Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/21/1997

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die Sitzung. Zu Beginn unserer Sitzung möchte ich Dr. HansDietrich Genscher zu seinem 70. Geburtstag ganz herzlich gratulieren. ({0}) Wir alle wissen, welch große Verdienste Sie für und um unser Land haben. Ich denke, das ist im In- und Ausland bekannt. Wir danken Ihnen, wünschen Ihnen gute Gesundheit und wollen alle miteinander diese Politik der Entspannung und Vereinigung weiterführen. Herzlichen Dank, lieber Herr Genscher. ({1}) Ich gratuliere unserem Kollegen Anton Pfeifer zu seinem 60. Geburtstag ganz herzlich, wünsche ihm alles Gute und danke auch ihm. ({2}) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a und 12 b auf: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Steuerreformgesetzes ({3}) 1998 - Drucksache 13/7242 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß ({4}) Rechtsausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß j 96 GO b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({5}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Christine Scheel, Elisabeth Altmann ({6}), Marieluise Beck ({7}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für eine durchgreifende Einkommensteuerreform: Steuergerechtigkeit durch Steuervereinfachung - zu dem Antrag der Abgeordneten Joachim Poß, Ingrid Matthäus-Maier, Ludwig Eich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Einkommensteuerreform zum 1. Januar 1998 in Kraft setzen - Drucksachen 13/3874, 13/5510, 13/6859 Berichterstattung: Abgeordnete Gisela Frick Friedrich Merz Joachim Poß Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so. Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen, Dr. Theodor Waigel.

Dr. Theodor Waigel (Minister:in)

Politiker ID: 11002412

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es wäre dem Tag natürlich angemessen gewesen, lieber Kollege Genscher, wenn man ihn mit einer großen außenpolitischen Debatte begonnen hätte. Nun müssen Sie mit dem einfachen Gewerbe der Steuerpolitik vorlieb nehmen. Auch ich möchte Ihnen von dieser Stelle aus meinen herzlichen Glückwunsch aussprechen. Ich denke gerne an die großartigen Stunden, die wir miteinander verbracht haben. Alles Gute. ({0}) Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wir sind auf dem Weg in das 21. Jahrhundert. Wir müssen uns in allen Bereichen der Politik darauf vorbereiten. Westeuropa und die „alten Industrieländer" der westlichen Welt haben immer noch Standortvorteile. In Mittel- und Osteuropa beginnt aber im Zeichen der Marktwirtschaft der Aufholprozeß hin zum Standard der Weltmärkte. Wir haben das nicht zu beklagen; wir haben das gewollt. Wir haben gewollt, daß diese Länder wieder in die Mitte Europas zurückkehren, wozu sie immer gehört haben und wovon sie durch den Eisernen Vorhang getrennt waren. Sie nehmen jetzt die gleiche Chance wahr, wie wir sie in der Zeit von 1946 bis 1949 wahrgenommen haben, um wieder geistig, demokratisch und ökonomisch am Wettbewerb der Welt teilzunehmen. ({1}) Auch die Schwellenländer im asiatischen Raum werden immer bedeutsamer. Ihr Anteil am Welthandel nimmt rasch zu. Die Luft auf den Weltmärkten wird dünner. Auch wenn viele Märkte erst noch erschlossen werden, so wächst der Welthandel insgesamt weiter. Die Zahl der Volkswirtschaften, die technologisch hochwertige Güter in vergleichbarer Qualität herstellen können, hat sich drastisch erhöht. Alle westlichen Volkswirtschaften haben die Zeichen der Zeit erkannt. Bei nahezu allen unseren Partnern ist ein Anpassungsprozeß der Marktwirtschaft an die neuen Herausforderungen in vollem Gang: in den Niederlanden, in Österreich, in den USA und in Skandinavien. Deutschland ist kein Naturschutzreservat im globalen Wettbewerb. Wir müssen uns diesen Veränderungen stellen. Wir müssen eine eigene Antwort finden. Die soziale Marktwirtschaft bleibt unser Modell. Sie muß aber den Bedingungen der neuen Zeit angepaßt werden. Um den Erfolg des ordnungspolitischen Modells Ludwig Erhards und seine Kontinuität zu sichern, sind Veränderungen nötig: in der Wirtschaft, in der Politik und für jeden Bürger in unserem Land. Deutschland hat noch viele Standortvorteile: beim Human capital, bei der Infrastruktur, bei Forschung und Entwicklung. Aber Defizite bestehen bei den Steuern, den Lohnnebenkosten und einer zu starken Einschränkung der Handlungsspielräume der Unternehmen durch ein Übermaß an Regulierung. ({2}) Das wirkt sich insbesondere bei der industriellen Herstellung vieler in Deutschland entwickelter Produkte aus. Deutschland wird kein Billiglohnland; aber als Blaupausenlieferant wird Deutschland niemals genug Arbeitsplätze anbieten können. Ein starker industrieller Sektor bleibt neben der Entwicklung des Dienstleistungssektors für uns unverzichtbar. Die Bundesregierung stellt sich dieser Herausforderung. Wir haben ein umfassendes Konzept für den Standort Deutschland, ein Konzept zur Schaffung von zukunftssicheren Arbeitsplätzen. Der Schlüssel für mehr Arbeit sind Innovationen, Investitionen und ein ausreichendes und nachhaltiges Wirtschaftswachstum. Das bedeutet die weitere Konsolidierung der öffentlichen Finanzen, die Abschaffung von investitionsfeindlichen Substanzsteuern, die Senkung von Steuersätzen sowie Lohnnebenkosten. ({3}) Dazu müssen Strukturreformen und der Abbau von Überregulierungen kommen. ({4}) Über das, was jetzt in Deutschland notwendig ist, geben alle internationalen und nationalen Institute und Ökonomen, der Internationale Währungsfonds, die OECD, der Sachverständigenrat und die Forschungsinstitute nahezu gleichlautende Empfehlungen. ({5}) - Frau Präsidentin, da sitzt ein Papagei. Da ruft einer immer dasselbe. ({6})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Ich gehe nicht davon aus, daß wir einen Papagei im Parlament haben. Aber ich bitte darum, daß der Redner nicht durch diese Art Zwischenrufe gestört wird.

Dr. Theodor Waigel (Minister:in)

Politiker ID: 11002412

Ich nehme an, es ist kein Abgeordneter. Frau Präsidentin, ich würde natürlich nie einen Abgeordneten so nennen. Es muß sich ein Papagei hier aufhalten, weil hier immer der gleiche Zwischenruf kommt. ({0}) Am Montag hat dem Rat der europäischen Wirtschafts- und Finanzminister das deutsche Konvergenzprogramm vorgelegen. In den Stellungnahmen der Kommission, des Vorsitzenden des Währungsausschusses und anderer Länder war das Lob für die darin formulierte Konzeption einhellig. Wir wurden aufgefordert, diesen Kurs ohne Abstriche fortzusetzen, ihn gegebenenfalls noch zu verstärken. Eines wurde übrigens klar ausgesprochen: Zwar geht es auch um die Erreichung der Konvergenzkriterien, das heißt, der Stabilitätsmerkmale, die im Vertrag von Maastricht für die dritte Stufe verlangt werden. Es geht aber in erster Linie um einen zukunftssicheren Standort Deutschland. Deutschland als wichtigster Markt Europas hat eine Schlüsselfunktion für Europa. Wenn der Wirtschaftsmotor in Deutschland läuft, ist das gut für ganz Europa. Dieser großen Verantwortung müssen wir uns bewußt sein. ({1}) Nun, meine Damen und Herren, das weiß auch die SPD. Es gibt ein - allerdings unautorisiertes - Papier von einflußreichen und sachverständigen Ökonomen in der SPD vom März 1996, das sich in seinen wesentlichen Inhalten völlig mit dieser Analyse und mit unserem Konzept deckt. Da heißt es beispielsweise: Die Rahmenbedingungen für wirtschaftliches Wachstum und Beschäftigung müssen von Grund auf verbessert werden. Das Steuersystem muß von Grund auf renoviert werden. Der Grundsatz muß lauten: breite Basis, niedrigere Tarife, keine Ausnahmen, es sei denn für Innovationen und Umwelt. Dort heißt es: Streichung aller ertragsunabhängigen Steuern. ({2}) Dort heißt es: Anrechnung von Urlaubstagen bei Kuren; Streichung von Sonderurlauben; höhere Eigenleistung bei Arzneimitteln. ({3}) - Dann hätte es gestern eigentlich einer anderen Reaktion bedurft. ({4}) Dort heißt es: Der Kündigungsschutz ist so umzugestalten, daß er für kleine und mittlere Unternehmen nicht zu einer Einstellungsbremse für Arbeitslose wird. - Warum dann eigentlich die Hetze gegenüber dem, was wir voriges Jahr beschlossen haben? ({5}) Dort heißt es: Das Abstandsgebot zwischen Arbeitseinkommen und der Sozialhilfe muß eingehalten werden. ({6}) Die Zumutbarkeitskriterien für die Arbeitsaufnahme von Arbeitslosen müssen enger gefaßt werden. Meine Damen und Herren, diesen unautorisierten Katalog der SPD hat die Bundesregierung schon weitgehend umgesetzt. Sie verweigern sich zwar der Wirklichkeit; Sie sollten sich aber nicht den Ratschlägen der Ökonomen Ihrer Fraktion verweigern. Es ist schon starker Tobak, wie Sie hier offizielle Politik betreiben. ({7}) Die Ökonomen bzw. die Ratgeber der SPD fordern in diesem Papier auch ein Investitionsprogramm. Eben das haben wir am Dienstag dieser Woche mit einem Volumen von 25 Milliarden DM im Kabinett beschlossen, ohne daß der Haushalt mit einer Mark zusätzlich belastet wird. ({8}) Kollege Glos, ich habe eine herzliche Bitte: Könnten Sie vielleicht auf Kosten der Landesgruppe allen Kollegen der SPD dieses unautorisierte Papier zukommen lassen. Es kann ja sein, daß es Herr Scharping unter Verschluß hält. ({9}) Insofern könnte das dem Willensbildungsprozeß, dem Informationsstand und damit der intellektuellen Stärkung der SPD-Fraktion dienen. Vielleicht könnte die CSU in Solidarität zur Wahrheit auch das noch übernehmen. ({10}) Weitere Elemente dieses Kataloges finden sich in der dritten Stufe der Unternehmensteuerreform oder in den Plänen für die Steuerreform 1998/1999, über deren erste Stufe zum 1. Januar 1998 wir heute beraten. Leider haben die Chefideologen der SPD dieses Basispapier einer möglichen „Koalition der Vernunft für den Standort Deutschland" gestoppt. ({11}) Die Bremser und Blockierer haben in der SPD schon 1996 die Oberhand behalten. Soll das auch 1997 so sein? ({12}) Die SPD hat die Gespräche zur Steuerreform mit fadenscheinigen Argumenten abgebrochen. Die Verbindung zwischen Kohlesubventionen und der Steuerreform besteht nur in einem einzigen Punkt: Die Steuerreform 1998/1999 könnte das wichtigste Element zur Schaffung neuer Arbeitsplätze in den Revieren werden. ({13}) Insofern war Ihr Vorgehen erstens sachlich falsch. Zweitens: Wenn der Grund für den Abbruch der Gespräche durch die Einigung über die Kohlesubventionen weggefallen ist, dann gibt es keinen Grund Ihrerseits, sich weiteren Gesprächen und Verhandlungen zu entziehen. Es ist reine Parteitaktik, die Sie hier praktizieren - zu Lasten des Gemeinwohls in Deutschland, zu Lasten der Arbeitslosen und zu Lasten derer, die in Deutschland noch Arbeit haben. Sie selber müssen das verantworten. ({14}) Gestern haben die Kollegen Schäuble und Sohns sowie auch ich der Verhandlungsgruppe der SPD - Herrn Scharping, Bürgermeister Voscherau und Finanzminister Schleußer - neue Gespräche - selbstverständlich auch während der Osterzeit - angeboten. Wir hoffen, die SPD ergreift unsere ausgestreckte Hand im Interesse der mehr als 4 Millionen Arbeitsuchenden. ({15}) Wenn wir bald Beschäftigungsimpulse wollen, müssen wir alles daran setzen, das Gesetzgebungsverfahren abzukürzen. In den bisherigen Gesprächen haben wir bei der Steuerreform wichtige Übereinstimmungen festgestellt. Wir liegen beim Eingangssteuersatz, bei den Körperschaftsteuersätzen und dem Steuersatz für gewerbliche Einkünfte nicht weit auseinander. Lassen Sie uns, auf diese Gemeinsamkeiten aufbauend, eine Verständigung über die noch offenen Fragen finden. Ich erinnere Sie noch einmal an bedeutende europäische Sozialdemokraten: Denken Sie an Viktor Klima, Göran Persson, Wim Kok oder Tony Blair. ({16}) Die tun oder fordern gerade das, was Sie in Ihrem in der Schublade verschwundenen Papier angeregt haBundesminister Dr. Theodor Waigel ben und von dem Sie heute nichts mehr wissen wollen. ({17}) Für das größte Industrieland Europas und zu einer Zeit, in der es mehr denn je auf Fortschritt und gezielte Veränderung ankommt, ist es traurig, die rückständigsten Sozialdemokraten Europas im Bremserhäuschen des eigenen Standortzuges zu haben. ({18}) Am 26. Februar 1997 titelte das „Wall Street Journal Europe": „The Anti-Reform SPD" . Genau das ist der Stand: Die Partei, die in den 60er und 70er Jahren als Reformpartei angetreten ist, ist heute die Reformverhinderungspartei par excellence. ({19}) Hinsichtlich dessen, daß die SPD aus den Verhandlungen hinausgegangen ist, erinnere ich mich noch an die Zeit, als ich hier junger Abgeordneter war. Während einer wütenden Rede von Herbert Wehner haben wir einmal den Saal verlassen. Wenn man rausgeht, ist man stolz und läuft draußen eine Weile herum. Dann spitzelt man langsam wieder hinein. Während wir so langsam wieder hereinspitzelten, hörten wir Herbert Wehner rufen: „Wer rausgeht, muß auch wieder reinkommen! " Sie sollten das Ritual abkürzen; denn es tut denen, die in Deutschland Arbeit suchen, nicht gut, was Sie im Moment aus parteitaktischen Spielchen heraus hier inszenieren. ({20}) Meine Damen und Herren, mit dem Entwurf eines Steuerreformgesetzes 1998 werden die Petersberger Reformvorschläge in einem ersten Schritt umgesetzt. Das Ziel der ersten Stufe der großen Steuerreform ist es, den Investitionen als entscheidender wirtschaftlicher Wachstumskraft einen kräftigen Anschub zu geben. Dazu kommt die Senkung des Solidaritätszuschlages um 2 Prozentpunkte, die eine zusätzliche verbrauchs- und investitionsstützende Entlastung für die Steuerzahler von 7,5 Milliarden DM bringt. Mit dem Steuerreformgesetz 1998 werden gewerbliche Unternehmen ab Januar 1998 durch die Senkung des Körperschaftsteuersatzes für einbehaltene Gewinne von 45 auf 40 Prozent und für ausgeschüttete Gewinne von 30 auf 28 Prozent sowie durch die Senkung des Einkommensteuerhöchstsatzes für gewerbliche Einkünfte von 47 auf 40 Prozent spürbar entlastet. Die Tarifsenkungen im Unternehmensbereich bei Einkommen- und Körperschaftsteuer belaufen sich auf rund 7,6 Milliarden DM. Mit diesem ersten Schritt kommt es zu einer wichtigen investitionsfördernden Steuerstrukturverbesserung. Nach der Philosophie der Steuerreform 1998/99 werden niedrigere Steuersätze mit der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage verbunden. Entsprechend den Petersberger Steuervorschlägen wird die Absenkung der Steuersätze für die Unternehmen ab 1. Januar 1998 durch steuerliche Maßnahmen innerhalb des Unternehmensbereichs voll gegenfinanziert. Die handelsrechtlichen Rechnungslegungsvorschriften sollen weiterhin die Grundlage für die Bewertung und Bilanzierung des Betriebsvermögens bilden. Die steuerlichen Gewinnermittlungsvorschriften werden jetzt aber so gefaßt, daß eine genauere periodengerechte Abgrenzung ermöglicht und die Bildung von unbesteuerten stillen Reserven stärker als bisher vermieden wird. Der Gesetzentwurf sieht als Gegenfinanzierungsmaßnahmen die Einführung eines Wertaufholungsgebots und die Einschränkung bei der Bildung von Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften vor. Ferner sollen Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten unter Berücksichtigung der unternehmensspezifischen Erfahrungen realitätsnäher beurteilt werden. Die degressive Abschreibung für bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens wird um 3 Prozentpunkte auf 22 Prozent abgesenkt. Die Gegenfinanzierung der dritten Stufe der Unternehmensteuerreform sieht schon die Senkung von 30 auf 25 Prozent vor. Die Absenkung der degressiven AfA tritt an die Stelle der im Referentenentwurf vorgesehenen Anhebung des ermäßigten Steuersatzes auf außerordentliche Einkünfte, insbesondere bei Veräußerung und Aufgabe von Betrieben. Es bleibt bei der Grundentscheidung der Steuerreformkommission für das Steuerreformgesetz 1999: Streichung der Steuerermäßigung und rechnerische Verteilung der Einkünfte auf fünf Jahre. Die Verbindung der Senkung der Steuersätze mit der Einschränkung der Abschreibungsmöglichkeiten wird Vorzieheffekte im Jahr 1997 auslösen und so frühzeitig zu neuen Arbeitsplätzen beitragen. Es lohnt sich für jedes Unternehmen, jetzt zu investieren, 1997 noch von den Abschreibungen zu profitieren und dann ab 1998 die niedrigeren Steuersätze in Anspruch zu nehmen. Wer das jetzt nicht will, wer sich dem verweigert, wer rechtzeitige Entscheidungen bewußt verhindert, der macht sich mitschuldig, daß die Investitionen 1997 nicht getätigt werden und damit nicht zu neuen Arbeitsplätzen in Deutschland führen. ({21}) In diesem Zusammenhang möchte ich die SPD noch einmal auf die Problematik einer zu großen Spreizung der Spitzensteuersätze einzelner Einkunftsarten hinweisen. Diesen Punkt hat die SPD noch bei den Beratungen zum Standortsicherungsgesetz hervorgehoben. Herr Poß und Herr Schleußer haben damals in der Debatte des Deutschen Bundestages und des Bundesrats zum Standortsicherungsgesetz schwerste verfassungsrechtliche und steuersystematische Bedenken gegen die Einführung der Steuersatzsenkung für gewerbliche Einkünfte erhoben. Richtig ist, die Höchststeuersätze stehen in einem inneren Zusammenhang. Der Höchststeuersatz für gewerbliche Einkünfte sollte aus Gründen der Rechtsformneutralität und zur Vermeidung von WettBundesminister Dr. Theodor Waigel bewerbsverzerrungen genauso hoch sein wie der Körperschaftsteuersatz für einbehaltene Gewinne. Eine Spreizung zwischen Höchststeuersatz für gewerbliche und nichtgewerbliche Einkünfte widerspricht im System der Einkommensteuer dem Grundsatz, alle Einkunftsarten gleich zu behandeln. Die jetzt vorgesehene Spreizung läßt sich aber mit der zusätzlichen Gewerbeertragsteuerbelastung der gewerblichen Einkünfte rechtfertigen. Eine darüber hinausgehende Spreizung wäre in der Tat verfassungsrechtlich bedenklich. Wir sollten deshalb in der Größenordnung der bisherigen Steuersatzspreizung bleiben. Für eine Übergangszeit von einem Jahr ist eine höhere Spreizung hinnehmbar, unter der Voraussetzung des Gesamtkonzepts mit einer zweiten Stufe 1999. Außerdem - auch das muß man sehen - führt eine zu hohe Spreizung zu neuen Steuergestaltungen. Nun zu Ihrem Vorwurf, meine Damen und Herren von der SPD, es sei unmoralisch, wenn wir auch für „Reiche" den Spitzensteuersatz senken. Lesen Sie einmal nach, was der Nobelpreisträger James Mirrlees dazu zu sagen hat. Er hat in einem Interview mit der „Wirtschaftswoche" vom 20. März 1997 auf die Frage: „Ist das nicht moralisch fragwürdig, niedrigere Grenzsteuern für Reiche?" geantwortet: „Es mag für manche häßlich aussehen. Aber es klingt doch mehr nach Neid. " Als britischer Gentleman hat er noch höflich hinzugefügt, daß er das den Sozialdemokraten nicht unterstellen möchte. Unterstellung hin oder her, die SPD ist in diesem Punkt zu keiner sachbezogenen Diskussion bereit, sondern setzt vielmehr auf eine Neidkampagne mit klassenkämpferischer Ideologie von vorgestern. ({22}) Nur, der Neid hat noch nie einen Arbeitsplatz mehr geschaffen. ({23}) Vergleiche mit dem Ausland hinken. 90 Prozent aller deutschen Unternehmen haben die Rechtsform des Einzelunternehmens oder der Personengesellschaft. Körperschaften - GmbH, AG - machen nur etwa zehn Prozent aller Unternehmen aus. Im Ausland werden gewerbliche Einkünfte im wesentlichen von juristischen Personen erzielt. Das Problem der Spreizung stellt sich dort nicht. Es kann deshalb auch nicht allein um die Senkung der Körperschaftsteuer gehen. Der Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle, Professor Rüdiger Pohl, hat kürzlich in einem Interview für die „Wirtschaftswoche" festgestellt: „Die Senkung der Körperschaftsteuer reicht nicht, denn die meisten Arbeitsplätze unterliegen der Einkommensteuer." Meine Damen und Herren, die vorgezogene Stufe 1998 kann noch im Juli dieses Jahres verabschiedet werden. Damit wäre der Weg frei für die schon in 1997 zu erwartenden Vorzieheffekte. Auch der zweite Teil der Steuerreform 1998/99 kann noch in diesem Jahr über die Bühne gebracht werden. Bereits die zügige Verabschiedung ohne eine lange Hängepartie wäre ein entscheidender Ruck für einen positiven Stimmungswandel am Standort Deutschland. ({24}) Der Opel-Chef David Herman hat kürzlich in einem Gespräch mit der „FAZ" vom 14. März davon gesprochen, daß schon ein Stimmungswandel bei den Investoren festzustellen sei: „Wer über Investitionen nachdenkt, muß Deutschland wieder einbeziehen. " Positiv über den Gesetzentwurf zur Steuerreform äußerte sich auch der Vorsitzende des Steuerausschusses der US -Handelskammer, Claus-Dieter Jack- stein, in einem Gespräch mit dem „Handelsblatt" vom 27. Februar 1997: „Sollte er Gesetz werden, wird er für ausländische Investoren eine enorme Signalwirkung haben. " Nicht nur die Investitionen würden anspringen. Nach einer Untersuchung des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels kann mit einer Kaufkraftverbesserung von rund 37 Milliarden DM bzw. mit einem Umsatzplus im Einzelhandel von 10 bis 12 Milliarden DM gerechnet werden. All das, meine Damen und Herren, wäre gefährdet, wenn die SPD jetzt weiter einen Blockade- und Konfrontationskurs fährt. ({25}) Darum sage ich Ihnen: Stimmen Sie diesem Entwurf zu! Hören Sie auf Ministerpräsident Schröder oder Bürgermeister Voscherau, und kehren Sie im Interesse der Arbeitnehmer und der Arbeitslosen in Deutschland an den Verhandlungstisch zurück! Ich danke Ihnen. ({26})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Fraktionsvorsitzende der SPD, Rudolf Scharping.

Rudolf Scharping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002769, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine Steuerreform verdient ihren Namen nur, wenn sie zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit beiträgt, wenn sie das Steuersystem einfacher und gerechter macht und wenn sie die Fähigkeit des Staates nicht ruiniert, für öffentliche Investitionen und damit für die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger zu sorgen. Alle diese Ziele verfehlen Ihre Vorschläge. Das Steuersystem wird nicht einfacher und gerechter. Im Gegenteil: Es wird in vielen Bereichen noch ungerechter. Ihre Vorschläge sind ungeeignet, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, vor allem weil Sie keinen Beitrag zur Bekämpfung unseres größten Problems leisten, nämlich einer zu schwachen Binnenkonjunktur. Wenn Ihre Vorschläge das Parlament und den Bundesrat unverändert passierten, würde dies dazu führen, daß die öffentlichen Kassen ruiniert sind. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sozialdemokratie möchte folgendes erreichen: erstens eine durchgreifende Senkung der Lohnnebenkosten, zweitens eine Entlastung der wirklichen Leistungsträger unserer Gesellschaft, drittens eine verbesserte Hilfe für die Familien und für die Kinder. ({1}) Im Zusammenhang mit den Lohnnebenkosten mache ich Sie auf folgendes aufmerksam: Nach einem einstimmigen Beschluß der Länderminister für Arbeit und Soziales betragen die versicherungsfremden Leistungen in der Renten- wie in der Arbeitslosenversicherung knapp 58 Milliarden DM. Sie sind durch einen Bundeszuschuß nicht gedeckt. Nach einer Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft und der wissenschaftlichen Institute muß man davon ausgehen, daß eine einprozentige Senkung der Lohnnebenkosten mit Hilfe der Herausnahme versicherungsfremder Leistungen aus der Renten- wie aus der Arbeitslosenversicherung etwa 80 000 bis 100 000 Arbeitsplätze schaffen hilft. Das bedeutet folgendes: Wenn der Beitrag zur Rentenversicherung um zirka 2 Prozentpunkte und der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung ebenfalls um zirka 2 Prozentpunkte sinkt oder dieser Prozeß mit einem kräftigen Schritt eingeleitet wird, dann kann man erhoffen, daß auf der Seite der Arbeitsplätze jene Stabilität erreicht wird, die Sie auf der Seite der öffentlichen Kassen nicht mehr erreichen können. ({2}) Es gibt überhaupt keinen Zweifel, daß die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit auch die Senkung der Lohnnebenkosten erfordert. Es gibt auch keinen Zweifel daran, daß diese Absenkung der Lohnnebenkosten durch Herausnahme der versicherungsfremden Leistungen ein Gebot der Gerechtigkeit und vor allen Dingen ein Gebot der wirtschaftlichen Vernunft ist. ({3}) Es ist nicht verantwortbar, daß wir in Deutschland von allen OECD-Staaten, also von allen Industriestaaten auf der Erde, das am stärksten belasten, was wir am dringendsten brauchen, nämlich Arbeitseinkommen und Arbeitsplätze. Ohne einen Einstieg in die Senkung der Lohnnebenkosten und ohne eine neue Finanzierung versicherungsfremder Leistungen wird es keinen wirklichen Fortschritt geben. Warum sollte die Sozialdemokratie ihre Hand zu einem Konzept reichen, das seine reklamierten Ziele nicht erreicht, sondern das Gegenteil, während doch bessere Vorschläge auf dem Tisch liegen? ({4}) Ich sehe ein, daß in Ihren Reihen die Frage gestellt wird, ob eine andere Finanzierung versicherungsfremder Aufgaben nicht den Druck mindere, eine Modernisierung des Sozialstaates zu erreichen. Ich sehe ein, daß Sie große Schwierigkeiten haben, sich von dem historischen Fehler zu verabschieden, den Sie 1990 und 1991 begingen, als Sie die Finanzierung der deutschen Einheit im wesentlichen den Sozialkassen anlasteten, anstatt das fairerweise mit allen Steuerzahlern gemeinsam zu regeln. ({5}) Ich will Ihnen aber nicht zusätzlich erschweren, von diesem Fehler jetzt endlich herunterzukommen, und biete Ihnen für die SPD erneut an, schon zum 1. Juli 1997, also in der Mitte dieses Jahres, mindestens die Hälfte der versicherungsfremden Leistungen aus Renten- und Arbeitslosenversicherung zu entfernen, zu einer Entlastung der Arbeitsplätze und Arbeitseinkommen beizutragen und auf diese Weise ein erstes, für Deutschland entscheidendes Signal in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu geben. ({6}) Zweitens. Wir sind der Auffassung, daß die wirklichen Leistungsträger in Deutschland entlastet werden müssen. Dazu sind eine Reihe von Vorschlägen gemacht worden, sowohl Ihrerseits wie auch seitens der Sozialdemokratie. Ich möchte Sie auf folgendes aufmerksam machen: Wer ein solches Konzept verfolgt, der muß sich mit verschiedenen Fragen auseinandersetzen. Zu den ernsten Fragen gehört der Zustand der öffentlichen Haushalte. Niemals zuvor ist die Zukunft der Kinder, niemals zuvor ist die Leistungsfähigkeit künftiger Generationen so stark belastet, ja verfrühstückt worden wie mit Ihrer hemmungslosen Verschuldungspolitik. ({7}) Ich bedaure, das sagen zu müssen: Sie haben in dieser Frage haltlose Erwartungen, Illusionen geweckt. Ich behaupte, nein, ich befürchte - ich will es nicht erschweren -, daß Sie auch wußten, wie haltlos Ihre Erwartungen waren. 1994, unmittelbar vor Beginn des Bundestagswahlkampfes, haben Sie eine mittelfristige Finanzplanung veröffentlicht, die für 1996 eine Verschuldung des Bundeshaushaltes von 60 Milliarden DM, für 1997 von 43 Milliarden DM und für 1998 von 27 Milliarden DM vorsah. Sie haben dem deutschen Volk suggeriert, daß mit Ihrer Politik die Verschuldung des Bundeshaushaltes auf eine nachhaltige Weise sinken werde. Tatsächlich betrug die Verschuldung des Bundeshaushaltes 1996 78,3 Milliarden DM. Tatsächlich geht das geplante Defizit für 1997 über Ihre Finanzplanung hinaus: Es beträgt nicht 43 Milliarden DM, sondern 56,5 Milliarden DM - bei weiter bestehenden Risiken von zusätzlich mindestens 15 Milliarden DM. 1998 beträgt das Defizit nach Ihren neueren Planungen zirka 70 Milliarden DM. Meine Damen und Herren, für 1999 schlagen Sie uns jetzt ein Konzept vor, das von folgenden Eckpfeilern ausgeht: von einem Staatsdefizit, also einem Defizit aller öffentlichen Haushalte, von zirka 95 Milliarden DM, von Einnahmeausfällen durch Ihre sogenannten Reformgesetze von mindestens 55 Milliarden DM, von Ausfällen durch die Absenkung des Soli daritätszuschlages von vermutlich mindestens 8 Milliarden DM. Wer dem Deutschen Bundestag, wer dem deutschen Volk diese Explosion der öffentlichen Verschuldung vorschlägt, handelt mit Blick auf künftige Generationen und die Leistungsfähigkeit des Gemeinwesens unverantwortlich. ({8}) Sie können nicht erwarten, daß wir dem zustimmen. Sie können nicht erwarten, daß wir Ihre unverantwortliche Finanzpolitik noch zu bemänteln helfen. Sie können auch nicht erwarten, daß wir uns auf die eigenartige Arbeitsteilung einlassen, wonach Sie für die Steuersenkung und wir für die Finanzierung Ihrer Vorschläge zuständig sind. ({9}) - Lieber Kollege Rauen, ich bitte um Verständnis: Ich habe einige Schwierigkeiten mit meinem Hals und kann nicht so laut reden. Das ist in einer solchen Debatte vielleicht auch ungewollt wohltuend. Herr Bundesfinanzminister, es wäre ein Akt der Offenheit gewesen, wenn Sie wenigstens hinzugefügt hätten, daß all Ihre schönen Vorschläge unausgesprochen zugleich eine Erhöhung der Mehrwertsteuer nach sich ziehen werden. Ich weiß, daß Sie das vorhaben. Vor diesem Hintergrund sage ich: Sie können nicht erwarten, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion oder sonst irgend jemand aus den Reihen der Sozialdemokratie zustimmt in der Gewißheit, daß die Mehrwertsteuer erhöht wird, damit Einkommensmillionären eine Steuererleichterung von mindestens 120 000 DM im Jahr zugute kommen kann. ({10}) Wenn man drei Ziele verfolgt, nämlich die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, ein gerechtes und einfaches Steuersystem und Stabilität der öffentlichen Kassen, dann wird schon an den finanziellen Auswirkungen Ihrer Vorschläge überdeutlich: Das können Sie nicht ernst meinen. Sie können doch nicht ernsthaft vorschlagen, in den öffentlichen Kassen im Jahre 1999 ein Loch von 150 oder 160 Milliarden DM zu reißen. Wenn Sie das wirklich ernsthaft wollen, dann machen weitere Erörterungen wenig Sinn. Dann muß man sich im Parlament damit auseinandersetzen. Ich sage Ihnen schon jetzt: Allein auf Grund dieses einen Punktes werden alle Ihre Vorschläge keine Chance haben. Es ist nämlich unverantwortlich, 160 Milliarden DM öffentliches Defizit in Kauf nehmen zu wollen. Das ist völlig unverantwortlich. ({11}) Nun heißt dies nicht, daß man nicht doch zu einer wirksamen, diesen drei Zielen gerecht werdenden Steuerreform kommen könnte. Ich will Ihnen dazu folgendes sagen: In der letzten Debatte hier hat Ihr Fraktionsvorsitzender davon gesprochen, man müsse jetzt mit der Entlastung bei den Unternehmen beginnen, ({12}) und es habe wenig Sinn, die Massenkaufkraft zu stärken, weil die Menschen dann nur öfter in die Karibik fliegen würden. Das war ein ebenso absurdes wie eigenartiges Argument; denn wenn der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in eine von globalen Wettbewerbsbedingungen geprägte Debatte plötzlich auf der Seite der Binnenkonjunktur ein fast nationalistisches Argument einführt, ({13}) dann ist das nicht sonderlich überzeugend. ({14}) Es fehlt überhaupt an der Konsistenz Ihrer Argumentation. Sie rühmen sich jetzt eines 25-MilliardenDM-Programms und daß es den öffentlichen Haushalt nichts kostet. Daran ist nur wahr, daß es ihn jetzt nichts kostet. Im übrigen werden Sie dann erleben, daß Sie mit diesem Programm auf eine Situation bei den Gemeinden und bei den Ländern treffen, in der dank Ihrer Finanzpolitik vermutlich die komplementären Mittel gar nicht mehr aufgebracht werden können. Das haben frühere Bundeswirtschaftsminister einmal die Zinsfalle genannt, in die Sie die öffentlichen Haushalte hineinmanövriert haben. Im übrigen - auch darauf möchte ich aufmerksam machen -: Wer sich jetzt nach Jahren angebotsorientierter Politik rühmt, daß er die private Nachfrage nicht stärken will, plötzlich aber auf der öffentlichen Nachfrageseite mit einem milliardenschweren Programm doch etwas tun will, der signalisiert, daß er keine konsistente Position hat. Auf beiden Seiten muß die Nachfrage gestärkt werden. ({15}) Ich nehme das unausgesprochene Eingeständnis gerne zur Kenntnis, daß es einer klugen Mischung aus nachfrage- und angebotsorientierter Politik bedarf und daß diese kluge Mischung in den letzten Jahren Ihrer Politik gefehlt hat. ({16}) Nun lassen Sie mich ein paar kurze Bemerkungen im Zusammenhang mit den Maßnahmen machen, die nach unserer Auffassung getroffen werden sollten. Ich räume ein, daß im Zusammenhang mit der Unternehmensbesteuerung, über die wir heute in einem ersten Schritt reden, ein offener Zielkonflikt besteht und daß man nicht einfach sagen kann, man entscheide das so oder anders und nur die eine Entscheidung sei richtig. Sie schlagen vor, die Steuersätze sehr deutlich zu senken. Sie begründen das mit der Attraktion für ausländische Investoren. Inhalt Ihres Vorschlages ist aber zugleich, vor allen Dingen, wenn man die zweite Stufe berücksichtigt, daß sie zu einer drastischen Absenkung der Abschreibungssätze kommen wollen, was im Ergebnis bedeuten wird, daß die Investitionen in Deutschland, vor allem die Investitionen in Deutschland von Unternehmen mit Sitz in Deutschland, wesentlich unattraktiver werden, als sie heute sind. Das ist der Zielkonflikt. ({17}) Vor diesem Hintergrund sage ich, daß man mit einem bloßen und platten Setzen auf sehr niedrige Unternehmensteuersätze möglicherweise den einen Teil des Ziels erreicht, den anderen aber nicht. Wenn Ihnen an einer differenzierten Auseinandersetzung liegt - das sollte in einer solchen Debatte möglich sein -, dann werden Sie sicher auch verstehen, daß wir auf eine kluge Mischung beider Maßnahmen großen Wert legen; denn es darf nicht sein, daß der investierende Mittelständler mit wenig Absatz im Ausland und der Handwerksmeister mit Investitionen in Ausbildung und neue Produkte am Ende die Attraktivität der Ausschüttungssätze für Erträge bezahlen, die ins Ausland transferiert werden. Das darf nicht geschehen. ({18}) Deswegen wird es sehr darauf ankommen, ob nicht nur in diesem ersten Teil, den wir heute zu beraten beginnen, sondern generell im Rahmen der Steueränderungen auf die Attraktivität des Investitionsstandortes Deutschland geachtet wird und darauf, daß solche Maßnahmen nicht zu einer zusätzlichen Gefahr für Handwerk, Mittelstand und deren Investitionen werden. Denn sie brauchen wir wegen der Stabilität der Beschäftigung und der Qualität der Ausbildung. ({19}) Im übrigen: Wenn Sie erreichen wollen, daß die Sätze herunterkommen - an dem Ziel ist zunächst einmal nichts zu kritisieren; über den Umfang der Maßnahmen wird man intensiv miteinander reden müssen -, dann müssen auch ganz konsequent die Schlupflöcher geschlossen werden. Ich stelle fest, daß Ihre Vorschläge dazu unzureichend sind. Der nordrhein-westfälische Finanzminister Heinz Schleußer hat einen umfangreichen Katalog vorgelegt, wie man das auf eine wirtschaftlich kluge und sehr konsequente Weise machen kann. Ich schlage Ihnen also erneut vor, sich mit diesem Thema intensiv auseinanderzusetzen. ({20}) Ich möchte Ihnen im Zusammenhang mit der Absenkung des Solidaritätszuschlages etwas sagen. Wenn Ihr Argument stimmen würde, daß es nicht zu einer Stärkung der Nachfrage kommen darf oder kommen muß, sondern daß es zunächst darauf ankommt, die Angebots-, die Investitionsseite zu stärken und die Attraktivität für ausländische Anleger zu steigern, dann mache ich Sie darauf aufmerksam, daß Ihre Finanzpolitik auch an dieser Stelle völlig inkonsistent wird. Denn wieso senken Sie nachfrageorientiert und kaufkraftorientiert den Solidaritätszuschlag - was bestimmte Verteilungswirkungen hat, wie jeder weiß -, während Sie doch auf der anderen Seite bestreiten, daß es nachfrageorientierter Politik bedarf? ({21}) Deswegen füge ich hinzu, daß die Absenkung des Solidaritätszuschlages eher ein Geschenk an die F.D.P. und ihre Wählerinnen und Wähler ist, ({22}) aber mit kluger Finanzpolitik und mit verantwortlichem Umgang mit finanziellen Erwartungen und Zwängen des Staates und des Gemeinwesens nichts zu tun hat. ({23}) Wenn man schon eine Entlastung vornimmt, dann müßte sie woanders angesetzt werden. Neben der Nettoentlastung der Einkommen aus Arbeit und der Einkommen aus Unternehmenstätigkeit durch Senkung der Lohnnebenkosten und der Herausnahme von versicherungsfremden Leistungen wäre in einem zweiten Schritt - und zwar zum 1. Januar 1998 - erforderlich, jetzt vor allem die wirklichen Leistungsträger dieser Volkswirtschaft zu entlasten. Damit bin ich bei einem Punkt, der symbolisch aufzufassen ist, aber nicht für sich allein steht. Ich meine Ihren Vorschlag, die Zuschläge für die Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit zu besteuern, was ja in der zweiten Runde kommen wird. Sie wissen, daß in Deutschland etwa 7,5 Millionen Menschen regelmäßig sonntags, feiertags oder nachts arbeiten. Das tun sie wegen der Zwänge unserer Wirtschaft, wegen der Investitionsbedingungen, wegen langer Maschinenlaufzeiten, deren Ermöglichung wir alle immer gefordert haben, und wegen des intelligenten und flexiblen Einsatzes von Arbeitskraft; das tun sie in Bussen und Bahnen, in Krankenhäusern, bei der Polizei, auf Flugplätzen, in der Stahlindustrie, in der chemischen Industrie und an vielen anderen Stellen. ({24}) Wer diese ganze Bandbreite unserer Volkswirtschaft betrachtet, wird zu dem Ergebnis kommen, daß es nicht nur ein eigenartiger Widerspruch ist, auf die Erhebung der privaten Vermögensteuer zu verzichten und dann 2,2 Milliarden DM auf diese Weise wieder hereinholen zu wollen, sondern daß es auch ein eigenartiger Widerspruch ist, den Solidaritätszuschlag zu senken und gleichzeitig bei den von mir genannRudolf Scharping ten Menschen wieder Geld abholen zu wollen. Wir werden das unter keinen Umständen mitmachen. ({25}) Ich sage Ihnen das deshalb in dieser Deutlichkeit, weil jede Maßnahme, die nicht in das perspektivische Ziel der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit hineinpaßt, die nicht in das Ziel der Belebung der Binnenkonjunktur hineinpaßt und die nicht in das Ziel eines gerechten und einfachen Steuersystems hineinpaßt, von uns nicht mitgestaltet und mitbeschlossen werden wird. Sie müssen das wissen, auch mit Blick auf - wie ich hoffe - immer noch mögliche weitere Gespräche. Sie sollten sich bitte keine Illusionen darüber machen, daß die Sozialdemokratie ein Konzept nicht mittragen wird, das letztlich einem ledigen Facharbeiter in einer mittleren Tarifgruppe in der chemischen Industrie oder der Metallindustrie 4 000 DM zusätzliche Belastungen auferlegt und denen, die es beschließen, Entlastungen zwischen 20 000 DM und 40 000 DM ermöglicht. Das werden wir nicht mitmachen. ({26}) Meine Damen und Herren, Sie haben für die zweite Stufe der Steuerreform eine niedrige Zone des Eingangssteuersatzes vorgeschlagen. ({27}) - Ich bin ziemlich sicher, daß Sie sich wieder beruhigen. ({28}) Sie haben in Ihren Vorschlägen einen Eingangssteuersatz von 22,5 Prozent vorgesehen, dem eine Stufe von 15 Prozent für die Einkommen bis etwa 18 000 DM vorgeschaltet ist. Meine Damen und Herren, das ist eine Idee, über die man reden kann, obwohl ein Eingangssteuersatz von unter 20 Prozent mit einem regelmäßigen Tarifverlauf wesentlich wünschenswerter wäre. Ich will mich in dieser Frage aber nicht so sehr in technische Einzelheiten begeben, sondern auf ein politisches Prinzip aufmerksam machen. Dieser von Ihnen vorgeschlagene Tarifverlauf endet bei 39 Prozent, was Sie mit dem auch von unserer Seite gar nicht bestrittenen Zusammenhang verschiedener Spitzensteuersätze begründen. An dieser Stelle muß ich Ihnen aber eines sagen: Sie werden nicht ernsthaft erwarten, daß wir ein Konzept mit den bekannten finanzwirtschaftlichen Effekten mittragen, das Sie im Ernst gar nicht verfolgen können - es sei denn, Sie nehmen die Pflichten Ihres Amtes nicht mehr ernst, was ich Ihnen nicht unterstelle ({29}) und das am Ende nur dazu führen würde, Ihnen erneut eine propagandistische - argumentativ kann man das leider nicht mehr nennen - Grundlage dafür zu schaffen, wieder Ausgabekürzungen zu Lasten der Schwächeren dieser Gesellschaft vorzuschlagen. ({30}) Sie werden sicher auch nicht im Ernst erwarten, daß wir einen Spitzensteuersatz von 39 Prozent mittragen - wegen des unbestrittenen Zusammenhangs mit den Spitzensteuersätzen der Körperschaftsteuer oder bei gewerblichen Erträgen -, der dazu führt, daß ein sehr gutes Facharbeitereinkommen - beispielsweise beste Tarifgruppe der chemischen Industrie - fast genauso hoch besteuert wird wie ein Spitzeneinkommen. Niemand von uns neidet irgend jemandem sein Spitzeneinkommen. ({31}) Aber es bleibt wahr, daß - so ergab eine Untersuchung aus den 80er Jahren - die durchschnittliche Steuerleistung des obersten Fünftels der Einkommenspyramide, also des Fünftels mit den besten Einkommen, bei zirka 32 Prozent lag. Meine Damen und Herren, wenn es nicht gelingt - auch das will ich Ihnen ausdrücklich anbieten -, die Senkung des Spitzensteuersatzes durch Streichung von Steuerschlupflöchern und meinetwegen durch Verringerung von Anreizen zur legalen Steuerverkürzung vollständig zu finanzieren, macht die Operation keinen Sinn, weder wirtschaftlich noch unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten. ({32}) Noch etwas will ich Ihnen mit Blick auf weitere Gespräche sehr deutlich sagen. Ich habe den Eindruck, beide Seiten reklamieren Gesprächsbereitschaft. Das nehme ich ernst. Allerdings habe ich auch den Eindruck, daß Sie nicht verstanden haben, weshalb es nach sieben Stunden gemeinsamen Gespräches zu einer Unterbrechung kommen mußte. ({33}) Das hat nicht etwa nur mit der aufgeregten Situation im Umfeld der Demonstration der Bergleute zu tun. ({34}) Das hat nicht etwa nur mit Ihrer Provokation zu tun, Gespräche mit den Bergleuten bzw. ihrer Gewerkschaft abzusagen. ({35}) Das hat nicht etwa nur damit zu tun, daß es im Umgang von Parteien und im Umgang von Regierung und Opposition ein einmaliger Vorgang ist, daß Sie im Zusammenhang mit den Kohlegesprächen den Wunsch der Ministerpräsidenten Rau und Lafontaine abgelehnt haben, über die Belange ihrer Länder und die bundespolitischen Entscheidungen zu reden, die die Belange ihrer Länder betreffen. Das hat mit all diesem natürlich auch zu tun. ({36}) - Entschuldigung, das ist die reine Wahrheit. ({37}) Herr Kollege Schäuble, wenn Sie „Unfug" dazwischenrufen, dann kann man sicher sein, daß meine Aussagen stimmen und Sie treffen. ({38}) - Ich wende mich Ihren Zwischenrufen jetzt einmal nicht zu; es lohnt sich nicht sonderlich. Eines möchte ich doch deutlich machen: Wenn Sie die Gesprächsfähigkeit wiederherstellen wollen, dann sorgen Sie jetzt dafür, daß in einem politisch verbindlichen Gespräch zwischen dem Bundeskanzler Kohl - da mag er dann mitbringen, wen er möchte; das ist seine Sache - und dem Vorsitzenden der SPD, Herrn Ministerpräsident Lafontaine, ({39}) die Grundlagen dafür geschaffen werden, daß man politisch verbindlich weiß, ob Sie bereit sind, die Senkung der Lohnnebenkosten zum 1. Juli 1997 zu vereinbaren, ob Sie bereit sind, zum 1. Januar 1998 eine wirksame Entlastung der wirtschaftlichen Leistungsträger und der Familien zu vereinbaren, und ob Sie bereit sind, eine finanzielle Konzeption zu gestalten, die nicht in diesen riesigen Finanzlöchern des Staates, zu Lasten der Bildung seiner Menschen, zu Lasten der Infrastruktur und zu Lasten anderer Investitionen, endet. Wenn Sie dem auf politisch geeignete Weise folgen, dann können wir gern wieder miteinander reden. Es fällt mir sehr leicht, das hier zu sagen, weil wir ja ohnehin miteinander reden müssen. Nun hören Sie einmal auf, das normale Gespräch in einer parlamentarischen Demokratie, die Beratungen im Parlament, die Anhörungen und Beratungen in den Ausschüssen des Parlamentes usw., möglicherweise bis hin zum Vermittlungsausschuß, als Blockade zu denunzieren! ({40}) Denn es könnte sein, daß Sie den Bürgerinnen und Bürgern damit den Eindruck vermitteln, normale parlamentarische Demokratie sei Blockade ({41}) und zu fruchtbaren Entscheidungen nicht fähig. Also, ich fordere Sie auf, diese politisch verbindlichen Grundlagen zu schaffen. Ich biete Ihnen an, die Entlastung bei den Lohnnebenkosten und die Herausnahme der versicherungsfremden Leistungen zum 1. Juli 1997 zu vereinbaren. Ich biete Ihnen an, eine wirksame, die Massenkaufkraft stärkende, Leistungsträger entlastende Steuerreform zum 1. Januar 1998 zu vereinbaren. Und ich biete Ihnen an, diese Vorstellungen finanziell so einzubetten, daß sie nicht zum finanziellen Ruin des Gemeinwesens führen. ({42}) ({43})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Gerda Hasselfeldt, CDU/CSU.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Hen Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Rede, lieber Herr Kollege Scharping, hat deutlich gemacht, daß Sie von den Realitäten in unserem Land doch relativ wenig Ahnung haben. ({0}) Alles, was in diesen Monaten wirtschafts- und finanzpolitisch entschieden wird, muß sich in erster Linie daran orientieren, ob es die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft stärkt und ob es geeignet ist, zusätzlich Investitionen und Arbeitsplätze in Deutschland zu schaffen. Das ist das Gebot der Stunde. ({1}) Wir können nicht die Augen davor verschließen, daß wir im internationalen Wettbewerb bestehen müssen. Die Entscheidungen über Investitionen, die Entscheidungen über Arbeitsplätze hängen heute von international vergleichbaren Bedingungen ab.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin Hasselfeldt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen von Larcher? ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe noch nicht einmal richtig angefangen. Ich bitte, zunächst einmal meine Gedankengänge - und zwar nicht nur einen Gedanken - hier darlegen zu dürfen. ({0}) Also: Die Entscheidungen über Investitionen, über Arbeitsplätze finden unter international vergleichbaren Bedingungen statt. Wenn wir uns diesen Bedingungen nicht stellen, wird es uns nicht gelingen, Arbeitsplätze zurückzugewinnen, wird es uns nicht gelingen, unseren Wohlstand und die Grundlagen unserer sozialen Sicherheit zu erhalten. ({1}) Deshalb bleibt uns gar nichts anderes übrig, als uns den internationalen Wettbewerbsbedingungen zu stellen. Eine dieser Bedingungen - nicht die einzige, damit wir uns nicht mißverstehen - ist die Steuerbelastung. Wir haben im internationalen Vergleich zu hohe Steuersätze in der Einkommensteuer und in der Körperschaftsteuer. Dazu kommt eine Fülle von Sondervergünstigungen, von Sondertatbeständen, die das System unübersichtlich, kompliziert und auch ungerecht machen. Genau hier setzt unsere Steuerreform an: erstens Senkung der Steuersätze, zweitens Abbau von Sondervergünstigungen und damit Schaffung eines gerechteren Steuersystems. ({2}) Dieses Konzept wird von Experten, die etwas von der Sache verstehen, im In- und Ausland begrüßt und positiv bewertet. Nicht nur von uns, sondern auch von den Fachleuten wird die Meinung vertreten, daß von diesem Konzept, wenn es so realisiert wird, eine enorme Signalwirkung für Investitionen und Arbeitsplätze in Deutschland ausgeht. ({3}) Nach wenigen Monaten Vorbereitungszeit liegen nun der Gesetzentwurf für die erste Stufe und der Referentenentwurf für die zweite Stufe vor. Ich möchte dem Bundesfinanzminister und seinen Mitarbeitern für die zügige Umsetzung der Koalitionsbeschlüsse danken. ({4}) Es wäre gut, meine Damen und Herren, wenn die Bürger und die Wirtschaft möglichst bald wüßten, was letztendlich im Gesetzblatt steht. Deshalb ist es richtig und notwendig, Gespräche mit der SPD zu führen. Es wäre aber auch hilfreich, wenn die SPD in diesen Gesprächen eine einheitliche Linie vertreten würde. Zur Zeit liest man in den Zeitungen: Die einen in der SPD sind für, die anderen sind gegen die Mehrwertsteuererhöhung. ({5}) - Natürlich! Ministerpräsident Schröder hat doch erst vor kurzem gesagt, er sei für eine Mehrwertsteuererhöhung. ({6}) Die Frage der Aufkommensneutralität ist bei Ihnen umstritten: Der eine ist für Aufkommensneutralität, der andere ist dagegen. Das gilt auch für die Frage des Spitzensteuersatzes: Der eine ist für 50 Prozent, der andere für 53 Prozent; wieder andere sagen, bei 40 Prozent könne man sich durchaus treffen. Es würde schon vieles erleichtern, wenn wir wüßten, wo die SPD eigentlich steht und was sie will. ({7}) Im Ergebnis kommt es aber darauf an, daß unser in sich stimmiges Gesamtkonzept nicht verwässert und nicht zerredet wird. Entscheidend ist, daß Investitionen nachhaltig angestoßen und nicht kurzfristig irgendwelche Strohfeuer entfacht werden. Herr Kollege Scharping, ich halte nichts von Ihrer Idee der Stärkung der Massenkaufkraft. Sie ist meines Erachtens nicht der richtige Weg; denn die Probleme, die wir am Arbeitsmarkt haben, liegen nicht primär in einer geringen Massenkaufkraft begründet, sondern darin, daß unsere Wirtschaft mit den Bedingungen einer globalisierten Weltwirtschaft nicht zurechtkommt. Die Globalisierung der Wirtschaft und die damit zusammenhängenden Bedingungen sind die eigentlichen Probleme; hier muß angesetzt werden. ({8}) Dieses Problem können Sie nicht mit einer massiven Stärkung der Massenkaufkraft lösen; denn dann würden Sie das forcieren, was der Kollege Dr. Schäuble in einer der letzten Debatten zu Recht gesagt hat, nämlich daß noch mehr Geld ins Ausland geht und nicht bei uns investiert wird. Das, was wir brauchen, sind Investitionen bei uns, Investitionen und Arbeitsplätze in Deutschland. ({9}) Die vorgelegte erste Stufe der Steuerreform trägt dem durch die Senkung der Steuersätze bei der Körperschaftsteuer und durch die Senkung des Höchststeuersatzes für die gewerblichen Einkünfte in besonderer Weise Rechnung. Sie sprachen, Herr Scharping, die Frage der Abschreibungssätze an. Ich möchte Sie darauf hinweisen, daß die degressive AfA wie auch andere Möglichkeiten der Abschreibung qualitativ etwas ganz anderes sind als die Senkung der Steuersätze, ({10}) nämlich Steuerstundung. Das andere ist eine effektive Steuersenkung. ({11}) Außerdem haben Sie bei Ihrer Bewertung vergessen, daß der Kern dieses Konzepts die Senkung der Steuersätze ist. Wenn wir niedrigere Steuersätze haben, dann können wir auch mit niedrigeren Abschreibungssätzen arbeiten und stünden dann im internationalen Wettbewerb immer noch gut dar. Im Vergleich zum Referentenentwurf enthält der vorliegende Gesetzentwurf eine meines Erachtens wesentliche Änderung, die ich sehr begrüße - der Finanzminister hat es angesprochen -: Statt der zunächst vorgesehenen Änderung des Steuersatzes bei Veräußerungsgewinnen wird eine Senkung der degressiven AfA in der ersten Stufe vorgenommen. Ich finde es richtig, daß von dem ersten Vorschlag Abstand genommen wurde; denn wenn er Realität geworden wäre, dann hätten wir das Vertrauen in die bestehende Rechtslage erschüttert. Der Zeitpunkt wäre nicht richtig gewesen; denn diejenigen, die 1997 vom höheren Steuersatz betroffen gewesen wären, hätten noch keine Begünstigung durch die gesenkten Steuersätze bei der Einkommensteuer erfahren. Der wesentliche Punkt aber ist: Die Landwirte, die FreibeGerda Hasselfeldt rufler, die freien Handelsvertreter und die Arbeitnehmer beispielsweise mit ihren Abfindungen wären betroffen gewesen, ohne daß sie von den Steuersatzsenkungen hätten profitieren können. Deshalb ist dieser Weg richtig. Er zeigt, daß wir für konstruktive Vorschläge, für richtige Argumentationen durchaus offen sind, auch bei den nächsten Diskussionen. ({12}) Durch die vorgesehene Absenkung der Sätze für die Körperschaftsteuer und des Höchststeuersatz für die gewerblichen Einkünfte haben wir nun eine Spreizung des Höchststeuersatzes für die gewerblichen Einkünfte und für die nichtgewerblichen Einkünfte. Dies ist verfassungsrechtlich - darauf wurde hingewiesen - für ein Jahr noch hinnehmbar, und es ist vertretbar im Interesse der Entlastung der Wirtschaft und im Interesse der Schaffung von Arbeitsplätzen. Dies kann und darf aber kein Zustand auf Dauer bleiben. Das ist auch für die weitere Arbeit an der zweiten Stufe der Reform wichtig. Hier müssen wir wieder zu einem Abstand zwischen gewerblichen und nichtgewerblichen Einkünften in der Besteuerung gelangen, der ausschließlich durch die Gewerbesteuerzahlung begründbar ist, das heißt, zu einer Spreizung von 6 bis 8 Prozent. Ich bitte in diesem Zusammenhang auch sehr herzlich darum, die Diskussion um den Spitzensteuersatz, die wir in den nächsten Monaten wahrscheinlich noch intensiver führen werden, losgelöst zu sehen von einer Neiddiskussion und von einer rein ideologischen Verteilungsdiskussion. ({13}) Auch vorhin wurde wieder angesprochen, daß die gut Verdienenden oder die sehr gut Verdienenden nach dem Entwurf eine ähnliche Steuerbelastung hätten wie diejenigen, die ein Einkommen von etwa 90 000 DM haben, wo der Spitzensteuersatz beginnt. Ich möchte darauf hinweisen, daß es schon einen elementaren Unterschied zwischen der Grenzsteuerbelastung und der Durchschnittssteuerbelastung gibt. ({14}) Die Argumentation so mancher Kollegen der SPD erinnert mich in dieser Frage ein wenig daran, daß wir schon einmal eine Diskussion um Brutto und Netto gehabt haben, die uns einige Zeit im Bundestag und darüber hinaus beschäftigt hat. Es ist eben nicht so, daß jemand mit 90 000 DM die gleiche Steuerbelastung hat wie jemand mit 300 000 DM oder gar noch mehr. ({15}) Vielmehr ist die tatsächliche Steuerbelastung bei dem, der mehr verdient, wesentlich höher. ({16}) Herr Scharping, Sie haben angesprochen, daß Ihnen die Senkung der Lohnnebenkosten und die Änderung bei den versicherungsfremden Leistungen das Wichtigste seien. Wir haben nie ein Hehl aus unserer Auffassung gemacht - es ist mir sehr wichtig, darauf hinzuweisen -, daß die Steuerreform nicht das einzige Instrument sein kann, um diese Probleme zu lösen. Wir haben immer gesagt, daß die Steuerreform ein ganz wichtiges Instrument ist, ein Instrument, das wir jetzt brauchen. Aber wir haben auch gesagt, daß die Konsolidierung und die Reform der Sozialversicherungssysteme genauso wichtig sind. Wer meint, die Probleme bei den Lohnnebenkosten dadurch lösen zu können, daß er nur umschichtet, der irrt. Das ist nur die halbe Wahrheit, das ist der falsche Ansatz; ({17}) denn zuerst müssen Einsparungen in den Sozialversicherungssystemen erfolgen, dann können wir über Umfinanzierung reden. Die Umfinanzierung kann nicht an die Stelle der Einsparungen treten. ({18}) Das Konzept unserer Steuerreform ist meines Erachtens ein wichtiger Gradmesser für die Reformfähigkeit Deutschlands. Der vorliegende Gesetzentwurf ist eine hervorragende Grundlage, ({19}) die geeignet ist, die Probleme im wirtschaftlichen Bereich unseres Landes ein großes Stück weit zu lösen. ({20}) Wir haben keine Zeit mehr für Parteitaktik. Wir sollten die Parteitaktik nicht vor die Lösungssuche stellen! ({21}) Deshalb möchte ich Sie ganz herzlich um eine echte, konstruktive Mitarbeit an diesem Reformkonzept bitten. Ich bitte Sie, mit dem Eiertanz der letzten Wochen aufzuhören. Darum bitte ich Sie im Interesse der Menschen in diesem Lande, im Interesse der Menschen, die Arbeit suchen, die arbeitslos sind, aber auch im Interesse derjenigen, die eventuell von Arbeitslosigkeit bedroht sind. ({22})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Christine Scheel, Bündnis 90/Die Grünen.

