Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/26/1993

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, die 150. Sitzung des 12. Deutschen Bundestages zu eröffnen. Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um die Zusatzpunkte zu erweitern, die in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt sind: 5. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({0}) zu dem Gesetz zur Erleichterung von Investitionen und der Ausweisung und Bereitstellung von Wohnbauland ({1}) - Drucksachen 12/3944, 12/4047, 12/4208, 12/4317, 12/4340, 12/4494, 12/4614 6. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes - Drucksachen 12/4022, 12/4597 7. Vereinbarte Debatte Deutschlands Verantwortung gegenüber Weltgemeinschaft und Bündnis 8. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Wolfgang Ullmann, Gerd Poppe, Vera Wollenberger, Werner Schulz ({2}) und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Anrulung des Bundesverfassungsgerichts durch Mitglieder der Bundesregierung wegen der Beteiligung deutscher Soldaten an VN-Einsätzen - Drucksache 12/4639 9. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Klaus-Dieter Feige, Werner Schulz ({3}) und der Gruppe BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Förderung der Bereitstellung, des Betriebs und des Ausbaus des öffentlichen Personennahverkehrs-Drucksache 12/4619 10. Beratung des Antrags der Abgeordneten Rolf Schwanitz, Hans-Joachim Hacker, Robert Antretter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Herstellung der Rechtseinheit bei grundeigenen Bodenschätzen II - Drucksache 12/4621 Ist das Haus mit diesem Vorschlag einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann stelle ich das als beschlossen fest. Ich rufe nunmehr Zusatzpunkt 5 auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({4}) zu dem Gesetz zur Erleichterung von Investitionen und der Ausweisung und Bereitstellung von Wohnbauland ({5}) - Drucksachen 12/3944, 12/4047, 12/4208, 12/4317, 12/4340, 12/4494, 12/4614 - Berichterstattung: Abgeordneter Detlef Kleinert ({6}) Ich erteile dem Berichterstatter Detlef Kleinert ({7}) das Wort.

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Vermittlungsausschuß hat sich mit dem Anrufungsbegehren des Bundesrates vom 5. März 1993 zu dem Gesetz zur Erleichterung von Investitionen und der Ausweisung und Bereitstellung von Wohnbauland befaßt und ist zu einem Kompromiß gekommen, wie es in diesen Fällen sein soll. Er wird in der Öffentlichkeit mit der interessanten Bemerkung angegriffen, dagegen würden von dieser und jener Seite Proteste erhoben. Das veranlaßt mich, hier einige wenige Hauptpunkte ganz kurz - obwohl das nicht immer möglich ist - vorzutragen, in der Hoffnung, daß der sachliche Inhalt dessen, was beschlossen worden ist, in der öffentlichen Diskussion vielleicht eine gewisse Rolle spielen könnte. ({0}) Ein entscheidener Punkt ist die Frage, wie bei der Umwandlung von Hauseigentum in Wohnungseigentum zu verfahren ist, um nach einer solchen Umwandlung Mieter, insbesondere in Ballungsgebieten, vor dem Herausklagen, vor dem Heraussetzen durch den Erwerber, zu schützen. Das Begehren des Bundesrates sah hier eine öffentlich-rechtliche Lösung vor, mit der es einer Genehmigungsbehörde gestattet werden sollte, die Umwandlung in dafür besonders auszuweisenden Gebieten Schlichtweg zu untersagen. Das Ergebnis des Vermittlungsausschusses besagt, daß eine solche öffentlich-rechtliche Lösung nicht Platz greifen soll, sondern daß statt dessen der schon vorhandene Schutz der Mieter in solchen umgewandelten Wohnungen noch durch eine Verlängerung der Sperrfrist auf die Dauer von zehn Jahren und in wenigen Fällen darüber hinaus durch eine Sozialklau12866 Detlef Kleinert ({1}) sel, die es dem Richter in diesem Zusammenhang ermöglicht, auf besondere soziale Härtefälle, auf Fälle von Krankheit und hohem Alter, Rücksicht zu nehmen, verstärkt werden soll. Wir haben es also nach wie vor mit einer zivilrechtlichen Lösung zu tun, allerdings mit längeren Fristen. Diese Lösung greift nur in den Gebieten, die von der jeweiligen Landesregierung als Gebiete mit besonderem Wohnungsmangel ausgewiesen werden. In der schwierigen Abwägung zwischen den Rechten des Naturschutzes und des Landschaftsschutzes einerseits und der Beschleunigung des Bauens und des Baurechts andererseits sind, wie ich meine, gewisse Verbesserungen insbesondere dahin gehend vorgenommen worden, daß flexiblere Möglichkeiten für Ersatzmaßnahmen desjenigen, der bauen will, oder auch Ersatzleistungen in Geld vorgesehen sind. Ich glaube, es besteht hier die Hoffnung, daß sich eher etwas zur Wiederherstellung gleichwertiger ökologischer Räume tun lassen wird, als das sonst der Fall gewesen wäre, und daß insgesamt der Zweck des Gesetzes, hier zu Beschleunigungen zu kommen, nicht nur nicht gestört, sondern durch die Abwägung der Genehmigungsbehörde, ob sie auf die Geldleistung zugreifen will, oder die Abwägung des Bauberechtigten - nur das ist vorgesehen -, ob er eine Ersatzmaßnahme durchführen will, verbessert wird. Ein weiterer wichtiger Punkt der Verhandlungen ist die Wiedereinführung dessen gewesen, was früher einmal als Baulandsteuer bekannt gewesen ist und nach zweijähriger Einführung von diesem Hause einstimmig wieder abgeschafft worden ist, weil es sich nicht bewährt hatte. Dieser Punkt firmierte diesmal als zoniertes Satzungsrecht - ein sehr interessanter und plastischer Begriff, unter dem Sie sich sicher alle spontan etwas vorstellen können. Es handelt sich darum, daß für ganz bestimmte Gebiete einer Gemeinde durch Satzung eine Zusatzsteuer erhoben werden kann, eben auch nur in Zonen eines Gemeindegebietes, die dann dazu führen soll, daß der Eigentümer einen besonderen Druck verspürt, sich des Baulandes zu entledigen, wenn er es nicht selbst bebauen will, damit andere es bebauen können. Es ist von der Einführung dieses Instruments Abstand genommen worden, weil die Ansicht geäußert worden ist - und wohl vorherrschend war -, daß der verwaltungsmäßige Aufwand in keinem Verhältnis zu einem gewissen finanziellen Nutzen, der ohnehin nicht das Ziel sein konnte, stehen würde. Im übrigen würde gerade in Ballungsgebieten, gerade dort, wo Bauland knapp ist, auch ein erheblicher Druck über eine solche Steuer geringfügig sein im Verhältnis zu den spekulativen Erwartungen, die solche Baulandbesitzer normalerweise hegen, wenn sie sich nicht von ihrem Land trennen. Darum ist davon Abstand genommen worden, diesem Anrufungsbegehren zu entsprechen. Im übrigen sind die meisten Fristverkürzungen, deren teilweise Verlängerung in einigen Punkten begehrt worden war, erhalten geblieben. Es ist auch die weitgehende Einstufigkeit des Verwaltungsverfahrens erhalten geblieben, obwohl die Wiedereinschaltung der Oberen Verwaltungsbehörde in einigen Punkten gewünscht worden war. Es ist allerdings in einigen Fällen mit Rücksicht auf die besonderen Verhältnisse in den neuen Bundesländern statt der Muß-Vorschrift für dieses kürzere Verfahren eine Kann-Vorschrift gewählt worden, die es den Ländern ermöglicht, hier bei besonderem Bedarf auch abweichende Regelungen zu treffen, z. B. hinsichtlich des Verfahrens bei sehr kleinen Gemeinden. Dies waren einige Worte zu den kleineren Änderungen. Zu den Hauptpunkten habe ich mich etwas ausführlicher geäußert. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Zu einer persönlichen Erklärung erteile ich Herrn Abgeordneten Freiherr von Stetten das Wort.

