, die nur auf den Konsumlohn orientiert ist? Wenn bei den Tarifverhandlungen mehr herausgeholt wird, als gut ist, gibt es entweder Inflation oder Arbeitslosigkeit. Die Idee eines gerechten Lohnes kann auf dieser Schiene allein nicht umgesetzt werden. Das sind die alten Bretter des Marxismus. Demgegenüber sage ich: Wenn man Verteilungsgerechtigkeit anstreben will, muß man sich auf zwei Schienen bewegen - es sei denn, man würde die Investitionen negieren. Wenn man das täte, würde man allerdings das Saatgut vernichten, das man braucht, wenn man Arbeitsplätze schaffen will. Im übrigen, Herr Kollege Schreiner, ist Ihnen eine kleine Verwechslung unterlaufen. Die expansive Lohnpolitik war die Idee von Viktor Agartz. Verwechseln Sie ihn nicht mit von Nell-Breuning. Wegen dieser Idee von der expansiven Lohnpolitik ist Viktor Agartz aus seiner Position im DGB gedrängt worden. Dabei mitgeholfen, daß Agartz gekippt wurde, hat Oswald von Nell-Breuning. So ist das. ({9})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schreiner?

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Bitte.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Bitte schön.

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich meinerseits bereit bin, Ihnen einschlägige Zitate des sehr verehrten Oswald von Nell-Breuning zur Verfügung zu stellen? Dort sagt er nämlich, daß die Generallinie der produktivitätsorientierten Lohnpolitik darin besteht, daß die Reallöhne der Arbeitsproduktivität folgen sollten. Es seien aber Zeiten denkbar, in denen eine expansive Lohnpolitik angesagt sei, die über den Produktivitätsfortschritt hinausgehe, weil die rein produktivitätsorientierte Lohnpolitik die bestehenden ungerechten Vermögensverhältnisse auf Dauer zementiere. Dies sei unerträglich. Dies ist der Kerngedanke von Oswald von NellBreuning und nicht der von Viktor Agartz. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich meinerseits bereit bin, Ihnen das schriftlich zur Verfügung zu stellen?

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Frau Präsidentin, wenn Sie mir die Zeit geben, machen wir jetzt ein Seminar über die Lohnpolitik des DGB. ({0}) - Ja, ja. Seien Sie doch nicht so aufgeregt. Ich erkläre es Ihnen ganz langsam, zum Mitschreiben. ({1}) - Herr Schreiner, Sie dürfen sich schon setzen; darin bin ich großzügig. Also: Die Idee der expansiven Lohnpolitik stammt von Viktor Agartz. Sie besagte, daß man auf den investiven Teil keine Rücksicht nehmen sollte. Dagegen hat Oswald von Nell-Breuning von Anfang an gesagt, daß eine Einkommenspolitik auf zwei Beinen stehen müsse, auf dem Konsumlohn und dem Investivlohn. Das ist der qualitative Unterschied zwischen Viktor Agartz und seinen sozialistischen Vorstellungen auf der einen Seite und den Ideen der Einheitsgewerkschaft, die nicht zuletzt von Oswald von Nell-Breuning beeinflußt wurden, auf der anderen Seite. ({2}) Ich bekenne mich dazu, der Tarifpolitik neue Spielräume zu geben. Dazu gehören allerdings auch Tarifpartner, die das wollen. Deshalb ist dieses Gesetz auch ein Aufruf an die Sozialpartner - nicht nur an die Gewerkschaften, sondern auch an die Arbeitgeber -, in den Tarifverhandlungen die neuen Chancen zu nutzen. Beide Seiten waren schon einmal weiter, als sie es heute sind. Auch auf seiten der Arbeitgeber gab es unter dem Präsidenten Schleyer eine größere Bereitschaft zu einer Tarifpolitik, die auch die Investitionen mehr unterstützte als heute. Deshalb mein Aufruf: Gesetze sind nur ein Stück Papier. Entweder nutzen die Sozialpartner die neuen Möglichkeiten, oder sie verschanzen sich in den Gräben der alten Verteilungskämpfe. Ich beziehe mich jetzt auf einen sozialpolitischen Punkt: Eigentum schafft Sicherheit. Die gesetzliche Alterssicherung wird durch die Eigentumsbildung in Arbeitnehmerhand ergänzt. Die kollektiven Alterssicherungssysteme wachsen nicht mehr wie in der Vergangenheit. Das versucht die SPD als Rentenkürzung darzustellen. Dabei handelt es sich aber um keine Rentenkürzung. Ich wiederhole ständig: Wer von Rentenkürzungen spricht, der sagt Unwahrheiten. Die Renten steigen nämlich. Sie steigen nur nicht mehr so sehr wie in der Vergangenheit. ({3}) - Was sind Sie denn so aufgeregt, wenn ich Sie bei Unwahrheiten erwische? Das muß man doch ansprechen. Die Renten steigen: Aus einer Rente in Höhe von 2 000 DM wird im Jahre 2030 eine Rente in Höhe von 4 300 DM - nach meinen Berechnungen. Ohne Reform wären es 4 500 DM. Aber auch 4 300 DM bedeuten meines Erachtens eine Steigerung. Natürlich ist sie allerdings nicht so hoch wie ohne Reform. Ich bin es leid, daß man bei jeder Reform diese Penetranz der Unwahrheiten attackieren muß. Machen Sie die Leute nicht verrückt! ({4}) - Warum sind Sie denn so aufgeregt, meine Damen und Herren? Ich trage nur den Inhalt des Gesetzentwurfes vor. Solidarität, Selbstverantwortung und Selbstvorsorge müssen sich ergänzen. Ich bin nicht dafür, alles auf die Selbstvorsorge abzustellen, aber auch nicht dafür, alles auf der gesetzlichen Solidarität abzuladen. Es muß eine neue Balance werden. Wenn man das will, muß man der Selbstverantwortung und der Selbstvorsorge auch neue Chancen schaffen. Das ist kein akademisches Argument. Deshalb: Eigentumsbildung in Arbeitnehmerhand. Im Zusammenhang mit der Steuerreform, die diesmal nicht zustande gekommen ist, wollen wir die private Altersvorsorge stärker stützen, und zwar gerade in den Einkommensgruppen, die es aus eigener Kraft nicht schaffen. Eine Verkäuferin mit einem Monatslohn von 1 800 DM hat wenig Reserve für private Vorsorge. Wer es mit der privaten Vorsorge und der Selbstverantwortung ernst nimmt, der darf es nicht dabei belassen, daß sie auf dem Papier stehen, der muß sie in der Realität verankern. Deshalb: Eigentumsbildung in Arbeitnehmerhand und Stützung der privaten Vorsorge in jenen Einkommensgruppen, die es besonders schwer haben. ({5}) Das ist unser Zukunftsentwurf. Es wird immer nach den Visionen gefragt. Sozialpolitiker waren immer konkret. Eine Gesellschaft der Teilhabe, eine Gesellschaft der Eigentümer ist eine Vision, ist aber auch eine konkrete Aufgabe. Deshalb ist der Gesetzentwurf ein Fortschritt hin zu diesem Ziel, aus Arbeitnehmern Mitarbeiter, aus Mitarbeitern Miteigentümer der Wirtschaft zu machen. Das gehört zu einer Vision, die nicht utopisch, sondern ganz konkret ist. Ihr nähern wir uns heute mit einem konkreten Gesetzentwurf, der - um es noch einmal zu sagen - uns den Fortschritt einer Konzentration auf Beteiligung bringt: Die Arbeitnehmersparzulage für Beteiligungen wird auf 20 Prozent angehoben, während die Bausparförderung nur 10 Prozent beträgt. Somit liegt der Schwerpunkt auf Beteiligung. Denn man muß auch berücksichtigen, daß bei dieser Eigentumsform Kursrisiken vorhanden sind. Der Schwerpunkt dieses Gesetzentwurfes liegt in der Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen und dient dem Ziel, das in der sozialen Marktwirtschaft ebenso wichtig ist wie „Wohlstand für alle": „Eigentum für alle" ist ein konstitutives Merkmal unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Daran arbeiten wir, nicht mit Schlagworten, sondern mit einem konkreten Gesetzentwurf. Deshalb bin ich froh, daß er zustande gekommen ist. Wir machen unsere Hausaufgaben. Es bewegt sich in Deutschland mehr, als viele zur Kenntnis nehmen. Es müssen aber auch alle mitmachen. Deshalb mein Appell an die Sozialpartner, dieses Gesetz zu nutzen! Frau Wolf, Sie haben vom „Begrüßungsgeld" gesprochen. Es kostet aber 1,1 Milliarden DM mehr. Unser Vorschlag ist ein wichtiger Beitrag, um Bewegung in die alte Einkommenspolitik zu bringen. Wir brauchen sie, auch wegen der Arbeitsplätze. Der Gesetzentwurf schafft die Voraussetzung dafür, daß Arbeitsplätze durch Investitionen geschaffen werden. Kein Arbeitnehmer kann gegen Investitionen sein. Aber wenn er durch seine Lohnzurückhaltung Investitionen ermöglicht, dann ist es ein Gebot der Gerechtigkeit, daß er an den Investitionen beteiligt wird. Das schafft Akzeptanz für eine vernünftige Lohnpolitik. ({6})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hans-Eberhard Urbaniak, SPD-Fraktion.

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat zu dem Entwurf der Koalitionsfraktionen Stellung genommen und kommt zu der Erkenntnis: Dies wird kein großer Wurf werden. - Herr Hirche, Sie brauchen nicht zu lachen; erinnern Sie sich an Hannover, dann müssen Sie weinen. - Ich will nur sagen, daß der DGB die Parteien auffordert, zusammen eine vernünftige Lösung herbeizuführen. Es ist bereits gesagt worden, daß wir uns gern daran beteiligen wollen. Hier haben zwei Minister gesprochen: Herr Rexrodt, der keinen Schwung in die Wirtschaft bringt, weshalb wir nicht von der hohen Zahl von Arbeitslosen herunterkommen, und der Kollege Blüm, der für die sozialen Rückschritte und Einschränkungen verantwortlich ist. Das war schon sehr interessant. Jetzt haben sich beide auf diesen Koalitionsentwurf geeinigt, dessen Grundlage, nämlich die Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand voranzutreiben, wir als Sozialdemokraten bereits 1952 gefordert haben. Unser Entwurf aus dem Jahre 1996 hatte das besondere Spezifikum, daß in Ostdeutschland etwas geschehen müsse. Es ist nichts getan worden, und unser Entwurf ist nicht aufgegriffen worden; denn er findet im Entwurf der Koalition keinen Widerhall. Ich wende mich nun Minister Rexrodt zu, weil er sich zu einigen Fragen geäußert hat, die in der Politik anstehen. Er hat die Mitbestimmung ziemlich mies dargestellt. Ich nenne hier nur unseren Standpunkt: Wir treten weiterhin für die paritätische Mitbestimmung ein, werden sie verfolgen und, wenn es politisch gegeben ist, auch durchsetzen. Da gibt es überhaupt kein Vertun. ({0}) Der zweite Punkt: Wir können uns doch mit unseren Aufsichtsräten, in denen Gewerkschaften und Arbeitnehmer mitwirken, in der miesen Situation, in der sich die Wirtschaft befindet, sehen lassen. Denken wir daran, was alles an Arbeitsplätzen bei VW gesichert worden ist! Sie sagen: Wenn Tariffonds geschaffen werden, dann kommen unfähige Gewerkschaftsvertreter. So habe ich das verstanden. Iwan Herstatt mit seiner Bank in Köln war ein Fachmann. Er ist ganz schnell in die Pleite geraten. Wenn Sie das also so abwegig diskutieren, ist das nicht in Ordnung. Fachleute haben wir in allen Bereichen. Sie wollen es nur nicht aus ideologischen Gründen. Damit liegen Sie im Gegensatz zu unserer Meinung völlig verkehrt. ({1}) Nun zum Produktivvermögen: Wir sagen hier klipp und klar: Macht das mit uns zusammen! Wir haben in unserem Entwurf deutlich herausgestellt: Handlungsmöglichkeiten der Tarifvertragsparteien für vermögenspolitische Vereinbarungen müssen klargestellt und abgesichert werden. Wir müssen klarstellen, daß Tarifverträge zur Begründung überbetrieblicher Vermögensbeteiligungen rechtlich zulässig sind. Wir brauchen Regelungsbefugnisse der Tarifvertragsparteien, um gemeinsame Einrichtungen und Vermögensfonds zu schaffen, darüber hinaus solche Fonds, die auch uneingeschränkt gefördert werden müssen, wenn die Tarifvertragsparteien die obligatorische Anlage der vermögenspolitischen Leistungen in solchen Fonds verbindlich festlegen. Wir müssen das Mitarbeiterkapital bei Insolvenzen sichern und die Mitarbeiter vor Verlusten schützen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Was die Frage der Sparmöglichkeiten und der Vermögensbildung angeht, zitiere ich, Herr Rexrodt, einen auserwählten Fachmann, nämlich Horst Köhler, den DSGV-Präsidenten, der sagt: Wir erwarten keine Wende zum Besseren, was die Sparmöglichkeiten angeht; denn die Leute haben Nettolohnverluste hinnehmen müssen, und sie können einer Sparbildung, wie sie gewünscht ist, überhaupt nicht folgen. - Soweit ein Fachmann. Ein Zitat eines Amateurs habe ich hier im Moment nicht, Herr Rexrodt, kann ich aber demnächst nachliefern. Ich fordere die Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung auf, sich auch daran zu erinnern, was die Ministerpräsidenten in Auftrag gegeben haben und was der Ministerpräsident von Hessen, Herr Eichel, dazu erarbeitet und veröffentlicht hat. Die Vermögensbildung aus der Sicht des Investivlohnes wird also ebenfalls zur Debatte stehen. Es kann nur ein guter Wurf werden, wenn wir diese Dinge zusammen machen. Meine Damen und Herren, in welcher Situation beraten wir diesen Antrag eigentlich? 1980 haben wir in Westdeutschland 67 000 Vermögensmillionäre gehabt. 1993 - das ist die letzte Zahl - waren es 131000. In diesem Zeitraum, also von 1980 bis 1993, hatte überwiegend diese Bundesregierung die Verantwortung. 1980 haben wir 922 000 Sozialhilfeempfänger gehabt. 1996 waren es 2,8 Millionen. Mit denen müssen Sie einmal über Vermögensbildung sprechen. Der Hintergrund für eine breite Entwicklung ist durch Ihre Politik zerstört worden; ich denke dabei an die Konkurse, die Insolvenzen, die negativen Zuwächse bei Lohn und Gehalt und die Arbeitslosenzahl. Aus dem Grunde sage ich hier ganz deutlich: Wenn Sie etwas erreichen wollen, dann geht das nur zusammen mit den Sozialdemokraten. In der „Frankfurter Rundschau" lese ich: „CDA droht mit SPD-Unterstützung". Da steht weiter: „Notfalls mit einer Gruppeninitiative aus CDA, SPD und Grünen" , pflegt Eppelmann seit neuestem zu drohen. Für den kleineren Bonner Koalitionspartner wäre dies allerdings eine Kampfansage. Aber das ist Ihre Sache, Kollege Eppelmann. Sie haben dies gesagt. Auch Ihnen geht der Entwurf ja nicht weit genug. Wir sind bereit, nach unseren Grundsätzen und mit den positiven Elementen, die im Entwurf enthalten sind, eine vernünftige Kombination zu erarbeiten, damit wir endlich von dieser schlimmen Belastung wegkommen. 3 Prozent der Bevölkerung verfügen über 80 Prozent des Produktivvermögens. Ein Skandal! Dies hat sich zwischen 1982 und 1998 entwickelt. Wer ist dafür verantwortlich? Selbstverständlich diese Koalition und die Bundesregierung. Daran, Herr Rexrodt und Kollege Blüm, geht kein Weg vorbei. ({2})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rainer Eppelmann, CDU/ CSU-Fraktion.

Rainer Eppelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000483, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich versuche es einmal ein bißchen nachdenklicher, als es der geschätzte Vorredner Schreiner getan hat. Zum Glück bin ich seit neun Jahren Bürger der Bundesrepublik Deutschland und seit ein paar Jahren nicht ganz unwesentlich in der CDA beschäftigt. Von daher weiß ich, seit wann sich die CDA mit dem Gedanken verbesserter Vermögensbildung und dem Investivlohngedanken herumgeschlagen und immer wieder gequält hat. Unter uns sitzen einige Zeitzeugen, die dazu eine Menge sagen könnten. Ich habe aber nicht gelesen, daß der Investivlohngedanke das Lieblingskind der Sozialdemokraten seit anno dazumal gewesen ist - dieser Eindruck ist heute fast entstanden - und daß Sie, Herr Schreiner, seit 25 Jahren der wirkungsvollste Unterstützer dieser Gedanken sind. ({0}) Ich weiß, daß die CDA immer wieder versucht hat, Verbündete bei den Gewerkschaften, den Arbeitgebern und bei anderen politischen Parteien zu finden. Das ist leider erst in den letzten Jahren gelungen. Das sollten Sie fairerweise dazusagen. Ich finde es schäbig, daß Sie eine Sache mit einer Leistung von über 1 Milliarde DM als Mäuschen diskreditieren. Ich stehe hier - Sie können nicht so weit sehen, deswegen sage ich es Ihnen - mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Das gebe ich ehrlich zu. ({1}) - Hör doch einmal zu! - Das weinende Auge - ein wenig traurig - habe ich deswegen, weil nicht alle Wünsche in Erfüllung gegangen sind. Aber wenn ich Sie höre, habe ich den Eindruck, daß ich der einzige bin, der es bei der parlamentarischen Arbeit ab und zu erlebt, daß nicht alle Wünsche in Erfüllung gehen. Ich habe gelernt: Ohne Kompromisse geht es nicht. Das, was wir heute vorlegen, ist offensichtlich der zur Zeit angesichts der finanziellen Schwierigkeiten, in denen wir stecken, und angesichts unterschiedlicher Meinungen, die wir zu diesem Thema haben, einzig mögliche Kompromiß. Nun bin ich aber auch schon bei dem lachenden Auge. Ich bin froh darüber, daß wir an einer Stelle, an der es offensichtlich ungeheuer schwer ist, einen Schritt voranzugehen, einen Schritt vorwärts gehen, und zwar nicht bloß irgendwohin, sondern in die richtige Richtung. Ich gebe Ihnen gerne noch einmal recht, indem ich sage: Ich wäre gerne noch einen oder zwei Schritte weiter gegangen. Aber nehmen Sie doch zur Kenntnis: Es ist nach meiner Überzeugung ein richtiger Schritt in die richtige Richtung. Lassen Sie uns diesen Schritt nun gemeinsam in die richtige Richtung gehen und sagen: Das muß an dieser Stelle doch nicht das Ende der parlamentarischen Arbeit in der Bundesrepublik Deutschland sein. Darum bin ich froh darüber, daß dieser Gesetzentwurf heute vorliegt. Er bringt verbesserte Möglichkeiten der Vermögensbildung. Er ist ein deutlicher Einstieg in eine Investivlohnregelung. Wenn man will, kann man noch dazusagen: Er geht nicht auf Kosten anderer. Er bewirkt eine weitere zusätzliche Förderung für die Arbeitnehmer in den neuen Bundesländern, in denen - wenn ich daran erinnern darf - nicht nur mit 800 DM, sondern mit 1000 DM gefördert wird. Meine herzliche Bitte lautet: Nehmen Sie zur Kenntnis, daß es nach jahrelangem erfolglosem Bemühen nun in nicht ganz einfachen Zeiten gelungen ist, hier ein Stück weiterzukommen. Lassen Sie uns dies gemeinsam tragen und darüber nachdenken, was im Blick auf eine zusätzliche Altersversorgung oder eine noch deutlichere Förderung des Investivlohngedankens in der nächsten Legislaturperiode weiter getan werden kann. ({2}) Allein mit einem Blick auf den 27. September 1998 und offensichtlich davon geprägten Formulierungen bis hin zu „Zimmereinrichtungen" erreichen wir in bezug auf dieses Thema nichts und werden der Würde dieses Anliegens nicht gerecht. Ich danke Ihnen. ({3})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 13/10 012 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Gruppe der PDS Maßnahmen der Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Rückerwerb von Bodenreformland durch Alteigentümer Ich eröffne die Aussprache und gebe dem Abgeordneten Dr. Günther Maleuda das Wort.

Dr. Günther Maleuda (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002730, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In ihrem Antrag zur Durchführung der heutigen Aktuellen Stunde zur Haltung der Bundesregierung zur aktuellen Diskussion über die Bodenreform geht die Abgeordnetengruppe der PDS davon aus, daß die Öffentlichkeit über die tatsächlichen Sachverhalte in dieser Hinsicht informiert werden muß. Das Interesse ist groß. Inzwischen haben sich Landesregierungen, Landesparlamente, Fraktionen, Ministerpräsidenten, Minister, Agrargenossenschaften, Neueinrichter und Vertreter der Verbände der Bauern in den neuen Bundesländern geäußert und zum sogenannten Scholz-Papier Stellung genommen. Protest und Widerspruch sind deutlich geworden. Die „Berliner Zeitung" von heute schreibt: „Ostdeutsche sehen weiter Klärungsbedarf." Ich meine, das ist eine sehr wichtige Feststellung. Von Aushöhlung der Bodenreform, Zerstörung der ostdeutschen Agrarstrukturen und Ignoranz ist die Rede. Immer mehr Bäuerinnen und Bauern erkennen, daß hinter diesem Strategiepapier die gleichen Personen und die gleiche Gier nach Boden stehen, ({0}) die schon Ende 1996 hinter der vierten Novelle zum Landwirtschaftsanpassungsgesetz standen. Wir meinen, das Scholz-Papier - inzwischen auch von der Bundesregierung begrüßt - bedient nur eine Klientel: die Alteigentümer. Für sie sollen der Ortsansässigkeitsnachweis erleichtert, eine Mehrfachberechtigung eingeführt, eine Nachbesserungsklausel angewendet und Zahlungserleichterungen gewährt werden, um nur einige Fakten zu nennen. „Agra Europe" vom 23. Februar schreibt: Das Scholz-Papier wird umgesetzt - Bundesfinanzministerium beseitigt Zweifel an der Verbindlichkeit des Zwischenberichts des CDU/ CSU-Arbeitskreises. Meine Damen und Herren, wenn von einem Zwischenbericht die Rede ist, dann heißt das doch nur, daß weitere Erleichterungen für den Zugang der Alteigentümer zu Boden zu erwarten sind. Uns würde heute schon interessieren, wie die Arbeit auf diesem Gebiet weitergehen soll. Daß es in der Auseinandersetzung so weit kommen konnte, liegt vor allem in den koordinierten Aktionen der Alteigentümer begründet. Hunderttausende DM wurden für Medienkampagnen ausgegeben. Ich verweise nur auf eine Großanzeige im „Spiegel" 9/98. Teure Gutachten wurden finanziert, die beweisen sollen, daß die gegenwärtige Bodenprivatisierung für die Bundesregierung ein Verlustgeschäft bedeuten würde. Durch eine Demonstration anläßlich des CDU-Parteitages und die Anträge von sechs CDU-Kreis- und Landesverbänden aus den alten Bundesländern zur Bodenreform an den Parteitag wurde der Forderung Nachdruck verliehen, die Alteigentümer beim Bodenerwerb besserzustellen. Selbst internationale Verbindungen wurden für das gleiche Vorhaben aktiviert. Ich meine, dazu zählt nicht zuletzt das Auftreten von Herrn Gorbatschow am letzten Sonntag in Berlin. Seine Ausführungen haben bei weitem nicht nur bei den ehemaligen Ministerpräsidenten der DDR, Hans Modrow und Lothar de Maizière, Verwunderung ausgelöst. Wir richten den Blick natürlich auch nach Brüssel, denn es bleibt abzuwarten, wie die Europäische Kommission in Sachen Flächenerwerb entscheiden wird. Meine Damen und Herren, jede Übertragung von Grund und Boden an die Alteigentümer schmälert letztlich die Produktionsbasis und Existenzgrundlage der ostdeutschen Landwirtschaft, ({1}) ganz gleich, ob dies als Naturalausgleich oder indirekt als vergünstigter Flächenerwerb vonstatten geht. - Ich meine, den Boden kann man nur einmal vergeben und nur einmal nutzen. Darüber wird heute noch sehr grundsätzlich zu sprechen sein. ({2}) Wir haben den Eindruck, daß mit dem Scholz-Papier und den weiteren zu erwartenden Aktivitäten der Regierungskoalition am Ende ihrer Regierungszeit vollendete Tatsachen geschaffen werden sollen. Die Abgeordnetengruppe der PDS ist dafür, nicht nur den restlichen Bestand der Bodenreform zu sichern, sondern auch deren Ergebnisse. Ein Ergebnis ist heute, daß über 1 Million Hektar Bodenreformland staatliches Eigentum sind. Mit der Verknüpfung von Entschädigung und Bodenverwertung wurde das Einfallstor für die Unterwanderung der Bodenreform geschaffen. Unsere Abgeordnetengruppe fordert folgende Lösungen: erstens eine Korrektur des totalen Privatisierungsauftrags des Treuhandgesetzes, zulässig müssen auch die langfristige Verpachtung und Vergabe von Nutzungsrechten an die gegenwärtigen Bewirtschafter sein; zweitens die unentgeltliche Eigentumsübertragung von Naturschutzflächen in gesicherten und einstweilig gesicherten Naturschutzgebieten an Länder und Kommunen und schließlich drittens die Übertragung der Verwaltung und Verwertung des einstigen volkseigenen Bodens in die Hände der Länder, wofür die eingespielten Strukturen der BVVG als Mehrländeranstalt der neuen Bundesländer genutzt werden könnte.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Dr. Günther Maleuda (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002730, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident, ich komme zum Schluß. Offensichtlich ist in Sachen Bodenreform mehr in Bewegung, als allgemein bekannt ist. Ich danke Ihnen. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe dem Abgeordneten Professor Rupert Scholz das Wort.

Prof. Dr. Rupert Scholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002063, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Beitrag, den wir eben gehört haben, spricht Bände an Dreistigkeit und Unverfrorenheit. ({0}) Ich kann es leider nicht anders sagen: Es ist die SED, es sind die deutschen Kommunisten gewesen, die unendlich viel Unheil auch in dieser Frage für Menschen und menschliche Schicksale angerichtet haben und sich heute hier hinstellen und meinen, daß sie für eine Reform einstehen. ({1}) Sie wissen ganz genau, daß diese Bodenreform Tausende von Bauern und Kleinbauern in die Vertreibung gezwungen hat, daß Menschenrechte in gravierender Weise verletzt worden sind. Nicht einmal ein Wort in dieser Richtung haben Sie hier eben gesagt. Das spricht Bände. Über den rechtlichen Bestand dieser Bodenreform zu streiten und zu sprechen ist schwierig. Es ist nach wie vor eine schwärende und schmerzhafte Wunde für viele Menschen in unserem Lande. Wohlgemerkt, nicht in Ost und/oder West, sondern es betrifft unser ganzes Land. Es betrifft die Menschen, die Opfer sind, die teilweise im Westen, teilweise im Osten sind. Das muß man ganz klar sehen. Wir haben diese schmerzende Wunde im Zusammenhang mit dem Einigungsvertrag zu schließen versucht. Daß das hier ein großer Kompromiß gewesen ist, der auch künftig auf der Grundlage der Bewahrung der gesetzlichen Grundlagen bestehen bleiben wird, ist unbestritten. Aber Menschen in unserem Lande - das ist nicht nur ein Thema von Landwirtschaft oder ähnlichem, das gilt überall -, die gesetzliche Rechte wahrnehmen, haben ein Recht darauf, daß man ihnen im Bereich von Vollzugsschwierigkeiten, Bürokratiehemmnissen und ähnlichem hilft. Um nichts anderes geht es hier. Dieses Recht haben allerdings auch die von Ihnen in schamloser Weise geschmähten Alteigentümer. Sie haben das ganz genauso wie diejenigen, die heute Landwirtschaft in den neuen Bundesländern betreiben. ({2}) Wir haben den Kompromiß für die Menschen zu finden, die ihre Heimat in den vergangenen Jahrzehnten gefunden haben, die zu achten, zu respektieren und zu schützen sind. Wir haben aber auf der anderen Seite auch jenen Menschen gerecht zu werden, denen Unrecht geschehen ist. ({3}) Wir wissen alle, daß die Gerechtigkeitslücke zwischen 1945 und 1949 nicht 50 Jahre danach geschlossen werden kann. Das wissen wir alle sehr wohl. Aber wir haben uns zu bemühen, den Menschen jedenfalls dort das Schicksal, ihr Los etwas leichter zu machen, wo dies möglich ist. Um nichts anderes geht es. Wenn Sie sich auf jene Maßnahmen, die Vertreter meiner Fraktion mit der Bundesregierung besprochen und vereinbart haben, beziehen, dann kann ich hierzu nur folgendes zusammenfassend sagen: Es geht um Ausgleich, Versöhnung und Erleichterung und um nichts anderes. Es geht darum, daß viele Verbesserungen, die erreicht werden können, im übrigen nicht nur Alteigentümern, sondern im selben Umfang auch ostdeutschen Pächtern und Walderwerbern zugute kommen. Wenn hier behauptet wird, daß Menschen total verunsichert würden - bis hin zu den unverzeihlichen Äußerungen etwa eines Herrn Ringstorff im mecklenburg-vorpommerschen Landtag kürzlich, wo einfach falsche Fakten und Daten genannt worden sind, mit der erklärten Zielrichtung, wirklich zu diskreditieren und zu verunsichern -, dann machen Sie sich mitschuldig, wenn es eben nicht zu Versöhnung und Ausgleich kommt, wie wir ihn in dieser ganz schwierigen Frage in unserem Lande brauchen. Dafür stehen wir mit unserer Politik. Darum bemühen wir uns. ({4}) - Auch der Herr Bergner sieht das so. Fragen Sie ihn doch. ({5}) Daß es in Einzelfällen natürlich unterschiedliche Auffassungen gibt, daß es auch aus unterschiedlichen Biographien von Menschen heraus in der Wahrnehmung Unterschiede gibt, ist doch ganz selbstverständlich. Aber um so mehr hat man sich um ein Zusammenkommen und um Ausgleich zu bemühen. Man hat nicht zu hetzen, auszugrenzen und Menschen weiter zu verunglimpfen, ({6}) die alle in einer Weise - insofern gemeinsam - Opfer der unseligen deutschen Teilung waren, Opfer jener Seite waren. Vielen Dank. ({7})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe dem Abgeordneten Rolf Schwanitz das Wort.