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Entwurf eines Steuerreformgesetzes enthält viel Gutes; das muß man konstatieren. Er enthält auch einiges Neues. Aber das Gute ist zum Großteil nicht neu, und das Neue ist nicht gut. ({0}) Gut ist, daß Sie sich endlich einmal an den Abbau von Steuervergünstigungen und SteuersubventioChristine Scheel nen herangewagt haben. Aber in den letzten Tagen - Herr Glos, Sie nicken so nett ({1}) ist immer dann, wenn Sie in diesem Steuersystem eine Vergünstigung gestrichen haben, am darauffolgenden Tag eine Pressemitteilung gekommen, in der es hieß, daß es doch wieder anders ist. Auch Sie arbeiten - das ist im Zusammenhang mit der F.D.P. zu sehen und war gerade in den letzten Tagen festzustellen - sehr stark an der Rückgabe von Vergünstigungen. Die F.D.P. wünscht, daß zum Beispiel Abfindungen und Erlöse aus Firmenverkäufen, Herr Waigel, weitere zwei Jahre nur mit 26,5 Prozent besteuert werden. Hierbei geht es nicht, wie Frau Frick gestern in einer Pressemitteilung geschrieben hat, darum, daß die Abfindungen kleiner Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen besteuert werden sollen - für sie gibt es Freibeträge -, sondern es geht um außerordentliche Einkünfte, zum Beispiel von Fußballstars, in Größenordnungen von bis zu 30 Millionen DM. Bezieher solch hoher Einkommen müssen als Steuerzahler einen entsprechenden Beitrag zum Allgemeinwohl leisten. ({2}) Neu ist, daß die Haushaltslücke - wir haben bislang immer von 44 Milliarden DM gesprochen - für 1999 mittlerweile auf 56 Milliarden DM geschätzt wird. Trotz dieses Anwachsens hat die Bundesregierung keine solide Gegenfinanzierung vorgelegt. Sie haben die Bemessungsgrundlage nicht erweitert. Sie versprechen nach wie vor eine Nettoentlastung von 30 Milliarden DM, wobei wir glauben, daß dies Betrug am Bürger ist; denn Sie nehmen es an einer anderen Stelle wieder weg. Angesichts der zusätzlich zu erwartenden Haushaltsrisiken in den nächsten Jahren ist dies eine unverantwortliche Politik, die Bündnis 90/Die Grünen so nicht akzeptieren wird und der wir einen erbitterten Widerstand entgegensetzen werden. ({3}) Herr Waigel hat von Verantwortung gesprochen. Er hat wörtlich gesagt: Dieser Verantwortung müssen wir uns bewußt sein. - Aber diese Haushaltseinbußen, um die es auch geht, können nicht verkraftet werden. Denn: Sie bedeuten erstens Neuverschuldung. - Dies geht nicht, weil es den europäischen Integrationsprozeß gefährdet. - Sie würden zweitens Sparmaßnahmen in einem gigantischen Ausmaß bedeuten, wodurch beispielsweise weniger für Forschungsförderung, weniger für Innovation getan werden könnte und letztendlich unter dem Strich weniger für das soziale Netz übrigbliebe. - Dies ist ein ganz klassisches Konjunkturvernichtungsprogramm, das Sie hier aufgelegt haben. ({4}) Die Haushaltseinbußen können drittens bedeuten, daß Sie Steuererhöhungen machen. Es ist doch nicht wahr, daß es nur eine Deckungslücke von 15 Milliarden DM gibt, von der Sie hier reden. In Wirklichkeit sind es mittlerweile 56 Milliarden DM. Das heißt: Wenn wir die über Mehrwertsteuererhöhung oder Mineralölsteuererhöhung - diesen Weg haben Sie unter anderem vorgeschlagen - gegenfinanzieren würden, dann würde dies eine um 4 Prozentpunkte höhere Mehrwertsteuer oder eine um 80 Pfennig höhere Mineralölsteuer bedeuten. Weil von Ihrer Seite immer wieder Zahlen in den Ring geworfen werden und täglich neue Berechnungen irgendwo angestellt werden, möchte ich Ihnen in diesem Zusammenhang einmal kurz aus einem Brief zitieren, den ich gestern in meiner Funktion als finanzpolitische Sprecherin der Fraktion von einem sehr an der Tagespolitik interessierten Bürger aus diesem Lande erhalten habe. Ich zitiere ihn: Ist es Methode oder Wahnsinn, wie hier dem Bürger das Chaos der deutschen Finanzpolitik mit ständig neuen Zahlen vorgeführt wird? Das Zahlenwirrwarr belegt: Die Regierung hat keine Steuerungskompetenz in der Finanzpolitik mehr. Doch das weitaus Beunruhigendere ist, das Vertrauen in den Staat als ganzen geht verloren. Wenn keine auch für den Bürger transparenten Zahlen und Konzepte vorgelegt werden, bleiben für ihn zwei Konsequenzen: Resignation oder Auflehnung. Beides dürfte nicht im Sinne der Demokratie und des Gemeinwohles sein. Welche Rolle spielen hier die Grünen? Die Grünen sind die einzige Oppositionspartei, die dem Bürger jetzt reinen Wein über die Finanzsituation in unserem Gemeinwesen einschenken könnte. Ich sage Ihnen: Dieser Bürger hat recht. ({5}) Ich habe Herrn Waigel - ich weiß nicht, wohin er jetzt schon wieder entschwunden ist - vor einiger Zeit schon darauf aufmerksam gemacht, daß das Manna nicht vom Himmel fällt und daß er - wie wir wissen - keine Gelddruckmaschine im Keller hat. Wenn wir eine verantwortungsvolle Finanzpolitik in diesem Lande machen wollen, drängt sich aus diesem Grunde die Frage auf, wie die steuerlichen Ausfälle für die Länder und für die Kommunen - also ihre Mindereinnahmen an diesem verringerten Einkommensteueraufkommen - kompensiert werden sollen. Die Befürchtungen der Kommunen, daß ihnen die Steuerreform Milliardendefizite bescheren wird, sind sehr begründet. Die Ausfälle werden mit etwa 8,5 Milliarden DM beziffert. Ich glaube, das ist einigermaßen realistisch. Dies drückt die Kommunen noch weiter in den Abgrund. Dies ist eine verantwortungslose Politik, die Sie in diesem Zusammenhang betreiben! ({6}) Zur Länderpolitik, Herr Glos. Es ist so, daß Sie auch in diesem Bereich sehr lässig - wenn nicht sogar nachlässig - mit der Situation umgehen. Ich sage nur das Stichwort „Vermögensteuer" . Im Moment geht es nicht um eine Bewertung, ob ich die Abschaffung gut oder schlecht finde - ich finde es schlecht, daß Sie sie abgeschafft haben -, sondern es geht um einen ganz anderen Punkt: Es geht darum, daß Sie die verfassungsgemäße Neuregelung der Vermögensteuer verhindert haben. Und es geht vor allem darum, daß Ihnen eine gewaltige Panne passiert ist. ({7}) Vor lauter Eile, die Vermögensteuer möglichst schnell abzuschaffen, haben Sie eine Übergangsregelung vergessen. ({8}) Es hat auch keine formelle Aufhebung dieser Steuer gegeben - das muß man hier auch feststellen -, mit der Sie die notwendigen Details für den Übergang hätten regeln können. Das hatte die Konsequenz: Es gibt kein Vermögensteuergesetz mehr. Damit fehlen die rechtlichen Grundlagen zur Veranlagung für die vergangenen Jahre. Wegen dieser Schlamperei werden sich die Vermögenden in diesem Land die Hände reiben. Wir aber haben für die Länder Einnahmeausfälle in Milliardenhöhe zu verzeichnen. ({9}) Nun zu Ihrem jüngst aufgelegten Programm zur Investitionsförderung. Der größte Teil der Hilfen sind zinsverbilligte Kredite. Sie wissen aber genausogut wie wir, daß zur Zeit genug Geld im Sinne von Fremdkapital vorhanden ist, weil die Zinsen sehr niedrig sind. Das Problem sind somit die Rahmenbedingungen: Es handelt sich nämlich nicht um Risikokapital. Sie müßten aber etwas tun, um die Kultur der Selbständigkeit zu fördern. Statt dessen nehmen Sie Gelder aus der Rentenkasse und aus der Pflegeversicherung, um etwas aufzustocken, was zur Zeit im Prinzip steuerlich überhaupt nicht gefördert werden sollte. Wir setzen uns dafür ein - das ist sicher kein Geheimnis -, daß Steuer- und Abgabenlast zusammen gesenkt werden. Was die Sozialabgabenbelastung betrifft, haben wir längst ein sehr praktikables Modell vorgelegt: Wir haben die Einführung der ökologisch-sozialen Steuerreform eingefordert, mit der wir die Lohnnebenkosten um 6 Prozentpunkte senken können. Ich möchte Sie noch einmal auffordern: Folgen Sie endlich unserem Vorschlag, anstatt unter einem ökologischen Deckmäntelchen die Mineralölsteuer ein bißchen zu erhöhen, um die Haushaltslöcher zu stopfen, und gehen Sie endlich ernsthaft an die Senkung der Lohnnebenkosten heran! ({10}) Wie es jetzt aussieht, wird aus den Reformvorhaben ein Tischtuch, an dem - wie wir merken - alle reißen. Die größten Fetzen werden diejenigen mit den dicksten Ellenbogen nach Hause tragen. Das ist auch im Zusammenhang mit der Ungleichbehandlung von gewerblichen Einkünften und Arbeitslohn das Problem. Denn durch Ihre Vorschläge wird diese Ungleichbehandlung nicht aufgehoben. Warum soll denn ein angestellter Geschäftsführer einer GmbH mehr Steuern auf seinen Lohn bezahlen als ein Handwerksmeister, der in seinem Betrieb Geschäftsführer und Eigentümer zugleich ist? Das ist eine steuersystematische Ungleichbehandlung und aus sozialpolitischen Gründen nicht zu rechtfertigen. Wir wollen eine gerechte Steuerreform. Frau Hasselfeldt, wenn Sie die Vorschläge zur Tarifsenkung ansprechen und sagen, daß man Spitzensteuersatz, Durchschnittssteuersatz und Grenzsteuersatz nicht durcheinanderwerfen soll, dann antworte ich Ihnen: Nach Ihrem Entwurf liegt - nach der Grundtabelle - die durchschnittliche Entlastung für Ledige mit einem zu versteuernden Einkommen zwischen 50 000 und 90 000 DM bei rund 3,8 Prozent. Bei einem zu versteuernden Einkommen - der gleichen Kategorie - von 300 000 DM liegt die Entlastung bereits bei 10,5 Prozent. Daran kann man ganz klar ablesen, daß die soziale Symmetrie Ihrer Vorschläge nicht stimmt. ({11}) Grundsätzlich sind wir für die Gleichbehandlung aller Einkunftsarten. Aber bei Ihren Vorschlägen, denen dieser Gedanke ursprünglich einmal zugrunde lag, sind manche - Ihren alten Zielen zum Trotz - gleicher und manche ungleicher. So wird zum Beispiel die Besteuerung von land- und forstwirtschaftlichen Betrieben nur für einige Betriebe auf Normalbesteuerung umgestellt; die anderen behalten ihre Steuervergünstigungen. Das ist Einzelhandelsgeschäften gegenüber ungerecht, die diese Vergünstigungen nicht haben und am Ende eines jeden Jahres ihre Steuererklärung abliefern müssen. Es bleibt außerdem dabei, daß private Veräußerungsgewinne grundsätzlich - nach einer bestimmten Spekulationsfrist - steuerfrei sind. Schließlich ist es für uns nach wie vor unglaublich, daß die Bundesregierung nicht von der steuerlichen Bevorzugung der Lebensform Ehe abgeht. Verheiratete werden im Vergleich zu Alleinerziehenden in ungerechter Weise von dieser Reform profitieren; denn die Bundesregierung will den Haushaltsfreibetrag, der die Ungerechtigkeit zwischen Familien mit zwei Elternteilen und denen mit nur einem Elternteil abmildern soll, nicht an das neue Existenzminimum anpassen. Das ist ein Riesenproblem; denn auf der einen Seite wird hier bei einem Spitzenverdiener, dessen Ehefrau nicht arbeiten geht, eine Steuerentlastung von 25 000 DM weiter vorangetrieben, während bei einer Alleinerziehenden dieser Lastenausgleich erst dann zu erreichen ist, wenn sie das 13. Kind in die Welt setzt. Ich glaube, daß das in der heutigen Zeit eher selten ist. Wir brauchen erstens eine Entlastung der kleinen und mittleren Einkommen. Wir brauchen ein einheitliches Kindergeld von 300 DM. Wir brauchen vor allen Dingen auch eine Steuerfreistellung von Vorsorgeleistungen. Wir brauchen eine Absenkung des Eingangssteuersatzes. 22,5 Prozent sind Ihr wahrer Eingangssteuersatz; das andere ist nur eine Unterstufe, die bis zu einer bestimmten Einkommenshöhe - hier 18 000 DM - in Anspruch genommen wird. Der lineare Tarif beginnt erst bei 22,5 Prozent. Wir brauChristine Scheel chen aber auch eine Absenkung des Spitzensteuersatzes. Zweitens: Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit und Standortförderung. Klar ist, daß niedrigere nominale Steuersätze in der Einkommen- und Körperschaftsteuer das Investitionsklima für wirtschaftliche Aktivitäten in diesem Land und auch neue Arbeitsplätze fördern. Das konstatieren auch wir. Aber dies muß durch eine ökologisch-soziale Steuerreform ergänzt werden. Drittens sind wir der Meinung, daß die Reform aufkommensneutral sein muß. Denn nur über eine wirkliche Verbreiterung der Bemessungsgrundlage mit einer sauberen Gegenfinanzierung zur Tarifsenkung haben wir ein sauberes Steuermodell. Es darf keine Erhöhung der Mehrwertsteuer oder ein weiteres unsoziales Sparpaket auf den Weg gebracht werden, ({12}) um die Tarifsenkung gegenzufinanzieren. ({13}) Abschließend: Gerechtigkeit und Transparenz. Gewerbliche und private Einkünfte müssen gleichbehandelt werden. Es ist für uns ganz wichtig - das ist das Wesentliche -: Verlieren Sie doch bitte schön nicht das aus den Augen, was im Moment im Vordergrund steht: die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Vergessen Sie aus diesem Grund Ihr bisheriges ausschließliches Motto: Beati possidentes - glücklich die Besitzenden. Es gibt auch andere in diesem Land, an die wir denken müssen. Vielen Dank. ({14})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Professor Gisela Frick, F.D.P.

Prof. Gisela Frick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002656, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Scheel, wir denken nicht nur an die Besitzenden, sondern gerade an die anderen in unserem Lande, weil uns die Arbeitsplätze das allerwichtigste sind. Die Arbeitsplätze hängen - das haben wir heute schon mehrfach gehört - nun einmal nicht unwesentlich auch von der Steuer- und Abgabenlast ab; das haben auch Sie selber konzediert. Ich möchte zunächst einmal auf die SPD bzw. ihren Führer Scharping eingehen. Herr Scharping, positiv habe ich Ihrer Rede entnommen, daß Sie nach wie vor Gesprächsbereitschaft im steuerlichen Bereich signalisieren. Das halte ich für sehr wichtig; das ist sehr begrüßenswert. Für weniger begrüßenswert halte ich, daß Sie Ihre Gesprächsbereitschaft an enge Vorbedingungen knüpfen. Wenn wir in eine Gesprächsrunde gehen, dann ist doch klar, daß ihr zunächst die Konzeption zugrunde liegt, die wir vorgelegt haben. Wenn Sie eine hätten, dann würde natürlich auch Ihre Konzeption mit in diese Gespräche eingeführt; aber nach wie vor vermissen wir Ihre Konzeption. ({0}) Die diversen, total sachfremden Junktims - ob es um Kohlesubventionen, um Lohnnebenkosten oder ähnliches geht -, die Sie immer wieder herstellen, machen die Entwicklung natürlich nicht leichter. Ich möchte noch einmal an Sie appellieren: Behalten Sie Ihre Gesprächsbereitschaft bei, aber machen Sie sie nicht dadurch zunichte, daß Sie Junktims aufbauen, die sachfremd sind und überhaupt nichts mit der Steuerreform als solcher zu tun haben! ({1}) Da ich optimistisch bin und hoffe, daß wir doch noch zu einem Konsens bei der anstehenden Steuerreform kommen, möchte ich noch einmal unser Konzept und insbesondere - das ist mir besonders wichtig - die Motive erläutern, die dieses Konzept tragen. Das hat dann auch Auswirkungen auf die Beantwortung der Frage: Wie weit können wir aufeinander zugehen? Inwieweit sind wir kompromißbereit? Inwieweit lassen Sie von der SPD sich überzeugen? Herr Scharping, auch das ist ein Problem. Deshalb fände ich es ganz gut, wenn Sie jetzt einmal zuhören würden. Wir haben zunächst einmal festzustellen, daß die Steuerbelastung - das haben wir gehört - nur eine von mehreren Rahmenbedingungen für die Förderung von Investitionen und Beschäftigung bei uns im Lande ist, aber eben eine sehr wesentliche. Hier wollen wir jetzt ansetzen. Das hängt damit zusammen, daß allgemein in der Bevölkerung - darüber besteht eine ganz große Einigkeit - die Meinung vorherrscht, daß unsere Steuern zu zahlreich, zu hoch, zu kompliziert und zu ungerecht sind. Eine Reform, die diesen Namen auch verdient, muß also genau diese Mißstände beseitigen. Das heißt, sie muß Steuern abschaffen, senken, vereinfachen und sie muß sie dadurch sozusagen als letztes auch noch gerechter machen. Soweit herrscht in der Regel noch Konsens, wenn wir einmal von dem Punkt der Steuersenkungen absehen. In diesem Zusammenhang habe ich von Ihnen, Frau Scheel, die Forderung nach einer Aufkommensneutralität gehört. Das halte ich für einen falschen Weg. ({2}) Es muß am Ende eine Nettoentlastung übrigbleiben, damit sich die ganze Operation überhaupt lohnt. Denn eine rein aufkommensneutrale Steuerreform würde ihren wesentlichen Zweck verfehlen. Es muß zu einer Entlastung kommen. Zunächst einmal zu den Punkten, die für eine solche Steuerreform, wie wir sie vorgelegt haben, sprechen: Sie wissen, wir wollen eine deutliche Absenkung der Spitzensteuersätze auf 35 Prozent im gewerblichen Bereich und 39 Prozent im nichtgewerblichen Bereich. Wir wollen das so konsequent wie möglich durch eine Verbreiterung der BemessungsGisela Frick grundlage gegenfinanzieren. Wir wollen tatsächlich ein Stück Nettoentlastung verwirklichen. Herr Eich, wenn Sie sozusagen nach der Lücke im Zusammenhang mit der Nettoentlastung fragen, dann muß ich natürlich sagen: Wir glauben an den Erfolg unserer Reform. Wir versprechen uns ja etwas von dieser Reform. Wir sind schließlich nicht blauäugig; wir wollen, daß die Investitionstätigkeit und die Schaffung von Arbeitsplätzen angeregt werden. Dazu brauchen wir nur über den Tellerrand unserer nationalen Grenzen hinaus zu sehen, um zu erkennen, wie das andere Länder exerziert haben und welche Erfolge sie damit erreicht haben. Wir müssen nicht unbedingt bis nach Neuseeland schauen - dieses Land bietet sich immer wieder als Beispiel an -, sondern es reicht, wenn wir beispielsweise in unsere Nachbarländer Österreich und die Niederlande sehen und uns die Frage stellen: Welche Investitionen sind in den letzten Jahren beispielsweise im Salzburger Land statt in Bad Reichenhall getätigt worden, und welche Investitionen werden im holländischen Grenzbereich statt bei uns am Niederrhein getätigt? Hier ist eine sehr enge Beziehung zu den steuerlichen Rahmenbedingungen und der Phantasie über eine Steuerreform. ({3}) Wir sind auch nicht blauäugig, wenn wir uns von einer Steuerreform in allererster Linie einen wesentlichen Investitionsschub und die Schaffung entsprechend vieler Arbeitsplätze versprechen. Der erste Grund für eine Steuerreform ist natürlich, daß wir uns dem globalen Wettbewerb der Wirtschaft stellen müssen und uns auch in einem Wettbewerb der Steuersysteme befinden. Das wird im europäischen Bereich in nächster Zeit noch deutlicher werden. Wenn wir eine einheitliche Währung haben werden, werden die Steuersysteme natürlich noch vergleichbarer sein. Von daher müssen wir unsere Steuersätze, und zwar die nominalen und damit auch die Spitzensteuersätze, so deutlich senken, daß wir im internationalen Wettbewerb bestehen können und Investitionen und die Schaffung von Arbeitsplätzen fördern. ({4})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin Professor Frick, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen von Larcher?

Prof. Gisela Frick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002656, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja.

Detlev Larcher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001290, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin Frick, ich möchte Ihnen eine Frage stellen, die mir der Bundesfinanzminister am Mittwoch nicht beantworten konnte. Ich habe ihn gefragt: Wie viele Arbeitsplätze versprechen Sie sich von dem, was Sie jetzt erste Stufe der Steuerreform nennen?

Prof. Gisela Frick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002656, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Natürlich kann man das nicht exakt quantifizieren. Das ist doch klar. ({0}) Es ist leider nicht so wie bei den Kohlesubventionen, wo man sagen kann: 130 000 DM führen zu einem Arbeitsplatz. Es wäre ja einfach, wenn es so ginge. Wir müssen vielmehr Impulse an die Wirtschaft geben. Wir stellen die Arbeitsplätze doch nicht zur Verfügung. Wenn es um Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst ginge, dann könnte ich das an Hand des Steueraufkommens umrechnen. Aber es handelt sich ja gerade nicht um Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst. Diese wollen wir ja auch nicht. Wir wollen vielmehr tragfähige Arbeitsplätze in der freien Wirtschaft, insbesondere im Dienstleistungsgewerbe. Dazu ist natürlich die Entscheidung der Unternehmen nötig. Daß die Entscheidung der Unternehmer aber maßgeblich davon beeinflußt ist, ob für sie am Ende des Wirtschaftens auch etwas übrigbleibt und daß wir deshalb die Rahmenbedingungen entsprechend ändern müssen, ist doch selbstverständlich. Es läßt sich also zumindest nicht exakt quantifizieren. Aber es wird eine deutliche Verbesserung bringen; davon bin ich fest überzeugt. Der Blick ins Ausland zeigt, wie gesagt, ja auch, daß es keine Phantasie ist. ({1}) - Das sind keine leeren Versprechungen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin Frick, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Kollegin Hendricks?

Prof. Gisela Frick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002656, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja.

Dr. Barbara Hendricks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002672, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin Frick, ich möchte Ihnen ebenfalls eine Frage stellen, die in der Regierungsbefragung am Mittwoch der Bundesfinanzminister nicht beantworten konnte. Nach den bisherigen Einlassungen der Bundesregierung ist ja vorgesehen, zur Gegenfinanzierung des gesamten Steuerpakets die Mehrwertsteuer um einen Prozentpunkt zu erhöhen. Das ergibt maximal 15 Milliarden DM. Im Rechnungsjahr 1999 gehen Sie von einem gesamtstaatlichen Defizit von 56 Milliarden DM aus, so daß also 41 Milliarden DM übrigbleiben. Jetzt haben Sie noch keinerlei Aussage dazu gemacht, wie Sie die von Ihnen vorgesehene Nettoentlastung in Höhe von 30 Milliarden DM finanzieren wollen. Aber selbst darüber hinaus bleiben dann noch 11 Milliarden DM übrig. Gehen Sie also ernsthaft davon aus, daß Sie eine Selbstfinanzierungsquote von 41 Milliarden DM im Jahr erreichen können, oder wie gedenken Sie diese Lücke zu schließen?

Prof. Gisela Frick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002656, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Auch da sage ich, daß man es natürlich nicht exakt quantifizieren kann. Aber daß darin ein erheblicher Selbstfinanzierungseffekt enthalten ist, ist doch ganz selbstverständlich. Ich sagte ja auch bereits - das war mein Einstieg; ich komme gar nicht dazu, meine Gedanken hier wirklich zu entwickeln -, daß das das erste Motiv für die Steuerreform ist, die wir vorlegen. Ich danke selbstverständlich für jede Unterstützung, und deshalb ist es natürlich auch berechtigt, diese Fragen zu stellen. Wir vertrauen auf die Wirkung einer solchen Reform. Deshalb sage ich auch immer wieder - ich muß es jetzt leider noch einmal wiederholen -: Andere Länder haben es uns mit Erfolg vorgemacht, und es gibt kein einziges Land, in dem eine solche Reform, wenn sie ordentlich durchgeführt worden ist, nicht entsprechende Effekte gezeigt hätte, und zwar in einem ganz erheblichen Umfang. ({0}) Wir können da nur neidisch hinschauen. Aber wir sollten uns gerade nicht in Neid ergehen, auch wenn Sie dabei ein paar Probleme mehr als wir haben. ({1}) Statt neidisch auf die anderen Staaten zu schauen, sollten wir von ihnen lernen und es hier entsprechend machen. Wir sollten es auch so schnell wie möglich machen. Das ist der Grund, weshalb wir eine erste Stufe vorlegen, die allein den gewerblichen Bereich betrifft und in erster Linie die Stoßrichtung Arbeitsplätze hat. ({2})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Professor Frick, gestatten Sie eine dritte Zwischenfrage?

Prof. Gisela Frick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002656, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, aber ich kündige jetzt schon an, daß es in dieser Runde die letzte ist.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das ist in Ordnung. - Bitte.

Prof. Dr. Christa Luft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002728, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Kollegin Frick, ich möchte Ihnen eine Frage stellen, die ich dem Bundesfinanzminister noch nicht gestellt habe.

Prof. Gisela Frick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002656, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wie originell!

Prof. Dr. Christa Luft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002728, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Wie erklären sie sich das Faktum, daß Dänemark eine wesentlich höhere Steuerquote, aber eine wesentlich niedrigere Arbeitslosenquote als die Bundesrepublik Deutschland und, wie neuerdings gemeldet wurde, sogar Arbeitskräftemangel hat? Mit dem Phänomen dieser Differenz zwischen wesentlich höherer Steuerquote und niedrigerer Arbeitslosenquote als in der Bundesrepublik Deutschland komme ich noch nicht zurecht, wenn ich die Argumentation der Koalition zur Steuerpolitik in der Bundesrepublik höre.

Prof. Gisela Frick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002656, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die Steuerquote hat mit den Spitzensteuersätzen nichts zu tun, sondern das ist ja auch eine Frage der Steuerstruktur. Insofern geht Ihre Frage etwas an unserer Reform vorbei; denn wir wollen ja in erster Linie die Struktur unserer Einkommensteuer so verbessern, daß die Spitzensteuersätze mit den tatsächlich gezahlten Steuern wieder deutlicher in Einklang stehen. Das wollte ich nachher noch ausführen; ich ziehe es jetzt vor. Im übrigen habe ich auch darauf hingewiesen, daß die steuerlichen Rahmenbedingungen natürlich nur eine von mehreren Rahmenbedingungen für Arbeitsplätze sind und daß es nicht wie bei einem Automaten funktioniert, in den man oben eine Steuerreform hineinsteckt und aus dem dann unten fertige Arbeitsplätze herauskommen. Das haben wir doch nie behauptet. Aber Beispiele dafür sehen wir reichlich, daß durchgreifende und konsequente Strukturreformen zu solchen Verbesserungen in der Wirtschaft und insbesondere auf den Arbeitsmärkten geführt haben. Darauf vertrauen wir. ({0}) Ich habe auf die Globalisierung und den Wettbewerb hingewiesen. Das ist ja bekannt, auch wenn hier unterschiedliche Einschätzungen offenkundig werden. Ein zweites Motiv für die Steuerreform, das in letzter Zeit in der öffentlichen Diskussion immer ein bißchen unter die Räder gerät, möchte ich gerade als Liberale einmal einführen: Wir sind dabei, uns von einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung zu entfernen. Wir haben eine Staatsquote von über 50 Prozent. Wir haben eine durchschnittliche Steuer- und Abgabenbelastung von annähernd 47 Prozent. Wir können dann nicht mehr davon reden, daß der einzelne noch genügend Dispositionsfreiheit über das von ihm selbst verdiente Einkommen hat. ({1}) Es handelt sich also um ein Freiheitsproblem, das wir mit der Steuerreform angehen können. Wir können es allein mit Hilfe der Steuerreform nicht lösen; da gebe ich der Opposition recht. Natürlich müssen auch die anderen Abgaben und damit die Lohnnebenkosten gesenkt werden. Frau Hasselfeldt hat es eben zugestanden. Aber wir dürfen das eine nicht mit dem anderen vermengen und uns dadurch selber Fesseln anlegen und uns binden. Vielmehr müssen wir eine Reform neben der anderen durchführen, möglicherweise auch nacheinander, weil wir uns bei einem Nebeneinander sozusagen verheben. Das ist aber doch kein Argument gegen eine Steuerreform, sondern eher ein Grund dafür, so früh wie möglich an einer Stelle zu beginnen. Wir haben uns entschieden, mit der Steuerreform anzufangen. Außer dem Freiheitsproblem gibt es ein Gerechtigkeits- und Gleichheitsproblem: Ich muß mich schon wundern, daß gerade dieser Aspekt von der SPD so wenig gesehen wird. Sie haben in den letzten Monaten immer wieder sehr lebhaft geklagt, daß die nominalen Spitzensteuersätze von den Spitzenverdienern überhaupt nicht bezahlt werden. Das ging bis zu dem Vorwurf, daß beispielsweise in Hamburg alle Einkommensmillionäre Null Einkommensteuer zahlen. Das hängt damit zusammen, daß wir in der Vergangenheit eine Reihe von legalen - ich möchte ausdrücklich betonen: legalen - Möglichkeiten geschaffen haben, die Steuerschuld durch Investitionen in ganz bestimmten Richtungen entsprechend abzusenken, die vom Gesetzgeber gewünscht waren und deshalb entsprechend gefördert wurden. Heute sagen wir: Wir wollen uns von diesem System abwenden, weil wir festgestellt haben, daß das System zu Fehlallokationen führt, daß nicht unbedingt die Investitionen erfolgen, die volkswirtschaftlich sinnvoll und notwendig sind und die vielleicht auch nicht für den einzelnen notwendig sind. Sie wehren sich aber dagegen, wenn wir sagen: Wir wollen das erreichen, indem wir die nominalen Spitzensteuersätze senken, aber die sogenannten Schlupflöcher weitgehend verstopfen - sprich: Verbreiterung der Bemessungsgrundlage. Damit wollen wir letztendlich bewirken, daß der Gutverdienende, der Leistungsfähige die Steuer, die auf dem Papier steht, auch tatsächlich zahlt. Das ist ein riesengroßer Fortschritt gegenüber der heutigen Situation. ({2}) Ich meine, daß gerade hier von der Opposition Zustimmung kommen müßte. Bei einem entsprechenden Steuergespräch müßte darüber doch Konsens möglich sein. Heute richtet sich ein Großteil der Kreativität unserer Menschen angesichts der hohen Grenzsteuerbelastungen auf Steuervermeidungsüberlegungen. Man sollte überlegen: Was mache ich, um die wahnsinnig hohe Grenzsteuerbelastung zu vermeiden? Die Kreativität sollte statt dessen umgelenkt werden in Innovationen und Investitionen. Dadurch würden wir einen weiteren Schub für unsere Wirtschaft und insbesondere für unsere Arbeitsplätze erreichen. Auch das ist ein ganz wichtiger Gesichtspunkt. Ich bitte Sie also - auch die Opposition - das sehr hoch einzuschätzen und bei den Gesprächen entsprechend zu berücksichtigen. Ein weiterer Punkt, der eine wichtige Rolle spielt: Unser Steuerrecht hat sich in der Vergangenheit mittlerweile in einem solchen Umfang entwickelt, daß es intransparent geworden ist. Manche werfen ihm vor, es sei chaotisch. Aber das hat auch weitere Folgen. Es gibt nämlich eine gewisse Steuerverdrossenheit angesichts dieses Steuersystems, die man dem Bürger und dem Unternehmer auch nicht verübeln kann. Diese Steuerverdrossenheit ist in unserer Demokratiesituation ausgesprochen problematisch, weil daraus sehr schnell ein Sprengstoff für unsere Demokratie werden kann. Es folgt die Unzufriedenheit mit dem System insgesamt, mit unserer Demokratie. Deshalb sollten wir uns um eine Steuerreform bemühen, die diesen Namen wirklich verdient, die also zu einer ganz deutlichen Bereinigung und Vereinfachung führt. Der Druck muß eben von dem Tarif ausgehen. Man kann nicht - wie zum Teil aus den Reihen der SPD zu hören - sagen: Wir gehen erst einmal die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage an. Dann schauen wir einmal, wo wir beim Spitzensteuersatz ungefähr landen. Unten ist dann alles festgezurrt, aber oben ist es wie bei der Richter-Skala, nach oben offen. ({3}) - Nein, Herr Eich, es muß umgekehrt sein: Der Druck muß vom Tarif auf die Bemessungsgrundlage wirken. Je konsquenter wir die Tarife senken, desto konsequenter sind wir notgedrungen auch bei der Bemessungsgrundlage. ({4}) Beides hängt ganz eng miteinander zusammen. Ich möchte fast das Bild der kommunizierenden Röhren verwenden. Wenn wir auf der einen Seite mit den Steuertarifen weit oben bleiben, kann auch die Bemessungsgrundlage weniger breit sein. Wenn wir aber mit den Tarifen heruntergehen, muß die Bemessungsgrundlage konsequenterweise sehr, sehr breit werden. Daß das zusammenhängt, müssen wir auch der Bevölkerung klarmachen. Denn es ist leider so, daß die Steuerreform immer separat diskutiert wird. Es wird einmal der Tarif diskutiert. Da heißt es, es ist wunderbar und sehr angenehm, daß er gesenkt wird. Das wird dann abgehakt. Wenn es aber um die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage geht, die damit zusammenhängt, und auch gewisse Verzichte auf Privilegien und Sondertatbestände eingefordert werden, wird dies unheimlich beklagt, ohne daß man dabei daran denkt, daß die Tarife deutlich gesenkt werden. Nur beides zusammen gibt ein Bild, und nur beides zusammen macht auch Sinn. ({5}) Deshalb haben wir in unseren Vorschlägen zur Steuerreform auch beides zusammen als ein geschlossenes, in sich konsistentes Paket vorgelegt. Auch die erste Stufe ist in sich konsistent, denn wir haben gesagt: Gerade weil es um den Erhalt und die Neuschaffung von Arbeitsplätzen geht, verträgt diese ganze Operation keinen Aufschub mehr. Das bedeutet, daß wir den gewerblichen Teil, bei dem in erster Linie Investitionen und Arbeitsplätze entstehen, vorziehen wollen. ({6}) Dies soll aus Haushaltsgründen in der ersten Stufe sogar weitgehend aufkommensneutral geschehen, was ich für sehr schade halte. Deshalb ist auch eine Gegenfinanzierung aus dem gewerblichen Bereich vorgesehen. Dazu muß ich insbesondere noch einmal auf Sie, Frau Scheel, eingehen, was § 34 angeht. Der Minister hat es schon einmal erklärt, Frau Hasselfeldt ebenso; ich versuche es jetzt zum dritten Male. Das ist kein Einknicken gegenüber irgendwelchen Klientelen oder so etwas, was immer behauptet wird. ({7}) § 34 betrifft vielmehr ausgesprochen unterschiedliche Einkunftsarten, unter anderem auch gewerbliche. Da sind Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft dabei, da sind insbesondere die Selbständigen und die freien Berufe dabei. Es sind sogar auch Arbeitnehmer mit bestimmten Abfindungen dabei, bis hin zum Handelsvertreter. All das paßt nicht als Gegenfinanzierung zu einer Absenkung der Tarife ausschließlich im gewerblichen Bereich. ({8}) Das war der entscheidende Punkt, weshalb wir § 34 schon auf dem Weg zwischen dem Referentenentwurf und dem Regierungsentwurf wieder herausgenommen haben. Die Sache war vom Inhalt her falsch, weil die falschen Gegenfinanzierungsvolumina gesucht worden sind, und es war natürlich erst recht vom Datum her falsch, weil wir sogar eine Rückwirkung auf den 1. Januar 1997 hatten. ({9}) Insofern ist es natürlich ganz richtig, daß es im Moment draußen ist und erst einmal der zweiten Stufe vorbehalten ist, nämlich dem Zeitpunkt, zu dem auch die anderen Einkunftsarten entlastet werden, zu dem Land- und Forstwirte und auch Freiberufler etwas von dem neuen Tarif haben. Dann ist es gerechtfertigt, auch in diesen Bereichen an der Bemessungsgrundlage entsprechend etwas zu ändern. Bei einer Vorziehung hätten wir eine wirkliche Schieflage in der ersten Stufe. ({10}) - Es sind außerordentliche Einkünfte, aber aus ganz verschiedenen Einkunftsarten. ({11}) Deshalb dürfen sie nicht zur Finanzierung von Absenkungen des Tarifs nur im gewerblichen Bereich herangezogen werden. Das macht keinen Sinn. ({12}) Wir müssen also ganz klar darauf hinweisen, daß das einen sachlichen Grund hatte und keinerlei Abweichen von der Konsequenz unserer Steuerreform ist. Wir müssen nur jeweils die richtigen Teile zuordnen. Das war im Referentenentwurf noch nicht erfolgt. Das haben wir jetzt richtiggestellt. Für den 1. Januar 1999 wird die entsprechende Formulierung auch in § 34 erfolgen. Wir haben das Ziel insgesamt nicht aufgegeben, aber es muß zeitlich stimmen. ({13}) - Nein, das hat er nicht anders dargestellt. Das ist genau die Darstellung, die unserer Meinung entspricht.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Professor Frick, würden Sie bitte auf die Uhr sehen.

Prof. Gisela Frick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002656, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, ich bin auch eigentlich mit meinem Gedankengang fertig. Ich möchte zum Schluß noch einmal an die SPD appellieren; denn wir brauchen sie, das ist bekannt. Es sollte möglichst vermieden werden, daß ein solches Projekt wie die Steuerreform zuletzt im Vermittlungsausschuß verhandelt wird. Kommen Sie wieder an den Gesprächstisch zurück. Stellen Sie keine Vorbedingungen, ({0}) sondern gehen Sie offen in die Gespräche! Auch wir tun das. Danke schön. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Dr. Barbara Höll, PDS.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es nötigt mir schon fast Bewunderung ab, mit welcher Unverfrorenheit Herr Waigel, aber auch die anderen Rednerinnen und Redner der Regierungskoalition sich hier hinstellen und verkaufen: Jetzt geht es los mit der großen Steuerreform. Frau Frick beklagte eben auch noch die Steuerverdrossenheit innerhalb der Bevölkerung. Nun fragt man sich wirklich wieder einmal: Wer ist denn seit 1982 an der Regierung, und wer macht denn seit dieser Zeit Finanz- und Steuerpolitik? ({0}) Herr Waigel verkauft seine Steuerreform unter der Überschrift „Für mehr Wachstum und Beschäftigung" . Eine tolle Überschrift! Aber wenn man nur einmal die in der Zeit seit 1990 in loser Folge vorgelegten Steuerreformvorschläge betrachtet, so sieht man, daß sie ausschließlich zur Entlastung ertragsstarker Unternehmen und Besserverdienender dienten. Ausgewiesenes Ziel - so schon bei dem unrühmlichen Sparpaket vom vergangenen Jahr - soll dabei stets die Förderung von Investitionen und damit die Schaffung von Arbeitsplätzen sein. Der Herr Bundeskanzler will die Beschäftigungsquote bis zum Jahre 2000 tatsächlich wieder erhöhen. Aber ich glaube, er hat wirklich den Boden der Realität verloren, aber nicht mehr, obwohl ihm der „Spiegel" das noch zuerkennt, ein gewisses Gefühl für dieses Land. 1990: Senkung des Spitzensteuersatzes von 56 Prozent auf 53 Prozent. Damit erfolgte der Verzicht auf eine steuerliche Einnahme von 1,2 Milliarden DM pro Jahr. Gleichzeitig wurde die Senkung des Körperschaftssteuersatzes für einbehaltene Gewinne von 56 Prozent auf 50 Prozent beschlossen. Mindereinnahme: 2,6 Milliarden DM. Dem stand eine Arbeitslosenquote in Westdeutschland von 7 Prozent und in den neuen Bundesländern von 10 Prozent gegenüber. 1992: Erhöhung des Freibetrages bei der Gewerbeertragsteuer für Einzelunternehmen und Personengesellschaften. Jährliche Mindereinnahme: 2,3 Milliarden DM. Die Arbeitslosenrate stieg auf 8,5 Prozent. 1994: Umsetzung des sogenannten Standortsicherungsgesetzes. Ab 1. Januar 1994: Senkung der Ertragsteuersätze auf gewerbliche Einkünfte von 53 Prozent auf 47 Prozent. Jährliche Mindereinnahme: 3 Milliarden DM. Dann folgte in einem zweiten Schritt die Senkung des normalen Körperschaftsteuersatzes für einbehaltene Gewinne von 50 Prozent auf 45 Prozent. Zusätzliche Mindereinnahme: 3,5 Milliarden DM. Die Arbeitslosenrate stieg auf 10,6 Prozent. Von 1992 bis 1994 gingen 720 000 Arbeitsplätze verloren - trotz Ihrer Steuermaßnahmen, die angeblich jeweils auch Arbeitsplätze schaffen sollten. Für 1997 beschlossen Sie die Anhebung der Höchstbeträge der steuerfreien Rücklage auf 600 000 DM und die Abschaffung der Vermögensteuer. Steuerausfälle: mindestens 8 Milliarden DM. Im Februar ein neuer Rekord bei den Arbeitslosen: 4,7 Millionen Menschen - eine traurige Zahl - befinden sich offiziell in Arbeitslosigkeit. Sie wissen genau, daß es real mindestens 7 Millionen Menschen sind, denen Sie den Boden für ihre Existenz entziehen. Zwischen 1994 und 1997 gingen mehr als eine Million Arbeitsplätze verloren, ein neuer Nachkriegsrekord. Die ständigen steuerpolitischen Zugeständnisse an Besserverdienende und Unternehmen haben nichts bewirkt. Ideenreichtum und Kreativität wurden, wie Sie, Frau Frick, sagten, zudem noch in Steuervermeidungsstrategien gelenkt. Ihre Politik ist Ausdruck von Hilflosigkeit, ist Ausdruck dafür, daß die angebotsorientierte Steuerpolitik des Herrn Waigel, die er seit Jahren praktiziert, eine Illusion ist und für die Menschen in unserem Lande, die Arbeit suchen und Arbeit brauchen, keine Wirkung hat. ({1}) Weder theoretisch noch empirisch läßt sich ein Steuerwunder belegen, nach dem die Unternehmen Arbeitsplätze schaffen, wenn sie nur weniger Steuern zahlen müssen. Die Steuerentlastung für Unternehmen und Besserverdienende hat dazu geführt, daß der Anteil der Steuern aus Gewinnen am gesamten Steueraufkommen seit Ihrer Regierungszeit konsequent gesunken ist, daß also die Menschen, die abhängig beschäftigt sind, einen immer größeren Anteil am Gesamtsteueraufkommen tragen müssen und damit die Folgen Ihrer Politik immer mehr auf ihren Schultern abgeladen werden. Auch die hohe Staatsverschuldung muß von der Masse der Bevölkerung gezahlt werden. Einziges Ergebnis dieser Politik ist, daß die Gewinne der ertragsstarken Unternehmen überschäumen, während sie im selben Atemzug Beschäftigung abbauen. Wenn man die Jahresberichte, die Bilanzen des vergangenen Jahres liest, kann man dafür verschiedenste Beispiele anführen. Ich nenne nur eines, die Henkel-Gruppe: Der Jahresüberschuß stieg 1996 um 6 Prozent auf 515 Millionen DM. Parallel dazu wurden 400 000 Arbeitsplätze abgebaut, und der Geschäftsführer verkündete: Dies wird sich bis zum Jahresende fortsetzen. Wir erleben eine traurige Zeit der Rekorde: Noch nie nach dem Krieg gab es eine so hohe Arbeitslosigkeit. Noch nie gab es eine solch hohe Zahl von Konkursen kleiner und mittelständischer Unternehmen. Noch nie hatten große ertragsstarke Unternehmen solch hohe Gewinne. Aber anstatt daraus zu lernen, legt die Regierung einen Gesetzentwurf vor, der die verfehlte Steuersubventionspolitik für Unternehmen fortschreibt und keinen Anreiz, auch nicht in geringstem Maße, zur Umgestaltung der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes bietet. Ab 1998 - ich nenne nur einige Beispiele - soll der Höchststeuersatz der Einkommensteuer für gewerbliche Einkünfte noch einmal von 47 Prozent auf 40 Prozent gesenkt werden, im Jahre 1999 - so das erklärte Ziel - dann auf 35 Prozent. Die Körperschaftsteuer soll für einbehaltene Gewinne 40 statt 45 Prozent, für ausgeschüttete Gewinne 28 statt 30 Prozent betragen. Nicht nur, daß das alles undifferenzierte Regelungen sind, die eben nicht dazu führen werden, kleine und mittelständische Unternehmen zu entlasten. Sie schreiben eine Gießkannenpolitik fort, die gerade Großunternehmen entlastet. Sie treiben wirklich Schindluder mit den Staatsfinanzen; das wurde schon ausführlich dargelegt. Ich frage mich, ob jemand von Ihnen privat so wirtschaften könnte. Im Konzept der Regierung ist trotz aller Willensbekundungen nicht eine strategische Orientierung, kein ernsthafter Ansatz zur Lösung der Probleme zu erkennen. Eine sinnvolle Unternehmensförderung bedeutet für die PDS, die steuerlichen Vergünstigungen, die nachweislich keine Auswirkungen auf Investitionen und Beschäftigung haben, zu streichen und den daraus resultierenden Finanzspielraum für eine direkte Förderpolitik einzusetzen. ({2}) Vorschläge dazu liegen genügend vor: die Zusammenführung bisheriger Gemeinschaftsaufgaben und arbeitsmarktpolitischer Instrumente zu einer neuen Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe, die Verbesserung der regionalen Wirtschafts- und Arbeitsmarktstruktur, Fort- und Weiterbildung für Existenzgründer, Eigenkapitalhilfeprogramme, die öffentliche Förderung von Wirtschaftstätigkeit nur noch über zentrale Förderinstitute der Bundesländer. Wenn man das macht, erübrigen sich zahlreiche Freibeträge und Steuerermäßigungen für Unternehmen. Die Steuerpolitiker haben in der Diskussion um das Reformkonzept ein neues Unwort erfunden, wie Herr Hans Mundorf im „Handelsblatt" im Februar feststellte: Privateinkommen. Damit sind alle Einkunftsarten gemeint, die nicht gewerbliche Einkünfte sind. Gewerbliche Einkünfte sind die moralisch besseren, weil nützlichen, da sie arbeitsplatzschaffend wirken. Da fragt man sich natürlich: Wo ist der Steuersachverstand der Regierungskoalition geblieben? Haben Sie die Freiberufler völlig vergessen, die eine Gruppe der Bevölkerung darstellen, die immerhin 1,7 Millionen Menschen und 170 000 Lehrlinge beschäftigt? Das führt das Argument der Regierung ad absurdum. Ist Ihnen wirklich nicht aufgefallen, daß die Senkung des Spitzensteuersatzes für gewerbliche Einkünfte, die Sie schon die ganze Zeit verfolgen und 1993 durchgesetzt haben, nicht zur Senkung der Arbeitslosenzahl geführt hat? Ich frage mich wirklich, mit welcher Begründung, Frau Frick, Sie sagen: Wir müssen die legalen und halblegalen Steuervermeidungsquellen beseitigen, und wenn wir das schaffen - aber nur dann -, können wir den Spitzensteuersatz vielleicht so beibehalten. Mit welcher Begründung denn? Kriminelle Energie wurde durch die Gesetzgebung gefördert. ({3}) - Aber halbkriminell. Auch die halblegalen Steuervermeidungsmöglichkeiten würden durch die Gesetzgebung gefördert. Nachdem sie nun so weit heruntergedrückt werden, sagen Sie: Jetzt muß das bei Gott so beibehalten werden. Ich denke, das ist genau das Falsche. Die PDS wird sich in dieser Steuerdiskussion natürlich aktiv einbringen. Wir werden ein Steuerkonzept vorlegen, das einen solchen Namen tatsächlich verdient. Das erste wichtigste Prinzip ist hierbei wieder die Umsetzung der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Das beinhaltet als erstes und Wichtigstes, das Existenzminimum eines jeden Menschen von der Einkommensteuer tatsächlich freizustellen. Das muß in einer Größenordnung von mindestens 17 000 DM pro Jahr sein. Wir sind gegen einen Tarifverlauf, wie Sie ihn mit einem Sprung noch unter 20 000 DM haben. Vielmehr sagen wir, daß wir einen etwas höheren Eingangssteuersatz wollen, aber einen Tarifverlauf, der dann auch zu einer konsequenten Entlastung führt. Wir sind für eine Entdiskriminierung des Steuerrechtes und für eine Familienförderung, die diesen Namen auch verdient. Das setzt ein Kindergeld für jedes Kind in Höhe von mindestens 300 DM voraus. Wir sind für eine ganz gezielte Wirtschaftsförderung. Diese muß zum großen Teil außerhalb des Einkommensteuerrechtes liegen. Wir sind dafür, eine solide Haushaltspolitik zu machen und deshalb im wesentlichen die Steuerreform im Einkommensteuerrecht gegenzufinanzieren. Wenn dies geschieht, haben wir gleichzeitig ein einfacheres, verständlicheres, transparentes und sozial gerechtes Steuersystem. Ich bedanke mich. ({4})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Hans-Peter Repnik, CDU/CSU.