Dr. Wolfgang Stetten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst ist es erfreulich, daß der Vermittlungsausschuß zu einem Ergebnis gekommen ist. Ich möchte als Berichterstatter aber zu meinem Abstimmungsverhalten eine Erklärung abgeben, damit es nicht mißverständlich ist. Diese Sozialklausel, die nun auf zehn Jahre die Kündigung verbietet, kann natürlich nur für zukünftige Umwandlungen gelten und nicht rückwirkend, weil jede Rückwirkung ein unzulässiger Eingriff in Eigentumsrechte ist. Unter der Voraussetzung, daß das so interpretiert wird, stimme ich dem Einigungsvorschlag zu.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 12/4614 zu? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Vorschlag des Vermittlungsausschusses bei einer Enthaltung und zwei Gegenstimmen von der PDS/Linke Liste angenommen worden. Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes - Drucksache 12/4022 - ({0}) Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({1}) - Drucksache 12/4597 Berichterstattung: Abgeordnete Klaus-Heiner Lehne Ludwig Stiegler Eine Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt ist nicht vorgesehen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zuzustimmen gedenken, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - EnthaltunVizepräsident Dieter-Julius Cronenberg gen? - Bei Enthaltungen der PDS/Linke Liste in zweiter Lesung angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Es ist somit in der dritten Lesung mit der gleichen Mehrheit angenommen worden. Ich rufe nunmehr die Zusatzpunkte 7 und 8 auf: ZP7 Vereinbarte Debatte Deutschlands Verantwortung gegenüber Weltgemeinschaft und Bündnis ZP8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Wolfgang Ullmann, Gerd Poppe, Vera Wollenberger, Werner Schulz ({2}) und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Anrufung des Bundesverfassungsgerichts durch Mitglieder der Bundesregierung wegen der Beteiligung deutscher Soldaten an VNEinsätzen - Drucksache 12/4639 Überwerberweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuß ({3}) Rechtsausschuß Verteidigungsausschuß Interfraktionell wird eine Debattenzeit von einer Dreiviertelstunde vorgeschlagen. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Ich kann die Debatte eröffnen und dem Abgeordneten Dr. Karl Lamers das Wort erteilen.