Rolf Schwanitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002123, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Scholz, ich könnte es mir jetzt leichtmachen und Zitate aus den Reihen der CDU anführen. Das will ich gar nicht tun. Dazu sind die Dinge viel zu ernst. Ich nenne drei Gründe, weswegen die Vorschläge aus der sogenannten Scholz-Arbeitsgruppe - der Name ist ja nun einmal gefallen - für uns völlig unannehmbar sind. Der erste Punkt, den ich ansprechen will, ist: Das, was hier vorgeschlagen worden ist, untergräbt nach unserer Auffassung einen der am schwierigsten gefundenen politischen Kompromisse der letzten Legislaturperiode, und zwar den Kompromiß im Rahmen des Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetzes und der darauf aufbauenden Flächenerwerbsverordnung. ({0}) Ich erinnere noch einmal: 1993/1994 anderthalb Jahre dauernde politische Auseinandersetzungen hier in diesem Haus, eine tief zerstrittene Koalition damals, zwei Vermittlungsverfahren und nicht nur Sozialdemokraten, sondern natürlich auch CDU-Politiker aus in großer Koalition regierten ostdeutschen Ländern auf der Widerspruchsebene, die dann zum Schluß einen Kompromiß gefunden haben, in der Absicht, die ostdeutsche Landwirtschaft nach vorne zu bringen, - einen sensiblen Kompromiß zwischen den Interessen der Alteigentümer auf der einen Seite und den Interessen der ortsansässigen Bauern in Ostdeutschland auf der anderen Seite. - Übrigens, meine Damen und Herren von der Koalition, auch das sind Alteigentümer. - Das zu gefährden, werfe ich Ihnen an dieser Stelle vor. Zweiter Punkt. Ich glaube, die Bundesregierung - gestern war ja in einer Presseerklärung zu lesen, die Bundesregierung begrüße das Ganze; das hat jetzt die hohen Weihen - gefährdet damit nicht nur das, was ich im ersten Punkt ansprach, sondern die Bundesregierung hat im nachhinein auch die Öffentlichkeit belogen. Herr Bohl, Sie selber sitzen hier im Saal. Wie oft haben wir in den letzten zwei Jahren im Rahmen von Anfragen, die aus unseren Reihen gestellt wurden, nachdem Vorstöße von den Alteigentümern kamen - das ging ja bis in die letzten Tage in Form einer Annonce im „Spiegel" usw. - und der Bundesjustizminister fernab von der Linie des Bundeskabinettes meinte, private Dinge persönlich in Publikationen vorantreiben zu müssen, thematisiert, wie die Haltung der Bundesregierung ist? Sie haben hier in diesem Raum heilige Eide geschworen, daß es nicht zu einem Aufbiegen des von mir schon genannten schwierigen Kompromisses kommt. Ich sage Ihnen: Sie haben die Öffentlichkeit getäuscht. Das Bild, das Sie hier abgeben, zeigt etwas völlig anderes. Dritter Punkt. Es ist ja lächerlich, Herr Scholz, sich heute hier hinzustellen und so zu tun, als ginge es um Verwaltungsvereinfachungen. Selbstverständlich geht es um einseitig verliehene besondere Privilegien. ({1}) Da geht es um Kaufpreisstundungen, um Zinsen, auf die künftig verzichtet wird, um die Abmilderung der Degression, um einen Verkaufsstopp und um eine vorweggenommene Erbfolge. Da soll also jetzt jemand begünstigt werden, der noch gar nicht geerbt hat, der künftig eventuell einmal erben soll. Ich glaube, Sie haben den Blick völlig dafür verloren, was hier in der Vergangenheit bei anderen Fragen geregelt worden ist. Es ist noch nicht einmal ein Jahr her, da haben wir hier die Frage der Verbesserung der Leistungen für SED-Opfer diskutiert. Damals hatte die SPD-Seite vorgeschlagen: Laßt uns bei den Erben etwas verändern. Damals haben wir gesagt: Es sollen auch die Kinder und die Ehefrauen, soweit sie von Repressionsmaßnahmen schwer mitbetroffen waren, bezogen auf die Kapitalentschädigungen anspruchsberechtigt werden. Darauf haben Sie geantwortet: Nein. Jetzt legen Sie für die Alteigentümer eine vorweggenommene Erbfolge vor. Sie haben den Blick völlig dafür verloren, was Sie für andere berechtigte Kreise, die teilweise ein viel schärferes Schicksal im Sinne der Betroffenheit erlitten haben, in der Lage und bereit waren, politisch zu tun. Meine Damen und Herren, wir lehnen das kategorisch ab. ({2})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe dem Abgeordneten Dr. Otto Graf Lambsdorff das Wort.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die F.D.P.-Fraktion begrüßt die Absicht der Bundesregierung, den Vollzug des Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetzes und der Flächenerwerbsverordnung zu verbessern. Die Erwerbsvoraussetzungen, zum Beispiel die Anwendung der Härtefallklausel und ähnliche Fragen, bedürfen dringend eines klärenden Wortes. Der Bundesfinanzminister wird die BVVG im Rahmen seiner rechtlichen Möglichkeiten anweisen, solchen neuen Grundsätzen zu folgen. Die Länder, die das Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz ausführen, werden aufgefordert, für ein zügiges Verfahren zur Erteilung der EALG-Bescheide zu sorgen. Diese Bescheide sind ja die Voraussetzung für die Berechnung des Erwerbsumfangs, für die Ausstellung der Schuldenverschreibungen und für die Anrechnung der Ausgleichsleistung auf den Kaufpreis. Die Verbesserungen dienen zu Recht denjenigen, die zwischen 1945 und 1949 Opfer kommunistischer Enteignungen und Willkürmaßnahmen wurden. - Darunter, Herr ehemaliger Vorsitzender einer Bauernpartei, waren eine Menge Bauern, keineswegs nur die von Ihnen immer zitierten Großgrundbesitzer. ({0}) Daß hier eine moralische und materielle Pflicht zur Wiedergutmachung besteht, ist von mir an dieser Stelle zuletzt am 16. Januar letzten Jahres für die F.D.P.-Fraktion vorgetragen worden. Damals wie heute sehen sich die Alteigentümer mitunter einer „wiederverschaffungsunfreundlichen AdministraDr. Otto Graf Lambsdorff tion" - so hat es Bundesjustizminister Schmidt-Jortzig treffend formuliert - gegenüber. Das soll und wird sich hoffentlich ändern. Uns geht es um eine unbürokratische Anwendung eines Gesetzes, das wir nach zwei Vermittlungsverfahren in der letzten Legislaturperiode - nur zähneknirschend, sage ich - beschlossen haben. Wir können an diesem Gesetz nichts ändern. Jeder weiß: Dafür gibt es weder im Bundestag noch im Bundesrat eine Mehrheit. Aber, Herr Schwanitz, daß hier das EALG untergraben werden soll, ist völlig an den Haaren herbeigezogen. Ich sage es noch einmal: Es geht um eine sachgerechte, den Berechtigten gegenüber anwendungsfreundliche Auslegung und Handhabung des Gesetzes. Wir haben immer wieder erlebt, daß in einem Sinne gehandelt wurde, der nicht dem Geist des Gesetzgebers entsprach. In der damaligen Debatte habe ich Ihnen Beispiele dafür vorgetragen. ({1}) - Es geht nicht um den Heiligen Geist. Davon verstehen Sie vermutlich auch wenig. ({2}) - Ich finde es schon merkwürdig, wie eng frühere Kommunisten und Sozialdemokraten im Rahmen von Positionen, bei denen es um Privateigentum geht, zusammen agieren. ({3}) Der Deutsche Bundestag und der Bundesrat konnten auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erst nach jahrelangen Auseinandersetzungen und zwei Vermittlungsverfahren mit dem Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz eine Entschädigungsregelung zustande bringen. Sie enthält, auf Drängen der F.D.P., wenigstens bescheidene Ausgleichsleistungen, die über den Lastenausgleich hinausgehen. Alle, die damit nicht zufrieden sind, seien daran erinnert, daß dasselbe Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz in Art. 9 ein „Vertriebenenzuwendungsgesetz " enthält. Ich muß das nicht im einzelnen darlegen. Bei allem Verständnis für die von der sogenannten Bodenreform Betroffenen läßt sich heute ernsthaft nichts mehr an dieser Regelung des EALG ändern. Es geht um notwendige, im Gesetz vorgesehene und als Spielraum des Gesetzes gegebene Erleichterungen und nicht darum, wie die PDS hier glauben machen will, den LPG-Nachfolgern als kaufberechtigten Pächtern die Existenzgrundlage zu nehmen. Wenn ich hier allerdings von Herrn Maleuda höre, daß man sich berühmt, es seien 1 Million Hektar Fläche im Staatsbesitz, dann sage ich: Der Staat soll diesen Besitz, der gestohlen worden ist, so schnell wie möglich loswerden. Er gehört nicht in Staatsbesitz. ({4}) Meine Damen und Herren, ich warne davor, den Alteigentümern falsche Hoffnungen zu machen; das sage ich auch an Ihre Adresse, Herr Kollege Scholz. Ich denke, der Bericht Ihrer Kommission hat solche Hoffnungen geweckt. Es hat ja Proteste aus Ihrer eigenen Partei gegeben, die gezeigt haben, daß die Hoffnungen falsch waren. ({5}) Ich warne aber auch davor, die Bevölkerung in den neuen Bundesländern zu verunsichern. ({6}) Die Pächter der betroffenen landwirtschaftlichen Flächen brauchen sich nicht um ihre berechtigten Ansprüche auf Agrarflächen zu sorgen. Sie sollten sich nicht von der PDS, von der Partei der Schuldigen, verunsichern lassen. Die F.D.P.-Fraktion sieht sich in ihrer Haltung bestärkt: Da die Änderung des zustimmungsbedürftigen Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetzes nicht möglich ist, will die Bundestagsfraktion wenigstens erreichen, daß die ohnehin bescheidenen gesetzlichen Ausgleichsmaßnahmen einschließlich des verbilligten Verkaufs an Alteigentümer bzw. deren Erben nach dem Flächenerwerbsprogramm zügig und unbüroraktisch durchgeführt werden. Die legitimen Rechte der Besitzer und Nutzer der Vermögensgegenstände werden dabei in keiner Weise beschränkt. Ich verstehe beim besten Willen nicht, warum Sie sich dagegen auflehnen, daß ein Gesetz so beschlossen werden soll, wie wir es hier verabschiedet haben. Ich bedanke mich. ({7})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort der Abgeordneten Steffi Lemke.

Steffi Lemke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002720, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Pünktlich zum niedersächsischen Landtagswahlkampf veröffentlicht die CDU-Bundestagsfraktion einen Zwischenbericht zu den „Enteignungen 1945 bis 1949", also nicht etwa zum EALG, sondern zur Bodenreform in der damaligen sowjetischen Besatzungszone. Seitdem jagt eine CDU-Distanzierung die andere; Dementis werden im Dutzend nachgereicht, und Erklärungen werden zuhauf verabschiedet. Dies alles soll der höheren Effektivität von Verwaltungsabläufen dienen. Eine Änderung des EALG ist angeblich nicht gewollt. Statt dessen müßte es jedoch heißen: Die CDU kann nicht; denn sie weiß genau, daß sie dafür hier keine parlamentarische Mehrheit finden würde; denn dann müßten ihre ostdeutschen BunSteffi Lemke destagsabgeordneten Farbe bekennen, wie sie zu dieser Thematik stehen, anstatt sich in der komfortablen Situation zu befinden, Erklärungen zu verabschieden, sich von einer Politik zu distanzieren, die von ihrer Fraktion betrieben wird. Wenn es tatsächlich um eine Entbürokratisierung ginge, sollte man sich meines Erachtens zuerst mit der entsprechenden Vollzugsbehörde - in dem Falle der BVVG - zusammensetzen, über den Vollzug diskutieren, Kritikpunkte herausfiltern und mit dieser Behörde Vorschläge vereinbaren. Die BVVG wurde laut den Pressemeldungen, die es dazu gegeben hat, offensichtlich nicht in die Gespräche des zuständigen Arbeitskreises der CDU/CSU-Fraktion mit einbezogen. ({0}) Der Öffentlichkeit wurde mit diesem Papier von der CDU/CSU-Fraktion nach der verpatzten Novelle zum Landwirtschaftsanpassungsgesetz nun wiederholt eine absolut schlampige Arbeit vorgelegt - und dies in einem Problembereich, der meines Erachtens eine Debatte mit Augenmaß erfordert und keinesfalls zum Wahlkampfthema mißbraucht werden darf. Die Bodenreform ist für viele Menschen mit schwerem persönlichen Leid verbunden; das ist heute angesprochen worden. Betroffen waren nicht nur Kriegsverbrecher oder Großgrundbesitzer. Es sind Familien zerstört und Existenzen vernichtet worden. Nichtsdestotrotz werden Sie altes Unrecht nicht mit neuem Unrecht wiedergutmachen können. ({1}) Ich glaube nicht, daß den Menschen, denen tatsächlich Unrecht widerfahren ist, mit einer aufgeheizten Debatte über Landbesitz, Millionenbeträge und Wählerstimmen geholfen wird. Ich plädiere dafür, die historische und die politische Auseinandersetzung um die Bodenreform voneinander zu trennen. Die derzeitige Debatte, von Ihnen im niedersächsischen und ostdeutschen Wahlkampf angestachelt, die an die Substanz der deutschen Vereinigung geht, blockiert die wirtschaftliche Entwicklung des ländlichen Raumes in den neuen Bundesländern und die Möglichkeit eines Nebeneinanders in den Dörfern. ({2}) Ich mache Ihnen zum Vorwurf, daß das, was Sie beklagen - dieses persönliche Leid, das es im Zuge der Bodenreform gegeben hat -, von Ihnen auf eine Art und Weise für den Wahlkampf instrumentalisiert wird, die Ihnen wirklich die Schamröte ins Gesicht treiben sollte. ({3}) Bündnis 90/Die Grünen lehnt eine Änderung des mühsam erzielten Kompromisses zum EALG ab. Eine Revision der Bodenreform wird es mit uns nicht geben. Eine Entbürokratisierung des Flächenverkaufs für alle Erwerbsberechtigten - in Ihrem Papier ist nur von einer einzigen Gruppe der Erwerbsberechtigten die Rede - würde auch in den neuen Bundesländern auf breite Zustimmung stoßen. Die im Scholz-Papier unterbreiteten Vorschläge entsprechen dem jedoch keineswegs und sind inakzeptabel. Insbesondere die geplante Aufhebung der Verpachtungspflicht wird von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Wir brauchen Rechtssicherheit für die wirtschaftenden Betriebe und keine erneute Gefährdung vorhandener Arbeitsplätze. Ich bezweifle außerdem, daß dieser Vorschlag der CDU juristisch haltbar ist, da er im eklatanten Widerspruch zu einer klaren Regelung im Gesetzestext steht. Von daher ausschließlich von einer Beseitigung von Vollzugsdefiziten zu sprechen müßte Ihrem juristischen Sachverstand eigentlich zuwiderlaufen. Aber wir haben beim Landwirtschaftsanpassungsgesetz ja eine ähnliche Debatte gehabt. Auch die vorgesehene Erweiterung des Kreises der Erwerbsberechtigten und der vereinfachte Nachweis der Ortsansässigkeit werden von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Ich finde es verdammt peinlich, was Sie mit dieser Debatte losgetreten haben. Den ostdeutschen Landesverbänden der CDU auf diese Art und Weise eine neue Rote-Socken-Kampagne unterzujubeln und die Politikgrößen von Seite über Merkel bis Bergner durch die Bank als Politdeppen dastehen zu lassen dürfte der CDU im Wahlkampf in den kommenden Monaten auf die Füße fallen. Den ihnen zugedachten Märtyrerstatus kaufen ihnen die Ostdeutschen inzwischen jedenfalls nicht mehr ab. ({4})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Dr. Michael Luther. ({0})

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Selbstverständlich werde ich Haltung zeigen. Damit es klar und deutlich ist, sage ich vorweg: Die CDU ist die Partei der deutschen Einheit. ({0}) Die PDS - das zeigt auch die heutige Debatte wieder ganz deutlich - ist die Partei der deutschen Teilung. ({1}) Wer die deutsche Einheit will, der muß sich auch den Fragen der deutschen Einheit stellen. Wer etwas so Kompliziertes wie die deutsche Einheit gestalten will, der muß wissen, daß es unterschiedliche Gegebenheiten und Vorstellungen gibt, die man auch in einer Partei diskutieren können muß. ({2}) In der CDU geht das; die Koalition leistet das. ({3}) Es ist festzustellen: Enteignung war, ist und bleibt Unrecht, insbesondere wenn sie - wie in den Jahren von 1945 bis 1949 - verbunden mit Exzessen geschehen ist. Diejenigen, die davon von 1945 bis 1949 betroffen waren, beklagen noch heute - ich denke, nicht zu Unrecht -, daß das damals so war. ({4}) Auf dem letzten Bundesparteitag der CDU sind solche Fragen vorgetragen worden. Die CDU hat sich auf dem Bundesparteitag mit diesem Thema beschäftigt. Es ist aber vollkommen klar - dazu steht auch die CDU/CSU-Bundestagsfraktion -, daß wir bei den beschlossenen Regelungen bleiben: Erstens. Auch wenn die Enteignung Unrecht war, ist das Ergebnis der Bodenreform nicht mehr rückabwickelbar, selbst wenn die PDS versucht, in den neuen Bundesländern einen anderen Eindruck zu erwecken. Das würde zu neuen Verwerfungen führen; das ist uns allen klar. ({5}) Zweitens. Wir stehen zur Gemeinsamen Erklärung, die die Koalitionsregierung und die de Maizière-Regierung 1990 unterzeichnet haben. Sie haben den Einigungsvertrag formuliert, das Vermögensgesetz entwickelt, das Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz erstritten und die Flächenerwerbsverordnung erstellt. ({6}) Das Bundesverfassungsgericht hat unsere Auffassung bislang immer bestätigt. Wir hoffen, daß es uns auch bei dem Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz folgt. Eine Frage ist offen - ich verweise auf den Artikel in der „FAZ" von gestern -, nämlich die, was die EU-Kommission tut. Unabhängig davon ist es aber wünschenswert - ich denke, sogar geboten -, ({7}) daß man versucht, zusätzliche Verärgerungen in diesem komplizierten Prozeß zu vermeiden und ihnen entgegenzuwirken, also unnötige Bürokratie zu beseitigen. Dazu hat uns der Bundesparteitag beauftragt. Damit hat sich die CDU/CSU-Bundestagsfraktion in den letzten Wochen beschäftigt. Sicher ist es wahr - das habe ich auch öffentlich kritisiert und will es auch an dieser Stelle tun -: Die erste Fassung dieses Zwischenberichtes hat zu Mißverständnissen geführt. ({8}) Die interessierte Öffentlichkeit, insbesondere die PDS und die SPD in den neuen Bundesländern, hat diese mißverständlichen Formulierungen bewußt falsch ausgelegt ({9}) und eine Kampagne entfacht, die den Eindruck bewirken soll, als ob die Koalition die Bodenreform rückabwickeln will. Das will sie nicht. ({10}) Meine Damen und Herren, Sie haben jetzt auch die Endredaktion des Zwischenberichtes vorliegen. Wenn wir in dieser Debatte heute Gelegenheit finden, diese endgültige Fassung Punkt für Punkt zu diskutieren, werden Sie zu dem gleichen Ergebnis kommen, zu dem auch ich komme: Es handelt sich um keine Gesetzesänderung und um keinen Widerspruch zur Flächenerwerbsverordnung. ({11}) Es ist vielmehr schlicht und einfach gemäß unserem Auftrag der Versuch, bürokratische Hemmnisse zu beseitigen. Das führt dazu, daß alle zur Teilnahme am Flächenerwerbsprogramm Berechtigten - das sind Alteigentümer, aber auch Wiedereinrichter, Neueinrichter und Agrargenossenschaften - schnell und unbürokratisch von der Flächenerwerbsverordnung profitieren können. Ich denke, das dient der Befriedung. Daß Sie das im Bundestagswahljahr 1998, meine Damen und Herren von der PDS und der SPD, politisch nicht wollen, das ist offensichtlich. Deswegen sage ich noch einmal das, was ich am Anfang gesagt habe: Die Partei der deutschen Einheit ist die CDU. Danke. ({12})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Hans-Joachim Hacker.

Hans Joachim Hacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000771, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Dr. Luther, wie konnten Sie diesen Spagat überstehen, ({0}) den Spagat von der deutschen Einheit bis zu dem mißlungenen Scholz-Papier, an dem Sie - das ist nicht ganz klar - mitgewirkt haben. Im Schweriner Landtag haben Sie sich davon distanziert. Hier scheint Ihr Weg zu dem Papier wieder geöffnet zu sein. Ich kann das nicht verstehen. Ich möchte das in einen Zusammenhang mit dem Artikel zur Frage der Bodenreform bringen, den der Bundesjustizminister, Herr Professor Schmidt-Jortzig, am 2. Dezember 1996 in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" mit der Überschrift „Alles ist irrational" geschrieben hat. Insbesondere seit dieser Zeit verfolgt uns wieder diese Diskussion. Genauso irrational ist die Debatte insgesamt, die von der Koalition in der Frage der Bodenreform - genauer gesagt: in der Frage der Enteignungen auf besatzungsrechtlicher und besatzungshoheitlicher Grundlage von 1945 bis 1949 in der SBZ - geführt wird. Diesen Eindruck gewinne ich auch heute wieder. Hier werden Nebelargumente vorgetragen, und auf die eigentlichen Fragen wird nicht eingegangen. ({1}) Diese Debatte wird seit dem Einigungsprozeß geführt. Sie wird von Aktivisten einer Lobby geschickt inszeniert und gesteuert; sie hatte ihren letzten Höhepunkt in der beabsichtigten 4. LAG-Novelle, die von den Koalitionsfraktionen - leider auch von den CDU- und F.D.P.-Abgeordneten aus den neuen Ländern mitgetragen - in den Deutschen Bundestag eingebracht wurde. Immer wieder hatten Vertreter der Bundesregierung - die Zeugen hierfür sitzen ja unter uns - die Rechtsbeständigkeit der Regelungen zur Bodenreform gegenüber dem Parlament verbal bestätigt. Das tatsächliche Denken und - schlimmer noch - Agieren wenigstens eines nicht einflußlosen Teils der Koalitionsfraktionen sieht jedoch ganz anders aus. Herr Bundesminister Schmidt-Jortzig hat in dem bereits zitierten „FAZ"-Artikel tragende Grundsätze des Einigungsvertrages zu den Vermögensfragen genauso wie die diesbezügliche Folgegesetzgebung in Frage gestellt. Seine Aufforderung an das Bundesverfassungsgericht, die geltende Rechtslage als verfassungswidrig zu bewerten, ist eine Brüskierung des Parlamentes und des Bundesrates. Diese Position hat der Bundesminister auch heute in einer Anhörung im Rechtsausschuß nicht korrigiert; er steht politisch nicht zu diesem schwer erkämpften Kompromiß. Er hat politisch eine andere Haltung. Das sollten wir alle zur Kenntnis nehmen; das sollten wir überall dort deutlich machen, wo wir dazu gefragt sind. ({2}) In der andauernden Diskussion um die Enteignungsmaßnahmen auf besatzungsrechtlicher und besatzungshoheitlicher Grundlage möchte ich deren historische Ursachen und den politischen Kontext in Erinnerung bringen, wie er sich 1990 bei der Vorbereitung der deutschen Einheit tatsächlich herausgebildet hatte. Ich bin nicht bereit, Herr Professor Scholz und Herr Luther, mir die selektive Geschichtswahrnehmung, die Sie haben, zu eigen zu machen. ({3}) Denn Sie haben alles verdrängt, was zu den Ursachen, den Umständen und Rahmenbedingungen der Bodenreform gehörte. Sie haben verdrängt, wie es dazu gekommen ist, daß Menschen diese kleinen Flächen zugeteilt wurden. Sie haben verdrängt, wie es dazu gekommen ist, daß 11 Millionen Deutsche ihre Heimat verloren haben. Dies alles zusammengenommen bildet den historischen und politischen Hintergrund dafür, daß wir uns im Jahre 1990 in diesem komplizierten Prozeß genau zu diesen Grundpfeilern bekannt haben, die in den Vereinbarungen vom 15. Juni 1990 verankert sind, die am Ende Eingang in den Einigungsvertrag gefunden haben und die in die Änderung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen worden sind. Der Deutsche Bundestag hat zur Festschreibung dieser Verpflichtung, nämlich der Verpflichtung aus dem Einigungsvertrag, im weiteren den Art. 143 des Grundgesetzes neu gefaßt. Ich zitiere Art. 143 Abs. 3: Unabhängig vom Absatz 1 und 2 haben Artikel 41 des Einigungsvertrags und Regelungen zu seiner Durchführung auch insoweit Bestand, als sie vorsehen, daß Eingriffe in das Eigentum auf dem in Artikel 3 dieses Vertrages genannten Gebiet nicht mehr rückgängig gemacht werden. Ich stelle hier auch die Frage, wie man praktisch vorankommen will, wenn man so wie Sie diskutiert. Wir denken in diesem Zusammenhang nicht nur an die Bodenreform, sondern auch an andere Eigentumseingriffe, zum Beispiel im Industriebereich. Wir denken natürlich auch an die Gruppen, die Herr Schwanitz schon angesprochen hat, nämlich an die Opfer der SED-Diktatur, die sagen: Der Deutsche Bundestag hat unser Schicksal nicht richtig gewürdigt. - Das ist richtig.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist beendet.

Hans Joachim Hacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000771, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir denken auch an die große Gruppe der Millionen von Vertriebenen, die fragen: Wie kommt es eigentlich, daß wir, die wir alles verloren haben, nur 4000 DM bekommen und andere weit größere Entschädigungsbeträge erhalten? ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Hans Joachim Hacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000771, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, ich komme zum Schluß. Wer das im Wahlkampf instrumentalisiert - in Niedersachsen oder in Sachsen-Anhalt -, der spielt mit dem Feuer. Ich kann Sie nur auffordern: Unterschreiben Sie die Schweriner Resolution! Sie hält an dem Kompromiß fest und führt zur sozialen und damit zur politischen Sicherheit in dieser Frage. Ich danke Ihnen. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Ulrich Junghanns.

Ulrich Junghanns (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001042, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Schwanitz, weil Sie die Grundlagen dieses Kompromisses in Frage stellen und so apologetisch reden, ({0}) möchte ich Ihnen einmal in Erinnerung rufen und auch in Richtung PDS sagen, was Grundlage des Kompromisses aus agrarpolitischer Sicht für das EALG zur Verwendung oder zur Verwertung des Grundbesitzes war: Erstens. Das Eigentum der Siedler, das die Zeit der DDR überlebt hat, ist gesichert. Dieses Eigentum ist in dieser Republik so sicher wie noch nie. ({1}) - Nein, Herr Hacker, Sie wissen genau, daß das gesichert ist. Zweitens. Eine weitere Grundlage des Kompromisses in bezug auf das EALG war, daß das in Staatshand befindliche Land und der in Staatshand befindliche Wald nicht in Staatshand bleiben, sondern auf dem vom EALG vorgezeichneten Wege über die Pacht einer Privatisierung nach den geltenden Regelungen zugeführt werden. Wir ziehen die Lehren aus der Vergangenheit und sagen, daß wir das Land nicht in staatlicher Hand behalten. Das ist eine wichtige Voraussetzung, um im Rahmen dieses Kompromisses weiter diskutieren zu können. ({2}) - Ja, genau. - Diese Grundlagen bestehen; es geht überhaupt nicht an, daß man sie in Zweifel zieht. Ich frage: Worum geht es eigentlich bei der Sicherung der Bodenreform? Es geht darum, daß das, was an Eigentum entstanden ist, gesichert wird. Das Eigentum ist in diesem Land so sicher wie noch nie. Das EALG ist ein Kompromiß. Es ist für wahltaktische Schachzüge nicht geeignet. ({3}) Die Materie ist zu kompliziert und zu leicht zu mißbrauchen, als daß sie dafür benutzt werden sollte. Wir haben eine gemeinsame Verantwortung dafür, daß dieser Mißbrauch nicht stattfindet. Was ich bisher gehört habe, dient nicht unbedingt der Verteidigung dieses Kompromisses. Es dient eigentlich nur der unterschwelligen Infragestellung. Dagegen wende ich mich mit aller Entschiedenheit. Es ist jedem Beteiligten von Anfang an klar gewesen - ich war über vier Jahre an der Diskussion zu diesem Gesetz beteiligt -, daß dieses Gesetz von allen Seiten geprüft wird. Das ist eine Angelegenheit, die politisch keine Freude bereitet, die aber gutes Recht ist. Heute werden hier Regelungen in Frage gestellt, die mit der Wiedergutmachung von erlittenem Unrecht im Zusammenhang stehen. Wiedergutmachung war ein Auftrag dieses Gesetzes und ein Anliegen all derer, die dieses Gesetz gemacht haben. In dieser Angelegenheit tätig zu werden, um erlittenes Unrecht zumindest zu lindern, war der Auftrag, den wir von der Partei erhalten haben. ({4}) - Der CDU. Ich will Ihnen sagen: Das hat auch die ostdeutschen Bauernverbände bewogen, am 15. Januar 1998 mit der Arbeitsgemeinschaft der Grundbesitzerverbände und der Arbeitsgemeinschaft für Agrarfragen ein gemeinsames Forderungspapier auf den Tisch zu legen, in dem gleiche Forderungen diskutiert und niedergeschrieben sind. ({5}) - Sie haben das Papier offenbar nicht gelesen. Wissen Sie, was darin für eine Arbeit steckt? Haben Sie mit den Bauernverbänden Ostdeutschlands darüber gesprochen? ({6}) - Dann ist es ja gut. Dann wissen Sie es ja besser als die, die gegenwärtig zurufen. ({7}) - Er hat es unterschrieben. Deshalb möchte ich an dieser Stelle von unserer Seite und insbesondere aus agrarpolitischer Sicht hervorheben: Wer dieses Papier als einseitige Bevorzugung der westdeutschen Alteigentümer oder als einseitige Benachteiligung der ostdeutschen Bauern auslegt, macht böse Unterstellungen. Das ist falsch. Mit diesem Papier sind die Rechte aus dem EALG für keinen ostdeutschen Landwirtschaftsbetrieb gekürzt worden. ({8}) - Es ist nichts gekürzt worden, und Sie wissen das. Zweitens möchte ich hervorheben, daß die darin enthaltenen Aufträge, insbesondere zur Finanzierung des Landerwerbs, auch für ostdeutsche Anspruchsberechtigte gelten. Jeder, der ostdeutsche Anspruchsberechtigte kennt und sieht, wie sehr sie am Landerwerb interessiert sind, sich aber im Hinblick auf die Finanzierung ausgeschlossen fühlen, weiß, daß in dieser Richtung etwas getan werden muß, damit die Finanzierungsmöglichkeiten auch für die anspruchsberechtigten ostdeutschen Bauern verbessert werden. ({9}) Nach zweifellos kontroverser Debatte in den eigenen Reihen möchte ich an dieser Stelle noch einmal hervorheben, was eigentlich klar ist, aber nach den Mängeln im Zwischenbericht und der - ich sage einmal: unprofessionellen - Veröffentlichung mancher Papiere nun noch einmal in einem Abschlußbericht klargestellt werden muß: Die gesetzliche Pflicht, langfristige Pachtverträge auf insgesamt 18 Jahre zu verlängern, war, ist und bleibt unantastbar. Bei den getroffenen Erbregelungen muß die Kommerzialisierung von Ausgleichsleistungen verhindert werden. Schließlich muß der vorgenommene Verkaufsstopp an nicht berechtigte Dritte

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Ulrich Junghanns (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001042, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- nach unserer Auffassung so ausdefiniert werden, daß sinnfällige Verwertungen durch die BVVG nicht in Frage gestellt werden. Danke schön. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Dr. Gerald Thalheim.

Dr. Gerald Thalheim (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002311, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren! In der schon erwähnten Ausgabe „Agra Europe" vom 23. Februar wirft der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Grundbesitzerverbände den Kritikern des Scholz-Papiers vor, eine bewußt geschürte Stimmungsmache und eine gezielte Verunsicherung der Landwirte herbeizuführen. Da kann ich nur sagen: Hier irrt der Prinz. Verunsichert werden die Landwirte in den neuen Ländern durch die unzähligen Versuche, die Bodenreform auszuhebeln. ({0}) Wir alle kennen die Briefe, Artikel und Anzeigen, die uns ständig zugehen. Hätten wir sie alle aufgehoben, würden sie mittlerweile Aktenordner füllen. ({1}) Herr Professor Scholz, Sie haben die Tonlage angesprochen. Gerade in diesen Artikeln und Briefen wird die Tonlage vorgegeben, die Sie hier kritisieren. Die Alteigentümer hätten gut daran getan, den EALG-Kompromiß anzuerkennen, zumal vor allem für diejenigen, die tatsächlich, wie es so schön heißt, auf das „Land der Väter" zurückwollten, sehr gute Bedingungen geschaffen wurden. Sie kennen ihre ehemaligen Flächenpachten. Das hat auch die Zustimmung der SPD-Bundestagsfraktion gefunden. Wir wollen und werden all diejenigen unterstützen, die im Osten investieren und Arbeitsplätze schaffen. Darunter sind auch viele Alteigentümer. Das begrüßen wir. Was wir aber ablehnen, sind Spekulationen. Davon haben wir im Osten genug. ({2}) Das ist auch der Grund, Herr Scholz, weshalb wir Ihr Papier ablehnen. Ich komme zu einigen Punkten. Da ist erstens die Ortsansässigkeit der Pächter, die aufgeweicht werden soll. Das heißt nichts anderes, als daß die Alteigentümer künftig nur noch so tun müssen, als würden sie auf das Land der Väter zurückkehren wollen, und nicht mehr tatsächlich ihren Lebensmittelpunkt am Betriebsstandort in den neuen Ländern suchen müssen. ({3}) Zweitens soll die Verpflichtung zur Verlängerung der Pachtverträge auf 18 Jahre für die nicht selbst wirtschaftenden Alteigentümer aufgehoben werden. Was heißt das? Das heißt, das Land denjenigen zu entziehen, die es jetzt nutzen. Wenn das keine Verunsicherung ist, dann frage ich Sie, von was wir hier eigentlich reden. ({4}) Drittens soll in die notariellen Kaufverträge eine sogenannte Sprechklausel aufgenommen werden. Mit der Sprechklausel soll künftigen Entscheidungen der EU-Kommission vorgegriffen werden. Es waren die Alteigentümer, die in Brüssel geklagt haben. Auch das ist eine enorme Verunsicherung derjenigen, die eine Kaufoption haben und das Land heute gepachtet haben. In einem weiteren Punkt irrt der Prinz, wenn er den Verkaufsstopp der ehemals volkseigenen Güter gegen „Profiteure und Spekulanten" gerichtet sieht - so der Originalton. Betroffen von dem Verkaufsstopp sind viele ostdeutsche Geschäftsführer, die mit der BVVG gegenwärtig in Kaufverhandlungen im Rahmen einer MBO-Privatisierung stehen. ({5}) Es geht also auch hier wieder ganz eindeutig gegen ostdeutsche Interessen. Auch das ist ein Stück Verunsicherung, das von dieser Gruppe herbeigeführt wird. Für das Ganze gibt es eigentlich nur eine Schlußfolgerung: das alles abzulehnen. Es wird nur der PDS weitere Wähler zutreiben. Wichtig ist, Vertrauen und Sicherheit zu schaffen, das heißt, für eine langjährige Verpachtung einzutreten. Die SPD hat einen entsprechenden Antrag über den Abschluß 18jähriger Pachtverträge vorgelegt. Das wird Investitionen und Arbeitsplätze im ländlichen Raum der neuen Länder sichern. Vielen Dank. ({6})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Es spricht für die Bundesregierung die Parlamentarische Staatssekretärin Irmgard Karwatzki.