Hans Peter Repnik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben heute mit der parlamentarischen Beratung einer Reform begonnen, die wohl wie kein anderes Werk nachhaltigst geeignet ist, die Rahmenbedingungen in der Bundesrepublik Deutschland zu verbessern und den Standort Deutschland auch in die Zukunft hinein zu sichern. ({0}) Diese Reform soll dazu dienen, daß in Deutschland Investitionen erleichtert werden, daß ausländische Investoren wieder verstärkt zum Standort Deutschland finden und daß inländische potentielle Investoren auch hier in Deutschland verbleiben, daß Arbeitsplätze geschaffen werden und daß damit auch Arbeitslosigkeit nachhaltig abgebaut werden kann. Der Bundesfinanzminister Theo Waigel hat die Grundzüge dieser Reform überzeugend dargelegt und begründet, weshalb wir jetzt schnell und sofort diese Reform umsetzen müssen. Alle Analysen der Experten, seien sie aus dem politischen, dem wirtschaftlichen oder dem finanzwissenschaftlichen Bereich, halten die Vorlage dieses Reformwerks für einen großen Wurf und ermuntern uns, schnell und zügig mit der Umsetzung zu beginnen. ({1}) Die Erwartungen in der Bevölkerung sind groß. Die Erwartungen in der Wirtschaft sind groß. ({2}) Die Zeit drängt. Wir von der Koalition sind nicht nur verhandlungsbereit, ({3}) wir sind auch verhandlungsfähig, wie gerade die Vorlage dieses Entwurfs gezeigt hat. Deshalb haben wir die Vereinbarungen begrüßt, die zwischen den Spitzen der Koalitionsfraktionen und der SPD getroffen wurden, nämlich daß eine Verhandlungsdelegation beauftragt wurde, zu einem schnellen Ergebnis zu kommen. Wir haben gemeinsam das Ziel, schnell zu einem Ergebnis zu kommen und nicht über das komplizierte Verfahren des Vermittlungsausschusses möglicherweise wertvolle Zeit zu verlieren. Wie ist der Stand der Dinge? Der SPD-Vorsitzende Lafontaine hindert seit Wochen konsequent seine Verhandlungsdelegation, ihrem Auftrag gerecht zu werden. ({4}) Er baut jeden Tag, wie auch in dieser Woche mit seinem Brief an den Bundeskanzler, Hürden auf, er stellt neue Bedingungen, er taktiert, er finassiert und nimmt dabei billigend in Kauf, daß wertvolle Zeit verstreicht. ({5}) Meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, wir werden Sie nicht aus der Verantwortung entlassen. Sie müssen sich vorhalten lassen: Jeder Tag, der verstreicht und an dem wir nicht in Verhandlungen eintreten, ist ein Tag gegen die Arbeitslosen in Deutschland. ({6}) Es ist bedauerlich, daß der Fraktionsvorsitzende Scharping weg mußte. Er hat mir den Grund dafür genannt. Es ist deshalb bedauerlich, weil ich ihm schon vorhalten muß, daß er einmal mehr den Versuch unternommen hat, die Öffentlichkeit über die tatsächlichen Gründe des Verschiebens oder des Abbruchs der Verhandlungen zu täuschen. ({7}) Der Kollege Scharping ist einmal mehr, gerade auch in diesem Punkt, mit der Wahrheit außerordentlich leichtfertig umgegangen. Der Zufall wollte es, daß ich bei unserem Fraktionsvorsitzenden war, als er ihn angerufen hat und es um die Verschiebung dieses Termins ging. Der Sachverhalt war wie folgt: Der Fraktionsvorsitzende Scharping hat darauf hingewiesen, daß er sich zu seinem Bedauern nicht in der Lage sehe, den Termin am Samstag wahrzunehmen - das war am Freitag der vorvergangenen Woche -, weil der nordrhein-westfälische Finanzminister Schleußer, ein Mitglied der Verhandlungsdelegation, mit seinem Ministerpräsidenten zu einem Gespräch im Rahmen der Kohledebatte gehen müsse. Dies war der Grund. Man hat sich dann in der Tat Gedanken darüber gemacht, wann man die nächsten Gespräche führen könne. Er hat darauf hingewiesen, daß es sich nur um eine Verschiebung, nicht um einen Abbruch der Gespräche handle. Wir nehmen ihn auch heute noch mit diesem Hinweis beim Wort. Jetzt den Eindruck zu erwecken, als ob es andere Beweggründe gewesen wären, ist wahrheitswidrig. Er sollte es sich ersparen, das in diesem Hohen Haus vorzutragen. ({8}) Ich lege auch Wert darauf, zu sagen, daß die Verschiebung der Gespräche am vorvergangenen Freitag stattgefunden hat, also bevor sich der Bundeskanzler auf Grund der Ereignisse in Bonn dazu entscheiden mußte, sein Gespräch am darauffolgenden Dienstag mit Gewerkschaftsvertretern abzusagen. Nach dem Beitrag von Herrn Scharping von heute vormittag habe ich den Eindruck, daß er es mit der Wahrheit so ähnlich wie mit den Zahlen hält: Von beidem versteht er vergleichsweise wenig. ({9}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will angesichts der Kürze der Zeit, die mir zur Verfügung steht, zu einem anderen Punkt nur eine Anmerkung machen. Wir lassen ebenfalls nicht zu, daß man hier permanent versucht, den Finanzminister im Hinblick auf die Situation des Haushaltes und die Verschuldung vorzuführen, und daß die SPD gleichzeitig bei jeder Gelegenheit draufsattelt. Ich finde, dieses sozialdemokratische Verhalten ist schizophren. Die Rede, die wir heute früh von Scharping zu hören bekamen, wirkt bezeichnend, wenn wir eine Pressemeldung der ddp vom Mittwoch dieser Woche zur Kenntnis nehmen. Dort heißt es - ich darf zitieren -: In einer Regierungserklärung vor dem Saarländischen Landtag sagte Lafontaine am Mittwoch in Saarbrücken, das Saarland erwarte vom Bund ein Ausgleichsprogramm, das das Land in die Lage versetze, dem Strukturwandel an der Saar Schub zu geben. Dies sagte er eine Woche, nachdem der Bund 200 Millionen DM Kohlesubventionen jährlich für das Saarland zu Lasten des Bundeshaushalts übernommen hat. Schäbiger geht es nicht mehr! ({10})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Repnik, gestatten Sie Zwischenfragen?

Hans Peter Repnik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, jetzt nicht. ({0}) Ich möchte nicht, daß der SPD eine Konfrontation mit den Widersprüchlichkeiten der Aussagen auch und gerade in den letzten Wochen erspart wird. ({1}) Ich fordere Sie hier von diesem Pult aus auf und stelle mich hinter den Appell von Theo Waigel, Wolfgang Schäuble und Dr. Solms von gestern, noch einmal an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Wir stehen in bezug auf diese Ansicht doch beileibe nicht allein. Es ist interessant, zu lesen, was in dieser Woche der SPD-Verhandlungsführer und Erste Bürgermeister von Hamburg, Henning Voscherau, im „Focus" erklärt hat. Ich darf ihn aus dem „Focus" zitieren: Nach dem Kohlekompromiß hat Oskar Lafontaine erklärt, die SPD stehe für Verhandlungen wieder zur Verfügung. Meine Parteifreunde - er wendet sich an Sie, nicht an uns aber müssen wissen: Wer A sagt, muß auch B sagen. Wer an den Tisch zurückkehrt, muß bei einer inhaltlich verantwortbaren Lösung bereit sein abzuschließen - auch um den Preis, daß es dem Kanzler bei der Bundestagswahl 1998 nützen könnte. Weiter sagt Voscherau: Ich würde mich an einer Scheinveranstaltung nicht beteiligen. Wenn man von der SPD in die Gespräche hineingeschickt wird, dann muß man auch Abschlußvollmacht haben. Für etwas andeHans-Peter Repnik res stehe ich als Unterhändler nicht zur Verfügung. ({2}) Geben Sie diesem Mann, der von der Sache etwas versteht, Abschlußvollmacht. Geben Sie ihm das Mandat zu verhandeln. Ich muß mich nicht nur auf Herrn Voscherau beziehen. Ich kann mich auch auf den niedersächsischen Ministerpräsidenten beziehen, der immerhin wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Bundespartei ist. Er hat in der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" gestern folgendes gesagt - ich zitiere wörtlich -: Ich halte nichts von taktischen Spielchen. Unsere Leute wollen die Probleme gelöst sehen. ({3}) Dies ist die Realität in der Bevölkerung. Deshalb fordere ich Sie auf: Kehren Sie an den Verhandlungstisch zurück. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir schon bei der Wahrheit sind, ({4}) dann muß ich Sie noch mit einem anderen Sachverhalt konfrontieren. Alle Parteien haben, weil sie im Hinblick auf die Notwendigkeit einer Steuerreform einig sind, Kommissionen gebildet, die diese Steuerreform vorbereiten sollten. Übrigens hat auch die SPD, und zwar unter Führung ihres finanzpolitischen Sprechers Voscherau, Mitglied der Verhandlungskommission, eine Kommission gebildet, die zu einem Ergebnis bei dieser Reform kommen soll. Die Kommission hat einen Vorschlag gemacht, von dem ich das Gefühl habe, daß es sich lohnt, daß wir uns heute mit ihm auseinandersetzen. Er steht nämlich in einem interessanten Gegensatz zu vielem, was Herr Scharping heute morgen zu diesem Thema erklärt hat. Übrigens nicht nur Herr Voscherau, auch der finanzpolitische Sprecher Poß war Mitglied dieser Verhandlungskommission. ({5}) - Auch Frau Matthäus-Maier. Unter anderem steht folgendes in dem Vorschlag; ich sage das jetzt im Zeitraffer: Erstens. Tragende Grundsätze der Einkommensbesteuerung, wie die Gleichmäßigkeit der Besteuerung, die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, sind schwerwiegend verletzt. Mehrfach hat das Bundesverassungsgericht das Einkommensteuerrecht in zentralen Bereichen für verfassungswidrig erklärt. - Völliger Konsens! Deshalb machen wir diese Reform. Zweitens. Einkommensmillionäre - hochspannend im Hinblick auf das, was Herr Scharping heute früh zu dem Thema gesagt hat - können ihre Steuerschuld in manchen Fällen sogar auf Null reduzieren. Es ist ein extremer Verstoß gegen die Steuergerechtigkeit, wenn Arbeitnehmer mit mittleren Einkommen eine höhere effektive Grenzbelastung zu tragen haben als Bezieher höherer Einkommen. - Exakt aus diesem Grund machen wir die Steuerreform. ({6}) - Frau Matthäus-Maier, ich kann es nicht mehr mit anhören, daß die Öffentlichkeit hier im Plenum des Deutschen Bundestages für dumm gehalten wird. Herr Voscherau ist hier aufgetreten und hat gesagt, in Hamburg zahle nur noch die Hälfte der Einkommensmillionäre Steuern, die andere Hälfte nicht. Jetzt stopfen wir die Schlupflöcher. Jetzt versuchen wir die Möglichkeiten der legalen Steuerverkürzung zu beschneiden. Jetzt werden wir erreichen, daß Einkommensmillionäre einem Spitzensteuersatz von 39 Prozent ohne Ausweichmöglichkeiten unterliegen. Genau dies halten Sie uns jetzt aber vor. Das ist eine durchsichtige, von Neid geprägte Argumentation. ({7}) In diesem Papier fordert die SPD-Steuerkommission, der Spitzensteuersatz solle spürbar gesenkt werden. Das machen wir. Machen Sie doch mit! Auf Partikularinteressen darf keine Rücksicht genommen werden. - Schwer genug. Wir machen es. Machen Sie doch mit! Wir sind uns doch einig. Aufhebung der Steuerfreiheit von Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeitszuschlägen und verschiedenen anderen Lohnbestandteilen ist auch Bestandteil unseres Entwurfs. Machen Sie doch mit! Wir sehen Regelbesteuerungen von Lohn- und Einkommensersatzleistungen vor. Machen Sie doch mit! Wir sind uns doch auch in dieser Frage einig. ({8}) Meine Damen und Herren, Sie sind in den letzten Wochen übers Land gezogen und haben unseren Vorschlag im Hinblick auf eine Umwandlung der Kilometerpauschale in eine verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale nachhaltig bekämpft. ({9}) - Ich setze mich mit der SPD auseinander. Ich möchte Ihnen den Spiegel vorhalten: In Ihrem Programm steht drin, aus „ökologischen Gründen" sei die Kilometerpauschale in eine verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale umzuwandeln. ({10}) Sie wollen damit also einen ökologischen Akzent setzen. Wir machen es. Machen Sie doch mit! ({11}) Sie haben dafür Sorge getragen, daß die Rentner in der Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf die Besteuerung der Renten in eine hohe Verunsicherung geraten sind. In diesem Papier Ihrer Steuerkommission schlagen Sie die Besteuerung der Renten vor. Dies, meine ich, ist ein leichtfertiger Umgang mit der Wahrheit. Wir laden Sie ein, auf der Grundlage dessen, was ich dargestellt habe, in die Gespräche einzutreten. Ich bin sicher, wir werden sehr schnell eine Reform verabschieden, die trägt und Arbeitsplätze schafft. Ich bin nicht ganz sicher, weshalb Schröder oder Voscherau in diesen Tagen gesagt hat: „Jawohl, natürlich muß der Spitzensteuersatz gesenkt werden." Oder: „Natürlich müssen wir daran denken, die Mehrwertsteuer zu erhöhen, ({12}) um eine Gegenfinanzierung zu gewährleisten. " Jetzt darf ich Ihren finanzpolitischen Sprecher der Bundespartei, den Hamburger Bürgermeister Voscherau, zitieren. In der „Wirtschaftswoche" dieser Woche sagt Voscherau wörtlich: Drucken Sie es ruhig: Für diesen Zweck - es geht um die Steuerreform wäre ich bereit, die Mehrwertsteuer zu erhöhen. Die ist schon wegen des reduzierten Satzes längst nicht so unsozial, wie oft behauptet wird. Außerdem werden Lohnnebenkosten ausschließlich von Arbeitnehmern und ihren Betrieben bezahlt - die Mehrwertsteuer dagegen auch von Freiberuflern, Selbständigen, Beamten und Ministern. ({13}) - Nein, er bezieht sich auf den Gesamtzusammenhang. ({14}) Ich kann nur schließen: Er ist bereit, auch die Mehrwertsteuer zu erhöhen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Repnik, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kuhlwein?

Hans Peter Repnik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte. Ich gehe davon aus, daß dies nicht auf die Redezeit angerechnet wird.

Eckart Kuhlwein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001252, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Repnik, darf man aus dem letzten Teil Ihrer Ausführungen schließen, daß auch Sie sich für eine Senkung der Lohnnebenkosten einsetzen werden ({0}) und daß auch Sie nichts dagegen haben, wenn die Senkung der Lohnnebenkosten durch eine Erhöhung indirekter Steuern finanziert würde? ({1})

Hans Peter Repnik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Kuhlwein, wenn Sie in diesen Tagen die öffentliche Berichterstattung verfolgt hätten, dann hätten Sie zur Kenntnis nehmen können, daß wir uns auf unserem kleinen Parteitag am Mittwoch dieser Woche mit der Zukunft des Rentensystems auseinandergesetzt haben. Wir haben exakt dies beschlossen: Wir haben beschlossen, daß die Rentenbeiträge um einen Prozentpunkt zurückgeführt werden sollen und die durch diesen einen Prozentpunkt entstehenden Mindereinnahmen - ohne daß wir uns auf die konkrete Gegenfinanzierung festgelegt haben ({0}) über indirekte Steuern finanziert werden sollen. Hier haben wir keinen Nachholbedarf.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Repnik, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Kollegin Hendricks? ({0})

Hans Peter Repnik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte.

Dr. Barbara Hendricks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002672, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Repnik, ich darf auf den von Ihnen eben zitierten Auszug aus der „Wirtschaftswoche" zurückkommen. Sie haben sich gerade auf ein Interview mit dem Ersten Bürgermeister Voscherau bezogen. Das fing nach Ihrem Zitat mit den Worten „für diesen Zweck" an. Dann haben Sie mit Ihren Worten ergänzt, er meine damit die Steuerreform. Aus dem Schluß des von Ihnen vorgetragenen Zitates geht allerdings hervor, daß er damit die Lohnnebenkosten meint. Sind Sie bereit, dies vor diesem Hause so zu korrigieren?

Hans Peter Repnik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Kollegin, ich wollte nicht das ganze Interview von Herrn Voscherau vorlesen. ({0}) Aber ich kann ja noch einmal zwei Sätze vorher einsteigen. ({1}) Am Schluß längerer Ausführungen sagt Voscherau - ich zitiere -: ... ist am Schluß auch eine Senkung des Spitzensteuersatzes unausweichlich. ({2}) Vom Fragesteller heißt es dann: Eine teilweise Gegenfinanzierung will die Union auch über indirekte Steuern bewerkstelligen. Machen Sie da mit? Darauf sagt Voscherau: Öko! Ich sage nur: Öko! ({3}) Er hat damit, ohne daß er sich eindeutig erklärt hat, indirekt zu erkennen gegeben, daß er natürlich daran denkt, das im Wege einer ökologischen Steuerreform gegenzufinanzieren. ({4}) - Doch, ganz eindeutig. Diese Aussage war eindeutig. Ich darf in dem Zusammenhang noch einmal Herrn Voscherau zitieren: „... ist am Schluß auch eine Senkung des Spitzensteuersatzes unausweichlich. " Auf die Frage, wie er das finanzieren will, sagt er: „Öko! Ich sage nur: Öko!" ({5}) Das ist eine eindeutige Antwort. Ich weiß, daß nicht nur Voscherau und Schröder an den Verhandlungstisch zurückkehren wollen. Ich weiß, daß es viele in Ihrer Fraktion gibt, die exakt gleich denken. Sie sollten sich von Ihrem parteitaktisch vordergründigen Denken lösen, das gegen die Allgemeininteressen unseres Staates gerichtet ist. Ich fordere die Ministerpräsidenten der SPD auf, die in ihrem Eid geschworen haben, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Sie sollten bei dieser Steuerreform mitmachen. ({6}) Jeder Tag, den diese Steuerreform früher in Kraft tritt, ist ein Tag zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit, ist ein Tag zur Schaffung neuer Arbeitsplätze. Geben Sie die Blockadepolitik auf! ({7}) Die Bevölkerung und der Standort Deutschland werden es Ihnen danken. ({8})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin MatthäusMaier.

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Kollege Repnik, Sie versuchen seit Monaten, durch Zitate aus einem nie beschlossenen Diskussionspapier der SPD Punkte zu gewinnen. Wenn es nicht beschlossen ist, dann ist es nicht die Meinung meiner Partei, und dann können Sie auch nicht daraus zitieren. ({0}) Nun zum Spitzensteuersatz: Wir haben in der Tat parteiübergreifend festgestellt, daß es durchaus Leute mit zu versteuernden Einkommen oberhalb von 240 000 DM gibt, die nicht den Spitzensteuersatz zahlen. Ich sage es noch einmal für die Zuhörer: ({1}) Der Spitzensteuersatz setzt oberhalb eines zu versteuernden Einkommens von 240 000 DM im Jahr bei Verheirateten ein. Wir reden also nicht von armen Leuten. Ein Teil der Leute zahlt diesen Spitzensteuersatz nicht, indem sie durch Schlupflöcher, Sonderabschreibungen und ähnliches ihr zu versteuerndes Einkommen deutlich herunterfahren. Deswegen muß es unser Ziel sein, diese Schlupflöcher und die Sonderabschreibungen zurückzuführen. Es gibt aber keinen Grund, als Belohnung dafür den Spitzensteuersatz auf 39 Prozent abzusenken. ({2}) Einen solchen privaten Spitzensteuersatz gibt es in Europa überhaupt nicht. Sie sagen immer: Gucken Sie ins Ausland. Ich habe die Liste der Spitzensteuersätze bei der Einkommensteuer vor mir liegen; außer Deutschland mit 53 Prozent: Belgien 55 Prozent, Frankreich 54 Prozent, Italien 51 Prozent, die Niederlande - sie werden immer wieder gelobt - 60 Prozent, Österreich 50 Prozent, Japan 65 Prozent, die USA immerhin noch 44 Prozent. ({3}) Ich will damit folgendes sagen: Wir werden in Deutschland wegen unserer unterschiedlichen Unternehmensformen eine solch starke Spreizung zwischen Körperschaftsteuer und privatem Spitzensteuersatz nicht durchführen können. Ich rede jetzt sehr ruhig, damit kein falscher Eindruck entsteht. Ich bin der Ansicht, daß der Bundeskanzler dieser Republik im Vergleich zu den Leuten in der Wirtschaft durchaus nicht zuviel verdient. Aber Ihr Steuerpaket verschafft dem Bundeskanzler, den Mitgliedern der Regierung, den Ministerpräsidenten und den Landesministern im Jahr eine Steuerentlastung zwischen 20 000 und 30 000 DM. Sie wollen doch nicht behaupten, daß das neue Arbeitsplätze schafft. Deswegen ist Ihr Argument, die Senkung des privaten Spitzensteuersatzes schaffe Arbeitsplätze, dummes Zeug. ({4})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluß kommen. Die drei Minuten sind abgelaufen.

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Als letztes zu der Besteuerung der Nacht- und Schichtzuschläge: Steuersystematisch - das weiß man - kann man darüber sehr wohl diskutieren. Aber ich frage Sie: Glauben Sie ernsthaft, daß Sozialdemokraten zustimmen, daß Ihre Koalition über die Besteuerung der Nachtzuschläge dafür sorgt, daß die Krankenschwester den Spitzensteuersatz für Chefärzte bezahlt ({0}) und daß in Duisburg die Stahlwerker durch die Besteuerung ihrer Schichtzuschläge die Spitzensteuersatzsenkungen für die miesen Manager und Banker bezahlen, die hinter ihrem Rücken die bösartige Übernahme vorbereiten? Das glauben Sie doch wohl nicht! ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Repnik.

Hans Peter Repnik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau MatthäusMaier, ich muß sagen: Schade. Der Beitrag, den Sie in Ihrer Steuerkommission geleistet haben, war um Klassen seriöser als Ihr Beitrag jetzt. ({0}) Aus welchem fundierten Konzept soll ich eigentlich zitieren, wenn nicht aus dem, das Ihre Steuerkommission erarbeitet hat? Es gibt bis zum heutigen Tage kein weiteres fundiertes Konzept Ihrer Partei. Zweitens. Da ich weiß, wieviel Mühe Sie, Poß, Voscherau und andere sich bei der Erarbeitung dieses Konzepts gegeben haben, bedaure ich es sehr, daß Sie sich jetzt - ich behaupte: wider besseres Wissen - von den Inhalten dieses Konzepts distanzieren. Das hätten Sie nicht nötig. Drittens. Ich erinnere daran, wie Sie, Frau Matthäus-Maier, wie die SPD-Experten der Bundestagsfraktion mit dem Gutachten von Professor Bareis umgegangen sind, als der Bundesfinanzminister dieses Gutachten nicht sofort umgesetzt hat. Sie haben Herrn Bareis zu sich in die Kommission eingeladen; er war in einer Parteiveranstaltung, im Parteivorstand bei Ihnen. Sie haben sich geschlossen hinter die Vorschläge von Herrn Bareis gestellt ({1}) und haben sie in dieses Konzept eingearbeitet. Distanzieren Sie sich doch nicht davon! ({2}) Der letzte Punkt. Sie haben die Niederlande angesprochen und gesagt, wie hoch dort der Spitzensteuersatz ist. - Frau Matthäus-Maier ich vermute, daß Sie das folgende wissen - wenn nicht, möchte ich Sie jetzt darauf hinweisen -: Die Niederlande haben ein riesiges Problem, das daraus resultiert, daß es dort eine erhebliche Spreizung zwischen Körperschaftsteuer und dem Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer gibt. Und wie hat man in den Niederlanden reagiert? Es gab eine unglaubliche Flut von Betriebsgründungen: Jeder Mittelständler, jede Personengesellschaft, jeder Dienstleister, die freien Berufe, die Ärzte, die Rechtsanwälte, alle haben sich in Kapitalgesellschaften organisiert, damit sie einen niedrigen Steuersatz haben. Damit wurde eine enorme Ausweichbewegung in Gang gesetzt. Wir würden exakt dasselbe erreichen. Lassen Sie also die Neidkampagne, und tragen Sie mit uns eine Steuerreform, die den Namen verdient und die zur Sicherung und Schaffung neuer Arbeitsplätze beiträgt. ({3})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat jetzt der Kollege Reinhard Schultz, SPD.

Reinhard Schultz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002791, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dieser Debatte geistert zum wiederholten Male ein sogenanntes unautorisiertes Papier herum, hinter dem angeblich die ganze SPD steht, nur diejenigen nicht, die für sie hier handeln. Ich kann Ihnen nur sagen: Die SPD hat sich selbstverständlich auf der Grundlage der Liste von Professor Bareis und seiner Kommission mit der Frage befaßt: Mit welchen Steuervergünstigungen muß man sich eigentlich auseinandersetzen, wenn man die Bemessungsgrundlagen verbreitern will? Die SPD hat sich damit befaßt; das war ständig Gegenstand unserer Diskussionen. Aber sie hat nicht dieses Gutachten beschlossen. Vielmehr war das sozusagen ein Steinbruch, wo man abwägen mußte: Was ist unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit, unter dem Gesichtspunkt, Wachstum zu erzeugen, und unter dem Gesichtspunkt der Leistungsfähigkeit der Betroffenen daraus zu nehmen und was nicht? Sie tun hier so, als wäre das Bareis-Gutachten das steuerpolitische Gebetbuch von Sozialdemokraten. Das ist es nicht. Vielmehr war es eine Anlage zu unseren Beschlüssen, eine Denkhilfe, für die wir dankbar sind, die wir aber nicht bruchlos übernommen haben. ({0}) Was die Frage betrifft, wie gesprächsbereit wir sind, Herr Repnik, so muß ich Ihnen sagen: Es nützt nichts, wenn Sie sich gestern abend noch ausgedacht haben, uns hier durch den Saal zu treiben, weil die SPD angeblich nicht gesprächsbereit ist. Der Fraktionsvorsitzende hat heute als erster erklärt, daß die SPD zu jeder Tages- und Nachtzeit verhandlungs- und gesprächsbereit ist. ({1}) Reinhard Schultz ({2}) Was Sie hier verbreitet haben, ist doch Schnee von gestern. Natürlich dürfen Sie uns nicht übelnehmen, daß wir einigermaßen verdutzt sind, wenn der Bundeskanzler auf die Einladung unseres Parteivorsitzenden, mit ihm unter vier Augen einmal ein sachverständiges Gespräch darüber zu führen, wie man die Kiste aus dem Dreck reißt, eine Absage erteilt. Das ist auch nicht anständig. ({3}) Wenn der Bundeskanzler sagt: „Jungs, setzt euch mal beim Finanzminister zusammen und regelt die Sache unter euch; ich habe damit nichts zu tun und bewerte das alles im Lichte der Ergebnisse", dann wird das nicht klappen. Er wird bei dieser Auseinandersetzung nicht trockenen Fußes über den See Genezareth gehen können, sondern er wird einsinken. ({4}) Frau Frick, ich kann nur sagen: Dem deutschen Volk vor den Fernsehern geht es ungefähr so wie denjenigen, die am Zaun von Fußballspielen und Pferderennen stehen: Mit großer, geradezu atemloser Spannung verfolgen wir, wie die F.D.P. die offensichtlich vorhandene Unlust von Unternehmern und Unternehmensverbänden - diese kann ich sogar verstehen -, überhaupt noch einen Pfennig an Steuern zur Finanzierung des Gemeinwohls beizutragen, durch Steuergeschenke auch noch überholen will. Damit das Volk versteht, warum beabsichtigte und auch unbeabsichtigte Steuersenkungen für Unternehmen nicht etwa der Gemeinschaft aller schaden, insbesondere dem Staatshaushalt und der Erfüllung der Maastricht-Kriterien, sondern von dieser eher freudig begrüßt werden müssen, wird der ständige Schlachtruf „Steuersenkung" immer wieder mit dem Versprechen „Arbeitsplätze" verknüpft. Man kann nur gratulieren: Das ist ein geniales Konzept. Das wird schon seit 1982 so verfolgt. ({5}) Trugen im Jahre 1982, dem Jahr, als Bundeskanzler Kohl mit der Koalition antrat, Deutschland aus der Schuldenkrise zu führen, die Steuern auf unternehmerische Tätigkeiten und Vermögen noch mit knapp 14 Prozent zum Gesamtsteueraufkommen bei, so waren es 1995 nur noch 8,8 Prozent. In demselben Zeitraum stieg der Anteil der Arbeitnehmersteuern an den Gesamteinnahmen von 33 Prozent auf 37 Prozent. Der Erfolg lag auf der Hand: Die Arbeitslosigkeit stieg von 1 Million auf mehr als 4 Millionen. Genial! Das ist ein großer Wurf. Ein großer volkswirtschaftlicher Geist ist dort am Werke. Offensichtlich klappt das Konzept: weniger Einkommen in Arbeitnehmertaschen und mehr Einkommen in Unternehmerkassen gleich höhere Erwerbslosigkeit. Das ist die empirische Grundlage, die wir anderthalb Jahrzehnte haben beobachten können. Da dürfen Sie sich doch nicht wundern, wenn Zweifel angemeldet werden, ob die Fortsetzung, sozusagen das Zum-Programm-Erklären dieses Mißstandes irgend etwas Nennenswertes dazu beitragen kann, daß auch nur ein einziger Arbeitsplatz geschaffen wird. ({6}) In Geld ausgedrückt: Im Jahre 1995 zahlten Arbeitnehmer 61 Milliarden DM mehr an Steuern, als wenn es bei der Steuerbelastung von 1991 geblieben wäre. Damit ungeteiltes Leid doppelte Freud auf Unternehmerseite bedeutet, wurden Einkommen aus unternehmerischer Tätigkeit mit 30 Milliarden DM weniger belastet, als wenn dieselben Tarife und Grundlagen wie im Jahre 1991 gegolten hätten. Das sind die Größenordnungen, über die wir auch hier und heute reden. Nur, in diesen fünf Jahren hat es einen Abschwung und keinen Aufschwung gegeben. In dieser Zeit hat es weniger und nicht mehr Arbeitsplätze gegeben. Deswegen glauben wir nicht, daß dieses Rezept helfen wird. ({7}) Die Lage ist noch viel komplizierter. Der Kanzler versprach 1990 den Aufschwung Ost ohne Steuererhöhungen. Dies ist ein Versprechen, das für Unternehmereinkommen auch gehalten wurde. Dafür wurde aber kurz entschlossen in die Kasse des Nachbarn eingebrochen, nämlich bei den Sozialversicherungen. Zig Milliardenbeträge mußten seit der Steuerlüge des Kanzlers jährlich anstatt von allen Steuerzahlern allein von den Beitragszahlern für die Einheit aufgebracht werden und trieben die Belastung für durchschnittliche Arbeitnehmereinkommen, die sich unterhalb oder in Sichtweite der Beitragsbemessungsgrenzen bewegen, auf über 46 Prozent des hart erarbeiteten Verdienstes. Hier sei angemerkt: Im letzten Regierungsjahr von Helmut Schmidt betrug die Belastung eines durchschnittlich verdienenden Arbeitnehmers mit 39,8 Prozent noch über sechs Prozentpunkte weniger als heute. ({8}) Die Belastung von 46 Prozent ist unerträglich; das sehen wir alle so, auch Sie. Diese Belastung ist leistungsfeindlich; sie ist ungerecht. Deswegen ist es an erster Stelle das Ziel der Sozialdemokraten, diese unerträgliche Entwicklung vor allen anderen steuerpolitischen Überlegungen ein gutes Stück zurückzunehmen, damit die Arbeitnehmer wieder Spaß an ihrer Arbeit haben, damit nach Jahren des Reallohnrückganges ihre Kaufkraft wenigstens etwas steigt und einen Beitrag zum Wachstum leistet, damit diejenigen, die Tag und Nacht hart arbeiten, in dieser Gesellschaft endlich wieder gerecht behandelt werden ({9}) und damit die von der Bundesregierung herbeiregierte Krise der sozialen Sicherungssysteme auf die einzig anständige Art und Weise gelöst wird, nämlich durch Entlastung dieser Systeme von den versicherungsfremden Leistungen. Reinhard Schultz ({10}) Nachdem sich Politik und Wissenschaft über einige Monate gestritten haben, was eigentlich .versicherungsfremde Leistungen sind und wie hoch ihre Kosten sind, haben sich nun die Sozialminister darüber geeinigt und die Kosten auf gut 57 Milliarden DM beziffert. Ein stolzer Betrag. Er entspricht fast den sechs Prozentpunkten, um die seit Helmut Schmidt die Beitragsbelastung für durchschnittlich verdienende Arbeitnehmer gestiegen ist. Die SPD hat bereits Anfang 1996 erklärt: Wir wollen die Sozialbeiträge der Arbeitnehmer senken, indem die versicherungsfremden Leistungen über den Staatshaushalt, also über Steuern finanziert werden. ({11}) An dieses Ziel knüpfen wir unsere Bereitschaft, auch über jedwede darüber hinausgehende Steuerreform zu verhandeln. Im Mittelpunkt unserer Gegenfinanzierung steht - das ist eben angesprochen worden - ein Konzept einer ökologischen Steuerreform, die Natur- und Energieverbrauch geplant und maßvoll schrittweise stärker belastet und die die Belastungen für Arbeitnehmer und die Arbeitskosten für Unternehmer entsprechend senkt. ({12}) - Ich weiß nicht, wie Sie in dieser Situation einen solchen Zwischenruf machen können. Wenn Ihr Fraktionsvorsitzender über die Erhöhung der indirekten Steuern und andere offen über eine Mehrwertsteuererhöhung reden, dann brauchen Sie mich hier nicht zu beschimpfen, wenn ich versuche, mit Augenmaß darzustellen, wie wir ein vernünftiges Verhältnis zwischen der Belastung der natürlichen Ressourcen und der des Faktors Arbeit hinbekommen. Ihre Haltung ist doch einfach unehrlich. ({13})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Schultz, achten Sie bitte auf die Uhr.

Reinhard Schultz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002791, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. Auch wir wissen, daß durch die Energiebesteuerung allein das erreichbare Finanzvolumen nicht ausreichen wird, um die Sozialbeiträge spürbar zu senken und die Ausgaben für die versicherungsfremden Leistungen zu decken. Dazu hat Oskar Lafontaine in seinem Brief an den Bundeskanzler einiges geschrieben: Über die Frage der Ökologiesteuer hinaus sind wir natürlich bereit, über andere Finanzierungsmöglichkeiten im indirekten Bereich zu reden, wenn sie zur Senkung der Lohnnebenkosten verwandt werden und zu nichts anderem. ({0}) Eine Senkung von Spitzensteuersätzen über eine Erhöhung der Belastung aller Verbraucher kommt mit uns nicht in Frage. ({1}) Wir wollen die soziale Arithmetik wiederherstellen. Wir wollen eine erträgliche Belastung der Arbeitnehmer, die Tag und Nacht regelmäßig zur Arbeit gehen und die durch die Politik Motivation und nicht Entmutigung brauchen. Vielen Dank. ({2})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat jetzt der Kollege Peter Rauen, CDU/CSU. ({0})

Peter Rauen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001783, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir wollen und brauchen mehr Arbeitsplätze in Deutschland. Darin sind wir uns mit der Opposition völlig einig. Was heute morgen der Vorsitzende der größten Oppositionsfraktion, Scharping, im Zusammenhang mit Steuern und Steuerzahlern zum wiederholten Male gesagt hat, war verlogen und unverantwortlich. ({0}) Er hat heute morgen gesagt, daß er keine Mehrwertsteuererhöhung will, um Millionären mehr Geld zu geben. ({1}) Am 18. Januar 1996 hat Scharping im Bundestag gesagt - ich zitiere aus dem Protokoll -: Das alles sind bittere Wahrheiten, und sie werden noch durch die Tatsache verschlimmert, daß in Deutschland die Hälfte der Einkommensmillionäre überhaupt keinen Pfennig Steuern bezahlt. ({2}) Das Bundesfinanzministerium hat nachgewiesen, daß das gelogen ist. Nur einer von 1 000, genau: 18 von 18 101 Einkommensmillionären haben sich durch Steuergestaltung ganz von der Steuer befreit. Ich habe eine Presseauswertung, aus der hervorgeht, wie solche unverantwortlichen Aussagen transportiert werden und damit Neid erweckt wird. Es sind Pressemitteilungen, in denen auch der Schwachsinn einer solchen Aussage sehr deutlich beleuchtet wird. Ich kann nur bitten, nicht weiter Neid zu schüren. Herrn Scharpings Aussage war unverantwortlich, weil bewußt Neid geschürt wurde. ({3}) Wenn wir mehr Arbeitsplätze in Deutschland wollen, dann brauchen wir mehr Selbständige. Denn jeder Selbständige zieht etwa vier Arbeitsplätze nach. Wir brauchen, wie der Kanzler immer wieder zu Recht sagt, eine neue Kultur der Selbständigkeit. Warum aber sollen sich junge Menschen das Risiko der Selbständigkeit aufladen, wenn der gleichzeitig winkende Gewinn von einer großen Volkspartei gejagt und verteufelt wird? ({4}) Das kann nicht zu einer neuen Kultur der Selbständigkeit führen. Neid ist der größte Feind der Entstehung neuer Arbeitsplätze. Wenn Arbeitsplätze in Deutschland gesichert und zusätzliche geschaffen werden sollen, brauchen wir gesunde Betriebe mit guter Eigenkapitalausstattung. Das gilt für die Betriebe im allgemeinen, aber insbesondere für die kleinen und mittleren Betriebe, von denen zu Recht die Schaffung zusätzlicher und neuer Arbeitsplätze erwartet wird. ({5}) Im Gegensatz zu Aktiengesellschaften, die ihr Eigenkapital auf dem Kapitalmarkt besorgen können, brauchen die kleinen und mittleren Betriebe zwei Dinge zur Eigenkapitalstärkung und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze: anständige Gewinne und niedrige Steuersätze, damit nach Steuern mehr zur Bildung von Eigenkapital verbleibt. Deshalb sind die Steuerreform 1999 und der vorgezogene Teil für 1998 für die kleinen und mittleren Betriebe viel mehr noch als für die Großbetriebe Schritte in die richtige Richtung, um die Zukunft zu gewinnen. ({6}) Die gesamte Steuerlast einer Kapitalgesellschaft oder einer gewerbesteuerpflichtigen Personengesellschaft auf Gewinn war und ist zur Zeit in Deutschland noch viel zu hoch. Sie betrug 1995 in den alten Bundesländern 64,9 Prozent, hingegen - um nur einige zu nennen - in den USA 45,3 Prozent, in Frankreich 45 Prozent, in Belgien 39 Prozent, in den Niederlanden 35 Prozent und in Großbritannien 33 Prozent. Mittlerweile ist die Vermögensteuer abgeschafft, und die Gewerbekapitalsteuer wird hoffentlich in diesem Jahr abgeschafft. Beides waren und sind Arbeitsplatzvernichtungssteuern. ({7}) Ich fordere die SPD auf, unserem Vorschlag im Bundesrat und endlich auch im Parlament zuzustimmen, damit wir die Gewerbekapitalsteuer abschaffen können. Mit dem heute eingebrachten Gesetzentwurf wird ab dem 1. Januar 1998 der Solidaritätszuschlag um 2 Prozentpunkte, der Einkommensteuersatz für gewerbliche Einkünfte um 7 Prozentpunkte und die Körperschaftsteuer auf einbehaltene Gewinne um 5 Prozentpunkte und für ausgeschüttete Gewinne um 2 Prozentpunkte gesenkt. Damit wird die Gesamtsteuerlast der Kapitalgesellschaften und der Gewerbebetriebe von fast 65 Prozent auf deutlich unter 50 Prozent gesenkt. 1999 werden weitere 5 Prozentpunkte folgen. Der Eingangssteuersatz für die Arbeitnehmer wird um 13 Prozentpunkte gesenkt und damit gegenüber heute fast halbiert. Das ist eine Reform, die ihren Namen wirklich verdient. ({8}) Mit der Gegenfinanzierung durch strengere Gewinnermittlungsvorschriften und die Absenkung der degressiven MA können die kleinen und mittleren Betriebe gut leben. Es liegt in der Natur der Praxis, daß gerade mittelständische Betriebe neben guten auch schlechte Geschäftsjahre haben. In den schlechten Geschäftsjahren ist die Bilanz oft schlechter, als sie eigentlich ist, weil mögliche Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften oder Schäden nicht gebildet werden, weil sonst die Bilanz zur Vorlage bei der Bank zu schlecht würde. Ich möchte all diejenigen, die zur Zeit Mittelständlern vorrechnen, daß ihnen die Steuerreform durch die Gegenfinanzierung nicht viel bringe, an die alte Steuerberater- und Bankerweisheit erinnern, nach der eine gute Bilanz immer besser und eine schlechte Bilanz immer schlechter ist. Viel wichtiger als die Einschränkung von Rückstellungen, Sonder- und Teilwertabschreibungen ist unterm Strich, daß den kleinen und mittleren Betrieben nach Steuern mehr verbleibt. ({9}) Die Petersberger Beschlüsse zur Steuerreform sind nach langen Jahren überzogener Steuer- und Abgabenbelastung für die arbeitenden Menschen in Deutschland, egal ob Selbständige oder Arbeitnehmer, ein Hoffnungsschimmer und werden die Wirkung auf dem Arbeitsmarkt nicht verfehlen. Wenn Sie glauben, daß Sie diese Steuerreform verhindern können, weil Sie auf dem Sockel hoher Arbeitslosigkeit eine Wahl gewinnen wollen, dann werden Sie schnell merken, daß die Menschen in Deutschland das eher durchschauen, als Ihnen lieb ist. Schönen Dank. ({10})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege von Larcher.

Detlev Larcher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001290, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wer der SPD Unwahrhaftigkeit, Verlogenheit und Schlimmeres vorwirft, der sollte wenigstens, wenn er hier am Pult steht, selber nicht die Unwahrheit sagen. Deswegen zitiere ich jetzt Herrn Voscherau: Ich warne vor der Illusion, daß die Steuerreform allein die Arbeitslosigkeit verringern wird. Das funktioniert so nicht. Wir brauchen ein großes Sanierungsprogramm. Für die SPD hat die Senkung der Lohnnebenkosten Priorität. Die Sozialkassen sollten um die 57,3 Milliarden Mark entlastet werden, die unstrittig versicherungsfremd sind. Dann könnten wir die Beiträge zum 1. Juli dieses Jahres entsprechend senken. Finanziert werden müßte dies erstens durch einen Einstieg in die ökologische Steuerreform. Zweitens kann der Solidaritätszuschlag dann nicht gesenkt werden. Bleibt noch eine Lücke, muß für die Senkung der Lohnnebenkosten die Mehrwertsteuer erhöht werden. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Zur Erwiderung, Herr Kollege Rauen.

Peter Rauen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001783, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe hier die Pressenotizen: Voscherau: Jeder 2. Millionär zahlt keine Steuern Scharping hat das im Parlament wiederholt. Das war gelogen. Es ist bewiesen, daß dies gelogen war. Es ist unverantwortlich, Neid ins Volk hineinzutragen. Das ist schlecht für die Förderung der Selbständigkeit und für die Schaffung von Arbeitsplätzen. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat jetzt der Kollege Ludwig Eich, SPD.

Ludwig Eich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000446, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Rauen, Sie und Ihre Freunde begreifen einfach nicht, daß es hier um den Grundsatz der Gerechtigkeit geht, der dank Ihrer Politik in diesem Land unter die Räder gekommen ist. Das hat mit Neid überhaupt nichts zu tun. Das ist vielmehr ein Grundsatz, der in einem Sozialstaat einer Volkspartei, die Sie ja noch sein wollen, gut anstände. Die bisherige Diskussion um die sogenannte Steuerreform hat zumindest eines sehr deutlich gemacht: Es besteht Klarheit über die Alternativen; die Unterschiede zwischen den Konzepten sind deutlich. Die Regierung Kohl verspricht, allein in den Jahren 1999 bis 2001 die Steuern um 160 Milliarden DM zu senken, ohne auch nur eine einzige plausible Erklärung dafür zu liefern, wie dieser gewaltige Steuerausfall finanziert werden kann. Ein solcher Vorschlag ist angesichts der Finanzkrise unseres Staates kein Steuerkonzept. Er ist eine Zumutung. Deswegen ist um so verständlicher, daß die Ministerpräsidenten gestern abend beschlossen haben, von der Bundesregierung Auskunft zu fordern, wie sich diese Steuerausfälle auf die Länderhaushalte auswirken. Das wurde auch von Herrn Stoiber und den anderen Ministerpräsidenten der unionsgeführten Länder beschlossen. ({0}) Die erneuten Steuergeschenke, die Herr Waigel machen will, haben die gleiche Adresse wie die Steuergeschenke vom letzten Jahr. Wie bei der Abschaffung der Vermögensteuer sollen auch diesmal die Einkommensmillionäre und Spitzenverdiener mit Zigtausenden und Hunderttausenden Mark reich beschenkt werden. Ich kann gut nachvollziehen, daß angesichts der tiefen sozialen Einschnitte, die diese Bundesregierung zu verantworten hat, und angesichts der großen Steuergeschenke für die Reichen unseres Landes selbst einige Unionsabgeordnete sich fragen, ob sie sich überhaupt noch Volkspartei nennen dürfen. Wer die Vermögensteuer beseitigt, gleichzeitig die Gewerbekapitalsteuer abschaffen will und dann zusätzlich den Spitzensteuersatz für private Einkünfte auf 39 Prozent zu senken bereit ist, hat jedes vernünftige Maß für Verteilungsgerechtigkeit verloren und sollte nicht mehr behaupten, einer Volkspartei anzugehören. ({1}) - Herr Kollege, die „blühenden Landschaften" lassen zwar noch immer auf sich warten, aber zumindest für Vermögende ist die Steuerlandschaft paradiesisch geworden. Sie, meine Damen und Herren von der Union, haben die private Vermögensteuer abgeschafft: Damit haben Sie zu verantworten, daß in der Besteuerungspraxis gegen den Verfassungsgrundsatz der Sozialverpflichtung des Eigentums verstoßen wird. Nicht nur daß Sie unserem Staat in seiner schlimmsten Finanzkrise damit wichtige Einnahmen entziehen, nein, Sie rütteln mit Ihrem Verstoß gegen Art. 14 Abs. 2 des Grundgesetzes sogar an den Fundamenten unseres Sozialstaates. Ich befürchte, Sie nehmen gar nicht wahr, wie sehr Sie damit die Verfassungswirklichkeit unseres Sozialstaates verändern. Politik für das Volk in seiner Gesamtheit ist das jedenfalls nicht. Es ist die Abkehr von wichtigen Normen und Prinzipien einer Volkspartei. ({2}) Politik für das Volk bedeutet heute in erster Linie Politik gegen die Massenarbeitslosigkeit. Auf dieses Ziel muß auch Steuerpolitik zwingend ausgerichtet sein. Steuersenkungen für Arbeitnehmer und Familien fordert deswegen die SPD bereits zum 1. Januar 1998. Wir brauchen mehr Wachstum bei der Konjunktur und auf dem Arbeitsmarkt. Die Union und die F.D.P. planen eine Entlastung der Spitzensteuersätze. Eines ist völlig klar: Dies ist keine Hilfe im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Ich wiederhole und unterstreiche: Die steuerliche Entlastung von Spitzenverdienern ist weder sozial gerecht, noch ist sie eine Hilfe gegen die Arbeitslosigkeit. ({3}) Das Mittel der Steuersenkung gegen die Arbeitslosigkeit hat natürlich nur begrenzten Erfolg. Das Problem der Arbeitslosigkeit ist, daß sie den Abstieg von immer mehr Menschen in Gang setzt. Wenn sich imLudwig Eich mer mehr Menschen auf der Verliererseite befinden, dann frage ich: Wo stehen denn dann die Gewinner? Die Arbeitslosigkeit ist unser zentrales Problem. Der Erfolg oder Nichterfolg im Umgang mit diesem Problem entscheidet über den Bestand unserer Demokratie. Angesichts der existentiellen Bedeutung, Arbeitsplätze für die vielen Millionen arbeitslosen Bürgerinnen und Bürger zu schaffen, ist es zwingend erforderlich, daß diese Regierung endlich auf die Forderung der SPD eingeht, die Abgaben zu senken, um damit Arbeit zu ermöglichen. ({4}) Sagen Sie doch endlich der Öffentlichkeit, ob Sie über das hinaus, was Sie auf Ihrem sogenannten kleinen Parteitag beschlossen haben, dazu bereit sind! Meine Damen und Herren von der Union und der F.D.P.: Es ist Zeit, daß Sie zu den sozialstaatlichen Prinzipien unserer Verfassung zurückkehren. Für die CDU/CSU ist es höchste Zeit, wahrzunehmen, daß sie dabei ist, den Prinzipien einer Volkspartei den Rücken zu kehren. ({5}) Eine Volkspartei muß bereit sein, Arbeitnehmer und Familien steuerlich zu entlasten. Es gehört nicht zu den Prinzipien einer Volkspartei, ständig zu Lasten der Normalverdiener Steuergeschenke an Spitzenverdiener und Vermögende zu machen. ({6}) Eine Volkspartei darf nicht dazu bereit sein, in der größten Finanz- und Schuldenkrise unseres Staates durch große ungedeckte Steuerausfälle die Schuldenprobleme unserer Kinder und Kindeskinder noch dramatischer zu verschärfen. ({7}) Schließlich, verehrte Damen und Herren von CDU und CSU: Eine Volkspartei rüttelt nicht an unserem Verfassungsgrundsatz, daß das Eigentum dem Gemeinwohl zu dienen hat. Die Menschen in unserem Land brauchen Hoffnung und Vertrauen in eine gemeinsame Zukunft. Statt dessen wird jeden Tag die Zukunft für viele Menschen in Frage gestellt. Die sogenannten Sanierer und Rationalisierer beherrschen die Szene, und sie können sich auf die Politik dieser Regierung verlassen. ({8}) Sie, die CDU/CSU, schaffen das Klima und die Voraussetzung für unversteuerte große Gewinne aus Vermögen und gleichzeitig für ungebremsten sozialen Abstieg. Auf eine solche Politik vertrauen die Crommes in unserem Land und leider auch einige Banken. Deshalb leben wir in einer Zeit der „feindlichen Übernahme" und der sozialen Feindseligkeit. Der soziale Friede wird vertrieben, meine Damen und Herren. Die Union muß sich entscheiden, ob sie bereit ist, den sozialen Frieden wiederherzustellen. Für eine Volkspartei, jedenfalls für die SPD, ist dies keine Frage. Es ist Zeit, daß Sie sich entscheiden; Sie müssen sich jetzt entscheiden. Vielen Dank. ({9})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort zu einer Erklärung nach § 30 unserer Geschäftsordnung hat der Kollege Scharping.