Karl Lamers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001273, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Ungewöhnliche an dem Verfahren, das die Koalition gewählt hat, um eine Entscheidung in der Frage der weiteren Beteiligung deutscher Soldaten an den AWACS-Flügen sicherzustellen, darf nicht die ungewöhnliche Bedeutung der Sache, um die es geht, verdunkeln, und es darf auf gar keinen Fall den ungewöhnlich beklagenswerten Zustand der Opposition verdunkeln. ({0}) Man konnte ja gestern in der ersten Reaktion einige unberufene Helfer der Integrität des Bundesverfassungsgerichts hören, bevor der Präsident des Bundesverfassungsgerichts und der ehemalige Verfassungsrichter Simon bedenkenswerte Sätze gesagt haben, die vor allen Dingen helfen könnten, verehrte Kollegen, die Sache ein wenig zu entdramatisieren. ({1}) Dabei konnte sich der Präsident des Bundesverfassungsgerichts auf seinen Kommentar berufen, der, wenn ich es richtig sehe, bereits 1984 erschienen ist. Da sagt er, was er jetzt in dieser Situation konkret ausgeführt hat: er habe Verständnis, auch wenn er natürlich sagt, es wäre besser gewesen, wenn die in Bonn sich geeinigt hätten. - Natürlich, das sehen wir auch so. - Es ist eine „schneidige Lösung", wie er sagt. Aber er sagt, in Ausnahmefällen sei dies durchaus zulässig. - Ja, daß es sich um einen Ausnahmefall handelt, wissen wir alle. Sinngemäß - und ich sage das natürlich ganz betont an die Seite der Opposition - sagte dasselbe ja der ehemalige Verfassungsrichter Simon. Also, ungewöhnliche Situationen erfordern halt ungewöhnliche Maßnahmen. ({2}) Aber viel wichtiger ist, auf die ungewöhnliche Bedeutung dieses Vorgangs hinzuweisen. Meine Damen und Herren, worum geht es denn bei diesen AWACS-Flügen? Wenn wir ausgestiegen wären - falls es zu einem Sanktionsbeschluß des Weltsicherheitsrates kommt -, hätte nicht nur das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland in der Weltgemeinschaft auf dem Spiel gestanden, ({3}) sondern noch sehr viel mehr und noch sehr viel wichtiger hätte das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland als verläßlicher Bündnispartner der NATO auf dem Spiel. gestanden, ({4}) unser Ansehen als Mitglied der NATO, die wir ja, verehrte Kollegen, nicht nur in den vergangenen 40 Jahren gebraucht haben, sondern die wir, wie doch die von uns sorgenvoll beobachteten Ereignisse in Rußland sehr deutlich zeigen, auch in der Zukunft brauchen. Welcher Eindruck entstünde, wenn die deutschen Soldaten in dem Augenblick, wo es - wenn ich so sagen darf - ernst wird, ausstiegen? Müssen wir uns nicht auch fragen, welchen Bruch das im Selbstverständnis der Soldaten der Bundeswehr bedeutet hätte? Müssen wir uns nicht vor allen Dingen fragen, ob das mit unserer eigenen Selbstachtung vereinbar gewesen wäre? ({5}) - Ja, doch, das sehe ich schon so. ({6}) Meine Damen und Herren, ich bin ganz sicher, daß auch unsere Bevölkerung, die Menschen in diesem Lande einen solchen Entscheid nicht verstanden hätten. ({7}) An der deutschen Beteiligung an den AWACSFlügen wird etwas sehr Grundsätzliches deutlich, verehrte Kollegen, und das sage ich Ihnen seit Beginn dieser Debatte: Deutschland ist, wie dieses Beispiel zeigt, so eingegliedert, so integriert in die westlichen, in die atlantischen Strukturen, es ist ein so unersetzlicher Teil dieser westlichen Gemeinschaft, daß wir gar nicht aussteigen können, ohne die Allianz und uns selbst auf das schwerste zu schädigen. ({8}) Das ist der Punkt, um den es geht. Deutschland kann gar keine grundsätzlich andere Position einnehmen als alle seine Partner.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Lamers, der Abgeordnete Lüder möchte gern eine Zwischenfrage stellen. Sind Sie bereit, die zu beantworten?

Karl Lamers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001273, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte.

Wolfgang Lüder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001390, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Lamers, in meiner Fraktion ist berichtet worden, und so stand es auch in den Zeitungen, daß die Bundeswehrpiloten in diesem Konfliktfall nicht in AWACS einsteigen würden, bis das Bundesverfassungsgericht über die einstweilige Anordnung entschieden hat. Wie bewerten Sie den Zeitraum zwischen Fassung des Kabinettsbeschlusses und Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts? Da wird ja auch die Pause sein.

Karl Lamers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001273, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Lüder, über diesen Fall habe ich hier überhaupt nicht gesprochen, und ich habe auch nicht die Absicht, diesen Sachverhalt hier weiter auszuführen. ({0}) Ich habe dazu eine klare Meinung, ich glaube auch, daß sie in der Koalition besteht. Darüber wird ja auch bei Ihnen gesprochen worden sein. ({1}) Wenn der Sinn des Beschlusses klar ist, Herr Kollege Lüder, dann, glaube ich, beantwortet sich auch Ihre Frage von selbst.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Es wird eine weitere Zwischenfrage erbeten.

Karl Lamers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001273, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte sehr.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte sehr.

Uta Zapf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002582, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Lamers, ist die Tatsache, daß Sie nicht bereit sind, sich mit dieser Frage des Zwischenzeitraums zu beschäftigen, vielleicht damit zu erklären, daß es auch andere Möglichkeiten gäbe, ohne Teilnahme deutscher Piloten diese Mission zu erfüllen, nämlich durch Einsatz anderer AWACSSysteme, die NATO-Staaten gehören, aber nicht dem AWACS-Verband, der der NATO direkt unterstellt ist? ({0})

Karl Lamers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001273, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, ich glaube, Sie bringen hier verschiedene Dinge in einen unnötigen Zusammenhang. Die Frage, ob die Teilnahme der deutschen Soldaten ersetzbar ist oder nicht, ist die eine Frage. Die andere Frage hat der Kollege Lüder gestellt. Ich finde, um es noch einmal sehr deutlich zu sagen, wenn dieser Beschluß der Koalition Sinn haben soll, auch, was die Lage des Verfassungsgerichts angeht, ({0}) dann müssen natürlich die deutschen Soldaten so lange an Bord bleiben. ({1}) Aber, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich weise darauf hin, daß die Opposition zu allerletzt Grund hat, sich jetzt zu erregen. Sie haben uns seit Monaten gesagt: Macht doch mit uns das, was wir vorgeschlagen haben. - Wenn wir das gemacht hätten, dann müßten wir im Falle des Sanktionsbeschlusses aussteigen, Herr Kollege Verheugen. ({2}) Und wir haben noch einmal gefragt: Sind Sie denn bereit, jetzt weiterzugehen? - Sie haben klar gesagt: Nein, wir machen eine weitergehende, ergänzende Verfassungsklarstellung nicht mit. ({3}) - Ich kann ja verstehen, daß Sie in einer schwierigen Lage sind. ({4}) Aber zumindest sollten Sie die Gelegenheit jetzt, wo für alle Welt eigentlich klar ist, daß wir uns einfach gar nicht entziehen und wir nicht aussteigen können, doch genutzt haben, Ihrer eigenen Partei klarzumachen, daß ihre Position unhaltbar ist. Diese Gelegenheit haben Sie leider nicht genutzt. Ich kann schon verstehen, daß Sie dies als ein gefundenes Fressen zu nutzen versuchen. Aber, Herr Kollege Verheugen, Sie sollten die Chance nutzen, um den Zustand in Ihrer Partei, von dem doch alle führenden Sozialdemokraten längst wissen, daß er unhaltbar ist, zu überwinden. Wie schlimm muß es um Sie herum aussehen, wenn Sie in einer Frage, von der Sie wirklich wissen, daß es um grundlegende außenpolitische und nationale Interessen Deutschlands geht, überhaupt nicht handlungsfähig sind? ({5}) Da Sie nicht handlungsfähig sind, sind Sie eben auch nicht regierungsfähig. Das dokumentieren Sie mit diesem Fall ein weiteres Mal. ({6})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Lamers, der Abgeordnete Klejdzinski will eine Frage stellen. Wenn Sie bereit sind, sie zu beantworten, ist es gut, wenn nicht, ist es auch gut. Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Günter Verheugen das Wort.