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bodenreform ist eine historische Tatsache, die wir als solche im Rahmen der Wiedervereinigung akzeptieren mußten. Alle damit verParl. Staatssekretärin Irmgard Karwatzki bundenen Interessen im nachhinein auszugleichen ist schlicht unmöglich. Wir haben deshalb den bestmöglichen Weg gewählt und im Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz den Erwerb von Bodenreformland gesetzlich geregelt. Eine Novellierung dieses EALG ist dabei nach Auffassung der Bundesregierung ausgeschlossen und kommt nicht in Betracht. Ich verweise an dieser Stelle auch auf die Erklärung von Bundesminister Bohl vom 2. März 1998. Herr Kollege Schwanitz, dort steht geschrieben: Die Bundesregierung hält an den Vereinbarungen zur Unumkehrbarkeit der Maßnahmen im Zusammenhang mit der sog. Bodenreform fest. Nichts anderes steht darin. ({0}) Ich sage das nur, weil Sie eben etwas anderes unterstellt haben. Ich selbst habe dies in der Fragestunde des Deutschen Bundestages am 12. November 1997 ebenfalls ausgeführt. Das Konzept des Flächenerwerbs nach dem Ausgleichsleistungsgesetz ist und bleibt außerordentlich komplex. Das haben wir hier gerade schon gehört. Es beinhaltet Erwerbsmöglichkeiten für bestimmte Erwerbsberechtigte mit unterschiedlichen persönlichen und betrieblichen Voraussetzungen. Hier knüpfen wir ebenfalls an die historischen Tatsachen an und haben einen gerechten Ausgleich unter den Beteiligten gesucht. Zwischenzeitlich hat sich bei der Durchführung von Gesetz und Verordnung eine Reihe von rechtlichen Fragen ergeben. Dies ist beim Vollzug von Vorschriften absolut nichts Ungewöhnliches. Aufgabe des Bundesministeriums der Finanzen ist es, über solche Fragen unter Auslegung von Gesetz und Verordnung in konkreten Anwendungsfällen zu entscheiden. Wir sind natürlich auch hierbei um einen gerechten Ausgleich der oftmals gegensätzlichen Interessen bemüht. Vor diesem Hintergrund müssen auch die fortdauernden Kontroversen um die Rechte der Alteigentümer geprüft und beurteilt werden. Um hier einen Beitrag zur dauerhaften Befriedung zu leisten, hat Finanzminister Dr. Waigel im Grundsatz entschieden, daß Verkäufe an Nichtberechtigte vorübergehend ausgesetzt werden. ({1}) Dies bedeutet gleichzeitig: Alle nach dem EALG Berechtigten, das heißt die Enteigneten und die ostdeutschen Erwerbsinteressenten, können nach wie vor alle ihre Erwerbsmöglichkeiten ausschöpfen. Eine von der PDS unterstellte unzulässige Privilegierung kann ich darin beim besten Willen nicht erkennen. ({2}) Letztlich geht es darum, Verzögerungen im Vollzug zu vermeiden, die Kaufbereitschaft zu fördern und auch den notwendigen Investitionen im land-und forstwirtschaftlichen Bereich der neuen Bundesländer den Weg zu bereiten. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang den vom Herrn Kollegen Professor Scholz gegründeten Arbeitskreis „Flächenerwerb" ansprechen. Dieser Arbeitskreis hat dem Bundesministerium der Finanzen eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet. Sie sind teilweise auf Verbesserungen für frühere Eigentümer, teilweise aber auch auf das Interesse aller Erwerber ausgerichtet. Der am 12. Februar 1998 vorgestellte Zwischenbericht des Kollegen Scholz hat leider offensichtlich zu Mißverständnissen geführt. ({3}) Aber auch dem Arbeitskreis ging es darum, den Vollzug des bereits geltenden Rechtes zu verbessern. Jeder Kaufberechtigte soll möglichst schnell und ohne bürokratische Hemmnisse sein Erwerbsrecht ausüben können. Ich kann auch hierin nicht erkennen, daß gesicherte Rechtspositionen der ostdeutschen Erwerbsberechtigten - ich nenne beispielhaft den Pächtervorrang - in irgendeiner Weise geschmälert werden. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Dr. Gregor Gysi.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Scholz, Sie haben ja länger über die Bodenreform und ihre - ({0}) - Gut. ({1}) Das Problem ist nur, daß wir beide uns das nicht aussuchen können. Auch ich hätte lieber andere Kollegen. ({2}) Sie sind hier noch einmal auf die Bodenreform an sich zu sprechen gekommen und haben dabei auch das Unrecht angesprochen. ({3}) Auch ich will etwas Grundsätzliches zur Bodenreform sagen. Es gibt keine Bodenreform - sie ist ja imDr. Gregor Gysi mer mit Enteignung und mit einer Neuverteilung von Eigentum verbunden -, die von den Betroffenen nicht in sehr unterschiedlicher Weise empfunden wird. Das ist doch ganz klar. Wer im Rahmen einer Bodenreform enteignet wird, meint, daß ihm Unrecht widerfahren ist; diejenigen - wie übrigens viele Vertriebene zur damaligen Zeit -, die dadurch Boden bekommen, empfinden das als eine gerechte Maßnahme. ({4}) Nur vergessen Sie dabei eines: Vorher gab es einen Weltkrieg, und das Land wurde in vier Besatzungszonen aufgeteilt. Die sowjetische Besatzungsmacht war es, die diese Maßnahmen durchgeführt hat. ({5}) Daß es dabei zu Exzessen gekommen ist, ist unbestritten; daß dabei im Einzelfall Unrecht passierte, ist ebenfalls unbestritten. Mit dieser Maßnahme war aber auch eine wirtschaftspolitische Zielsetzung verbunden. Dahinter stand natürlich auch der Gedanke einer neuen Gerechtigkeit in bezug auf die Verteilung von Eigentum. ({6}) - Passen Sie einmal auf. Weil Sie so tun, als ob es sich dabei um eine Idee gehandelt hätte, die nur auf einer Seite zu finden war, möchte ich Ihnen aus dem Gründungsaufruf der CDU Sachsen vom 25. August 1945 zitieren: ({7}) Eine umfassende ländliche und gärtnerische Siedlung muß unter weitgehender Heranziehung des Großgrundbesitzes einer möglichst großen Zahl von Deutschen den Zugang zu eigener Scholle und zu selbständiger Arbeit eröffnen. Die wirtschaftliche Sicherung eines freischaffenden Bauerntums und die Ansiedlung der Landarbeiter sind ein unerläßlicher Bestandteil jeder dauerhaften Aufbaupolitik und verlangen den stärksten Ausbau des ländlichen Genossenschaftswesens. So die CDU Sachsen im Jahre 1945. ({8}) Ich kann auch noch aus Kapitel V des Ahlener Programms von 1947 zitieren. Da hieß es: Bei allen Reformen der deutschen Wirtschaft, mag es sich um Bodenreform, Neuaufbau der industriellen Wirtschaft oder Neugestaltung des Verhältnisses zwischen Arbeitnehmern und Betrieb handeln, ist das erste und vornehmste Ziel das Wohl des gesamten Volkes. Da hat sogar noch die CDU West eine Bodenreform gefordert, was selbstverständlich auch mit Enteignungen verbunden gewesen wäre. Daß Sie Ihre eigenen Programme nie realisiert haben, ist eine andere Frage. Aber die Forderung haben Sie damals gestellt, 1945 ebenso wie 1947. Insofern sollten Sie Ihr historisches Verhältnis dazu noch einmal überdenken. ({9}) Noch etwas halte ich für ganz wichtig: Mit den Enteignungen von 1946 - das ist ein großer Unterschied zu der heutigen Diskussion - hatten sich die Betroffenen weit mehr als 40 Jahre abgefunden. Sie hatten inzwischen einen ganz anderen Lebensmittelpunkt, sie hatten eine ganz andere Form, ihren Lebensunterhalt zu gestalten, zumeist - aber nicht nur - in den westlichen Ländern. Wenn Sie jetzt täglich versuchen, eine Bodenreform rückgängig zu machen, dann greifen Sie unmittelbar in das Schicksal der Menschen hier und heute ein - in das Schicksal von Leuten, die nie und nimmer damit gerechnet haben, die dieses Land teilweise seit mehr als 40 Jahren bestellt oder darauf gewohnt haben. ({10}) Es ist ein Kompromiß gefunden worden, mit dem Sie sich nie abgefunden haben. Weil Ihre Klientel eine bestimmte Gruppe von Alteigentümerinnen und Alteigentümern ist - die sich übrigens auch sehr unterschiedlich verhalten; das muß man in diesem Zusammenhang einmal hinzufügen -, versuchen Sie, diese immer wieder zu bedienen. Dabei ist es Ihnen egal, daß Sie damit täglich die landwirtschaftlichen Nachfolgeeinrichtungen der LPG und viele Menschen in den neuen Bundesländern verunsichern. Sie sollen eben nicht glauben, daß das endgültig ihr Eigentum ist; sie sollen davon ausgehen, daß es ihnen eines Tages doch noch weggenommen wird. Auch deshalb gab es diese Geschichte mit Gorbatschow, auch deshalb hat man behauptet, das sei gar keine Bedingung der Vereinigung gewesen etc. Warum können Sie sich denn nicht einfach einmal mit dieser historischen Tatsache abfinden? Warum können Sie den Menschen in den neuen Bundesländern nicht endlich sagen: Es hat eine Bodenreform gegeben, und bei der bleibt es, so wie das völkerrechtlich vereinbart worden ist; mögen andere Entschädigungen oder sonst etwas bekommen, aber wir greifen in diese Struktur nicht mehr ein. Wenn die EU-Kommission entscheiden sollte, daß der bevorzugte Ankauf durch die Nachfolgeeinrichtungen der LPG eine Art Beihilfe ist, dann lösen Sie in den neuen Bundesländern eine Notstandssituation aus. Wenn Sie dann Krokodilstränen weinen, glaubt Ihnen das kein Mensch, weil jeder davon ausgeht, daß Sie genau das anstreben, daß Sie auf eine solche Entscheidung der EU-Kommission hoffen. ({11}) Wenn es in diesen Fragen schon um Ehrlichkeit geht: Herr Junghanns - auch Herr Luther -, ich hätte gerne Ihre Meinung zur Bodenreform in den Jahren 1988 oder 1989 gehört. Während Sie heute von „Unrecht" sprechen, klang das bestimmt ganz anders, als Sie noch der Stellvertreter von Herrn Maleuda waren. ({12})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Gysi, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ein letzter Satz: Wer das in der DDR alles mitgemacht hat und heute einen solchen Wandel vollzieht, sollte Herrn Maleuda und anderen nicht Unehrlichkeit vorwerfen. Er hat seinen Standpunkt nie so gewandelt, wie Sie es - je nach politischer Situation - getan haben. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Joachim Gres.

Joachim Gres (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000723, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Gysi, daß Sie sich jetzt als Verteidiger der Bodenreform dargestellt haben, verwundert mich eigentlich nicht. Denn diese Bodenreform ist nicht ausschließlich von den Sowjets eingeleitet worden, sie ist unter tatkräftiger Hilfe der Kommunisten durchgeführt worden. ({0}) Es waren Kommunisten, Herr Gysi, die damals, 1945, Menschen erschlagen haben. Es waren Kommunisten, ({1}) die die damaligen Bauern von ihren Gütern vertrieben haben. Es waren Kommunisten, die damals Elend über die Menschen gebracht haben. Es waren Kommunisten, die historisch gewachsene Strukturen zerschlagen haben. Das ist die historische Wahrheit. ({2}) Wenn Sie das hier im nachhinein verteidigen, kann ich das verstehen, weil Sie früher selber Kommunist waren. Es ist ein starkes Stück, daß wir uns das hier anhören müssen. ({3}) Wir haben mit unserer Kommission versucht, das aufzugreifen, was in den letzten vier Jahren, nach Verabschiedung des EALG, aufgelaufen ist. Im praktischen Vollzug hat es viele Probleme und Fragen gegeben, weil die Lebenswirklichkeit in den neuen Bundesländern, weil die faktischen Verhältnisse bei den betroffenen Menschen - sowohl bei den früheren Eigentümern als auch bei den Wiedereinrichtern und den Neueinrichtern - viel komplexer sind, als wir und die Verwaltungen und Behörden dies seinerzeit vorausgesehen haben. Ziel der Arbeit des von Professor Scholz geleiteten Arbeitskreises war es deshalb, nach vielen Gesprächen mit Sachkundigen und Betroffenen einen Beitrag dazu zu leisten, die im Vollzug des EALG aufgetretenen Erschwernisse und Probleme zu beheben und zu einem schnelleren und effektiveren Ablauf der Behördenentscheidungen zu kommen. Eine irgendwie geartete Gesetzesänderung, eine irgendwie geartete Schmälerung der Rechte der Wiedereinrichter und Neueinrichter oder gar ein Unterlaufen der Regelungen der Gesetze war nie beabsichtigt und ist mit den Vorschlägen der Union nicht verbunden. Meine Damen und Herren, es sind keine Beispiele gebracht worden, die diesen Vorwurf rechtfertigen würden. Insbesondere werden die Erwerbsrechte der landwirtschaftlichen Unternehmen in den neuen Bundesländern in keiner Weise eingeschränkt. Diese Unternehmen können die von ihnen gepachteten Flächen in den vom EALG vorgesehenen Umfang nach wie vor erwerben. Hier gibt es keinerlei Abstriche. Es gehört deshalb schon ein ganz gehöriges Maß an Demagogie dazu, wenn die SPD in Kenntnis des Scholz-Papiers von einem „Stopp der Privatisierung ehemaliger volkseigener Güter und Flächen" spricht. Davon ist kein Wort wahr. ({4}) Richtig ist lediglich, daß in einem Punkt des Papiers angeregt wurde, daß Verkäufe dieser Flächen an Nichtberechtigte, also ausdrücklich nicht an pachtende Neueinrichter oder pachtende Wiedereinrichter einschließlich LPG-Nachfolger, vorübergehend ausgesetzt werden sollen, soweit an dem Landerwerb derzeit ein Berechtigter kein Interesse zeigt. Dadurch soll verhindert werden, daß außenstehende Kaufinteressenten, Investoren, die da zum Beispiel Golfplätze bauen wollen, an den Berechtigten vorbei Fakten schaffen. Diese Forderung entspricht im übrigen dem gemeinsamen Forderungspapier der Ostbauernverbände. Es ist mir völlig unverständlich, wie man zum Beispiel diese vernünftige Maßnahme in einer so demagogischen Form, wie von der SPD geschehen, als eine „Destabilisierung der bestehenden landwirtschaftlichen Unternehmen" darstellen kann. Das Gegenteil ist der Fall. ({5}) Ein anderes Beispiel: Es wird in dem Papier klargestellt, daß Erbenansprüche nicht aufeinander angerechnet werden, weil zum Beispiel eine Person das Erbe des Vaters und des Onkels angetreten hat. Es handelt sich doch hier um eine bare Selbstverständlichkeit; denn wenn der Vater und der Onkel noch lebten, könnten sie unabhängig voneinander Land erwerben. Es ist schiere Demagogie, wenn diese Klarstellung von SPD-Seite als „Chance der Ritter zur Restaurierung des Großgrundbesitzes " dargestellt wird. Will die SPD denn den betroffenen Personenkreis in Sippenhaft nehmen und ihnen das Erbrecht wegnehmen? Wen will die SPD eigentlich schützen? Wenn Sie damit die LPG-Spitzen stützen wollen, dann will ich Ihnen einmal sagen, was Ihr neuer Spitzenkandidat, Herr Schröder, von denen hält: Im Osten sind die früheren LPGs mit Leuten besetzt, die das Wort Bauer kaum schreiben können. Das ist die Wahrheit, das sagt Ihr eigener Spitzenkandidat von diesen Leuten. ({6}) Meine Damen und Herren, so ließe sich jeder Vorschlag des Arbeitskreises der Union Punkt um Punkt darstellen. Wir wollen einen Beitrag zum Ausgleich zwischen den Positionen der Beteiligten in Anerkennung der komplexen und vielschichtigen Lebenswirklichkeit leisten. Wir glauben, daß das im Interesse aller Beteiligten ist. Deshalb sollten die sich jetzt ergebenden Diskussionen mit Ruhe und Umsicht geführt werden. Für irgendeine, von PDS und SPD bewußt im Wahlkampfinteresse geschürte, Aufgeregtheit besteht kein Anlaß. ({7})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Dr. Uwe Küster. ({0})

Dr. Uwe Küster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In mehrseitigen Anzeigen drohen die Alteigentümer Ihnen von der CDU/CSU und natürlich auch Ihnen von der F.D.P. mit Liebes-, mit Stimmentzug. Wenn es Politik wird, daß jemand droht und Sie springen, dann ist die Republik schon weit gekommen. ({0}) In den letzten Wochen sind ganze Seiten vom Verband der Alteigentümer mit solchen Anzeigen vollgedruckt worden. Einige von Ihnen nehmen diese auf und versuchen, daraus Politik zu machen. Sie versuchen, einen schwer gefundenen Kompromiß zu zerstören. Es ist gesagt worden, wie das von allen Seiten erlebt wird. Dazu gibt es, glaube ich, nichts mehr zu sagen. Jetzt wird an diesem komplizierten Kompromiß seitens einer Partei, die ein paar Schwierigkeiten hat - ich kann das verstehen; Schröder hat Ihnen gezeigt, daß es durchaus schwierig ist, mit ihm umzugehen -, herumgefummelt. Mit dieser Drohung zu leben, müssen Sie lernen. Das wird die Zukunft zeigen. Entscheidend ist aber der politische Umgang mit den Problemen. Weil Sie Angst haben, daß Machtverlust droht, kuschen Sie. Es gibt aber berechtigte Länderinteressen. Diese, natürlich besonders die ostdeutschen Länderinteressen, interessieren Sie überhaupt nicht. Sie lassen sie außen vor. Erst jetzt, nachdem ein Papier mit einem Kompromiß vorliegt, auf das das Kabinett gestern die Hand gelegt hat, fällt es dem Kanzleramtsminister ein, daß man mit den ostdeutschen Ländern reden sollte. Welches Verhältnis haben Sie eigentlich zu den Ländern? Die Länder haben, glaube ich, ein berechtigtes Interesse, an diesem Diskussionsprozeß beteiligt zu werden. ({1}) Meine Damen und Herren, ich kann nur davor warnen, an diesem Status quo herumzufummeln. Sie zündeln an dieser Stelle. Das gibt einen Flächenbrand. Ich warne davor. ({2}) Es geht auch nicht darum, daß Sie jetzt einseitig Interessen wahrnehmen. Denken Sie daran: Es ist ein Kompromiß, an dem alle Seiten, alle Länder mühsam mitgearbeitet haben. Ich will auch auf die Position eingehen, die der CDU-Bundesvorstand dazu einnimmt. Der hat das Papier gestern begrüßt, fand das sehr schön. ({3}) Ich zitiere hier ausdrücklich den CDU-Vize Bergner, Sachsen-Anhalt, der diesen Punkt substantiell kritisiert hat. Er konnte sich da nicht durchsetzen. ({4}) Ich will es einmal auf den Punkt bringen: Die ostdeutsche CDU hat hier eine Statistenrolle; das ist ganz klar. ({5}) - Wunderbarer Mann! Ihr habt verloren; das ist in Ordnung. Ich komme nun zu dem anderen Punkt, zu der mangelnden Rücksichtnahme auf ostdeutsche Interessen: Sie verunsichern. Das führt dazu, daß Investitionen gerade auch im Bereich der volkseigenen Güter geschoben werden. Sie meinen, da tut sich nichts. Gerade in dem Bereich tut sich aber sehr viel. Die Verunsicherung ist dort sehr groß! Ich habe den Eindruck, Sie wollen jetzt versuchen, unterhalb der Gesetzgebungsebene den Geist der Flächenerwerbsverordnung zu verfälschen. ({6}) - Da haben sie nicht mehr viel Zeit; das ist genau richtig. ({7}) Die ostdeutschen CDU-Abgeordneten haben natürlich begriffen, daß dies eine brandheiße Sache für ihre Länder ist. ({8}) - Sehr spät, natürlich; manche haben während der Sitzungen offensichtlich geschlafen. - Tatsache ist, daß Sie jetzt erst merken, daß an Ihnen vorbei eine politisch brisante Geschichte entwickelt wurde. Wenn ich jetzt zum Beispiel auf Herrn Krüger eingehe, der das einen „informellen Arbeitskreis" nennt, muß ich fragen: Mein Gott, wie weit wollen Sie das noch runterhängen? Hier gab es doch im vergangenen Jahr aus Leipzig einen eindeutigen Auftrag des Parteitages der CDU. Das hängen Sie runter nach dem Motto: Es war ja gar nicht so; wir wollen ja gar nichts machen. Tatsache ist, daß Sie versuchen, an dieser Stelle die ostdeutschen CDU-Kolleginnen und - Kollegen in Ihrer Fraktion zu überfahren. Machen wir uns nichts vor. Herr Luther meint, jetzt ist alles in Butter. ({9}) Er war nicht dabei. Dann war er doch dabei. Ich bin dankbar, Herr Scholz, daß Sie das aufgeklärt haben. Offensichtlich war er dabei. Aber er hat wahrscheinlich nicht ganz begriffen, auf was er sich da eingelassen hat. ({10}) Jetzt ist er in der Notlage, daß er das, was dort passiert ist, in Ostdeutschland verantworten muß. Davor wird ihm schon jetzt angst und bange. Da haben Sie recht. Am 27. September wird die Rechnung präsentiert. ({11})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Für die Bundesregierung spricht der Bundesminister Friedrich Bohl. ({0})

Friedrich Bohl (Minister:in)

Politiker ID: 11000230

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erstens. Sicherlich könnte man zu vielen Beiträgen der Opposition etwas anmerken. Dem will ich zwar nicht nachgeben, aber an die Adresse des Abgeordneten Gysi doch sagen: Man muß natürlich schon zwischen rechtsstaatlich möglichen und korrekten Enteignungen, die auch mit Entschädigungszahlungen verbunden sind, und der konfiskatorischen Wegnahme von Eigentum unterscheiden, wie das in der Zeit 1945 bis 1949 in den neuen Bundesländern - damals in der Sowjetischen Besatzungszone - geschehen ist. Daß das Unrecht war, sollte in diesem Hohen Hause nicht bestritten werden. ({0}) - So ist es. Ich sage es auch nur noch einmal. Zweitens. Ich möchte noch einmal ganz klar sagen, daß für die Bundesregierung die von 1945 bis 1949 insoweit geschaffenen Tatsachen unumkehrbar sind. Dazu haben wir uns in der deutsch-deutschen Erklärung vom 15. Juni 1990 verpflichtet. Wir haben uns dazu im Einigungsvertrag und auch im Zwei-plusVier-Vertrag bekannt. Insofern ist hierzu nichts Neues zu sagen. Auch die Aussagen, die der ehemalige Partei- und Staatschef Michail Gorbatschow vor kurzem getätigt hat, können daran nichts ändern. Diese Aussagen sind für die Bundesregierung nicht nachvollziehbar. Ministerpräsident a. D. de Maizière und andere haben dazu auf Grund der Aktenlage und ihrer Erinnerung das Notwendige gesagt. Das Bundesverfassungsgericht hat das zweimal bestätigt. Insofern brauchen wir das nicht ständig zu wiederholen. Die Enteignungen von 1945 bis 1949, die rechtswidrig waren, werden auf Grund der Verfassungslage, zu der sich die Bundesregierung ausdrücklich bekennt, nicht rückgängig gemacht. Drittens. Insoweit ist meiner Ansicht nach auch die Besorgnis, die hier geäußert wird, unzutreffend. Herr Abgeordneter Gysi und meine Herren Redner von der SPD, vor Ihnen steht jemand, der in der deutschen Öffentlichkeit, in den Medien und in Anzeigen, als Lügner, Heuchler, Betrüger und was weiß ich bezeichnet wird, weil er der Auffassung ist, daß die sogenannte Bodenreform unumkehrbar ist. Vor diesem Hintergrund - das werden Sie mir vielleicht nachsehen - sind die Vorwürfe, die Sie an die Adresse der Bundesregierung und damit auch an mich richten, wir wollten die Bodenreform durch die Vorschläge der Scholz-Kommission wieder rückgängig machen, geradezu absurd. Sie würden auch keinen Widerhall finden. ({1}) Viertens. Meine Damen und Herren von der Opposition, es ist nicht richtig, Herr Kollege Küster, was Sie behaupten, daß wir gesagt hätten, nun wollten wir auch einmal mit den Ländern sprechen. Ich habe mich als jemand - das darf ich in aller Unbescheidenheit sagen -, der maßgeblich an dem Zustandekommen des EALG beteiligt war, immer dazu bekannt, daß wir an den Regelungen festhalten und dies nur zusammen mit den Ländern hinbekommen. Sie müssen die Regelungen ja ausführen. Nachdem die Vorschläge der Scholz-Kommission vorliegen, die ich auf Grund einer gewissenhaften juristischen Prüfung für gut geeignet halte - hier kann man anderer Meinung sein; das ist dann ein fachlicher Streit, aber kein Streit um die Grundsätze -, werden sie jetzt mit den Ländern besprochen. ({2}) - Nein, wir haben den Stopp vollzogen, ({3}) den Verkaufsstopp an die Nichtberechtigten. Das hat Ihnen aber doch der Kollege Gres in aller Klarheit gesagt. ({4}) Es geht nicht um die nach dem EALG Berechtigten, die Sie vertreten, Herr Schwanitz. Ich bitte Sie, wir müssen ein Mindestmaß an intellektueller Redlichkeit bewahren. Was Sie sagen, stimmt doch nicht. Es geht um die Nichtberechtigten. ({5}) - Herr Schwanitz, Sie können es zum Beispiel als falsch bezeichnen, daß die kurzfristigen Verpachtungen konsumiert werden. Aber Sie können das nicht als Aushebeln der Bodenreform bezeichnen. Wir haben über 1 Million Hektar Land langfristig verpachtet. Nur diese sind vom EALG geschützt. Alles andere stimmt nicht, Herr Maleuda. 50 000 Hektar Land sind kurzfristig verpachtet. Selbst wenn man diesen Vorschlag für fachlich falsch hält, kann man nicht den Vorwurf erheben, daß damit bei einem Verhältnis von über 1 Million Hektar zu 50 000 Hektar die Bodenreform ausgehebelt wird. ({6}) Das ist für mich schwer nachvollziehbar. Das muß ich wirklich sagen. ({7}) Auch der erhobene Vorwurf ist absurd. Ich bitte, die Dinge doch wirklich nüchtern zu betrachten und sich unter Kontrolle zu halten. Wer hat sich denn in Brüssel für das EALG engagiert und eingesetzt und es verteidigt? Diese Bundesregierung. Woher nehmen Sie eigentlich die Berechtigung, jetzt den Vorwurf zu erheben, wir wollten sozusagen über den Weg Brüssel dieses Gesetz aushebeln? Sprechen Sie mit den zuständigen Generaldirektionen, sprechen Sie mit den zuständigen Kommissaren! Wir sind dafür, daß dieses Gesetz in dieser Fassung durchkommt. Ob es durchkommt, weiß ich nicht. Eines möchte ich aber schon klarstellen: daß diese Bundesregierung und diese Mehrheit ein Gesetz im Bundestag verabschiedet hat, das dann keine Zustimmung im Bundesrat und im Vermittlungsausschuß gefunden hat. Wenn es aber in der Fassung des Bundestages und der Koalition im Bundesrat beschlossen worden wäre, dann hätte Brüssel keine Einwände. ({8}) Die Unsicherheit, die wir jetzt haben, ist - ich will es neutral formulieren - durch die SPD, durch die neuen Länder entstanden. Ich habe Verständnis für Ihr Petitum, das Sie damals, im Jahre 1994, im Bundesrat vorgetragen haben; das kann ich nachvollziehen. Die Unsicherheit, die wir jetzt haben, ist dadurch entstanden. Ich werfe Ihnen das nicht vor. Ich finde es nur geradezu absurd, daß man eine so schwierige Materie, bei der man auch unterschiedlicher Meinung sein kann, so hochputscht und zum Anlaß nimmt, Emotionen zu schüren. Das ist der Bedeutung des Themas nicht angemessen, es ist der Komplexität der Materie nicht angemessen, und es ist auch den Gefühlen der Alteigentümer wie derer, die jetzt dort beruflich tätig sind, schlicht und einfach nicht angemessen. ({9}) Deshalb,wird die Bundesregierung diesen schwierigen Weg weitergehen, der genau in der Mitte ist. Die Alteigentümer haben ihre Rechte nach dem Gesetz, und diese werden wir, soweit es möglich ist, auch auf dem Verwaltungswege befördern. Auch die jetzt dort Tätigen haben ihre Rechte nach Verfassung und Gesetz, und auch diese werden gegen Herrn Gorbatschow und andere verteidigt. Das ist die Position dieser Bundesregierung. Daran halten wir fest. Ich wäre dankbar, wenn die heutige Debatte vielleicht nicht nur ein Stück Sachaufklärung leisten würde, sondern auch dazu beitragen würde, daß die Gespräche, die wir jetzt mit den neuen Ländern aufnehmen, in einem Klima stattfinden, daß wir in dieser Sache ein Stück weiterkommen und nicht weitere Hürden aufbauen. Herzlichen Dank. ({10})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Günter Marten.

Günter Marten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001425, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit zwei Wochen sorgen einige Seiten Papier, nämlich der Zwischenbericht des Arbeitskreises Enteignungen 1945 bis 1949 der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion, für Wirbel um die Bodenreform im Osten Deutschlands und die rechtliche Bewältigung 50 Jahre danach. Dieser Zwischenbericht hat zum Ziel, Erschwernisse und Probleme faktischer Art zu beheben, die bei der Durchführung des Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetzes, EALG, und der darauf beruhenden Flächenerwerbsverordnung entstanden sind. Verwaltungstechnische Dinge sollen effektiver und Verwaltungsentscheidungen beschleunigt werden, nicht mehr und nicht weniger. ({0}) Gesetzesänderungen sind nicht vorgesehen. Trotzdem irritiert dieser Zwischenbericht gerade im Osten sowohl Landwirte als auch Politiker. Sie sehen es als einen Versuch an, den Einigungsvertrag zu unterlaufen und das EALG sowie die Bodenreform auch über Brüssel auszuhebeln, und das ist falsch. Nach dem Einigungsvertrag können durch die Bodenreform enteignete Alteigentümer Land, das zu DDR-Zeiten Volkseigentum wurde, nicht zurückverlangen. Die Umkehrbarkeit der Enteignungen der Jahre 1945 bis 1949 hatten die DDR-Regierung und die Sowjetunion im Zuge der Aushandlung der Verträge zur deutschen Einheit verlangt und auch jeweils beschlossen. Im Anschluß daran folgte die Gemeinsame Erklärung der beiden deutschen Regierungen zur Regelung offener Vermögensfragen vom 15. Juni 1990. Diese ist dann zum Bestandteil des Einigungsvertrages geworden. Mein Wahlkreis liegt in Mecklenburg-Vorpommern. Dieses nördliche Bundesland wäre von Alteigentümeransprüchen ganz eindeutig am stärksten betroffen. Rund 500 000 Hektar Bodenreformland, also etwa die Hälfte der Landwirtschaftsfläche, sind noch nicht verkauft. Bei meinen Gesprächen mit Landwirten vor Ort wurde eines deutlich: Sie stört hauptsächlich ein Punkt: die nicht mehr erforderliche Verlängerung der Pacht nach dem Verkauf. Die Betriebe brauchen ein langfristiges Pachtrecht. Ansonsten sind Investitionen in den Sand gesetzt. Über diesen Punkt müßte meines Erachtens nachverhandelt werden; denn diese Planungssicherheit ist nur über einen Pachtzeitraum von mindestens 18 Jahren gewährleistet. ({1}) Außerdem muß der Verkauf an alle Berechtigten nun endlich losgehen. Dies deckt sich mit einem Schreiben des Bauernverbandes Mecklenburg-Vorpommern an mich, der auch zu Einzelfragen Stellung genommen und marginale Veränderungen angemeldet hat. Hier decken sich viele Dinge mit dem, was in dem Bericht, dem sogenannten Scholz-Bericht, enthalten ist. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 23. April 1991 den Restitutionsanspruch für verfassungsgemäß erklärt und nach einer neuerlichen Prüfung mit Beschluß vom 18. April 1996 diese Aussage bekräftigt. Auch der Deutsche Bundestag hat die Ergebnisse und die Unantastbarkeit der ostdeutschen Bodenreform des Jahres 1945 bis 1949 bestätigt. Diese gesetzlichen Grundlagen sind - das wissen wir alle - nicht mehr rückgängig zu machen. Wir wollen das auch in Zukunft nicht tun. Wir haben uns immer eindeutig für die Belange unserer Landwirtschaft eingesetzt und vor allen Dingen vieles zugunsten der Bauern durchgesetzt. Meiner Meinung nach bestand überhaupt kein Grund, heute mit einer Aktuellen Stunde eine Debatte zu entfachen, die nur dazu beiträgt, mit alten Kamellen unbegründete Ängste zu schüren. Gerade der SPD-Landwirtschaftsminister Funke aus Niedersachsen trat nämlich in Leipzig im Auftrage seines Ministerpräsidenten vehement für die Rechte und Interessen der Alteigentümer ein. Wer trotz besseren Wissens immer wieder aufs Neue das Gerede vom sogenannten Angriff auf die Bodenreform beginnt, also über das Schüren von Ängsten bei vielen Menschen im Osten versucht, Wahlkampf zu betreiben, der handelt unlauter und in höchstem Maße unverantwortlich. ({2}) Ich räume ein: Wir müssen zukünftig den Betroffenen noch mehr, noch intensiver und eindeutiger die Sorge davor nehmen, daß die gesetzlich verankerten Regelungen nun auf dem Verwaltungsweg umgangen werden sollen. Das ist nicht der Fall. Wir Abgeordneten aus den neuen Ländern verstehen die Unsicherheit der Betroffenen und setzen uns für eine unmißverständliche Formulierung des Berichts ein, der dann als Grundlage für Gespräche der Bundesregierung mit den Bundesländern dienen soll, so wie es begrüßenswerterweise der CDU-Bundesvorstand bereits beschlossen hat. Dazu ein Beispiel. Auf Seite 10 des Zwischenberichtes werden unter Punkt 2 die Ansprüche der Miteigentümer angesprochen. Man könnte den Eindruck gewinnen, daß der Berechtigungskreis ausgeweitet werden soll.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Günter Marten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001425, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist aber seitens der Verfasser nicht beabsichtigt. Weitere marginale Veränderungen und die bereits angesprochene Verpachtungsverpflichtung wären schon ausreichend, um sich schnell auf eine von allen getragene Lesart zu einigen.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen. ({0})

Günter Marten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001425, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich möchte das jetzt geschlossen zum Ende bringen. ({0}) Der Kollege kann gerne in einer Kurzintervention dazu noch einmal seine Meinung darlegen.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, ich gebe Ihnen noch einen Satz. Dann ist Ihre Redezeit beendet.

Günter Marten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001425, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluß. - Auch die Länder haben ein berechtigtes Interesse daran, bestehende Blockaden abzubauen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Die Aktuelle Stunde ist damit beendet. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b sowie den Zusatzpunkt 2 auf: 3. a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck ({0}), Winfried Nachtwei, Christa Nickels, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Unrechtsurteile und zur Nichtigkeit nationalsozialistischer Rechtsvorschriften - Drucksache 13/9747 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß ({1}) Innenausschuß b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Herta Däubler-Gmelin, Hermann Bachmaier, Dr. Michael Bürsch, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege und von Sterilisationsentscheidungen der ehemaligen Erbgesundheitsgerichte - Drucksache 13/9774 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß ({2}) Innenausschuß Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ZP2 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege ({3}) - Drucksache 13/10013 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß ({4}) Innenausschuß Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe dem Abgeordneten Norbert Geis das Wort.