Rudolf Scharping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002769, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich mußte leider zum Arzt und konnte nicht hören, was Herr Repnik gesagt hat. Ich möchte aber mit Blick auf das, was mir berichtet wurde, hier feststellen, daß seine Behauptung über ein Telefonat zwischen Herrn Schäuble und mir falsch ist. Ich möchte im übrigen sagen, daß ich diese Art des Umgangs mit einem Telefonat zwischen zwei Menschen, von denen jedenfalls der eine nicht weiß, daß möglicherweise ein Dritter zuhört, für ein sehr bezeichnendes Schlaglicht dafür halte, wie Sie mit solchen Gesprächen in Zukunft umzugehen gedenken. Ich finde, es ist ein unglaublicher Vorgang. Ich stelle fest, daß es in der Sache falsch ist und vom Vorgehen charakterlos war. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 13/7242 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage soll allerdings nicht dem Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau überwiesen werden; das ist insoweit also eine Korrektur. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist offenbar nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Jetzt folgen Abstimmungen; ich bitte das zu beachten. Wir kommen zunächst zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 13/6859 zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu einer durchgreifenden Einkommensteuerreform. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/3874 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Stimmenthaltung von SPD und PDS angenommen. Wir stimmen über die Beschlußempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 13/6859 zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Inkraftsetzung der Einkommensteuerreform zum 1. Januar 1998 ab. Der Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/ 5510 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 13 a bis c auf: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Christa Nickels, Amke Dietert-Scheuer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes nach Artikel 45 c des Grundgesetzes - Drucksache 13/3570 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({0}) Petitionsausschuß Rechtsausschuß b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Christa Nickels, Amke Dietert-Scheuer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({1}) - Drucksache 13/3571 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({2}) Petitionsausschuß Rechtsausschuß c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Christa Nickels, Amke Dietert-Scheuer, Gerald Häfner, Cem Özdemir und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Bürgerbeauftragte des Deutschen Bundestages ({3}) - Drucksache 13/3578 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({4}) Petitionsausschuß Innenausschuß Rechtsausschuß Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen insgesamt 10 Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Christa Nickels, Bündnis 90/Die Grünen.

Christa Nickels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001601, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der Einbringung unserer drei Gesetzentwürfe zu einer Reform des Petitionsrechts betreten wir kein Neuland. Das sind auch keine Entwürfe, die sozusagen allein auf grünem Boden gewachsen sind. Vielmehr sind sie fest verwurzelt in einer langjährigen Debatte zur Reform des Petitionsrechts, die einen ihrer Höhepunkte 1975 hatte, und zwar sowohl hier im Deutschen Bundestag als auch in einigen Bundesländern, damals besonders in Rheinland-Pfalz. Mit der Genehmigung des Präsidenten möchte ich den heutigen Bundeskanzler und damaligen Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz zitieren, der sehr schön einen der wichtigsten Punkte, die wir heute für den Bundestag vorschlagen, damals in Rheinland-Pfalz wie folgt begründet hat - ich zitiere den damaligen Ministerpräsidenten Helmut Kohl -: Der Bürger sieht sich einem Staatsapparat gegenüber, der naturgemäß bürokratisch organisiert ist. Kennzeichnend für eine Bürokratie sind formelle und generelle Regelungen und damit eine hohe Formalisierung von fachmännisch gesteuerten Arbeitsabläufen. Verwaltung vollzieht sich daher in der Regel schriftlich, Probleme werden zu einem Fall, menschliche Schicksale gerinnen zu einer Akte ... Verwaltung orientiert sich daher an Zuständigkeiten, an bestimmten Funktionen, den ihnen entsprechenden Verfahren, an abstrakten und konkreten Anweisungen „von oben". Selbst die örtliche Verwaltung wirkt so für den Bürger als Teil eines größeren, nicht durchschaubaren Systems ... Nicht gewollt ist, wenn immer neue Gesetze, Verordnungen, Erlasse, Verfügungen und Ausführungsbestimmungen die Entfaltungsmöglichkeiten der Menschen in ihren verschiedenen Lebensbereichen und die Dynamik der Wirtschaft zu behindern drohen. Der Bürokratisierung der Verwaltung darf auch nicht eine bürokratische Politik folgen, in welcher die Verwaltung immer mehr die Vorgaben bestimmt. Der Bürger muß in die Lage versetzt werden, das staatliche Handeln zu verstehen. Der Staat darf ihm nicht unpersönlich und fremd gegenüberstehen. Denn von einem Bürger, der sich als Objekt der staatlichen oder kommunalen Verwaltung fühlt, wird man nicht Gemeinsinn und die Verantwortung für das Ganze erwarten können, die Voraussetzungen für einen lebendigen demokratischen Staat sind. ({0}) Die Schaffung des Amtes eines Bürgerbeauftragten mit seiner Doppelfunktion als Hilfsorgan parlamentarischer Kontrolle sowie als persönlich ansprechbare, außerhalb der Exekutive agierende Vermittlungsstelle zwischen Verwaltung und Bürger sollte die parlamentarische Kontrolle verstärken, zugleich das Vertrauen der Bürger in unseren Verwaltungsstaat stärken und damit das Mißtrauen gegenüber der Bürokratie abbauen ... Es ist lange diskutiert worden, fügte der damalige Ministerpräsident weiter hinzu, ob diese Aufgabe nicht auch vom Petitionsausschuß übernommen werden könnte. Als entscheidender Vorteil einer Beauftragten-Lösung wurde angesehen, daß die Aufgabenstellung und das Amt personifiziert werden. Wenn der Anonymität des Verwaltungsapparates entgegengewirkt werden soll, so ist hierfür am besten eine Persönlichkeit geeignet, die das Vertrauen der Bürger besitzt, an die sich der Bürger persönlich wenden kann und die im unmittelbaren Kontakt zu den zuständigen Verwaltungsstellen dem Bürger zu helfen vermag ... Der Bürgerbeauftragte praktiziert damit Bürgernähe in ihrem ursprünglichen Sinn. Ich finde, das hatte damals in Rheinland-Pfalz Gültigkeit und ist heute genauso richtig und wäre wirklich geeignet, umgesetzt zu werden. Sie dürfen also ruhig klatschen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Der damalige Ministerpräsident hat hier nicht nur geredet, er hat gleich Nägel mit Köpfen gemacht und dieses Doppelmodell in Rheinland-Pfalz etabliert. Das System hat jetzt 23 Jahre Erfahrung aufzuweisen. So, wie wir es in unserem Gesetzentwurf zur Einsetzung eines Bürgerbeauftragten des Deutschen Bundestages vorsehen, ist der Bürgerbeauftragte des Landes Rheinland-Pfalz als Hilfsorgan des Parlaments dem bestehenden Petitionsausschuß zugeordnet. Nach mittlerweile 23jähriger Tätigkeit dieser Institution ist die Bilanz eindeutig positiv. Wie mir der jetzige Bürgerbeauftragte Ullrich Galle - es ist übrigens ein ehemaliger sozialdemokratischer Landesminister; hier sind wirklich die Einschätzungen fraktions- und parteiübergreifend ähnlich - auf einer Veranstaltung unserer Fraktion zur Reform des Petitionsrechtes sagte: Das Doppelmodell von Bürgerbeauftragtem und Petitionsausschuß habe sich eindeutig in 23 Jahren bewährt. Von der anfänglichen Angst, daß nun ein Kleinkrieg zwischen Bürgerbeauftragtem und dem Petitionsausschuß ausbrechen könnte, hat sich nichts, aber auch gar nichts bestätigt, im Gegenteil, um es mit den Worten von Ullrich Galle zu sagen: Jeder Erfolg, den der Bürgerbeauftragte erreicht, ist ein Erfolg des Petitionsausschusses, und jeder Erfolg, den der Petitionsausschuß erzielt, ist gleichsam ein Erfolg des Bürgerbeauftragten. Ullrich Galle wünscht sich auf jeden Fall sehr, daß dieses Doppelmodell und unser vorgelegter Gesetzentwurf auch im Deutschen Bundestag Wirklichkeit wird. ({2}) Jetzt kommen immer die Argumente und Einwendungen, für ein kleines Bundesland sei das vielleicht machbar, aber es sei nicht auf den Bund übertragbar. Diejenigen, die diese Einwendungen machen, möchte ich darauf hinweisen, daß seit 1995 auf europäischer Ebene dem Petitionsausschuß des Europäischen Parlaments auf seinen ausdrücklichen eigenen Wunsch ein Bürgerbeauftragter zugeordnet wurde. Diese beiden Institutionen arbeiten seit zwei Jahren im Interesse der Bürgerinnen und Bürger Europas gut zusammen. Wir befinden uns mit unserem Gesetzentwurf zur Bürgerbeauftragten in bester Gesellschaft: Im Auftrag der UNESCO und der Europäischen Union arbeiten zur Zeit 20 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an einem Modell für ein Ombudsmanngesetz. Weltweit ist man bemüht, die Kommunikation zwischen Parlament, Verwaltung und Bürgerinnen durch die Stärkung des Petitionsrechts und die Etablierung von Bürgerbeauftragten zu verbessern. So haben bereits mehr als 70 Staaten die Idee des Ombudsmanns als Hüter von Bürgerinnenrechten und Instrument der Verwaltungskontrolle, zumeist auf gesamtstaatlicher Ebene, aufgegriffen. Die Bundesrepublik Deutschland ist zur Zeit der einzige größere Staat Europas, der auf die Einführung eines personifizierten parlamentarischen Kontrollorgans im Bund und in 13 von 16 Bundesländern verzichtet hat. Nur in Luxemburg und der Tschechischen Republik gibt es ebenfalls keine Bürgerbeauftragten.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Frau Kollegin Nickels?

Christa Nickels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001601, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wenn es nicht auf die Zeit angerechnet wird, ja.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Es wird nicht angerechnet. - Bitte schön.

Frederick Schulze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002793, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Nickels, ich habe mich sehr wohl mit Ihrem Gesetzentwurf befaßt, in dem Sie als Lösung ansprechen: Zur Stärkung und bürgernahen Gestaltung des Petitionsrechts wird vom Deutschen Bundestag eine Bürgerbeauftragte eingesetzt, die als Hilfsorgan des Parlaments dem Petitionsausschuß zugeordnet ist. Sie haben richtigerweise angesprochen, daß das in Rheinland-Pfalz so der Fall ist. Aber was in Rheinland-Pfalz richtig sein kann, muß nicht für die ganze Republik gelten.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Eine Frage, bitte.

Frederick Schulze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002793, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme gleich zu der Frage.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Sie müssen jetzt zur Frage kommen. Die Frage soll kurz und bündig sein.

Frederick Schulze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002793, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Stimmen Sie mir zu, daß Ihr Gesetzestext eine gewisse Geschlechtsneutralität vermissen läßt? Es wird durchgängig nur von der Bürgerbeauftragten gesprochen. Ich halte dies nicht für sehr glücklich. Ich meine, es hat sich auch bewährt, daß wir keine Überinstanz neben dem Petitionsausschuß haben. Frederick Schulze ({0}) Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie darauf noch eingehen könnten.

Christa Nickels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001601, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das sind zwei Fragen. Die möchte ich gern beantworten. Das erste haben Sie zu Recht bemerkt. Da ich diesen Gesetzentwurf erarbeitet und auch lange Jahre im Rechtsausschuß gearbeitet habe und mich wirklich über die Diskriminierung von Frauen in der Rechts- und Verwaltungssprache immer geärgert habe, habe ich mir diesmal das Vergnügen bereitet, die einseitig weibliche Form zu benutzen, bei der selbstverständlich auch die Männer mit gemeint sind. ({0}) Es steht auch ausdrücklich darin: Bürgerbeauftragte im Sinne des Gesetzes ist ein weiblicher oder ein männlicher Amtsinhaber. Das wird Sie vielleicht trösten, Herr Kollege Schulze. Zu Ihrer zweiten Frage, ob das eine Überinstanz sein solle: Nein, es soll keine Überinstanz sein. Sie als engagiertes Mitglied im Petitionsausschuß wissen selber, daß alles, was wir bearbeiten, im Ausschußdienst des Deutschen Bundestages gründlich vorbereitet werden muß. Dieser Dienst wird nicht von jemand politisch Gewähltem geleitet, sondern von einer hohen Verwaltungsbeamtin. Ich wünsche mir - das ist dem Gesetzentwurf auch eindeutig zu entnehmen -, daß die Bürgerbeauftragte oder der Bürgerbeauftragte als gewählter Vertreter bzw. Beauftragter des ganzen Parlaments die Unterabteilung „Petitionen" leitet und auch verantwortet, was dort geschieht. Sie brauchen also ganz wenig neue Stellen und haben überhaupt keine überbordende Instanz, sondern quasi eine Parallelinstitution, die uns Petitionsausschußmitgliedern die Arbeit wesentlich erleichtern und uns sehr helfen wird, noch effektiver zu arbeiten, als wir es jetzt schon tun. ({1}) Meine weiteren Ausführungen fügen sich sehr gut an die Ängste an, die Herr Kollege Schulze geäußert hat. Es geht uns absolut nicht darum, hier sozusagen eine Überinstanz zu konstruieren, die es auch in der Realität so gar nicht geben kann. Im Gegenteil: Wir wollen das Petitionsrecht stärken. Die wesentlichen Vorteile, die durch die Bürgerbeauftragte hinzukommen können, was wir als Petitionsausschuß, der viel kann, leider nicht können, sind folgende: Erstens wird durch eine Bürgerbeauftragte die Verwaltungskontrolle personalisiert. Ansprechpartner für die Bürgerinnen und Bürger ist eine klar identifizierbare Persönlichkeit, ein Mensch und kein anonymes Gremium, ({2}) das zwar aus 32 engagierten Abgeordneten besteht, die aber die Leute, die auf uns angewiesen sind, nicht alle kennen können, Herr Nolting. Das muß ich bei allem Respekt vor unserer Arbeit sagen. Zweitens wird die Verwaltungskontrolle professionalisiert, weil die Bürgerbeauftragte diese Tätigkeit hauptamtlich versieht. Wir aber sind bei allergrößtem Engagement Abgeordnete, die Wahlkreise zu betreuen haben und in den Fachausschüssen sowie in den Fraktionen tätig sein müssen. Wir können nicht den ganzen Arbeitstag den Bürgeranliegen widmen. Eine Bürgerbeauftragte ist dazu gewählt, hat nichts anderes zu tun und kann damit die Arbeit wesentlich stärken. Drittens kann eine Bürgerbeauftragte durch ihre Unabhängigkeit, ihre parteipolitische Neutralität - sie darf keiner parteipolitischen Tätigkeit nachgehen, und sie darf für die Zeit ihrer Wahl keiner anderen Institution angehören -, ihre Autorität und Flexibilität wirklich etwas hinzufügen, was wir als Petitionsausschuß nicht können. Zu der Angst vor einer Superbehörde habe ich in der Antwort auf die Frage von Frederick Schulze schon das Nötige gesagt. Es wäre keine Superbehörde, auch keine Aufblähung des Verwaltungsapparats. Hier wäre eine Effektivierung und Stärkung des Petitionsrechts mit vergleichsweise sehr geringen zusätzlichen finanziellen Mitteln zu machen. Es würde überhaupt keine größeren verwaltungstechnischen Überlegungen brauchen, um das durchzuführen. Es ginge relativ einfach, wenn man sich darauf verständigen könnte. Der nächste und letzte Punkt, der vielleicht auch Ihnen, Herr Kollege Schulze, wichtig ist. Ich selber als Vorsitzende des Petitionsausschusses und als eine, die sechs Jahre Obfrau war, weiß, daß der Petitionsausschuß andererseits Dinge tun kann, die ein Bürgerbeauftragter alleine nicht kann. Wir sind die unmittelbare Schleuse der Bürgerbegehren ins Parlament. Wir können diese Anliegen direkt in den Fachausschüssen einbringen und im Plenum debattieren. Das alles kann eine Beauftragte nicht. Deshalb haben wir zwei weitere Gesetzentwürfe vorgelegt, die die Gleichstellung von Bitten und Beschwerden vorsehen und den Schutz der Ausschußminderheit gewähren sollen. Wenn Sie einmal die Protokolle des Rechtsausschusses und des GO-Ausschusses des Deutschen Bundestages von 1975 lesen, werden Sie sehen, daß sich der Rechtsausschuß in den Beratungen damals mehrheitlich dafür ausgesprochen hat, daß die umfangreichen Informationsmöglichkeiten, die unser Petitionsausschuß bei Einzelbeschwerden hat, auch für die Bitten zur Gesetzgebung vorgesehen werden. Das ist hier im Hause, damals unter sozialdemokratischer Regierungsmehrheit, leider unterlegen. Ich hoffe, daß wir in den Ausschüssen noch spannende Debatten haben werden. Ich würde Sie wirklich sehr bitten, nicht mit einer geschichtslosen parteipolitischen Brille direkt alles abzubürsten, sondern vielleicht auch einmal die Geschichte des Petitionsrechtes zu verfolgen und zu überlegen, ob uns allen und vor allem den Bürgerinnen und Bürgern das nicht sehr hilfreich wäre. Danke schön. ({3})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Norbert Röttgen, CDU/CSU.

Dr. Norbert Röttgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bevor ich auf die Vorschläge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eingehe, möchte ich zunächst einige Feststellungen zur Lage des Petitionsrechts in Deutschland abgeben, weil wir der Auffassung sind, daß sich das Petitionsrecht des Grundgesetzes in den vergangenen 48 Jahren außerordentlich bewährt hat. Das verdient hervorgehoben zu werden, bevor wir nun einzelne Punkte kritisieren. ({0}) Das Petitionsrecht genießt die höchste rechtliche Anerkennung in unserem Land. Das Recht, sich mit Bitten und Beschwerden an die Volksvertretung zu wenden, ist ein Grundrecht der Bürger in Art. 17 des Grundgesetzes. Der Petitionsausschuß ist institutionell im Grundgesetz abgesichert. Er ist ein Pflichtausschuß des Bundestages, und er ist mit besonderen Befugnissen, die ihn von anderen Ausschüssen abheben, ausgestattet. Das heißt, wir haben eine grundrechtliche und institutionelle Absicherung des Petitionsrechtes im Grundgesetz. Das Petitionsrecht wird vom Parlament in der parlamentarischen Praxis ernst genommen und gut bewältigt. Es erfreut sich einer hohen Wertschätzung in unserem Land. ({1}) 20 000 Petitionen im Jahr sind ein Zeugnis für die hohe Wertschätzung des Petitionsrechts in unserem Land. Kollegin Nickels, wenn es in der Begründung eines Gesetzentwurfes heißt, daß die hohe Zahl der Petitionen auch ein Zeichen eines gestörten Verhältnisses zwischen Bevölkerung, Politik und Verwaltung sei, dann kann ich das wirklich überhaupt nicht verstehen. ({2}) Wenn die Bürger von ihren Grundrechten Gebrauch machen, ist das ein Zeugnis des Funktionierens unseres Staates und nicht eines gestörten Verhältnisses. Das ist jedenfalls unser demokratisches Verständnis, daß Grundrechte dafür da sind, daß die Bürger davon Gebrauch machen und wir es ihnen nicht vorwerfen. Ich will eine weitere Vorbemerkung machen: Die Vorschläge der Grünen - Sie haben darauf hingewiesen - haben einen langen Bart; es sind sehr alte und nicht sehr originelle Vorschläge. Sie werden seit Jahrzehnten, seit den 60er Jahren, diskutiert. Ein Höhepunkt war die Diskussion in der EnqueteKommission Verfassungsreform in den 70er Jahren. Dort sind alle diese Vorschläge diskutiert und abgelehnt worden. Der Bundestag hat sich damals mit einer anderen politischen Mehrheit dafür entschieden, für ein starkes demokratisches Petitionsrecht einzutreten und diese Vorschläge abzulehnen. Die Gründe von damals gelten auch heute noch. Auch heute wollen wir ein effektives parlamentarisches Petitionsrecht. ({3}) Eine weitere Bemerkung: Wenn man das Petitionsrecht aus der Sicht der Bürger richtig erfassen will, muß man es im Zusammenhang mit den anderen Rechtsschutzmöglichkeiten sehen, die der Bürger in unserem Land hat. Es gibt sozusagen drei Stufen der Kontrolle: zunächst die verwaltungsinterne Kontrolle des eigenen Handelns, dann der gerichtliche Rechtsschutz. Wir haben in unserem Land ein lückenloses System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes des Bürgers gegen staatliches Handeln, gestärkt durch die Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes in Art. 19 Abs. 4. Als dritte Stufe gibt es die parlamentarischpolitische Kontrolle. Insgesamt haben wir jetzt in der Bundesrepublik Deutschland ein lückenloses System des Rechtsschutzes des einzelnen gegenüber dem Handeln des Staates und der Verwaltung. Das ist eine exzellente Situation, die es verdient, in einer solchen Debatte betont und gewürdigt zu werden. ({4}) Nun aber zu den Änderungsvorschlägen, die Sie gegen diese gute Situation vorbringen. Sie wollen neben dem Petitionsausschuß das Amt eines Bürgerbeauftragten einrichten, ({5}) der gleichzeitig Leiter der entsprechenden Unterabteilung in der Bundestagsverwaltung sein soll. Alle Eingaben - jetzt sind es 20 000 im Jahr -, die die Bürger auch unmittelbar an den Deutschen Bundestag adressieren, sollen nicht mehr zunächst in den Bundestag gelangen, sondern zum Bürgerbeauftragten. Entgegen diesem Vorschlag heißt es in Art. 17 des Grundgesetzes: Jedermann hat das Recht, sich ... mit Bitten oder Beschwerden ... an die Volksvertretung zu wenden. Dieses Grundrecht entspricht auch unserer Auffassung von der demokratischen Ausgestaltung des Petitionsrechts. Wir wollen, daß auch in Zukunft die Bürger das Recht haben, sich unmittelbar an den Bundestag zu wenden. ({6}) Wir wollen nicht, daß Bürokratie und Beamte dazwischengeschoben werden. Das ist unsere Vorstellung eines demokratischen Petitionsrechts: Die Bürger sollen sich unmittelbar an das Parlament wenden können, weil sie dies wollen. Dieses Recht wollen wir ihnen entgegen Ihrem Vorschlag nicht nehmen. ({7}) Ihre Vorstellung, daß nicht der Bundestag über solche Petitionen entscheiden soll, sondern eine Einzelperson, wirft auch Fragen der demokratischen Legitimation, des Demokratieverständnisses auf. Wer soll eigentlich mit Petitionen und den politischen Fragen, die dadurch aufgeworfen werden, befaßt werden? Petitionen bewegen sich nicht im wertneutralen Raum. Wer Petitionen ernst nimmt, muß ihnen auch die Funktion einräumen, auf den politischen Willensbildungsprozeß einzugehen. Ihre Bürgerbeauftragte soll weitreichende Befugnisse haben. Wir sind der Auffassung, daß Ihre Vorstellung, daß eine Einzelperson, die gute Vater- oder die gute Mutterfigur, für Harmonie sorgen soll, im Grunde eine sehr undemokratische, eine sehr altertümliche Vorstellung ist. Zur Entscheidung in einer repräsentativen Demokratie sollte nicht eine Einzelperson, sondern das Parlament zuständig sein. Insofern ist das unter dem Gesichtspunkt der demokratischen Legitimation ein zurückzuweisender Vorschlag, ein Rückschritt im Sinne eines demokratischen Petitionsrechtes. Weil wir auch nach der Debatte in der EnqueteKommission Verfassungsreform der 70er Jahre für ein starkes demokratisch-parlamentarisches Petitionsrecht sind, halten wir Ihren Vorschlag für einen eindeutigen Rückschritt. Für Rückschritte sind wir natürlich nicht zu haben. Deswegen lehnen wir diesen Vorschlag ab. ({8}) Sie machen einen weiteren Vorschlag, der beinhaltet, das Grundgesetz und auch das einfache Recht im Hinblick auf die Befugnisse des Petitionsausschusses zu ändern. Petitionen umfassen Bitten und Beschwerden der Bürger. Bitten sind allgemeine Wünsche, Anregungen politischer Art an den Bundestag, gesetzgeberisch oder politisch zu handeln. Beschwerden dagegen zielen auf Abhilfe in einem konkreten Fall, in dem sich der Bürger oder die Bürgerin beschwert fühlt. Nur im Hinblick auf die Beschwerden, die Bürger vortragen, sind nach jetzigem Recht im Grundgesetz und auch im einfachen Recht dem Petitionsausschuß besondere Befugnisse eingeräumt: Aktenvorlage zu verlangen, Auskunft einzufordern, Zutritt zu Einrichtungen zu haben. Es handelt sich also um klassische Untersuchungsrechte. Diese sind allein auf Beschwerden bezogen, nicht aber auf Bitten. Sie wollen diese Befugnisse auch auf die Bitten ausdehnen. Wir halten das für falsch; denn dem Sinn nach sind solche Untersuchungsbefugnisse des Petitionsausschusses nur gerechtfertigt, wenn es um die Untersuchungsfunktion des Petitionsausschusses geht. Es macht keinen Sinn, Aktenvorlage bei allgemeinen politischen Diskussionen zu verlangen. Wenn sich ein Bürger dagegen wehrt, daß er entgegen rechtlichen Bestimmungen zur Bundeswehr eingezogen wird, dann macht es Sinn, mit dem zuständigen Kreiswehrersatzamt zu reden und Aktenvorlage zu verlangen. Wenn ein Bürger bittet, die Bundeswehr abzuschaffen, dann machen Aktenvorlagen und Zutrittsrechte keinen Sinn. Das sind dann allgemeine politische Diskussionen. Darum ist es sozusagen auch systematisch verfehlt, dies auszuweiten. Es gibt aber noch einen zweiten Gesichtspunkt. Nach Ihrem Vorschlag würde der Petitionsausschuß eine Generalkompetenz haben, der auch mit Minderheitenrechten ausgestattet würde. Er wäre für jedes politische Thema zuständig. Auch das ist nicht unsere Auffassung. Wir sind der Auffassung, daß über Fragen der Finanzpolitik auch in Zukunft im Finanzausschuß federführend beraten wird, ({9}) die Rechtspolitik im Rechtsausschuß. Nach diesen Vorstellungen wäre der Petitionsausschuß für alles zuständig. ({10}) Er würde über jedes Thema verhandeln und ein allgemeiner Gesetzgebungsausschuß werden. Der Vorschlag, den Sie dort machen, ergibt doch wirklich keinen guten Sinn. ({11}) Auch der Vorschlag, dem Petitionsausschuß ein Minderheitenrecht einzugeben, ist nicht berechtigt. Parlamentarische Minderheitenrechte, das heißt, der Minderheit im Ausschuß solche Rechte einzuräumen, sind dort gerechtfertigt und existieren auch dort, wo es darum geht, eigene Rechte und eigene Interessen von Teilen und Minderheiten des Parlamentes zu begründen und zu schützen. Bürgeranliegen sind aber nicht per Definition Oppositionsanliegen, sondern der Bürger wendet sich an das gesamte Parlament. Das Parlament entscheidet so, wie es in der Zusammensetzung durch die Wahl legitimiert ist. Insofern sind systematisch Minderheitenrechte hier nicht gerechtfertigt. Ich will aber im Grunde noch entscheidender entgegenhalten: Wir sind der Auffassung, daß es auch dem Petitionsrecht und dem Petitionsanliegen der Bürger nicht gut täte, wenn die jeweilige Opposition meint, Bürgeranliegen für ihre parteipolitischen Zwecke und Absichten instrumentalisieren zu müssen. Wir sollten, soweit es geht, Petitionsanliegen nicht in den parteipolitischen Meinungskampf zerren, sondern uns um Individualanliegen kümmern. ({12}) Auch die Opposition im Bundestag hat jederzeit die Möglichkeit, sich Petitionsanliegen zu eigen zu machen und sie dann als eigene Anliegen im Parlament zu verfolgen. Aber wir sind dafür, daß sie das dann auch unter ihrem Namen tun und nicht unter dem Deckmantel von Bürgerinteressen, parteipolitische Absichten verfolgen. Wir sind dagegen, egal, wer jeweils Opposition ist. Insgesamt kann man zu den Vorschlägen nur sagen: Es sind alte Vorschläge. Sie zielen auf eine Schwächung des starken Petitionsrechtes und des Petitionsausschusses im Bundestag ab. Wir sind nach wie vor dafür, daß es ein starkes demokratisch ausgestaltetes Petitionsrecht in Deutschland gibt. Darum lehnen wir diese Vorschläge ab. Ich denke, dies geschieht auch mit anderen Fraktionen, also der Mehrheit des Hauses. Herzlichen Dank. ({13})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Der Kollege Häfner hat sich zu einer Kurzintervention gemeldet. Ich lasse sie zu, mache aber folgende geschäftsleitende Bemerkung. Wir liegen in der Tagesordnung um nahezu eine dreiviertel Stunde zurück. Wir werden die Aktuelle Stunde voraussichtlich gegen 2 Uhr, schätze ich einmal, erwarten. Jeder weiß, was das bedeutet. Deshalb werde ich ab sofort - ich sage das jetzt - bei der Zulassung von Kurzinterventionen zurückhaltend sein. Ich bitte Sie, Herr Kollege Häfner, sich sehr präzise an die Zeitvorgabe zu halten und sie, wenn es geht, zu unterschreiten.

Gerald Häfner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000775, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Herr Kollege Röttgen, ich habe mich deshalb zu einer Kurzintervention gemeldet, weil ich aus unseren Gesprächen immer den Eindruck hatte, daß man sich doch in wichtigen Dingen gut verständigen kann. Ich konnte es im Grunde im Moment kaum fassen, daß entweder die Kenntnis des vorliegenden Antrags so gering ist oder wir doch so gezielt aneinander vorbeireden. Sie haben deutlich gesagt, wir wollten dem Bürger den Weg zum Petitionsausschuß nehmen und wir wollten dem Bürger das Petitionsrecht nehmen. Wenn Sie den Antrag lesen, dann werden Sie finden, daß es um das Gegenteil geht. Es geht um eine Ausweitung der Möglichkeiten des Petitionsrechts. Ich will Ihnen noch einmal deutlich sagen, weil mir das wichtig erscheint - das sollte nicht Gegenstand eines parteipolitischen Hickhacks werden -: Hier geht es darum, wie wir den Bürgern helfen können. 20 000 Petitionen im Jahr sind nicht nur ein Beweis für Vertrauen, sondern auch für viele Mißstände und für viel Bedarf an Hilfe und Beratung. Ich wohne in einem südlichen Bundesland, wo man das österreichische Fernsehen empfangen kann. Ich gucke mir jede Woche, wenn ich kann, mit großem Gewinn die halbstündige Sendung an, in der der österreichische Volksanwalt im Fernsehen über aktuelle Fälle berichtet. Genau das ist der Unterschied. Es werden nicht nur in einem parlamentarischen Verfahren, was ja richtig ist, Petitionen bearbeitet, sondern hier kann Bürgern unmittelbar geholfen werden, indem die Beteiligten an einen Tisch geholt werden. Es werden Vertreter von Firmen oder von Behörden in die Sendung hineingenommen, und dann wird versucht, eine Lösung für diese Fälle zu finden. Das ist eine außerordentlich sinnvolle Einrichtung. Es gibt in Rheinland-Pfalz einen Bürgerbeauftragten. Von Ihrem Wahlkreis aus können Sie RheinlandPfalz in wenigen Minuten erreichen. Reden Sie einmal mit ihm, und sagen Sie doch nicht, das sei eine vordemokratische Einrichtung. Die Idee des Ombudsmannes ist in Demokratien entstanden, die eine viel längere Erfahrung mit dem demokratischen System haben als wir in Deutschland. Ich möchte Sie ganz herzlich bitten - damit möchte ich meine Kurzintervention beschließen -, dieses Thema doch nicht zum Gegenstand eines so platten parteipolitischen Hickhacks zu machen, sondern wirklich nachzudenken - es geht um die Interessen und die Belange der Menschen -, was wir tun können, um den Bürgern mehr zu helfen. Ich glaube, mit diesem Entwurf ist ein ganz wesentlicher Beitrag hierfür geleistet. Ich bitte Sie, sich das noch einmal anzuschauen, die Vorurteile über Bord zu werfen, so daß wir dann vielleicht doch noch zu einer guten gemeinsamen Lösung kommen. Danke. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Bernd Reuter, SPD.

Bernd Reuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist eine Freude, wenn man in diesen aufgeregten Zeiten einmal etwas sagen darf, was sicher die Zustimmung des ganzen Hauses finden kann. Diese Freude will ich Ihnen und mir auch machen, indem ich feststelle, daß es doch unser aller Ziel ist, die Probleme, Anliegen, Beschwerden und Bitten der Bürgerinnen und Bürger ernst zu nehmen und dafür zu sorgen, daß ein Höchstmaß an „Gerechtigkeit gegen jedermann" geübt wird. ({0}) Weder unsere Verfassung noch unser Parlamentsrecht in Form der Geschäftsordnung oder dem Gesetz über die Befugnisse des Petitionsausschusses sind aus meiner Sicht starre Gebilde, die für alle Zeiten den Stein der Weisen darstellen. Von Zeit zu Zeit müssen wir Institutionen und Regelungen auf ihre Wirksamkeit und ihre Sinnhaftigkeit überprüfen. Dabei kann uns nicht der Grundsatz leiten, der meines Erachtens bei der Überarbeitung des Grundgesetzes nach der deutschen Einheit gegolten hat, nämlich daß nur unsere eigenen Erfahrungen und Regeln den Maßstab der Dinge darstellen. Wir müssen vielmehr von der Bestrebung geleitet werden, unserem Ziel näherzukommen, die Menschen in unserem Land besser an politischen Entscheidungen zu beteiligen. Nur, Frau Nickels, wenn Sie in der Begründung Ihres Antrags auf den Bundeskanzler Helmut Kohl Bezug nehmen, wenn eine grüne Politikerin, die sonst den Kanzler sehr kritisiert, das macht, dann klingeln bei mir alle Alarmglocken. ({1}) - Ich bin noch nicht einmal sicher, ob Helmut Kohl damals Mitglied in einem Petitionsausschuß war, als er solche Ausführungen machte. Wenn Herr Röttgen hier ausführt, daß man das nicht zu parteipolitischen Zwecken mißbrauchen soll, dann ist das ebenfalls richtig. Nur muß man sich dann auch an die eigene Nase fassen und muß sich fragen: Wie war das denn eigentlich mit dem Truppenübungsplatz Vogelsang? Das sei nur als Gedächtnisstütze erwähnt. Jeder kehre vor seiner eigenen Haustür. Dann wird alles viel besser. In den Anträgen der Bündnisgrünen sind zwei wesentliche Anliegen enthalten. Es geht um die Minderheitenrechte und um die Aufnahme der Bitten in das Gesetz nach Art. 45c. Ich bin nicht so rigide wie Herr Röttgen und weise das nicht zurück, weil ich schon der Meinung bin, daß in dem Befugnisgesetz einiges geändert werden könnte. Wir machen ja nichts Falsches, wenn wir dort nicht nur die Beschwerden, sondern auch die Bitten aufnehmen und dem Petitionsausschuß mehr Rechte in bezug auf Gesetzgebungsverfahren verschaffen. Wir brauchen das nicht auszuschöpfen. Dann machen wir ja nichts falsch. Ich weiß auch nicht, warum 1975 die Bitten nicht in das Gesetz hineingenommen wurden. Ich weiß nicht, ob das einen tieferen Sinn hatte oder ob es nur ein Fehler war. In ihrem Gesetzentwurf bitten und werben die Bündnisgrünen darum, eine geschlechtsneutrale Bezeichnung einzuführen. Liebe Frau Nickels, ich frage mich allen Ernstes: Warum verwenden Sie, wenn Sie eine geschlechtsneutrale Bezeichnung wollen, in dem Gesetzentwurf nur die weibliche Form? ({2}) Ich bin gern bereit, mit Ihnen gemeinsam für Ihren Vorschlag zu werben. Ich habe auch nichts dagegen, wenn von „einer Bürgerbeauftragten" die Rede ist; denn ich weiß, daß Frauen manchmal mehr Sensibilität aufbringen, wenn es um die Probleme der Menschen geht. ({3}) Ihrem Vorschlag will ich also gern folgen. Wenn man in einem Gesetz konsequent etwas ändern will, muß man das aus meiner Sicht dann allerdings auch in anderen Bereichen machen. ({4}) - Das Petitionsausschuß, Herr Kollege Schulze. Das wäre natürlich auch ein Instrument, das zu großen Lacherfolgen führen würde. ({5}) Ich will dafür werben, daß wir gemeinsam überlegen, wie wir die Bürgerinnen und Bürger noch mehr an Willensbildungsprozessen in der Politik beteiligen können. Die Menschen können alle vier Jahre einmal wählen. Das einzige Grundrecht, das ihnen geblieben ist, ist Art. 17, nämlich sich unmittelbar an den Deutschen Bundestag zu wenden. Wenn innerhalb eines Jahres 20 000 Petitionen eingehen, ist das so, so meine ich, ein Indiz dafür, daß das mit der Politikverdrossenheit nicht immer stimmt, daß die Menschen noch eine Hoffnung in die Regelungsfähigkeit der Politik haben. ({6}) Deshalb schlage ich vor, Petitionen mehr als Stimmungsbarometer und auch als Ideenpool für unsere Politik zu nutzen. Hier liegen doch eigentlich die Defizite. Wie viele Petitionen geben wir etwa an die Fraktionen mit der Bitte, etwas zu tun? Wenn wir nach einem Jahr Bilanz ziehen, stellen wir fest, daß all diese Unterlagen irgendwo liegen, daß aber keine konkrete Änderung der Politik folgt. Auch habe ich mir sehr aufmerksam Ihren Vorschlag angesehen, eine Bürgerbeauftragte einzuführen. Ich habe die Begründungen dazu gelesen. Die berühren mich etwas merkwürdig. Meiner Ansicht nach wird der Petitionsausschuß in den Begründungen zum Gesetzentwurf der Bündnisgrünen etwas schlecht behandelt. ({7}) Es wird der Eindruck vermittelt, als sei der Petitionsausschuß ein Gremium, das nicht in der Lage ist, die Probleme, die an es herangetragen werden, zu lösen. Da heißt es zum Beispiel: Mit der im vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehenen Einführung der Bürgerbeauftragten wird dem Parlament und dem Petitionsausschuß ein Instrumentarium an die Hand gegeben, mit dem sie flexibel, unkonventionell und schnell auf konkrete Verwerfungen und Hemmnisse im Gesetzes- und Verwaltungsvollzug reagieren können. Ich stelle nur fest, Frau Nickels, daß der Gesetzesvollzug meist gar nicht auf Bundesebene stattfindet, sondern auf Länderebene, auf Ebene der Kommunen. Der Kollege Röttgen hat zu Recht darauf hingewiesen, daß wir wie kein anderes Land eine gegliederte Gerichtsbarkeit haben. Darauf sollte man auch in dieser Debatte hinweisen. Sie schreiben, daß in „mehr als 50 Staaten ... die Idee des Ombudsmanns als Instrument der Verwaltungskontrolle, zumeist auf gesamtstaatlicher Ebene, aufgegriffen " wurde. ({8}) Durch meine Teilnahme an internationalen Konferenzen kenne ich Ombudsleute, die im Grunde genommen ein ferngesteuertes Instrument der Regierung sind. ({9}) Von dem Ombudsmann von Nigeria, der erklärt, was er alles gemacht hat, weiß doch jeder Eingeweihte, daß er in seinen Entscheidungen überhaupt nicht frei ist. In anderen Ländern gibt es andere historische Entwicklungen. Deshalb hat das Europäische Parlament eine solche Regelung getroffen, allerdings ganz eng auf europäisches Recht beschränkt. Ich kann einfach nicht nachvollziehen, daß die Arbeit des Petitionsausschusses qualitativ besser werden könnte, wenn das jetzt eine Bürgerbeauftragte macht. Ich nenne andere Beispiele aus der Begründung. Wir überweisen viele Petitionen nach § 109 an die Ausschüsse mit der Maßgabe, daß die Fachausschüsse dann, wenn eine Petition ein Thema beinhaltet, das in den Fachausschüssen beraten wird, eine Stellungnahme abgeben. In der Begründung steht nun, daß eine Bürgerbeauftragte an den Sitzungen teilnimmt, Einfluß geltend macht und der Fachausschuß dadurch eine bessere Antwort gibt. Ich kann dem nicht folgen. Ich bin der Meinung, daß wir die Befugnisse des Ausschusses überdenken sollten, auch das Selbstaufgriffsrecht. ({10}) Wenn wir das nicht haben, es aber brauchen, was mir gefiele, dann sollten wir uns doch verständigen, ob wir es nicht einführen, ({11}) anstatt eine andere Konstruktion zu suchen. Es gibt also eine Vielzahl von Gründen. Sie stimmen mich deshalb ärgerlich, weil ich zwar in den Diskussionen über den Jahresbericht des Petitionsausschusses immer wieder höre, wie gut, wie sinnvoll, wie wichtig die Arbeit des Petitionsausschusses ist, aber in der Begründung zu diesem Entwurf immer wieder darauf hingewiesen wird, daß der Petitionsausschuß das alles nicht leisten kann. Besonders ärgert es mich, Frau Nickels, daß dort steht, der Petitionsausschuß müsse langwierige Rückfragen stellen, und dies sei nachteilig, wenn eine schnelle Reaktion auf Behördenhandeln nötig ist. Über die Mitglieder des Petitionsausschusses heißt es dann noch in der Begründung, es handele sich meistens um Abgeordnete, die dort im Ausschuß als Abgeordnetenlehrlinge beginnen ({12}) und noch mit anderen Arbeiten überhäuft seien. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Fast alle Mitglieder der Regierung Kohl waren irgendwann einmal Mitglied im Petitionsausschuß. Bei denjenigen, die nicht dabei waren, merkt man es an ihrer Arbeit, daß ein Defizit vorhanden ist. ({13}) Meiner Meinung nach sollten solche Gründe nicht dafür herhalten müssen, das Amt einer Bürgerbeauftragten einzuführen. Aber ich habe meine Meinungsbildung nicht abgeschlossen. Ich will gerne mit mir darüber diskutieren lassen, wie es gelingen kann, das alles zu verbessern. Aber dann sollte man einmal überdenken, ob diese Begründung so im Raume stehenbleiben kann. Ich lese da auch etwas heraus, was von Ihnen sicher nicht beabsichtigt ist, nämlich eine Antihaltung gegenüber dem Parlament. ({14}) Es scheint immer so, als sei eine Einzelperson in der Lage, das alles viel besser zu machen. Ich neige dazu, demgegenüber festzustellen, daß der Petitionsausschuß in der Vergangenheit hervorragende Arbeit geleistet hat.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Reuter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Nickels?

Bernd Reuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Bitte.

Christa Nickels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001601, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Reuter, nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß ich wirklich eine glühende Verfechterin des Petitionsausschusses bin, mit allen seinen Möglichkeiten. Nur, wenn ich unsere Möglichkeiten noch stärken will durch zusätzliche Elemente, dann ist es doch folgerichtig, daß in der Begründung die Gründe für die Aufnahme zusätzlicher Elemente deutlich werden.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frage, Frau Kollegin!

Christa Nickels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001601, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine Frage ist: Können Sie mir zustimmen, daß es, wenn man etwas additiv will, nicht geht, die Vorzüge des schon Bestehenden herauszukehren und die Begründung für die Notwendigkeit des Neuen zu unterlassen?

Bernd Reuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Nickels, es ist ja ehrenwert, wenn Sie sich bemühen, Instrumente zu suchen, um unsere Arbeit noch zu verbessern. Aber die von Ihnen gewählte Konstruktion könnte dazu führen, daß der Petitionsausschußdienst in die Mühlsteine zwischen der Bürgerbeauftragten und dem Ausschuß gerät. Sie argumentieren, die Neuerung könnte zu effektiverer Arbeit führen und dazu, daß man den Leuten schneller helfen kann. Diese Vorteile könnten durch die Reibungsverluste, die dann entstehen würden, wieder aufgezehrt werden. Deshalb müßten wir noch einmal darüber nachdenken, ob die angedachte Konzeption realistisch und durchführbar ist. Ich will auch noch einmal auf den Vorwurf der Anonymität des Ausschusses eingehen. Sie sagen, man könne die Bürger viel besser davon überzeugen, daß ihre Probleme gelöst werden, wenn man ihnen einen Menschen leibhaftig gegenüberstellt. Sie haben es doch in der Kürze der Zeit, seit Sie Vorsitzende sind, erreicht, ihren Bekanntheitsgrad und den des Ausschusses zu erhöhen. Dies führt Ihre eigenen Argumente doch eigentlich ad absurdum. Wenn man in diese Richtung Verbesserungen durchsetzen will, dann muß man vielleicht auch dafür sorgen, daß in den Informationsmaterialien, die der Ausschuß herausgibt, auch andere Mitglieder des Ausschusses mehr in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt werden. Zum Schluß will ich sagen: Wir sollten vorbehaltlos und in aller Ruhe diesen Gesetzentwurf über die Bürgerbeauftragte und die Änderung des Befugnisgesetzes prüfen und im konstruktiven Gespräch, so wie es bei uns im Petitionsausschuß üblich ist, überlegen, wie wir unser Petitionsrecht weiterentwickeln könnten. Ich hoffe, daß wir am Ende unserer Beratungen dann zu einem Ergebnis kommen, das zu einer größeren Akzeptanz unserer parlamentarischen Demokratie und zu mehr Transparenz führt sowie den Bürgerinnen und Bürgern mehr Möglichkeiten der Einflußnahme auf den politischen Entscheidungsprozeß gibt. In diesem Sinne können wir, so glaube ich, mit unserer bisherigen Arbeit zufrieden sein. Frau Nickels, schenken Sie mir zum Schluß noch einmal Ihre Aufmerksamkeit?

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Und Sie müssen der Uhr Aufmerksamkeit schenken! ({0})

Bernd Reuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, ich sehe es. - Der Feind des Guten kann manchmal das Gutgemeinte sein. Wir sollten uns nicht auf diese Fährte bringen lassen. Schönen Dank. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Günther Nolting, F.D.P.

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon darauf hingewiesen worden: Die Diskussion zur Einführung eines oder einer Bürgerbeauftragten wird schon seit den 70er Jahren geführt. Nur, Frau Kollegin Nickels, ich habe auch heute keine neuen Argumente von Ihnen gehört, die dafür sprächen, solch ein Amt zu schaffen. Ich sage es an dieser Stelle noch einmal für die F.D.P.-Bundestagsfraktion: Nach Art. 45 c des Grundgesetzes ist die Wahrung des Petitionsrechts die Aufgabe des gesamten Parlamentes. Wir wollen, daß es Aufgabe dieses gesamten Parlamentes bleibt. ({0}) Das Parlament ist vertreten durch einen paritätisch besetzten Ausschuß. Dieser hat die an ihn gerichteten Petitionen zu bearbeiten. Ich denke, es ist auch im Interesse der Bürger, daß dies so bleibt. Aus dieser Verantwortung, Frau Kollegin Nickels, darf das Parlament nicht entlassen werden. Das Parlament darf sich auch nicht selbst aus dieser Verantwortung verabschieden. Ich habe den Eindruck, daß es bei dem, was Sie - vielleicht gut gemeint - vorhaben, zu einer Verabschiedung des Parlamentes aus dieser ureigensten Verantwortung kommt. Wir wollen, daß der Deutsche Bundestag weiterhin der „Kummerkasten der Nation" bleibt. Das Parlament ist und bleibt die ureigenste Vertretung der Bevölkerung. Das Parlament hat sich daher direkt und - das betone ich ausdrücklich - ohne Umwege der Anliegen der Bürger anzunehmen. Ich verweise hierzu noch einmal auf Art. 17 des Grundgesetzes; Herr Kollege Röttgen hat das schon angesprochen: Jeder hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden. Wenn dann hier von der Einsetzung von Ombudsmännern in anderen Staaten gesprochen wird, sollten Sie einmal den Vergleich anstellen: Ist es nicht so, daß in vielen anderen Staaten die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen schlechter sind als in Deutschland und eben deshalb auch ein Ombudsmann eingeführt wird? Ist es nicht so, daß der Verwaltungsrechtsschutz der Bürger in der Bundesrepublik Deutschland bedeutend größer ist und wir auch von daher solche Ombudsmänner nicht brauchen? Wenn Sie in Ihren Begründungen vortragen, daß ein Bürgerbeauftragter das Petitionsrecht attraktiver machen und für mehr Vertrauen in der Bevölkerung sorgen würde, so entspricht doch auch das nicht der Realität. Ich verweise auch hier noch einmal auf die 20 000 Petitionen, die jedes Jahr beim Petitionsausschuß eingehen. Gerade aus den neuen Bundesländern werden zunehmend Petitionen an uns herangetragen. Das zeigt doch, daß es sich hier nicht um einen anonymen Ausschuß handelt, sondern daß wir als Mitglieder in diesem Petitionsausschuß von den Bürgerinnen und Bürgern sehr wohl als Ansprechpartner gesehen und auch voll akzeptiert werden. Der Ausschuß - das müssen wir doch auch einmal in Selbstbewußtsein sagen - wird von der Bevölkerung akzeptiert, angenommen und gebraucht. Ich will noch auf zwei Punkte in dem vorliegenden Gesetzentwurf eingehen. In der Begründung des Gesetzentwurfs für ein Bürgerbeauftragtengesetz beklagen Sie die angeblich mangelnde Kooperation der Exekutive, also der Bundesregierung. Wenn denn an dieser Behauptung etwas Wahres sein sollte - darüber kann man auch noch streiten -, dann ist es doch wohl unsere Sache, Sache des Parlamentes, Sache der Ausschüsse, sich angemessen gegenüber der Exekutive durchzusetzen und diese Aufgabe nicht an ein Hilfsorgan zu übertragen. Als Liberale sehen wir eben ein aktives und durchsetzungsfähiges Parlament als unerläßlich an. Aber da wird vielleicht deutlich, Frau Kollegin Nickels: Liberale haben ein anderes Parlamentsverständnis als die Grünen; das will ich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich sagen. ({1}) Sie sprechen in Ihrem Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes in Art. 45 c noch einmal an, daß Sie erreichen wollen, daß auch die Überprüfung von Bitten durch den Petitionsausschuß festgelegt wird. Sie fordern in der Begründung für die Bürger einen - ich zitiere - „ernstzunehmenden, direkten Zugang zur Volksvertretung". Ja, wenn nicht wir als Parlamentarier der direkte Zugang zum Parlament sind, wer denn dann? Ein Hilfsorgan? Das kann doch wohl nicht richtig sein. Auch hier zeigt sich wieder ein unterschiedliches parlamentarisches Selbstverständnis: Wir jedenfalls betrachten uns - das kann ich, glaube ich, für alle meine Kollegen sagen - als direkten Zugang zum Parlament, als direkten Ansprechpartner. Die Funktionen jedes einzelnen Abgeordneten, aber auch die des Petitionsausschusses sind völlig ausreichend definiert. Vielleicht müßte ihre Wahrnehmung hier und da noch verbessert werden; da stimme ich dem Kollegen Reuter zu. Aber das werden wir in der weiteren Beratung Ihrer Anträge noch überprüfen. Wir werden Ihre Anträge ernsthaft behandeln. Aber nach dem, was hier heute schon vorgetragen wurde, wird das, denke ich, was Sie mit Ihren Anträgen bezwecken, nicht umgesetzt werden. Ich sage noch einmal: Wir wollen und dürfen nicht von unserer Verantwortung als Parlamentarier ablenken. Diese Verantwortung können wir nicht an ein Hilfsorgan übertragen. Vielen Dank. ({2})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Heidemarie Lüth, PDS.

Heidemarie Lüth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002727, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Repräsentative parlamentarische Demokratie ist unabdingbar, aber sie ist, wie die Gesetzentwürfe zur Änderung des Art. 45 c des Grundgesetzes und zur Änderung des Befugnisgesetzes zeigen, auch einer Verbesserung würdig. Wir meinen, daß diese Gesetzentwürfe eine Verbesserung des bestehenden Zustandes darstellen. Bei dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Einführung einer Bürgerbeauftragten ergibt sich allerdings die Frage, ob der gewollte Zuwachs an Demokratie auch wirklich erreicht wird. Ich möchte, ehe ich das kurz ausführe, auf den Jahresbericht verweisen, in dem unter anderem immer wieder dargestellt wird, daß bestimmte Beschlüsse des Petitionsausschusses durch die Regierung ignoriert werden. Eine Bürgerbeaufragte, die ebenso wie der Petitionsausschuß in ihren Kompetenzen gegenüber der Regierung eingeschränkt bleibt, erfüllt damit die in sie gesetzten Hoffnungen auf ein Mehr an Demokratie nur bedingt - ähnlich wie der Ausschuß, der in seinen Möglichkeiten zusätzlich durch den Parteienproporz beschränkt ist. Aus dieser Sicht: Was soll dann das Neue an einer Bürgerbeauftragten sein? Zum nächsten Teil erlaube ich mir gleich einen Hinweis, damit es dazu keine Zwischenrufe gibt. Gerade weil ich aus der DDR komme, sage ich: Nehme ich jedoch die Probleme ernst, dazu auch den Gedanken der Volkssouveränität, wie er im Art. 20 des Grundgesetzes genannt ist, ergibt sich die zwingende Notwendigkeit, parlamentarische Demokratie zu ergänzen. Zustimmung bei der PDS) Die Bürgerbeauftragte sollte daher Teil einer unmittelbaren Demokratie und Vermittler zwischen beiden sein. Sie sollte nicht nur Beschwerden entgegennehmen können, sondern vielmehr Instanz einer demokratischen Öffentlichkeit sein. Über die Bürgerbeauftragte findet man dann eine Öffentlichkeit, zum Beispiel bei Massenpetitionen, und so auch den Zugang zum Parlament und zum Gesetzgebungsverfahren. Man könnte so die Sorgen und Interessen der Bevölkerung, etwa der 4,7 Millionen Arbeitslosen, unmittelbar zum Ausdruck bringen - vielleicht auch in parlamentarischen Debatten. Sie sollte diese Öffentlichkeit, wenn sie die Verwaltung kontrolliert und kritisiert, auch vermitteln können, und zwar nicht nur nach rechtlichen Maßstäben, sondern - wie zum Beispiel der französische Ombudsmann - auch nach den Maßstäben der Zweckmäßigkeit, Menschlichkeit und Fairneß. Die Durchsetzung vielfältiger Formen der unmittelbaren Demokratie ist aus unserer Sicht eine zentrale Grundfrage der Demokratisierung des demokratischen Systems der Bundesrepublik. Einer Demokratisierung des Parlaments im Rahmen einer Änderung des Petitionsrechts, die sich allein auf innerparlamentarische Aufgaben und Rechte bezieht, zum Beispiel die Stärkung der Minderheitenrechte, Ausbau des Zitierrechts usw., sind dadurch aus unserer Sicht enge Grenzen gesetzt. Nur über ein Mehr an Bürgerrechten im Gesetzgebungsprozeß selber und gegenüber den parlamentarischen Institutionen ist eine demokratische Qualität auch der repräsentativen Demokratie und des Parlamentarismus zu erreichen. Die Bundestagsgruppe der PDS wird darum noch in diesem Jahr im Rahmen eines Konzepts zur unmittelbaren Demokratie einen eigenen Gesetzentwurf zum Bürgerbeauftragten vorlegen, der die gegebenen Möglichkeiten, die hier im Ansatz schon vom Bündnis 90/Die Grünen aufgezeigt werden, noch besser nutzen wird. Danke. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell ist vereinbart worden, die Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 13/3570, 13/3571 und 13/3578 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Die Federführung für das Bürgerbeauftragtengesetz soll beim Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung liegen. Gibt es andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 14 sowie den Zusatzpunkt 11 auf: 14. Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/ CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. Verbot des Klonens von Menschen - Drucksache 13/7243 ZP11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Bierstedt, Dr. Ruth Fuchs und der Gruppe der PDS Verbot der Keimbahnintervention und der Klonierung von Menschen - Drucksache 13/7250 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Wolfgang Götzer, CDU/CSU.