Günter Verheugen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Selbstachtung, Herr Kollege Lamers, eines demokratischen Rechtsstaates erweist sich im unbedingten Respekt vor der Verfassung. ({0}) Wenn die Selbstachtung eines Staates nur dann gegeben ist, wenn er bereit sein sollte, zu Waffen zu greifen, dann, Herr Lamers, ist es um diesen Staat schlecht bestellt. ({1}) Meine Damen und Herren, diese Debatte heute morgen ist notwendig geworden, weil sich erstens die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen zu einer Handlung verabredet haben, die in der Geschichte unseres Landes einmalig ist. ({2}) Es soll an der Verfassung vorbei - nach unserer Überzeugung sogar gegen die Verfassung ({3}) die Bundeswehr zum erstenmal in einen Kampfeinsatz geschickt werden. Zum erstenmal! Zweitens soll das Bundesverfassungsgericht dazu mißbraucht werden, einer Regierung, die sich in zentralen Fragen ihrer Politik nicht mehr einigen kann, die politische Entscheidung abzunehmen. ({4}) Wohin ist die Außen- und Sicherheitspolitik unseres Landes in den Händen dieser Regierung geraten? Wohin gerät unser Grundgesetz, wenn es als Tatwerkzeug bei einem politischen Trickbetrug dienen soll? ({5})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Verheugen, die Abgeordnete Frau Homburger möchte gerne eine Frage stellen. Sind Sie bereit, sie zuzulassen?

Günter Verheugen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte sehr, Frau Abgeordnete.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen oder ist Ihnen vielleicht schon aufgefallen, daß sich die Koalition in dieser Frage sehr wohl geeinigt ({0}) und einen Gesetzentwurf vorgelegt hat, daß sich dieser Gesetzentwurf in der parlamentarischen Beratung befindet und vermutlich die erforderliche Mehrheit deswegen nicht finden wird, weil Ihre Fraktion nicht in der Lage ist, sich damit entsprechend auseinanderzusetzen und damit die politische Handlungsfähigkeit des Parlaments zu wahren? ({1})

Günter Verheugen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, Ihre Darstellung ist unrichtig. Die Koalition hat sich in der Frage der Verfassungsmäßigkeit dessen, was jetzt geplant ist, eben nicht einigen können. Das ist ja der Grund, weshalb wir heute morgen hier miteinander reden müssen. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Die Abgeordnete Frau Dr. Schwaetzer, Herr Abgeordneter Verheugen, möchte eine Frage stellen.

Günter Verheugen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, gerne.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte sehr. ({0}) - Herr Abgeordneter Jungmann, Sie sind im Moment nicht dran. ({1})

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Abgeordneter Verheugen, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß man einen Verfassungskonflikt, der dadurch entsteht, daß zwei unterschiedliche Rechtsauffassungen über den Inhalt der Verfassung bestehen, wohl kaum durch eine politische Abstimmung erledigen kann und daß es deshalb richtig ist, was die Kollegin Homburger gesagt hat, daß nämlich die Koalition durch eine Ergänzung der Verfassung die Lösung klarstellen will, an deren Verwirklichung sie durch die Unentschlossenheit und die Handlungsunfähigkeit der SPD gehindert ist? ({0})