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren heute in erster Lesung über die Gesetzentwürfe der SPD, der Grünen sowie der Koalition zur Aufhebung von NS-Unrechtsurteilen und darüber hinaus über die beantragte Aufhebung der Entscheidungen der Erbgesundheitsgerichte. Man könnte angesichts dieser Debatte sehr schnell fragen: Warum das jetzt nach 50 Jahren? Es gab doch Länderregelungen, zumindest in den westlichen Bundesländern, nach denen rehabilitiert worden ist. Es könnte der Eindruck entstehen, in den vergangenen 50 Jahren sei nichts geschehen. Im Gegenteil: Es ist eine ganze Reihe von Urteilen aufgehoben worden. Die diesbezüglichen Länderregelungen haben funktioniert. Daran gab es eigentlich nie ernsthaften Zweifel. Wir haben in den vergangenen Monaten und Wochen immer wieder darauf hingewiesen, weil uns dies notwendig erschien und nicht der Eindruck entstehen darf, als sei in den letzten 50 Jahren des Bestehens der Bundesrepublik Deutschland insoweit nichts passiert. Das wäre ein fataler Eindruck. Wir haben uns in den letzten 50 Jahren immer wieder mit unserer Vergangenheit beschäftigt. Unsere Vergangenheit wird uns auch in Zukunft immer wieder einholen. Das wird nicht ausbleiben. Dieses dunkelste Kapitel unserer Geschichte wird uns bis zum Ende unserer Geschichte bleiben. Darauf hinzuweisen erscheint mir notwendig, damit der falsche Eindruck, der zunächst entstehen konnte, nicht bestehenbleibt. Der Bundestag hat sich in einer ganzen Reihe von Gesetzen mit der Rehabilitierung und der Wiedergutmachung von Naziunrecht beschäftigt. Er hat zur Wiedergutmachung gemeinsam, oft einstimmig ein Finanzvolumen von insgesamt mindestens 100 Milliarden DM beschlossen. Natürlich gab es immer wieder Diskussionen darüber, ob man nicht über die Länderregelungen hinaus eine bundeseinheitliche Regelung für die Aufhebung von Strafurteilen treffen solle. Aber schon der erste Bundesminister der Justiz, Thomas Dehler, hat dies damals mit dem Hinweis zurückgewiesen, daß solche Rehabilitierungsmöglichkeiten bereits auf Länderebene existierten und deshalb kein Bedürfnis bestehe. Wir müssen uns bei dieser Diskussion auch immer wieder darüber im klaren sein, daß wir nicht alles Unrecht, das damals geschehen ist, wiedergutmachen können, einfach deshalb nicht, weil es nicht nur um Sondergerichtsurteile geht, sondern auch um Urteile der ordentlichen Gerichte, nicht nur um Urteile, die sich auf reine Naziunrechtsgesetze stützen, sondern auch um Urteile, die sich auf Gesetze stützen, die noch heute existent sind, die aber in einer vielfältigen und heute nicht mehr verifizierbaren Weise gebeugt bzw. mißbraucht worden sind. Dessen müssen wir uns bewußt sein. Wir müssen auch wissen, daß wir mit pauschalen Regelungen vorsichtig umgehen müssen. Der ehemalige Bundesminister der Justiz, Engelhard, hat 1989 den Versuch unternommen, eine bundeseinheitliche Regelung vorzulegen, und hat damals ausdrücklich keine pauschale Aufhebung von NS-Unrechtsurteilen vorgesehen, sondern eine Aufhebung auf Antrag hin. Die SPD und die Grünen gehen den Weg der pauschalen Aufhebung. Wir differenzieren in unserem jetzt vorgelegten Gesetzentwurf. Wir sagen: Pauschal aufgehoben werden sollen auf jeden Fall Urteile, die sich ausschließlich auf NS-Unrechtsgesetze stützen. Wenn es sich aber um Urteile handelt, die sich teilweise auf NS-Unrecht und teilweise auf noch heute bestehende Gesetze stützen, dann sehen wir in unserem Entwurf nach wie vor die Einzelaufhebung vor. Ich meine, daß diese Differenzierung unbedingt angezeigt und notwendig ist. In dieser Debatte sollten auch die kritischen Stimmen nicht überhört werden, die sich gegen eine vom Gesetz her vorgesehene Rehabilitierung nun mit der Begründung wenden, ein solcher späterer Freispruch durch Rehabilitierung würde dem heldenhaften Mut der Widerstandskämpfer nicht gerecht. Klaus von Dohnanyi hat in einem Rundfunkinterview im Juli 1996 erklärt, daß die Bemühungen um Rehabilitierung ein absurdes Ziel verfolgten, weil die Widerstandskämpfer längst durch die Geschichte rehabilitiert seien. In der Tat, durch ihren Opfergang haben sie vielmehr uns, das deutsche Volk, rehabilitiert. Ich meine aber, daß es nicht nur um die prominenten Opfer geht. Es geht auch um die vielen Opfer, die nicht so im Vordergrund gestanden haben, die aber dennoch Opfer von Naziunrecht sind. Für sie brauchen wir eine Rehabilitierung. Deswegen waren die Rehabilitierungsgesetze der Länder richtig. Und deswegen ist es sicherlich richtig, sich heute noch Gedanken darüber zu machen, ob wir nicht eine bundeseinheitliche Regelung brauchen. Ich habe schon betont, daß in den alten Bundesländern eine Rehabilitierungsmöglichkeit besteht. Sie besteht aber nicht in den neuen Bundesländern. Es gibt zwar eine Rehabilitierungsmöglichkeit in Thüringen, vielleicht auch - das ist noch nicht ganz heraus - in Brandenburg. Aber wie auch immer - es gibt sie nicht in den übrigen neuen Bundesländern. Unsere Idee, die Idee der CDU/CSU-Fraktion, war, die neuen Bundesländer aufzufordern, selbst, in eigener Kompetenz, in ihrem Bereich eine entsprechende Rehabilitierung einzuführen, so wie das die alten Bundesländer schon 1946 gemacht haben. Die neuen Bundesländer denken daran aber offenbar nicht. Dort steht, mit Recht, die Rehabilitierung der Opfer des DDR-Regimes im Vordergrund. Weil dies so ist, meinen wir, daß wir nun doch durch eine bundeseinheitliche Regelung dafür Sorge tragen müssen, daß diese Lücke in Deutschland geschlossen wird. Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich kurz auf die Begründung der einzelnen Gesetzentwürfe eingehen. Die SPD und auch die Grünen begründen ihr Gesetzesvorhaben damit, daß die Länderregelungen zum großen Teil in Vergessenheit geraten seien und deswegen eine bundeseinheitliche Regelung notwendig sei. Nun ist das Vergessen von Gesetzen kein seriöser Grund, ein neues Gesetz zu erlassen. Diese kann man ja aus dem Vergessen wieder herausholen und an die Öffentlichkeit bringen. Es gab immerhin eine Initiative um Frau Bärbel Bohley, die gefordert hat, daß Bonhoeffer durch einen Beschluß des Bundestages rehabilitiert werden solle - völlig in Unkenntnis darüber, daß Bonhoeffer, wie das Landgericht Berlin 1996 auf einen entsprechenden Antrag hin festgestellt hat, bereits im Jahre 1946 durch das Gesetz Bayerns rehabilitiert worden ist. Wir brauchen auch, wie ich meine, kein eigenes Bundesgesetz, weil die Ländergesetze unterschiedlich sind. Man kann sich natürlich darüber unterhalten, ob man zur größeren Klarheit nicht doch ein bundeseinheitliches Gesetz braucht. Eigentlich aber ist das in einem Bundesstaat hinzunehmen. Es gibt immer unterschiedliche Denkweisen und unterschiedliche Regelungen. Insgesamt aber - das sei festgestellt - haben die in den westlichen Bundesländern bestehenden Regelungen bislang funktioniert. Man darf auch nicht übersehen, daß in der Zeit der sozialliberalen Koalition der Gedanke an eine bundeseinheitliche Regelung, überhaupt an Rehabilitierung völlig stumm geworden ist. Bundeskanzler Schmidt hat in seiner Regierungserklärung 1974 erklärt, daß dieses Kapitel abgeschlossen sei. Auf eine entsprechende Anfrage des Abgeordneten Fritz Wittmann hat am 19. Dezember 1974 der damalige Parlamentarische Staatssekretär aus dem Bundeskanzleramt erneut erklärt, daß auch die strafrechtliche Rehabilitierung von Naziunrecht abgeschlossen sei. Das muß man sich einmal vergegenwärtigen. Auch der Bundestag hat in seinem Beschluß vom 14. November 1984, als es darum ging, die Volksgerichtshofsurteile für nichtig zu erklären, in der Begründung ausgeführt, daß ja Gesetze in den Bundesländern bestünden und diese eine ausreichende Grundlage zur Aufhebung von Naziunrecht, soweit es auf strafrechtlicher Seite geschehen ist, böten. Auch 1990, als auf Grund einer Bundesratsinitiative der Bundestag für die ehemalige britische Besatzungszone partiell Bundesrecht zur Rehabilitierung von Naziunrecht geschaffen hat, gab es zunächst einmal keinen Gedanken an eine bundeseinheitliche Regelung. Ferner wird immer wieder behauptet, man könne heute nach diesen Gesetzen in den Ländern keine Anträge mehr stellen. Das ist ebenso falsch. Das beweist letztendlich die Entscheidung des Landgerichtes Berlin aus dem Jahre 1996, das den Antrag ausdrücklich für zulässig erklärt hat. Im übrigen entspricht es der geltenden Rechtsprechung, daß solche Anträge nach wie vor möglich sind. Aber heute, nach 50 Jahren, können andere Wertungen und andere Gesichtspunkte durchaus Anlaß dafür sein, ein bundeseinheitliches Gesetz zu schaffen. Ich meine, daß wir uns von der CDU/CSU-Fraktion zusammen mit der F.D.P. in der Koalition mit Recht dazu entschlossen haben, nun doch eine bundeseinheitliche Regelung zu schaffen; einmal, weil wir der Auffassung sind, daß in den neuen Bundesländern eine Lücke existiert, die geschlossen werden muß, zum anderen, weil wir meinen, daß ein Anlaß besteht, bestimmte formell noch bestehende Urteile auch formell aufzuheben. Das gilt zum Beispiel für Urteile von Gerichten in den ehemals von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebieten, insoweit Ausländer verurteilt worden sind. Wenn Deutsche verurteilt worden sind, hatten sie nach dem Zuständigkeitsergänzungsgesetz schon immer die Möglichkeit, sich rehabilitieren zu lassen. Aber das gilt nicht für Ausländer. Diese Urteile - zumindest im Verhältnis von Ausländern zu Wehrmachtsgerichtsurteilen - bestehen formell heute noch, wenn sie auch keine Wirkung mehr haben. Wir meinen, sie sollten auch formell aufgehoben werden. - Das sind für uns die wichtigsten Gründe, weshalb wir meinen, eine bundeseinheitliche Regelung versuchen zu müssen. Das gilt auch für die Standgerichte. Wir sind der Auffassung, daß die Standgerichte - das wird in der Rechtswissenschaft weithin vertreten - im Grunde genommen ein juristisches Nullum sind, weil sie keinerlei rechtsstaatlichen Maßstäben entsprechen. ({0}) Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, ihre Urteile sind formell in der Welt. Sie müssen desNorbert Geis halb - das ist wohl richtig - auch formell aufgehoben werden, ohne daß wir damit nachträglich diesen standgerichtlichen Urteilen in irgendeiner Weise eine juristische Legitimation, einen juristischen Anstrich verleihen. Das wäre der falsche Weg. Das wollen wir damit nicht. Aber wir wollen sie, weil sie formell in der Welt sind, auch formell aufheben, und das in einer pauschalen Weise. Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Gegensatz zur SPD und zu den Grünen sehen wir jedoch keine pauschale Aufhebung von Urteilen vor, die wegen Fahnenflucht ergangen sind, und zwar deswegen nicht, weil Fahnenflucht schon vor 1933 - auch mit Todesfolgen - verurteilt werden konnte. Wir sind der Meinung, daß solche Urteile, die in anderen demokratischen Ländern auch heute noch möglich sind, nicht pauschal, sondern nur im Einzelfall aufgehoben werden können. Da gibt es allerdings - das darf dabei nicht untergehen - genügend Urteile, die Unrecht sind. Wir haben uns ja darüber im Mai letzten Jahres in einer Entschließung des Bundestages geeinigt. Wir meinen, daß eine Einzelfallentscheidung hier notwendig ist. Das gilt auch für die Wahlfeststellung. Nach dem SPD-Entwurf und dem der Grünen soll die Wahlfeststellung aufgehoben werden, die 1935 von der Nazigesetzgebung erlassen worden ist. Aber die Wahlfeststellung hat die Rechtsprechung schon vor 1933 gehandhabt, und nach ihr sprechen die heutigen Gerichte immer noch Recht. Diese Wahlfeststellung wollen wir aufrechterhalten. Insofern meinen wir, daß wir dem SPD-Entwurf und dem Entwurf der Grünen nicht folgen können. Deswegen halte ich es für richtig, einen eigenen Entwurf vorzulegen. Überhaupt meine ich, daß die Hauptkritik an dem Entwurf der SPD und dem der Grünen darauf basiert, daß dort eine zu rigorose Pauschalaufhebung vorgesehen wird. Wir sind für eine Differenzierung. Wir meinen, daß diese differenzierte Betrachtungsweise angezeigt ist. Lassen Sie mich zum Schluß noch sagen: Unsere eigentliche Aufgabe kann nicht in der Rehabilitierung von Naziunrecht in den letzten 50 Jahren bestehen. Das ist sicherlich eine wichtige Aufgabe. Aber wichtiger ist die Aufgabe - darauf möchte ich hinweisen -: Rehabilitierung von Unrecht, das in der ehemaligen DDR ergangen und das noch längst nicht aufgehoben ist. ({1}) - Damit will ich nicht, Herr Beck, die Richtigkeit eines solchen Gesetzes, das wir heute in erster Lesung beraten, hintanstellen. Aber ich möchte in diesem Zusammenhang zweifellos darauf hingewiesen haben. Ich halte es für richtig. Danke schön. ({2})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort der Abgeordneten Frau Dr. Herta DäublerGmelin.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich hatten wir uns ja - so lautete der Konsens der vergangenen zwei Jahre - darauf vorbereitet, über die Frage der Aufhebung der NS-Unrechtsurteile und ihres formellen Scheins der Gültigkeit an Hand eines Gesetzentwurfs zu reden, den der Bundesjustizminister in den Bundestag einbringen sollte. Wir hatten deshalb unsere Gesetzentwürfe zurückgestellt, weil wir der Meinung waren und sind, daß die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts und deswegen auch die Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile eine Sache aller Verfassungsparteien dieses Hauses sei. ({0}) An diesem Grundsatz hätten wir gerne festgehalten; er muß gar nicht weiter begründet werden. Man kann es sowieso nicht besser tun, als es Adolf Arndt schon 1956 in seinem berühmten Aufsatz „Warum und wozu Wiedergutmachung" herausgestellt hat. Er hat damals gesagt: Wir bedürfen heute - das war Mitte der 50er Jahre, damals war Anlaß dafür vorhanden der Erkenntnis, daß Unrecht schändet, und zwar den schändet, der Unrecht tut oder in dessen Namen es verübt wird. Wiedergutmachung tut deshalb uns allen not, auf daß wir vor uns selbst wieder ehrlich werden und den vom Unrecht Verletzten die Versöhnung mit ihrem Volk und ihrem Staat ermöglichen. Und unter Hinweis auf Theodor Heuss, den damaligen Bundespräsidenten, fügte er hinzu: Es geht für die sittlich denkenden Menschen um die Wiedergutmachung an ihnen selber. Sehr wahr! Gerade deshalb haben wir eine um so größere Enttäuschung empfunden, als gegen Ende letzten Jahres die CDU/CSU-Fraktion erklärte: Erstens brauchen wir kein Bundesgesetz; zweitens gibt es dafür keinen Bedarf, und zum dritten sind wir der Meinung - so befand die CDU/CSU-Bundestagsfraktion -, daß der vom Bundesjustizminister fertiggestellte Referentenentwurf nicht in den Bundestag eingebracht werden soll. Uns hat das geärgert, weil diese Stellungnahme in der bruchlosen Kontinuität von Stellungnahmen seit 1950 stand, an denen bisher jeder Versuch gescheitert war, diese NS-Unrechtsurteile, die bis heute den formalen Schein des Rechts für sich beanspruchen konnten, aufzuheben. Das ging seit 1950 so, als Zinn und Adolf Arndt zusammen mit der übrigen sozialdemokratischen Bundestagsfraktion den ersten Gesetzentwurf eingebracht haben. Auch deswegen hat uns die CDU-Erklärung besonders geärgert, weil wir in der Zwischenzeit ja wissen, wie unterschiedlich die bestehenden landesgesetzlichen Regelungen sind, wie wenig sie zusammenpassen und wie lückenhaft die Rechtsanwendung im einzelnen ist, so daß wir heute selbstverDr. Herta Däubler-Gmelin ständlich den Bedarf einer einheitlichen, bundesgesetzlichen Regelung bejahen müssen. ({1}) Ich finde es deswegen sehr gut - lassen Sie mich das ausdrücklich sagen -, daß der Kollege Geis nach dem Beschluß der CDU/CSU-Bundestagsfraktion von gestern und nach dem Beschluß der F.D.P.-Fraktion von dieser Woche heute erklärt hat, daß die Union jetzt bereit ist einzulenken. Lassen Sie mich aber an dieser Stelle noch einmal sehr deutlich sagen, daß wir, die Sozialdemokraten, die Initiative zu dieser Debatte heute nicht deswegen ergriffen haben, damit jetzt die Auseinandersetzung von der Ebene des Allgemeinen auf die Ebene der Details verlagert wird. Wir werden darauf bestehen, daß der Gesetzentwurf dieses Bundestages zur Aufhebung der NS-Unrechtsurteile noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird und in das Bundesgesetzblatt kommt. ({2}) Ich sage das deshalb, verehrter Herr Geis, weil ich hoffe, daß Sie nochmals überdenken, was Sie gerade gesagt haben. Ich meine nämlich in der Tat, daß Sie einige Ihrer Überlegungen revidieren müßten. Sie werden gleich sehen, welche ich meine. Lassen Sie mich noch einmal auf die leidvolle Geschichte dieses Gesetzesvorhabens rekurrieren, ohne daß ich jetzt in gleicher Weise wie Sie die Kette der Schuldzuweisungen fortsetze. Wir hätten dazu zwar allen Anlaß. Aber warum sollten wir das tun? Das verdunkelt doch nur die Gemeinsamkeiten des Ziels auf der Wegstrecke, die wir jetzt in den kommenden drei Monaten gemeinsam gehen müssen. Die aktuelle Diskussion ist ja bekanntlich vor zwei Jahren erneut aufgeflammt, als sich eine Bürgerinitiative darüber Sorgen machte, daß selbst das sogenannte Urteil des SS-Standgerichtes gegen Dietrich Bonhoeffer, den bekannten Theologen und Widerstandskämpfer und Mitglied der Bekennenden Kirche, der Anfang April 1945 in Flossenbürg ermordet wurde, nachdem gegen ihn ein Scheingerichtsverfahren stattgefunden hatte, heute noch formalen Bestand hätte. Die Sorge dieser Bürgerinitiative und der Öffentlichkeit war unbegründet. Das wissen wir, Herr Geis. Sie war deswegen unbegründet, weil eben - das hat das Kammergericht natürlich auch herausgestellt - in Bayern unter Ministerpräsident Hoegner die Proklamation Nummer 3 des alliierten Kontrollrats aus dem Jahre 1945 wie in den anderen Ländern der amerikanischen Zone auf diese Weise umgesetzt worden war. Nur: Das Problem besteht darin - wir haben es auch schon vor zwei Jahren gesehen -, daß das bei Dietrich Bonhoeffer zwar relativ einfach festzustellen war, bei anderen aber nicht. Ich darf Sie an das erinnern, was sich noch 1996 an Peinlichkeiten um Propst Lichtenberg abgespielt hat. Propst Lichtenberg war 1942 durch ein NS-Sondergericht deswegen verurteilt worden, weil er in Predigten Kritik an der Behandlung von Behinderten und Kranken und an Judendeportationen durch die NS-Stellen geübt hatte. Das Landgericht Berlin konnte, weil Berlin eben zu einem speziellen besatzungsrechtlichen Gebiet gehörte, nur auf Antrag der Angehörigen entscheiden, daß dieses Urteil auch formal keinen Bestand mehr hat. Damit komme ich zum Kern des Problems, nämlich zu den unstimmigen und lückenhaften gesetzlichen Regelungen - je nach Besatzungszonen und Ländern - im Nachkriegsdeutschland. Welche Peinlichkeit damals in Berlin! Wenige Tage bevor der Papst dorthin kam und Propst Lichtenberg seliggesprochen hat, hat man es gerade noch geschafft, dieses Unrechtsurteil aufzuheben. Andere Fälle, zum Beispiel der des Theologen Peter Gapp, sind nicht gelöst. Sie haben Hans von Dohnanyi erwähnt. Es gibt andere Widerstandskämpfer, deren Angehörigen man nur raten konnte, sich deswegen, weil diese Scheinurteile zufällig in bestimmten territorialen Bereichen gesprochen worden waren, die später dann besatzungs- und länderrechtlich spezifischen Regelungen unterlagen, mit einem Antrag um Aufhebung an ein bundesrepublikanisches Gericht zu wenden. Viele dieser Angehörigen haben dies meiner Ansicht nach völlig zu Recht abgelehnt. Sie haben es abgelehnt, einen Antrag bei einem bundesrepublikanischen rechtsstaatlichen Gericht zu stellen, weil schon dieser Schritt bedeutet hätte, daß sie zunächst einmal hätten anerkennen müssen, daß das, was damals gegen Hans von Dohnanyi und viele andere an Unrecht begangen worden war, auch nur den Schimmer einer Vermutung des Rechts für sich hatte in Anspruch nehmen können. Das ist falsch. Die Verfahren und deren Rechtsgrundlagen in der Nazizeit waren Unrecht. Es kann und konnte niemandem zugemutet werden, so zu tun, als sei das auch nur formal Recht. Ich will hier noch einmal ausdrücklich feststellen, daß unser Rechtsstaat insgesamt eine genuine Bringschuld hatte und hat, diese NS-Unrechtsurteile aufzuheben, ({3}) und zwar ein für allemal, grundsätzlich und durch eine bundesrechtliche Regelung. Nochmals: Wir brauchen diese bundesrechtliche Regelung deshalb, weil, ausgehend von der Kontrollratsproklamation, die Umsetzungen je nach Besatzungszone unterschiedlich waren: Mal hatten sie mit und mal ohne Antrag vonstatten zu gehen, sie liefen unter Beachtung ganz unterschiedlicher Fristen, auch unter Beachtung unterschiedlicher, nicht übereinstimmender Sachgebiete. ({4}) Wir brauchen sie natürlich auch noch aus einem ganz anderen, aus einem praktischen Grund. Die damalige Justizsenatorin Berlins, Frau Dr. Peschel-GutDr. Herta Däubler-Gmelin zeit, die heute Justizsenatorin in Hamburg ist, hat vor zwei Jahren anläßlich der Überprüfungen durch das Kammergericht festgestellt, daß allein in Berlin - zugegeben in einem Bereich, wo durch das Wüten des Volksgerichtshofs und anderer zentraler Sondergerichte besonders viele Fälle angefallen sind - mehr als 200 000 NS-Unrechtsurteile diskriminiert seien, mehr als 200 000 Urteile ausschließlich in Berlin! Sie hat auch gesagt, wie sich diese Zahl zusammensetzt: Es waren rund 7000 Entscheidungen des Volksgerichtshofs, mehr als 10 000 diskriminierte Entscheidungen des Reichsgerichts, mehr als 40 000 Entscheidungen der Hoch- und Landesverratssenate beim Kammergericht, mehr als 50 000 Entscheidungen der Berliner Sondergerichte und mehr als 75 000 Entscheidungen der Kriegsgerichte in Berlin. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie dazu noch die Hunderttausende von Entscheidungen der sogenannten Erbgesundheitsgerichte, die wir ausdrücklich mit einbeziehen wollen, hinzunehmen, dann werden Sie feststellen, daß ein Antragsverfahren oder eine Einzelfallprüfung nicht nur aus grundsätzlichen Erwägungen nicht in Betracht kommt, sondern einfach auch deswegen, weil sie außerhalb jeder praktischen Möglichkeit liegt. Deswegen brauchen wir eine gesetzliche Aufhebung aller dieser Entscheidungen, und wir brauchen sie schnell. Was ist nun unsere konkrete Aufgabe für die nächsten Wochen? Wir haben ja nicht mehr viel Zeit, weil wir darauf bestehen, daß entweder im April oder im Mai die abschließende Lesung dieses Gesetzes stattfindet. Wir werden das anmahnen. Wir sind der Meinung, daß es jetzt unsere Aufgabe ist, die vorgelegten Gesetzentwürfe zusammenzubringen. Wenn man guten Willen mitbringt, ist das nicht schwer, weil sie sich inhaltlich ähneln. Wir sind dankbar, daß sich der Bundesjustizminister - das ist nicht verwunderlich, weil er der Bitte von zahlreichen Seiten, nicht nur dieses Hauses, gefolgt ist; er hat auch die Bitte der Justizministerkonferenz umgesetzt - an die Systematik des sozialdemokratischen Gesetzentwurfs von 1950 gehalten und eine Aufhebung der Urteile qua Gesetz vorgesehen hat. Ich halte das für vernünftig. Es wäre auch schon 1950 vernünftig gewesen. Der damalige Justizminister Dehler, verehrter Herr Kollege Geis, hat dem nicht nur unter Behauptung fehlenden Bedarfs, was aus heutiger Sicht - wie wir wissen - ein großer Irrtum gewesen ist, sondern auch deswegen widersprochen, weil er gemeint hat, der rechtsstaatliche Grundsatz der Rechtssicherheit stehe dem entgegen. Was er damals gesagt hat, fand ich nicht sehr klug. Aber auch große Leute können irren. Wir wollen - damit komme ich zu unserem Gesetzentwurf - aber noch etwas mehr. Ich gehe jetzt auf das ein, was Sie gesagt haben, Herr Kollege Geis. Wir bitten Sie ausdrücklich darum, die Judikate der sogenannten Erbgesundheitsgerichte mit einzubeziehen. Wir wissen, daß es dazu im Justizministerium einen Referentenentwurf gibt. Auch das wundert uns nicht; die Vorarbeiten sind auch hier schon etwas älter. Wir sind der Meinung, auch diese Entscheidungen können und müssen einbezogen werden. Ich darf Ihnen vor Augen führen, worum es dabei geht. Auf Grund des Erbgesundheitsgesetzes, dieses frühen Nazigesetzes, das am 1. Januar 1934 in Kraft getreten ist, sind Hunderttausende von Menschen - selbstverständlich gegen ihren Willen - aus ideologischen Gründen sterilisiert worden: Menschen, die einen Klumpfuß hatten; Menschen, die ein Gehörleiden hatten; Menschen, die blind waren; depressive Menschen und Menschen mit geistigen Behinderungen. 350 000 Menschen - ich wiederhole: 350 000 -sind sterilisiert worden, das heißt, für ihren folgenden Lebensweg verkrüppelt worden. Von diesen Menschen, die dieses schwere Schicksal erdulden mußten, leben heute noch über 50 000. Ich bin ganz sicher, daß auch Sie solche Menschen kennen. Ich kenne einige. Ich weiß, wie schwer sie an diesen Leiden getragen haben und wie sehr sie darauf hoffen, daß ihnen endlich Gerechtigkeit widerfährt, soweit das überhaupt noch möglich ist. Mit der Aufhebung dieser Sterilisationsentscheidungen, dieses NS-Unrechts, können wir ihnen Gerechtigkeit widerfahren lassen. Deswegen sind wir zum Handeln aufgerufen und müssen das auch tun. ({5}) Ich komme zu einem weiteren Punkt, den Sie, Herr Geis, angesprochen haben. Sie wollen, daß Urteile durch die gesetzliche Aufhebungsbestimmung, die wir beschließen wollen, nicht für aufgehoben erklärt werden, wenn sie sich auf Recht stützen, das vor dem 30. Januar 1933 erlassen wurde. ({6}) Sie haben insbesondere den Fall der Deserteure erwähnt. Hierbei geht es um das Militärstrafgesetzbuch aus dem Jahre 1926. Ich glaube, daß das, was Sie gesagt haben, nicht Ihr Ernst sein kann, obwohl Ihnen ein erster Blick einen gewissen Schein von Vernunft zuspricht. Aber sofort, wenn Sie ins Detail gehen, beginnen die Probleme: Wenn zum Beispiel im Jahre 1942 ein Nazi-Kriegsgericht einen jungen Soldaten, der bei der zweiten Desertion erwischt worden war, zum Tode verurteilte, handelte es sich natürlich genauso um nationalsozialistisches Unrecht, wie wenn das Urteil auf Grund einer anderen Bestimmung ergangen wäre. Das gilt auch, obwohl diese Bestimmung bereits 1926 im Militärstrafgesetzbuch stand. Ich glaube, es kann niemandem verborgen bleiben, daß der Unterschied zwischen der Weimarer Zeit und der NS-Zeit ein gravierender und ein grundsätzlicher ist, ein prinzipieller Unterschied. ({7}) Deshalb und auch deswegen, weil die Wehrbeauftragte ausdrücklich darauf hingewiesen hat, daß die Bundeswehr als demokratische und unserer Verfassung verpflichtete Armee auf ihren eigenen Traditionen aufbauen und weder die Traditionen der Naziwehrmacht noch die der Wehrmacht der Weimarer Zeit in sich aufnehmen sollte, bitten wir Sie, diese Überlegungen nochmals zu überdenken.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Geis?

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte schön.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Bitte, Herr Kollege Geis.

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, wir sind selbstverständlich bereit, alle Überlegungen mit zu bedenken. Aber stimmen Sie mit mir überein, daß dann, wenn es richtig ist - wie Sie gesagt haben -, daß es allein Naziunrecht war, daß im Jahre 1942 ein Deserteur zum Tode verurteilt worden ist, alle Urteile, die auf Gesetzen beruhen, die noch heute Gültigkeit haben, die aber auf Grund von Rechtsbeugung Naziunrecht sind, pauschal aufgehoben werden müßten? Gehen wir da nicht zu weit, Frau Kollegin? ({0})

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, Herr Kollege Geis, ich glaube nicht, daß wir zu weit gehen. Meine Bitte ist, daß Sie sich das noch einmal überlegen. Auch ich kenne die Bestimmungen der §§ 70 und 71 des Militärstrafgesetzes aus dem Jahre 1926. Ich habe schon gesagt: Ich habe ein gewisses Maß an Verständnis für den Schein der demokratischen Legitimität eines Gesetzes aus der Weimarer Zeit. Seine Anwendung in der Nazizeit war aber eine spezifisch nationalsozialistische, also nicht eine, die erst im Einzelfall überprüft werden muß oder kann. Deswegen sollten Sie Ihre Ausnahmeforderung noch einmal überdenken, und wir sollten erneut darüber reden. Ich sehe kommen, daß Sie erneut viele Fälle neuen Unrechts auftun, wenn Sie an dieser Ausnahme festhalten. ({0}) Ich habe noch einen zweiten Bereich, den ich Ihnen sehr deutlich vor Augen führen will. Wir haben diesen Fehler übrigens in § 3 unseres Gesetzentwurfes übernommen. Wir haben ja im wesentlichen den Gesetzentwurf des Justizministeriums eingebracht, allerdings um die Erbgesundheitsgerichte ergänzt, weil wir ein gemeinsames Vorgehen mit Ihnen als absolut vordringlich erachtet haben. In § 3 unserer beiden Gesetzentwürfe steht die Bestimmung, wonach die gesetzliche Aufhebung nicht gelten solle, soweit Wiedergutmachungsurteile oder Urteile zur Beseitigung nationalsozialistischen Unrechtes in der Bundesrepublik Deutschland, also von bundesrepublikanischen Gerichten, erlassen worden sind. Auch das klingt zunächst scheinbar vernünftig. Aber ich sage Ihnen: Es ist es nicht. Ich will Ihnen an Hand eines schrecklichen Falles, den Sie wahrscheinlich auch kennen, schildern, warum nicht. Es handelt sich um die Tragödie, die mit der Verurteilung des jüdischen Berliner Kaufmanns Goldmann begann. Ihn hatte der Volksgerichtshof 1942 wegen Spionage bzw. Hochverrat und Landesverrat - darauf kam es dem Volksgerichtshof gar nicht so an - zum Tode verurteilt. Die Anweisung von Blutrichter Freisler, daß Juden vor dem Volksgerichtshof auf jeden Fall zum Tode verurteilt werden müssen, ist uns auch heute gegenwärtig. Goldmann wurde dann auch ermordet. Die Angehörigen von Herrn Goldmann - jetzt beginnt der zweite Akt, der schon in der Bundesrepublik spielt - haben in den 60er Jahren in Berlin beim dafür zuständigen Landgericht die Aufhebung dieses Schandurteils des Volksgerichtshofs beantragt. Das Landgericht Berlin hat in seinem Urteil lakonisch festgestellt, daß - was auch immer so vernünftig klingt - Hochverrat und Spionage überall auf der Welt bestraft würden; das sei kein typisch nationalsozialistisches Unrecht. Damit, was der Volksgerichtshof war, hat man sich gar nicht auseinandergesetzt. Damals war es in weiten Teilen der bundesrepublikanischen Justiz trotz des Eides auf unser Grundgesetz noch üblich, diesen Spruchkörper für ein Gericht zu halten. Das Landgericht hat das Urteil des Volksgerichtshofs ernst genommen. Es hat es aufgehoben und abgeändert, indem es die Strafe für den ermordeten jüdischen Kaufmann auf fünf Jahre festgesetzt hat. Das ist schon peinlich genug. Aber dann haben sich die Angehörigen an das Kammergericht gewandt, und darauf folgte ein neuer und noch schlimmerer Akt der Peinlichkeit: Das Kammergericht hat 1966 in einer Entscheidung, die zur Pflichtlektüre aller jungen Juristen gehören sollte, weil darin die Rechtsfehlerhaftigkeit und die Verkennung der verfassungsrechtlichen Bindung bundesrepublikanischer Gerichte exemplarisch negativ nachgelesen werden können, zunächst die Frage gestellt, was das eigentlich solle; Herr Goldmann habe doch offensichtlich spioniert; den Tatbestand des Volksgerichtshofs hat man einfach übernommen. Prinzipiell, so sagte das Kammergericht, gebe es an diesem Urteil nichts auszusetzen. Dann hat es sogar das Landgericht Berlin kritisiert. Das sei nämlich nicht berechtigt gewesen, die Strafe auf fünf Jahre herunterzusetzen, sondern hätte mindestens auf lebenslänglich erkennen müssen. ({1}) Stellen Sie sich das vor: Diese Peinlichkeit dauerte an! In den 80er Jahren hat es dann ja der Bundestag nach langen Mühen geschafft, den Volksgerichtshof als das zu bezeichnen, was er war, nämlich als Naziunrechtsspruchkörper, und seine Judikate als Unrechtsurteile. Daraufhin haben sich die Angehörigen von Herrn Goldmann an den Bundestag gewandt. Dann hat der Petitionsausschuß getagt. Das Bundesjustizministerium hat recherchiert. Wissen Sie, zu welcher Lösung man dann gekommen ist, weil es eben nicht möglich war, mit der Mehrheit dieses Hauses eine abschließende bundesgesetzliche Regelung zur Aufhebung dieser Urteile zu beschließen? - Man hat den 1942 ermordeten Kaufmann Goldmann begnadigt - Peinlichkeiten der bundesrepublikanischen Rechtsprechung, die wir nicht länger wollen. Natürlich hat es auch andere Urteile bundesrepublikanischer Gerichte zur Wiedergutmachung und zur Aufhebung von NS-Urteilen gegeben. Aber die würden gar nicht berührt, wenn dem Vorschlag, den ich jetzt machen will, gefolgt würde. Wir sind der Meinung, wir müssen § 3 ersatzlos streichen. Dann sind nämlich die NS-Urteile aufgehoben. Damit ist dann auch diesen Peinlichkeiten bundesrepublikanischer Nachfolgeurteile der Boden entzogen, und es bleibt dabei, daß diese NS-Urteile einschließlich der Judikate der NS-Erbgesundheitsgerichte ein für allemal aufgehoben sind. Lassen Sie mich kurz zusammenfassen: Wir halten eine vernünftige bundesrechtliche Regelung für längst überfällig. Wir wollen, daß sie in den kommenden Wochen vom Deutschen Bundestag verabschiedet wird und noch in dieser Legislaturperiode ins Bundesgesetzblatt kommt. Ich freue mich, daß wir heute morgen übereingekommen sind, daß der Rechtsausschuß des Bundestages bereits in der nächsten Sitzung mit den Beratungen beginnen wird. Im April dieses Jahres hätten wir mit dem Gedenktag zur Ermordung von Pastor Bonhoeffer einen passenden Anlaß, um die Beratungen im Rechtsausschuß abzuschließen. Am 8. Mai kommt dann der nächste Gedenktag, an dem wir hier im Bundestagsplenum das Unsere tun könnten, nämlich das Gesetz verabschieden. Ich bitte Sie darum, zusammen mit uns diesen langlebigen und peinlichen, diesen für unseren Rechtsstaat beschämenden Schandfleck zu beseitigen. Ich hoffe, daß wir das gemeinsam schaffen. Herzlichen Dank. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Volker Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Gesetzgeber muß endlich eine klare Trennlinie zwischen NS-Unrecht und Recht und Gesetz ziehen. Bis gestern galt noch die Maxime des Kollegen Geis, der ein Gesetz zur Aufhebung von NS-Unrechtsurteilen im Jahre 1998 für „übereilt" hielt. Ihr Unbehagen bei diesem Gesetzesprojekt hat man Ihrer Rede deutlich angemerkt. Jetzt ist die Koalition in letzter Minute auf den Kurs der Opposition eingeschwenkt. Dazu sage ich: Gut so! Weiter so, meine Damen und Herren! Aber bei Ihrem waghalsigen Schlingerkurs haben Sie einige wichtige Anliegen einfach über Bord gehen lassen. Ihr Gesetzentwurf klammert immer noch große Bereiche des NS-Unrechts aus. Dazu gleich mehr. Vorab eine grundsätzliche Bemerkung. Es ist schon beschämend, daß sich der Bundestag 1998 erstmalig umfassend mit der Frage der Aufhebung von NS-Unrechtsurteilen mit dem Ziel befaßt, hier gemeinsam zu einem Ergebnis zu kommen. Es ist wirklich höchste Zeit. Es ist beschämend, daß eine Vielzahl solcher Urteile immer noch rechtlichen Bestand hat, daß sie nach der geltenden Gesetzeslage nicht aufgehoben werden können. Ich nenne nur ein Beispiel, das uns beschäftigt hat, das Schicksal des wegen Fahnenflucht zum Tode verurteilten und öffentlich hingerichteten Offiziers Johann Stangassinger. Seine Angehörigen haben jahrelang kein für die Rehabilitierung zuständiges Gericht gefunden. Vom Bundesjustizminister haben sie die Antwort bekommen: Die Rechtsgrundlagen für eine Rehabilitierung Ihres Vaters sind nicht vorhanden. - Als sie dann erfuhren, als zuständiger Gerichtsort komme München in Frage, erhielten sie dort wiederum die Antwort, die Antragsfrist für Neuanträge zur Rehabilitierung sei nach der in Bayern geltenden Rechtslage abgelaufen. Die Hinterbliebenen sind von Pontius zu Pilatus geschickt worden und stehen am Ende weiterhin mit leeren Händen da. Es gibt eine Vielzahl solcher Fälle - Menschen, die nach der Volksschädlingsverordnung, nach der Kriegssonderstrafrechtsverordnung oder als Homosexuelle strafrechtlich verurteilt wurden. Man hat ihnen bis heute nicht den Makel, vorbestraft zu sein, genommen. Die mehr als 350 000 Entscheidungen der Erbgesundheitsgerichte haben formal noch immer Rechtskraft. Das müssen wir endlich abstellen. ({0}) Wir erkennen ausdrücklich an, daß der Koalitionsentwurf viele richtige Gedanken enthält, die wir zur Grundlage des weiteren Gesetzgebungsverfahrens machen können. Diese richtigen Vorstellungen finden sich deshalb auch in den Gesetzesvorschlägen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen wieder. Aber es gibt auch gravierende Defizite in der Koalitionsvorlage. Wir können es den Opfern nicht zumuten, daß NS-Urteile weiterhin Bestand haben, weil in den 50er und 60er Jahren die Rechtsgrundlage mangelhaft war oder weil ehemalige NS-Richter Rehabilitierungen abgelehnt haben. Wenn der Bundestag dies heute rechtlich anders bewertet, muß er auch eine Aufhebung dieser Fehlurteile in einem für die Opfer würdevollen Verfahren mit in diesem Gesetz vorsehen. Das wirft verfassungsrechtliche Probleme auf. Wir haben in unserem Gesetzentwurf .ein Verfahren aufgezeigt, mit dem wir diese Probleme bewältigen und den Opfern ihre Würde zurückgeben können. ({1}) Nicht nur die Verurteilungen auf Grund bestimmter Nazigesetze waren Unrecht, sondern diese Gesetze und Vorschriften selbst. Ich nenne beispielhaft die Volksschädlingsverordnung oder die Polizeiverordnung für die Kennzeichnung von Juden. Deshalb wollen wir diese Bestimmungen selbst per Bundestagsbeschluß als rechtlich nichtig, als Unrecht von Anfang an, einstufen. Es muß deutlich gemacht werden: Diese Vorschriften konnten wegen des großen Ausmaßes des ihnen innewohnenden Unrechts von Volker Beck ({2}) Anfang an keine rechtliche Geltung für sich beanspruchen. Bei der wichtigen Frage der Deserteure enthält der Koalitionsentwurf Unklarheiten. Der Bundestag hat in seiner Entscheidung vom Mai 1997 hinsichtlich der Urteile gegen Deserteure, Kriegsdienstverweigerer und Wehrkraftzersetzer die Unrechtserklärung nicht nur auf die Todesurteile bezogen. Wir sollten daher dafür sorgen, daß das Rehabilitierungsgesetz an diesem Punkt sprachlich und rechtlich Klarheit schafft. Alle Urteile gegen Wehrmachtsdeserteure müssen hier mit hinein. Da darf es kein Deuteln und Wackeln geben. ({3}) Wenigstens um einen Bereich wollen wir den Katalog der aufzuhebenden Verurteilungen erweitern. Es sind dies die Strafurteile, die in der NS-Zeit gegen Homosexuelle ergangen sind. Ich spreche dabei von der Bestrafung einvernehmlicher sexueller Handlungen zwischen Erwachsenen im Sinne der §§ 175 und 175 a Nr. 4 des Reichsstrafgesetzbuchs. Die NS-Justiz hat 50 000 Verurteilungen nach § 175 ausgesprochen. Zum Unrecht an den Homosexuellen schweigt sich der Koalitionsentwurf aber einfach aus. Meine Damen und Herren von der F.D.P, Ihre Partei hatte in den 60er Jahren große Verdienste bei der Überwindung des nationalsozialistischen Homosexuellen-Strafrechts im § 175. Aber wie können Sie dann heute in Ihrem Gesetzentwurf, der von Ihrem Bundesjustizminister federführend mitausgearbeitet wurde, die Rehabilitierung der von den Nazis verurteilten Homosexuellen einfach ausklammern? Sie haben offensichtlich Ihre eigene Geschichte vergessen. Ich möchte Sie heute daran erinnern, daß wir diesen Fehler korrigieren. Ausgeklammert sind auch die Entscheidungen der Erbgesundheitsgerichte über Sterilisierungen. Seit vielen Jahren kämpfen Zwangssterilisierte mit aller Kraft um eine Rehabilitierung. Jetzt werden sie schon wieder ausgegrenzt. Wie wollen Sie das den Betroffenen erklären? Die Entscheidungen der NS-Erbgesundheitsgerichte, nach denen 350 000 Menschen zwangssterilisiert wurden, waren Verfolgungsmaßnahmen des NS-Regimes, typisches NS-Unrecht. Sie müssen aufgehoben werden. Das gehört in dieses Gesetz. Meine Damen und Herren, Ihr Gesetzentwurf ist ein Torso. Ich fordere Sie auf, gemeinsam mit der Opposition zu einer wirklich umfassenden Regelung zu kommen. Es darf einfach nicht passieren, daß ein NS-Aufhebungsgesetz Menschen ausgrenzt und neue Ungerechtigkeiten schafft. NS-Unrechtsurteilen darf nicht dadurch der rechtsstaatliche Segen erteilt werden, daß wir sie aus diesem Aufhebungsprozeß, aus dieser Rehabilitierungsmaßnahme ausgrenzen. ({4}) Denn mit der Aufhebung des NS-Unrechts wollen wir den Opfern ihre Würde zurückgeben. Das sind wir den Verfolgten und ihren Hinterbliebenen schuldig. Das sind wir unserer Selbstachtung als Rechtsstaat schuldig. ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Geis das Wort.