Dr. Wolfgang Götzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000707, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der englische Schriftsteller Aldous Huxley prophezeite im Jahre 1932 im ersten Vorwort zu seinem Roman „Schöne neue Welt", es werde 600 Jahre dauern, bis seine Zukunftsvision von Dutzendlingen Wirklichkeit werden könnte. Diese Prognose mußte er bereits in der zweiten Auflage des Buches im Jahre 1949 auf 100 Jahre verkürzen. Inzwischen äußern Wissenschaftler aus England und den USA, daß es nicht mehr lange dauern werde, bis das Klonen von Menschen möglich sei. Huxleys Prophezeihung aus dem Jahre 1949 scheint sich also doppelt so schnell zu verwirklichen. Das geklonte schottische Schaf Dolly hat uralte Phantasien, vor allem aber Ängste der Menschen schlagartig hochaktuell werden lassen. Grundsätzlich, so hat sich der für Dolly verantwortliche britische Wissenschaftler Ian Wilmut kürzlich geäußert, sei sein Verfahren auf den Menschen übertragbar. Erlangt der Mensch am Ende des 20. Jahrhunderts also prometheische Fähigkeiten? Daß das Klon-Schaf Dolly weltweite Diskussionen auslösen würde, war klar, und das ist gut so; denn die Diskussion darüber, ob Menschen das, was sie vielleicht bald können, auch dürfen, fordert unser Gewissen heraus und zwingt uns, zu fundamentalen Wertentscheidungen eindeutig Stellung zu nehmen. Daß in diesem Zusammenhang die Frage nach Nutzen oder Schaden der Gentechnologie insgesamt einmal mehr gestellt wird, liegt nahe. Trotzdem sollten wir uns auch hier vor Pauschalurteilen hüten; denn die Gentechnologie hat ohne jeden Zweifel bereits viel Gutes für die Menschheit gebracht und wird dies auch in Zukunft tun. Darauf hat auch Bundespräsident Roman Herzog kürzlich hingewiesen. Er hat klargemacht, daß man wegen einzelner negativer Aspekte nicht auf die gesamte Gen- und Medizintechnik verzichten dürfe. Ohne jede Einschränkung muß aber vollkommen klar sein: Ein Klonen von Menschen darf es nicht geben. ({0}) Um diesem Postulat auch Geltung und Achtung zu verschaffen, hat der Deutsche Bundestag bereits am 13. Dezember 1990 das Embryonenschutzgesetz verabschiedet. Über die Zielsetzung heißt es in der damaligen Bundestagsdrucksache - ich zitiere -: Die neuen Methoden der In-vitro-Fertilisation wie auch der Gentechnologie machen es erforderlich, die Grenzen ihrer Anwendung beim Menschen rechtlich festzulegen. Entscheidendes Ziel des Entwurfs ist es, jeder Manipulierung menschlichen Lebens bereits im Vorfeld zu begegnen. Deutschland ist damit das erste Land, in dem die Klonung von Menschen nicht nur untersagt, sondern auch unter Strafe gestellt worden ist. Dies gebietet die in Art. 1 des Grundgesetzes normierte Achtung vor der Würde des Menschen und die Ehrfurcht vor dem unverfügbaren Leben eines jeden einzelnen; denn das Klonen verstößt gegen die Menschenwürde. Das Klonen von Menschen ist nicht nur ein ungeheuerlicher Eingriff in die Schöpfung, der keinesfalls hingenommen werden darf; es ist auch „das Maximum der Herrschaft des Menschen über den Menschen", wie es Erzbischof Sgreccia, der Vizepräsident der päpstlichen Akademie Pro Vita, kürzlich in einem Interview mit der „Welt am Sonntag" ausgedrückt hat. In der Öffentlichkeit sind nun, ausgelöst durch einen Wissenschaftler, Zweifel an der Lückenlosigkeit des Embryonenschutzgesetzes in zweierlei Hinsicht aufgekommen. Worauf gründen sich diese? Zum einen wird vom Direktor des Instituts für HumangeneDr. Wolfgang Götzer tik und medizinische Biologie in Halle angeführt, daß der Zellkern beim Klonen nur 99 Prozent der Erbinformation des Nachkommen stelle. 1 Prozent stamme von den Mitochondrien, Organellen innerhalb der Zelle, aber außerhalb des Zellkerns. Daraus folge, daß ein geklontes Lebewesen nicht absolut identisch mit dem Spender des Zellkerns sein müsse. Darauf aber, so der Wissenschaftler, baue § 6 des Embryonenschutzgesetzes auf. Ich zitiere den Abs. 1 von § 6 des Embryonenschutzgesetzes: Wer künstlich bewirkt, daß ein menschlicher Embryo mit der gleichen Erbinformation wie ein anderer Embryo, ein Fötus, ein Mensch oder ein Verstorbener entsteht, wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Die angesprochene Auslegung des § 6 des Embryonenschutzgesetzes ist meines Erachtens unzutreffend. Bereits bei den Beratungen über das Embryonenschutzgesetz im Jahre 1990 war bekannt, daß beim Klonen keine hundertprozentige Übereinstimmung der Erbinformation erzielt wird. Der Gesetzgeber hat deshalb damals auch ganz bewußt nicht von der „selben", sondern von der „gleichen" Erbinformation gesprochen. Auch wenn man den Kommentar zum Embryonenschutzgesetz von Keller/Günther/Kaiser zu Rate zieht, findet man unter Randnummer 6 zu § 6, daß unter „gleicher Erbinformation" - ich zitiere - „Identität der DNS der Zellkerne" zu verstehen ist, also genau der 99 Prozent, von denen besagter Wissenschaftler selbst ausgeht. Im übrigen findet sich in Randnummer 7 des Kommentars ein klarer Hinweis auf die Ratio legis, wo bezüglich einer eventuellen Lücke davon die Rede ist, daß § 6 erkennbar einen „Rundumschutz" bezwecke, der die Herstellung von Kopien menschlicher Individuen schlechthin unterbinden solle. Ein weiterer Zweifel bezieht sich auf § 8 des Embryonenschutzgesetzes, der die Begriffsbestimmungen enthält. Hier geht es um die Frage, ob zu den geschützten Zellen im Sinne des § 8 auch zellkerntransplantierte, also geklonte Zellen gehören, die keine befruchteten Eizellen sind. Ich würde dies im Hinblick auf die Zielsetzung des Gesetzes, nämlich „jeder Manipulierung menschlichen Lebens bereits im Vorfeld zu begegnen", und auch unter Verweis auf die Begründung des Gesetzentwurfs bejahen. Gleichwohl: Da wir alle wollen, daß unser Embryonenschutzgesetz wasserdicht ist, sollen diese Punkte geprüft werden und notfalls die erforderlichen Klarstellungen im Gesetz vorgenommen werden. Es genügt aber nicht - ich denke, auch darin sind wir uns einig -, daß wir in Deutschland ein unmißverständliches Klonverbot haben. Wir müssen uns auch auf internationaler Ebene dafür einsetzen, daß durch entsprechende internationale Konventionen das Klonen von Menschen geächtet und verboten wird. Die Bioethik-Konvention des Europarats wird sicher nicht unseren Vorstellungen und Vorschriften gerecht. Vom Klonen steht dort im Augenblick nichts. Auch im Entwurf einer Bioethik-Deklaration der UNESCO ist weder von einem Verbot des Klonens von Menschen die Rede, noch werden Eingriffe in das Erbgut von Keimzellen verboten. In beiden Fällen muß von deutscher Seite aus versucht werden, mit dem Ziel nachzubessern, ein weltweites Klonverbot zu erreichen. Für den Fall, daß diese Bemühungen erfolglos bleiben, möchte ich allerdings klarstellen: Die hohen deutschen Standards können durch diese internationalen Konventionen nicht aufgeweicht werden. Unsere strengen deutschen Vorschriften bleiben also davon unberührt. Trotzdem sollten wir uns damit nicht zufriedengeben. Auch deshalb ist zu begrüßen, daß in dem gemeinsamen Antrag von CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P., der heute zur Abstimmung steht, die Bundesregierung aufgefordert wird, sich für ein internationales Verbot des Klonens von Menschen einzusetzen. Lassen Sie mich abschließend meiner Freude Ausdruck geben über die große Gemeinsamkeit, die in dieser Frage hier im Deutschen Bundestag herrscht. Allerdings müssen wir uns im klaren sein, daß auch das beste Embryonenschutzgesetz nur Wirkung hat, wenn in unserer Gesellschaft eines uneingeschränkt gilt und praktiziert wird: Die Ehrfurcht vor dem unverfügbaren Leben eines jeden Menschen, ({1}) auch des Ungeborenen. ({2})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Herta Däubler-Gmelin, SPD-Fraktion.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es kommt in diesem Haus relativ selten vor, daß wir über einen Antrag beraten, der von den verschiedenen Fraktionen in solcher Gemeinsamkeit eingebracht wird. Das deutet in der Tat darauf hin, daß zumindest in der Grundabsicht des Antrags vollständige Einigkeit besteht: Klonen von Menschen wollen wir nicht; Klonen von Menschen darf auch in Zukunft nicht möglich werden. Ich glaube, darüber braucht man nicht zu reden, das sehen alle so. ({0}) Der Grund für diese sehr breite Einigkeit ist völlig klar. Sie gründet in unserem gemeinsamen Selbstverständnis vom Menschen, der ein unverwechselbares Individuum ist, und zwar - wenn man es naturwissenschaftlich ausdrückt - in seinem spezifischen, individuellen lebenden Organismus, so wie er geschaffen wurde. Er ist nicht - auch nicht in Teilen - austauschbar; er ist auch nicht mit industriellen Methoden reproduzierbar. Wir wollen das Klonen nicht, auch dann nicht, wenn technisch solche Möglichkeiten gegeben sein sollten. Das Klonen würde nicht zu unserem Selbstverständnis vom Menschen passen, eben wegen des Unterschieds zwischen einem Geschöpf und einem Produkt. Dieser Unterschied ist, glaube ich, uns allen bewußt. Ich möchte kurz sagen, wo das niedergelegt ist. Unsere Rechtsordnung, unsere Verfassungsordnung, unsere Grundrechtsordnung baut auf diesem Unterschied und auf diesem Menschenbild auf. Ein anderes Menschenbild ist in unserer Rechtsordnung und nach unserem Verständnis nicht möglich. Wandlungen an diesem Menschenbild kann es durch Veränderungen der Technik - welcher auch immer - nicht geben. Problematisch wird die Situation aus einem ganz anderen Grund. Als wir Klonen früher relativ lässig, pauschal und unscharf als Begriff verwendet und bestenfalls über Science-fiction-Romane oder Witze, die mit Klonen zusammenhingen, gelächelt haben, wurde keine Notwendigkeit gesehen, über den Grundsatz, daß wir das Klonen des Menschen als eines Geschöpfes nicht wollen, hinauszugehen. Ein erster Anlaß, über die Fortpflanzungsmedizin und deren ethische Vertretbarkeit nachzudenken und die entsprechenden brennenden Fragen zu diskutieren, hat sich im Zusammenhang mit der Diskussion - Kollege Götzer, Sie haben das schon erwähnt - um das Embryonenschutzgesetz gegeben. Dabei hat sich dann sehr deutlich gezeigt, daß Mißverständnisse entstehen können und welche Möglichkeiten des schnellen und des wenig vorsichtigen bzw. des vorsichtigen Vorgehens bestehen. Ich darf Sie daran erinnern, daß wir damals heftig miteinander gerungen haben. Es hat Leute gegeben, die gesagt haben: Seid vorsichtig! Laßt immer nur das zulässig sein und setzt die Schranke immer da, wo ihr die Auswirkungen dessen, was ihr erlaubt - nicht dessen, was technisch möglich ist -, noch übersehen könnt! Man hat das nicht so gemacht. Man ist eher ein Stück weitergegangen. Die Argumente sind völlig klar: Auf der einen Seite standen die Überschaubarkeit und die Klarheit der, Werte, auf der anderen Seite die Möglichkeiten, die insbesondere die Grundlagenforschung und in Teilen auch die Anwendungsforschung bieten. Lassen Sie mich noch eines festhalten: Der Grundsatz, das Klonen zu verbieten, stand auch in der Diskussion um das Embryonenschutzgesetz überhaupt nicht in Frage. Wenn ich mich recht erinnere, was uns bei der Formulierung der §§ 6 und 8 des Embryonenschutzgesetzes bewegt hat, so wollten wir damals schon alle bekannten Methoden des Klonens berücksichtigen. Wir haben uns damals darüber informiert, welche Methoden denkbar sind. Daß es dann - wie jetzt mühsam zurückverfolgt werden kam - zu dieser Restriktion kam, lag auch daran, daß die Technik beim Klonen und auch die Fortpflanzungsmedizin damals noch nicht den Stand erreicht hatten, den sie heute haben. Das Problem, vor dem wir heute stehen, ist, daß wir - auch dann, wenn wir versuchen, die weltweite wissenschaftliche Diskussion zu verfolgen - nicht mehr sagen können, ob es nicht ganz neue Methoden beim Klonen geben wird. Außerdem ist Anlaß dafür gegeben, Herr Götzer, den Begriff des Klonens sehr viel sorgfältiger zu überprüfen. Was ist denn nun eigentlich Klonen? Wird die Grenze da gezogen, wo ein menschlicher Organismus in seiner Unwiederholbarkeit manipuliert und beeinflußt wird? Oder gibt es hier, weil es sich um einen Prozeß handelt, keine Grenze, die eindeutig bestimmt werden kann? Wo müssen wir dann mit einer ethischen und mit einer rechtlichen Grenze ansetzen? Diese Fragen drängen sich auf, auch wenn man wie ich - ich teile die Meinung des Kollegen Götzer - der Auffassung ist, daß die Dolly-Methode des Klonens, wenn sie auf den Menschen angewandt worden wäre, von den strafrechtlichen Bestimmungen erfaßt gewesen wäre. Aber ist das, was jetzt mit Dolly gemacht wurde und was wir nicht vorhergesehen haben, als das Gesetz gemacht wurde, die letzte Möglichkeit, die Gene zu manipulieren? Bei dieser Manipulation kommt man - ich weiß nicht, ob das spezifisch genug ausgedrückt ist - um die Befruchtung herum. Möglicherweise kommt man auch um die Keimzellen herum. Vielleicht gibt es auch Kombinationsmethoden, die ein Drittes zulassen. Alle diese Methoden, die zum Klonen führen könnten, zur Manipulation dessen, was menschliches Leben als solches unverwechselbar definiert, fallen unter unseren sehr einvernehmlich gefaßten Beschluß, an dem wir festhalten: daß wir das Klonen, das Kopieren von menschlichem Leben, nicht wollen. ({1}) Die Aufgabe, die der Bundesregierung mit dem gemeinsamen Antrag der Fraktionen gestellt wird, ist völlig klar: Wir brauchen eine komplette, interdisziplinäre Übersicht über das, was denkbar ist, nicht allein über das, was jetzt gemacht wird. Wir brauchen auch eine erste Überlegung, wo die Bundesregierung die Grenzen des Vertretbaren im Detail ansetzt und wo die rechtlichen Instrumente greifen sollen. Darüber müssen wir dann hier diskutieren. Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf folgendes lenken. Im Embryonenschutzgesetz sprechen wir noch von „gleicher Erbinformation". Der Antrag enthält in Nr. II Ziffer 1 schon die Worte „im wesentlichen gleich" . Das deutet darauf hin, daß wir es auch hier mit einer Auflösung in einem Prozeß zu tun haben und daß wir uns mit der Grenzziehung ganz besonders zu befassen haben. Ich will nicht wiederholen, was der Kollege Götzer dazu gesagt hat, daß wir das nicht nur national regeln können - gerade das nicht -, sondern daß wir das natürlich europäisch und global machen müssen. Ich bitte Sie, noch einen anderen Aspekt zu erwägen. Ich habe schon gesagt: Unser Grundgesetz, unsere gesamte Rechtsordnung mit dem obersten BeDr. Herta Däubler-Gmelin griff der Menschenwürde, geht davon aus, daß Klonen verboten ist. Wir sollten uns überlegen, ob wir das durch eine ausdrückliche Erwähnung im Grundgesetz verstärken. Das ist ein Punkt, über den wir uns sicherlich noch sorgfältig unterhalten müssen. Ich denke, es spricht manches dafür. Meine letzte Bitte richtet sich an die Bunderegierung. Es wäre sehr gut, wenn die Prüfung sorgfältig wäre, uns aber auch die Möglichkeit gäbe, sie noch im Laufe dieser Legislaturperiode ordentlich umzusetzen, wenn es erforderlich wäre. Wenn es machbar wäre, wäre eine Vorlage des Ergebnisses bis zur Sommerpause sehr schön; länger als bis zum Herbst sollte die Prüfung nicht dauern. Herzlichen Dank. ({2})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Marina Steindor von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Marina Steindor (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002809, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte meine Rede mit dem Zitat eröffnen, das Aldous Huxley seinem Buch „Schöne neue Welt" vorangestellt hat: Utopien erweisen sich als weit realisierbarer, als man früher glaubte. Und wir stehen heute vor einer auf ganz andere Weise beängstigenden Frage: Wie können wir ihre endgültige Verwirklichung verhindern? ... Utopien sind machbar. Das Leben hat sich auf die Utopien hinentwickelt. Und vielleicht beginnt ein neues Zeitalter, in dem Intellektuelle und Gebildete Mittel und Wege erwägen werden, die Utopien zu vermeiden und zu einer nichtutopischen, einer weniger „vollkommenen" und freieren Gesellschaftsform zurückzukehren. Meine Damen und Herren, trotz aller politischen Differenzen bei der Debatte um das Embryonenschutzgesetz von 1990 war das Verbot des Klonens des Menschens eine interfraktionelle Konsensinsel. Damals dachte man noch nicht an die Zellkerntransplantation, die das geklonte Schaf Dolly erst möglich machte. Man hatte das Embryonensplitting im gesetzlichen Auge, also die künstliche Mehrlingsherstellung durch Teilung eines Embryos. ({0}) Strafrechtliche Regelungen laufen immer Gefahr, von den realen Entwicklungen überholt zu werden. Wir fordern heute fraktionsübergreifend die rechtliche Überprüfung der entsprechenden Passage des Embryonenschutzgesetzes und gegebenenfalls die Präzisierung des Klonierungsverbots. Trotz aller politischen Differenzen bei der Verabschiedung des Embryonenschutzgesetzes können wir heute gemeinsam stolz darauf sein, das weltweit restriktivste Gesetz für den Schutz von Embryonen zu haben. Wir haben auf Grund unserer Geschichte eine ganz besondere Verantwortung. Streng genommen handelt es sich bei Dolly gar nicht um Gentechnologie, sondern um Reproduktionstechnologie. Das ist in der öffentlichen Darstellung immer vermischt worden. Es gibt in unserem Hause sicherlich einige, die mit forschen Bekenntnissen zum Verbot des Klonens von Menschen die Genmanipulationskuh vom Eis bringen wollen. Allenthalben herrscht in der Bevölkerung Mißtrauen gegenüber der Wissenschaft - völlig zu Recht. Gen- und Reproduktionstechnologien sind gemeinsam Grundmethoden der synthetischen Biologie. Sie sind der vorläufige Höhepunkt der technisch-instrumentellen Beherrschung der Natur durch den Menschen. Man kann damit Leben genmanipulieren, umkonstruieren und kopieren. Insgesamt kommt es so zu einer kulturellen Entwertung von Leben, zu einem manipulierbaren Rohstoff, der an industrielle Prozesse und Nützlichkeitsvorstellungen gentechnisch angepaßt und privatwirtschaftlich verwertet werden kann. Wir fordern hier heute gemeinsam, weltweit das Verbot des Klonens von Menschen festzulegen. Wir alle wissen, daß es nicht leicht sein wird. Für Bündnisgrüne sind aber weder die Bioethik-Konvention des Europarats noch die Bioethik-Deklaration der UNESCO geeignete Bezugspunkte. Wenn wir heute auf unserer Konsensinsel über das Verbot des Klonens von Menschen debattieren, können doch die Widersprüche in diesem Hause nicht unbeachtet bleiben. Denn die Regierungskoalition sieht beispielsweise keinen Angriff auf die Würde des Menschen, wenn menschliche Gene laut EU- Richtlinie patentierbar werden. In den USA sind die Gesetze zum Stopp von Forschungsfördermitteln und zum strafrechtlichen Verbot des Klonens von Menschen nur deshalb in den Kongreß eingebracht worden, weil man den Verlust der öffentlichen Akzeptanz der Gentechnologie und insbesondere die gesellschaftliche Forderung nach einem totalen Verbot des Klonens transgener Tiere fürchtet. Wie brüchig in diesem Hause das Konsenseis ist, auf dem wir uns derzeit bewegen, konnten wir letzte Woche in der Tierschutzdebatte sehen, in der unser Antrag zum Verbot der Genmanipulation und der Klonierung von Tieren mitberaten worden ist. Die schottischen Forscher - das sei Ihnen noch einmal mitgeteilt - arbeiten übrigens auch an einer künstlichen Gebärmutter. Ich frage Sie: Halten Sie es für glaubwürdig, daß, wenn Sie jegliche technische Manipulation am Tier weiter vorantreiben, die Ethik hier in diesem Hause erst bei der eigenen Spezies beginnt? Halten Sie es angesichts einer Technik, die in der Lage ist, so tief in unser Verständnis von uns selber und in unser Verständnis vom Leben einzugreifen und in so hohem Maße die Menschenwürde zu verletzen, für glaubwürdig, bei Tieren einfach über all diese ethiMarina Steindor schen Fragen hinwegzugehen und sie weiterhin der gewohnten Verwertungslogik zu unterwerfen? Welch eine Hybris nach all den gesellschaftlichen Erfahrungen in diesem Hause, weiterhin die Tatsache zu verdrängen, daß Forschung und Umgang mit Tieren Wegbereiter für Techniken sind, die später am Menschen angewandt werden, und daß das Etikett „Gesundheitsforschung" nicht länger zur Legitimation von allem Machbaren akzeptiert werden kann. Leider kann ich jetzt nicht auf die Gesetzeslücken des Embryonenschutzgesetzes, bei der Embryonalzelltransplantation und der Embryonenforschung zu sprechen kommen. Die Klonierung aus einer differenzierten Zelle ist das wissenschaftlich Revolutionäre an Dolly. Neben dem Feuerwerk an sozialen und wissenschaftlichen Phantasien - der ethischen Schockwelle, wie „Science" es ausdrückt -, die durch die Existenz von Dolly entfacht wurden, überprüfen nun die Parlamente ihre Gesetzgebung, während die wissenschaftliche Fachwelt wie gebannt auf das Klonschaf starrt. Derzeit, meine Damen und Herren, ist die Klovierung des Menschen noch nicht möglich. Laut „Science" wird sie technisch zwar nicht so leicht sein wie beim Schaf, aber einfacher als bei der Maus. Wie lange wird Dolly leben? Wie ist die Euterzelle zur Totipotenz reprogrammiert worden? Ist die DNA durch das Ablesen tatsächlich denaturiert? Wir haben die großen Bewährungsproben in diesem Parlament erst vor uns. Die Bundesärztekammer hat in dieser Situation nichts Besseres zu tun, als neben einer gewissen zur Schau getragenen Besinnlichkeit genau wie vor sieben Jahren das Verbot der Präimplantationsdiagnostik im Embryonenschutzgesetz zu diskutieren. Präimplantationsdiagnostik aber bedeutet ein diagnostisches Embryonensplitting und -klonen und. muß jetzt angesichts von Dolly mehr denn je untersagt bleiben; denn die Unterscheidung von Totipotenz und Differenzierung ist mittlerweile wissenschaftlich hinfällig. Die großen Bewährungsproben hat dieses Parlament noch vor sich. Was, wenn die Klonierung von Menschen möglich ist und es denkbare medizinische Anwendungen gibt? Was, wenn die Medizin Klonierung als Therapiemethode bei männlicher Unfruchtbarkeit, bei heterozygoten Trägerinnen rezessiver genetischer Krankheiten oder bei mitochondrialen Erkrankungen favorisiert? ({1}) Was, wenn geklonte Embryonen als Organersatzteillager ins Gespräch kommen, nicht in Gestalt von lebenden Menschen, sondern in Form von individuell reprogrammierten, gewissermaßen embryonalen Zellkulturen, die zu Organen oder Organoiden weitergezüchtet werden können? Wir werden heute gemeinsam diesen interfraktionellen Antrag verabschieden, aber die großen Bewährungsproben für dieses Parlament stehen in der Zukunft erst an. Wir werden dann sehen, wie weit der Konsens trägt. ({2})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Jörg van Essen, F.D.P.-Fraktion.

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe eine Rede für diese Debatte vorbereitet, die ich aber so nicht halten werde. Viele der Gedanken, die ich Ihnen vortragen wollte, sind von meinen Vorrednerinnen und Vorrednern schon genannt worden. Es ist ein Wert an sich, daß wir uns bei diesem Thema im Bundestag einig sind, und dieser Wert wird nicht unterstrichen, wenn gleiche Argumente nun noch einmal vorgetragen werden. Ich möchte trotzdem auf einige Debattenpunkte eingehen, um unsere Position hier erneut deutlich zu machen. Die Kollegin Däubler-Gmelin hat darauf hingewiesen, daß wir als Deutscher Bundestag beim strafrechtlichen Klonierungsverbot im Jahr 1990 ja vorangegangen sind - wir sind das erste Parlament, das ein solches strafbewehrtes Klonierungsverbot verabschiedet hat - und die Latte bewußt hoch gelegt haben. Wir haben uns nicht dafür entschieden, nur die Techniken zu erfassen, die damals bekannt waren. Jetzt hat es sich sehr bewährt, daß wir die Vorschrift seinerzeit so gefaßt haben, wie sie heute im Embryonenschutzgesetz steht; denn ich teile die Auffassung sowohl von Herrn Götzer als auch von Frau Däubler-Gmelin, daß die Techniken, die wir jetzt kennen, von diesem Klonierungsverbot im Embryonenschutzgesetz erfaßt sind. Ihr Vorschlag, ein solches Klonierungsverbot in das Grundgesetz aufzunehmen, ist selbstverständlich nachdenkenswert. Ich persönlich würde aber davon abraten. „Die Menschenwürde ist unantastbar", sagt das Grundgesetz. Sobald wir eine Einschränkung oder einen Zusatz bringen, bedeutet das eine Gefahr, weil andere Teile der Menschenwürde damit in ihrer Bedeutung herabgesetzt werden könnten. Das kann nicht unser Ziel sein. Das Gebot des Grundgesetzes „Die Menschenwürde ist unantastbar" erfaßt aus meiner Sicht ganz selbstverständlich auch das Klonierungsverbot. Die Diskussion, die wir heute wieder führen, macht deutlich, daß der Bundestag bei diesem Thema sensibel ist. Ich finde es gut, daß wir weiter vorangehen. Wir können nämlich mit nationalen Gesetzen die Standards vorgeben. So richtig es ist - mehrere Vorrednerinnen und Vorredner haben ja darauf hingewiesen -, daß wir zu internationalen Vereinbarungen kommen müssen, so richtig ist es, jedenfalls in unserem eigenen Lande dafür zu sorgen, daß wir mit unseren Standards vorbildlich sind. Aber ich lege auch auf internationale Vereinbarungen Wert; denn es zeigt sich, daß dann, wenn irgendwo eine Front bricht, Entwicklungen natürlich auch wieder zu uns herüberschwappen können. DesJörg van Essen halb müssen wir mit großem Nachdruck darauf hinarbeiten, daß es zu hohen internationalen Standards kommt. Die Diskussionen, die wir in Europa in dieser Frage haben, machen deutlich, daß die Standards eben nicht in allen Ländern gleich hoch gesehen werden. Wir sollten hier weiterhin eine Vorbildfunktion haben. Die letzte Bemerkung, die ich machen möchte, ist kritisch gegenüber den Grünen. Sie verweisen wie bei allen technischen Entwicklungen immer wieder auf die Gefahren. Sie sehen in Entwicklungen nur die Gefahren. Ich weise darauf hin, daß man in technischen Entwicklungen natürlich auch die Chancen sehen muß. Diejenigen, die von diesen technischen Entwicklungen, die wir hier besprechen, Vorteile haben - etwa weil sie an bestimmten Krankheiten leiden, bei denen ihnen besser geholfen werden kann -, hoffen natürlich darauf, daß sie dadurch möglicherweise ein menschenwürdigeres Leben führen können. Ich habe ganz bewußt gesagt: ein menschwürdigeres Leben, weil auch das von Art. 1 des Grundgesetzes mit erfaßt ist. ({0}) Wir sind erst am Anfang der Diskussion. Es zeigt sich ganz deutlich, daß es enorme technische Entwicklungen gibt. Der Bundestag ist gut beraten, wenn er ständig an diesen Entwicklungen teilhat, wenn er regelmäßig Debatten zu diesem Thema führt und immer wieder prüft, inwieweit die Würde des Menschen der Maßstab unseres Handelns ist. Die heutige Debatte trägt sicherlich dazu bei. Ich bin sehr froh, daß es so ist. ({1})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolfgang Bierstedt, PDS.

Wolfgang Bierstedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002629, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie es aussieht, ist sich der gesamte Deutsche Bundestag einig - darüber kann wohl auch die parteipolitisch und wahltaktisch begründete und zumindest von wenig entwickelter politischer Kultur zeugende Ausgrenzung der PDS bei der Erstellung des interfraktionellen Antrages nicht hinwegtäuschen -: ({0}) Die Klonierung von Menschen und menschlichen Embryonen muß definitiv verboten sein. Ein solches Verbot muß grundsätzlich für alle Versuche der Klonierung gelten, gleich ob das Ergebnis ein gentechnisch vollständig identisches Erbgut ist oder nicht. Es hat ebenso für zellkerntransplantierte Zellen, für Eier im Vorkernstadium und für nicht entwicklungsfähige Embryonen der Frühphase zu gelten. Wenn wir verhindern wollen, daß menschliches Leben einem umfassenden technischen Zugriff und der notwendig folgenden totalen Kommerzialisierung unterworfen wird, muß dieses Verbot durchgesetzt und verteidigt werden; verteidigt werden deshalb, weil meine Befürchtung ist, daß der heute noch relativ einhellige Chor der Ablehnung von Klonierung und Embryonenforschung nicht lange anhalten wird. Ist es die Klonierung betreffend noch eine sehr geringe Zahl von Stimmen, zumindest in der Bundesrepublik, so ist es bei anderen Regelungen des Embryonenschutzgesetzes bereits eine Vielzahl, die Aufweichungen und Änderungen dieses Gesetzes nahelegen bzw. sogar offen fordern; Stimmen, die vorrangig aus der Industrie und der ihr nahestehenden bzw. von ihr abhängigen Forschung kommen. Meine Damen und Herren, genau das war für uns Anlaß, in unserem Antrag auch das Verbot der Keimbahnintervention zu bekräftigen. Denn es ist nicht nur die Aufgabe des Parlamentes, auf ein aktuell in den Medien und von den Bürgerinnen und Bürgern diskutiertes Thema einzugehen, sondern frühzeitig auch auf andere drohende Dammbrüche hinzuweisen. Ethische Grenzen mögen ja der Entwicklung unterliegen, wie die lange Geschichte der Menschheit zeigt; sie können aber keine Verhandlungssache sein. Den Versuch, die Präimplantationstechnik, die Selektion von Embryonen nach genetischen Qualitäten, in der Bundesrepublik zu etablieren, haben wir vor wenigen Monaten auch hier im Hause erlebt. Ich könnte Ihnen mehrere Zitate von Forschern und Bioethikern vorlesen, die nicht nur die Präimplantationstechnologie, sondern auch die Keimbahnintervention einfordern und rechtfertigen. Bei einem Zitat aus einem Buch zur medizinischen Ethik will ich es belassen, weil es charakteristisch ist. Ich zitiere: Die Keimbahntherapie ist derzeit sittlich nicht zu verantworten. Dennoch sollte hinsichtlich der Keimbahntherapie keine generelle Vorabverurteilung vorgenommen werden. Es folgen dann die Rechtfertigungen im Einzelfall. Worauf ich aufmerksam machen will, ist: Die Angriffe gegen das Embryonenschutzgesetz häufen sich parallel zur Entwicklung der Technologie. Nur die Klonierung zu beachten und zu behandeln erscheint fahrlässig. Klonierung, Embryonenforschung und Keimbahneingriffe verstoßen gegen die Würde des Menschen und müssen verboten sein und bleiben. An die Adresse der Bundesregierung gerichtet ist zu sagen: Wer wie sie die Gentechnologie, ausschließlich monetären Überlegungen folgend, zur Schlüsseltechnologie, zum heiligen Gral der Menscheitsentwicklung erklärt und in bezug auf die Gentechnologie wie Herr Minister Rüttgers erklärt „Es ist zu fragen, ob wir schon alles können, was wir können müssen" , der darf sich nicht wundern, wenn Forschung und Industrie dies als Aufforderung verstehen, auch alles zu machen, was technisch machbar ist. Natürlich kenne ich auch Ihre Aussage, Herr Minister Rüttgers: Den geklonten Menschen darf und wird es nicht geben. Aber stellt sich Ihnen beim VerWolfgang Bierstedt gleich der beiden Aussagen nicht die Frage: Was ist ernstgemeint, und was ist ausschließlich der Tagespolitik geschuldet? Wie ernst es der Bundesregierung mit dem Verbot der Klonierung, der Präimplantationstechnologie oder der Keimbahnintervention ist, werden wir daran sehen, wie sie sich zum Menschenrechtsübereinkommen des Europarates zur Biomedizin und zur UNESCO-Deklaration zum Schutz des menschlichen Genoms stellt. Im übrigen verstehen wir unseren Antrag nicht als Konkurrent zum vorliegenden interfraktionellen Antrag. Wir werden Ihrem interfraktionellen Antrag natürlich zustimmen, denn das Thema ist uns viel zu wichtig, um hier parteipolitische Egoismen zu kultivieren. Danke. ({1})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers.

Dr. Jürgen Rüttgers (Minister:in)

Politiker ID: 11001899

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich mit zwei Feststellungen beginnen. Die erste Feststellung: Das Klonen von Menschen ist in Deutschland verboten. Die zweite Feststellung: Es gibt in Deutschland keine Forschungen, die das Ziel haben, Menschen zu klonen. ({0}) Beide Sätze sind mir wichtig, und beide Sätze sind ohne jede Einschränkung gesagt. Lassen Sie mich zu der ersten Feststellung etwas sagen, auch vor dem Hintergrund der hier stattfindenden Diskussion. Ich finde es richtig und wichtig, daß der Deutsche Bundestag bei der Ablehnung des Klonens und auch in der Feststellung, daß dies in Deutschland rechtlich klar verboten ist, einer Meinung ist. Dennoch scheint es mir notwendig zu sein, gerade nach dem Ablauf dieser Diskussion und weil ich weiß, daß wir gemeinsam dieser Auffassung sind, davor zu warnen, einen Weg zu gehen, der auf der Basis des jetzt beginnenden Diskussionsprozesses diese Aussage relativiert. Natürlich gehört es zur politischen Diskussion, auch nachzufragen, ob das, was man 1990 geregelt hat und was in einem Diskussionsprozeß, der 1984 begann, dann festgelegt wurde, noch ausreichend ist. Diese Frage ist legitim; das ist unsere Aufgabe. Aber diese Fragestellung beinhaltet natürlich nicht nur eine Infragestellung des damals bereits Genormten und hat insofern natürlich auch eine, um es vorsichtig zu formulieren, durchaus ambivalente Wirkung in der Öffentlichkeit; sondern je nachdem, wie die Diskussion dann weitergeführt wird, kann sie auch dazu führen, daß man plötzlich in Diskussionsschleifen kommt, die vom Ergebnis her völlig inakzeptabel sind. Ich bin sicher, daß Sie es so nicht gemeint haben, aber Kollegin Frau Däubler-Gmelin hat gesagt: Wir brauchen von der Bundesregierung eine Übersicht. Meine Damen und Herren, auch ich bin der Auffassung, daß es notwendig ist, in dieser Diskussion mit der Öffentlichkeit, mit der Bevölkerung sehr transparent über das zu reden, was jetzt unter dem Stichwort „Dolly" diskutiert worden ist und wissenschaftlich geschehen ist. Das ist der Grund, weshalb ich fünf Mitglieder des nationalen Technologierates gebeten habe, einen solchen Bericht zu erstellen. Denn ich habe auch den Eindruck, daß manches, was in deutschen Zeitungen veröffentlicht worden ist, nichts mit der Realität zu tun hat, eine Vielzahl von Fehlern enthält. Insofern soll auch denjenigen, die dieses Thema interessiert, Gelegenheit gegeben werden, sich damit zu beschäftigen. Dennoch komme ich noch einmal auf den Satz zurück, daß wir eine Übersicht brauchen. Ich stelle dagegen: Nein, wir brauchen keine Übersicht über all die Techniken, die in diesem Bereich denkbar sind oder vielleicht in Zukunft noch denkbar sein könnten. Wir müssen vom Ergebnis her diskutieren. Das heißt in diesem Fall: Egal, welche Techniken auf dem Markt sind, egal, was Wissenschaftler noch erfinden mögen, egal, wie die technische und die wissenschaftliche Weiterentwicklung ist, aus anderen Gründen kann ein Ergebnis nicht akzeptiert werden, das wir mit unserer Begrifflichkeit „geklonter Mensch" umschreiben. Wenn dies so ist, meine Damen, meine Herren, dann ist es ein ganz wichtiger Wert, daß die erste Feststellung unbedingt bleibt: Das Klonen von Menschen ist in Deutschland verboten. 1984 begannen erste Forschungen, die sich mit dem Klonen von Amphibien beschäftigten. Zum damaligen Zeitpunkt war überhaupt noch nicht daran zu denken, daß das Klonen von Tieren oder gar von Menschen einmal Realität wird. Völlig egal, was in diesem Bereich an Technik denkbar und machbar ist: Das Ergebnis ist nicht akzeptabel, und zwar nicht nur wegen des Embryonenschutzgesetzes, sondern wegen unseres Bildes vom Menschen, wegen der Regelungen im Grundgesetz, wonach die Würde des Menschen unantastbar ist, wegen eines über unser Grundgesetz hinausgehenden Naturrechts, das eine solche Technik und ein solches Ergebnis für unmöglich, für verboten erklärt. Ich weiß, was ich damit sage. Ich will durchaus, auch aus aktuellem Anlaß, der umgekehrten Konsequenz der Diskussion nicht ausweichen. Ich denke zum Beispiel an ein Mitglied des von Präsident Clinton berufenen Wissenschaftlerkreises, der immer den berühmten Fall des zweijährigen leukämiekranken Menschen diskutierte, für den kein Knochenmark zur Verfügung steht und bei dem es doch - gerade, weil er und sein Klon altersmäßig nicht so weit auseinander wären und die Mutter vielleicht noch im gebärfähigen Alter wäre - möglich sein könnte, daß man sich das Knochenmark auf dem Wege des Klonens besorgt. Nein, man muß in aller Härte sagen, daß selbst der Tod eines zweijährigen Menschen, der dann eintreten kann - es ist schwer, das zu formulieren -, so schlimm das im Einzelfall mit all der menschlichen Tragik ist, es nicht rechtfertigen würde, im Umkehrschluß einen Menschen zu klonen, um diesen Tod zu verhindern. Man muß ein solches Beispiel bewußt auf den Punkt führen, damit klar wird, daß das richtig ist. Eine solche Denke, wie sie von Wissenschaftlern im Vorfeld der amerikanischen Diskussion vorgetragen worden ist, erinnert mich sehr - ich will sie jetzt gar nicht persönlich treffen - an das, was in der NaziBarbarei an Züchtungsforschungsüberlegungen angestellt worden ist. Es kann nicht wahr sein, daß wir Menschen züchten, um sie dann auszuschlachten. Da bleibt es bei dem Satz: Wehret den Anfängen! ({1}) Ich will noch eine Bemerkung zu dem zweiten Satz machen: „Es gibt keine Forschungen in Deutschland." Ich bin ganz dankbar, daß ein Großteil unserer Nobelpreisträger und ein Großteil der Präsidenten der deutschen Forschungseinrichtungen mit mir zusammen in dieser Frage ein klares Wort auch an die Öffentlichkeit gerichtet haben. Wir als Politiker dürfen nicht auf der einen Seite hier klare Positionen bekennen, und auf der anderen Seite in der Art, wie wir diskutieren, unseren Wissenschaftlern und übrigens auch der Industrie unterstellen, Sie wollten diese Forschung. Unsere Forscher wissen nicht nur, daß das Klonen verboten ist, sondern es ist auch klar, daß sie das Verbot bei ihrer Aufgabe als Forscher - übrigens auch in dem Bewußtsein, daß sie wegen des Verbotes nie veröffentlichen könnten, was sie erforscht hätten - nicht nur aus ethischen, sondern auch aus rein praktischen Gründen bejahen, einhalten und akzeptieren. Ich sage das deshalb, weil ich den Satz „Das, was einmal gedacht worden ist, wird auch gemacht" in der Diskussion ein wenig hinterfragen will. Natürlich kann niemand irgendwelche kriminellen Machenschaften ausschließen. Es wäre falsch, wenn man diesen Eindruck erwecken würde. Aber für die deutschen Forscher, die ihre verantwortungsvolle Tätigkeit ausüben, sollte man dies sagen. Lassen sie mich eine dritte Bemerkung machen, die mir wichtig ist. Es ist bereits über die internationale Debatte gesprochen worden. Jawohl, wir haben in Deutschland eine klare rechtliche Lage. Jawohl, es ist leider auch so, daß die internationalen Regelungen dem nicht entsprechen. Dies ist der Grund, warum wir als Bundesrepublik Deutschland den Regelungen im Bereich des Europarates bisher nicht zugestimmt haben. Ich hoffe sehr, daß es uns gelingt, bei den jetzt anstehenden Formulierungen des Protokolls zum Schutz des menschlichen Embryos ein klares Verbot einzuführen. Nur - das will ich unseren Partnern in aller undiplomatischen Unhöflichkeit nicht ersparen -, es ist nicht so, als ob wir in dieser Frage nicht diskutiert hätten. Es ist nicht so, als ob wir als Bundesrepublik Deutschland unsere Position in dieser Frage nicht auf den Tisch gelegt hätten. Es war vielmehr so, daß wir keine Mehrheit bekommen haben. Ich finde es schon bemerkenswert - ich sage das in aller Deutlichkeit, obwohl ich mich darüber freue, daß es endlich dahin gekommen ist -, daß erst, nachdem die Debatte über Dolly losging, etwa in Italien eine hektische Reaktion im Sinne einer Notverordnung eingetreten ist und daß in Frankreich und übrigens auch in den USA entsprechende Regelungen erst zu diesem Zeitpunkt gefunden worden sind. Daß in Großbritannien entsprechende Bemühungen und öffentliche Diskussionen anstehen, vermag ich noch nicht zu sehen. Ich sage wiederum bewußt sehr undiplomatisch, daß ich inzwischen schon etwas Probleme damit habe - auch als jemand, der sich dafür einsetzt, daß wir in Europa eine moderne Forschungslandschaft haben -, daß manches, was in Großbritannien jetzt selbstverständlich zu sein scheint - die Debatten über BSE gehören für mich in denselben Kontext wie die Debatte über das Klonen -, mit einer Art von Unbekümmertheit stattfindet, die ich nicht nur nicht akzeptieren kann, sondern die auch verändert werden muß. Das sage ich nicht aus der Position desjenigen, der glaubt, in allen Fragen recht zu haben.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Bierstedt?

Dr. Jürgen Rüttgers (Minister:in)

Politiker ID: 11001899

Gern.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Bitte.

Wolfgang Bierstedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002629, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Minister Rüttgers, Sie haben von bedenkenswerten internationalen Reaktionen gesprochen und Italien und weitere Länder angeführt, die den Erkenntnisprozeß im Zusammenhang mit dem Menschenrechtsübereinkommen des Europarates zur Biomedizin betreffen. Könnten Sie sich unter Umständen vorstellen, daß die Nichtratifizierung dieses Abkommens durch den Deutschen Bundestag bzw. die Nichtunterzeichnung durch die Bundesregierung ein weiteres Signal wäre, diesen Prozeß zu befördern?

Dr. Jürgen Rüttgers (Minister:in)

Politiker ID: 11001899

Ich möchte dazu nicht abschließend Stellung nehmen, Herr Kollege Bierstedt, und zwar aus folgendem Grund: Bei all diesen Regelungen stehen wir immer vor einem ethischen Dilemma: Wir wissen, daß wir in Deutschland klare Regelungen haben. Wir wissen aber auch, daß in den anderen europäischen Ländern - das wird sich noch potenzieren, wenn sie sich auf die internationale Ebene erstrecken - wenn überhaupt, erheblich schwächere Regelungen existieren und daß die jetzt Befundende Form der Bioethik-Konvention eine Verbesserung des Schutzstandards bedeutet. Sie entspricht aber nicht unserer Vorstellung; sie reicht uns nicht aus. Wir werden also abzuwägen haben, ob wir dem Fortschritt, der damit erzielt wird - im Lichte des noch auszuhandelnden Protokolls mag sich das Problem vielleicht lösen -, zustimmen wollen. Gegebenenfalls werden wir uns für das weniger Gute entscheiden müssen, um das Schutzniveau in Europa insgesamt zu erhöhen. Das ist aber eine Frage der Abwägung. Es ist nicht das, was ich mir wünsche; aber wir stehen vor einem Dilemma. Seitens der Bundesregierung haben wir bisher noch nicht beschlossen, daß wir die Unterzeichnung vornehmen, weil wir genau diese Debatte noch führen wollen. Meine Damen, meine Herren, lassen Sie mich abschließend sagen: Wenn es nicht fast zynisch wäre, müßte man sagen, daß der Versuch in Großbritannien, wenn überhaupt, nur insofern einen Sinn macht, als er uns international zu einer Diskussion geführt hat, die wir mit den Bemühungen von deutscher Seite in den Verhandlungen bisher nicht haben anstoßen können. Daher glaube ich, daß wir diese Diskussion nutzen müssen, um a) international zu Regelungen zu kommen und b) in Deutschland die klare Position aufrechtzuerhalten und nicht durch unsere Diskussion zu irgendwelchen Aufweichungen beizutragen. Vielen Dank. ({0})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolf-Michael Catenhusen, SPD-Fraktion.

Wolf Michael Catenhusen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000326, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Damen und Herren! Frau Präsidentin! Es ist kaum zehn Jahre her, da rückten Wissenschaftler wie der von mir hockgeschätzte Professor Hans-Peter Wolff auf dem Deutschen Ärztetag das Klonen von Menschen in den Bereich der Utopie. Er sprach damals, im Jahr 1985, von „utopischen Eingriffen wie der Klonierung, der Herstellung beliebig vieler identischer Individuen" . Wir wissen heute, daß uns nur noch einige hundert Versuche an menschlichen Eizellen von der Herstellung eines menschlichen Klons, der auch lebt, trennen. Eigentlich kann uns diese Entwicklung nicht überraschen; sie lag in der Luft. Es ist interessant, daß gerade im Bereich der Künstler dieses Zeitgefühl sehr stark vorhanden ist. Im Oktober 1996 wurde das Stück „Die Menschenfabrik" von Wolfgang Bauer in Graz uraufgeführt. Darin wurde das Klonen als Tragödie dargestellt. Vielleicht hat der eine oder andere die Filmkomödie „Geliebt von vier" gesehen, ein Film, in dem dargestellt wird, wie strapaziös es für eine Frau sein kann, wenn sich der geliebte Mann, der Partner, auf einmal vervierfacht. Der Gedanke an das Klonen löst eine Mischung von Faszination und Horror aus. In der Idee des Klonens, die viel älter ist als die Entwicklung dieser technischen Möglichkeit, schlägt sich offenkundig der Wahn der Menschen nieder, wir könnten aus dem Prozeß des Lebens und Sterbens herausspringen, wir könnten gleichsam aus unserer biologisch vorbestimmten Existenz aussteigen, wir könnten als wertvolles, unverzichtbares Individuum, so der Glaube eines Menschen von sich selbst, ewig werden. Diese Idee wird auch nach dem Schaf „Dolly" nicht Wirklichkeit werden. Wir können mit dem Klonen biologische Kopien von Menschen herstellen. Aber wenn es stimmt, daß der Mensch nicht nur Produkt seiner Gene ist, dann wird natürlich auch die Kopie, wenn sie leben würde, nicht identischer Mensch sein. Die Hoffnung, die vielleicht der eine oder andere auf seinen Klon setzen könnte, wäre schwer zu erfüllen. Im Gegenteil: Die Idee des Klonens schließt die Planung ein, daß das neue Wesen, zumindest in groben Zügen, den Lebensweg seines Vorbilds wiederholen wird. Das heißt, daß ein inhumaner Erwartungsdruck des Schöpfers eines Klons auf dem Leben dieses Klons lasten würde. Nun ist es sicherlich so, daß wir mit diesem Thema vertraut sind schon aus der Lektüre von Büchern wie denen von Aldous Huxley und gleichen Wahrnehmungen etwa in einer Folge von „Star Trek", in der die Astronauten auf die Mariposers treffen, Klone, die auf einem Planeten voller Klone leben. Das Interessante ist, daß es in all diesen Bildern von Gesellschaften, in der das Klonen von Menschen akzeptiert und praktiziert wird, keine Familien, keine sozialen Beziehungen gibt, in denen Klone aufwachsen und leben. Im Kern geht es doch um das Problem, daß dann, wenn Klonen in der Gesellschaft akzeptiert und praktiziert würde, der Prozeß der Zeugung, der Geburt menschlichen Lebens und der Prozeß des Lebens ohne Familie, ohne ein soziales Umfeld stattfinden würde. Wäre wirklich mein Klon mein Sohn? Sind Klone untereinander Geschwister? „Emma" frohlockt, Väter könnten entbehrlich werden. Klonen erzwänge eine großflächig praktizierte Leihmutterschaft; denn eine Mutter könnte nicht das Potential von beliebig vielen genetisch identischen Kopien ausschöpfen. Das heißt wir werden mit einer gesellschaftlichen Veränderung konfrontiert, die nach meiner Überzeugung im Kern begründet, warum wir uns als Gesellschaft in Deutschland gegen das Klonen entscheiden und warum wir die Feststellung treffen, daß das Klonen gegen die im Grundgesetz geschützte Würde des Menschen verstößt. Mit dem Klonen lösen wir die Herstellung von Menschen aus dem natürlichen Zeugungsprozeß und aus dem Familienverband heraus und beschreiten damit für den Menschen den Weg der asexuellen Vermehrung: Vermehrung ohne Liebe, ohne Familie, ohne Angehörige. Die Retortenbefruchtung war immerhin noch der Versuch, Paaren den Wunsch nach einem eigenen Kind zu erfüllen. Das kann man kritisch sehen; wir haben Einschränkungen vorgenommen. Aber ich denke: Eine Behandlung wegen Kinderwunsch ist immer noch auf das Bedürfnis orientiert, daß sich Paare den Wunsch nach ihrem eigenen Kind erfüllen. Klonen fällt ganz aus diesem personalen Verband heraus. Deshalb, denke ich, gibt es gute Gründe, warum wir uns grundsätzlich, kategorisch gegen eine Gesellschaft mit geklonten Menschen aussprechen. ({0}) Die Würde des Menschen gründet sich nicht zuletzt auf der Individualität, der Unverwechselbarkeit der menschlichen Person als Ergebnis des biologischen Zufalls. Sowohl der gezielte Eingriff in die menschlichen Erbanlagen - daher ist es legitim, daß die PDS diesen Punkt in die Debatte einbringt ({1}) als auch das Klonen stimmen mit diesem unseren Verständnis von der Würde des Menschen nicht überein. Deshalb war es eine weitsichtige Entscheidung des Parlamentes, 1990 dieses strafrechtliche Verbot gesetzlich zu verankern. Ich denke, das ist einer der Fälle, in denen die Politik der Öffentlichkeit vermitteln kann, daß wir dem, was technisch machbar ist, nicht hinterherlaufen, daß wir nicht nur aufgeweckt werden, wenn es passiert, sondern daß wir in Einzelfällen - ich will das nicht überstrapazieren - zu einer gewissen Vorsorge, zu der wir auch von der Verfassung verpflichtet sind, fähig sind. Denn ich verstehe unsere Verfassung so, daß wir als Gesetzgeber die Pflicht und die Aufgabe haben, die Würde des Menschen gegen sich abzeichnende neue technische Entwicklungen dort, wo sie die Menschenwürde gefährden und beeinträchtigen könnten, zu verteidigen. Wir haben diesen vorbeugenden Schutz der menschlichen Würde mit dem Verbot des Klonens sichergestellt. Ich möchte alle in diesem Hause darum bitten, daß wir uns mit den Aussagen, die wir hier heute gemeinsam treffen, gegenseitig ernst nehmen. Ich halte nichts von einer taktisch geführten Debatte, nach dem Motto: Die Glaubwürdigkeit in bezug auf die Ablehnung des Klonens entscheidet sich erst dann, wenn wir die Position der Grünen in der Fortpflanzungsmedizin und der Präimplantationsdiagnostik oder auf anderen Gebieten teilen. Wir müssen davon ausgehen: Es gibt ein breites Methodenspektrum der modernen Biologie. Es gibt sehr unterschiedliche Gründe, mit denen man Abwägungen vornehmen kann. Es gibt gute Gründe, warum man zum Beispiel die Retortenbefruchtung mit bestimmten Einschränkungen gesellschaftlich akzeptiert, warum man aber das Klonen als eine inhumane Entwicklung unserer Gesellschaft gemeinsam abwehrt. Ich glaube, wir tun uns auch keinen Gefallen, wenn wir uns gegenseitig taktisches Denken unterstellen. Ich nehme Herrn Rüttgers genauso wie Frau Steindor ihre Position ab; ich freue mich darüber, daß wir hier eine gemeinsame Grundüberzeugung haben. Wir müssen wissen, daß diese Diskussion, die wir hier in kleinem Kreise führen, vom Ausland sehr aufmerksam verfolgt wird. Wir in Deutschland wissen, daß Gesetze nicht Tabus ersetzen können. Das Embryonenschutzgesetz, das wir 1990 verabschiedet haben, kann mit einfacher Mehrheit jederzeit geändert werden. Wir wissen natürlich, daß uns beim Klonen - das unterstelle ich - Wissenschaftler in Zukunft Gründe dafür nennen werden, warum wir auch mit dieser Technik dem einen oder anderen Menschen helfen könnten. Das gilt genauso für die gezielten Eingriffe in die menschlichen Erbanlagen. Wir müssen, in Kenntnis dieser Möglichkeit, die Grundentscheidung gegen das Klonen beibehalten, und deshalb ist auch das strafrechtlich bewehrte Verbot des Klonens die richtige gesellschaftliche Antwort auf diesen Konflikt. ({2}) Wir haben beim Klonen eine erste reale Chance, auf dem gesellschaftlich sehr umstrittenen Feld der modernen Biologie zu einer internationalen Vereinbarung zu kommen. Gesellschaftliche Einstellungen zu modernen biologischen Methoden spiegeln auch sehr unterschiedliche kulturelle, soziale und historische Erfahrungen wider. Es geht nicht immer nur darum, daß die einen eine gute und die anderen eine schlechte Ethik haben. Wir haben aber offenkundig, zumindest im Augenblick, eine Chance, da in vielen wichtigen Industrieländern und auch im islamischen Raum - das ist interessant - Stimmen laut werden, die fordern, daß wir eine weltweite Vereinbarung für ein Verbot des Klonens brauchen. Ich denke, wir sollten diese Chance nutzen; wir bekommen sie vielleicht nicht so schnell wieder. In vielen anderen Fragen wie der der Embryonenforschung ist ein Konsens nicht in Sicht. Vereinbarungen zum Eingriff in die Keimbahnen und zum Klonen könnten die ersten Bausteine für eine weltweite Verständigung darüber sein, wie wir der Anwendung moderner biologischer Methoden an Menschen, orientiert an der Respektierung der Menschenwürde, Grenzen ziehen können. Wenn wir die Chance hätten, dies auch interkulturell zu verankern, wäre das ein ganz großer Schritt. Ich möchte allerdings zwei Hinweise damit verbinden. Ich teile nicht ganz die Überzeugung von Herrn Minister Rüttgers, daß die Bundesregierung seit der Verabschiedung dieses Gesetzes 1990 alle Chancen genutzt hat, Vorreiter für internationale Vereinbarungen auf diesem Gebiet zu werden. ({3}) Denn die Vorarbeiten für die Bioethik-Konvention des Europarates begannen schon Ende der 80er Jahre. Ich kenne interne Vermerke, in denen sich zum Beispiel das Bundesgesundheitsministerium massiv über die Untätigkeit und den Attentismus des Bundesjustizministeriums bei den vorbereitenden Beratungen für die Bioethik-Konvention des Europarates beschwert. Von einer stringenten Vertretung der Position, die wir 1990 beschlossen haben, im internationalen Kontext kann nicht durchgängig die Rede sein. ({4}) Ich sage das, Herr Minister Rüttgers, ausdrücklich nicht in bezug auf Sie. Aber ich kann der Bundesregierung diesen Vorwurf nicht ersparen. Weder bei dem ersten Entwurf der Bioethik-Konvention des Europarates noch etwa bei den Beratungen über den UNESCO-Entwurf war von Anfang an ein stringentes, ausformuliertes Einbringen der deutschen Position im internationalen Diskurs erkennbar. Ich möchte Sie ermuntern und drängen, daß die Bundesregierung - genauso wie Vertreter der professionellen Ethik in Deutschland - dazu beiträgt, daß wir nicht Außenseiter, sondern Vorreiter sind und daß unsere Vorreiterposition auch Basis für internationale Vereinbarungen wird. Bei Besuchen im Ausland macht man auch die interessante Erfahrung - die habe ich im letzten Jahr bei dem Besuch der nationalen Ethikkommission in Paris machen müssen -, daß selbst die Beiträge von professionellen Ethikern, die Beiträge der Kirchen in Deutschland, im internationalen Diskurs nicht die Rolle spielen, die wir uns wünschen würden. Danke schön. ({5})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Sigrun Löwisch, CDU/CSU- Fraktion.