Günter Verheugen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, ich wäre auf diesen Punkt noch gekommen, wenn Sie mich nicht gleich am Anfang meiner Ausführungen mit Fragen erfreut hätten. Aber ich will diesen Punkt gerne vorwegnehmen. Frau Kollegin, es ist so, daß die Rechtsfrage, ob etwas verfassungsmäßig ist oder nicht, hier doch nicht durch eine einfache Mehrheitsentscheidung entschieden werden kann. ({0}) Hier müssen - entschuldigen Sie - doch vielmehr die verfassungsmäßigen Regeln eingehalten werden. Sie brauchen dazu eine Zweidrittelmehrheit. Die haben Sie nicht, und die werden Sie auch nicht bekommen. Aber diese Lage kennen Sie doch. ({1}) Diese Lage kennen Sie doch. ({2}) Der entscheidende Punkt, meine Damen und Herren, ist doch: Die Frage ist bereits seit dem vergangenen Sommer in Karlsruhe anhängig. Wir haben in einem ähnlichen Fall, wo Sie eine solche Entscheidung bereits getroffen haben, die Klage schon eingereicht. Sie würden Respekt vor der Verfassung und dem Verfassungsgericht bezeugen, wenn Sie das Ergebnis dieser Klage abwarten würden, bevor Sie weitere Entscheidungen treffen. So gehört sich das. ({3}) Ich sage Ihnen noch einmal, was Sie gemacht haben. Sie haben sich verabredet, daß die Bundesregierung im Falle eines Sicherheitsratsbeschlusses, von dem wir überhaupt nicht wissen, ob er je zustande kommen wird, nämlich das Flugverbot über BosnienHerzegowina mit militärischen Mitteln durchzusetzen, beschließen will, die deutschen Besatzungsmitglieder der AWACS-Einheiten der NATO an diesem Einsatz teilnehmen zu lassen. Dann soll ein Teil der Regierung, zu dem der verantwortliche Minister, der Außenminister, gehört, beim Bundesverfassungsgericht gegen die Entscheidung der eigenen Regierung klagen. Das haben Sie verabredet. Es führt kein Weg daran vorbei. ({4}) Sie wollen sogar versuchen, den Vollzug des Beschlusses der Regierung, der Sie angehören, meine Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P., durch eine einstweilige Anordnung aus Karlsruhe zu verhindern. Mit anderen Worten: Der Bundesaußenminister soll in einer entscheidenden Frage gegen den Bundeskanzler klagen - so sieht das aus -, ({5}) weil er und seine Partei die beabsichtigte Entscheidung, die auch wir für verfassungswidrig halten, für verfassungswidrig halten. Sie halten die Entscheidung für verfassungswidrig. ({6})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Verheugen, - Günter Verheugen ({0}): Lassen Sie mich diesen Gedanken bitte zu Ende führen. Ich bin gerne bereit, die Frage zu beantworten; aber ich möchte diesen Gedanken gerne zu Ende bringen. Sie können Ihre Frage gleich darauf beziehen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ja.

Günter Verheugen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Frage lautet nämlich: Wenn das so ist, warum hindern Sie denn den Bundeskanzler und seine Parteifreunde am verfassungswidrigen Handeln nicht? Warum lassen Sie die Tat erst geschehen, die Sie dann vom Verfassungsgericht aufheben lassen wollen? ({0}) Bitte schön.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Dr. Hoyer, Sie können Ihre Zwischenfrage stellen.

Dr. Werner Hoyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000967, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Verheugen, wären Sie zumindest bereit, gemeinsam mit uns festzustellen, daß es sich hier um eine Organklage handelt, bei der Mitglieder des Verfassungsorgans Bundestag gegen die Bundesregierung klagen, und daß der Bundesminister des Auswärtigen nicht Mitglied dieses Hauses ist? ({0})

Günter Verheugen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Kollege Hoyer, dieses Problem brauchen Sie uns nun wirklich nicht vorzuführen; denn wir haben im vergangenen Jahr exakt zum selben Mittel, zu dem der Organklage, gegriffen. Aber hier läßt sich doch eine Bundestagsfraktion instrumentalisieren, um einen Streit innerhalb der Regierung durch eine politisch gar nicht zulässige Organklage entscheiden zu lassen. ({0}) Sie lassen sich doch instrumentalisieren, weil Sie sich nicht einigen können. Das ist doch der Sachverhalt. Wenn Sie eine Entscheidung des Deutschen Bundestages in dieser Frage haben wollen, führen Sie die Entscheidung herbei. Sie können sie haben, warm immer Sie wollen. Sie werden eine Mehrheit des Bundestages finden, die Ihre Rechtsauffassung bestätigt, nämlich daß das, was die Regierung plant, verfassungswidrig ist. So einfach ist das. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hoyer, bitte schön.

Günter Verheugen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich wäre dankbar, wenn ich irgendwann einmal einen Gedanken zusammenhängend zu Ende führen dürfte.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Verheugen, Sie haben das gute Recht dazu. Ich habe noch zwei Wünsche nach Zwischenfragen von Dr. Möller und Herrn Jungmann. - Herr Jungmann, Sie verzichten.

Günter Verheugen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte schön, mir macht das ja Spaß.

Dr. Werner Hoyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000967, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herzlichen Dank, Herr Kollege. - Wenn Sie auf die Organklage der Kollegen von der SPD-Fraktion kommen, könnten Sie mir dann bitte erläutern, warum, wenn diese Klage aus der Sorge um Leib und Leben unserer dort beteiligten Soldaten erhoben worden ist, kein Antrag auf einstDr. Werner Hoyer weilige Anordnung gestellt worden ist, während durch den Antrag, den wir stellen würden, wenn es denn so käme, wie im hier beschriebenen Szenario der Fall ist, natürlich sichergestellt wäre, daß Soldaten nicht in eine Situation kommen würden, die ein Teil der Mitglieder dieses Hauses für verfassungswidrig hält? ({0})

Günter Verheugen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das kann ich Ihnen gern erklären, Herr Kollege Hoyer. Es gibt einen erheblichen Unterschied zwischen dem Adria-Einsatz der Marine und dem jetzt geplanten AWACS-Einsatz der Luftwaffe: ({0}) - Moment, Moment! Der Marineeinsatz führt nach Ihrer und unserer Einschätzung nicht - bisher jedenfalls war es so - zu einer Eskalation in unmittelbare Kampfhandlungen, während das, was Sie jetzt vorhaben, eine Eskalation zu Kampfhandlungen in sich birgt. Das ist ein ganz gravierender Unterschied. ({1}) Nur, die Rechtsfrage ist exakt dieselbe. Die Frage, ob man eine Handlung unmittelbar stoppen muß oder nicht, muß danach entschieden werden, was für eine Gefährdung in der Handlung liegt. Und hier ist die Gefahr ganz unterschiedlich zu beurteilen. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Der Abgeordnete Dr. Möller verzichtet auf die Zwischenfrage. Sie können also fortfahren, Herr Verheugen.