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Der Kollege Beck hat mir vorgeworfen, ich hätte in einer Presseerklärung verlauten lassen, man solle jetzt nicht übereilt zu einer bundesgesetzlichen Regelung aufrufen. Aus der Begründung geht klar hervor, auf was sich dieses „übereilt" bezieht, nämlich darauf, daß wir die Bundesländer aufgefordert haben, von ihrer Kompetenz Gebrauch zu machen und selbst eine Regelung zu finden. Darauf bezog sich das. Wenn man es auf die zurückliegenden 50 Jahre bezöge, wäre dieses Wort „übereilt" in der Tat nicht verständlich. Aber darauf bezog es sich ja ausdrücklich nicht. Ich möchte noch auf eines hinweisen: Der Bundestag hat, zunächst in der entsprechenden Begründung der Entschließung des Rechtsausschusses, dargelegt, daß 1946 das Erforderliche getan worden sei, um Naziunrecht aufheben zu können. Im Januar 1985 hat der Bundestag diese Entschließung einstimmig - auch mit den Stimmen der Grünen - verabschiedet. Offenbar waren also auch die Grünen dieser Auffassung; sonst hätten sie ja nicht zugestimmt. 1988 hat der Hamburger Senator für Justiz Curilla in seiner Rede im Bundesrat zu diesem Thema ausdrücklich erklärt, daß die Länderregelungen ausreichend seien, um die Unrechtsurteile, soweit sie strafrechtlicher Natur sind, aufzuheben.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Bitte.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Werter Kollege Geis, in aller Kürze: Ich verstehe nicht, warum Sie die ganze Zeit begründen, daß der Gesetzentwurf, den die Koalitionsfraktionen jetzt doch eingebracht haben, eigentlich nicht nötig gewesen wäre. ({0}) Zudem haben wir als Bundestag nicht so gehandelt, wie Sie das schildern. Ich darf Sie an ein Gesetz von 1990 erinnern, mit dem wir das in der englischen Zone geltende Aufhebungsrecht haben korrigieren müssen. Im Fall des „Altonaer Blutsonntags" ging es darum, daß die Tat vor dem 30. Januar 1933 stattfand, die Verurteilung aber unter Naziherrschaft, weshalb das Urteil nicht rechtsstaatlich war. Dies hatten die geltenden Rehabilitierungsgesetze nicht vorgesehen. Wir als Bundesgesetzgeber haben das korrigiert. Mir kommt dieses Verweisen auf die Länder wie eine politische Ausflucht vor. Ich verstehe auch nicht, daß wir diese Debatte immer noch führen. Ich pläVolker Beck ({1}) diere dafür: Schwamm drüber! Sie haben sich eines Besseren besonnen, warum auch immer. ({2}) Jetzt liegen Gesetzentwürfe auf dem Tisch. Ich werbe darum, die Lücken, die Ihr Gesetzentwurf meines Erachtens noch aufweist - die Oppositionsfraktionen haben unterschiedliche Vorschläge gemacht, wie man diese Probleme in den Griff kriegen kann -, gemeinsam mit uns zu schließen. Mein Wunsch ist es, daß wir zu einer Lösung kommen, die von allen Fraktionen des Deutschen Bundestages getragen wird. Denn wir als demokratische Parteien in dem Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland sollten klipp und klar sagen - ohne Wenn und Aber -, daß wir einen klaren Strich zwischen unserem Rechtssystem und dem NS-Unrecht ziehen. Das heißt für mich auch, Herr Geis - Stichwort: Deserteure -, daß wir den grundsätzlich anderen Charakter des NS-Staates erkennen. Auch wenn es normal ist, daß es in Staaten, in denen Befehl und Gehorsam in den jeweiligen Armeen gilt, einen Anspruch auf Gehorsam in der Armee gibt und daß Nichtgehorsam in allen Rechtsordnungen strafbewehrt ist, ist das trotzdem nicht auf das NS-Regime übertragbar, weil dieses einen verbrecherischen Angriffskrieg geführt hat und deshalb eine Verurteilung des Deserteurs, auch wenn er mehrmals desertiert ist, niemals recht ist, obwohl in der Begründung Ihres Gesetzentwurfes, Herr Kollege von Klaeden, nachzulesen ist, daß auf Mehrfachdesertionen auch schon in der Weimarer Republik die Todesstrafe stand. Diese Fälle sollen daher nicht rehabilitiert werden. Das würde bedeuten, daß das NS-Regime einen Anspruch auf Gehorsam gehabt hätte. Ich bestreite den, und ich denke, wir sollten ihn gemeinsam bestreiten. Die Wehrmacht und die Bundeswehr haben nichts miteinander zu tun. Wie immer man zur Bundeswehr stehen mag, darüber sollte Einigkeit im Hause bestehen. Deshalb sollten wir klipp und klar alle Wehrmachtsdeserteure rehabilitieren. Ich hoffe, daß ich der Bemerkung von Herrn von Klaeden entnehmen kann, daß hier ein Prozeß des Nachdenkens stattfindet und nicht alle in der Koalition die Details dieses Gesetzentwurfs kennen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Jetzt erteile ich dem Kollegen Detlef Kleinert das Wort.

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es sind hier Menschenschicksale dargestellt worden, die noch heute erschütternd auf uns alle wirken müssen. Es ist zusätzlich dargestellt worden - es mußte dargestellt werden -, wie mit diesen Schicksalen juristisch später, auch in unserer Justiz, umgegangen worden ist. Das fand in einer Weise statt, die den Ausdruck „Beschämung" tatsächlich in zu vielen Fällen rechtfertigt, wobei die ordentlichen Urteile, die sicherlich sogar - darüber spricht man nicht so viel - in der Mehrheit gewesen sind, daran gar nichts ändern; denn jeder einzelne so schreckliche Fall wäre ein Fall zuviel. Deshalb haben wir mit den erst nach sehr langer Zeit erarbeiteten Entschließungen zu den Urteilen des Volksgerichtshofs und schließlich erst in jüngerer Zeit zu den Urteilen der Kriegsgerichte noch nicht alles bereinigt, was aus unserer schrecklichen Vergangenheit noch übriggeblieben ist. Dieser Einsicht können und wollen wir uns nicht verschließen. Daß wir dabei aufeinander zugehen, zeigt schon die Technik der Entwürfe, die sehr eng miteinander verwandt sind. Dieses Aufeinanderzugehen muß natürlich, wenn es sinnvoll sein soll, in allerkürzester Zeit zu Ergebnissen führen. Ich frage mich, warum wir erst nach 50 Jahren zu dieser Diskussion kommen. Ich habe den Verdacht, daß die Ferne vieler unserer Bürger, auch vieler derjenigen, die hier im Raum sitzen, zur damaligen Zeit und zu den Urteilen und der Art, wie sie zustande gekommen sind - in welchen Verstrickungen mögen einzelne Richter gewesen sein? -, den Entschluß, hier zu einer generellen Bereinigung zu kommen, erleichtert hat und daß früher wegen all dieser Verstrickungen und des Einblicks in Details die Kraft zu einem solchen Entschluß gefehlt hat. Dabei spielen auch Dinge eine Rolle, wie Frau Däubler-Gmelin sie bei Thomas Dehler erwähnt hat. Die Frage der Rechtssicherheit, die es nun nicht erst in dieser Bundesrepublik oder in der Zeit des Nationalsozialismus gab, sondern die seit Jahrhunderten von Bedeutung gewesen ist und immer gegen die Frage der Gerechtigkeit im Einzelfall abgewogen werden mußte, ist sicher nicht nur für Thomas Dehler schwierig zu entscheiden gewesen, sondern sie mag seinerzeit sicherlich auch noch von vielen praktischen Schwierigkeiten überlagert gewesen sein, mit denen wir heute nicht mehr zu kämpfen haben. Deshalb wollen wir uns der Aufgabe stellen. Wir danken dem Bundesjustizminister für seine Vorlage. Wir danken genauso den anderen Fraktionen für ihre Vorlagen, die ja - ich sagte es bereits - in einem recht engen Zusammenhang mit unserer Vorlage stehen. Wir werden uns mit den Einzelheiten allerdings in schwierigeren Beratungen und viel ausführlicher zu befassen haben, als das heute angedeutet werden kann. Herr Beck, Sie haben hier das höchst wünschenswerte Ziel aufgezeigt, zu einer klaren Trennung zwischen nationalsozialistischem Unrecht und einer geordneten und normalen Rechtsprechung zu kommen. Ich glaube, das ist eine Verkennung der historischen, der menschlichen und der tatsächlichen, Situation, in der sich die Gerichte in nationalsozialistischer Zeit befunden haben. Sie befinden sich allerdings immer wieder in besonderen Situationen. So klare Trennungen, wie Sie sie wollen, wünscht man sich. Sie sind theoretisch schön. Sie würden vieles viel handhabbarer machen. Aber wir wollen zufrieden sein, wenn wir hier zu einem einigermaßen brauchbaren Ergebnis kommen. Ich bin sehr dankbar, wenn wir uns alle gemeinsam darum bemühen. Mehr als ein brauchbaDetlef Kleinert ({0}) res Ergebnis werden wir leider, Herr Beck, nicht erreichen. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Uwe-Jens Heuer.

Prof. Dr. Uwe Jens Heuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000891, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am 14. Januar mußte der Justizminister zunächst erklären, daß die von ihm bereits im März 1997 angekündigte Gesetzesinitiative zur Aufhebung der strafrechtlichen NS-Urteile an Widerständen in der Regierungskoalition gescheitert sei. Nachdem als Reaktion darauf noch im Januar zwei recht akzeptable Gesetzentwürfe der Opposition zu dem gleichen Gegenstand eingebracht wurden, habe auch ich heute früh in meinem Postfach doch noch einen Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen gefunden. Die Geschäftsordnung sieht da eine Dreitagefrist vor. Eine sorgfältige Bewertung dieses Entwurfs ist unter solchen Umständen ausgeschlossen. Immerhin: Mehr Freude ist im Himmel über einen Sünder, der Buße tut, als über hundert Gerechte. ({0}) Herr Geis hat sich in seiner Presseerklärung - und heute erneut - gegen den nach seiner Meinung falschen Eindruck verwahrt, der Wiedergutmachung von NS-Unrecht sei in den vergangenen mehr als 50 Jahren nicht ausreichend Genüge getan worden. Außerdem sah er zu diesem Zeitpunkt noch keinen Handlungsbedarf für eine bundeseinheitliche Regelung. Das hat er jetzt bestätigt. Immerhin hat auch der 5. Senat des Bundesgerichtshofs kürzlich von einer insgesamt fehlgeschlagenen Auseinandersetzung mit der NS-Justiz gesprochen. Es gab, wie Professor Dr. Günter Spendel aus Würzburg in der „Zeitschrift für Rechtspolitik", 2/97, formulierte, einen regelrechten „Widerwillen", die ,,NS-Justizverbrechen tatkräftig zu verfolgen". Der Bundesgerichtshof selbst hat sich in seiner Rechtsprechung in den 50er Jahren als unfähig erwiesen, Unrechtsentscheidungen der NS-Strafjustiz entsprechend zu charakterisieren. Zahlreiche strafrechtliche Urteile im Geiste des NS-Unrechts sind bis heute nicht aufgehoben. Frau Däubler-Gmelin hat mit den Urteilen des Landgerichts von Berlin und des Kammergerichts von 1966 auf besonders eindrucksvolle Fälle hingewiesen. Es hat sich tatsächlich zuwenig getan, um eine Änderung herbeizuführen. Dabei übersehe ich nicht, daß es gerade in jüngster Zeit auch positive Entwicklungen gab - so auch die Verurteilung des „Angriffs- und Vernichtungskrieges" nach 1939 als „vom nationalsozialistischen Deutschland verschuldetes Verbrechen" durch den Deutschen Bundestag am 15. Mai vergangenen Jahres. Es wurde im Verlauf der Vorarbeiten - das haben wir alle verfolgt - deutlich, daß es eine große Unkenntnis über die relevanten Rechtsvorschriften gab. Die komplizierte und unbefriedigende Rechtslage bedingt ganz wesentlich die Notwendigkeit einer bundeseinheitlichen Rechtsordnung. Die Rechtsvorschriften sind offenbar außerordentlich zersplittert und sehr unterschiedlich. Überwiegend bestehen sie auch aus wenig bekannten besatzungsrechtlichen Vorschriften und Ländergesetzen. Natürlich müssen wir darüber im Rechtsausschuß noch im Detail beraten. Aber ich meine, die Gesetzentwürfe von SPD und Bündnis 90/Die Grünen und in bestimmtem Umfang auch der Entwurf der Regierungsparteien zeigen vernünftige Wege auf, um die aufhebungswürdigen Fälle zu erfassen. Die Aufhebung aller formal noch bestehenden strafrechtlichen Unrechtsurteile würde möglich. Ich stimme dem Gesetzentwurf von Bündnis 90/ Die Grünen auch insoweit zu, als dieser den Opfern den Status von Verfolgten des Nationalsozialismus im Sinne des BEG zuspricht. Auch die pauschale Aufhebung der entsprechenden Urteile und Entscheidungen sowie die Regelung einer Nichtigkeit finden meine Zustimmung. Über die Listen werden wir uns noch verständigen. Hierzu ist heute in bezug auf den Entwurf der Koalitionsfraktionen schon eimges Kritisches gesagt worden. Es sind weitere Fragen aufzuwerfen wie die, wie es in diesem Zusammenhang mit der Rehabilitierung und einer angemessenen Entschädigung aussieht. Man sollte noch einmal diskutieren, ob es nicht auch um bestimmte Unrechtsurteile der Zivil-, Arbeits- und Verwaltungsgerichte gehen kann. Man kann auch nicht darüber hinwegsehen, wenn in Ostdeutschland einem standhaften Widerstandskämpfer wie dem heute 95jährigen Bernhard Quand in Mecklenburg-Vorpommern, der im Nazideutschland zehn Jahre in Gefängnissen und Konzentrationslagern verbrachte, seine Entschädigungsrente mit der Begründung entzogen wird, unter anderem Ministerpräsident in Mecklenburg und Mitglied des Staatsrates der DDR gewesen zu sein. Noch ein kritisches Wort - Herr Geis wird das von mir gewöhnt sein - von mir: Herr Geis, Sie haben gesagt, die Rehabilitierung des DDR-Rechts sei wichtiger als die Rehabilitierung des NS-Unrechts. ({1}) Ich sehe in dieser Feststellung eine Verharmlosung des NS-Unrechts. Das steckt auch hinter der Tatsache, daß die Abgeordneten der Regierungsparteien im 12. Bundestag keinen Moment Bedenken hatten, ihre Zustimmung dazu zu geben, daß damals pauschal alle Urteile in den Waldheim-Prozessen aufgehoben wurden. Sie hatten dagegen lange Zeit Schwierigkeiten, analoge Regelungen für die hier behandelten NS-Urteile zu finden. Die Urteile der Waldheim-Prozesse - ohne Zweifel gab es dabei in krasser Weise Verletzungen rechtsstaatlicher Prinzipien - waren nicht nur Urteile gegen Unschuldige, sondern auch gegen Kriegsverbrecher, gegen SS- und KZ-Schergen, gegen Gestapo-Leute und Kriegsrichter. Ich meine, wir sollten zügig vorgehen. Ich unterstütze sehr nachdrücklich das, was Frau DäublerGmelin gesagt hat: Wir müssen noch in dieser Legislaturperiode zu einer gemeinsamen Entscheidung kommen. Ich bin der Meinung, das sind wir uns selbst schuldig. Danke schön. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Eckart von Klaeden.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich feststellen: Ich finde es gut, daß wir hier einen breiten Konsens darüber haben, daß wir ein Gesetz zur Aufhebung der NS-Unrechtsurteile brauchen. Ich möchte der Kollegin Frau Professor DäublerGmelin ausdrücklich darin zustimmen, daß es mit etwas gutem Willen auch möglich ist, dieses Gesetz in dieser Legislaturperiode auf den Weg zu bringen und zu verabschieden. ({0}) Für uns sind insbesondere drei Punkte relevant, die dazu führen, daß eine bundesgesetzliche Regelung notwendig ist. Das sind einmal die standgerichtlichen Entscheidungen, die heute formal noch bestehen. Das sind die Urteile der deutschen Gerichte in Besatzungszonen gegenüber Ausländern, und das ist die Situation, die durch die fünf neuen Länder entstanden ist. Ich möchte aber auch sagen, lieber Kollege Beck, daß ich den Zungenschlag Ihrer Rede ein wenig überheblich fand. Wenn man Ihnen zuhörte, mußte man geradezu den Eindruck gewinnen, als hätten vorangegangene Politikergenerationen in der Bundesrepublik Deutschland nicht den klaren Trennungsstrich zwischen NS-Unrecht und Rechtsstaatlichkeit gezogen. Ich glaube, das kann man ihnen nicht vorwerfen. Ich finde es gut, daß wir heute auch über die Entscheidungen der sogenannten Erbgesundheitsgerichte sprechen. Die Frage des Lebensschutzes hat unserer Fraktion immer besonders am Herzen gelegen. Sie liegt ihr weiter am Herzen. Diese Legislaturperiode ist durch die Behandlung von Fragen des Lebensschutzes besonders geprägt: Transplantationsgesetz, Bio-Medizin-Konvention, § 218 Strafgesetzbuch. Ich möchte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß der Bundestag bereits in der 11. Legislaturperiode auf Vorschlag des Rechtsausschusses beschlossen und festgestellt hat, daß die im Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 vorgesehenen und auf der Grundlage dieses Gesetzes während der Zeit von 1933 bis 1945 durchgeführten Zwangssterilisierungen nationalsozialistisches Unrecht sind. Die Maßnahmen wurden geächtet, weil sie ein Ausdruck der inhumanen nationalsozialistischen Auffassung vom „lebensunwerten Leben" sind. Den Opfern der Zwangssterilisierung und ihren Angehörigen bezeugte der Deutsche Bundestag schon damals Achtung und Mitgefühl. Dieser Beschluß wurde vom 12. Deutschen Bundestag am 29. Juni 1994 zu Recht bestätigt. ({1}) Es ist Ausdruck des rechtspolitischen und ethischen Fortschritts, der nur in einer Demokratie möglich ist, daß sich auch in der Bundesrepublik Deutschland ein Bewertungswandel vollzogen hat. Es hat eben auch dort keine Stunde Null gegeben. Ich glaube, daß wir die Debatte, die wir in den 50er Jahren geführt haben, daß dieses Gesetz kein typisch nationalsozialistisches Gesetz sei, weil auch andere demokratisch regierte Länder wie Schweden, Dänemark, Finnland und Teile der USA ähnliche Gesetze gekannt haben, zu Recht ad acta gelegt haben. Diese Debatte hatte nicht den einzigartigen Vollzug berücksichtigt. Die Zahl der Sterilisierungen in Deutschland war international ohne Beispiel. Auch die Rechtsanwendung war von typisch nationalsozialistischem Unrecht durchwirkt, indem auch bei den sogenannten Selbstanträgen die Betroffenen oft vor die Alternative „Sterilisation oder Konzentrationslager" gestellt worden sind. Wir müssen in der Beratung im Rechtsausschuß noch einmal die Gesetzgebungskompetenz klären. Es gibt Möglichkeiten, eine schlüssige Gesetzgebungskompetenz des Bundes zu begründen. Gleichwohl will ich daran erinnern, daß dieses Gesetz bereits am 20. November 1945 in Bayern aufgehoben worden ist. Es gibt also auf Landesebene eine ganze Reihe von Entscheidungen, die bereits in dem Sinne der heutigen Antragsteller wirken. Gerade die bayerische Regelung ist geeignet, vorbildlich für uns zu sein. ({2}) - In allen Ländern der amerikanischen Besatzungszone, genau. Abschließend will ich sagen, daß wir diese Themen - ohne daß ich sie damit vergleichen will - zum Anlaß nehmen könnten, über den Lebensschutz in unserer heutigen Gesellschaft, in unserer Rechtswirklichkeit nachzudenken. Wir sollten in diesem Zusammenhang auch über die Praxis im Rahmen der medizinischen Indikation, die in Oldenburg deutlich geworden ist, sprechen. Diese Debatte erinnert uns daran, daß der Schutz des menschlichen Lebens und der menschlichen Würde eine permanente Aufgabe des Gesetzgebers ist. Vielen Dank. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt Herr Bundesminister Edzard Schmidt-Jortzig.

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Minister:in)

Politiker ID: 11002781

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute ist ein bedeutender Tag in der deutschen Nachkriegsrechtsgeschichte. Mit dem Ihnen vorliegenden Entwurf der Koalition - stopp, ich will ausdrücklich sagen: mit dem Ansatz aller drei Entwürfe - wird ein Schlußstrich unter das dunkelste Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte, deutscher Justizgeschichte überhaupt gezogen. Dieser von uns erarbeitete Ansatz, der im Juni vergangenen Jahres auf der Justizministerkonferenz vorgestellt wurde, soll nun wirklich - ich glaube, alle Beteiligten sind fest entschlossen, das auch zu tun - noch in dieser Legislaturperiode Gesetz werden. Ich möchte an dieser Stelle auch für alle die Unterstützungen danken, die wir dabei empfangen haben. Ich möchte den hier vertretenen Fraktionen danken, speziell den Koalitionsfraktionen. Mein Dank gilt ebenso den Länderkolleginnen und -kollegen, die in ihren Kabinetten und dann wieder über ihre Parteischienen für meinen Entwurf geworben haben. Der Bundesrat wird am kommenden Freitag auch noch mindestens einen Entwurf, der fast gleichlautend ist, auf den Weg bringen. Meine Damen und Herren, ein Schlußstrich unter die unendliche Geschichte der Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile ist wahrlich überfällig - das ist von allen betont worden -, denn der derzeitige Rechtszustand ist höchst unbefriedigend. Im Wiederaufnahmefall von Dietrich Bonhoeffer bedurfte es wochenlanger Recherchen, bevor sich herausstellte, daß das Urteil, das im KZ Flossenbürg 1945 gefällt und dann sofort vollstreckt wurde, bereits von den bayerischen Vorschriften zur Aufhebung von NS-Unrechtsurteilen erfaßt war. Im übrigen sind Todesurteile gegen Widerstandskämpfer wie Carl Friedrich Goerdeler oder Helmuth James Graf Moltke bis heute nicht aufgehoben. Auch das Wiederaufnahmeverfahren für die 36 hingerichteten Postbeamten, die am 1. September 1939 die Danziger Post vor der deutschen Besetzung verteidigten, konnte auf Grund schwieriger Zuständigkeitsfragen immer noch nicht abgeschlossen werden. Gerade in diesem Fall ist der Blick Polens mit großen Erwartungen auf unser Vorhaben gerichtet. Diese Beispiele dokumentieren in unerträglicher Weise, daß es uns über 50 Jahre nach Ende des nationalsozialistischen Unrechtsregimes immer noch nicht gelungen ist, dessen Justizbarbarei zweifelsfrei zu überwinden. Daß nun speziell auch noch ein zusätzlicher Anlaß hinzukommt, nämlich durch die neuen Länder, die hier keine Vorschriften haben, wurde schon erwähnt. Lassen Sie mich noch kurz auf ein, zwei Kernpunkte des Entwurfs zu sprechen kommen. Er sieht die pauschale Aufhebung der NS-Unrechtsurteile im Strafrechtsbereich vor. Mich hat einigermaßen überrascht, daß zu diesem Punkt Vorversuche daran gescheitert waren, daß man aus Gründen der Gewaltentrennung glaubte, so nicht vorgehen zu können. Die erste Gewalt dürfe nicht pauschal die Entscheidungen der ditten aufheben. ({0}) Ich kann das überhaupt nicht verstehen. Deswegen war es gut, daß wir mit dieser Vorstellung aufgeräumt haben. ({1}) Aufgehoben werden nun alle Entscheidungen, die nach dem 30. Januar 1933 unter Verstoß gegen elementare Gedanken der Gerechtigkeit zur Durchsetzung oder Aufrechterhaltung des NS-Unrechtsregimes aus politischen, rassischen oder weltanschaulichen Gründen ergangen sind. Diese Pauschalierung ist notwendig, weil nach überschlägigen Schätzungen - Sie haben auch die Zahlen von Frau PeschelGutzeit genannt - mehrere hunderttausend Strafurteile aus der NS-Zeit als fragwürdig zu qualifizieren sind und sonst jeweils einzeln überprüft werden müßten. Das ist eine Anstrengung, die die Justiz sicherlich gar nicht bewältigen könnte. Der Gesetzentwurf differenziert auch nicht zwischen Deutschen und Nichtdeutschen. Er erfaßt also auch alle Entscheidungen deutscher Stellen gegen ausländische Staatsangehörige in ehemals besetzten Gebieten, wie beispielsweise Polen, der Ukraine, Belgien oder Frankreich. Die Generalklausel wird durch Regelbeispiele konkretisiert. Alle Entscheidungen des Volksgerichtshofes werden aufgehoben. Der Deutsche Bundestag hat bereits am 25. Januar 1985 einstimmig festgestellt, daß der Volksgerichtshof kein Gericht im rechtsstaatlichen Sinne, sondern ein Terrorinstrument zur Durchsetzung der nationalsozialistischen Willkürherrschaft war. Darüber hinaus werden die Todesurteile des Reichsgerichts, der Militärgerichte und aller sonstigen Gerichte, also auch der Standgerichte, der Schnellgerichte, die es damals gegeben hat, aufgehoben, soweit sie nicht ein Delikt betreffen, für das bereits vor dem 30. Januar 1933 die Todesstrafe verhängt werden konnte. Daß wir über diesen Punkt noch intensiv diskutieren werden, ist völlig klar. In der Weimarer Republik - darauf will ich doch hinweisen - konnten praktisch nur zwei Delikte mit der Todesstrafe geahndet werden. Unter der NS- Herrschaft waren es sage und schreibe 46 Delikte. Schon das belegt rein quantitativ, welche völligen Unterschiede der Rechtsauffassung sich da dokumentierten. Aber nicht nur Todesurteile, auch alle übrigen Unrechtsurteile, die auf spezifischen NS-Vorschriften beruhen, werden durch die Generalklausel auf gehoben. Deswegen glaube ich, daß dieser Ansatz richtig ist. Von der Überfälligkeit seiner Verfolgung habe ich gesprochen. Am Schluß meiner kurzen Rede möchte ich denn doch noch ein, zwei Sätze zu den Parallelentwürfen von Bündnis 90/Die Grünen und der SPD sagen. Ich bin selbstverständlich höchst angetan davon, wie nachhaltig und positiv unsere Entwurfsarbeit gewirkt hat. Beide Parallelentwürfe sind weithin und bis in einzelne Formulierungen hinein ein treues Abbild dieses Entwurfs. Liebe Frau Däubler-Gmelin, dies ist im übrigen nicht ein Entwurf der SPD von 1950, sondern schlicht und ergreifend die Kontrollratsproklamation Nr. 3 von 1945. Für mich speziell war nun die britische Verordnung vom 3. Juni 1947 Vorbild. Wir haben deswegen die dortigen Formulierungen übernommen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Däubler-Gmelin?

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Minister:in)

Politiker ID: 11002781

Gerne.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesjustizminister, würden Sie mir vielleicht zustimmen, wenn ich Ihnen sage, daß der Ansatz, durch Gesetz diese scheinbar in Gerichtsform ergangenen NS-Unrechtsurteile pauschal aufzuheben, bereits 1950 in dem Entwurf der SPD-Bundestagsfraktion eine große Rolle gespielt hat und daß deshalb der Gedanke, daß das das Arbeiten auch des Bundesjustizministeriums in den späteren Jahrzehnten befruchtet hat, nahelegt, daß man zu diesem Ansatz zurückgekehrt ist, weil man erkannt hat, daß die Aufhebung auf Antrag aus verschiedenen Gründen gar nicht möglich und auch nicht tunlich ist? Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß es angesichts dieser verschiedenen Ansätze, Entscheidungen und Initiativen vielleicht ganz gut wäre, Persönlichkeiten wie Adolf Arndt oder Georg August Zinn ein gewisses Maß an Respekt zu zollen?