Sigrun Löwisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002725, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich wende mich - wie auch Sie, Herr Catenhusen - nun besonders der ethischen Seite zu. „Die Menschenwürde ist getroffen", sagte der kürzlich verstorbene bekannte Tübinger Staatsrechtler Günter Dürig in seiner schon 1958 erschienenen Kommentierung von Art. 1 des Grundgesetzes. Er sagte - das ist wieder ganz aktuell -: Die Würde des Menschen ist getroffen, wenn der Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren ({0}) Größe herabgewürdigt wird. Das sei offenkundig der Fall, wenn Menschen wie Tiere gezüchtet würden. Günter Dürig hat bei diesen 1958 geschriebenen Sätzen Menschenzuchteinrichtungen, wie zum Beispiel den „Lebensborn" der Nazis, vor Augen gehabt. Das Klonen von Menschen ist genauso schlimm, ist noch gefährlicher. Menschen zu klonen macht sie zu austauschbaren, ja vervielfachbaren Größen. Die Individualität, die Einzigartigkeit jedes Menschen, die wir so sehr hervorheben, wird zerstört. Ich freue mich, daß wir hierin einer Meinung sind. Es hat bisher keine anderen Stimmen gegeben als die, daß wir dem Klonen von Menschen unmißverständlich Einhalt gebieten müssen. Deshalb ist es absolut notwendig und auch richtig, daß der Deutsche Bundestag heute feststellt, daß das Klonen beim Menschen in besonders schwerwiegender Weise gegen die Menschenwürde verstößt. In unserem Antrag geht es darum, noch einmal ganz scharf zu überprüfen - die Juristen haben das angesprochen -, ob die neuen Entwicklungen und auch die, die wir jetzt noch gar nicht kennen - wir müssen sozusagen um die Ecke schauen; wir müssen versuchen, das zu sehen, was es eigentlich noch gar nicht gibt -, durch das Embryonenschutzgesetz bereits abgeckt sind. Falls dies nicht der Fall sein sollte - ich will das noch einmal sagen -, müssen wir die erforderlichen rechtlichen Konsequenzen ziehen. Da sind wir uns einig. ({1}) Dolly hat uns gezeigt - Herr Catenhusen, Sie haben das gesagt -, wie rasend schnell Einschätzungen über technische Machbarkeit überholt sein können. Noch schrecken wir davor zurück, uns wirklich auszumalen, was durch das Klonen von Menschen schlimmstenfalls entstehen könnte. Wir haben einfach Angst davor, uns das genau auszumalen. Aber wir müssen uns das Schlimmste vor Augen führen, um die ethischen Grenzen unseres Handelns bestimmen zu können, um eine Grenzziehung - Grenzziehungen sind immer schwierig - wirklich vornehmen zu können. Von vielen Naturwissenschaftlern wird zwar gesagt - wir wissen es eigentlich auch -, daß es zur Zeit noch nicht oder nur schwer möglich sei, menschliche Klone tatsächlich zu schaffen. Aber wir wissen auch, wie schnell die Wissenschaft diese Hürde überwinden könnte und zwar so, daß die Methoden des Klonens in breiterem Umfang praktikabel würden. Deshalb müssen wir uns die Folgen ausmalen. Was würde passieren, wenn Menschen einzeln oder auch in großer Zahl geklont würden? Ich will das Szenario ansprechen. Wir würden Menschen bewußt eine eigene Identität vorenthalten. Was bedeutet das? Das müssen wir uns ausmalen. Man könnte den Menschen von der Stange schaffen; man könnte ihn in Serie produzieren, als Abbild eines Prototyps. Jedem Mißbrauch wäre Tür und Tor geöffnet. Man geriete in Abhängigkeit zu Machern, mit ihren vielleicht völlig unakzeptablen, sogar schrecklichen Zielen - eine Horrorvision! Es könnte eine neue Klasse von Menschen geschaffen werden: hier die Originale, daneben die Kopien - ein Alptraum! Wer würde darüber entscheiden, wer bestimmte, wer was klonen dürfte? Was geschähe mit den geklonten Menschen, wenn sie nicht den Vorstellungen der Produzenten entsprächen? Solche Gedankengänge treiben, so glaube ich, uns allen wirklich den Schweiß auf die Stirn. Wir müssen sie ernst nehmen; es ist nicht Sciencefiction. Die wenigen Beispiele zeigen auch, daß es - wir haben es heute schon mehrmals gehört - ein Verstoß gegen die Menschenwürde ist, Menschen zum Produkt der Technik zu machen. Herr Catenhusen, wie hat der Präsident der deutschen UNESCO-Kommission, Canisius, mit dem wir vor kurzem zusammensaßen, gesagt - und er hat Recht -: „Es geht darum, zu ermöglichen, was geschehen muß, und zu verhindern, was nicht geschehen darf." Beim Klonen ist diese Gratwanderung der Gentechnik nicht nötig. Wir wissen, daß das Klonen unter keinen Umständen geschehen darf. Auch die realen Interessen, die mit dem Klonen vielleicht verbunden sein könnten - Frau DäublerGmelin hat es angesprochen -, müssen von vornherein zurückgewiesen werden. Herr Minister Rüttgers hat das Beispiel mit dem Kind vorgetragen. Auch ich habe mir darüber Gedanken gemacht. Man stelle sich einmal vor, Eltern verlören ihr Kind. Läge es dann nicht doch nahe, dieses Kind durch Klonen den Eltern zurückzugeben? Könnte man so argumentieren? Nein, man könnte so nicht argumentieren. Auch dies könnte niemals eine Rechtfertigung sein. Wir dürfen nicht nach einem möglichen Zweck des Klonens fragen. Es muß ohne Wenn und Aber verboten sein, ohne Rücksicht auf etwaige Motive, auch wenn sie menschlich verständlich oder nachvollziehbar wären. Also: keine Ausnahmen! ({2}) Aber könnte nicht gefragt werden: Macht uns die Natur nicht schon die Mehrlingsbildung vor? Es gibt ja von Natur aus genetisch identische Menschen, nämlich eineiige Zwillinge und Drillinge. Warum also sollten wir nicht von Menschenhand nachvollziehen dürfen, was uns schon die Natur vormacht? Natürliche eineiige Zwillinge sind zwar genetisch identisch bzw. fast identisch, aber sie sind keine Kopie des anderen Zwillings. Das ist der große Unterschied. Sie sind beide ein Original, nur durch eine Laune der Natur zeitgleich mit identischen Erbinformationen ausgestattet. Von den psychologischen Problemen, die Menschen haben könnten, die geklont sind, möchte ich gar nicht sprechen. Auch dies ist bei eineiigen Zwillingen nicht der Fall. Das Ebenbild bei künstlichen Mehrlingen könnte viel später, vielleicht erst nach Jahrzehnten, auf die Welt kommen. Auch das würde große Probleme aufwerfen. Wir sollten uns also hüten, es der Natur gleichtun zu wollen. Die Natur handelt unvorhersehbar - für manche zufällig, für manche vorherbestimmt. Bisher hat, Gott sei Dank, kein Mensch seine Eltern vernünftigerweise fragen können: Warum habt ihr mich so gewollt und gemacht, wie ich jetzt bin? Diese Frage, die dann Sinn machte, könnte zu einer Form von Verantwortung führen, deren Dimension wir gar nicht überschauen könnten. Auch ich möchte dafür danken, daß wir uns interfraktionell zusammengefunden haben. Diese Zusammenarbeit sollte kein Ende mit diesem Antrag haben. Wir müssen sie vielmehr fortführen. Aber wir müssen uns natürlich über eines im klaren sein - es wurde zum Glück schon oft gesagt -: Ich habe eigentlich keine großen Ängste, daß wir das Klonen hier in Deutschland nicht wirklich verbieten könnten und darauf achten könnten, daß dieses Verbot eingehalten wird. Denn die Gesellschaft würde diejenigen, die das möglicherweise tun wollten, so ächten, daß sie am Rande der Gesellschaft stünden. Aber was ist international? Wir müssen unsere Blicke für die Situation weltweit schaffen. Deshalb müssen wir gemeinsam - nicht mit erhobenem Zeigefinger; das machen wir sehr gerne - darauf achten, daß weltweit ein Verbot des Klonens erfolgt. Vielen Dank. ({3})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Ich erteile das Wort jetzt dem Bundesminister der Justiz, Edzard Schmidt-Jortzig.

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Minister:in)

Politiker ID: 11002781

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben zu diesem Tagesordnungspunkt jetzt lange und intensiv diskutiert. Es zeichnet unsere Debatte zu diesem wichtigen Thema aus, daß wir uns nicht nur weitgehend, sondern voll auf das verständigen können, was der überfraktionelle Antrag formuliert. Deswegen will ich nicht noch im einzelnen auf die Dinge eingehen, sondern ganz wenige Punkte, die angesprochen wurden, schlicht und ergreifend aus der Sicht der - wenn Sie so wollen - regierungsamtlichen Rechtspolitik bestätigen. Erstens. „Die Würde des Menschen ist unantastbar." Aus diesem Programmsatz, aus diesem Grundansatz unserer Verfassung ergibt sich völlig eindeutig, daß das Klonen von Menschen - selbst wenn wir das Embryonenschutzgesetz überhaupt nicht hätten - in einer Rechtsordnung unter unserem Grundgesetz nicht möglich, nicht zulässig sein kann. Das ist - Frau Kollegin Löwisch, Sie haben völlig recht - mit der Objektformel von Günter Dürig besonders eindrucksvoll zu unterstreichen; denn wer einen Menschen klont, macht ihn eben zum Objekt und raubt ihm seine individuelle Identität, seine Einmaligkeit, seine Persönlichkeit. Es gibt also überhaupt kein Vertun, daß eine Gesellschaft, in der sich Menschen andere Menschen nach ihren Wünschen schaffen, nicht mehr auf dem Fundament unserer humanistischen Zivilisation, erst recht nicht mehr auf dem Fundament des christlichabendländischen Konsenses und schon gar nicht mehr auf dem Boden unseres Grundgesetzes steht. Das als erstes zu unterstreichen ist mir wichtig. Zweitens. Es kann und darf nach dieser Diskussion - insbesondere nach den juristischen Ausführungen, die wir dazu gehört haben - nicht ein Hauch von Zweifel bestehen, daß das Embryonenschutzgesetz das Klonen eines Menschen nach der bei dem Schaf „Dolly" angewandten Methode verbieten, unter Strafe stellen würde. Der Humangenetiker, der so etwas machte, wäre nach § 6 in Verbindung mit § 8 Embryonenschutzgesetz strafbar. Da gibt es überhaupt kein Vertun. Ich habe das schon verschiedentlich geäußert, zum Beispiel letzte Woche im Bundesrat. Die Formulierung in dem 1990 beschlossenen und 1991 in Kraft getretenen Gesetz ist in dem Punkt sehr vorausschauend gewesen. Sie spricht ausdrücklich von „gleich" statt „identisch", von „gleich" statt „demselben". Sie faßt die Definition von Embryo so formelhaft weit, daß auch eine Vorgehensweise wie in dem Verfahren beim Schaf „Dolly", auf den Mensch angewendet, darunter fallen würde. Drittens. Es ist die selbstverständliche Amtsaufgabe des Justizministers, alle vorhandenen Gesetze - namentlich zu einem so in der Entwicklung befindlichen Gebiet wie dem der Reproduktionsmedizin, der Gentechnik - ständig darauf zu überprüfen, ob sie denn den Anforderungen noch gerecht werden, ob sie möglicherweise Zweifel aufkommen lassen. Auch das wäre in diesem empfindlichen Feld schon Anlaß genug, tätig zu werden. Die Aufforderung, die dazu im interfraktionellen Antrag formuliert wird, ist ohnehin unsere Aufgabe. Deswegen wird natürlich zugesagt, daß das geschieht. Das wird auch interdisziplinär geschehen, das wird auch interressortmäßig geschehen. Natürlich werden sich die beteiligten Ressorts zusammen darum bemühen, also die Ressorts von Herrn Rüttgers, von Herrn Seehofer und von mir. Viertens. Daß wir an dieses Thema international herangehen müssen ist mir völlig klar. Es tut mir leid, daß bei diesem Punkt Herr Catenhusen nicht mehr da ist; denn seine Attacke gegen das Verhalten der Bundesregierung in Sachen Bioethik-Konvention - oder, wie es jetzt heißt: Biomedizin-Konvention - des Europarates geht an der Sache vorbei. Ich will nicht für frühere Bundesregierungen sprechen, am allerwenigsten für die, die im Jahre 1980 im Amt war, an der die Kritik von Herrn Catenhusen ja einsetzte. ({0}) - Ich weiß, daß damals ein Kanzler die Verantwortung trug, der Ihnen nicht so fern stand. ({1}) Ich will dazu nur sagen, daß wir uns seit Beginn unserer Bemühungen, die Bioethik- oder BiomedizinKonvention des Europarates voranzubringen und diesen Punkt zu fokussieren, immer in dem Dilemma befunden haben, wie weit denn die Möglichkeiten der deutschen Politik gehen, um andere auf unsere - nie strittige - Linie einzuschwören, oder ob wir dabei nicht die Einflußmöglichkeit auf andere, die andere Vorstellungen haben als wir - immerhin sind wir ja am Schluß unterlegen -, verlieren. Sollten wir in dieser Frage also einen Maximalstandard einfordern und mit einem Maximalziel antreten, aber dann, wenn wir feststellen, daß wir uns damit nicht durchsetzen können, davon wieder Abstand nehmen und mit moralisch zwar sauberen, aber politisch leeren Händen nach Hause zurückkehren? Es ist keine Frage, daß die Verhandlungen über die Biomedizin-Konvention nicht zuletzt auch deshalb länger dauerten, als zu erwarten war, weil der Deutsche Bundestag Mindeststandards formuliert und erwartet hat, daß sich die Regierung für diese einsetzt. Die deutschen Verhandler haben diese Dinge dort weitgehend abgearbeitet. Es ist bekannt, daß die Bundesregierung dieser Konvention weder zugestimmt noch sie gezeichnet hat. Sie hat noch nicht einmal hinsichtlich der Entscheidung über die Auflegung zur Zeichnung grünes Licht gegeben, sondern immer wieder versucht, die Dinge in unsere Richtung zu bewegen, also moralisch zu sensibilisieren. Dabei gibt es aber Grenzen. Dann ist die Frage, ob wir uns nicht wirklich damit zufriedengeben müssen, daß wir bei den anderen Mitgliedern des Europarates einen Standard erreichen, wie er bisher jedenfalls noch nicht existiert, und im übrigen fest im Blick haben, daß diese Konvention des Europarates - nur, aber immerhin - Mindeststandards festlegt. Damit sind wir überhaupt nicht gehindert, unsere viel weitergehenden und viel sensibleren deutschen Maßstäbe - wen wird das angesichts unserer Vergangenheit wundern? - fortzuschreiben, sie in unserer nationalen Rechtsordnung aufrechtzuerhalten. Ich will zum Schluß - gewissermaßen außerhalb des „Amtlichen" - noch eine kurze Bemerkung anfügen: Für mich persönlich - das sind Wertungen, die jeder für sich persönlich vornehmen muß - ist auch das Klonen von Tieren nicht zulässig. Vielen Dank. ({2})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den gemeinsamen Antrag der Fraktionen von CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. zu einem Verbot des Klonens von Menschen auf Drucksache 13/7243. Wer stimmt für diesen interfraktionellen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit haben wir den seltenen Fall, daß der Antrag mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen ist. ({0}) Wir kommen zur Abstimmung über den von der Gruppe der PDS eingebrachten Antrag zu einem Verbot der Keimbahnintervention und der Klonierung von Menschen auf Drucksache 13/7250. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Antrag mit den Stimmen der CDU/CSU und der F.D.P. gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt. ({1}) - Entschuldigung, das habe ich nicht gesehen. Dann ist der Antrag mit den Stimmen der CDU/CSU, F.D.P. und SPD abgelehnt worden. Vizepräsidentin Michaela Geiger Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Elke Ferner, Roland Kohn, Doris Barnett und weiterer Abgeordneter Hochgeschwindigkeitsverbindung Paris-Ostfrankreich-Südwestdeutschland - Drucksache 13/6988 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Verkehr ({2}) Haushaltsausschuß Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 40 Bonner Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Elke Ferner von der SPD-Fraktion.

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Ich möchte zunächst für die Gruppe der Unterzeichner und Unterzeichnerinnen eine kurze Begründung zu diesem Antrag geben und dann noch einige Anmerkungen aus meiner Sicht dazu machen. Ich habe diesen Gruppenantrag im Dezember 1996 initiiert, weil Pressemitteilungen - damals zum deutsch-französischen Gipfel in Nürnberg - wieder einmal die Vermutung nahelegten, daß der Neu- und Ausbau einer leistungsfähigen ICE/TGV-Strecke von Paris über Saarbrücken, Kaiserslautern und Mannheim nach Frankfurt in Frage gestellt wird. Ich habe mich an alle Abgeordneten entlang der Strecke gewandt, um analog zu den Initiativen in den Ländern, die von den Handwerkskammern, den Industrie- und Handelskammern, den Landesregierungen und den Parteien in den Ländern ausgingen und weitgehend parteiübergreifend waren, auch hier im Bundestag eine parteiübergreifende Initiative mit den Kollegen und Kolleginnen, die entlang der Strecke wohnen, hinzubekommen und im Interesse der Regionen, aus denen wir kommen, für diese Strecke zu mobilisieren. Kollegen und Kolleginnen meiner Fraktion aus den Ländern Saarland, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Hessen sowie aus der Arbeitsgruppe Verkehr haben den Antrag ebenso unterstützt wie der Kollege Roland Kohn von der F.D.P. Leider hat sich niemand von der CDU und auch niemand vom Bündnis 90/Die Grünen bereit gefunden, diesen Antrag zu unterstützen. ({0}) Ich bitte Sie - deshalb haben wir den Antrag auch so gelassen, wie er formuliert war -, sich zu überlegen, ob Sie dem Antrag nicht doch noch beitreten wollen. ({1}) Ich habe damals in meinem Anschreiben an Sie deutlich gemacht, daß das nicht an einzelnen Formulierungen scheitern darf. Ich denke auch, daß der Antragstext so, wie er gefaßt ist, grundsätzlich kein Hindernis für Sie sein dürfte, dem Antrag beizutreten. Es geht darum, die Regionen Saarland, RheinlandPfalz, aber auch Lothringen und das nördliche Baden-Württemberg in das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz einzubinden. Deshalb appelliere ich noch einmal an Sie: Treten Sie diesem Antrag bei! Jetzt möchte ich noch einige Anmerkungen aus meiner Sicht dazu machen: Das ewige Hin und Her verfolgt mich, seitdem ich Mitglied dieses Hauses bin, also seit 1994. Es kommt mir vor wie eine unendliche Geschichte. ({2}) Im Prinzip ist in den sechs Jahren gar nichts passiert. Zwei Verkehrsminister, zwei beamtete Staatssekretäre, vier Parlamentarische Staatssekretäre, unzählige Anfragen, Fragestunden, schriftliche Fragen, Gespräche mit Verbänden und Initiativen der Landesregierungen und der Kammern säumen diese sechs Jahre. ({3}) Am 19. März 1992 antwortete mir der damalige Parlamentarische Staatssekretär Wolfgang Gröbl: Die Bundesregierung strebt die Inbetriebnahme der Schnellbahnverbindung Paris-Ostfrankreich-Südwestdeutschland für 1997/98 an. ({4}) Wir befinden uns bereits im Jahre 1997. Aber wir haben noch nicht einmal einen Spatenstich, wie ihn Herr Wissmann landauf, landab so gerne tut. ({5}) - Es freut mich, daß der Kollege von der F.D.P. den Verkehrsminister einen „Spatenstichbeauftragten" genannt hat. ({6}) Das hätte ich nicht besser formulieren können. - Es ist also Schlimmes zu befürchten. Was soll aus der Strecke werden, wenn noch nicht einmal der Spatenstich gemacht ist? Geld ist keines da. Ich werde gleich noch darauf kommen. Im Mai 1992 haben die Verkehrsminister Krause und Bianco in La Rochelle die Vereinbarung von La Rochelle unterschrieben, in der sehr konkrete Zeiten für die Fahrt von Paris nach Frankfurt - einmal über den Nordast Saarbrücken-Mannheim und einmal über den Südast Straßburg - vereinbart worden sind. Durch ständig neue Aussagen seitens der Politik - auf der französischen wie auf der deutschen Seite -, aber auch seitens der SNCF und der Deutschen Bahn AG wurden die Regionen permanent verunsichert. Hiobsbotschaften und Erfolgsmeldungen folgten immer schön abwechselnd: einmal kein Geld auf der französischen Seite; dann die Meldung, Luxemburg finanziert mit; dann hieß es, kein Neubau; dann hieß es, doch Neubau; dann hieß es, der Gare Lorraine wird nicht gebaut; dann kam die Nei-Tech-Variante ins Spiel; dann war wieder einmal davon die Rede, überhaupt nicht neu zu bauen; ({7}) dann hieß es doch wieder, Neubau. - Das, lieber Herr Kollege Friedrich, das wissen Sie genau, war Herr Dürr. Er hat in unserer Ausschußsitzung, in der auch Sie anwesend waren, deutlich gemacht, daß er nur noch eine Nei-Tech-Variante wollte. Das ist wiederum von der Bundesregierung dahin relativiert worden, daß es nur eine Übergangslösung sei. Zuletzt gab es die Äußerungen von Minister Wissmann im Saarland. Er versuchte, das Ganze mit Rechentricks zu beschönigen, und redete plötzlich nur noch von der Zeit für die Fahrt zwischen Saarbrücken und Mannheim, aber nicht mehr von der Zeit für die Fahrt zwischen Paris und Frankfurt. Die Verunsicherung ist so groß geworden, ({8}) daß selbst der Bundeskanzler auf Grund eines Schreibens des Präsidenten des Conseil Général de la Moselle Aufklärungsbedarf sieht. Ich zitiere Ihnen jetzt einmal aus dem Schreiben des Herrn Bundeskanzlers an den Verkehrsminister vom 4. Dezember 1996. Er schreibt an den Verkehrsminister: Bitte prüfen Sie diese Unterlage und übermitteln Sie mir bald eine Stellungnahme zu diesem Thema. Für mich wird dieser Vorgang immer undurchsichtiger. Ich glaube nicht, daß es eine gute Politik ist, die Menschen in dieser Weise hinters Licht zu führen. ({9}) - Ja, der Bundeskanzler. Ich kann nur sagen: Recht hat der Mann. Ich hoffe, daß der Bundeskanzler, der sich ja auch persönlich sehr für die Strecke, insbesondere für den Nordast, eingesetzt hat, bei seinem Wort bleibt und im Kabinett einmal Tacheles redet, damit hier nicht immer weiter Verunsicherung betrieben wird, sondern endlich etwas passiert. ({10}) Unser Antrag ist also keine Panikmache. Er hat sich auch nicht erledigt, Herr Kollege Reichardt, weil alles auf bestem Wege ist. Es ist eine große Verunsicherung im Gange. Ich glaube wirklich, daß die Sorge in der Region, daß es keine Einbindung, sondern vielleicht nur eine Anbindung an das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz gibt, sehr wohl berechtigt ist. Sie wollen doch sicher nicht Ihren eigenen Kanzler diskreditieren. ({11}) Wenn Sie mir das nicht glauben, was ich hier zitiert habe, dann kann ich es Ihnen gerne einmal zeigen. Herr Dürr war gestern in Saarbrücken und hat bekanntgegeben: Ab 1998 gibt es den Nei-Tech-Zug. Er hat sich aber nicht zu der Frage geäußert, ob denn nun die geplante Ausbaustrecke, wie von der Bundesregierung angekündigt, wenigstens später - etwa um das Jahr 2000 - zur Verfügung steht. Diese Strecke ist Bestandteil der Transeuropäischen Netze, die leider genausowenig finanziert sind wie der Dreijahresplan Schiene. Ich denke, als Übergangslösung ist diese NeiTech-Variante sicherlich akzeptabel. Zu zweierlei Dingen darf es aber nicht kommen: Es darf erstens nicht dazu kommen, daß wir mit einer sicherlich vernünftigen, aber noch neuen Technik ein ähnliches Desaster erleben, wie wir das mit dem Pendolino auf der Nahe-Strecke erlebt haben. Er fährt nämlich heute noch nicht, ({12}) obwohl das zum letzten Fahrplanwechsel groß angekündigt worden ist. Wenn dieser Nei-Tech-ICE nur bis Metz fahren soll, bedeutet das einen „gebrochenen Verkehr" . Das heißt, es gibt möglicherweise nicht einmal mehr eine durchgehende Verbindung von Paris nach Frankfurt. Das kann ja nun wirklich nicht im Interesse der Region sein, daß hier vorhandene Standards noch einmal massiv verschlechtert werden. Wenn die Franzosen die Neubaustrecke auf ihrer Seite gebaut haben, wird sich herausstellen, daß die Gesamtfahrzeit von Frankfurt nach Paris, die in La Rochelle vereinbart wurde, auf Grund der nur für Nei-Tech ausgebauten deutschen Strecke nicht zu halten ist.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kunick?

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne, Herr Kunick.

Konrad Kunick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002711, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, könnten Sie sich vorstellen, daß die Unruhe des Bundeskanzlers daher rührt, daß es sich um das Projekt Nummer 4 aus der Liste der vom Europäischen Rat am 9. und 10. Dezember 1994 in Essen ausgewählten 14 Vorhaben handelt und daß der Bundeskanzler Wert darauf legt, daß seine Unterschrift nicht durch das Verhalten des Verkehrsministers bereits kurze Zeit später - im europäischen Rahmen ist das ja eine kurze Zeit - wertlos gemacht wird?

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist natürlich ein Grund, Herr Kollege Kunick. Der Herr Bundeskanzler hat sich bisher immer für diese Strecke eingesetzt. Ich habe aber das Gefühl, daß es von einigen RegieElke Ferner rungsmitgliedern - aus welchen Gründen auch immer - torpediert wird. ({0}) Ich denke, daß Vereinbarungen, die man getroffen hat - ob das jetzt Vereinbarungen der beiden Verkehrsminister sind wie in La Rochelle oder ob das Vereinbarungen sind, die man im Europäischen Rat getroffen hat -, eingehalten werden müssen. ({1}) Man darf der französischen Seite, die - wie wir alle wissen - Schwierigkeiten bei der Finanzierung hat, nicht einen Vorwand dafür liefern, nichts tun zu müssen, weil die deutsche Seite ihre Zusagen nicht erfüllt. Das ist genau der Punkt, auf den es ankommt. Man kann nicht immer ein Schwarzer-Peter-Spiel machen, sondern muß Vereinbarungen, die getroffen worden sind, einhalten. Das gilt für beide Seiten - für die Bundesrepublik und für die Französische Republik. ({2}) Ein Wort zu den Grünen, die sich auf die Nei-TechVariante festgelegt haben. Man muß schon wissen, was man will. ({3}) Wenn man Flugverkehr substituieren will - beispielsweise von Frankfurt nach Paris -, dann muß man auch ein attraktives Angebot schaffen. ({4}) Man muß dann möglicherweise auch einmal in einen sauren Apfel beißen und sagen: Dann brauchen wir einen besseren Standard als eine Nei-Tech-Variante, damit die Schienenverbindung attraktiv genug ist, um mit dem Flugverkehr konkurrieren zu können. Die Forderungen in dem Antrag müßten eigentlich von allen im Hause mitgetragen werden können. Es muß uns in diesem Jahr gelingen, voranzukommen und das Ganze parteiübergreifend festzumachen. Sonst ist der Zug - im wahrsten Sinne des Wortes - abgefahren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie wirklich ganz herzlich: Überlegen Sie sich das noch einmal, treten Sie dem Antrag im Interesse der Zukunftschancen unserer Region und vor allen Dingen im Interesse der Menschen, die uns in den Deutschen Bundestag gewählt haben, bei. ({5})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Klaus Dieter Reichardt, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Klaus Dieter Reichardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002758, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schmidt, der Kanzler ist in bester Kondition. Er braucht unsere Rettungsversuche nicht. Aber vielen Dank für den Zuspruch. Sie sind offenbar der Meinung, daß Deutschland mit Helmut Kohl in bester Hand ist. So ist das auch bei dem Projekt, das wir heute besprechen. Das Projekt wurde in der Tat im Mai 1992 durch den Bundeskanzler und Frankreichs Staatspräsidenten Mitterrand auf die Gleise gesetzt. Damit sind die politischen Väter dieser zentralen verkehrspolitischen Maßnahme für Europa bekannt. Bei Frankreich wurde verschiedentlich über den Umsetzungswillen spekuliert. In diesem Jahr wird der Grunderwerb beginnen. Das setzt lange Planung voraus. Diese Planung ist erfolgt. Die Franzosen sehen vor, in diesem Jahr 700 Millionen Francs zu investieren. 1998 wollen die Franzosen für 1 Milliarde Francs bauen. Die Mitfinanzierung durch die Europäische Union ist sichergestellt. Auf deutscher Seite wird bereits 1998 die Fahrzeit zwischen Mannheim und Saarbrücken um 15 Minuten verkürzt und dann 66 Minuten betragen. Sie wird bis Mitte des nächsten Jahrzehnts stufenweise auf die sensationelle Zeit von 57 Minuten abschmelzen - demnach entscheidend schneller, als im Mai 1992 in La Rochelle verabredet. Von Mannheim nach Stuttgart fahren Sie heute in 36 Minuten. Die Zugfahrt von Paris über Mannheim nach Frankfurt oder Stuttgart soll in wenigen Jahren nur noch dreieinhalb Stunden dauern. Ich sage als Mannheimer Abgeordneter, daß meine Stadt und meine Region damit erstklassige Chancen als Verkehrsknoten für Europa gewinnen. Ich würde es sehr begrüßen, wenn die Kollegin Dr. Wegner, der Kollege Rochlitz und der Kollege Vergin, die gleichfalls Mannheim im Bundestag vertreten bzw. in dieser Stadt wohnen, sich an der Debatte beteiligen würden. Aber da macht sich sachpolitische Fernstenliebe oder möglicherweise ein „vorgezogener Osterhase" bemerkbar.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Ferner?

Klaus Dieter Reichardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002758, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe nur fünf Minuten Redezeit. Wenn das nicht angerechnet wird, Frau Präsidentin, sehr gerne.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das wird niemals angerechnet.

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Würden Sie, Herr Kollege Reichardt, bitte zur Kenntnis nehmen, daß der Herr Kollege Vergin wegen eines Trauerfalls im engeren Bekanntenkreis heute früher nach Mannheim zurückkehren mußte, um zur Beerdigung zu gehen, und deshalb nicht anwesend sein kann und die Frau Kollegin Wegner wegen anderer Verpflichtungen, die schon früher terminiert waren als diese Debatte, leider auch nicht an der Debatte teilnehmen kann? Sonst hätten natürlich beide der Debatte beigewohnt und auch aus Mannheimer Sicht das Wort ergriffen.

Klaus Dieter Reichardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002758, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Ferner, hinsichtlich des Kollegen Vergin war mir der Sachverhalt nicht bekannt. Ich möchte ausdrücklich festhalten, daß ich dies akzeptiere. Im Falle der Frau Kollegin Dr. Wegner, deren Terminkalender ich nicht zu bewerten habe, darf ich aber sagen, daß ich selber meinen Terminkalender für heute völlig umgruppiert habe, weil dies ein wichtiges, ein zentrales Thema für die Region ist, und daß es notwendig wäre, hier im Konsens der Parteien fundiert miteinander über die anstehenden Fragen zu diskutieren. Wir alle haben wenig Zeit. Möglicherweise will man sich aber mit Sachthemen gar nicht über Gebühr belasten. Ich. darf folgendes sagen: Frau Ferner, Sie arbeiten in dieser Frage sehr eng mit dem „Mister Nullmark" der deutschen Politik zusammen, was die Querverweise auf den gestrigen Termin in Saarbrücken unterstreichen. Dieser steht jetzt am Gleis - das ist das Problem der Verunsicherung, das Sie ansprechen - und will mit der Pfeife trillern. Jeder Zoll von ihm ein Hilfsschaffner - der saarländische Europameister für heiße Luft. Es ist Tatsache: Die Bündnisgrünen weigern sich derzeit, auch nur die geringsten Schritte auf dem Weg mitzumachen. Kein einziger hat Ihren Antrag unterschrieben. Ihre „Partner der Zukunft" - Sie sind ja auch immer für das rotgrüne Bündnis, das Sie abgeschlossen haben - demontieren insofern schon prophylaktisch eine allfällig gewünschte Mehrheit. ({0}) - Sie lachen selber darüber und sehen die ganze Ausweglosigkeit Ihrer Situation in der gewünschten Konstellation. ({1}) Die Bündnisgrünen haben die Fahrkarte nach Europa in der muffigen Kammer ihrer ideologischen Blockade vergraben. ({2}) - Herr Kollege Schmidt, der Zug Richtung Zukunft ist schon lange an Ihnen vorbeigerauscht. Helmut Kohl, die Deutsche Bahn AG und unsere französischen Freunde haben den Zug in die richtige Richtung gespurt. Die entscheidenden Weichen sind längst gestellt ({3}) ohne Ihren Antrag, liebe Frau Ferner -, gestellt durch die Bundesregierung und ohne Rot-Grün als Gesamtkonstellation. ({4}) Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Carstens, gilt stellvertretend für die Bundesregierung der Dank meiner Heimatregion. ({5}) Auch persönlich bedanke ich mich für die ausgezeichnete Zusammenarbeit. Meine Damen und Herren, unser Zug ist der Zug Richtung Zukunft. ({6}) Der rot-grüne Zug ist ein Bummelzug nach nirgendwo. Herzlichen Dank. ({7})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat der Abgeordnete Albert Schmidt, Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen.

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bemerkenswerte an der Rede gerade eben war: Mein Vorredner hat alle angegriffen, hat jedem irgendwie ein bißchen recht gegeben und eigentlich nichts konkret dazu gesagt, ({0}) warum es seit sechs Jahren klemmt, warum nichts weitergeht und wann und wie es nach Ihrer Meinung weitergehen soll. Dazu haben Sie kein einziges Wort gesagt. Aber nun zum Thema. ({1}) - Das ist nun wirklich eine wegweisende, auf dem aktuellsten Stand der politischen Diskussion befindliche Bemerkung. Der Hochgeschwindigkeitsausbau auf der Achse Paris-Saarbrücken-Frankfurt ist der Sache nach völlig unstrittig. Auch wir halten eine Verknüpfung des Hochgeschwindigkeitsnetzes zwischen Deutschland und Frankreich für von zentraler Bedeutung für sämtliche angesprochenen Regionen, die davon unmittelbar profitieren würden. Albert Schmidt ({2}) Was allerdings jetzt in der Diskussion ist, ist die Frage des Zeitrahmens, ist die Frage des Ausbaustandards und ist insbesondere, wenn wir einmal ehrlich sind - es wundert mich, daß keiner das bisher ehrlich angesprochen hat -, die Frage des Finanzrahmens. Auf deutsch gesagt: Wieviel Geld wird es kosten? Wieviel Geld steht zur Verfügung? Um es gleich vor weg zusagen: Wir können mit dieser Debatte weitere sechs Jahre verbringen, und passieren wird gar nichts. ({3}) Bei Punkt 1 Ihres Antrages, liebe Kollegin Ferner, sind wir hundertprozentig d'accord. Womit wir Schwierigkeiten haben, ist die Formulierung - ich sage das ganz klar - in Punkt 4, wo es heißt: „Dabei kann die Verwendung von Neigetechnikzügen nur vorübergehend sein ..." Hierzu sagen wir: Das wird der technologischen Entwicklung nicht gerecht. Denn der ICT wird ein Hochgeschwindigkeitszug mit serienmäßig eingebauter Neigetechnik sein. Er wird das Regelfahrzeug der Zukunft werden. Die Forderung, er solle nur übergangsweise unterwegs sein, kann ich nicht ganz nachvollziehen. Diese Zukunft, von der ich spreche, beginnt übrigens schon 1998. Nun aber ganz konkret zu dem geplanten Strekkenmodell. Für die Strecke Paris-Frankfurt benötigt man derzeit eine Fahrzeit von etwa sechs Stunden. Wenn wir hier mit dem Flugverkehr konkurrieren wollen - ich bin mit der SPD einer Meinung, daß wir auf der Schiene eine attraktive Alternative zum Flugverkehr benötigen -, dann müssen wir in beiden Bereichen ansetzen - bei der Schiene, auf der der Zug unterwegs ist, aber auch bei der Belastung des Luftverkehrs. Das haben wir diese Woche schon einmal diskutiert. Nur zusammen macht dies einen Sinn. Nun zur Fahrzeit. Ich betrachte einmal den deutschen Abschnitt zwischen Saarbrücken und Frankfurt. Dazu hat der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn AG, Heinz Dürr, am 13. März 1996 - also vor einem Jahr - im Verkehrsausschuß ausgeführt, daß wir derzeit eine Fahrzeit von 130 Minuten hätten. Nach der bisherigen Planung des Bundesverkehrswegeplanes werde sich diese Fahrzeit auf 107 Minuten - Kostenpunkt: 650 Millionen DM - verkürzen. Die Fertigstellung sei für das Jahr 2001 in Aussicht genommen. Als Alternative hat er uns vorgerechnet, wie es sei, wenn wir die Nei-Tech-Lösung wählen, also Neigetechnikzüge einsetzen. Dies gäbe eine Fahrzeitverkürzung auf 105 Minuten, also angeblich noch zwei Minuten schneller. Der Effekt wäre also ungefähr der gleiche. Die Kosten lägen bei 250 Millionen DM, also etwa bei einem Drittel der zuvor genannten Kosten. Die Fertigstellung - das ist für mich der entscheidende Punkt - wäre 1998. Wenn ich vor einer solchen Alternative stehe - Sie wissen ja, daß ich mit Heinz Dürr nicht immer einer Meinung bin; über diesen Verdacht bin ich, so glaube ich, erhaben -, dann muß ich feststellen: Wo er recht hat, hat er einfach recht. Das muß man so deutlich sagen. ({4}) - Ich komme noch auf die Strecke Frankfurt-Paris. Die Grünen - das gilt nicht nur für die Grünen in Deutschland, hier insbesondere die in Baden-Württemberg oder Bayern, sondern auch für die Grünen in Lothringen und im Elsaß; wir haben uns mit unseren französischen Kolleginnen und Kollegen zusammengesetzt und haben am 22. Juni letzten Jahres eine gemeinsame Erklärung unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Heinz Dürr verfaßt und abgegeben - haben folgende vier Forderungen für die gesamte Strecke aufgestellt: Erstens. Wir sind ausdrücklich für die Anwendung der modernsten Technik der Neigezugtechnik, inklusive der Telematik, und zwar dort, wo es Schwierigkeiten bei der Kapazität gibt. Zweitens. Wir sind für einen effizienten Einsatz der Finanzmittel. Drittens. Wir sind für einen Ausbau in ökologisch vertretbarem Rahmen. Das ist für uns mindestens genauso wichtig wie der verkehrliche Aspekt. Denn wenn ich zum Beispiel im Pfälzer Wald zuerst einen Tunnel bauen müßte, der 1 Milliarde DM kostet, damit ich noch ein paar Minuten Fahrzeitverkürzung herausschinden kann, dabei aber Landschaft zerstört wird, dann wären wir dafür nicht zu haben. Viertens. Wir wollen, daß die regionale Verknüpfung mit dem Nahverkehr sichergestellt ist. Denn, wie auch das Grünbuch „Bürgernetz" der EU gezeigt hat, die schönste Hochgeschwindigkeitsstrecke nützt nichts, wenn die Anbindung an die Regionen mangelhaft ist. Das heißt konkret: Der Grundsatz, der hier angewandt wird - moderne Fahrzeugtechnik; ich sage einmal etwas salopp: der Zug mit der eingebauten Neubaustrecke -, kann unter Umständen die intelligentere Lösung darstellen. Wir bitten den Verkehrsminister, die Anwendung dieses Prinzips auch im Hinblick auf andere Streckenführungen, zum Beispiel zwischen Nürnberg und Erfurt, intensiv in Erwägung zu ziehen. ({5}) Das ökologisch Verträgliche ist oft auch das technisch Modernste und sehr häufig auch das ökonomisch Vernünftige. ({6})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Roland Kohn, F.D.P.-Fraktion.

Roland Kohn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001168, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Das Rhein-NeckarDreieck, die historische Kurpfalz, ist einer der wichtigsten Wirtschaftsräume in der Bundesrepublik Deutschland. Deshalb ist es ein mehr als berechtigtes Anliegen, daß die Vertreter dieses Raums hier im Deutschen Bundestag gemeinsam darüber nachdenken, wie sie die verkehrliche Anbindung dieser Region auch in Zukunft stärken. Meine Fraktion ist jedenfalls der Auffassung, daß dies ein wichtiges Thema ist. Ich möchte mich bei der Gelegenheit bei meiner eigenen Fraktion dafür bedanken, daß sie mir, obwohl es sich hier nicht um einen Fraktionsantrag, sondern um einen Gruppenantrag handelt, ihre Redezeit eingeräumt hat. Sie ist eine wahrhaft liberale Fraktion; vielen Dank. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte zwei Aspekte in den Vordergrund meiner kurzen Ausführungen stellen. Erstens. Wir haben aus der Sicht des Bundeslandes Baden-Württemberg in der Vergangenheit immer die Position vertreten, daß bei den beiden Ästen, die von Paris über Straßburg nach Karlsruhe bzw. über Saarbrücken nach Mannheim laufen, Gleichrangigkeit und Gleichwertigkeit gegeben sein müssen. Diese Gleichwertigkeit ist außerordentlich bedeutsam. Daher muß bei allen weiteren Fortschritten in der Verwirklichung dieser Maßnahme geprüft werden, ob diese Gleichwertigkeit aufrechterhalten wird. ({1}) Der zweite wesentliche Punkt: Es handelt sich ja hier nicht nur um eine innerdeutsche oder deutschfranzösische Linie, sondern wir reden hier von einer europäischen Magistrale, die im Grunde von Paris über Warschau bis hin nach Moskau angelegt ist. In diesem Kontext müssen wir dafür Sorge tragen, daß auch die notwendigen Beiträge aus der Europäischen Union für solche leistungsfähigen europäischen Verkehrsnetze auf den Weg gebracht werden. Die Gründe, warum wir diesen Antrag heute hier eingebracht haben, sind in vier Punkten zusammenzufassen. Zum einen gibt es in Frankreich eine intensive Diskussion über die Wirtschaftlichkeit dieser gesamten Maßnahme. Ich verweise darauf, daß das Gutachten einer Gruppe, die von der französischen Regierung eingesetzt wurde, hier zu sehr zurückhaltenden Bewertungen gekommen ist, so daß sich die Frage nach der Glaubwürdigkeit des französischen Engagements stellt. Man muß es zumindest als ein Problem thematisieren. ({2}) Meine Damen und Herren, der zweite Punkt: Wir wissen, daß Frankreich aus sehr wohl nachvollziehbaren innerfranzösischen Gründen eine absolute Priorität auf die Anbindung der Europastadt Straßburg mit dem Sitz des Europäischen Parlaments setzt. Von daher ist zumindest die Frage mehr als gerechtfertigt, ob hier nicht doch eine gewisse Priorisierung bei der Verwirklichung dieser Maßnahme, auch was ihre Standards angeht, von französischer Seite aus geplant ist. Der dritte Punkt - auch das ist in diesem Parlament nichts Neues; heute morgen ist in diesem Hause über Steuerpolitik diskutiert worden -: Auch wir in der Bundesrepublik Deutschland haben Haushalts- und Finanzprobleme. Vor diesem Hintergrund müssen wir uns natürlich darüber Gedanken machen, wie wir mit einem vernünftigen Kosten-Nutzen-Verhältnis eine möglichst optimale Bedienung auf dieser Strecke erreichen. Damit komme ich zum vierten Punkt und kann insofern auch an meinen Vorredner anknüpfen, als ich darauf hinweise, daß es nicht darum geht, die Neigetechnik etwa abzulehnen. Wir haben damit überhaupt kein Problem. Im Gegenteil: Wir wollen sie möglichst frühzeitig zum Einsatz bringen. Aber die gegenwärtigen Ausbaustandards sind für maximal 200 Stundenkilometer vorgesehen. Vor diesem Hintergrund bin ich der Auffassung, daß man nur mit gebremstem Schaum von einer wirklichen Hochgeschwindigkeitsstrecke reden kann. ({3}) Wir müssen ernsthaft darüber nachdenken, welche weiteren Maßnahmen danach möglich sind, damit nicht eintritt, was wir immerhin als Sorge hier artikulieren wollen, daß man nämlich sagt: Ihr habt jetzt die Neigetechnik bekommen, was zu einer gewissen Verkürzung der Fahrzeiten führt - Herr Kollege Reichardt hat das angedeutet -, und das war es dann. Dies wäre für die Region und die betroffenen Menschen, aber auch für die dortige Wirtschaft nicht der richtige Weg. ({4}) Der letzte Punkt: Es ist ganz wichtig, daß wir dafür sorgen, daß die Maßnahmen, die in La Rochelle zwischen Frankreich und Deutschland verabredet worden sind, auch eingehalten werden. Dies ist für uns und auch für mich als Mannheimer Abgeordneten von besonderer Bedeutung. Ich hoffe, daß es die sozialdemokratische Bundestagsfraktion nicht zu sehr geniert, daß sie einen Gruppenantrag gemeinsam mit dem Abgeordneten Kohn machen mußte, konnte, wollte oder wie auch immer. ({5}) Ich jedenfalls kann für meinen Teil sagen: Wenn es um die Interessen der Menschen in meinem Wahlkreis geht, kenne ich keine Parteien mehr, sondern nur noch Kurpfälzer. ({6})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Winfried Wolf, PDS.

Dr. Winfried Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002830, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorab zum Stil des Hauses und zu der Einleitung der Kollegin Ferner: Beim letzten Tagesordnungspunkt am DonDr. Winfried Wolf nerstag letzter Woche - es ging auch um das Thema Verkehr, und zwar um das nicht unwichtige Thema der Verlagerung des Postverkehrs von der Schiene auf die Straße - war ich, obwohl es noch nicht sehr spät war - es war 20.30 Uhr - der einzige Redner. Alle anderen haben ihre Reden zu Protokoll gegeben, und von den Verkehrsleuten war niemand anwesend. Außerdem, wenn Sie, Kollegin Ferner, sagen, daß bei dem Antrag entlang der Strecke alle gefragt worden sind - ich bin Karlsruher Abgeordneter und in Baden-Württemberg auf Platz eins gewählt -: Ich bin zu dem Thema nicht gefragt worden. Soviel zum Thema Stil des Hauses und zum Knigge. In dem zur Debatte stehenden Antrag wird eine Hochgeschwindigkeitsverbindung Paris-Ostfrankreich-Südwestdeutschland und ihre Weiterführung über Frankfurt, Berlin und München nach Ost- und Südosteuropa propagiert und behauptet: Eine schnelle Anbindung an das europäische Eisenbahnhochgeschwindigkeitsnetz ist ... von grundlegender Bedeutung für die Menschen .. . in Europa, aber auch für die Länder Saarland, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. Es klingt wie eine Freudsche Fehlleistung: Ganz obenan stehen die Menschen und die Wirtschaft in Europa. Erst darüber hinaus soll den Menschen in der Region gedient werden. Wo der Antrag recht hat, da hat er recht: Tatsächlich ist es vor Ort so, daß sich 90 Prozent der Schienenverkehre im Entfernungsbereich unter 50 Kilometern bewegen. Tatsächlich liegt die Reichweite von Fernverkehrsfahrkarten, die bei der Bahn in dieser Region gelöst werden, im Durchschnitt bei 210 Kilometern Entfernung. Dennoch wird von Entfernungen wie ParisMoskau und Paris-Warschau sowie von Fernverkehren zwischen Frankreich und Südosteuropa geredet. Den Hochgeschwindigkeitsverkehren Paris-Südwestdeutschland, gar noch bis Süd- und Osteuropa kommt also diejenige Rolle zu, die jedem Fernverkehr mit solchen Entfernungen zukommt: Sie betreffen eine wirklich kleine Minderheit, die vielleicht 5 Prozent der Bahnreisenden ausmacht. Derzeit findet aber in dieser Region der Abbau von grenzüberschreitenden Schienenverbindungen statt. Im Augenblick wird die Bliestalbahn - die Strecke Homburg-Blieskastel-Saargemünd - abgebaut. Auf der jüngst ans Licht gezerrten Liste der Deutschen Bahn AG sind die Verbindungen Dillingen-Hemmersdorf({0}) und Müllheim-Neuenburg({1}) als für eine Stillegung zu prüfen vorgesehen. Dazu kein Wort im Antrag der Kollegin Ferner und anderer, auch in keiner Rede heute. Vor kurzem setzte sich der örtliche CDU-Bürgermeisterkandidat am Infostand der PDS-Saarland in Blieskastel nachdrücklich für die Wiederinbetriebnahme der Bliestalbahn ein. Wir gestehen, daß uns bei einer solchen Aktionseinheit von CDU und PDS nicht besonders wohl ist. Aber sie ist heute real vor Ort gegeben. Auch dies sind verkehrspolitische Realitäten. Durchaus im Kontrast zur SPD in Rheinland-Pfalz scheinen die SPD des Saarlandes und dieser Antrag auf der Linie zu liegen: Hochgeschwindigkeitsverbindungen ja, aber wenig zum Thema Flächenbahnen. Nur so läßt sich verstehen, daß es in dem Antrag unter anderem heißt: Die Verwendung von Neigetechnikzügen kann nur vorübergehend sein. Elke Ferner hat nochmals diesen Standpunkt vertreten. Im Kern finde ich den Antrag ebenso populistisch, weil anscheinend pro Schiene, wie bevölkerungsfern, weil jenseits der Interessen des durchschnittlichen Bahnreisenden und die technischen Möglichkeiten wie Neigetechnik nicht voll berücksichtigend. Wir empfehlen deswegen den Antragstellern von F wie Ferner bis Z wie Zapf, sich diesen Antrag nochmals zu Gemüte zu führen. Das mindeste wäre, das Thema der Stillegungen in der Fläche in den Antrag aufzunehmen und Abstriche bei der Geschwindigkeit zu machen. Es wären auch sofortige Verbesserungen im internationalen Verkehr möglich und sinnvoll. Es gibt zur Zeit zum Beispiel nur drei EC-Verbindungen Frankfurt-Paris über Saarbrücken und einen Nachtzug. Hinsichtlich der Fernverbindungen stimme ich dem Kollegen Schmidt zu. Ich meine, daß hier endlich eine Lösung mit Neigetechnik im Rahmen einer regional konkretisierten Flächenbahn nochmals zu prüfen wäre. Danke schön. ({2})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Peter Jacoby, CDU/CSU-Fraktion.