Günter Verheugen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Damen und Herren, der Vorgang insgesamt - da können Sie sich hier aufführen, wie Sie wollen - wirft ein ganz bezeichnendes Licht auf den Zustand der Regierung und der Koalition. Sie sind nicht mehr politikfähig, Sie sind am Ende! ({0}) -Ja, es ist doch so. Wenn Sie etwas zustande bringen wollen, dann sind Sie auf die Hilfe der Opposition angewiesen. Wenn Sie das tun sollen, wozu Sie da sind, was Ihres Amtes ist, nämlich zu regieren, dann sind Sie am Ende mit Ihrer Kunst, dann wissen Sie nicht mehr weiter. ({1}) Wissen Sie, mir ist eingefallen, was der schwedische Reichskanzler zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, Oxenstierna, als die Summe der Erfahrungen seines politischen Lebens seinem Sohn mitgegeben hat. Er sagte: „Du ahnst es nicht, mein Sohn, mit wieviel Torheit die Welt regiert wird." ({2}) Inzwischen haben die Menschen davon mehr als eine Ahnung; einen weiteren Beweis durch die Bundesregierung hätten wir nicht gebraucht. Sind Sie sich eigentlich im klaren darüber, was für ein Bild von der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik Sie der deutschen und der internationalen, ungläubig staunenden Öffentlichkeit bieten? Sie bieten dieses Bild. ({3}) Ich jedenfalls bin auch nach langem Suchen auf keinen Fall gestoßen, in dem sich eine Regierung vor dem höchsten Gericht ihres Landes mit sich selber streitet, meine Damen und Herren. Einen solchen Fall gibt es nicht. ({4}) Unser parlamentarisches Regierungssystem verlangt, daß sich eine Koalitionsregierung auf eine gemeinsame Politik verständigt. ({5}) Sie müssen sich einigen, auch wenn es noch so schwerfällt. Und wenn Sie es nicht mehr können, dann müssen Sie auseinandergehen, dann müssen Sie sich eine neue Mehrheit suchen. Wenn Sie das nicht mehr können, dann muß gewählt werden. ({6}) Aber Sie können nicht das Bundesverfassungsgericht zum Schiedsrichter in einer internen Streiterei anrufen und auf diese Weise zu einer in der Verfassung nicht vorgesehenen Überregierung machen wollen. Sie sollten sehr sorgfältig zur Kenntnis nehmen, was heute auch in wichtigen Zeitungen zu lesen ist. Können Sie wirklich wollen, daß das Bundesverfassungsgericht in die Rolle des Oberbefehlshabers über unsere Streitkräfte gedrängt wird? Die Rechtsfrage - das habe ich schon gesagt - ist anhängig. Warten Sie doch ab, was das Bundesverfassungsgericht dazu sagt. Und dann werden wir sehen, was wir gemeinsam mit dem Urteil, das dann ergehen wird, anfangen können. Warum also jetzt dieses Täuschen und dieses Manipulieren? Wenn Sie erreichen wollten, daß der Bundeskanzler bei seiner Begegnung mit dem neuen amerikanischen Präsidenten als Vertreter einer außenpolitisch starken und handlungsfähigen Regierung auftreten soll, dann haben Sie sich aber furchtbar geschnitten. Denn der Bundeskanzler erscheint bei unserem wichtigsten Verbündeten als Kanzler einer Minderheit. Er hat keine Mehrheit in dieser Frage. Sollte er gefragt werden - und das darf man wohl annehmen -, ob sich die Bundesrepublik an den von der NATO - übrigens dringender als von der UNO - gewünschten AWACS-Einsätzen beteiligen wird, dann kann er wahrheitsgemäß nur antworten, daß er es nicht weiß. Wie damit Stärke und Handlungsfähigkeit demonstriert werden sollen, bleibt uns jedenfalls ein Rätsel. ({7}) Der Kanzler, der sich von seinem Vizekanzler verklagen lassen will, hat sich auf einen gefährlichen Weg begeben. Er hat den bewährten und wohlbegründeten Konsens der Parteien über die Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr verlassen. Das ist keine Kleinigkeit. Wir sind hier an einer entscheidenden Wegscheide unseres Landes, meine Damen und Herren. Der Bundeskanzler will den Schritt aus der historisch gewachsenen und notwendigen Zurückhaltung der Bundesrepublik bei der militärischen Machtentfaltung tun und, übrigens ohne Beteiligung des Parlaments, die Bundeswehr für Kriegshandlungen zur Verfügung stellen - vergessen Sie bitte nicht, daß wir über Kriegshandlungen reden und nicht über Kleinigkeiten -, ({8}) obwohl es weder um Landesverteidigung noch um Bündnisverpflichtungen geht. ({9}) Lassen Sie mich bitte daran erinnen: Wie oft hat der Bundeskanzler in den vergangenen Jahren unter Hinweis auf unsere Verfassung im In- und Ausland davon gesprochen, daß unsere Streitkräfte für solche Einsätze nicht zur Verfügung stehen können. Warum gilt das jetzt auf einmal nicht mehr? Haben wir jetzt eine andere Verfassung, weil die CDU/CSU es so möchte? Das Grundgesetz folgt nicht irgendwelchen politischen Opportunitäten. Es kann nicht je nach Belieben herangezogen oder beiseite gelegt werden. Wenn Ihnen, den Unionsparteien, die restriktiven Bestimmungen des Grundgesetzes heute nicht mehr passen, dann können Sie nicht so tun, als gäbe es diese Bestimmungen nicht.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lamers? - Bitte sehr.

Karl Lamers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001273, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Verheugen, darf ich Ihren Ausführungen entnehmen, daß Sie, unbeschadet der Rechtslage, der Auffassung sind, daß sich deutsche Streitkräfte, deutsche Soldaten an den AWACS-Flügen im Falle eines Sanktionsbeschlusses durch die UNO nicht beteiligen sollen?