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Minister:in)

Politiker ID: 11002781

Adolf Arndt zolle ich ohnehin - auch ohne Ihre Anmahnung - höchsten Respekt, ({0}) und zwar aus ganz anderen naheliegenden Gründen. ({1}) - Aus diesem könnte ich es tun, wenn ich diesen Entwurf gekannt hätte. Ich will auch gar nichts gegen diesen Ansatz sagen. Nur für mich ganz persönlich kann ich feststellen: Für mich waren ganz andere Punkte maßgeblich, so und nicht anders zu formulieren. Das waren die Punkte, die ich Ihnen vorgetragen habe. ({2}) - Wunderbar. Deswegen würde ich auch gerne noch auf Sie, Herr Heuer, eingehen. Natürlich habe ich nie verkündet, daß das alles nun nichts werde. Sie dürfen da nicht zu schnell das Opfer Ihrer eigenen Propaganda werden. Dem war überhaupt nicht so. Es ist mitunter nur eine längere Überzeugungsarbeit nötig. Zum Schluß sind wir dann bei dem Ziel angelangt, das wir nun heute hier im Parlament besichtigen können. Ich will noch eines zu den wenigen Punkten sagen, in denen Sie - dies betrifft insbesondere die Grünen; aber ich wende mich hier speziell an die SPD; im übrigen Respekt vor § 3 Ihres Gesetzentwurfes; ich denke, darauf sollten wir noch einmal zu sprechen kommen - über den Koalitionsentwurf hinausgehen. Denn da wird meines Erachtens einiges fragwürdig. Da steht dann nicht mehr nur spezifische NS-Willkür im Visier. Es sollen vielmehr - aus heutiger Sicht sicherlich politisch falsche - gesellschaftliche Bewertungen von damals, wie etwa die Strafbarkeit der Homosexualität, ungeschehen gemacht werden. Ich erinnere daran, daß wir die Strafbarkeit erst 1969 und letzte Reste sogar erst 1994 aufgehoben haben. Das mag in der Sache alles berechtigt sein, hat aber nichts mit Bereinigung spezifischen NS-Unrechts zu tun. Das kann deswegen so nicht funktionieren und belastet und erschwert das jetzige Anliegen der NS-Unrechtsbereinigung sehr. Ich rufe deswegen alle Beteiligten zu historischer Ehrlichkeit - manches war eben ziemlich kritikwürdig, ganz unabhängig von der Tatsache des NS-Unrechts - und zielführender Mitarbeit auf.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Beck?

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Minister:in)

Politiker ID: 11002781

Gerne.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, würden Sie mir zustimmen, daß sich durch die Entscheidung des Reichsgerichtshofes die Verfolgung von Homosexuellen nach 1934 erheblich verschärft hat, die Strafbarkeit in großem Umfang ausgedehnt wurde und daß durch die Novelle von 1935 zu den §§ 175 und 175a des Reichsstrafgesetzbuches die Strafbarkeit ein zuvor in Deutschland nicht gekanntes Ausmaß beim Thema Homosexualität annahm? Würden Sie mir ferner zustimmen, daß die Rechtslage, die bis 1969 bestanden hat, dahin gehend zu bewerten ist, daß hier eine menschenrechtswidrige Rechtslage, wie dies in mehreren Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gegenüber Zypern, der Republik Irland und Großbritannien wegen der Rechtslage auf der Isle of Man festgestellt wurde, bestand und daß es das Gesetz nicht besser macht, daß wir als Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis 1969 hier eine falsche Bewertung vorgenommen haben und uns dies nicht abhalten sollte, wenigstens die Strafnorm der §§ 175 und 175a Nr. 4 aufzuheben? Wir haben hier schon einmal darüber diskutiert. Da haben Sie behauptet, Reste davon seien tatbestandlich heute noch umfaßt. Das gilt für die zwei Normen, die ich gerade zitiert habe, explizit nicht. Könnten wir nicht da zueinander finden, indem wir feststellen, daß hier NS-Unrecht geschehen ist, und indem wir dieses Unrecht aufheben und diesen Menschen ihre Würde zurückgeben?

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Minister:in)

Politiker ID: 11002781

Herr Beck, Sie haben in allem recht, was die Bewertung aus heutiger Sicht anbetrifft. Da stimmen wir überein. Ich glaube nur nicht, daß Ihre Vorstellung mit unserem Ansatz vereinbar ist, pauschal Urteile aufzuheben, die spezifisches NS-Unrecht darstellen, weil sie auf spezifischen NS-Vorschriften beruhen. ({0}) Deswegen ist das, was Sie wollen, zwar politisch verständlich, paßt aber einfach nicht hierein und ist auch, wie ich finde, historisch nicht ehrlich. Natürlich kann man das alles fürchterlich beklagen. Aber es gab damals noch keine judizierbaren Menschenrechte. Deswegen bringt es gar nichts, wenn Sie hier Akte aus den Jahren 1920, 1930, ja zum Teil bis 1948 mit den heutigen Menschenrechtsmaßstäben beurteilen. Ich glaube nicht, daß wir so weiterkommen. Ich möchte nur noch einen Punkt ansprechen, weil da möglicherweise ein Mißverständnis oder ein Informationsdefizit besteht: In beiden Parallelentwürfen wird im zweiten Teil auch die Aufhebung der Entscheidungen der Erbgesundheitsgerichte betrieben, die ja keine Strafgerichte waren, sondern, jedenfalls aus heutigem Verständnis, Verwaltungsbehörden. Daß das Vorhaben, die Entscheidungen der Erbgesundheitsgerichte aufzuheben, von uns unterstützt wird, ist völlig eindeutig. Der Deutsche Bundestag hat, zuletzt am 31. Mai 1995, die Bundesregierung ausdrücklich aufgefordert, diese Aufhebung zu betreiben. Das wird auch geschehen. Dieser Gesetzentwurf, ein Regierungsentwurf, befindet sich in der Schlußabstimmung zwischen den Ressorts. Ich gehe davon aus, daß er noch in die jetzt anlaufenden Beratungen mit eingebracht werden kann. Es ist eine Frage der Optik, ob man dies als Art. 2 hinzunimmt oder wie auch immer. ({1}) In der Sache gibt es keine Differenzen - nur damit das eindeutig ist. Meine Damen und Herren, lassen Sie uns an der Schwelle zum 21. Jahrhundert einen Schlußstein unter die juristische Bewältigung des NS-Unrechts setzen. Die andere Art der Bewältigung wird uns noch so lange beschäftigen, wie es deutsche Geschichte gibt. Da stimme ich Ihnen ausdrücklich zu. Lassen Sie uns alle Opfer der nationalsozialistischen Willkürherrschaft endgültig wieder ins Recht setzen, damit sie ihren Frieden finden können und Deutschland - das ist mir sehr wichtig - sich selber rechtlich endgültig rehabilitieren kann. Lassen Sie uns dann die Lehren aus unserer Geschichte in die Zusammenfügung des gemeinsamen Rechtsraumes Europa einbringen. Wir haben in Europa eine ganz spezifische Aufgabe zu erfüllen. Vielen Dank. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe damit die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 13/9747, 13/9774 und 13/10013 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 sowie den Zusatzpunkt 3 auf: 4. Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der zivilrechtlichen Entschädigung der Opfer von Straftaten ({0}) - Drucksache 13/6831 - ({1}) Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({2}) - Drucksache 13/9311 - Berichterstattung: Abgeordnete Ronald Pofalla Dr. Eckhart Pick Volker Beck ({3}) ZP3 Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Jürgen Meyer ({4}), Dr. Herta Däubler-Gmelin, Hermann Bachmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Zeugenschutz im Strafprozeß - Drucksachen 13/5034, 13/8156 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Widerspruch gibt es nicht. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem Abgeordneten Irmer als Berichterstatter das Wort.

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe die Freude, Ihnen einmal ein echtes Vermittlungsergebnis vorstellen zu können. Es handelte sich hier um ein Anspruchsgesetz, das heißt, wir hätten einen Anspruch des Bundesrates zurückweisen können. Wir haben uns aber auf eine sachliche Diskussion eingelassen. Ich finde das in Ordnung, weil wir im Vermittlungsausschuß auch ein gutes Ergebnis erzielt haben. Ich bedanke mich bei den Hauptbeteiligten, Herrn Professor Meyer, Herrn Geis, Herrn Kleinert, Frau Ministerin Schubert und Herrn Minister Leeb, der jetzt nicht hier ist. Es ging letzten Endes um zwei Streitpunkte. Der eine Streitpunkt war: Wie hält man es, wenn ein Zeuge - hier ist insbesondere an Kinder gedacht - außerhalb des Gerichtssaals vernommen werden soll? Es gab einige, die gesagt haben: Das muß in jedem Fall der Vorsitzende tun. Aber es gibt das MoUlrich Irmer dell aus Österreich und Großbritannien, wo dies nicht der Vorsitzende macht. Vielmehr bleibt der Vorsitzende im Gerichtssaal, weil er beobachten soll, wie die Reaktion beispielsweise des Angeklagten auf die in den Gerichtssaal überspielte Zeugenaussage ist. Bei der Frage, wer mit dem Zeugen außerhalb des Gerichtssaales die Zeugenbefragung durchführt bzw. unmittelbar die Fragen an den Zeugen stellt - das betone ich jetzt, weil das aus dem Gesetzestext nicht hervorgeht -, sind sich alle Beteiligten des Vermittlungsverfahrens darüber einig, daß hier theoretisch auch ein nicht zum Spruchkörper gehörender ersuchter Richter die Fragen an den Zeugen stellen kann. Ein zweiter Streitpunkt war, wie das Verhältnis einerseits Opferanwalt und andererseits Zeugenschutz gestaltet werden sollte. Der Bundestag hatte in seinem ursprünglichen Gesetzentwurf den Zeugenschutz in den Vordergrund gestellt. Insbesondere der Freistaat Bayern, aber auch andere Bundesländer - das war Grund der Anrufung des Vermittlungsausschusses - waren der Meinung, daß man auch den Opferschutz verstärken sollte. Wir haben uns dem mehrheitlich angeschlossen und sind, glaube ich, zu einem vernünftigen und abgewogenen System gekommen. Insgesamt kann man feststellen, daß wir in dem modernen Strafrecht immer mehr von dem rein täterbezogenen Strafrecht wegkommen und die Opfer sowie die sonstigen Beteiligten, die mittelbar Opfer sind, hier stärker in ihren Rechten fördern und berücksichtigen wollen. Es ist sicher so, daß wir mit diesem Gesetz noch Erfahrungen werden sammeln müssen; wir begeben uns hier auf Neuland. Deswegen waren sich auch alle Beteiligten darüber einig, daß wir innerhalb der nächsten Jahre die Erfahrungen sammeln und auswerten müssen, um später, wenn die Erfahrungen ausgewertet sind, möglicherweise noch bestehende Lücken oder Unebenheiten ausgleichen zu können. Meine Damen und Herren, alles andere ergibt sich aus dem Text. Meine Redezeit ist abgelaufen. Ich möchte sie auch nicht überziehen. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und empfehle Ihnen den in meinen Augen äußert geglückten Kompromiß zur Annahme. Danke. ({0})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das war die Berichterstattung. Wir kommen nun zur Aussprache. Ich rufe den Abgeordneten Professor Jürgen Meyer auf.

Prof. Dr. Jürgen Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001494, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist ein guter Tag für den Opferschutz. Nach Verabschiedung des Zweiten Opferschutzgesetzes durch den Deutschen Bundestag haben wir vom Bundesrat eine Reihe wichtiger Anregungen erhalten. Selbstverständlich hat der Bundesrat auch sehr kritisch geprüft, wieviel für Opferschutz von den Ländern bezahlt werden kann. Wir haben dann in einem Vermittlungsverfahren, das, wie der Kollege Irmer zu Recht betont hat, sehr konstruktiv gelaufen ist, ein sehr gutes Ergebnis erzielt, für das allen Beteiligten, insbesondere auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der beteiligten Justizministerien, Dank gebührt. Heute werden wir drei neue bzw. stark ausgebaute Rechtsinstitute, die dem besseren Schutz von Opfern und Opferzeugen im Strafverfahren dienen, beschließen. Die SPD-Bundestagsfraktion ist ein bißchen stolz darauf, daß wir zu allen drei Neuregelungen durch parlamentarische Initiativen in dieser Legislaturperiode eine Initialzündung geben konnten, die sicherlich auch aus der Sicht der anderen Fraktionen nützlich war. Ich will aber auch deutlich machen, daß wir unsere Initiativen - soweit sie noch nicht voll zum Ziel geführt haben - in der nächsten Legislaturperiode auf der Grundlage der Erfahrungen mit dem Zweiten Opferschutzgesetz fortsetzen wollen. Ich nenne als erstes unsere Große Anfrage zum Zeugenschutz im Strafprozeß, die wir 1996 eingebracht haben. Darin haben wir darauf hingewiesen, daß in den vergangenen Jahren fast ausschließlich Bestimmungen zur erleichterten Ermittlung von Tätern eingeführt worden sind. Ich zitiere aus unserer Großen Anfrage: Dabei trat das Ziel einer von Drohungen und Einschüchterungen möglichst unabhängig vorgebrachten Zeugenaussage trotz ihrer erheblichen Bedeutung für die Wahrheitsermittlung in den Hintergrund. Die dadurch entstandene Vernachlässigung des Zeugenschutzes zeigt sich gerade auch darin, daß sich der Zeuge häufig als bloßes „Objekt der Beweisaufnahme" benutzt fühlt und seine Bedrohungen und Ängste nicht ernst genommen werden oder er vor konkreten Gefahren nicht hinreichend geschützt wird. Dies kann zu einer belastenden Vernehmungsatmosphäre führen, die letztlich auch der Wahrheitsermittlung abträglich ist. Wir haben auf unsere Große Anfrage eine sorgfältig ausgearbeitete, aber nicht durchgehend überzeugende Antwort des Bundesjustizministeriums erhalten. Lobend will ich aber hervorheben, daß auf unsere Frage 15, die den Zeugenbeistand betraf, die Antwort durchaus positiv gewesen ist. Möglicherweise war das auch ein Anstoß dazu, daß wir uns schon im Opferschutzgesetz, wie es der Bundestag vor einigen Monaten verabschiedet hat, auf den Zeugenbeistand verständigen konnten. Es ist ganz wichtig, daß Zeugen, die ihre Rechte ohne einen solchen Beistand nicht wahrnehmen können, künftig auf Staatskosten einen Anwalt unter den im Gesetz näher bezeichneten, teilweise einschränkenden Bedingungen erhalten. Wir vertreten aber zum Zeugenschutz noch weitergehende Forderungen. Ich will Ihnen in Frageform Dr. Jürgen Meyer ({0}) eine Forderung nahebringen: Sollten wir nicht endlich dafür sorgen, daß Frauen, die als Opfer von Menschenhändlern zur Prostitution gezwungen werden und eine Zeugenaussage scheuen, weil sie befürchten müssen, dann abgeschoben zu werden, künftig durch eine Änderung des Ausländerrechtes anders behandelt werden? Ist es nicht sozial verträglicher, diesen Frauen ein befristetes oder sogar unbefristetes Aufenthaltsrecht bei uns zu geben, als die Täter weiter ungestört ihrem Gewerbe des Menschenhandels nachgehen zu lassen? ({1}) Ich bin der Auffassung, hier ist Zeugenschutz notwendig. Wir sollten uns darüber weiter Gedanken machen. Ich komme als zweites zum neuen Institut des Opferanwaltes. Dieses war in unserem Gesetzentwurf von 1995 weitergehend, als es jetzt verabschiedet werden soll, vorgesehen. Immerhin gab es im Bundesratsentwurf vom Februar 1997 - das ist der Monat, in dem er uns erreicht hat - eine interessante Erweiterung der Nebenklage. Hierauf haben wir uns jetzt verständigt. Das bedeutet, das künftig kindliche und jugendliche Opfer, die bei der Antragstellung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, einen Opferanwalt auf Staatskosten erhalten werden. Das ist ein großer Fortschritt. Jetzt muß man sehen, ob das reicht. Es bleibt die Frage, die ich bei der Einbringung unseres Gesetzentwurfes gestellt habe: Wie begründen wir eigentlich, daß potentielle Täter, die als Angeklagte ihre Rechte nicht selbst wahrnehmen können, eventuell auf Grund einer schwierigen Sach- oder Rechtslage, auf Staatskosten einen Pflichtverteidiger erhalten, Opfer aber, wenn sie in vergleichbarer Lage ihre Rechte nicht wahrnehmen können, nicht generell einen Opferanwalt auf Staatskosten erhalten? Das ist eine Frage, die nach wie vor nicht überzeugend beantwortet ist. Wir machen aber einen ersten Schritt in die aus unserer Sicht richtige Richtung. Die dritte Neuerung ist die Einführung der Videographie in das Strafverfahren. Hierzu wird mein Kollege Eckart Pick, weil wir hierbei intensiv zusammengearbeitet haben, noch einige Ausführungen machen, insbesondere zum Mainzer Modell, das wir abgewandelt, wie es der Kollege Irmer eben vorgestellt hat, nun Gesetz werden lassen wollen. Ich finde, daß durch die grundsätzliche Gleichbehandlung von Videoaufzeichnungen mit Protokollen ein Ziel, das wir immer gemeinsam betont haben, erreicht werden könnte, nämlich die Vielfachvrenehmungen von kindlichen Opfern insbesondere bei Sexualdelikten endlich einzuschränken und möglichst ganz zu vermeiden. Das ist ein Ziel, das wir durch die Einführung der Videographie in das Strafverfahren ansteuern. Ich jedenfalls bin optimistisch, daß wir diesem Ziel näherkommen. Die Grundphilosophie des Zweiten Opferschutzgesetzes ist - auch darüber sind wir in diesem Hause sicherlich einig -, daß Opfer stärker in den Mittelpunkt des Strafverfahrens gerückt werden müssen. Die Renaissance des Opfers im Strafverfahren ist eine der bemerkenswertesten kriminalpolitischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte. Heute tun wir einen weiteren Schritt, um diese Entwicklung zu beschleunigen. Die Menschenwürde des Verletzten erfordert, ihn nicht als Zeuge und Objekt des Strafverfahrens zu instrumentalisieren; der Verletzte muß eine eigene Handlungskompetenz und Subjektqualität erhalten. Dieses ist übrigens auch das Ziel einer Sanktion, die wir künftig verstärken sollten, nämlich die des Täter-Opfer-Ausgleichs. Er hilft den Opfern und fördert die Unrechtseinsicht der Täter. Lassen Sie uns also in diesem Sinne dem vorliegenden Gesetzentwurf zustimmen und weiter an der Verbesserung des Opferschutzes arbeiten. Ich danke Ihnen. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ronald Pofalla.

Ronald Pofalla (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001726, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte meinen beiden Vorrednern ausdrücklich darin zustimmen, daß wir heute in der Tat mit den verschiedenen Vorlagen einen großen Tag für den Opferschutz in Deutschland haben. Alle haben daran mitgewirkt. Ich möchte im folgenden nun nicht zu dem Ergebnis des Vermittlungsausschusses sprechen, sondern zu dem eigentlichen Tagesordnungspunkt, der ursprünglich an dieser Stelle vorgesehen war, nämlich zum Opferanspruchssicherungsgesetz. Daß alle mitgewirkt haben, erkennt man daran, daß es sich bei diesem Gesetzentwurf um einen Entwurf des Bundesrates gehandelt hat, der auf einem Entwurf aus Bayern fußt. Ich will mich vorweg bei der Bayerischen Staatsregierung für diesen ausgezeichneten Entwurf und für die gute Initiative bedanken, weil hiermit ein zahlenmäßig wohl überschaubares Problem sehr qualifiziert einer Lösung zugeführt worden ist. Beim Opferanspruchssicherungsgesetz geht es nicht darum, den Opfern Ansprüche zu sichern, die sozusagen zusätzlich geschaffen werden; vielmehr geht es - wie der Gesetzeswortlaut schon deutlich macht - um eine Sicherung von vorhandenen Rechten, die im Wege des Pfandrechts dem Opfer zugeordnet werden sollen. Der Hintergrund dieser Initiative ist der Umstand, daß sich unsere Medienlandschaft in Deutschland im Zusammenhang mit der öffentlichen Darstellung von Kriminalität rapide entwickelt und verändert hat. Wir alle erleben Exklusivberichterstattungen. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht irgendeine neue Sensationsstory „enthüllt", „geoutet" oder „live", „extra" und „exklusiv" auf den Altären von publikumswirksamen Talkshows analysiert wird. Diese Entwicklung mag man als bedenklich oder etwa als Auswuchs globaler Vernetzung bezeichnen. Ändern oder gar aufhalten werden wir sie nicht mehr. Gegen ein wachsendes Angebot von Informationen und ein dementsprechend steigendes Bedürfnis nach Crimestories ist ja auch grundsätzlich nichts zu sagen. Wenn halb Amerika einen flüchtenden O. J. Simpson jagt, warum soll man dies nicht per Bildschirm verfolgen? Medienvielfalt ist dann nicht zu beanstanden, wenn und solange sich ein jeder diesem Treiben einzeln entziehen kann. Was aber, wenn da ein Täter munter über ein Verbrechen plaudert, dessen Opfer man selbst ist oder war? Hier hilft das vom Freistaat Bayern beim Bundesrat eingebrachte Opferanspruchssicherungsgesetz. Es begründet zugunsten der Opfer von Straftaten ein gesetzliches Pfandrecht an Honorarforderungen für die Vermarktung der Tat durch den Täter. Wenn das Opfer einer Straftat schon nicht verhindern kann, daß sich ein Täter in Wort und Bild eine Einnahmequelle auf Grundlage von persönlichem Leid oder finanziellen Einbußen des Opfers verschafft, so soll das Opfer hiervon wenigstens auch profitieren. Dieser Opferentschädigungsanspruch ist als zivilrechtliches Pfandrecht ausgestaltet. Ein solches Pfandrecht entsteht also zum einen an einer Forderung, die ein Täter oder Teilnehmer einer rechtswidrigen Straftat im Hinblick auf eine öffentliche Darstellung der Tat gegen einen Dritten erwirbt. Ferner soll ein solches Pfandrecht aber auch dann entstehen, wenn die öffentliche Darstellung zwar lediglich die Person bzw. die Lebensgeschichte des Täters oder des Teilnehmers zum Gegenstand hat, aber die rechtswidrige Tat für diese Darstellung bestimmend ist. Für diesen Fall sieht das Gesetz jedoch eine Frist von fünf Jahren ab Beendigung der Tat vor, innerhalb derer die öffentliche Darstellung erfolgen muß. Vergeht mehr Zeit, soll auch kein Pfandrecht entstehen. Insofern waren sich die Berichterstatter aller Fraktionen einig, daß die Schutzwürdigkeit des Opfers in diesen Fällen als geringer anzusehen ist. Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Lebens- bzw. ,,Berufs"-Geschichte des Täters und dem Opfer wird nach einem Zeitraum, der diese Frist übersteigt, in der Öffentlichkeit nicht mehr unbedingt hergestellt werden können. Bereits in der Bezeichnung des Gesetzes wird deutlich - ich will das betonen -, daß es hier nicht um die Schaffung neuer Ansprüche geht, sondern nur um die Sicherung vorhandener Ansprüche, nämlich die Sicherung von Ansprüchen eines Opfers gegenüber Ansprüchen des Täters, die er seinerseits im Rahmen der Vermarktung gegenüber den Medien erworben hat. Um dem Opfer bei der Durchsetzung bzw. bei der Verwirklichung seines Entschädigungsrechts ein wirkungsvolles Instrumentarium an die Hand zu geben, sieht der Gesetzentwurf ferner eine Auskunftspflicht vor. Diese erstreckt sich auf das Bestehen und den Umfang einer Forderung, die im Hinblick auf die öffentliche Darstellung der Tat erworben wurde. Auskunftspflichtig sind neben dem Täter und dem Teilnehmer auch an der Veröffentlichung beteiligte Dritte und sonstige Begünstigte. Hiervon unberührt müssen und sollen die gesetzlichen Auskunfts- und Aussageverweigerungsrechte sowie Verschwiegenheitspflichten bleiben. Im Rahmen der Beratungen der Berichterstatter haben wir großen Wert darauf gelegt, daß in diese schutzwürdigen Rechte nicht eingegriffen wird. Ich glaube, wir sind zu sehr akzeptablen Lösungen gekommen. Als erforderlich wurde des weiteren eine Norm angesehen, welche auch sogenannte Umgehungsgeschäfte erfassen und an diesen ein Pfandrecht entstehen lassen soll. Wie die Praxis nämlich zeigt, lassen sich manche Strafverteidiger an Stelle des ihnen zustehenden Honorars einfach die Exklusivrechte für die Vermarktung der Lebens- und Verbrechensgeschichte vom Täter abtreten. Auch in diesem Fall erlangt der Täter schließlich einen geldwerten Vorteil aus der Veröffentlichung seiner Tat. Hier ist es das Freiwerden von der Verbindlichkeit des Anwaltshonorars. Alles in allem glaube ich, daß wir mit diesem Gesetzentwurf des Bundesrates, der ja auf einem Entwurf aus Bayern fußt, einen wichtigen Beitrag in einem kleinen Segment geleistet haben, um einen weiteren Schutz für Opfer herbeizuführen, der sich möglicherweise finanziell erheblich auswirken kann. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat der Abgeordnete Volker Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Beide hier zur Abstimmung stehenden Gesetzentwürfe wollen die Rechtsstellung von Opfern von Straftaten verbessern. Beiden Entwürfen werden wir zustimmen. Trotzdem, Herr Pofalla, muß ich sagen: Ein ganz so großer Tag für die Opfer von Straftaten ist der heutige Tag nicht. Das sind kleine Korrekturen und minimale Verbesserungen im Opferschutz. Ich möchte hinsichtlich des Opferschutzes daran erinnern ({0}) - ich komme gleich dazu -, daß wir in dieser Wahlperiode auch andere kleine Korrekturen, die wir insbesondere für nicht in Deutschland lebende Opfer von Straftaten im Rahmen des Opferentschädigungsgesetzes durchsetzen wollten, hier nicht durchsetzen konnten, obwohl es nur eine kleine Gruppe gewesen wäre und die Entschädigung nicht viel Geld gekostet hätte. Wir sollten daher ein bißchen auf dem Teppich bleiben und den Mund nicht ganz so voll nehmen. Dem Zivilrechtlichen Opferentschädigungsgesetz werden wir zustimmen, weil es zumindest eine Willensbekundung für mehr Gerechtigkeit ist, und der Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses Volker Beck ({1}) zum Zeugenschutzgesetz, weil wir hiermit die Hoffnung verbinden, daß Opfer schwerer Straftaten im Ermittlungs- und Strafverfahren wirkungsvoller als bisher vor unnötigen Belastungen geschützt werden können. Es wird zu Recht beklagt, daß Opfer von Straftaten häufig keine müde Mark Entschädigung erhalten. Dies hängt in dem einen oder anderen Fall tatsächlich damit zusammen, daß es einem Täter gelingt, seine Tat gewinnbringend medial zu vermarkten und den Gewinn durch Vorausabtretung dem Zugriff des Opfers zu entziehen. Dem soll ein Riegel vorgeschoben werden, und das ist richtig so. Das Ziel, den vom Täter erzielten Gewinn aus einer Medienverwertung der Tat zur Entschädigung der Opfer zu verwenden, verdient volle Unterstützung. Einem Meinen Teil der Opfer von Straftaten kann damit geholfen werden. Wenn wir stärker an die Opfer denken, mag das für den Gesetzgeber ein großer Schritt sein - für die Opfer ist es jedoch nur ein kleiner. Wir dürfen nicht vergessen: Es geht um einen winzigen Teilbereich. Die Mehrzahl der Fälle, in denen das Opfer ohne Entschädigung bleibt, ist doch dadurch gekennzeichnet, daß beim Täter schlichtweg nichts zu holen ist. Wird der Täter zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, verliert er seinen Arbeitsplatz. Mit einem Arbeitsentgelt im Vollzug in Höhe von täglich durchschnittlich 10 DM besteht kaum eine Chance, die Schulden draußen abzuarbeiten und das Opfer zu entschädigen. Je höher die Strafen, um so mehr sinken die Chancen für eine Entschädigung der Opfer. An dieser für die Praxis bedeutenden Sachlage ändert auch der vorliegende Entwurf nichts. Man müßte manches im Strafvollzug reformieren, um hier eine Entspannung zu erreichen. Es ist erfreulich, daß es den Ländern im Vermittlungsausschuß gelungen ist, den Koalitionsentwurf zum Zeugenschutz in einigen Punkten nachzubessern. Daß erstmals die Voraussetzung für die Beiordnung eines Opferanwaltes auf Staatskosten geschaffen werden soll, ist gerade in Zeiten knapper Kassen ein Signal, daß der Staat das berechtigte Interesse von Opfern, im Strafverfahren nicht erneut Opfer zu werden, ernst nimmt. Im ursprünglichen Koalitionsentwurf suchte man eine solche Regelung noch vergeblich. Wir von der Seite der Opposition hatten in den Ausschußberatungen hierfür gestritten. Ich glaube, wir hatten sogar einen entsprechenden Änderungsantrag von der Opposition im Plenum, der nicht die Mehrheit des Hauses fand. Ich bin froh, daß hier durch eine Korrektur des Bundesrates eine Verbesserung erreicht wurde. Ebenfalls entspricht einer grünen Forderung, die Videovernehmung im Ermittlungsverfahren und Strafverfahren auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen. Hier hätte ich mir eine etwas andersgeartete Regelung gewünscht. Wir hatten sie in unserem Antrag zur Verbesserung des Schutzes von Kindern, die Opfer von sexuellem Mißbrauch geworden sind, ausgeführt. Der insbesondere für die Schutzbedürftigsten aller Zeugen, nämlich die Kinder, die Opfer eines Sexual- oder Gewaltdelikts geworden sind, bestehende Spielraum wird nicht voll ausgeschöpft. Die Regelungen werden hier etwas verbessert, aber in der Grundlage nicht korrigiert, weil man alle Opfer in diese Regelungen einbezogen hat. Sie wissen, daß dadurch, daß man Kinder im Strafverfahren nicht mit Zwangsmaßnahmen vorladen kann, hier letztendlich ein größerer Spielraum für den Opferschutz und die Anwendung der Videovernehmung schon im Ermittlungsverfahren besteht, als das bei Strafverfahren der Fall ist, bei denen das Opfer oder der Zeuge älter als 14 Jahre ist. Ob es tatsächlich gelingt, den Schutz insbesondere von Kindern im Ermittlungs- und Strafverfahren zu verbessern und belastende Mehrfachvernehmungen auf das notwendige Minimum zu reduzieren, ist fraglich. Meine Fraktion stellt sich aber dem nun gefundenen Kompromiß nicht in den Weg. Wir werden die Praxis genau beobachten müssen. Sollte sich zeigen, daß die an das Gesetz gestellten Erwartungen nicht erfüllt werden, muß deutlich nachgebessert werden. Denn im Bereich des Schutzes von kindlichen Opfern von sexuellem Mißbrauch in solchen Strafverfahren darf uns als Gesetzgeber keine Mühe zuviel sein, um hier das Mögliche zu tun. Oftmals ist es eine erneute Traumatisierung und verhindert es die Verarbeitung, wenn Kinder, die die an ihnen begangene Straftat zum Teil schon bewältigt haben, durch das Strafverfahren noch einmal mit dem Täter und mit der Tat konfrontiert werden. Das kann den Verarbeitungsprozeß erheblich stören. Hier gibt es noch mehr Spielraum für den Schutz des kindlichen Opfers. Wir sollten ihn in der Zukunft nutzen, wenn es sich nicht schon, wie wir es vermuten, durch die vorgeschlagene Regelung aus der Praxis ergibt, daß der Opferschutz zu einer befriedigenden Lösung gekommen ist. Vielen Dank. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Herr Kollege van Essen.