Peter Jacoby (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002690, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich denke, wir sind uns alle darüber einig, daß wir die Einbindung Südwestdeutschlands und Ostfrankreichs in das Hochgeschwindigkeitsnetz Europas anstreben. Der Weg dorthin ist ein schrittweiser Prozeß, wobei man dazusagen muß, daß die jetzt in der Diskussion befindliche Neigetechnik - man kann die Dinge drehen und wenden, wie man will - nicht im Gegensatz, im Widerspruch zu dem Ziel, einen Hochgeschwindigkeitszug zu realisieren, steht. Vielmehr bedeutet Neigetechnik, daß es sich um einen Hochgeschwindigkeitszug handelt. Es führt kein Weg daran vorbei, die Dinge so zu sehen. Deshalb, Frau Kollegin Ferner, habe ich es für verfehlt gehalten, wenn in der Vergangenheit, in den letzten Monaten öffentlich der Vorwurf erhoben wurde, die Bundesregierung, die Koalition und andere Abgeordnete aus der Region - wer auch immer - würden einem Bruch der Vereinbarung von La Rochelle das Wort reden. Das Gegenteil ist der Fall. ({0}) Es gibt keinen Wortbruch der Bundesregierung, und es gibt auch kein Infragestellen dessen, was in La RoPeter Jacoby chelle vereinbart worden ist. Dort ist erstens die Vergleichbarkeit beider Äste, Ostfrankreich über Straßburg und Ostfrankreich über Saarbrücken-Mannheim-Frankfurt, vereinbart worden. Zweitens ist vereinbart worden, daß ganz konkrete Fahrzeiten realisiert werden. Drittens ist vereinbart worden, daß eine durchgehende Verbindung von Paris über Metz nach Straßburg geschaffen wird, genauso wie von Paris über Metz, Saarbrücken und Mannheim.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kunick?

Peter Jacoby (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002690, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gleich. - Alle Ziele sind nicht nur nicht in Frage gestellt, sondern Punkt für Punkt werden diese Ziele realisiert, wie mittlerweile zwei Besuche des Bahnpräsidenten Dürr bei der saarländischen Landesregierung vor zehn Monaten und am gestrigen Tage nachhaltig unter Beweis gestellt haben. Bitte schön.

Konrad Kunick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002711, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, teilen Sie auch die Auffassung, daß die in dem europäischen Vertrag über die 14 Projekte genannten Trassen die Qualität haben müssen, daß sie von den Hochleistungszügen der Staatsbahnen, die beiderseits der Grenze liegen, befahren werden können müssen, und daß sie von ihrem Ausbaustandard her nicht nur einer speziellen Technik offenstehen dürfen?

Peter Jacoby (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002690, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Diese Überlegung teile ich. Deshalb will ich auf folgendes hinweisen: Im vergangenen Jahr gab es einen Besuch des Bahnpräsidenten Dürr bei der saarländischen Landesregierung. Damals ist in Umsetzung dessen, was in La Rochelle vertraglich fixiert wurde, vereinbart worden, daß ab dem Jahre 1998 Südwestdeutschland einen Anschluß an das Hochgeschwindigkeitsnetz der Deutschen Bahn erhält und der ICT, also die Neigetechnik, die Strecke Saarbrücken-Mannheim-Frankfurt bedient. Es war damals offen, inwieweit es zu realisieren ist, daß die Strecke durchgehend von Paris über Ostfrankreich dann die Anbindung von Südwestdeutschland ermöglicht. ({0}) Allerdings ist im vergangenen Jahr Bahnpräsident Dürr derjenige gewesen, der gesagt hat: Das ist unser Ziel. Wir wollen es realisieren. - Der saarländische Ministerpräsident hat ihn bei diesem Weg und in dieser Perspektive unterstützt. Die begrüßenden Formulierungen habe ich dabei. ({1}) Am gestrigen Tag - darauf hat Kollegin Ferner tunlichst nicht hingewiesen - hat der Bahnpräsident erklärt, daß bis zur Jahrtausendwende, also in absehbarer Zeit, eine durchgehende Verbindung auf Hochgeschwindigkeitsniveau zwischen Mannheim und Paris via Saarbrücken gesichert sei. ({2}) Meine Damen und Herren, das sind genau die Einlassungen. Sie zitieren hier Teile, die dem Gesamten nicht Rechnung tragen, aber in der Öffentlichkeit verunsichernd wirken. ({3}) Frau Kollegin Ferner, Sie können nach wie vor auf diesem Hintergrund sozusagen einen Schnitt machen und den Versuch machen, parteiübergreifend hier etwas zu tun. Ich bin auch dazu bereit. Aber dann muß der Hintergrund stimmen, und der Hintergrund hat bei der Agitation Ihrerseits in der Region nicht gestimmt. Das war der Grund, weswegen ich bei dieser gemeinsamen Initiative etwas auf Distanz gegangen bin.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Klaus Dieter Reichardt?

Peter Jacoby (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002690, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Klaus Dieter Reichardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002758, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Jacoby, sind Sie mit mir der Meinung, daß das Verhalten von Frau Ferner, Informationen verzerrt und nur in Teilen wiederzugeben, Teil einer Verunsicherung ist, die sie vorhin beklagt hat? ({0})

Peter Jacoby (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002690, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielleicht können wir uns an diesem Punkt wieder verständigen. Wenn es darum geht, die Zielsetzung von La Rochelle umzusetzen, ({0}) dann gibt es da keinen Widerspruch. Das ist am gestrigen Tage anläßlich des Gesprächs des Bahnpräsidenten mit der saarländischen Landesregierung noch einmal nachhaltig bestätigt worden. Dann sollten Sie so dümmliche Zwischenrufe bitte unterlassen. Diese Vorgehensweise rechtfertigt keine Vorwürfe an diejenigen, die die Zielsetzung Punkt für Punkt abarbeiten. Von daher denke ich - darauf will ich abschließend hinweisen -, daß der Antrag so, wie er jetzt formuliert ist, in einigen Punkten falsch ist. Erstens. Zum anderen gibt der Stand des Projektes auf der französischen Seite Anlaß zur Sorge. Derzeit ist nicht erkennbar, wie die gleichwertige Realisierung beider Äste der ... POS erreicht werden kann. Diese Aussage trägt nicht annähernd dem Rechnung, was mittlerweile Verhandlungsstand und schon für das nächste Jahr angekündigt worden ist. ({1}) Genauso ist es von der Sache her einfach falsch, daß Sie formulieren, es seien ... neue Fahrzeugtechniken, wie die Neigezugtechnik, in die Diskussion gekommen, die das bisherige Konzept der ... POS in Frage stellen. ({2}) Nein, wir realisieren das POS-Projekt schrittweise. Ein Weg dahin ist die schnelle Einführung der Neigetechnik, was von den beteiligten Landesregierungen des Saarlandes und von Rheinland-Pfalz nachhaltig unterstützt wird. Darauf müssen Sie schon hinweisen. ({3}) Drittens ist es falsch, wenn gesagt wird, auch die Finanzierung sei völlig im unklaren. Ich will darauf hinweisen, daß schon jetzt 500 Millionen DM auf unserer Seite bewilligt sind und beginnend mit dem Jahr 1997, das heißt in der kurzfristigen Perspektive, umgesetzt werden sollen. ({4}) Wenn es schließlich noch Finanzierungsprobleme mit Blick auf Frankreich gibt, sollte man darauf hinweisen, daß der deutsche Verkehrsminister im Gespräch mit seinem französischen Kollegen Pons die jetzt noch offenen Finanzierungsfragen klärt. Das war Thema beim deutsch-französischen Gipfel in Nürnberg und wird weiter bearbeitet. Wir tun gut daran, den Bundesverkehrsminister in dieser Position zu unterstützen. ({5}) Zum Schluß: Erstens. In der Zielsetzung sind wir uns nach wie vor einig. Zweitens. Es gibt eine Kontinuität von La Rochelle über den deutsch-französischen Gipfel bis hin zum heutigen Tag. Sie sollten bitte das zur Kenntnis nehmen, was auch sozialdemokratisch geführte Landesregierungen, etwa im Saarland, als sinnvolle schrittweise Vorgehensweise akzeptieren und positiv werten. ({6}) Vielen Dank. ({7})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Doris Barnett, SPD-Fraktion.

Doris Barnett (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002621, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst mache ich Sie, Kollege Reichardt, darauf aufmerksam, daß nicht nur Kollegen von uns fehlen. Auch betroffene Kollegen aus Mannheim, Herr Jüttner, und aus Ludwigshafen, Herr Kohl, sind nicht anwesend. ({0}) Ich wiederhole: Der Antrag, über den wir jetzt reden, ist notwendig geworden, weil die Bundesregierung seit Jahren, nämlich seit der Vereinbarung mit der französischen Regierung von La Rochelle 1992, gebetsmühlenartig wiederholt: Die Verbindung Paris-Ostfrankreich-Südwestdeutschland habe für sie hohe Priorität, und zwar gleichermaßen in ihrem Südast wie in ihrem Nordast. Zugleich hat sie in all den Jahren außer guten Worten nichts dafür getan, daß die Vereinbarung von La Rochelle wirklich, wie seinerzeit gewollt, realisiert wird. Bis zum heutigen Tage gibt es keine Finanzierungsvereinbarungen der Bahn AG über die Strecke Saarbrücken-Kaiserslautern-Mannheim. Nach wie vor hält die Bundesregierung an den längst veralteten Zahlen aus dem Dreijahresplan „Schiene" fest, anstatt sich um eine solide und rasche Finanzierung gemäß aktuellen Zahlen zu kümmern. ({1}) Die Aufstockung der Mittel für den Grunderwerb in diesem Jahr um 15 Millionen DM ändert nichts daran, daß die Bundesregierung zusammen mit der Bahn AG versucht, diese Region im Herzen Europas mit einer zweitklassigen Lösung abzuspeisen, indem der Einsatz von Neigetechnikzügen - die es noch gar nicht gibt - propagiert wird. Gerade gestern hat der Kollege Schindler - der, nebenbei bemerkt, ebenfalls nicht da ist - diesen als großen Erfolg in der Presse des Rhein-Neckar-Raums gepriesen. Dort hat er sogar gesagt, die Zeiteinsparung sei nicht 15 Minuten, sondern 20 Minuten. Neigetechnikzüge auf der Strecke SaarbrückenKaiserslautern-Mannheim würden bedeuten: Umsteigezwang in Metz und Mannheim, reine Zubringerfunktion und damit Abwertung zu einer Nebenstrecke im europäischen Hochgeschwindigkeitsnetz. ({2}) Die Westpfalz, mühsam durch Landeskonversionsprogramme vom Land Rheinland-Pfalz hochgepäppelt, um den Arbeitsplatzverlust durch Truppenreduzierungen aufzufangen, soll abgehängt werden. Die Menschen dort können den Versprechungen dieser Bundesregierung nicht mehr trauen. Arbeitslosenquoten von 20 Prozent schreien geradezu danach, daß diese Region nicht noch durch Wortbruch zusätzlich benachteiligt wird ({3}) und das, obwohl die POS-Verbindung in ihrer Gesamtheit zu den Projekten der transeuropäischen Netze gehört und auch von der EU gefördert wird. Mit ihrer Politik des Lavierens und der Unübersichtlichkeit, der Versprechen ohne verläßliche Zusagen hat die Bundesregierung die betroffenen Regionen mehr als nur verunsichert. Neben der Westpfalz sind auch die Südpfalz und das wirtschaftlich aufstrebende Rhein-Neckar-Dreieck massiv betroffen. Auch in den Regionen auf der französischen Seite ist von „geringem Eifer" bei der Realisierung der Verbindung Saarbrücken-Mannheim die Rede. Die Bundesregierung mißbraucht nicht nur in den deutschen Regionen das Vertrauen, sondern richtet auch großen Schaden in Frankreich an, gar nicht zu reden von den Folgen für die übrigen deutschen Projekte innerhalb der transeuropäischen Netze. ({4}) Ich jedenfalls glaube nicht, daß es eine erfolgversprechende Politik ist, die Menschen in den Regionen in dieser Weise im ungewissen zu lassen. In diesem Zusammenhang bedauere ich es ausdrücklich wie meine Vorrednerin Elke Ferner, daß die Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion und der Fraktion der Grünen sich nicht unserem Antrag angeschlossen haben. Angesichts der allseits bestätigten Untätigkeit der Bundesregierung kann der Brief des Kollegen Reichardt an die Kollegin Ferner wohl nicht ganz ernst gemeint gewesen sein. Er schrieb nämlich, daß er dem Antrag deshalb nicht beitrete, weil die Bundesregierung ja schon genug getan habe. Diese Antwort könnte vielleicht damit etwas zu tun haben, daß der Abgeordnete des Nachbarwahlkreises von Herrn Reichardt der Bundesregierung vorsteht, und der will sich natürlich nicht selbst auffordern, seine Untätigkeit zuzugeben. An dieser Stelle betone ich noch einmal, welch eminent wichtige Rolle die Verbindung Saarbrükken-Mannheim innerhalb des europäischen Hochgeschwindigkeitsnetzes spielt. Der Raum Ludwigshafen/Mannheim, also das Rhein-Neckar-Dreieck, würde zu einem Knotenpunkt des ICE/TGV-Netzes mit Verbindungen nach Norden in Richtung Frankfurt, nach Süden in Richtung Stuttgart und weiter nach München sowie nach Westen über Saarbrücken bis nach Paris. Der Nordast der POS bietet darüber hinaus die Möglichkeit, eine weitere Verbindung zwischen Paris und Berlin zu schaffen, die den südwestdeutschen Raum einbindet. Der Nutzen für die ganze Pfalz und das Saarland wäre gewaltig. Keine dieser Regionen darf durch die Aufgabe dieser POS- Verbindungen ins Abseits gestellt werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung hat viel Zeit ungenutzt vergehen lassen. Deshalb war und ist dieser Antrag nötig. Ich hoffe, daß sich nach den Beratungen im Ausschuß alle Abgeordneten aus der Region hinter diesen Antrag stellen und er dann in diesem Haus die Mehrheit findet. Vielen Dank. ({5})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Manfred Carstens.

Manfred Carstens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000322

Verehrte Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Eine solche Opposition kann man sich nur wünschen. Es werden Unterschriften dafür gesammelt - das kann man im wesentlichen so sagen -, daß die Regierung das, was sie für richtig hält und längst Schritt für Schritt in die Tat umsetzt, weiterverfolgt. ({0}) Ich kann der Opposition nur empfehlen, so weiterzumachen und diese Schritte der Bundesregierung auch weiterhin nachhaltig zu unterstützen. Irritationen kann es, wenn es um die Fakten geht, gar nicht geben. Irritationen sind gelegentlich in der Vergangenheit aufgetaucht, aber immer nur dann, wenn sie geschürt wurden, ({1}) und zwar auf Grund von Meinungsäußerungen, die die vereinbarten Fakten in Frage stellten. Ich habe das einmal überprüft; darauf ist offensichtlich auch der Brief des Bundeskanzlers an Matthias Wissmann zurückzuführen: Bei einer französischen Regionalstelle war im Zusammenhang mit der Neigetechnik eine Irritation entstanden. Das wurde sehr schnell klargestellt und im Dezember 1996 bei dem deutsch-französischen Gipfeltreffen von Matthias Wissmann und dem französischen Verkehrsminister Pons kam es zu einer festen Vereinbarung.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kunick?

Manfred Carstens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000322

Ja.

Konrad Kunick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002711, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Carstens, können Sie dem Hause noch einmal mit der nötigen Klarheit sagen, daß die von dem Bundeskanzler unterschriebenen 14 Projekte auch von der Bundesregierung in internationaler Standardqualität für den Hochgeschwindigkeitsverkehr fertiggestellt werden sollen und daß Sie nicht für den Regionalverkehr aus Finanzgründen auf die Dauer nur in vielleicht möglicher Spezialqualität bauen wollen? Hintergrund der Frage - das will ich Ihnen noch sagen -: Sind Sie der Meinung, daß der TGV auch nach Frankfurt - genauso wie die deutsche Bahn nach Paris - über eine solche Strecke wird fahren können? Gilt das für alle diese Projekte auf der berühmten Liste? ({0})

Manfred Carstens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000322

Herr Kollege Kunick, zunächst einmal muß man zwischen der Vereinbarung von La Rochelle und denen von Essen unterscheiden. In der Vereinbarung von La Rochelle haben wir ganz klare, präzise Vereinbarungen wegen der POS- Strecke getroffen. Daß nun diese Strecke aus deutscher und französischer Sicht ganz vorrangig in die 14 Projekte eingegliedert wurde, die besondere Bedeutung in Europa haben, ist zusätzlich zu bernerken. Einmal geht es darum, die Vereinbarung von La Rochelle umzusetzen. Zum anderen geht es darum, die Vereinbarungen von Essen umzusetzen. Sie können sich darauf verlassen, daß wir beide Vereinbarungen in den Schritten umsetzen werden, wie wir uns das vorgestellt haben und wie ich es gleich noch erläutern werde. ({0}) Uns bzw. dem EBA, dem Eisenbahnbundesamt, liegen im übrigen zwischenzeitlich die Finanzierungsvereinbarungen vor. Der Entwurf dieser Finanzierungsvereinbarung ist im Dezember 1996 vorgelegt worden. Das EBA ist damit beschäftigt und wird diese Vorlage zügig bearbeiten, damit sie auch zügig umgesetzt werden kann. ({1}) Wir haben bei den Planungen angenommen - das sind sehr realistische Zahlen -, daß beide Äste auf deutschem Gebiet etwa 900 Millionen DM kosten werden, der Südast um die 300 Millionen und der Nordast gut 600 Millionen. ({2}) Wir haben in den Dreijahresplan Schiene, der bis Ende 1997 läuft, 185 Milliarden DM eingestellt. Wir haben in den Fünfjahresplan, der nachfolgt, 343 Millionen DM eingestellt. ({3}) Das heißt, alles, was man jetzt auf absehbare Zeit umsetzen kann, ist finanziell abgesichert. Beide Äste werden die Gewinner dieser Vereinbarung sein. Beiden Regionen ist es zu wünschen. Das Ganze ist sehr gerechtfertigt, denn es ist im Grunde die Paradestrecke der deutsch-französischen Zusammenarbeit im Verkehrsbereich. Das geht nicht nur diese Regionen an, die mitten in Deutschland und mitten in Europa große Bedeutung haben, sondern auch die weiterführenden Strecken Stuttgart-München-Wien oder auch Richtung Berlin, wo immer sie hin wollen. Das müssen Sie berücksichtigen. Wir haben den schnellsten Gewinner in den Regionen des Nordastes zu suchen; denn wir können im Süden wesentliche Fortschritte erst dann erzielen, wenn die Franzosen in der Lage sind, die Zuführung von Paris Richtung Straßburg zustande zu bekommen, um dann durch die Brücke über den Rhein bei Appenweier die Anbindung an die Nord-SüdStrecke zu schaffen. Das alles ist in Vorbereitung. Da wird von deutscher Seite nichts vernachlässigt. Das wird zügig umgesetzt. Darauf kann man sich fest einstellen und verlassen. ({4}) Ich darf noch erwähnen: Als ich bei einem Gipfeltreffen mit den Franzosen dabei war, um mit dem dortigen Verkehrsminister - das war nicht Herr Pons, sondern sein Vorgänger - auch über diese Strecke in Einzelheiten zu reden, da schickte, bevor es dann zum Abschlußtreffen mit dem Staatspräsidenten kam, der Bundeskanzler sozusagen einen Boten voraus, um sich bei mir persönlich zu erkundigen, ob denn die Vereinbarung mit den Franzosen erfolgreich zustande gekommen sei. So persönlich kümmert sich der Bundeskanzler selber um diese Strecke. Ich möchte das hier im Deutschen Bundestag erwähnt haben. ({5}) Die Franzosen stellen seit Dezember 1996 für ihren Teilbereich ein Volumen von 8 Milliarden Francs - eine Menge Geld - zur Verfügung; davon sind 700 Millionen Francs noch im Jahre 1997 für den Grunderwerb vorgesehen, und 1 Milliarde Francs ist für die Anlauffinanzierung für die Baumaßnahmen 1998 gedacht. Wir werden die Franzosen dabei unterstützen - genauso, wie sie uns unterstützen werden -, aus Mitteln der Europäischen Union zusätzliche Finanzierungsmittel zur Verfügung gestellt zu bekommen. Es wird also zügig weitergehen. Das ist natürlich für diesen Teil der Strecke das Wichtigste. Beim Nordast sieht es ja so aus, daß die Zeiten, die wir in der Vereinbarung von 1992 zugrunde gelegt haben, ja schon fast - ich möchte einmal sagen - bis auf ein paar Minuten im Jahre 1998 eingehalten werden. ({6}) Das hat doch nun wirklich Beifall verdient. Daß das auch noch mit einem relativ geringen Finanzaufwand erreicht wird, ist doch um so erfreulicher. Das mußten ja auch die Grünen eben hier zugeben, was ich besonders gern zur Kenntnis genommen habe. Die Fahrzeiten auf der Strecke SaarbrückenMannheim werden sich dadurch um 13 Minuten verbessern. Die Deutsche Bahn hat ja mit der französischen Eisenbahn vereinbart, daß der Einsatz von Zügen mit Neigetechnik über Saarbrücken hinaus 1998 bis Metz vorgesehen werden kann, so daß auch dadurch noch einmal ein Zeitgewinn von acht Minuten zu erwarten ist. Wir werden dann aus den Mitteln, die im Rahmen der Finanzvereinbarung beantragt worden sind - ich habe das ja eben beschrieben -, die nötigen Gelder, nämlich über 300 Millionen DM, zur Verfügung stellen, um die Baumaßnahmen so schnell, wie es das Baurecht zuläßt, in Angriff zu nehmen. ({7}) Wir werden auch echte „Hardware" bereitstellen, um die Strecke über Saarbrücken qualitativ schon sehr schnell entsprechend auszustatten und auf den neuesten Stand zu bringen. Das alles spielt sich in einer derartigen Zeitspanne ab, daß man sagen kann, daß auf der deutschen Seite die Zeiten, von denen ich in einer Antwort auf eine Frage von Ihnen, Frau Ferner, sprach, für den Nordast in etwa eingehalten werden können. Beim Südteil kommt es im Grunde genommen nur noch darauf an, wie schnell die Franzosen ihre Pläne in die Tat umsetzen, damit wir von unserer Seite aus die entsprechenden Maßnahmen ergreifen können. Ich bin da sehr zuversichtlich. Wir werden die Zusagen der Franzosen sehr im Auge behalten und nötigenfalls beim nächsten Gipfel darauf hinweisen, falls es uns erforderlich erscheint. Ich nehme an, daß das alles reibungslos läuft. Aber Sie sollen wissen: Die Pläne, die wir 1992 vereinbart haben und die wir jetzt im Dezember 1996 in Form von Einzelschritten bestätigt haben, werden umgesetzt. Gleichzeitig werden damit auch die 14 Vorhaben umgesetzt, Herr Kollege Kunick, die wir uns auf dem Gipfel in Essen vorgenommen haben. Es wird Zug um Zug so gebaut, wie es zugesagt ist. Das Geld wird zur Verfügung gestellt. Alle, die ein Interesse daran haben, daß aus dieser Strecke etwas wird, werden ihr Wohlgefallen daran haben. Danke schön. ({8})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe damit die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/6988 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Sie sind einverstanden. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 12 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Haltung der Bundesregierung zu aktuellen Äußerungen bezüglich der Einführung des Euro Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Kristin Heyne.

Kristin Heyne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002676, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Thema, das in dieser Woche nach den Äußerungen des Finanzministers täglich durch die Nachrichten ging und das die Menschen bewegt, nämlich die Frage „Kommt der Euro, oder kommt er nicht?", wird in diesem Parlament als Lumpensammler zum Abschluß der Parlamentswoche behandelt. Das liegt daran, daß die Mehrheit in diesem Haus es für wichtiger gehalten hat, auf Wunsch der F.D.P. gestern eine Aktuelle Stunde über ein so wichtiges Thema wie den Sozialhilferatgeber eines Bundeslandes zu veranstalten. Ich kann Ihnen dazu nur sagen: Wenn man sich als Parlament in die Bedeutungslosigkeit begeben will, dann sollte man so seine Themen wählen und setzen. ({0}) Diese Regierung leistet sich zur Währungsunion einen Fehltritt nach dem anderen. Sie bleibt dabei vom Parlament weitgehend unbehelligt. Der Bundeskanzler und der Außenminister bezeichnen das Zustandekommen der Währungsunion als eine Frage von Krieg und Frieden im zukünftigen Europa. Das tun sie nicht zu Unrecht. Gleichzeitig aber gibt der Finanzminister dieser Regierung zu verstehen, daß er bereit ist, für Zehntelpunkte hinter dem Komma den Zeitplan in Frage zu stellen. Den Zeitplan in Frage stellen heißt, das ganze Projekt in Frage stellen. Kein Minister kann so naiv sein, das nicht zu wissen. Was gilt denn nun in dieser Regierung? Die warmen Europa-Worte des Kanzlers oder die Zahlenakrobatik der Bundesbank und der Buchhalter der Volkswirtschaft? Hier muß man doch fragen: Wie ernst ist dieser Regierung das vereinte Europa eigentlich? ({1}) Meine Damen und Herren, man muß auch fragen: Welches Gewicht hat Herr Kohl noch in dieser Regierung? Oder: Wie stark wird sie durch innerbayerische Streitereien bestimmt? ({2}) Die Länder der Europäischen Union haben mit dem Maastricht-Vertrag verbindlich festgelegt, wie sie ihren Weg in die Währungsunion beschreiten wollen. Sie haben sinnvollerweise festgelegt, wie das notwendige Maß an Konvergenz bei der Inflationsrate und bei dem Zinsniveau aussehen soll. Bei diesen monetären Kriterien ist inzwischen in allen EU-Ländern ein beachtlicher Erfolg erzielt worden. Preise und Zinsen nähern sich einem niedrigen Niveau an. Zwei Drittel der EU-Mitgliedstaaten erfüllen mittlerweile die von Maastricht geforderte Preisstabilität. Sogar mehr als zwei Drittel liegen unter dem Referenzniveau der Zinsen. Das ist eine ausgesprochen gute Voraussetzung für die wirtschaftliche Integration Europas. Dieser Erfolg darf nicht durch unnötiges und überflüssiges Gerede kaputtgemacht werden. ({3}) Die EU-Länder haben sich in Maastricht auch auf eine stabilitätsfördernde Konsolidierung der Haushalte geeinigt. Die fiskalischen Kriterien Neuverschuldung und Gesamtverschuldung sind ökonomisch aber sehr viel weniger aussagefähig. Sie wurKristin Heyne den schlicht aus dem Durchschnitt der damaligen Verschuldungsverhältnisse gebildet. Sie sind genau deswegen mit Bedacht relativ offen formuliert worden. Ausgerechnet durch die Forderung nach strikter Einhaltung dieser Verschuldungskriterien versuchen deutsche Politiker und deutsche Ökonomen, unerwünschte EU-Länder von der Währungsunion fernzuhalten. Die strikte Einhaltung der Verschuldungskriterien entspricht weder den Buchstaben noch dem Geist des Maastrichter Vertrages. Der Maastrichter Vertrag zielt auf europäische Integration und nicht auf ein Kerneuropa. ({4}) Diese Bundesrepublik hat den Vertrag völkerrechtlich verbindlich unterschrieben. Wer jetzt auf die Null hinter dem Komma schielt, stellt sich der europäischen Integration in den Weg. Es darf nicht sein, daß die Fehler der Finanzpolitik dieser Regierung in der Zeit der deutschen Vereinigung jetzt zum Bremsklotz der europäischen Einigung werden. Denn jetzt besteht die Chance - das hat noch vor einem Jahr kaum jemand geglaubt - einer breiten Währungsunion, das heißt einer Währungsunion einschließlich Italiens, Spaniens und Portugals. Es sind im übrigen nicht die Finanzmärkte, die vor dem Euro Angst haben, sondern deutsche Politiker und deutsche Ökonomen. Die Finanzmärkte - das stellt man fest, wenn man sich das genauer ansieht - nehmen die Einführung des Euro in ihrer Erwartung vorweg. Schauen wir doch einmal auf die langfristigen Darlehen: Solch niedrige Zinssätze haben wir in den letzten Jahrzehnten kaum gehabt. Das heißt, die Märkte drükken sehr wohl ein großes Vertrauen in den Euro aus. Wir bemerken aber auch - das wird durch die Presse noch gefördert - eine große Skepsis innerhalb der Bevölkerung. Ich denke, daß dies auch eine Folge davon ist, daß Anfang der 90er Jahre nicht genügend diskutiert wurde. Vor Vertragsabschluß hat man nicht diskutiert. Jetzt haben wir Schwierigkeiten mit diesem Demokratiedefizit. Wenn in einzelnen Bundesländern gefordert wird, die Bevölkerung zu befragen, kann ich das nur begrüßen, weil ich denke, das wird zur Ernsthaftigkeit dieser Debatte beitragen. ({5}) Die Länder der Europäischen Union haben sich mit der Wirtschafts- und Währungsunion ein ehrgeiziges Ziel gesetzt. Sie haben bisher erhebliche Erfolge errungen. Diese Erfolge dürfen nicht zerredet werden. Die Währungsunion kann und sollte zum 1. Januar 1999 mit einem breiten Teilnehmerkreis beginnen. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Jetzt hat der Abgeordnete Friedrich Merz das Wort.

Friedrich Merz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002735, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Heyne, mir ist bei Ihrem Beitrag offengestanden nicht klargeworden, warum wir heute eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema machen. ({0}) Sie beziehen sich auf Äußerungen, die der Bundesfinanzminister, die andere Mitglieder der Bundesregierung, Mitglieder der Koalitionsfraktionen - europapolitische Sprecher, finanzpolitische Sprecher, wirtschaftspolitische Sprecher - in den letzten Jahren, auch in dieser Legislaturperiode, von diesem Platz aus immer wieder gemacht haben. Es gibt keine Veränderung unserer europapolitischen Konzeption. Es gibt auch überhaupt keine Veranlassung zu der Sorge, daß sich daran in den nächsten Wochen und Monaten etwas ändert. Wir bleiben dabei. ({1}) Meine Damen und Herren, ich halte es zum jetzigen Zeitpunkt auch für völlig verfehlt und viel zu früh, die Frage zu debattieren, wer denn nun welche Kriterien zu welchem Zeitpunkt erfüllt. Der Vertrag von Maastricht ist eindeutig: Darüber werden im Lichte der Ist-Zahlen des Jahres 1997 in Brüssel und in Frankfurt Vorentscheidungen getroffen werden. Anschließend wird eine endgültige Entscheidung darüber getroffen, wer am 1. Januar 1999 in die Währungsunion eintritt. ({2}) - Nicht vorher, aber auch nicht später. Frau Heyne, aus einem Punkte ist es vielleicht doch gut, die Debatte heute zu führen, auch wenn sie zugegebenermaßen zu einer nicht besonders günstigen Zeit stattfindet. ({3}) Die Debatte über die Währungsunion wird - dieser Punkt besorgt auch mich persönlich etwas - in Deutschland ziemlich einseitig geführt. Der Vertrag von Maastricht sieht in der Tat Kriterien vor, die weit über das hinausgehen, was man aus den öffentlichen Haushalten herauslesen kann. Der Vertrag von Maastricht hat eine Reihe von Kriterien bestimmt, die eine langfristige und dauerhafte Währungsstabilität des Euro garantieren sollen. Diesbezüglich sind wir in den letzten Jahren in der Tat bemerkenswerte Schritte vorangekommen. Sie haben völlig zu Recht darauf hingewiesen, daß es große Fortschritte beim Zinskriterium gibt: Anpassung der langfristigen Zinsen nach unten. Völlig zu Recht haben Sie auch darauf hingewiesen, daß die Entwicklung der Inflationsraten in den Mitgliedstaaten bemerkenswert ist. Dies hätte Anfang der 90er Jahre so niemand vorherzusagen gewagt: ({4}) daß sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Union Mitte der 90er Jahre, lange vor Eintritt in die dritte Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion, nicht erst auf eine Stabilitätsunion zubewegen, sondern eine Stabilitätsunion bereits erreicht haben. Dies ist ein bemerkenswertes und begrüßenswertes Ergebnis. ({5}) Die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte ist in den Mittelpunkt der Debatte, offensichtlich aber auch in den Mittelpunkt der öffentlichen Darstellung geraten. Folgendes will ich an dieser Stelle schon noch einmal sagen dürfen: Die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte - das ist nicht nur der Bundeshaushalt, sondern sind die Haushalte des Bundes, der Länder, der Gemeinden und der staatlichen Sozialversicherungssysteme - ist nicht allein eine Frage von Maastricht. Maastricht hält uns dazu an, die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte voranzubringen. Aber diese zu erreichen ist auch ohne Maastricht eine Verpflichtung der deutschen Innenpolitik. Auf diesem Weg werden die Koalitionsfraktionen, wird insbesondere die CDU/CSU-Fraktion Ihnen, Herr Bundesfinanzminister, weiter folgen. Wir müssen die öffentlichen Haushalte nicht wegen Maastricht konsolidieren, sondern um die Handlungsfähigkeit nach uns folgender Generationen zu bewahren. Deswegen lassen Sie uns die Debatte um die Sparanstrengungen von dem Ziel der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion trennen. Ich bin persönlich davon überzeugt, daß Deutschland die Ziele der Wirtschafts- und Währungsunion am 1. Januar 1999 erreicht. Bis dahin sollten wir die Zeit nicht mit einer Debatte über vermeintliche Äußerungen von Vertretern der Bundesregierung vertun, sondern die gemeinsamen Anstrengungen verstärken, insbesondere in der zweiten Hälfte des Jahres 1997, den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes zu erklären, warum der Weg in die Wirtschafts- und Währungsunion nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch die richtige Entscheidung für unser Land ist. ({6}) Wenn wir dieses Ziel in großem Einvernehmen zwischen den politischen Parteien und Fraktionen des Bundestages und, wie die Entscheidung über die Europäische Währungsunion gezeigt hat, einstimmig im Bundesrat weiter verfolgen, ({7}) dann sollten wir unsere Anstrengungen darauf konzentrieren und den Menschen erklären, warum dieses Ziel uns allen so wichtig ist. Vielen Dank. ({8})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Kollegin Ingrid Matthäus-Maier.

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundestag hat mit breiter Mehrheit für die Europäische Währungsunion gestimmt, und auch der Bundesrat hat einstimmig zugestimmt. Denn die Europäische Währungsunion 1999 ist aus ökonomischen und politischen Gründen ein Gewinn für Europa und auch für Deutschland. ({0}) Gerade als exportorientiertes Land haben wir ein großes Interesse daran, daß in Zukunft Währungsturbulenzen unterbleiben. Wir meinen auch, daß die schwierige Aufgabe der Schaffung einer Ankerwährung besser auf mehrere Schultern verteilt wird als auf eine. Das ist zum Beispiel der Grund, warum der Oberspekulant dieser Welt, George Soros, auf die Frage, wie man Spekulationen am besten vermeiden könne, geantwortet hat: indem man möglichst bald eine einheitliche europäische Währung herstellt. ({1}) Sie, meine Damen und Herren von der Regierung, sollten daher endlich aktiver über die Chancen und Vorteile der Europäischen Währungsunion aufklären, ohne die Risiken zu verschweigen. Das tun Sie aber nicht. Statt dessen tragen Sie zu einer ganz erheblichen Verunsicherung bei. Verunsicherung Nummer eins: Sie lassen eine Verschiebungsdiskussion zu, Herr Finanzminister, oder betreiben sie sogar. Sie hat zu einer enormen Verunsicherung der Finanzmärkte geführt, obwohl erst im Frühjahr 1998 die Entscheidung über die beteiligten Länder fällt. ({2}) Allein die Verschiebungsdiskussion hat dazu geführt, daß binnen eines halben Tages die D-Mark um zwei Pfennig anstieg mit der Folge, daß wir größte Probleme beim Export haben. Man stelle sich einmal vor, was mit unserem Export passiert, wenn die Währungsunion im nächsten Jahr wirklich verschoben wird. Das wäre ein Riesenproblem für die deutsche Wirtschaft. Verunsicherung Nummer zwei: Die Bundesregierung läßt den Eindruck zu, sie müsse wegen Maastricht den Menschen dauernd ins Portemonnaie pakken. Das schürt natürlich Europaverdrossenheit. Dabei ist es doch nicht auf Grund von Maastricht, sonIngrid Matthäus-Maier dern allein auf Grund Ihrer maßlosen Schuldenpolitik so, daß Deutschland heute in Schwierigkeiten ist. ({3}) Verunsicherung Nummer drei: Unter dem Stichwort „Standort Deutschland" betreiben Sie eine einseitige Entlastung hoher und höchster Einkommen und Vermögen ({4}) durch Abschaffung der Vermögensteuer und Senkung des privaten Spitzensteuersatzes, was natürlich die Schulden kräftig anhebt. Wenn aber die Bürger zunehmend den Eindruck gewinnen, Europa sei ein Europa der Unternehmer und nicht der Arbeitnehmer, dann dürfen wir uns nicht wundern, daß die Menschen immer skeptischer werden. ({5}) Verunsicherung Nummer vier: Finanzminister Waigel überbetont die Fiskalkriterien einseitig und verschweigt, daß der Maastricht-Vertrag einen gewissen, wenn auch kleinen, Interpretationsspielraum ausdrücklich zuläßt. Er macht das wohl, weil ihm die Eurogegner Stoiber und Gauweiler im Nacken sitzen. ({6}) Aber ich sage Ihnen: Daß ein deutscher Finanzminister aus CSU-internen Gründen Irritationen in Deutschland und in benachbarten Ländern wie Frankreich hervorruft, können wir uns nicht leisten. ({7}) Verunsicherung Nummer fünf: Die Bundesregierung erweckt den Eindruck, als ginge es ihr ausschließlich oder doch in erster Linie, um eine gemeinsame Geld- und Währungspolitik, aber nicht um eine gemeinsame europäische Politik zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Das ist ein schwerer Fehler. Geldpolitik sei alles, europäische Beschäftigungspolitik aber nichts - dann haben doch die Menschen den Eindruck, als wären den Europäern die Beschäftigungssituation und die Arbeitslosigkeit egal. Nein, wir brauchen nicht nur eine Europäische Währungsunion; wir brauchen einen europäischen Beschäftigungspakt; wir brauchen eine europäische Steuerunion. Deswegen fordern wir Sie auf: Beenden Sie diese Verunsicherung! Bekämpfen Sie endlich aktiv die Arbeitslosigkeit! Dann erreichen Sie die Konvergenzkriterien; dann bekommen wir 1999 einen stabilen Euro. Das ist für die deutsche Wirtschaft und für die Europäer aus politischen und ökonomischen Gründen gut. ({8})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Helmut Haussmann.

Prof. Dr. Helmut Haussmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000836, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie bei allen großen europäischen Projekten gibt es zwei Arten von Politikern: Die einen mühen sich, die Vorteile von internationalen Lösungen den Menschen zu erklären, ({0}) die anderen schließen sich dem Wettlauf der Populisten an, die die Ängste schüren. ({1}) Diese sind leider in beiden großen Parteien auf Landesebene verteilt. Insofern wäre diese Aktuelle Stunde besser im Niedersächsischen Landtag oder im Bayerischen Landtag angebracht. Ich will das einmal ganz deutlich auch an unsere verehrten Partner sagen. ({2}) Ein immerhin aus Bonn stammender Finanzstaatssekretär, der heutige Europabeauftrage der Bayerischen Regierung, wird in der „Süddeutschen Zeitung" mit dem Satz zitiert: „Keine Chance für die Währungsunion 1999". So darf man internationale Verträge nicht behandeln. Die Währungsunion ist ein Testfall für die globale Verantwortung und für die internationale Zuverlässigkeit der Bundesrepublik Deutschland. Man muß die Leute aufklären und darf nicht die Ängste schüren. ({3}) Wer am Vertrag mitgearbeitet hat und wer den Vertrag kennt, weiß, daß es zu Recht nicht um eine Über- oder Unterordnung von Konvergenzkriterien und Zeitplan geht. Wir wollen statt dessen jetzt Stabilität und nicht vier oder fünf Jahre später. Insofern bringt eine vermeintliche Diskussion über die Verschiebung überhaupt nichts. Im Gegenteil: Eine Verschiebung wird von den Märkten negativ aufgenommen, ({4}) führt zu Aufwertungsdruck für die DM und zu einem Abwertungswettlauf, bringt höhere Zinsen in andeDr. Helmut Haussmann ren europäischen Ländern und entfernt uns damit von den 3 Prozent auf alle Ewigkeit. ({5}) Jeder, der von Verschiebung redet, muß wissen: Die Verschiebung beinhaltet die große Gefahr des endgültigen Scheiterns in sich. Herr Camdessus hat zu Recht darauf hingewiesen, daß die vorübergehenden Wachstumsverluste durch weitere Sparmaßnahmen in keinem Verhältnis zu den wirklichen Wachstums- und damit auch Beschäftigungsverlusten bei einer Verschiebung und dem dadurch bedingten Scheitern stehen. Insofern ist die Debatte richtig. Ich kann nur sagen - da will ich Herrn Merz folgen -, es ist irgendwo volkswirtschaftlich pervers, daß wir in Europa das Hauptkriterium jeder Währungspolitik - niedrige Inflation - übererfüllen. Das Versprechen, die D-Mark ist mindestens ebenso stabil wie der Euro, ist derzeit eingelöst. Der Inflationsdurchschnitt der Kandidaten für die Währungsunion liegt exakt bei 1,8 Prozent; er ist damit identisch mit dem der D-Mark. Wir, die Bundesregierung und die Fraktionen, haben Wort gehalten. Insofern stellt es eine Schieflage der Diskussion dar, ausschließlich Kriterien zu fokussieren, die später eingeführt wurden. Natürlich haben diese Kriterien in Deutschland aus psychologischen Gründen Wert. Deshalb werden sie auch strikt vertragskonform eingehalten - ich betone: strikt vertragskonform. ({6}) Wir wollen weder die Kriterien noch den Zeitplan aufweichen. ({7}) Nur das ergibt Sinn: Nicht Entschuldung im nächsten Jahrhundert, sondern Entschuldung jetzt, in den Jahren 1997 und 1998. Ich kann aber den Vorsitzenden des Europaausschusses, einen von mir hochgeschätzten Sozialdemokraten, vor einer sogenannten frühen Prüfung nur warnen. Es kann nicht sein, daß im Frühsommer 1997 nach erst für fünf Monaten vorliegenden vorläufigen Haushaltszahlen und nach einer Zwischensteuerschätzung die Wirtschafts- und Währungsunion beerdigt wird. So läuft es nicht in Europa. Es wäre dann auch eklatant - das sage ich jetzt einmal aus hessischer Sicht -, wenn die Währungsunion, bevor der angesehene Präsident Duisenberg am 1. Juli 1997 in Frankfurt seinen Dienst antreten darf, unter Führung der Sozialdemokraten beerdigt wäre. Auch so läuft es nicht; das muß man in aller Freundschaft sagen. ({8}) In Wirklichkeit liegt der Schlüssel für dieses Projekt derzeit bei den Sozialdemokraten. Sie blockieren 11 Milliarden DM Einsparvolumen im Bundesrat. ({9}) Sie blockieren die Steuerreform. Erbringen Sie das Einsparvolumen von 11 Milliarden DM und verhandeln Sie weiter über die Steuerpolitik, dann wird der Euro pünktlich eingeführt werden! Abschließend möchte ich gerade heute, am 70. Geburtstag eines großen Europäers, Hans-Dietrich Genschers, sagen: Genauso, wie die Freien Demokraten gegen ideologischen Widerstand in Deutschland die soziale Marktwirtschaft durchgesetzt haben, genauso wie die Liberalen die Westintegration, aber auch die Ostpolitik gegen den Widerstand von links und rechts durchgesetzt haben, ({10}) werden die Freien Demokraten die Währungsunion fristgerecht durchsetzen. Darauf können sich unsere europäischen Partner verlassen. ({11})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Jetzt hat der Abgeordnete Manfred Müller das Wort.

Manfred Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002740, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich laufe heute Gefahr, mich in eine schiefe Schlachtordnung zu begeben; denn es ist bekannt, welche Skepsis wir gegenüber der zu frühen Einführung einer einheitlichen europäischen Währung haben. Eigentlich müßten wir uns über eine Äußerung, wie sie Finanzminister Waigel gemacht hat, freuen; denn sie trägt unseren Bedenken Rechnung. Ich möchte einmal aus dem „Handelsblatt" von heute zitieren, das aufzeigt, daß wir nicht die einzigen in Deutschland sind, die der Entwicklung sehr skeptisch gegenüberstehen. Da steht: Die Frage, ob die Europäische Währungsunion verschoben werden soll oder nicht, spaltet die Nation in zwei Lager. Selbst die Banken sind geteilter Meinung, wenn es um den Starttermin geht. Weiter heißt es im „Handelsblatt": Kommt die notwendige kritische Masse für die Währungsunion bei einer engen Auslegung der Konvergenzkriterien nicht zustande, wäre die dann erforderliche Aufschiebung unter der Voraussetzung eines glaubwürdigen Festhaltens am Euro-Projekt keine Katastrophe. Sie böte sogar mehr Zeit, um bessere strukturelle Voraussetzungen für eine funktionsfähige Währungsunion zu schaffen. Diese Ansicht vertritt die BHF-Bank in ihrem jüngsten Wirtschaftsdienst. Bei mangelnder Konvergenz - so heißt es weiter Manfred Müller ({0}) laufe die Entscheidung über die Währungsunion im Kern auf einen Konflikt zwischen ökonomischer Vernunft und politischer Notwendigkeit hinaus. Eine Währungsunion, die auf einer sorgfältigen Auswahl der Teilnehmerländer beruhe, habe zwar gute ökonomische Erfolgsaussichten, sie könnte aber zu einer politisch problematischen Ausgrenzung einiger Nationen und damit zu einer Spaltung Europas führen. Am Mittwoch dieser Woche war Kommissar Silguy im Europaausschuß. Ich habe ihn noch einmal ausdrücklich gefragt, ob es bezüglich der Konvergenzkriterien Prioritäten gebe, ob etwa die Frage des Zeitpunktes vor der strikten Einhaltung der Konvergenzkriterien stehe. Des weiteren habe ich - weil es Andeutungen in dieser Richtung gibt - gefragt, ob es möglich ist, daß ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland, welches nach dem derzeitigen Stand die Kriterien nicht erfüllt, diese Kriterien auch im Frühjahr des kommenden Jahres nicht erfüllen wird, aber Zahlen vorlegen kann, die auf eine Einhaltung der Konvergenzkriterien, also der Höhe der Gesamtverschuldung und der Neuverschuldung, zu einem späteren Zeitpunkt hinweisen, in den Klub der ersten aufgenommen wird. Er hat klar gesagt: Nein. Die Entwicklung in den Jahren 1998/99 kann nicht die Nichteinhaltung der Kriterien im Jahre 1997 ersetzen. Es stellt sich die Frage, ob es bei dem derzeitigen Stand und den Perspektiven noch erreichbar ist, bis zum Jahresende 1997 die Neuverschuldung auf unter 2,9 Prozent und die Gesamtverschuldung auf unter 60 Prozent des Bruttoinlandprodukts zu senken. Hier hat Finanzminister Waigel schon deutlich gemacht, daß auch er die Schwierigkeiten sieht. Die sogenannte kreative Buchführung, für die zuvor Frankreich und Italien kritisiert worden sind, hat er selbst vorgeschlagen, indem er die Kosten der deutschen Vereinigung abziehen wollte. Das heißt: Nur mit kreativer Buchführung - ich will einmal diesen Begriff übernehmen - ist auch nach Ansicht der Bundesregierung die Einhaltung dieser Kriterien möglich. Eine Diskussion darüber sollte erfolgen, bevor die Ereignisse eintreten, wie sie sich nach einer Äußerung in dieser Woche ergeben haben, daß nämlich die Finanzmärkte skeptisch reagieren. Lassen Sie mich abschließend sagen: Wir sind nicht der Auffassung, daß wir uns mit unserer Skepsis im Deutschen Bundestag durchsetzen können. Wir sind vielmehr der Auffassung, daß endlich einmal das deutsche Volk gefragt werden soll, ob es bereit ist, dieses Experiment einzugehen. ({1}) Wir würden uns gerne nach einer entsprechenden Umfrage davon überzeugen lassen, daß wir im Unrecht sind. Deshalb hat unsere Bundestagsgruppe inzwischen einen Antrag beschlossen, der in den nächsten Tagen eingebracht werden wird und in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, die notwendigen gesetzlichen Voraussetzungen zur Durchführung einer Volksabstimmung über das Ergebnis der MaastrichtII-Verhandlungen und über die Einführung des Euro zu schaffen. Ich bin gespannt, wie sich die Bundesregierung auf die demokratische Willensbildung im deutschen Volk einstellen wird. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Bundesminister der Finanzen, Dr. Theo Waigel.