Günter Verheugen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Diese Frage beantworte ich mit einem ganz klaren Ja. ({0}) Im übrigen hatten wir in der Beurteilung dieser Frage bis vor kurzem noch sehr bedeutende Verbündete in Ihren eigenen Reihen. ({1}) - Das ist überhaupt kein Zynismus. Ich frage Sie: Was für ein Beispiel gibt die auf die Verfassung vereidigte Bundesregierung den Beamten und den Soldaten, die der Verfassung gegenüber gehorsam zu sein haben? ({2}) Auch die Regierung, gerade die Regierung ist zum peinlich genauen Gehorsam gegenüber der Verfassung verpflichtet. Wir werden es nicht zulassen, daß die Grundregeln unserer gesamten Ordnung den Charakter der Beliebigkeit annehmen sollen. ({3}) Suchen Sie sich die notwendigen Mehrheiten, wenn Sie etwas anderes wollen. Und kommen Sie uns bitte nicht mit Bündnisverpflichtungen! Erstens steht auch das Bündnis nicht über der Verfassung, und zweitens ist die NATO ein kollektives Verteidigungsbündnis. Sie ist kein Interventionsinstrument, nicht aus eigenem Recht und auch nicht im Auftrag der UNO. Ob die NATO bei der Erfüllung von Mandaten der Vereinten Nationen eine Rolle spielen kann oder soll, ist eine ganz schwierige Frage. Wir sind bereit, über diese schwierige Frage ernsthaft und in Ruhe mit Ihnen zu reden. Aber Sie können doch nicht im Ernst behaupten, daß aus der Verpflichtung, die sich aus der Mitgliedschaft in einem kollektiven Verteidigungsbündnis ergibt, eine Verpflichtung erwachsen kann, irgendwo außerhalb der Verteidigungspflichten dieses Bündnisses zu intervenieren. Das können Sie doch nicht ernsthaft behaupten! ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Die Abgeordnete Frau Dr. Schwaetzer signalisiert mir, daß sie Ihnen gerne eine Frage stellen würde.

Günter Verheugen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bitte um Verständnis, daß ich langsam zu Ende kommen möchte. Es wollen ja auch noch andere hier reden.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Es ist Ihr gutes Recht, wenn Sie nein sagen.

Günter Verheugen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Unsere Mitgliedschaft in der NATO bedeutet keinesfalls, daß wir uns außerhalb des Bündniszwecks an Aktionen beteiligen müssen, die andere Bündnispartner für richtig halten und an denen teilzunehmen sie durch ihre jeweilige Verfassungslage auch nicht gehindert sind. ({0}) Vergessen Sie bitte nicht, daß die NATO sehr wohl die unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Gegebenheiten ihrer Mitglieder respektiert - und das nicht nur so ganz allgemein, sondern, wie Sie sehr wohl wissen, ausdrücklich im Vertragstext. Der Bundeskanzler hat den Einsatz deutscher Soldaten im ehemaligen Jugoslawien bis vor kurzer Zeit unter Berufung auf die historische Belastung immer wieder entschieden abgelehnt. Kollege Lamers, wir beide sind im Auswärtigen Ausschuß selber dabeigewesen, als er das getan hat. Ich halte das für richtig. Ich rede jetzt einmal gar nicht über die historische Seite, weil das hier vielleicht sehr unterschiedlich gesehen wird. Aber eines wird niemand bestreiten können: daß es auch unter dem Gesichtspunkt der außenpolitischen Zweckmäßigkeit außerordentlich fragwürdig - ja, in unseren Augen nicht nur fragwürdig, sondern ganz und gar unmöglich - ist, die Bundeswehr in einen Einsatz im ehemaligen Jugoslawien zu bringen, der dann von einer Konfliktpartei in einer Art und Weise zu einer emotionalen Propaganda in diesem Lande mißbraucht werden wird, daß der Schaden, der durch diesen Einsatz entsteht, in jedem Fall größer sein würde als jeder nur denkbare Nutzen. Vergessen Sie das bitte nicht. ({1}) Der Außenminister hat sich hellos verheddert. Er ist ein Gefangener seiner eigenen martialischen Rhetorik geworden. Wir haben ihn ja gewarnt. Schon bevor er das Amt angetreten hat, hat er davon gesprochen, es wird ohne Gewehre nicht gehen. Wir haben ihm damals gesagt: Dieser Satz wird noch einmal auf Sie zurückfallen. Jetzt ist er in der Situation, daß er etwas verlangt, von dem er weiß, daß es verfassungsrechtlich nicht geht. Er steht vor den Trümmern der Politik, die er geerbt hat. Er steht vor allen Dingen vor den Trümmern der Werte einer Politik, die er geerbt hat. Diese Werte sind immer als Berechenbarkeit und Zuverlässigkeit beschrieben worden. Das hat Herr Lamers heute morgen auch gesagt. Nun möchte ich einmal gerne wissen, was an der Politik, an der Außenpolitik einer Regierung noch berechenbar ist und was an einer solchen Politik noch zuverlässig ist, wenn sie Entscheidungen trifft, von denen sie gleichzeitig sagt, daß sie nicht verfassungsgemäß sind. ({2}) Man muß auch fragen, ob der Außenminister und seine Fraktion die Risiken bedacht haben, die in dem Weg liegen, den sie da gehen wollen. Was machen Sie denn, wenn das Verfassungsgericht den Antrag auf einstweilige Anordnung überhaupt nicht annimmt, was ja ohne weiteres möglich ist? Was Herr Herzog gesagt hat, nehmen wir, wie sich das gehört, sehr aufmerksam zur Kenntnis. Aber er ist nicht der Vorsitzende des 2. Senats, der das zu entscheiden hat. Der kann das ganz anders sehen. Sie können in die Lage kommen, daß das, was nach Ihrer Meinung verfassungswidrig ist, gleichwohl geschieht. Dann sind Sie verantwortlich für das, was geschieht. Sie sind auch verantwortlich für das, was sich daraus ergeben kann. Ich habe eben schon einmal versucht, das als Antwort auf eine Frage zu sagen. Hier wird die Schraube der Eskalation ein Stück weitergedreht - ein qualitativer Unterschied zu allem, was bisher in der Jugoslawien-Politik geschehen ist. Sie können überhaupt nicht vorhersehen - wenn es zu diesen Einsätzen kommen sollte, was ich immer noch für zweifelhaft halte -, welche weiteren Kampfhandlungen sich daraus ergeben können und ob am Ende dann nicht tatsächlich ein großer, internationaler Krieg steht. Wir warnen Sie! Meine Damen und Herren, wir entziehen uns doch der Verantwortung für das, was von Deutschland in der Welt erwartet wird, nun wahrlich nicht. ({3}) - Nein. Wir haben Ihnen bereits im vergangenen Sommer einen Vorschlag gemacht, der ausreicht, um das, was die internationale Öffentlichkeit mit Recht von uns verlangt, zu erfüllen. ({4}) - Den Zwischenruf von der Regierungsbank habe ich gehört, Herr Schäfer. Nun will ich Ihnen einmal etwas sagen: Sie und alle möglichen Leute erzählen uns immer, in der ganzen Welt warte man nur darauf, daß die Deutschen endlich Soldaten zu Kampfeinsätzen schicken. Nun, wir haben ja auch Kontakte in der Welt. Ich möchte, daß Sie uns endlich einmal eine Regierung nennen, die verlangt, daß die Bundeswehr an Kampfeinsätzen irgendwo in der Welt beteiligt wird. Ich möchte diesen Druck endlich einmal kennenlernen. ({5}) Meine Damen und Herren, es gibt ihn gar nicht. Sie erzeugen diesen Druck selbst, weil Sie Ihre innenpolitischen Ziele damit verfolgen wollen. ({6})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Verheugen, sind Sie bereit, eine Frage des Abgeordneten Schäfer zu beantworten?