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Vorredner haben deutlich gemacht, daß wir in der Frage des Opferschutzes erfreulicherweise eine breite Mehrheit im Deutschen Bundestag haben. Man mag sich darüber streiten, ob dies ein guter Tag für den Opferschutz ist oder ob wir nur kleine Fortschritte erzielt haben, wie der Kollege Beck gerade gesagt hat. Ich halte es insgesamt für gut, daß wir heute gleich mehrere Gesetze auf den Weg bringen können, die nach meiner Auffassung das, was Vorredner angesprochen haben, in der Praxis ermöglichen werden, daß nämlich die „professionelle Verbiegung", die viele Abgeordnete auf Grund ihrer Tätigkeit als Richter, Staatsanwälte, Verteidiger von Straftätern haben - in all diesen Tätigkeiten beschäftigt man sich eben vorzugsweise mit den Tätern und ist auf sie fixiert -, Gott sei Dank ein Ende hat. Es gehört ganz selbstverständlich zu unserem Rechtsstaat, daß wir den Schutz vor Straftaten und den Schutz derjenigen, die Opfer von Straftaten geJörg van Essen worden sind, in den Mittelpunkt unserer Überlegungen stellen. Ich freue mich sehr darüber. ({0}) Es hat im Bundesrat verschiedene Überlegungen gegeben, die sich von denen aller Fraktionen im Bundestag unterschieden haben. Ein Punkt ist vom Kollegen Irmer schon angesprochen worden - ich bin froh, daß wir in dieser Frage bei unserer Linie geblieben sind -: Wer vernimmt das Kind, das in einem anderen Raum als dem der Hauptverhandlung sitzt? Da gab es Vorstellungen im Bundesrat, daß der Vorsitzende den Gerichtssaal verlassen und sich unmittelbar mit dem Kind unterhalten solle. Ich bin sehr froh, daß wir uns weiterhin für das Modell entscheiden, das sich - der Kollege Irmer hat die beiden Länder genannt - in Österreich und in Großbritannien sehr bewährt hat. Ich meine, es gilt, den Grundsatz der Unteilbarkeit der Hauptverhandlung besonders hier hochzuhalten. Der gesamte Spruchkörper, alle zwei oder drei Berufsrichter - je nachdem, wie die Hauptverhandlung ausgestaltet ist -, soll die gleiche Grundlage für seine Urteilsfindung haben wie die anderen Prozeßbeteiligten, nämlich Verteidiger und Staatsanwalt. Ich glaube, daß wir uns hier richtig entschieden haben. Der Kollege Beck hat den Eindruck erweckt, als wenn in diesem Hause die Einrichtung des Opferanwaltes kritischen Überlegungen ausgesetzt gewesen sei. Ich will hier für die F.D.P.-Bundestagsfraktion ausdrücklich deutlich machen, daß wir uns über diese ersten Schritte zur Einführung eines Opferanwaltes außerordentlich freuen. Sie finden meine ausdrückliche Unterstützung. Denn insbesondere bei dem anderen Gesetz, das wir heute verabschieden werden, dem Opferanspruchssicherungsgesetz - Sie merken, daß ich das etwas langsam sagen muß, weil es nicht ganz leicht über die Lippen zu bekommen ist -, ({1}) bedarf jemand, der nicht gerichtserfahren ist, der nicht juristisch erfahren ist, natürlich der Hilfe eines Anwaltes. Das wäre nach meiner Auffassung ein ganz typischer Anwendungsfall für die Tätigkeit eines solchen Anwalts. Daß ich mich über dieses Opferanspruchssicherungsgesetz besonders freue, werden Sie vor dem Hintergrund verstehen, daß ich beruflich sehr eng mit der Gladbecker Geiselaffäre verbunden war. Ich war damals bei der Generalstaatsanwaltschaft in Hamm für die justitielle Aufarbeitung zuständig. Wenn man sich da bei der Bearbeitung einer Beschwerde mit allen kleinen Einzelheiten dieses Falles befassen mußte und deshalb den Fall praktisch persönlich miterlebt hat und gesehen hat, was sich dort alles ereignet hat, und wenn man dann erleben mußte, daß die Täter, die unglaublich vielen Menschen ein ganz schreckliches Leid angetan hatten, auch noch kassierten, indem sie ihre unerträgliche Geschichte an die Medien verkauften, und wenn man dann noch mitbekam, daß es Gerüchte gab - ich will das nur so darstellen, weil ich es nicht nachgeprüft habe -, daß das Geld da und dort bei einem Strafverteidiger, wie man leichtfertig sagt, gelandet ist, dann wird man doch sehr nachdenklich. Deshalb war das für mich ein ganz wichtiger Punkt, wo ich, als ich Abgeordneter wurde, gesagt habe: Da muß sich etwas ändern. Deshalb bitte ich, mir abzunehmen, daß ich mich über diesen Punkt, daß wir hier zu einer gesetzlichen Regelung kommen, auf Grund meiner persönlichen Erfahrungen ganz besonders freue. ({2}) - Das glaube ich, Herr Hartenbach, daß wir uns alle freuen. Aber ich bitte, wegen dieser persönlichen Situation zu verstehen, daß das bei mir ganz besonders der Fall ist. Ich nehme das allen ab. ({3}) Ich möchte allen danken. Es hat eine wirklich sehr gute Zusammenarbeit quer durch das Haus und auch mit dem Bundesrat gegeben. Wir sollten uns alle anstrengen, auf diesem Weg weitere Schritte zu tun. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Jetzt hat der Kollege Uwe-Jens Heuer das Wort. ({0})

Prof. Dr. Uwe Jens Heuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000891, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch wenn der Gesetzentwurf des Bundesrates angenommen werden wird, kann die oft unschöne, sensationslüsterne und das Opfer belastende Vermarktung von Straftaten in den Medien weitergehen. Ich kann diesen Prozeß auch nicht für derart harmlos ansehen, wie das nach meinem Eindruck Herr Pofalla tut. Wir sollten nicht nur festhalten, daß möglicherweise Strafverteidiger dabei Geld verdienen; wir sollten ebenfalls feststellen, daß die Medien dabei außerordentlich viel Geld verdienen. Dazu enthält der Entwurf nichts, und er kann das auch nicht regeln. Auch das Recht eines Beschuldigten oder Verurteilten, sich im Rahmen seiner Verteidigung an die Öffentlichkeit zu wenden, und das Recht der Öffentlichkeit, durch die Medien über Straftaten und ihre Verfolgung auch aus der Sicht des Täters informiert zu werden, bleiben unberührt. Das Ziel des Entwurfs ist begrenzt. Es soll der Fall verhindert werden, daß ein Täter sein Verbrechen und seine Vita durch Veröffentlichungen in Presse, Rundfunk und Fernsehen zu Geld macht und später - wenn er das Opfer entschädigen soll - erklärt: Bei mir ist nichts mehr zu holen; das Geld ist weg -. Eine solche Verfahrensweise kann man natürlich nicht billigen. Die Gruppe der PDS tritt generell für eine stärkere Berücksichtigung der Belange der Opfer, einschließlich der Sicherung ihrer zivilrechtlichen Ansprüche, ein. Der Opferschutz ist ein Kerngedanke auch unserer Strafrechtspolitik. Das bezieht sich auch darauf, daß das Opfer gerichtlich zugesprochene finanzielle Entschädigungen auch tatsächlich erhalten kann. Dem soll ja das gesetzliche Pfandrecht auf Geldforderungen des Täters zugunsten des Opfers dienen. Die Zustimmung zum Entwurf wird mir dadurch erleichtert, daß in der Fassung des Rechtsausschusses einige Präzisierungen enthalten sind. Ich meine die Ausschlußfrist von fünf Jahren, die zwischen Tat und öffentlicher Darstellung des Lebens des Täters liegen muß, und die Klarstellung, daß gesetzliche Auskunfts- und Aussageverweigerungsrehcte und Verschwiegenheitspflichten unberührt bleiben. Ich muß dem ein paar Aber hinzufügen. Erstens beschließen wir wieder einmal ein Gesetz ohne genaue Kenntnis der ihm zugrunde liegenden Tatsachen. Wie viele einschlägige Fälle der Nichtrealisierbarkeit von Schadensersatzansprüchen der Opfer - weil vorher eingenommene Honorare der Täter nicht mehr zur Verfügung stehen - gibt es denn eigentlich? Vielleicht wird uns das BMJ dazu noch etwas sagen. Zweitens können § 4 über die Auskunftspflicht und § 7 über das Umgehungsverbot als Einfallstor für das Herumschnüffeln von Behörden in Redaktionen und Anwaltsbüros mißbraucht werden. Nachdem das Hohe Haus den großen Lauschangriff gebilligt hat - wir befassen uns ja morgen noch einmal damit -, bin ich in dieser Beziehung sehr mißtrauisch. Die in beiden Paragraphen genannten beteiligten Dritten und sonstigen Begünstigten können nach Lage der Dinge in der Regel nur Journalisten und Anwälte sein. Im Bericht des Rechtsausschusses wird in einer nach meiner Meinung unzulässigen Weise von einer „Vermarktungskette ({0})" gesprochen. Hier ist auf jeden Fall Wachsamkeit geboten. Drittens bleibt ein gewisses Unbehagen darüber, daß Geldforderungen von Menschen einem Pfandrecht unterliegen können, die noch gar nicht rechtskräftig verurteilt sind, für die also noch die Unschuldsvermutung gilt. Aber für das Sich-Hinwegsetzen über solche Bedenken und das Ja zum Entwurf ist die beabsichtigte Stärkung des Opferschutzes für uns ausschlaggebend. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Herr Staatssekretär im Staatsministerium der Justiz des Freistaates Bayern, Kränzle. Staatssekretär Bernd Kränzle ({0}): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei aller Bescheidenheit, die hier angebracht ist, halte ich es doch mehr mit dem Grundtenor der Freude. Dieses Gefühl der Freude läßt sich sehr wohl begründen. Wer sich in den letzten eineinhalb Jahren an der Diskussion um das 6. Strafrechtsreformgesetz - es ist dann schließlich verabschiedet worden - beteiligt hat, wer dort Rede und Antwort stehen mußte, der wird zugeben, daß er immer wieder gefragt worden ist: Wie haltet ihr es mit den Opfern? Was tut ihr im Hinblick auf den Opferschutz? Stichwort in diesem Zusammenhang war der „Opferanwalt". Ich kann aber in diesem Zusammenhang auch das Gesetz zur Verbesserung der zivilrechtlichen Entschädigung der Opfer von Straftaten nennen. Meine Vorredner haben es auf den Punkt gebracht: Ich möchte bei aller Bescheidenheit erwähnen, daß dieser Entwurf vom Freistaat Bayern eingebracht worden ist. Ich möchte mich bei den Vorrednern dafür bedanken, daß sie dies gewürdigt haben. Ich möchte aber auch gleich dazusagen: Wir haben alle zu danken, weil wir im Grunde genommen nichts anderes gemacht haben, als die Signale der Bevölkerung aufzunehmen. Wir haben in der Diskussion gespürt - wir waren sensibel genug, dies festzustellen -, daß etwas bewegt werden muß. Kollege Irmer, Sie haben es im ersten Wortbeitrag gleich auf den Punkt gebracht: An diesem Tag kann niemand „draußen" - und was heißt das „draußen"? - sagen, der Gesetzgeber habe die Signale der Bevölkerung nicht weitergegeben. Wir sind uns doch alle in diesem Hohen Hause einig: Mit dem Konsens, der zwischen Bundestag und Bundesrat erzielt wurde, ist eine anerkannte Schutz- und Gerechtigkeitslücke geschlossen worden. Noch einmal die drei Spiegelstriche, die anzuführen notwendig ist - der Kollege Pofalla hat es bereits getan -: Erstens die Geltendmachung eines Pfandrechtes. Bisher können Straftäter für die Vermarktung ihrer „Story" beträchtliche Summen erzielen. Genau das ist der Punkt: Die Tatopfer haben mit ihren berechtigten zivilrechtlichen Ansprüchen dabei meist das Nachsehen. Dieser Zustand ist untragbar. Deswegen hat man diese Korrektur angebracht. Darüber hinaus ist es ein emotional und psychologisch außerordentlich wichtiges Signal, wenn Täter das Opfer durch die medienwirksame Vermarktung der Tat erneut in das Rampenlicht der Öffentlichkeit zerren, dadurch Gewinn erzielt wird und dieser Gewinn dem Tatopfer durch rasche Verwertung sehr schnell entzogen wird. Der Gesetzgeber mußte hier handeln. - Ich möchte mich ganz herzlich bedanken, daß Sie die wesentlichen Gesichtspunkte des Gesetzes skizziert haben und dies in dieser ausführlichen Art geschehen ist. Zweitens der Auskunftsanspruch. Der Auskunftsanspruch - um mehr handelt es sich nicht - ist notwendig. Denn wenn man keine Auskunft bekommt, kann man keinen Anspruch geltend machen. Die damit zusammenhängenden Probleme der Beweislast möchte ich einmal dahingestellt lassen. Drittens sind auch Umgehungsgeschäfte erfaßt. Staatssekretär Bernd Kränzle ({1}) Herzlichen Dank all den Kolleginnen und Kollegen, die hier im Bundestag mitgewirkt, die dies vorangebracht haben. Als Vertreter des Bundesrates bedanke ich mich ausdrücklich dafür. Ich habe die gute Hoffnung, daß das Gesetz auch von Ihnen einstimmig verabschiedet wird. Der Bundesrat wird sich sicher anschließen, ebenfalls wohl einstimmig. Dies ist absehbar nach der ersten Verabschiedung im Dezember 1996, als Einstimmigkeit geherrscht hat. Eine sehr gute Sache ist es, daß man darauf hingewiesen hat, daß es sich um ein „ Opferanspruchssicherungsgesetz " handelt - auch wenn man, wie Kollege van Essen gesagt hat, ein bißchen länger braucht, bis man ein solches Wort über die Lippen gebracht hat. Hochgeschätzter Kollege, wir werden das sehr leicht über die Lippen bringen. Ihnen allen noch einmal herzlichen Dank! Herr Kollege Beck, freuen wir uns doch einmal, daß wir als Gesetzgeber - Bundestag und Bundesrat - ein Gesetz einstimmig verabschieden. ({2}) Herzlichen Dank.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Justizministerin des Landes Sachsen-Anhalt, Karin Schubert. Ministerin Karin Schubert ({0}): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch ich freue mich heute ganz besonders und nehme für mich in Anspruch, Herr van Essen: Trotz meiner langjährigen professionellen Verbiegung habe ich den Blick für die Opfer nicht verloren. Mit dem vorliegenden Gesetzespaket haben wir alle die notwendige und längst überfällige Aufmerksamkeit auf das verletzte Opfer einer Straftat gelenkt - eine Aufmerksamkeit, die bisher ausschließlich dem Täter gegolten hat. Er bekommt staatliche Unterstützung zur Wahrnehmung seiner Rechte im Verfahren, und er bekommt wirtschaftliche Unterstützung, indem er mit seiner schändlichen Tat auch noch Geschäfte machen kann. Das Opfer muß sehen, wie es mit der Tat fertig wird. Damit ist jetzt Schluß. Mit dem Pfandrecht des Verletzten der Straftat an dem Gewinn des Täters aus der Veröffentlichung kann das Opfer erleichterten Ersatz der erlittenen Schäden erlangen. Mit dem Zeugenschutzgesetz hat das Opfer endlich auch seine Gleichstellung als Beteiligter des Prozesses gefunden. Die SPD-Fraktion hatte bereits 1995 einen Gesetzentwurf zur Verbesserung der Rechtsstellung von Deliktsopfern und zum Einsatz von Videogeräten bei Zeugenvernehmungen während der Hauptverhandlungen in den Deutschen Bundestag eingebracht. Bereits damals hatte sie gefordert, die Vernehmung eines Zeugen unter 16 Jahren oder in Fällen von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung per Videokamera zuzulassen. Weiteres Ziel war damals, dem Verletzten im Strafverfahren einen Rechtsanwalt beizuordnen und die Kosten dieses Beistands nicht dem Zeugen aufzuerlegen. Dieser Gesetzentwurf ist allerdings im vorliegenden Gesetzgebungsverfahren nunmehr für erledigt erklärt worden. Doch zeigt der Gesetzesantrag mehrerer Bundesländer und der von Ihnen am 14. November 1997 angenommene Entwurf eines Zeugenschutzgesetzes, daß sich in den letzten Jahren ein gesellschafts- und rechtspolitischer Konsens partei- und länderübergreifend herausgebildet hat: Dem Opfer einer Straftat muß in seiner Rolle als Zeuge im Ermittlungsverfahren und in der Hauptverhandlung ein größerer Schutz als bislang gesetzlich vorgesehen zuteil werden. Letzter Anstoß dieses gesellschaftspolitischen Sinneswandels waren offenbar die Kindesmißbrauchsprozesse, unter anderem in Worms. Ich denke, ich muß nicht daran erinnern, daß das Gericht seinerzeit ohne gesetzliche Grundlage kurzerhand die Vernehmung der mißbrauchten Kinder per Videokamera angeordnet hatte, um diesen die wiederholten Vernehmungen in Gegenwart der Täter zu ersparen. Hier hat die Rechtsprechung den Gesetzgeber aufgefordert, schon lange allgemein als notwendig erkannte Maßnahmen zu normieren. Trotz der Übereinstimmung aller, daß hier etwas getan werden müßte, waren Bund und Länder lange Zeit unterschiedlicher Auffassung hinsichtlich der nötigen Maßnahmen. Um das Wie der Umsetzung haben wir dann im Vermittlungsausschuß und in der von diesem einberufenen Arbeitsgruppe mit großem persönlichen Einsatz aller Beteiligten gerungen. Ich möchte dafür ganz herzlich danken. Das Ergebnis der ernsthaften Bemühungen ist vorgestern vom Vermittlungsausschuß einstimmig angenommen worden. Ich denke, wer häufiger im Vermittlungsausschuß ist, weiß, daß das ein sehr seltenes Ergebnis ist. Wichtig sind mir besonders zwei Zielsetzungen dieses Gesetzes: Zum einen soll die möglichst schonende Vernehmung der Zeugen, die oftmals zugleich Opfer von Straftaten geworden sind, per Videokamera gewährleistet sein. Ich meine, ich muß nicht weiter ausführen, daß sich aus den Erfahrungen von Strafverfahren, in denen Frauen und Kinder als Opfer und Zeugen auftreten müssen, die Verpflichtung ergibt, die notwendigen Vernehmungen möglichst so durchzuführen, daß der Opferzeuge nicht erneut unnötigen enormen psychischen Belastungen ausgesetzt ist. Die gesetzlich geregelten Fälle, die die Vernehmung des Zeugen auf Bild-Ton-Träger zulassen, stehen im ausgewogenen Verhältnis zu den ausdrücklich gewahrten Verteidigungsrechten des Angeklagten und der sonst Mitwirkungsberechtigten. Eine zweite Zielsetzung war mir ein ganz besonderes Anliegen: Die Länder Bayern und Sachsen-Anhalt haben mit Nachdruck auf die Einführung eines Beistands für die Opfer von Straftaten, die zugleich Zeugen in Strafverfahren sind, gedrängt. Allerdings war auch für uns Voraussetzung, daß diese Opferanwälte mit den dem Justizbereich zur Verfügung steMinisterin Karin Schubert ({1}) henden begrenzten Mitteln finanziert werden konnten. Ich meine, daß uns das in der Arbeitsgruppe des Vermittlungsausschusses vorbildlich gelungen ist. Wir haben eine abgestufte Regelung nach dem Alter der Zeugen und der Schwere der an ihnen verübten Straftaten gefunden. Es gibt einen kostenlosen Anwalt für minderjährige Opfer, die Verletzte eines Sexual- oder eines Tötungsdelikts sind. Für Erwachsene gibt es einen Beistand auf Staats- bzw. auf Kosten des Angeklagten dann, wenn sie Opfer eines Verbrechens aus dem Bereich der Sexual- oder Tötungsdelikte oder Zeugen einer Straftat aus dem Bereich der organisierten Kriminalität und so eingeschüchtert sind, daß sie ihre Rechte offensichtlich nicht mehr selbst wahrnehmen können. Allgemein war das Bedürfnis vorhanden, den Opferzeugen „eine professionelle Unterstützung durch Beiordnung eines Rechtsanwalts im Verlaufe des Strafverfahrens zu bieten" . Wir haben uns nicht zuletzt auch an der Regelung der Strafprozeßordnung orientiert, nach der einem Angeklagten schon von Gesetzes wegen oftmals ein Verteidiger durch das Gericht beigeordnet werden muß. Spiegelbildlich sollte auch einem schutzwürdigen Zeugen ein Beistand beigeordnet werden, der, wenn der Zeuge dazu selbst nicht in der Lage ist, dessen Abwehr- und Schutzrechte wahrnehmen kann. Die neuen Bestimmungen der Strafprozeßordnung werden diesen Anforderungen meines Erachtens in vollem Maße gerecht. Ich bitte Sie daher, diesem Vermittlungsergebnis so zuzustimmen, wie es die Länder und der Vermittlungsausschuß bereits getan haben. Dann besteht endlich ein für die Zeugen und Opfer von Straftaten erträglicher Rechtszustand im Ermittlungs- und Strafverfahren, auf den wir schon lange hingewirkt haben. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Horst Eylmann.

Horst Eylmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000508, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben im November letzten Jahres ein Zeugenschutzgesetz verabschiedet. Der Bundesrat wollte dieses Gesetz durch Vorschriften, die dem Opferschutz dienen, angereichert wissen. Das ist im Vermittlungsausschuß gelungen. Der Vermittlungsausschuß ist seiner Aufgabe gerecht geworden; Herr Kollege Irmer hat das hier zu Recht hervorgehoben. Er sollte auf diesem Wege fortfahren und mehr echte Vermittlungsergebnisse liefern. Jetzt haben wir ein Gesetz, das dem Zeugenschutz und dem Opferschutz dient. Mir liegt daran, deutlich zu machen, daß das ein Unterschied ist. Zwar ist das Opfer einer Straftat in aller Regel auch Zeuge, aber nicht jeder Zeuge ist vorher Opfer gewesen. Deshalb ist es auch gerechtfertigt, hier beide Zielrichtungen zu nennen. Der Zeuge - auch wenn er nicht Opfer ist - verdient Schutz, wenn er besonderen Belastungen ausgesetzt ist, wenn es sich um Kinder, um alte Personen, um gebrechliche Personen handelt, wenn es sich um gefährdete Zeugen handelt, die mit Repressalien rechnen müssen, wenn sie wahrheitsgemäß aussagen. Daß in dem Zusammenhang die Videotechnik genutzt werden soll, ist bereits gesagt worden. Ich will das nicht wiederholen. Wir haben ein Weiteres getan: Wir haben einen Zeugenbeistand geschaffen, der nicht nur beim Einsatz der Videotechnik zum Zuge kommen soll. Hintergrund dieser Regelung ist, daß nach einer rechtstatsächlichen Untersuchung zeugenschonende und zeugenschützende Maßnahmen im Strafprozeß viel häufiger dann vom Gericht ausgesprochen und angewandt werden, wenn der Zeuge auch Nebenkläger ist und durch einen Anwalt vertreten wird. Das wirft ein Schlaglicht auf die noch immer verbreitete Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Justiz, mit Zeugen angemessen umzugehen. Ich erinnere mich noch an meine Referendarzeit. Da erlebte ich einmal einen Strafkammervorsitzenden, der den Zeugen noch in der dritten Person anredete, etwa in der Art: Was glaubt er denn am soundsovielten gesehen zu haben? ({0}) Das ist sicherlich vorbei. Aber ich will aus einer Untersuchung des Bundeskriminalamtes aus dem Jahre 1991 zitieren: Der Umgang der Justiz mit den Zeugen im Gerichtsgebäude, d. h. vor Aufruf des Zeugen zu seiner Vernehmung in den Gerichtssaal, gibt zu vielfältigen Bedenken, wenn nicht gar Klagen, Anlaß. Der mehrere Stunden in einem Gerichtsflur auf harten Bänken wartende Zeuge, der den genauen Zeitpunkt seiner Vernehmung nicht kennt, in der Regel nicht über seine Aufgaben und Rechte im einzelnen Bescheid weiß, der sich möglicherweise Repressalien seitens des Angeklagten oder aber dessen Angehörigen im Gerichtsflur ausgesetzt sieht, der aus Angst vor dem Versagen vor dem Gericht sich während seines Wartens mehr und mehr in eine Aufregung hineinsteigert, ist keine Seltenheit. Hier gilt es dringend Abhilfe zu schaffen ... Ich meine, Frau Ministerin, es wäre durchaus auch eine Aufgabe für die Justizministerkonferenz, sich dieser Frage zuzuwenden; denn die Justiz ist zur Ermittlung der Wahrheit dringend auf den Zeugen angewiesen. Wenn Sie heute die Bürgerinnen und Bürger auf der Straße fragen, ob sie gern als Zeuge zum Gericht gehen, dann sagen fast alle: Nein, lieber zum Zahnarzt als zum Gericht. Da muß die Justiz umlernen, im übrigen unter Einschluß der Anwaltschaft. Auch Anwälte behandeln Zeugen nicht immer freundlich. Die Justiz agiert bei uns noch weithin bürgerfremd. Sie ist nicht bürgerfreundlich. Sie hat hier eine gute Gelegenheit, ihr Ansehen zu verbessern. Die Große Strafrechtskommission des Deutschen Richterbundes hat dazu gerade einige Vorschläge gemacht und gefragt: Warum kann einem Zeugen nicht eine Skizze des Gerichtsgebäudes gegeben werden, damit es ihm leichterfällt, in großen Gerichtsgebäuden den richtigen Saal zu finden? Vielleicht kann man ihm auch einen Lageplan geben. Es gibt in vielen Gerichten nach wie vor kein Wartezimmer. Die Zeugen sitzen stundenlang auf zugigen Gerichtsfluren. Nach ihrer Vernehmung werden sie nach alter Art entlassen, als wenn sie vorher verhaftet worden sind - häufig genug ohne ein Wort des Dankes. ({1}) Dann müssen sie auch noch den Bittsteller spielen, wenn es um die Zeugenentschädigung geht. Hier gilt es viel zu verbessern. Das kann man nicht durch Gesetze machen. Da muß sich vielmehr die gesamte Einstellung ändern. ({2}) Wir haben eine Verbesserung des Opferschutzes. Es ist schon gesagt worden, daß das Opfer als eigenständiges Subjekt im Strafprozeß jahrzehntelang eigentlich gar nicht existierte. Das Opfer war Zeuge. Ein Zeuge hatte zu funktionieren. Er war bloßes Instrument bei der Wahrheitsermittlung. Es wurde höchste Zeit, daß sich dies sowohl in der Strafrechtswissenschaft als auch in der Rechtspolitik änderte. Allerdings - lassen Sie mich das auch sagen - scheint man jetzt zuweilen über das Ziel hinauszuschießen. Ich las neulich, der Strafprozeß habe in erster Linie die Aufgabe, den Opferinteressen zu dienen. So ist es nun auch nicht. Der Strafprozeß ist ein Verfahren, das dazu dienen soll, einem verdächtigen Angeklagten die Tat nachzuweisen und ihn zu bestrafen, wenn sich herausstellt, daß er es gewesen ist. Dieses Verfahren hat - mit Recht - für den Angeklagten eine Reihe von rechtsstaatlichen Garantien, die niemand abschaffen will. Es geht um eine umfassende Sachverhaltsaufklärung. Es geht nicht in erster Linie um eine Auseinandersetzung zwischen Opfer und Täter. Nicht das Opfer ist der Ankläger, sondern Ankläger ist die Rechtsgemeinschaft, ist die Gesellschaft, vertreten durch die Staatsanwaltschaft. Es geht auch nicht in erster Linie um die Erfüllung von Rachegelüsten, sondern es geht um die Bewahrung der Rechtsordnung und um den Schutz potentieller zukünftiger Opfer. Das alles schließt natürlich nicht aus, daß auch dem Opfer Verfahrensrechte eingeräumt werden, die insbesondere dazu dienen müssen, daß es als Subjekt des Verfahrens auch in seiner Menschenwürde geschützt wird. Das Opfer muß insbesondere in die Lage versetzt werden, Angriffe des Angeklagten gegen sich, die der Angeklagte natürlich zu seiner Entlastung vorbringt, abzuwehren. Auch hier liegt es im großen Interesse der Justiz, daß wir die Opfer vor Gericht angemessen behandeln. Denn wodurch werden Straftaten bekannt? Dadurch, daß Opfer die Täter anzeigen. Die Tätigkeit unserer Strafjustiz, unserer Strafverfolgungsbehörden ist zu einem großen Teil davon abhängig, daß eine Anzeigebereitschaft besteht. Wenn Opfer das Gefühl haben, daß sie im Strafverfahren nicht angemessen behandelt werden, zeigen sie nicht an. ({3}) Ich hoffe, daß dieses Gesetz, so wie es jetzt verabschiedet werden wird, beiden Anliegen gerecht wird: dem Zeugenschutz und dem Opferschutz. Wir werden nach einigen Jahren überprüfen müssen, ob vielleicht hier und dort Verbesserungen notwendig sind, weil sich einiges nicht bewährt hat. Vielen Dank. ({4})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Professor Dr. Pick, SPD.

Prof. Dr. Eckhart Pick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001715, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mir vorhin überlegt - es sind nur wenige Zuhörer hier -: Wenn jemand nachliest, was heute in dieser Debatte gesagt worden ist, müßte er eigentlich verwundert sein: Es sind sich zwar alle einig - es liegt sogar ein einstimmiger Beschluß der Gremien vor -, dennoch wird an dem Ergebnis herumgemäkelt. Wir tun uns selber keinen Gefallen, wenn wir unsere eigenen, mühsam gefundenen Ergebnisse insoweit wieder in Frage stellen. Das ist angesichts des Ergebnisses, das wir gemeinsam erzielt haben, verwunderlich. ({0}) - Herr Beck ist leider nicht mehr da. Aber er hat mir versprochen, meine Rede nachzulesen. Ich nehme an, er wird es ein wenig auch auf sich beziehen. ({1}) Ich verstehe auch nicht, Herr Heuer, warum man hier unbedingt auf Fakten, auf rechtstatsächliche Untersuchungen wartet. Wir wissen mit Sicherheit, daß es hier einen Graubereich gibt, der gar nicht an die Öffentlichkeit gelangt. Viele haben ein Interesse daran, daß das, was dort im verborgenen geleistet wird, nicht publik wird. Auch darüber, ob es viele oder wenige Fälle gibt, ist eine Debatte müßig. Es muß uns genügen, daß die Fälle, die wir im Auge haben, künftig entsprechend geregelt werden und den Opfern hinsichtlich der Durchsetzung ihrer Ansprüche eine gewisse Sicherheit gewährt wird. Ich will auch nicht fragen, wer hier das Recht des ersten Antrags gehabt hätte. Ich will aber darauf hinweisen, daß Auslöser der Diskussion sicher die mutige Entscheidung einer Kammer des Landgerichts Mainz gewesen ist, die einmal versucht hat, Kinder, um die es in diesen Prozessen ging, vor einer VernehDr. Eckhart Pick mung zu schützen, die ihnen zusätzliche Belastungen beschert hätte. Ich habe eine große Hochachtung davor, daß sich damals alle Beteiligten - Verteidigung, Anwaltschaft, Staatsanwaltschaft und Gericht - einig gewesen sind, daß man so verfährt. Insofern, denke ich, ist es wichtig. Man muß auch sagen, daß damals alle Angeklagten in den mehreren Prozessen freigesprochen worden sind. Das hat unterschiedliche Ursachen. Wir müssen uns also auch fragen, ob die Vorbereitung in jeder Hinsicht professionell gewesen ist oder nicht. Mit diesem Hinweis auf die strafprozessuale Seite des Opferschutzes, mit der wir uns heute beschäftigen, möchte ich es bewenden lassen. Ich halte es jedenfalls für eine höchst erfreuliche Kooperation der verschiedenen Bundesorgane und der Ausschüsse, daß wir heute diese Ergebnisse vorlegen können. Ich will mich auf die Thematik der zivilrechtlichen Seite beschränken und dazu sagen, daß der Entwurf eines Opferanspruchssicherungsgesetzes sicher ein etwas schwieriger Ausdruck ist, aber haargenau das bezeichnet, um was es geht. Insofern, denke ich, haben wir die Vorlage des Bundesrats - das meine ich jetzt nicht sportlich, sondern im technischen Sinne - wirklich genutzt und auch verbessert, ohne daß wir uns das, Herr Pofalla, ans Bein binden müssen. Ich denke, der Gesetzentwurf ist besser, anschaulicher und praktikabler geworden, als er vorher war. Er ergänzt die Verpflichtung des Staates zur Solidarität mit den Opfern von Straftaten auch nach Beendigung des Strafverfahrens. Der Staat muß bestrebt sein, dem Verletzten weitgehend Ersatz und Genugtuung für das geschehene Unrecht zu gewährleisten. Wenn dieses Gesetz heute verabschiedet wird, dann wird eine als unbillig empfundene gesetzliche Lücke geschlossen. Es ist schon gesagt worden: Das Gesetz begründet keine neue Forderung auf Schadenersatz gegen Täter oder Teilnehmer, sondern sichert lediglich eine bestehende Forderung. Als Sicherungsinstrument ist hierbei ein Pfandrecht an Forderungen begründet, die der Täter oder Teilnehmer seinerseits aus der Vermarktung seiner Tat erzielt. Ich denke, daß spektakuläre Fälle wie der eines gewissen Herrn Z. besonders deutlich machen, daß ein Täter aus seiner Tat erhebliches Kapital schlagen kann, ohne daß es dem Opfer dann auch zugute kommt. Nicht nur das Mitgefühl mit dem Opfer, sondern auch der Maßstab der Gerechtigkeit selbst erfordert es, Ansprüche des Opfers auf die durch die Vermarktung seines Leids entstehende Forderung zu sichern. Ich will nicht verschweigen, daß der Rechtsausschuß auch die an einer solchen Vermarktungskette Beteiligten, in nicht wenigen Fällen also weitere Profiteure, im Auge hat. Diese müssen wissen, daß sie mit dem Zugriff auf sogenannte Honorarforderungen des Täters zu rechnen haben. Wobei das ja auch verräterisch ist: Wir sprechen hier von Honorar, und honor hat etwas mit Ehre zu tun. Im Grunde ist das ein völlig beschönigender Begriff, der sich hier eingebürgert hat. Es ist eine Unrechtsforderung, die dort gemeint ist. Ganz deutlich wollen wir im übrigen hervorheben, daß das Gesetz nicht etwa die freie Berichterstattung in den Medien einschränken will. Nur wer mit Hilfe des Täters den Voyeurismus seines Publikums befriedigen will, der muß künftig mit dem Anspruch des Opfers, der durch ein Pfandrecht gesichert ist, rechnen. Jedes Pfandrecht setzt seinerseits eine zu sichernde Forderung voraus, von der das Pfandrecht abhängig ist. Juristen wissen, daß dabei die sogenannte Akzessorietät angesprochen ist. Das bedeutet in unserem Fall ganz konkret, daß nur der Teil der vom Pfandrecht erfaßten Forderungen des Täters oder Teilnehmers gegen Dritte erfaßt wird, der auch der Forderung des Opfers entspricht. Wenn der Täter darüber hinaus Vorteile erzielt, dann verbleiben sie ihm. Das wird auch nach Inkrafttreten des Gesetzes weiter möglich sein, weil wir in diesem Sinne keine weitere Bestrafung des Täters im Auge haben können. Das gesetzliche Pfandrecht bedeutet aber auch, daß es die Forderungen an den Täter ganz automatisch ergreift und damit vorrangig die Ansprüche des Opfers gegenüber anderen Berechtigten absichert, also zum Beispiel gegenüber einem Anwalt. Das erschien uns gerechtfertigt, weil niemand „näher" am Tatgeschehen als das Opfer selbst ist. Ich will zusammenfassend sagen, daß wir in dem Opferanspruchssicherungsgesetz einen sozialen und rechtlichen Fortschritt zu erkennen haben. Es bietet damit die Chance für einen weiteren praktischen Opferschutz. Wir werden sehen, wie die Praxis mit dieser Möglichkeit künftig umgeht. Aber der Gesetzgeber, meine ich, hat zunächst einmal das Erforderliche getan. Vielen Dank. ({2})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Bundesminister Professor Dr. Schmidt-Jortzig.

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Minister:in)

Politiker ID: 11002781

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es besteht eine Schutzpflicht des Staates für die Freiheit, für die Integrität, für das Eigentum der sich in ihm zusammenschließenden Menschen, also seinen Bürgern. Auch besteht eine Fürsorgepflicht für die Opfer einer Straftat, also diejenigen Bürger, die nicht geschützt werden konnten. Deswegen ist die Verbesserung des Opferschutzes für die Bundesregierung ein zentrales Anliegen. Ich habe fünf Minuten Redezeit und will und muß zu allen drei Dingen etwas sagen, also zu allem nur ganz kurz. Erstens. Dem Ziel des Opferschutzes dient auf dem Gebiet des Privatrechts das OpferanspruchssicheBundesminister Dr. Edzard Schmidt-Jortzig rungsgesetz. Ich biete hierfür im übrigen für alle, die damit sprachliche Schwierigkeiten haben, die Abkürzung OASG an. ({0}) Wir müssen uns vor Augen halten, daß Kriminalitätsopfer immer häufiger doppelt leiden. Sie wurden Opfer einer Straftat und müssen nun auch oft noch erleben, daß die Einzelheiten dieser Straftat sowie ihr eigenes persönliches Verhalten und die persönlichen Umstände dabei durch den Täter öffentlich und abscheulich vermarktet werden. Unabhängig von der Geschmacklosigkeit solcher Darstellungen ist es jedenfalls nicht einzusehen, daß Kriminelle auch noch Geld für die Vermarktung ihrer Tat erhalten, ohne daß die Opfer Zugriff auf diesen „Lohn der bösen Tat" haben. Um aus der Straftat entstandene Schadensersatzansprüche des Opfers zivilrechtlich zu sichern, wird dem Opfer deshalb ein gesetzliches Pfandrecht an einer Honorarforderung eingeräumt, die ein Täter oder Teilnehmer der Straftat aus der öffentlichen Darstellung seiner Tat oder seiner Person in den Medien erwirbt. Die Bundesregierung hat den Ansatz des dankenswerterweise aus Bayern angestoßenen Gesetzes trotz aller rechtlichen Schwierigkeiten bei der Umsetzung im Detail gern und nachhaltig unterstützt. Es ist auch gelungen, für einen sehr ernsten Zielkonflikt eine tragbare Lösung zu finden. Auf der einen Seite nämlich mußte durch eine Regelung zur Verhinderung von Umgehungsgeschäften sichergestellt werden, daß die Opfer von Straftaten tatsächlich Inhaber des Pfandrechts werden, damit ihre Lage durch dieses Gesetz auch wirklich verbessert wird. Auf der anderen Seite soll das Gesetz aber auch nicht zum Hindernis für eine seriöse Berichterstattung durch die Medien, also ernsthaften und vertrauenswürdigen Journalismus werden. Die gefundene Regelung trägt beiden Aspekten durch eine ausgewogene Interessenabwägung Rechnung. Ich bitte Sie deshalb, für dieses Gesetz zu stimmen, damit Opfer von Straftaten in Zukunft ihre Ansprüche auf Schadensersatz gegen die Täter leichter verwirklichen können. Zweitens. Auf dem Gebiet des Strafrechts haben wir den Opferschutz bereits deutlich durch das 6. Strafrechtsreformgesetz, also die Strafrahmenharmonisierung, und die Reform des Sexualstrafrechts verbessert. Darüber hinaus werden durch das heute definitiv mit zu verabschiedende Zeugenschutzgesetz erhebliche Verbesserungen für den Zeugenschutz erreicht. Sie haben natürlich völlig recht, verehrter Herr Kollege Eylmann, daß man die beiden Aspekte Zeugenschutz und Opferschutz auseinanderhalten muß. Wir haben uns hier nur immer angewöhnt, vom Opfer-Zeugen-Schutz zu sprechen, weil es in diesen Personen zusammenläuft und das auch, glaube ich, der politisch gemeinsame Anstoß für diese Initiativen war. Ich bin der Auffassung, daß die im Vermittlungsausschuß gefundenen Ergebnisse ein wirklich tragfähiges und konsensfähiges Resultat sind. Ich bitte Sie, auch diesem Gesetzentwurf zuzustimmen. Mein Kollege Irmer hat dazu ja schon die näheren Ausführungen gemacht. Letztens und drittens. Eine generelle Bestandsaufnahme zum Zeugenschutz im Strafprozeß hat die Bundesregierung bereits in der Antwort auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion vorgelegt. Darauf kann und will ich verweisen. Sogar der Hauptinitiator und -autor dieser Frage hat ja bescheinigt, daß das eine hilfreiche Antwort gewesen ist. Das ist ja nun immerhin etwas, wenn der Kollege Jürgen Meyer ein solches Lob verteilt. Die intensive Prüfung der Erforderlichkeit und Geeignetheit weiterer gesetzgeberischer Maßnahmen zur Verbesserung des Zeugen- und Opferschutzes wird selbstverständlich auch in der nächsten Legislaturperiode fortgesetzt werden. Ich bleibe dabei - Herr Beck ist nicht mehr anwesend -: Es ist ein guter Tag für den Opfer- und den Zeugenschutz. Ein guter Tag macht noch kein Paradies. Aber viele gute Tage können uns ganz gut anstehen. Vielen Dank. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Verbesserung der zivilrechtlichen Entschädigung der Opfer von Straftaten. Das sind die Drucksachen 13/6831 und 13/9311. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit angenommen. Ich rufe jetzt Zusatzpunkt 4 auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({0}) zu dem Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung ({1}) - Drucksachen 13/7165, 13/8990, 13/9063, 13/ 9542, 13/10001Berichterstattung: Abgeordneter Ulrich Irmer Der Berichterstatter hatte schon das Wort. Weitere Erklärungen sind nicht angemeldet. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderung gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 13/10001? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist damit bei Stimmenthaltung der PDS mit den Stimmen des Hauses im übrigen angenommen. Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 10 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Elke Leonhard, Freimut Duve, Tilo Braune, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Rückführung „kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter" - Drucksache 13/9081 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Kein Widerspruch? - Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Elke Leonhard, SPD.