Dr. Theodor Waigel (Minister:in)

Politiker ID: 11002412

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Matthäus-Maier, die CSU hat sich in den letzten Jahren sehr intensiv, aber auch kontrovers mit diesen Fragen beschäftigt. Es gibt ganz klare Entscheidungen im Vorstand und im Parteiausschuß. Wir haben einen eigenen Parteitag dazu durchgeführt, der mit einer Mehrheit von etwa 90 Prozent meine Haltung unterstützt hat. ({0}) - Frau Präsidentin, der Papagei ist wieder da. Es ist der gleiche Zuruf von der gleichen Seite. Ich glaube, daß wir auch intern einen Beitrag zur Diskussion über ein schwieriges Thema erbracht haben. Ich empfehle jeder Partei: Die Dinge muß man noch viel breiter diskutieren, als wir es bisher getan haben. Man kann die Menschen fragen und erhält von den meisten die Antwort: Sind Sie für Europa? - Ja! - Sind Sie für eine Friedenszone? - Ja! - Sind Sie der Meinung, daß Freiheit und Frieden in Deutschland nur über Europa erhalten werden können? - Ja! - Sind Sie der Meinung, daß wir Europa für unseren Export brauchen? - Ja! - Sind Sie der Meinung, daß ein Binnenmarkt sinnvoll und notwendig ist? - Ja! - Sind Sie der Meinung, daß am Ende eine Wirtschafts- und Währungsunion steht? - Ja! - Wenn dann ganz am Schluß die Frage kommt: Sind Sie bereit, dafür die D-Mark aufzugeben?, dann kommt die Antwort: Nein! Damit müssen wir uns auseinandersetzen. Hier sind politische Führung und politische Aufklärung gefragt. Man wird neben den darstellbaren Vorzügen auch herausarbeiten müssen, was an Nachteilen für Deutschland, für die deutsche Volkswirtschaft und für die deutsche Politik entstehen kann, wenn ein solches Projekt scheitern sollte. Ich halte es für wichtig, diese möglichen Nachteile in allen Facetten und Tonarten darzustellen. Ich habe zwar nicht alle Presseverlautbarungen verfolgt, aber ich denke, daß Sie sich immer für die Wirtschafts- und Währungsunion eingesetzt haben. Ich weiß sehr wohl zu schätzen, was das wert ist, wenn die großen demokratischen Parteien in Deutschland in einer solchen Frage grundsätzlich übereinstimmender Meinung sind. Sie wissen, daß es auch in Ihrer Partei unterschiedliche Vorstellungen gibt. Ihre Partei hat im letzten Jahr in Baden-Württemberg einen Wahlkampf teilweise mit diesem Thema geführt, was Ihnen aber keinen Erfolg gebracht hat. ({1}) Das sollte jedem zu denken geben und ihn zu dem Ergebnis führen, daß man mit einem solchen Thema nicht spielt. Nun zu Ihnen, Herr Professor Haussmann. ({2}) - Entschuldigung, ich habe auf dem Rednerzettel Professor Haussmann gelesen. Ehre, wem Ehre gebührt. Sie haben ja auf Professor Faltlhauser Bezug genommen, also ein Dialog von Professor zu Professor, von Volkswirtschaftstheorie zu Volkswirtschaftstheorie. Aber wenn Sie anregen, Herr Professor Haussmann, daß das im Bayerischen Landtag diskutiert werden soll, dann berücksichtigen Sie, daß dort die F.D.P. nicht vertreten ist. ({3}) Insofern ist es, glaube ich, ganz gut, Sie machen das hier und setzen sich mit Ihrem Volkswirtschaftskollegen Professor Faltlhauser telefonisch, brieflich oder sonstwie auseinander. Jeder weiß: Über die Kriterien gibt es keinen Zweifel. Im Vertrag steht, daß die Kriterien dauerhaft erfüllt werden müssen. ({4}) Bei der Evaluierung der Ergebnisse Anfang 1998 sind also nicht nur eine zufällige Zielgenauigkeit 1997, sondern auch die Erfüllung der Kriterien in 1998, 1999 und danach von entscheidender Bedeutung. Die Haltung der Bundesregierung zur Einführung des Euro ist bekannt. Sie hat sich in letzter Zeit auch nicht verändert. Aktuelle Äußerungen von dritter Seite zur Haltung der Bundesregierung in dieser Frage scheinen das zu verkennen. Das liegt offenbar an mangelnder Aufmerksamkeit in der Vergangenheit über die oftmals dargestellte Haltung der Bundesregierung zu diesem Thema. Ich habe zu dem Thema heute, letzten Montag und letzten Sonntag nichts anderes als einige Wochen zuvor, als einige Monate zuvor oder als vor ein oder zwei Jahren gesagt. Eigentlich wünscht man sich doch von einem Politiker, daß er über die ganze Zeit hinweg zum gleichen Thema das gleiche sagt. ({5}) Ich werde auch künftig das sagen, was ich in der Vergangenheit zu dem Thema gesagt habe. ({6}) Der Kreis der Erstteilnehmer an der Währungsunion wird so früh wie möglich im Jahre 1998 auf der Basis der Ist-Daten des Jahres 1997 festgestellt. Bevor diese Daten vorliegen, sind alle Aussagen über die Teilnehmer pure Spekulationen, an denen ich mich nicht beteiligen werde. Ich weise Ihren Vorwurf, Frau Kollegin Heyne, zurück, es solle etwas getan werden, um mißliebige Mitglieder herauszuhalten. Das ist eine Unterstellung. Ich wünsche mir, daß so viele wie möglich dabei sind. ({7}) Aber wir sind es uns, der Stabilität und der Akzeptanz schuldig, daß zwar jeder die Chance hat, er die Bedingungen aber auch erfüllen muß. Die Entscheidung darüber trifft der Europäische Rat, das heißt die Staats- und Regierungschefs. Zuvor werden Bundestag und Bundesrat um ihr Votum gebeten. Für die Entscheidung werden der Bericht der Kommission und insbesondere der Bericht des Europäischen Währungsinstitutes, der unter Mitwirkung der Bundesbank vorbereitet wird, vorliegen. Dabei wird, wie ich vorher sagte, insbesondere geprüft, ob ein hoher Grad an dauerhafter Konvergenz erreicht ist. Maßstab hierfür ist die Erfüllung der im MaastrichtVertrag formulierten Konvergenzkriterien, auf die schon eingegangen wurde. Wir haben immer gesagt - das war auch Meinung des Rats, des Ecofin und des Europäischen Währungsinstituts in Frankfurt -, daß auf eine „strikte und enge" Interpretation der Konvergenzkriterien geachtet wird. Das ergibt sich aus der Vorgabe des Vertrages, wonach „ein hoher Grad an dauerhafter Konvergenz erreicht" sein muß. Diese Vorgaben haben uns auch der Deutsche Bundestag und der Bundesrat bei ihrer Zustimmung zum Maastricht-Vertrag gegeben. Auch das Bundesverfassungsgericht hat eine strikte und enge Interpretation der Kriterien gefordert. Sie wissen, Herr Haussmann, daß ein früher Ihren Reihen angehöriger und nun außerhalb Ihrer Partei agierender Politiker vor das Bundesverfassungsgericht gegangen ist. In einer bemerkenswerten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist der Vertrag für mit dem Grundgesetz in Einklang stehend befunden worden, allerdings mit Maßgaben und Kriterien, an die wir uns zu halten haben. ({8}) Es bleibt bei den im Vertrag festgelegten Regeln. Daraus ergibt sich meine schon häufig geäußerte Feststellung, die ich auch heute - wie so oft in den letzten zwei, drei Jahren - wiederhole: Die Konvergenz bestimmt den Zeitplan. Das alles ist nicht neu. Neu ist nur die Aufgeregtheit, mit der diese klaren Aussagen bedacht werden. Sie sind deswegen so wichtig, damit keine falschen Erwartungen auf den Finanzmärkten entstehen. Auf den Finanzmärkten soll eine realistische Erwartung dessen herrschen, was auf Grund der Stabilitätspolitik der Länder möglich ist, von uns gewünscht wird und auch notwendig ist, um eine dauerhafte Wirtschafts- und Währungsunion in Europa zu gewährleisten. ({9}) Die Vorgaben des Vertrags von Maastricht und des von mir initiierten Stabilitäts- und Wachstumspakts sind ehrgeizig. Es sind bis dahin noch erhebliche Konsolidierungsanstrengungen erforderlich, auch in Deutschland. Der Kollege Haussmann hat darauf hingewiesen, daß wir es sehr begrüßen würden, wenn alle, die heute für Europa sprechen, bei den Konvergenzbemühungen und bei der Konsolidierung mitwirken würden. ({10}) Die Bundesregierung wird alles daransetzen, in der Haushaltsausführung 1997 unter Beweis zu stellen, wie sehr sie das Ziel nachhaltig gesunder Staatsfinanzen ernst nimmt. Das gleiche gilt für die anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Auch wenn jeder für sich selber in seinem ureigensten Interesse konsolidiert und versucht, die Kritieren zu erreichen: Ohne den Anstoß von Maastricht wäre es zu dieser Stabilitätskultur in ganz Europa nie gekommen. ({11}) Auch das, meine ich, müßte man öfter, deutlicher und positiver herausstellen. Die Diskussion des deutschen Konvergenzprogramms im Ecofin-Rat am letzten Montag hat gezeigt: Deutschland wird im Jahr 1997 das MaastrichtKriterium zum öffentlichen Defizit erfüllen. Trotz des Anstiegs der Arbeitslosigkeit zu Beginn des Jahres 1997 wird der Referenzwert mit 2,9 Prozent knapp unterschritten. Die aktuellen Entwicklungen geben keinen Grund, von dieser Prognose abzuweichen. Neueste Daten - Ausrüstungsinvestitionen, Auftragseingänge im verarbeitenden Gewerbe, Geschäftsklima - weisen deutliche Zuwachsraten aus. Die Wachstumsschätzung für 1997 ist mit real 2,5 Prozent realistisch angesetzt. Nun werde ich nicht, wie mir unterstellt wurde, die Lasten der Aufarbeitung des Sozialismus in der DDR hier mit einrechnen. Aber es muß erlaubt sein, dies bei der Darstellung der Finanzkennziffern Deutschlands zu berücksichtigen. ({12}) Wenn ich Transfer Ost, Bahnschulden und die anderen Dinge, die wir in den letzten drei Jahren im Haushalt übernommen haben, berechne, dann komme ich auf 195,5 Milliarden DM; das sind 5,6 Defizitprozentpunkte. Wenn ich dann noch berücksichtige, daß wir jedes Jahr 22,5 Milliarden DM als Nettotransfer der EU zur Verfügung stellen, dann brauchen wir uns unserer Finanzkennziffern nicht zu schämen. Wir erbringen unseren Beitrag. Der Vorsitzende des Währungs- und Wirtschaftsausschusses hat bei der Diskussion des Konvergenzprogramms gesagt: Deutschland hat in den letzten Jahren Herausforderungen bewältigt wie keine andere Volkswirtschaft in der Welt, ({13}) hat Herausforderungen bewältigt, wie sie keine andere Volkswirtschaft in Europa bewältigt hätte. Ich meine, das muß man mit einbeziehen, wenn man der deutschen Situation hier bei uns und in Europa gerecht werden will. Vielen Dank. ({14})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Joschka Fischer.

Joseph Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000552, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Unsere Fraktion hat diese Aktuelle Stunde nach den öffentlichen Reaktionen auf die Vorstellung des Konvergenzprogramms, durch Bundesfinanzminister Waigel Anfang dieser Woche beantragt. Erfreulicherweise sind wir bei der Debatte in diesem Hause in wesentlichen Punkten einer Meinung ({0}) - Herr Professor, jetzt hören Sie einmal zu; wenn Sie heute schon zum Professor ernannt wurden, dann spitzen Sie einmal die Öhrchen -, was die Einführung des Euro betrifft, was die Kriterien betrifft und was den Termin betrifft, hoffe ich. Nachdem ich allerdings heute Ihren Äußerungen zugehört habe, Herr Kollege Waigel, bleiben wesentliche Dinge nach wie vor offen. Man muß der Bundesregierung vorhalten, daß sie völlig unnötigerweise, weder durch den Vertrag von Maastricht noch durch die ökonomische Entwicklung bei uns oder in den Nachbarländern gerechtfertigt, eine neue Interpretation des Maastricht-Vertrages in der deutschen Öffentlichkeit durchgesetzt hat: von der strikten Anwendung zur besonders strikten Anwendung. Die besonders strikte Anwendung sieht so aus, daß die Bundesrepublik Deutschland gegenwärtig wesentliche Kriterien nicht erfüllt. Bei dem Kriterium der Verschuldung bis zu einem Höchstwert des Bruttoinlandsproduktes von 60 Prozent liegen Sie darüber. ({1}) Sie bringen gute Argumente, warum die Bundesrepublik Deutschland dennoch dieses Kriterium erfüllt. Derselbe Theo Waigel ist aber als CSU-Politiker derjenige gewesen, der in der deutschen Öffentlichkeit nachträglich eine Interpretation der besonders Joseph Fischer ({2}) strikten Anwendung draufgesattelt hat und jetzt vor der Frage steht, wie er als Finanzminister und Europapolitiker von diesem Baum wieder herunterkommt, auf den er als CSU-Vorsitzender vorher hinaufgeklettert ist. ({3}) Herr Kollege Waigel, dasselbe Problem stellt sich doch angesichts der Reaktion der Märkte und der Öffentlichkeit. Ihre Äußerung im Zusammenhang mit der Vorstellung Ihres Konvergenzprogrammes wurde so interpretiert, daß Sie zum erstenmal beginnen, die besonders strikte Interpretation der Bundesregierung aufzuweichen. Eine gewisse Arroganz gegenüber anderen Ländern, die auch hier bei Ihnen wieder zum Vorschein kam, geht mir in der Tat auf die Nerven und ist zutiefst antieuropäisch. Wenn ein italienischer Finanzminister sich hier hingestellt hätte und ähnlich triftige Argumente, wie Sie sie gerade, was das Verschuldungskriterium betrifft, angeführt haben, geäußert hätte, dann wäre dies in der deutschen Öffentlichkeit von führenden CSU-Politikern und anderen als „kreative Buchführung" dargestellt worden. ({4}) Die Anstrengungen, die Italien unternommen hat, um die Konvergenzkriterien zu erreichen, sind beachtlich und verdienen nicht Häme, sondern volle Zustimmung und vor allen Dingen auch die Perspektive, daß Italien an der Einführung des Euro teilnehmen kann. ({5}) Dasselbe gilt für andere Länder des als unverantwortlich geschmähten sogenannten Club Med, und zwar für die Anstrengungen in Spanien und in Portugal. Was angesichts der volkswirtschaftlichen Situation in diesen Ländern geleistet wird, ist beachtlich und verdient keine deutsche Häme und Arroganz, sondern ausdrückliche Zustimmung für deren Einsatz dafür, daß sie nicht ausgegrenzt werden, sondern an der Einführung des Euro teilnehmen können. ({6}) Meine Damen und Herren, die entscheidende Frage ist nicht, wie strikt wir die Kriterien interpretieren, sondern die Frage - wir erwarten, daß die Bundesregierung hierzu langsam einmal Position bezieht -, ob Sie angesichts der absehbaren Entwicklung, daß Sie die Kriterien in bestimmten Punkten zu dem vorgesehenen Zeitpunkt vermutlich nicht erfüllen werden - es sei denn, Sie flüchten sich in „kreative Buchhaltung" -, bereit sind, den Maastricht-Vertrag termingerecht anzuwenden. Hinsichtlich der ominösen 3 Prozent bezüglich der Nettoneuverschuldung, bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt, steht nicht im Maastricht-Vertrag, daß es 3,0 Prozent sein müssen. Ich stimme dem Kollegen Haussmann ausdrücklich zu: Für die Stabilität der Währung sind diese 3 Prozent, Herr Professor Haussmann, nun wirklich kein aussagefähiges ökonomisches Kriterium. Der entscheidende Punkt, zu dem diese Bundesregierung langsam einmal Stellung beziehen muß - sie darf sich nicht immer wieder hinter Termine und Entscheidungen flüchten, da ich sonst fürchte, daß uns die innenpolitische Debatte auch und gerade im konservativen Lager, und zwar in der CSU, Herr Kollege Waigel, davonläuft -, ist also, ob wir tatsächlich eine Verschiebung wollen oder nicht. Ihre Äußerung, daß die Einhaltung der Konvergenzkriterien wichtiger als der Zeitpunkt sind, ist fatal und falsch. Wir müssen vielmehr an dem Zeitplan festhalten. Es wird nicht ein einziger Punkt besser werden, wenn wir eine Verschiebung in Aussicht nehmen. Alles, was die Euro-Kritiker und Euro-Skeptiker anführen, wird auch zwei Jahre später gelten. Deswegen sind wir der Meinung: Wir müssen uns jetzt dafür einsetzen, daß wir in diesem Lande einen politischen Prozeß lostreten können, der eben nicht von Herrn Stoiber bzw. einer besonders strikten Anwendung bestimmt wird. ({7}) - Meinetwegen auch von Herrn Schröder. Da habe ich überhaupt kein Problem. Ich finde es genauso falsch, wenn er diese Position vertritt. Wenn es ein Grüner oder eine Grüne wäre, die diese Position vertreten würde, fände ich es auch falsch. Europa jetzt durch ein Festhalten am Euro und durch ein termingerechtes Realisieren praktisch werden zu lassen ist das, was wir von dieser Bundesregierung verlangen. Nur, Ihre Äußerungen machen einem dieses Geschäft nicht einfacher. ({8})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Susanne Tiemann.

Dr. Susanne Tiemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002819, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich beziehe mich auf Frau Heyne, die die Diskussion eröffnet hat. Frau Heyne, Sie haben gefragt, wie ernst wir es mit dem vereinten Europa nehmen. Ich beantworte Ihre Frage ganz klar: Wir nehmen es mit dem vereinten Europa außerordentlich ernst, so ernst, daß wir die Schaffung einer Wirtschafts- und Währungsunion und einer stabilen gemeinsamen Währung als eines der vorrangigen Ziele und konstitutiven Elemente für die weitere europäische Integration ansehen. Mit aller Entschlossenheit und Konsequenz arbeiten wir darauf hin, diese Zielsetzung auch zu erfüllen. Erlauben Sie mir nur zwei Bemerkungen zu dieser Diskussion, in der ja schon sehr viel gesagt worden ist. Erstens kann es nicht um ein Entweder-Oder geDr. Susanne Tiemann hen: entweder der Zeitplan oder die Einhaltung der Kriterien. ({0}) Wir müssen beides im Auge behalten, und wir tun dies. Unser Ziel ist es, als Bundesrepublik Deutschland den Zeitplan einzuhalten und die Kriterien zu erfüllen, die vertraglich vereinbart worden sind. Wir stimmen überein, daß eine Währungsunion für die Bürger Europas nur dann eine Chance sein wird - aber sie wird es dann auch in vollem Umfang -, wenn wir dadurch eine Stabilitätsgemeinschaft bekommen, wenn der Euro mindestens so hart wie die D-Mark wird. ({1}) Wir sind sicher, er wird es dann, wenn wir die Stabilitätskriterien so ernst nehmen, wie wir es bisher getan haben. Ehrlich gesagt, verstehe ich die Diskussion nicht ganz. Es ist die Verantwortung eines Finanzministers, auf diese Stabilitätskritierien hinzuweisen und darauf hinzuarbeiten, daß sie so gut wie irgend möglich erfüllt werden. Was würden Sie sagen, meine Damen und Herren, wenn unser Bundesfinanzminister fröhlich in die Verhandlungen ginge und keinen Wert darauf legte, wie gut wir uns an die in Maastricht vereinbarten Grenzwerte halten? Ich verlange das vom Bundesfinanzminister als einem Hausvater für die Stabilität der zukünftigen Wirtschafts- und Währungsunion. Insofern hat er nur seine Pflicht getan. ({2}) Die zweite Bemerkung: Das Konvergenzprogramm der Bundesrepublik Deutschland ist im Kreise der europäischen Finanzminister nicht nur gebilligt, sondern auch begrüßt worden. Deutschland ist ermuntert worden, auf diesem Wege weiterzugehen. In diesem Konvergenzprogramm ist unsere symmetrische Finanzpolitik enthalten, ist unsere Haushaltsdisziplin enthalten, die dazu geführt hat, daß wir schon das zweite Mal hintereinander einen Haushalt vorlegen, der in seinen Ausgaben rückläufig ist. (Joseph Fischer [Frankfurt] ({3}) In diesem Konvergenzprogramm sind Steuerreform, Rentenreform, Gesundheitsreform, Finanzmarktförderungsgesetz und vieles mehr enthalten. All das haben die Finanzminister einhellig als den richtigen Weg bezeichnet. ({4}) Meine Damen und Herren, ich halte es schon für bemerkenswert - wir müssen das auch einmal festhalten -, daß die Besonderheiten Deutschlands, die wir nach der Wiedervereinigung haben, und unser hoher Nettobeitrag für die Europäische Union in diesem Kreis gewürdigt worden sind. ({5}) Das müssen wir doch einmal sagen. Nur, wenn unser Konvergenzprogramm, das wir als den richtigen Weg ansehen und zielstrebig verfolgen, um diese Konvergenzkriterien auch einzuhalten, einhellig europaweit so gesehen wird, dann verstehe ich wiederum Ihre Diskussion nicht mehr. Sie sind es - das hat Herr Haussmann richtigerweise gesagt -, die viele dieser Maßnahmen, die wir konzeptionell vorgelegt haben, blockieren. Sie verhindern es, daß wir diese Maßnahmen schnell, zügig und auch vollständig durchführen können. ({6}) Wenn wir alle zusammen in diesem Hause der Auffassung sind, daß wir in der Verantwortung um die weiteren Chancen der Bürger in Europa und um die Integration Europas diese gemeinsame europäische Währung zum vereinbarten Zeitpunkt als stabile Währung schaffen wollen, dann müssen Sie sich auch bereit finden, an der Arbeit an diesem Konvergenzprogramm mitzuwirken, und dürfen nicht nur Finanzminister schelten, die sich zu Recht in ihrer Verantwortung Sorgen um die Einhaltung der Stabilitätskritieren machen. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt Kollege Dietrich Sperling.

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der größte Prognostiker deutscher Sprache war, wenn ich das richtig sehe, Wilhelm Busch, und zwar mit dem bekannten Spruch: Denn erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt. Das galt für die blühenden Landschaften und die Finanzierung der deutschen Einheit über Lohnnebenkosten, das galt bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und beim Schlechtwettergeld. Ich könnte viele Dinge aufführen. Das galt auch, als die Kriterien festgelegt wurden und man sich über den Zeitpunkt der Einführung des Euro Gedanken machte. Damals durfte man hoffen, daß die Einhaltung von drei Prozent vielleicht ein Kinderspielchen werden würde. Man hatte ja die anderen Irrtümer alle noch nicht erkannt. Jetzt stellt sich heraus: Auch diesmal kommt es anders, als man gedacht hat. Das gilt auch für Sprüche, die ein Finanzminister bringt. Wenn er angesichts einer gewandelten Situation immer noch das gleiche sagt wie vorher, dann kommt auch das anders, als man denkt. Auch ein Finanzminister muß den Wandel der Verhältnisse betrachten. Deswegen will ich zu den Kriterien soviel sagen: Es macht in etwa so viel Sinn, scheinheilig gesprochene Kriterien festzulegen, wie den Wasserstand des Rheins zwei Jahre zuvor festzulegen, ohne zu wissen, wann die Schneeschmelze eintritt und wie die Niederschläge sein werden. ({0}) Sich dann auf solche scheinheilig gesprochenen Kriterien in dem Ausmaß festzulegen bringt eine Reihe von Problemen mit sich. So kommt es anders, als man gedacht hat. In einer Broschüre des Finanzministers - vor kurzem verteilt - steht der zumindest ebenso richtige Spruch wie der von Busch: Ohne Geld geht nichts. Das ist auch ungeheuer richtig. Die interessanten Fragen lauten: Mit wessen Geld soll es gehen? Mit welchem Geld soll es gehen? Was soll gehen? Mit wessen Geld es gehen soll, haben wir schon am Vormittag über längere Stunden gehört. Es wurde klar, daß das Dilemma der Regierungspolitik darin besteht, daß Sie den Reichen nicht geben können, ohne den Armen zu nehmen. Weil ja Geben seliger ist denn Nehmen, führt es zum Zwangsgeben der Armen an die Reichen. Jetzt lautet die nächste Frage nicht mehr: Mit wessen Geld?, sondern: Mit welchem Geld? Da schauen diejenigen, die Sie zum Geben verpflichten, danach, ob der Euro als Werkzeug ihnen nicht nur selber Stabilität verspricht, sondern ob der Euro für Europa Stabilität in der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung bringt. Taugt der Euro zum Schaffen von Arbeitsplätzen besser als das Sammelsurium der Währungen, mit denen wir jetzt noch umgehen? ({1}) - Ich sage ja dazu. - Wird es sinnvoll sein, den Unfug zu beenden, den außerordentlich verflochtenen Binnenwirtschaftsraum Westeuropa mit einer Währung auszustatten und den Unsinn zu beenden, daß wir zwischen hier und Holland Exporte und Importe verrechnen? Es macht nicht den geringsten Sinn, in diesem eng verflochtenen Wirtschaftsraum in Exporten und Importen zu rechnen. ({2}) Wenn wir diesen Unsinn also abschaffen, dann leisten wir etwas für die Steuerungsfähigkeit der Politik mit Hilfe des Werkzeugs Geld. Deswegen gehe ich davon aus, daß es sehr viel sinnvoller ist, Wohlstands- und Stabilitätspolitik für Wirtschaft und Gesellschaft in Europa mit einem gemeinsamen Geld zu machen, statt dies mit 14 verschiedenen Werkzeugen und den Tätigkeiten von Devisenspekulanten zu versuchen. Joschka, damit Ihr nicht immer schlecht wegkommt, will ich ausdrücklich die Grünen loben: Sie haben Horst Köhler zu einem Gutachten über die Zukunftsfähigkeit des deutschen Bankensystems eingeladen. Die vom Finanzminister vorhin so gepriesenen Finanzmärkte als irgendwelche Maßstäbe werden in diesem Gutachten - für die Grünen erstellt, aber sicher von keinem Grünen - wie folgt beschrieben: Die auf den Finanzmärkten zu beobachtende Verabsolutierung des Gewinnstrebens und der Kurzfristorientierung bewirken zusammen mit der hohen Komplexität von Finanzprodukten und Handelssystemen eine wachsende Erwartungslastigkeit der Märkte. Schon geringfügige Ereignisse in Politik und Wirtschaft können heftige Marktreaktionen und Herdenverhalten - in diesem Fall der Finanzspekulanten - auslösen. Vor diesem Hintergrund sieht der Internationale Währungsfonds die Gefahr, daß Schieflagen eines oder mehrerer bedeutender Marktteilnehmer Kettenreaktionen bis hin zu einer Systemkrise auslösen können. Wer den Finanzmärkten ein Stück dieser Gefahrenträchtigkeit nehmen will, braucht etwas anderes als das Nebeneinander der vielen europäischen Währungen. Es wäre sinnvoll, mit diesem Werkzeugcharakter zu werben und nicht mit scheinheilig gesprochenen Prozentsätzen die Leute abzuschrecken und in Illusionen zu jagen. ({3}) Es ist sinnvoll, dafür zu werben, daß dieses Sammelsurium der europäischen Währungen schnell abgelöst wird und man möglichst schnell zu einem Werkzeug kommt, allerdings zu einem Werkzeug, das auch für eine Stabilitätspolitik, nicht für das Werkzeug selber, genutzt wird. ({4}) Vor 103 Jahren, so entnehme ich einer Schrift des Arbeitskreises christlicher Publizisten - ich bitte, dies dem Finanzminister besonders mitzuteilen -, ({5}) hat ein bayerischer Pfarrer wie folgt gebetet: Lieber Herr und Gott, setz dem Überfluß Grenzen und laß die Grenzen überflüssig werden. Und gib den Regierenden ein besseres Deutsch und den Deutschen eine bessere Regierung. Der Mann hatte recht. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Noch ist nicht Ostern. - Das Wort hat der Kollege Hartmut Schauerte.

Hartmut Schauerte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002770, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es liegt im unzweifelhaften deutschen Interesse, im wohlverstandenen deutschen Interesse, daß der Euro kommt und daß er vertragsgemäß kommt. ({0}) Ich verstehe einen Teil der Diskussion nicht. Ich habe mich versucht zu orientieren, von welcher Seite dieser schlichten Feststellung Gefahren und Risiken drohen. Ich sehe eigentlich eine große Zahl von Männern, Institutionen, Verbänden, die das genauso sehen, wie ich das gerade formuliert habe. ({1}) - Frauen sind selbstverständlich gerne dabei. Ich kann die Namen wahllos aneinanderreihen: Wolfgang Schäuble, Herr Tietmeyer, der Bundespräsident, Herr Lafontaine, Frau Wulf-Mathies, die IG Chemie, Joschka Fischer, Herr Metzger, Herr Scharping, der BGA, der BDI, der Bankenverband, der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft, auch die Sparkassen. Ich kann diese Aufzählung beliebig verlängern. Von dieser Seite gibt es keine Gefährdungen. ({2}) - Die ist auch dafür. Die war immer schon weltweit. Wo liegen denn die Risiken? Risiken sehe ich bei der Einführung des Euro bei Herrn Schröder; die Aussagen wurden hier zitiert. Die baden-württembergische SPD hat sogar einen Landtagswahlkampf mit dem Thema versucht; ({3}) das Ergebnis ist bekannt. Frau Wieczorek sagt, eine Verschiebung für eine harte Währung würden die Märkte verstehen. Der DGB-Vorsitzende Dieter Schulte sagt, eine Revision der Haltung der Gewerkschaften sei möglich. ({4}) Der DAG-Vorsitzende Roland Issen sagt: Wir wollen den Euro nicht um den Preis steigender Arbeitslosigkeit. Wenn schon Gefahren für den Euro schlummern, dann schlummern sie wohl eher auf dieser Seite oder entwickeln sich da. Die Versuchung, aus populistischer Überzeugung eine Kampagne gegen den Euro zu führen, ist eher bei der SPD und den ihr nahestehenden Kräften als bei der CDU und den ihr nahestehenden Kräften zu sehen. ({5}) - Das ist nun einmal Fakt. Das muß man ganz nüchtern so sehen. ({6}) Deswegen habe ich den Eindruck, daß diese Aktuelle Stunde mehr die Sorgen mit der SPD beschreibt als die Sorgen mit der CDU oder gar mit der Regierung. Frau Matthäus-Maier hat gesagt, unsere Theorie sei: Geldpolitik ist alles, und Europa ist nichts. Es ist absolut umgekehrt. ({7}) - Aber, Frau Matthäus-Maier, in jedem Falle ist eine solche Zuspitzung falsch, weil sie nicht die ganze Wirklichkeit umfaßt. ({8}) Es macht keinen Sinn. Es heißt nicht: „Geldpolitik ist alles, und Europa ist nichts", aber auch nicht: „Europa ist alles, und Geldpolitik ist nichts". ({9}) Es muß uns gelingen, die Stabilitätsnotwendigkeit für ein erfolgreiches Europa mit dem rechtzeitigen Eintritt der Währungsunion zu kombinieren. Das ist die eigentliche politische Aufgabe, ({10}) und die ist bei der Koalition in besten Händen. ({11}) Lassen Sie mich einen weiteren Punkt sehr nachdenklich sagen: Sie alle wissen um die Stimmung in der Bevölkerung zu diesem Thema. Deswegen müssen wir es auch schaffen, bei den Entscheidungen, die jetzt anstehen, die Menschen mitzunehmen. ({12}) Deswegen ist es auch wichtig, daß man nicht sagt: Die Geldwertstabilität, die den Deutschen ein hohes Gut ist, ist nichts, und Europa ist alles. Das würde die Menschen in großen Scharen in die Ablehnung treiben. ({13}) Es bleibt dabei, daß wir eine mittlere Linie fahren müssen, damit das klappt. Herr Fischer, Sie haben versucht, mit dem europapolitischen Fahrrad der Grünen die gutbesetzte europapolitische Zugmaschine der CDU mit Helmut Kohl zu überholen. Das wird Ihnen nicht gelingen. Wir sind da meilenweit vor Ihnen. Wir sind stolz, daß der Vertrag, für dessen Einhaltung Sie heute werben und gegen den Sie damals gestimmt haben, von dieser Koalition wesentlich auf den Weg gebracht worden ist. ({14}) Wir sind dankbar, daß Sie den Vertrag nun zu einem wesentlichen Punkt Ihrer Politik machen wollen. Aber glauben Sie doch nicht, daß Sie uns an der Stelle überholen können; wir sind schon lange da. ({15}) Weil nun - auch Herr Sperling hat mit einem Zitat geendet - die Osterzeit kommt, erinnere ich mich in diesem Zusammenhang, gerade wenn es um Europa geht, an einen schönen Vers aus der berühmten „Häschenschule", einer wunderschönen Geschichte für Kinder. In dieser „Häschenschule" gibt es ein Kapitel, in dem den jungen Hasen Ernährungskunde beigebracht wird. Das ist ja wichtig; das ist elementar. Da gibt es den wunderschönen Vers: „Das eine aber merkt euch wohl: Am allerbesten schmeckt der Kohl." Das war's. ({16})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Jörg-Otto Spiller.

Jörg Otto Spiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schauerte, Sie haben in diese währungspolitische Debatte leider Falschmünzerei hineingetragen. ({0}) Das, was Sie eben gesagt haben, war ein grobes Umdrehen von Worten. Frau Matthäus-Maier hat vorhin nicht gesagt, für Sie sei Geldpolitik alles und Europa nichts, sondern sie hat gesagt, für Sie sei Geldpolitik alles und europäische Beschäftigungspolitik nichts. ({1}) Daran muß man auch erinnern; denn es steht schon im Vertrag, daß die Europäische Gemeinschaft das Ziel verfolgt, neben der stabilen Währung einen hohen Grad der Beschäftigung zu erreichen. ({2}) Es ist ein Jahr vor der Entscheidung über den Beginn der Währungsunion Unsicherheit aufgekommen, ob Deutschland bei der Währungsunion dabei sein kann. Dazu hat natürlich beigetragen, daß Herr Bundesfinanzminister Waigel am Montag dieser Woche die Äußerung getan hat, die Einhaltung der Kriterien sei wichtiger als der Zeitplan. Natürlich hat Herr Waigel und haben auch andere dies schon vor zwei Jahren gesagt. Da gab es aber eine andere Situation. ({3}) Damals konnte jeder zu Recht davon ausgehen, Deutschland werde es schaffen, die Kriterien zu erfüllen. Wir haben heute die Situation, daß der deutsche Bundesfinanzminister die Kriterien besonders streng auslegt, sich aber an die eigenen Zielsetzungen nicht hält, weil er eine unsolide Haushaltspolitik betreibt. ({4}) Es ist doch nicht die Tatsache, daß er denselben Satz wie vor zwei Jahren gesagt hat, sondern die Tatsache, daß die Umstände, nämlich das Zahlenwerk der eigenen Haushaltsgestaltung, dem nicht entsprechen. Da gibt es - da darf man sich nicht wundern - zunehmend Skepsis bei unseren europäischen Partnern. Es trifft zu, daß im Vertrag von Maastricht nicht steht, daß Deutschland beim Beginn der europäischen Währungsunion dabei sein muß. Aber es war bisher Konsens, auch hier in diesem Hause, daß es eine europäische Währungsunion ökonomisch und politisch sinnvoll nur geben kann, wenn sowohl Frankreich als auch Deutschland von Anfang an dabei sind. ({5}) - Es freut mich, daß Sie das sagen, daß es so bleibt. - Aber es gab leider Äußerungen, die den Eindruck erweckten, als sei Deutschland dabei, einen Rückzieher zu machen: die Kriterien hochschrauben und dann Zweifel aufkommen lassen, ob man sie selber erfüllen will. ({6}) Auch der Herr Präsident der Deutschen Bundesbank hat sich in Äußerungen gefallen, es sei nicht so ganz selbstverständlich, daß Deutschland unbedingt dabei sein müsse. Das ist schädlich. Man kann nicht unvorsichtig über die Währungsunion reden; denn das ist ein zentrales Thema sowohl für die Deutschen wie auch für Europa insgesamt. Da darf man nicht einfach so reden, wie einem der Schnabel gewachsen ist. ({7}) Der Ministerpräsident von Luxemburg hat zu Recht vor einigen Tagen in einem Interview mit dem „Handelsblatt" darauf hingewiesen: Ihn irritierten auch zunehmend die Lektionen, die Deutsche glaubten ständig anderen erteilen zu müssen ... Die Deutschen sollten erst mal selbst ihre Hausaufgaben machen, bevor sie anderen erzählten, was diese tun sollten. Dazu hat der Bundesfinanzminister leider wiederholt beigetragen. Die Diskrepanz zwischen der Aufforderung, was andere tun sollen, und dem, was man selber zu leisten vermag, ({8}) trübt einfach die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung. ({9}) Ich gebe dem Bundesfinanzminister recht: Es kommt nicht nur darauf an, 1998 festzustellen, daß die Eingangskriterien erfüllt sind, man sich aber danach nicht weiter darum kümmert. Es ist schon wichJörg-Otto Spiller fig, zu einer nachhaltigen, stabilitätskonformen Politik zu kommen. ({10}) - Ja, Herr Haussmann. - Deswegen war es auch so wichtig, zu fragen: Wie geht es weiter? In dem Konvergenzprogramm, das am Montag in Brüssel vom Ministerrat beraten wurde, hat der Bundesfinanzminister auch Ausführungen zur Steuerreform in Deutschland gemacht. Das ist etwas, was Sie, Herr Haussmann, vielleicht besonders interessiert. Darin steht: „Die Nettoentlastung sollte 20 bis 30 Milliarden DM betragen". In derselben Woche aber legt der Bundesfinanzminister ein Tableau von Zahlen vor, wie sich die Steuerreform im Jahre 1999 auswirken wird: Steuermindereinnahmen von 56 Milliarden DM. ({11}) - Ja, so ähnlich. Das nennt man meiner Ansicht nach zweizüngige Finanzpolitik. ({12}) Wenn man keine solide finanzierte Steuerreform macht, dann darf man sich nicht wundern, wenn es in Europa Zweifel an der Solidität der Währungspolitik der Bundesregierung gibt. ({13}) Eine letzte Bemerkung: Der Herr Bundesfinanzminister hat heute morgen unter dem Beifall des gesamten Hauses Hans-Dietrich Genscher zum 70. Geburtstag gratuliert. Es wäre Herrn Genscher zu wünschen, daß sich der Bundesfinanzminister vielleicht einmal die Zeit nimmt, das Interview mit Genscher zu lesen, das gestern in der „Süddeutschen Zeitung" erschienen ist. ({14}) Da steht:

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Aber Herr Kollege, Sie haben Ihre Redezeit schon weit überschritten. Ein langes Zitat erlaube ich Ihnen nicht mehr.

Jörg Otto Spiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gestatten Sie mir, Frau Präsidentin, nur noch dieses eine Zitat zu bringen?

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gut, wir wollen das alle hören.

Jörg Otto Spiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Da steht: Verschieben bedeutet die Gefahr des Verschiebens auf den Sankt-Nimmerleinstag. Er fügt hinzu: Es hat ja hier sehr naßforsche Stimmen gegeben, die den anderen Europäern Mores beibringen wollten, wie sie sich zu verhalten haben, indem man versuchte, draufzusatteln auf die Kriterien. Jetzt sitzt man in der eigenen Draufsattelungsfalle, weil man froh ist, wenn man die Kriterien so erfüllt, wie sie vorgegeben sind. ({0}) Es wäre schön, wenn der Bundesfinanzminister das noch einmal läse. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Kollege Peter Altmaier.

Peter Altmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002617, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die gegenwärtige Diskussion in Europa und in Deutschland wird in der internationalen Presse und bei den internationalen Finanzmärkten mit äußerster Aufmerksamkeit verfolgt. Dabei steht die Frage, ob wir es schaffen, den Euro termin- und fristgerecht einzuführen, längst nicht mehr nur für Währungs- und Fiskalpolitik. Sie ist zu einem Synonym geworden für die Reform- und die Zukunftsfähigkeit der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten insgesamt in einem sich dramatisch ändernden internationalen Umfeld. Weil das so ist, hat Ralf Dahrendorf unrecht, wenn er von „Nebensächlichkeiten, wie der Wirtschafts- und Währungsunion" spricht. Sie ist keine Nebensache, sondern eine Hauptsache, weil sie einen unglaublich hohen Symbolgehalt hat. ({0}) Wir haben doch im Grunde in allen entwickelten europäischen Industrienationen das Problem, daß wir eine große Einigkeit im Hinblick auf die Problemanalyse haben, die sich aus Globalisierung und Wettbewerbssituation ergibt. ({1}) Wir haben eine weitgehende Einigkeit im Hinblick auf die notwendigen Maßnahmen, die erforderlich sind, auch bis hinein in die Reihen von SPD und Grünen, selbst wenn sie das öffentlich noch nicht zugeben. Aber es erweist sich als unglaublich schwierig, diese Maßnahmen auch umzusetzen: auf der nationalen Ebene, wenn es um Fragen wie Rente, Gesundheit oder Steuern geht, und auf der europäischen Ebene, wenn es um Regierungskonferenzen, Maastricht II oder um die Umsetzung der Wirtschafts- und Währungsunion geht. Da schwankt derzeit die öffentliche Meinung zwischen Respekt vor diesem Projekt, das man uns gar nicht mehr zugetraut hätte, und wachsenden Zweifeln, ob wir es denn schaffen werden, dieses Projekt durchzuführen. Um eine Antwort auf diese Frage können wir uns nicht herummogeln. Ich gebe Ihnen recht, Herr Kollege Fischer: Es wäre ein Desaster, wenn wir die Einführung des Euro über den vorgesehenen Termin hinaus verschieben müßten, nach innen wie nach außen. Es wäre aber auch ein Desaster, wenn wir die Kriterien über das hinaus, was im Vertrag geschrieben steht, aufweichen würden. ({2}) Es ist doch überall der Verdacht bereits vorhanden, daß wir das Banner „Reform" vor uns hertragen, aber im Grunde genommen nur Formelkompromisse, das heißt faule Kompromisse machen, die Probleme schönreden, anstatt sie zu lösen, nach dem Motto: Es muß etwas geschehen, aber passieren darf nichts. Das ist doch das Grundproblem unserer westeuropäischen Konsensdemokratie, daß man uns gar nicht mehr zutraut, die notwendigen Entscheidungen zu treffen. Es gibt europäische Mitgliedstaaten, die haben viel größere Probleme als wir, wenn es darum geht, die Kriterien einzuhalten. Aber es wäre in der Tat schlimm, wenn die Einhaltung der Kriterien, wenn die Einführung der Währungsunion an Deutschland scheitern würde: ({3}) für unser internationales Ansehen, für das Vertrauen der Märkte und auch für die Auslandsinvestitionen in Deutschland. Deshalb habe ich überhaupt kein Problem, zu sagen, daß ich das kurzsichtige und kleinkarierte Verhalten einiger Ministerpräsidenten, egal, ob sie der SPD, der CDU oder der CSU angehören, im Hinblick auf bevorstehende Wahlen für unverantwortlich halte und für unvereinbar mit den vitalen deutschen Interessen. ({4}) Herr Kollege Fischer, Frau Kollegin MatthäusMaier, ich halte Ihr Eintreten und Ihr Bekenntnis zum Euro für absolut glaubwürdig. Ich stimme darin mit Ihnen überein. Nur, dieses Bekenntnis allein reicht nicht aus, wenn Sie es dann an den notwendigen Schritten zur Umsetzung fehlen lassen. Wie steht es denn mit der Blockadehaltung der SPD-regierten Bundesländer im Bundesrat? Wie ist es denn mit der Weigerung der Bundesländer, ihren Konsolidierungsbeitrag zu erbringen? ({5}) Sie verhalten sich im Grunde genommen wie ein Zuschauer, der dem Läufer ständig Knüppel zwischen die Beine wirft und anschließend lamentiert, daß der Läufer keinen Weltrekord läuft. Das ist doch das Problem und die Heuchlei in dieser Debatte. ({6}) Ihre ganzen Bekenntnisse werden überhaupt nur Relevanz haben, wenn Sie bereit sind, in dem Bereich, in dem Sie Verantwortung tragen, auch Taten folgen zu lassen. Ich bin überzeugt: Wir haben in Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Publizistik derzeit einen großen und breiten Konsens darüber, daß die vertragsgemäße und fristgerechte Einführung des Euro im deutschen und europäischen Interesse unverzichtbar ist. Wir müssen allerdings den Mut haben, uns auch dazu zu bekennen, und zwar im Hinblick auf beide Aspekte des Themas, und die notwendigen Maßnahmen auch zu ergreifen. Vielen Dank. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Kollege Uwe Hiksch.

Uwe Hiksch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002677, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich dem Herrn Kollegen Haussmann zugehört habe, bin ich am Anfang etwas erstaunt gewesen, und zwar deshalb, weil ich feststellen mußte, daß der erste Teil seiner Rede hervorragend gewesen war und auch unterstützt werden kann. Trotzdem nehme ich dem Kollegen Haussmann nicht ab, daß er es mit der einheitlichen europäischen Währung ernst meint; denn jemand, der in der Zeitung verkündet, daß für den Euro Sozialleistungskürzungen hingenommen werden müssen, ({0}) hat meines Erachtens nichts von der europäischen Währungsunion verstanden und hat meines Erachtens erst recht nichts davon verstanden, was in diesem Lande vorgeht. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir den Menschen vormachen, daß die unsoziale Politik, die von Ihrer, der rechten Seite betrieben wird, irgend etwas mit der Einführung einer einheitlichen europäischen Währung zu tun hätte, dann würden wir die Menschen belügen, und Sie machen das. ({2}) Es stimmt nicht, sehr geehrter Herr Haussmann, daß es notwendig ist, Sozialleistungskürzungen vorzunehmen, um eine einheitliche Währung einzuführen. Es stimmt nicht, daß Gesetze gemacht werden müssen, die Arbeitslosigkeit produzieren, wie es von seiten der Regierung erst gestern beschlossen wurde, damit der Euro eingeführt werden könne. Das Gegenteil wird eintreten. Deshalb, lieber Kollege Haussmann, bitte ich Sie, Ihrem ersten Teil, in dem Sie Richtiges dargestellt haben, in Zukunft einen zweiten Teil hinzuzufügen, in dem nämlich Margemacht wird, daß die ökonomische und soziale Basis in den Ländern auch passen muß, um durchzusetzen, daß eine sozialverträgliche Einführung einer einheitlichen europäischen Währung kommt. ({3}) Besonders perfide war das, Herr Schauerte, was Sie gesagt haben. Wenn man jemanden zitiert, dann sollte man ihn auch richtig zitieren. ({4}) Dieter Schulte hat nach einer intensiven Auseinandersetzung innerhalb des Deutschen Gewerkschaftsbundes, in der sich die Gewerkschaften ganz klar hinter die Einführung einer einheitlichen europäischen Währung gestellt haben, in diesem Interview, das Sie zitiert haben, deutlich gesagt, daß nur dann die Gewerkschaften nicht mehr zu der Einführung einer einheitlichen europäischen Währung stehen können, wenn sie weiterhin dafür mißbraucht werden soll, um Umverteilung von unten nach oben zu organisieren. Mit einer solchen Umgangsweise kann man die europäische Währung nicht voranbringen, sondern man schadet ihr nur. ({5}) Auch dem Kollegen Altmaier möchte ich sagen, daß er sich ein bißchen mit dem beschäftigen sollte, was wir in den letzten zwei Jahren in diesem Parlament gemacht haben. Wenn die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen halb so viele fortschrittliche Gesetzentwürfe eingebracht hätten wie die Opposition, dann wären wir heute schon lange so weit, daß der Euro eingeführt werden könnte, ({6}) dann hätten wir schon lange durchgesetzt, daß es keine Probleme mit den Konvergenzkritierien gibt, ({7}) und dann hätten wir erreicht, daß die Menschen auch dem Euro freundlich entgegensehen würden. Aber Sie mit Ihren Gesetzen, die die Menschen arbeitslos machen - 100 000 Arbeitslose kosten eben 4 Milliarden DM -, sind es doch, die die Konvergenzkriterien in Frage stellen. ({8}) Deshalb sage ich auch ganz deutlich: Herr Altmaier, die SPD hat doch nicht die Aufgabe, die Dummheiten, die Sie im Namen der Bundesregierung begehen, auch noch zu vertreten und sie mit dem gleichzusetzen, was im Interesse des Euros ist. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Deshalb hat die SPD-Bundestagsfraktion klare Alternativen zu dem vorgelegt, was die Regierung will. ({9}) Wir haben gesagt, daß wir die Einführung des Euros wollen, wissen aber, daß die Einführung des Euros voraussetzt, daß wir eine europäische Beschäftigungspolitik und eine europäische Wirtschaftspolitik machen müssen, ({10}) daß wir endlich wieder durchsetzen müssen, daß Wachstum in unserem Lande auch zu Arbeitsplätzen führt und daß wir gleichzeitig in der Europäischen Union durchsetzen wollen, daß soziale Sicherheit möglich wird. ({11}) Wenn die SPD-Bundestagsfraktion Anträge beispielsweise in den Europaausschuß einbringt, daß wir 1 Milliarde ECU zusätzlich zur Verfügung stellen wollen, um möglich zu machen, daß die transeuropäischen Netze gebaut werden können, dann ist es die Blockadefraktion aus F.D.P. und CDU/CSU, die genau dies verhindert. Wir sagen ganz klar: Wir wollen den Euro. Wir wollen auch die termingerechte Einführung des Euros. Aber wir wissen gleichzeitig, daß wir gemeinsam dafür sorgen müssen, daß die Menschen in unserem Lande folgen können. Wenn die Alternativen, die wir vorgelegt haben, endlich ernsthaft diskutiert würden und wenn der Euro nicht mehr mißbraucht würde, um Sozialabbau und Massenarbeitslosigkeit zu begründen, wenn das endlich aufhören würde, dann könnten wir in diesem Land auch vorankommen. Die Bundesregierung ist nach meiner festen Überzeugung am meisten daran schuld, daß in unserem Land aus einer Euro-freundlichen Stimmung eine Stimmung geworden ist, in der der Euro fast schon abgelehnt wird. Lassen Sie uns gemeinsam darangehen, den Menschen zu sagen, was im Vertrag steht. Da steht nichts von Sozialabbau; da steht nichts davon, daß das Wirtschaftswachstum abgebremst werden muß, und es steht auch nichts davon, daß die Arbeitslosigkeit vorangebracht werden muß. Lassen Sie uns gemeinsam darangehen, Wachstum, Beschäftigung und soziale Sicherheit in Europa durchzusetzen. Dann wird der Euro auch termingerecht eingeführt werden können. Danke schön. ({12})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich nun dem Kollegen Karl Lamers das Wort.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Betrüblich ist an dieser Debatte eigentlich nur, daß sie um diese Uhrzeit von der deutschen Öffentlichkeit nicht wahrgenommen wird. ({0}) Ich finde, es ist schon beachtlich, daß wir ein überraschendes und positiv zu wertendes Maß an Übereinstimmung haben feststellen können. ({1}) Wir sind alle von der Überzeugung getragen, daß die Währungsunion ein Muß für Deutschland und Europa ist. Es ist auch richtig, was der Bundesfinanzminister gesagt hat: ({2}) daß von der Politik Führung ausgehen muß. Wenn Sie ihn kritisieren, was Ihr Recht und sogar Ihre Pflicht ist, dann bitte ich Sie, auch zu sehen, daß der deutsche Bundesfinanzminister eine ganz ungewöhnlich schwierige Position hat. ({3}) Denn mit jeder Äußerung, die er macht, hat er drei grundsätzlich unterschiedliche Adressaten zu beachten. Der eine Adressat ist die deutsche Öffentlichkeit, von der wir alle wissen, wie sie ist. Der zweite Adressat ist die Öffentlichkeit unserer Partnerländer, die auch noch jeweils unterschiedlich ist, wie wir wissen. ({4}) Der dritte Adressat sind die Finanzmärkte. ({5}) - Die rechne ich mal mit zur deutschen Öffentlichkeit, Frau Kollegin Matthäus-Maier. ({6}) Es allen drei Adressaten gleichzeitig recht zu machen ist schon schwierig. ({7}) Ich finde, daß der deutsche Bundesfinanzminister ungeheuer viel erreicht hat. ({8}) Da wir hier alle die Fortschritte in Europa übereinstimmend gepriesen haben, müssen wir auch sagen, daß dem etwas vorausging und daß es begleitet wurde von etwas, was ich im Falle Frankreichs geradezu eine mentale Revolution nenne. ({9}) Ich finde, das ist vielleicht ein noch viel größerer Erfolg, Kollege Haussmann, als das, was an den Ziffern deutlich wird. Das ist nämlich die Grundlage dafür. ({10}) Da muß der Bundesfinanzminister es in Kauf nehmen, wenn er manchmal als Zuchtmeister, als Lehrmeister kritisiert wird. Ich finde, der Erfolg ist überwältigend. Es ist in der Tat unsere Aufgabe, gerade die deutsche Aufgabe, Vertrauen zu entwickeln und zu fördern. Es ist keine leichte Aufgabe. Deutschland trägt hier ohne jeden Zweifel die Hauptverantwortung, nicht nur deswegen, weil wir auf Grund unseres ökonomischen Gewichtes alle der Meinung sind, ohne Deutschland und Frankreich könne es keine Währungsunion geben, sondern auch deswegen, weil die Währungsunion in der Tat nach dem deutschen Modell konstruiert worden ist. Wenn ich sage „deutsches Modell", dann meine ich nicht nur die Bundesbank, sondern auch jene in der Tat einzigartige Mischung einer liberalen und wirtschaftsstarken Gesellschaft mit einer solidarischen Gesellschaft. Das ist das, was unsere Partner als das deutsche Modell empfinden und was sie als ein wenig gefährdet ansehen. In der Tat: Auch dieses Modell steht jetzt auf dem Prüfstand. Da kommen wir nun auch zu den Unterschieden, Frau Kollegin Matthäus-Maier und Herr Kollege Hiksch. Wir sind uns alle einig: Wir wollen nicht nur ein wirtschaftsstarkes Europa, sondern auch ein soziales Europa. ({11}) Wir wollen im Augenblick ganz konkret vor allem die Arbeitslosigkeit überwinden. Die Frage ist aber, wie. ({12}) Wir sind zutiefst davon überzeugt, daß das Entscheidende ist, die strukturellen Voraussetzungen zu schaffen, das heißt die strukturellen Reformen durchzuführen, von denen der Kollege Haussmann gesprochen hat. ({13}) Ohne diese Reformen werden wir dauerhaft weder Arbeitsplätze schaffen noch in der Lage sein, Sozialpolitik in einer völlig veränderten Welt neu zu gestalten. Da liegt der Unterschied. ({14}) Wenn ich es richtig sehe, läuft Ihre Politik im Grunde genommen wieder auf Beschäftigungsprogramme hinaus. ({15}) Sie erhöht die Verschuldung, führt uns weiter in die Verschuldungsfalle und macht uns die Aufgabe nur noch viel schwerer. ({16}) Ein letzter Punkt. Ich stimme dem Kollegen Fischer ausdrücklich zu, wenn er sagt: Wir müssen die Leistungen unserer Partner anerkennen. Wir dürfen sie nicht entmutigen, sondern müssen sie ermutigen auf ihrem schwierigen Weg. ({17}) Es kann kein Zweifel bestehen, daß gerade ein Land wie Italien ganz beachtliche Erfolge erzielt hat. Über den Beitritt Italiens so wie über den anderer Länder wird im Frühjahr 1998 zu entscheiden sein - auf der Basis der dann bekannten Ergebnisse und in Kenntnis des Haushalts 1997 sowie der Planung für den Haushalt 1998. ({18}) Ich bin zuversichtlich, daß die Währungsunion nicht nur frist- und termingerecht, sondern auch stabil errichtet werden wird. Helfen Sie bitte alle mit, dieses Ziel zu erreichen! ({19})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Damit sind wir auch am Schluß unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 16. April 1997, 13 Uhr ein. Bis dahin wünsche ich allen Kolleginnen und Kollegen gesegnete Ostern ({0}) und die Annehmlichkeiten der sitzungsfreien Zeit, auch wenn einige noch sehr viel zu arbeiten haben. Die Sitzung ist geschlossen.