Dr. Elke Leonhard-Schmid (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002723, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wissend, daß es um eine hochsensible und mit Emotionen beladene Frage geht, verfolgen wir mit unserem Antrag eine Doppelstrategie, die zwei Momenten gerecht werden soll erstens dem internationalen Rechtsfrieden und zweitens der Psychologie beider Völker. Gemeinsames Ziel muß es sein, eine Brücke zu bauen, über die auch nachfolgende Generationen vertrauensvoll gehen können. Dies setzt bei den handelnden Politikern der Duma und des Deutschen Bundestages Konfliktbewältigung unter Anwendung größtmöglicher Sachlichkeit und Empathie voraus. Absolut unerläßlich ist der Verzicht auf demagogische Instrumente. Rußland hat alle Voraussetzungen, eine große Friedensbrücke zwischen verschiedenen Kulturkreisen zu bauen und damit im nächsten Jahrtausend eine bedeutende Rolle zu spielen. Rechtskultur allerdings ist hierfür eine der tragenden Säulen. Die rechtliche Seite bedarf keiner Argumentation, schon gar keiner juristischen Spitzfindigkeiten. Sie liegt klar auf der Hand. Jahrhundertelang haben die Staaten um Mäßigung und Beschränkung der Gewalt im Kriege gerungen. Endlich und nicht zuletzt auf russische Initiative verständigten sich 40 Staaten im Jahr 1907 auf die Haager Landkriegsordnung. Im Bewußtsein der identitätsstiftenden Bedeutung von Kunst und Kultur für die Nationen stellten die Väter der Konvention Kulturgüter unter den besonderen Schutz des Völkerrechts. In Art. 56 untersagten sie jede Beschlagnahme von geschichtlichen Denkmälern oder von Werken der Kunst und der Wissenschaften. Vom deutschsowjetischen Nachbarschaftsvertrag 1990 über das Kulturabkommen 1992, das Dresdner Protokoll 1993 und das Abkommen der Bibliotheken, ebenfalls 1993, bis zur Stellungnahme Nr. 193 der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, die den Aufnahmeantrag Rußlands mit der Frage verlagerter Kulturgüter verknüpfte, herrschten Rechtssicherheit, Vertrauen und die Hoffnung auf eine baldige Lösung der Rückführungsfrage. Bis 1995 war Rechtssicherheit Ziel der russischen Politik, des Präsidenten, der Duma und des Föderationsrates. Es ist nicht, wie einige russische Kollegen sagen, deutsche Pedanterie. Wir befinden uns vielmehr, wie ich eben betonte, in vollkommenem Einklang mit der Bewertung des russischen Präsidenten und der maßgeblichen demokratischen Kräfte Rußlands. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich danke an dieser Stelle im Namen meiner Fraktion den demokratischen Kolleginnen und Kollegen der Duma und des Föderationsrates sowie zahlreichen Journalisten, die uns in dieser Frage mit - ich würde sagen - hoher Sensibilität unterstützen. ({0}) Ich versichere Ihnen, daß wir alles, aber auch alles tun werden, um den Aufbau demokratischer und rechtsstaatlicher Strukturen und der russischen Wirtschaft zu flankieren. Wir nehmen den Freundschaftsvertrag ernst. Wenig hilfreich sind allerdings Vorschläge wie die des bayerischen Kultusministers, die Kulturgüter unter - ich zitiere - „gemeinsame Verantwortung" der Bundesrepublik und Rußlands etwa in Form einer gemeinsamen Stiftung zu stellen. Es geht nicht nur um einen enormen Bestand an Kunstwerken, sondern vor allem um Archive und Bibliotheksbestände. Dies sind insgesamt mehr als 1 Million Einzelstücke, die der deutschen Forschung bislang entzogen bleiben. Ganz abgesehen von der reinen Zahl der Gegenstände, die letztlich inhaltlich nicht aussagekräftig nicht sein muß, wäre ein solches Modell, etwa eine Stiftung, mit hoher Wahrscheinlichkeit vor allem eines: Quelle ständigen Streits und dauernder Zwietracht, die dem deutsch-russischen Verhältnis alles andere als zuträglich wäre. ({1}) Ärger noch steht es um den Vorschlag des Münchener CSU-Politikers Gauweiler, der die Kulturgüter Rußland sozusagen in einer großzügigen Geste überlassen sehen will. Nein, weder das hehre, aber zweifelsfrei zum Scheitern verurteilte Ideal einer gemeinsamen Stiftung noch ein gedankenloses Laisserfaire bringen uns einer Lösung näher. Ich gebe zu diesem Punkt ein Weiteres zu bedenken: Gerade vor dem Hintergrund nach wie vor mangelnder Rechtssicherheit vor allem auf Gebieten, die für ausländische Investoren in Rußland von höchster Bedeutung sind, müssen wir einen Zustand der Rechtssicherheit schaffen. Einen Zustand rechtlicher Unverbindlichkeit oder gar rechtlicher Willkür können wir mit unseren Handlungen nicht zementieren. Abschließend, verehrte Kolleginnen und Kollegen, bin ich Ihnen eine Antwort auf die Frage schuldig, welche Motivation letztlich den Antrieb für unsere Initiative gibt, die auf die - ich bin mir der Sache voll bewußt - Rückführung der Kulturgüter zielt. Ich sage hier ganz klar: Wir haben lange gerungen. Es geht uns nicht ums Prinzip. Es geht nicht allein um die Durchsetzung formaler Rechtsansprüche, so berechtigt sie sein mögen. Es geht auch und vor allem darum, daß ein Stück nationalen Erbes auf dem Spiel steht. Wie geschichtslos müßte man sein, würde man die Archive der Wartburg, von der mit der Reformation das Ende des Mittelalters ausging, nicht dazu zählen oder den Nachlaß eines Ferdinand Lassalle, Mitbegründer einer der größten und bedeutendsten Bewegungen des 19. Jahrhunderts mit Wirkung bis in die Gegenwart? Ja, ich spreche von nationaler Würde in einer Weise, in der eine Partei, eine Fraktion sprechen kann, deren Vorgänger alles, aber auch alles darangesetzt haben, jenes unmenschliche, barbarische Regime der Jahre 1933 bis 1945 zu verhindern. Ich spreche von nationaler Würde in einer Weise, in der eine Fraktion sprechen kann, die die Unmenschlichkeit jener finsteren Jahre immer wieder aus dem Vergessen reißt, wissend, daß sie ein Teil unserer Geschichte ist und ein Teil unserer Verantwortung bleibt. Unseren Kollegen von der Duma sage ich von dieser Stelle: Wir werden nicht vergessen, wieviel Leid das russische Volk ertragen mußte. Wir, die Nachkriegsgenerationen, werden Totalitarismus - in welcher Form auch immer - entschlossen entgegentreten ({2}) nicht durch Appelle, sondern durch Aufklärung, durch Rechtskultur und durch Vertrauensbildung. Lassen Sie uns in einer gemeinsamen Kommission einen Dialog beginnen! Ich danke Ihnen. ({3})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Nach der Kollegin Dr. Leonhard hat jetzt der Kollege Claus-Peter Grotz, CDU/CSU, das Wort.

Prof. Claus Peter Grotz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000736, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die deutsch-russischen Beziehungen haben sich seit 1989 entwickelt, wie wir uns dieses Mitte des letzten Jahrzehntes noch gar nicht vorstellen konnten. Wie schön wäre es deshalb, gelänge über die Frage der Kulturgüter eine Einigung. Zweifelsohne ist die Rückgabe der Kulturgüter nicht nur bei uns, sondern auch - und dafür müssen wir großes Verständnis haben - in Rußland mit vielen Emotionen verbunden. Es ist deshalb ein Gebot politischer Klugheit, wenn wir die Frage der Kulturgüter, die 1945, nach Kriegsende, von der Roten Armee aus Deutschland völkerrechtswidrig in die frühere Sowjetunion verbracht wurden, im parlamentarischen Konsens und ohne großen Trommelwirbel behandeln. Dennoch muß es möglich sein - und es ist unsere Aufgabe als deutsches Parlament -, daß wir die Frage der sogenannten Beutekunst - ich verwende an der Stelle dieses harte Wort bewußt; denn hier werden Kulturgüter als Geisel, als Faustpfand mißbraucht - nicht unter den Tisch kehren. Denn wenn wir dieses Problem heute nicht ansprechen und nach einer gemeinsamen Regelung suchen, wird es morgen zu einer Belastung in den deutsch-russischen Beziehungen werden. Das können wir nicht wollen. Es geht also bei der Rückgabe der Kulturgüter auch darum, daß eine offene Frage eines verheerenden Weltkrieges nicht zu einer Hypothek für die Zukunft der deutsch-russischen Beziehungen werden darf. Dazu eignet sich Kultur, eignen sich Kulturgüter, die doch Brücken zwischen Menschen und Völkern schlagen sollen, nun wirklich nicht. Es geht bei unserem heutigen Thema keineswegs um eine Bagatelle, weder ideell noch materiell. Kultur stiftet Identität, prägt das Selbstverständnis eines jeden Volkes und Landes. Auch die Quantitäten sprechen für sich. Es wird geschätzt, daß die Rote Armee 1945 200 000 Museumsgüter, 3 Millionen Archivbücher und 3 Kilometer Archivgut aus Deutschland verbrachte. Natürlich ist es wahr und bis heute bitter: Durch den Angriff auf die Sowjetunion wurden dort unfaßbare Kulturgüter unwiderruflich vernichtet. Aber Unrecht kann und darf nicht mit Unrecht vergolten werden. Die aus Deutschland verbrachten Kulturgüter lagern bis heute in Depots auch in Rußland. Lange Zeit handelte es sich um einen verschwiegenen und verborgenen Schatz. Deshalb will ich sehr wohl anerkennen, daß 1995 die beiden Ausstellungen in Moskau und Petersburg wenigstens einen Teil der Bilder nach Jahrzehnten erstmals wieder an das Licht der Öffentlichkeit brachten, und zwar in sehr gutem Zustand. Leider ist dies eine Geste geblieben. Denn natürlich konnten auch die beiden Ausstellungen nicht darüber hinwegtäuschen, daß 1945 die Beschlagnahme von Kulturgütern aus deutschem Besitz und Eigentum Unrecht war und bis heute geblieben ist. Die Haager Landkriegsordnung wurde schon angesprochen. Folgerichtig enthalten auch der deutschsowjetische Freundschafts- und Nachbarschaftsvertrag von 1990, der von beiden Parlamenten, von Duma und Bundestag, ratifiziert wurde, und das spätere bilaterale Kulturabkommen jeweils einen Artikel über die Rückführung der Kulturgüter. Damals wurde ein deutliches Signal gesetzt. Der Weg aus einer belasteten Vergangenheit in eine gemeinClaus-Peter Grotz same europäische Zukunft soll und muß für Deutschland und Rußland über die Lösung der Kulturgüterfrage führen. Die Bundesregierung, an allererster Stelle Bundeskanzler Kohl, hat der Kulturgüterfrage von Anfang an einen hohen politischen Stellenwert eingeräumt. Es hat in den vergangenen Jahren kein Spitzengespräch zwischen Bundeskanzler Kohl und Präsident Jelzin gegeben, in dem die Beutekunst nicht auf der Tagesordnung gestanden hätte. Dieses Engagement ist wichtig und muß fortgesetzt werden. Hierbei hat der Bundeskanzler unsere volle Unterstützung. Leider ist der SPD-Antrag dabei nicht hilfreich. Der von der SPD vorgeschlagene Weg eines internationalen Schiedsverfahrens beruht nämlich auf Wunschdenken und führt nicht weiter; denn schon vor Jahresfrist hat die Bundesregierung der russischen Regierung per Note angeboten, die Frage vom Internationalen Gerichtshof entscheiden zu lassen. Dies geht jedoch nur, wenn beide Seiten dem Verfahren zustimmen. Genau daran fehlt es aber bis heute; denn Rußland hat auf unser Angebot nicht reagiert. Deshalb kommen wir mit dem Antrag der SPD nicht weiter. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ebenso wie die Kollegin Leonhard einen Punkt ansprechen, der häufig in den Diskussionen über die Rückgabe der Beutekunst auftaucht. Man solle, so wird von Politikern aller Richtungen vorgeschlagen - denn es ist keine parteipolitische Frage -, mit einer großzügigen Geste verzichten bzw. eine deutsch-russische Stiftung einrichten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ob es von hoher Intelligenz zeugt, in laufenden Verhandlungen öffentlich Vorschläge zu machen, möchte ich mit Fug und Recht bezweifeln. Sich vorschnell auf ein bestimmtes Modell festzulegen hieße außerdem, den zweiten vor dem ersten Schritt zu machen. Die Probleme, wie eben gesagt, liegen im Detail; denn ein Großteil der Kulturgüter gehört Privatpersonen oder ist Bestandteil privater Sammlungen. Hierüber können wir ja nicht so einfach verfügen. Wir sollten auf dem 1993 eingeschlagenen Verhandlungsweg, begleitet von den guten Gesprächskontakten auf oberster Ebene, bleiben und eine einvernehmliche Lösung mit Rußland suchen. Wir brauchen hierzu Geduld und Einfühlungsvermögen, aber auch Beharrlichkeit und Überzeugungstreue. Wir streben eine gemeinsame Lösung mit Rußland an, die den guten und freundschaftlichen Beziehungen unserer Länder Rechnung trägt. Eine solche Lösung muß das Völkerrecht und die geschlossenen Verträge respektieren. Darüber dürfen keine Zweifel aufkommen. Nur dieser Weg ist für uns und unsere russischen Partner gangbar. Ein Abweichen hiervon würde nicht nur unseren Interessen schaden, sondern wäre auch ein Präzedenzfall für viele andere offene Fragen in bezug auf den Raub von Kultur- und Kunstgütern. Insofern haben auch die deutsch-russischen Verhandlungen eine Signalwirkung für viele andere Fälle. Deshalb muß auch für das sich demokratisch erneuernde Rußland klar sein: Vertragstreue gegenüber Partnern und Freunden sowie Respekt vor den völkerrechtlichen Spielregeln sind unverzichtbare Güter. Erst dadurch werden internationales Ansehen, Vertrauen und Verläßlichkeit geschaffen. Ich erinnere daran, daß der Europarat 1996, als Rußland in ihm Mitglied wurde, in einer Resolution ausdrücklich die Regelung der Kulturgüterfrage ansprach. Auch derzeit steht im Europarat wieder ein Bericht über diese Frage an. Die CDU/CSU-Fraktion unterstützt die Bundesregierung bei ihren Bemühungen, in Deutschland aufgefundene russische Kulturgüter, die gemäß Völkerrecht und bilateraler Verträge der Rückführungspflicht unterliegen, an Rußland zurückzugeben. Gleichzeitig fordern wir die Bundesregierung auf - das erwarten wir von ihr -, mit der Russischen Föderation eine für beide Seiten akzeptable Lösung der Rückführungsfrage auf der Grundlage des Völkerrechts und der geschlossenen Verträge anzustreben. Unbeschadet der anstehenden Entscheidung des russischen Verfassungsgerichts möchte ich von dieser Stelle an Duma und Föderationsrat appellieren, nicht durch einseitige Gesetze den Weg für einvernehmliche Lösungen zu verbauen. Dadurch würde ein dauerhafter Schatten auf die guten Beziehungen zwischen Deutschland und Rußland geworfen. Vor wenigen Jahren wurde bei uns der mittlerweile verstorbene amerikanische Offizier Walter Farmer geehrt. Er wurde dafür geehrt, daß er unmittelbar nach Kriegsende die Rückgabe von Kulturgütern, die Deutschland geraubt hatte, organisierte und verhinderte, daß wertvolle Bildbestände aus Deutschland in die USA gelangen. Walter Farmer schrieb damals mit seinem „Wiesbadener Manifest" der internationalen Staatengemeinschaft ins Stammbuch: Wir möchten darauf hinweisen, daß unseres Wissens keine historische Kränkung so langlebig ist und so viel gerechtfertigte Verbitterung hervorruft wie die aus welchem Grund auch immer erfolgte Wegnahme eines Teils des kulturellen Erbes einer Nation. Die Rückgabe kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter ist nicht nur rechtlich geboten. Sie ist auch ein Gebot politischer Klugheit, eine Geste der Versöhnung und eine wichtige Voraussetzung für eine gute und dauerhafte Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Rußland. Ich danke Ihnen. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat Frau Elisabeth Altmann, Bündnis 90/Die Grünen.

Elisabeth Altmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002619, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Der Streit um die sogenannte Beutekunst beElisabeth Altmann ({0}) lastet seit einigen Jahren die politischen und kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und Rußland. Der Unterausschuß für auswärtige Kulturpolitik hat sich intensiv um ausgleichende Regelungen bemüht. In Delegationsreisen nach Rußland, Georgien und in die Ukraine haben wir mit den dortigen Verhandlungspartnern konstruktive Gespräche geführt. Mit der Ukraine und Georgien gibt es sehr gute Ergebnisse. Ich nenne hier nur die Rückgabe von zirka 100 000 Kunstobjekten durch die ukrainische Regierung. Auch Präsident Schewardnadse hat sich für die vollständige Rückgabe der verschollenen Kulturgüter -100 000 Bücher insbesondere aus Bremen und Magdeburg - erfreulich offen gezeigt. ({1}) Es sollte selbstverständlich sein, daß zwischen befreundeten Staaten gegenseitig das kulturelle Erbe geachtet wird. Der Vertrag über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit von 1990 zwischen Deutschland und Rußland weist hier den richtigen Weg. Er sollte die Grundlage für eine gute Kooperation in Bildung und Wissenschaft sein. In dem Vertrag heißt es auch, daß „unrechtmäßig verbrachte Kulturgüter an die Eigentümer zurückgehen". Dieses muß eingehalten werden. Auch in der Haager Landkriegsordnung, die schon von Herrn Grotz und Elke Leonhard erwähnt wurde, ist ein Beuteverbot formuliert. Ebenso ist die Haager Konvention zum Schutz von Kulturgütern ein Grundsatz des Völkerrechts. Die Rückgabe von sogenannter Beutekunst hat allerdings mehrere Aspekte: zum ersten, die moralische Bewertung, zum zweiten das wissenschaftliche Verständnis, zum dritten die humane Dimension der Freundschaft und zum vierten die Aufarbeitung der verheerenden Folgen des zweiten Weltkrieges. Gerade die Verhandlungen über die Rückgabe der verschleppten Kulturgüter stellen eine aktive Auseinandersetzung mit den Folgen des zweiten Weltkrieges dar. Deshalb sind hier einfühlsame Verhandlungen notwendig, auch für die Aufarbeitung des großen Leides, das über beide Völker gekommen ist. Es müssen die Bemühungen verstärkt werden, die Kulturschätze möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen. Gegenseitige Achtung vor kulturellen Leistungen der Partnerländer soll geweckt und gefördert werden. Das kulturelle Erbe im zusammenwachsenden Europa zu verdeutlichen ist dabei eine wichtige Aufgabe. Wir sollten das Trennende der Vergangenheit überwinden und uns auf das Gemeinsame in der Zukunft orientieren. Deshalb meine ich: Der festgefahrenen Diskussion um die Beutekunst kann durch eine Stiftung eine neue Richtung gegeben werden. Es wäre schon ein sinnvoller Vorschlag, eine Stiftung ins Leben zu rufen, die folgende Aufgaben erfüllt: Sie muß dokumentieren, wie viele und welche Kunstgegenstände durch Krieg und Verwüstung vernichtet wurden. Aufgabe der Stiftung ist es weiterhin, Kunstwerke in ihrem materiellen Bestand zu sichern und sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Eine Stiftung bietet darüber hinaus die Möglichkeit des Wissenschaftlerinnen- und Wissenschaftleraustausches. Kooperation und Zusammenarbeit von Archivaren, Kunsthistorikern und anderen Forscherinnen und Forschern werden so gefördert. Auch private Ansprüche müssen hier geprüft werden und selbstverständlich gewahrt bleiben. Die richtigen Stichworte sind auch heute mit dem SPD-Antrag gegeben. Wir sollten auch auf unsere Einladung der Duma-Abgeordneten, die wir damals beim Rußland-Besuch ausgesprochen haben, zurückkommen, um dort eine Akzeptanz für diesen Vorschlag zu erreichen. Hier gilt es, gemeinsam weiterzuarbeiten. ({2})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Professor Laermann, F.D.P.

Prof. Dr. - Ing. Karl Hans Laermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001266, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Das Thema der kriegsbedingt verlagerten Kulturgüter ist, so denke ich, unbestritten von zentraler kulturpolitischer Bedeutung in den Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu den mittel- und osteuropäischen Staaten. Ich möchte ausdrücklich sagen: Es geht nicht allein um die Russische Föderation. Die Rechtsposition der Bundesrepublik basiert auf dem Völker- und Vertragsrecht. Das ist hier von den Vorrednerinnen und Vorrednern schon ausführlich dargelegt worden. Diese völker- und vertragsrechtliche Position wird offensichtlich so auch von der russischen Administration und vom Präsidenten Jelzin gesehen, der das von einer Mehrheit der Duma beschlossene Gesetz bisher nicht unterzeichnet hat. Es bleibt abzuwarten, wie das russische Verfassungsgericht in Kürze entscheidet. Ich stimme Ihnen, Frau Kollegin Leonhard, zu, daß die unterschiedlichen Eigentümer der kriegsbedingt verlagerten Kulturgüter, Privatpersonen, Museen, Archive in kommunaler Trägerschaft, die überwiegend - weit mehr als der Bund selbst - betroffen sind, nach einer Lösung des Problems verlangen. Nun fordern Sie in Ihrem Antrag die Bundesregierung auf, zu prüfen, inwieweit eine Lösung über ein internationales Gerichts- oder Schiedsverfahren herbeigeführt werden könne. Ein solches Verfahren ist aber nur möglich, wenn beide Seiten einem Gerichts- und Schiedsverfahren zustimmen. Die Bundesregierung ist dazu bereit. Sie hat einen solchen Versuch schon unternommen. Ich bin informiert, daß das Auswärtige Amt ein Rechtspapier mit einem entsprechenden Vorschlag vorgelegt hat. Die russische Seite hat diesen aber abgelehnt. Der im Antrag der SPD, Frau Leonhard, vorgeschlagene Weg scheint also, wenigstens zur Zeit, nicht gangbar. Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Es ist aber wohl unbestritten notwendig, Bewegung in die Verhandlungen zu bringen. Dazu ist ein geeignetes Klima zu schaffen, zum Beispiel durch eine verstärkte Kulturkooperation in und mit den betroffenen Partnerstaaten. Gemeinsame Kulturprojekte können das Spektrum der Möglichkeiten einer Annäherung der Standpunkte in kleinen Schritten eröffnen. Ich denke, daß es eine wichtige Aufgabe des Deutschen Bundestages ist, eine diesbezügliche Strategie zu entwickeln, und zwar in interfraktioneller Übereinstimmung, um dann auf parlamentarischer Ebene in einen offenen, konstruktiven Dialog mit der Duma und den anderen Parlamenten einzutreten. Dies hat unter der Prämisse und mit der ausgesprochenen Zielrichtung zu geschehen, ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen den beteiligten Ländern zu schaffen und das gegenseitige Verständnis zu stärken. Das sind wir dem nationalen wie dem - ich betone das ausdrücklich - gemeinsamen europäischen Kulturerbe schuldig. Eines ist gewiß: Eine Lösung in kurzer Zeit wird kaum erreichbar sein. Darauf müssen wir uns einstellen. Geduld und Beharrlichkeit sind angezeigt. Ich danke Ihnen. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Professor Elm, PDS.

Dr. Ludwig Elm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002646, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Mittelpunkt der bereits länger andauernden Kontroversen um die Rückführung kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter und auch der heutigen Debatte stehen die auf diesem Gebiet zwischen der Bundesrepublik und der Russischen Föderation strittigen Fragen. Manches spricht dafür, daß die Bundesrepublik für die Rückführung deutscher Kulturgüter aus Rußland gültige völkerrechtliche Regelungen bis zurück zu der heute wiederholt erwähnten Haager Landkriegsordnung von 1907 geltend machen kann. Davon geht offenbar auch der vorliegende Antrag der SPD aus. Trotzdem kann der Antrag von uns nicht unterstützt werden. Der geschichtliche Ursprung und Hintergrund der anstehenden Probleme legt es zwingend nahe, sich statt schiedsgerichtlicher Entscheidungen oder eines Urteils des Internationalen Gerichtshofs gegen Rußland auf eine partnerschaftliche Regelung und Lösung mit diesem Land und seinen Repräsentanten zu orientieren. In der Erinnerung der heutigen Generationen ist das Ausmaß der Beschädigung, der Zerstörung und der Verschleppung kultureller Güter und Werte in der Sowjetunion durch die faschistische Eroberungs-, Besatzungs- und Vernichtungspolitik aus für jeden nachvollziehbaren Gründen noch sehr lebendig. In diesem Kontext sind in Rußland Vorstellungen wirksam und verbreitet, deutsche Kunstgegenstände als legitime materielle und moralische Kompensation dauerhaft zu behalten und die Rückgabe zu verweigern. Die friedenspolitisch destruktive NATO-Osterweiterung fördert keineswegs die politisch-psychologischen Bedingungen für eine gegenseitig einvernehmliche Lösung. Auch Versuche, rechtlich korrekte Entscheidungen internationaler Gerichte gegen eine unzureichende Bereitschaft und Einsicht in Rußland durchzusetzen, erscheinen kontraproduktiv. Angesichts der geschichtlichen, politischen und kulturellen Komplexität und Ambivalenz plädieren wir dafür, daß sich die Bundesregierung weiterhin mit hinreichender Geduld um abgestimmte Schritte mit den russischen Partnern bemüht. Vielleicht könnte das Restitutionskomitee der UNESCO vermittelnd und unterstützend einbezogen werden. Vorrang hätten zunächst gemeinsame Bemühungen um den Erhalt der Kunstwerke und ihre Präsentation in beiden Ländern und darüber hinaus. In einigen Fällen könnte gegenseitig die Ergänzung von Sammlungen und Beständen vereinbart werden. Auch bereits in der Diskussion befindliche Varianten einer gemeinsamen Kulturstiftung, eines deutschrussischen Museums oder multilateraler Stiftungen sind in diese Suche nach baldigen und auch zukunftsträchtigen Lösungen einzubeziehen. Die gemeinsame Verantwortung - das ist meine abschließende Bemerkung - für den heutigen und zukünftigen Umgang mit wesentlichen Teilen des europäischen und Weltkulturerbes auf der Grundlage eines weitreichenden Verständnisses für die Situation und die Motive der jeweils anderen Seite sollte maßgeblicher Orientierungspunkt sein. Dies könnte außen- wie kulturpolitisch für beide Seiten annehmbare und entwicklungsfähige Perspektiven eröffnen. Danke schön. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Staatsminister Dr. Hoyer.

Not found (Gast)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angesichts der verkürzten Redezeit und der Tatsache, daß wir uns zwischen den Antragstellern, der Koalitionsseite und auch den Grünen in der politischen und rechtlichen Grundlage im Prinzip einig sind, kann ich meine Bemerkungen etwas kürzer halten, als es eigentlich geplant war. Es geht nach der Überwindung des kalten Krieges jetzt darum, in dieser Frage gemeinsam mit der Russischen Föderation eine einvernehmliche, einen Interessenausgleich herbeiführende Lösung zu finden, die - das ist allerdings wichtig - dem geltenden Völker- und Vertragsrecht entspricht und dabei die historische Hypothek, die mit dieser Problematik verbunden ist, nicht ausklammert. Das von der Duma und vom Föderationsrat verabschiedete Kulturgütergesetz läuft faktisch auf eine Verstaatlichung aller aus Deutschland verbrachten Kulturgüter hinaus und ist damit ein klarer Verstoß gegen internationales Völker- und Vertragsrecht. Die Bundesregierung hat frühzeitig und nachdrücklich ihre Besorgnis angesichts der Völkerrechtswidrigkeit der im russischen Parlament behandelten Gesetzentwürfe deutlich gemacht, und zwar gegenüber dem russischen Präsidenten, dem russischen Außenminister und vielen anderen in Rußland, die in dieser Frage Einfluß haben. Präsident Jelzin hat dankenswerterweise sein Veto gegen dieses Gesetz eingelegt und erklärt, daß das Gesetz eine einseitige Entscheidung in einer völkerrechtlichen Frage suche, ohne bestehende völkerrechtliche Verpflichtungen und die Rechte der übrigen betroffenen Völkerrechtssubjekte zu beachten. Das ist zweifellos richtig. Er sagte darüber hinaus, es werde weder eine Differenzierung unter den Staaten noch hinsichtlich der Kulturgüter vorgenommen. Auch das ist richtig. Die Angelegenheit ist derzeit beim russischen Verfassungsgericht anhängig. Die Verhandlung ist auf den 16. März 1998 terminiert. Nach Kenntnis der Bundesregierung wird das russische Verfassungsgericht prüfen müssen, ob das Kulturgütergesetz in einem ordnungsgemäßen Gesetzgebungsverfahren zustande gekommen ist und ob es materiellrechtlich mit der Verfassung vereinbar ist. Wir wollen diese Entscheidung zunächst einmal abwarten. Aber wir hoffen, daß sich das Gericht den schlüssigen Argumenten des Präsidenten und der Regierung anschließt und damit den Weg für Verhandlungen ebnet, die zu einer einvernehmlichen Lösung führen müssen. Übrigens würde ein Inkrafttreten des Gesetzes - ich glaube, Herr Kollege Laermann hat darauf angespielt - nicht nur in Deutschland zu massiver Kritik führen, sondern auch in Mittel- und Osteuropa, den Staaten der GUS, den baltischen Staaten und dem westlichen Ausland, also teilweise bei Staaten, die im zweiten Weltkrieg Teil der Sowjetunion waren oder als Alliierte auf seiten der Sowjetunion gekämpft haben, denn deren Kulturgüter würden de facto ebenfalls nationalisiert. Wir werden also weiterhin entschlossen die Bemühungen fortführen, auf allen in Rußland zuständigen Ebenen für unsere Position Unterstützung zu finden. Ich denke, daß zum Thema Stiftungslösung das Notwendige hier schon gesagt worden ist. Die Stiftungslösung klingt aufs erste Hören sehr sympathisch. Aber ich denke, sie übersieht die Struktur der Kulturgüter, um die es geht, und darüber hinaus die legitimen Rechte der Eigentümer, seien es Privatpersonen, Museen oder andere, auf deren Wahrung wir als Bund zu achten haben. Insofern fürchte ich, daß diese Lösung nicht funktioniert. Auch zum Vergleichs- und Schiedsgerichtshof innerhalb der OSZE sowie zum IGH ist, glaube ich, das Notwendige gesagt worden. Wir wären sehr gerne bereit, ihre Zuständigkeit anzuerkennen, weil wir uns unserer Rechtsposition sehr sicher sind. Nur Rußland ist offenbar bisher nicht dazu bereit. Es bleibt also nichts weiter übrig, als unbeirrt und beharrlich an den Positionen in der Frage der Kulturgüterrückführung festzuhalten und diese bilateral und international zu vertreten; dies übrigens auch, weil wir aus grundsätzlicher Erwägung nachdrücklich die Vorstellung ablehnen, innerstaatliches Recht könne Völkerrecht und Verträgen vorgehen, wie das in dem Gesetz, das in der Duma und dem Föderationsrat beschlossen worden ist, zum Ausdruck kommt. Aber wir sind uns dabei sehr wohl bewußt, daß es im Kern nicht nur um rechtliche oder gar prozedurale Fragen geht, sondern um die Regelung eines auch politisch wesentlichen Bestandteils unserer bilateralen Beziehungen. ({0}) Mehr noch: Vertragstreue und Achtung des Völkerrechts sind unverzichtbare Grundlagen für die friedliche Zusammenarbeit in der Staatengemeinschaft und Geschäftsgrundlage für das europäische Haus, das wir gemeinsam mit Rußland bauen wollen. Herzlichen Dank. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD zur Rückführung ,,kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter" ; das ist die Drucksache 13/9081. Ich bitte diejenigen, die dem Antrag zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 15 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Waltraud Schoppe, Gerd Poppe, Rita Grießhaber, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Freiwilliger Verhaltenskodex für deutsche und europäische Unternehmen in China - Drucksache 13/9974 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft ({0}) Auswärtiger Ausschuß Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Es war für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Mir ist aber erklärt worden, daß die beteiVizepräsident Hans-Ulrich Klose ligten Redner ihre Debattenbeiträge zu Protokoll geben. ({1}) Es handelt sich dabei um die Kollegen Fritz, Schwanhold, Schmitt, Türk und Tippach sowie den Parlamentarischen Staatssekretär Kolb. Ich gehe davon aus, daß das Haus damit einverstanden ist. *) Das Wort wird weiter nicht gewünscht. Dann schließe ich die Aussprache. *) Anlage 18 Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/9974 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluß der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 5. März 1998, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.