Günter Verheugen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Frage habe ich provoziert. Das muß ich wohl akzeptieren.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich mache allerdings darauf aufmerksam, daß Ihre Redezeit im Grunde genommen zu Ende ist. Aber bitte schön, ich gebe Ihnen natürlich die Zeit.

Helmut Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001932, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Verheugen, ich wollte Ihre Rede eigentlich gar nicht durch eine Zwischenfrage unterbrechen; aber Sie haben meine Zwischenfrage wirklich provoziert. Ich darf Ihnen also die Frage stellen. Waren Sie bei Ihren vielfachen Besuchen in den Vereinigten Staaten noch nie im Hauptquartier der Vereinten Nationen? ({0}) Haben Sie mit dem Generalsekretär oder den Untergeneralsekretären in den vergangenen Jahren nie gesprochen? Ich muß das deshalb fragen, weil Sie hier so tun, als sei gewissermaßen nur die Bundesregierung an Einsätzen interessiert, obwohl die Vereinten Nationen von uns seit Jahren verlangen, was von allen anderen Staaten der Vereinten Nationen verlangt wird.

Günter Verheugen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Schäfer, da die Vereinten Nationen von keinem anderen Land auf der Welt die Beteiligung an Kampfeinsätzen verlangen, haben sie die bisher auch von uns nicht verlangt. ({0}) Der Generalsekretär hat das bei seinem Besuch in Bonn doch eindeutig klargestellt. Ich nehme an, Sie sind dabeigewesen. Er hat gesagt, es wird Einsätze nach Kapitel VII Art. 43 ff. auch in Zukunft nicht geben. ({1}) Was der Generalsekretär mir und anderen gesagt hat, ist: Die Bundesrepublik Deutschland soll sich an friedensschaffenden und friedenserhaltenden Maßnahmen der Vereinten Nationen beteiligen. ({2}) - Moment, langsam, ich bin noch gar nicht zu Ende. - Dann stellt er dar, daß diese Maßnahmen ein breites Spektrum umfassen. Die militärische Komponente ist jeweils nur ein relativ bescheidener Teil davon. ({3}) Gerade am Fall Somalia haben wir es ja „ durchdekliniert". Technische Hilfe, medizinische Hilfe, Polizeihilfe ist im Falle Somalia gefragt, aber kein Infanteriebataillon. - Ich denke, ich habe die Frage beantwortet. ({4}) Ich komme zum Schluß, meine Damen und Herren.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Verheugen, Frau Dr. Schwaetzer hat sich noch zu einer Zwischenfrage gemeldet. ({0})

Günter Verheugen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte jetzt wirklich zum Schluß kommen. ({0}) - Frau Kollegin Schwaetzer, man kann den Rollentausch vielleicht auch ein bißchen übertreiben. Meine 'Damen und Herren, im Falle Jugoslawien ist die Durchsetzung der Mandate wichtig; das bezweifelt niemand. Aber wir müssen unterscheiden zwischen Dingen, die wir tun können, und solchen, die wir nicht tun können. Was wir z. B. tun könnten, um den Menschen in Jugoslawien zu helfen, wäre, mehr politischen Nachdruck auf die Durchsetzung und Einhaltung der Sanktionen zu legen, als uns auf diesen Punkt zu konzentrieren, der vergleichsweise unwichtig ist. ({1}) Ich habe volles Verständnis für die Verunsicherung, welche die Haltung der Bundesregierung in der Bundeswehr auslösen muß. Darum sage ich hier an die Adresse der Bundeswehr, daß wir mit großem Respekt und Anerkennung und Dankbarkeit zur Kenntnis nehmen, was auch unsere deutschen AWACS-Besatzungen bei der humanitären Hilfe im ehemaligen Jugoslawien und auch in anderen Teilen der Welt leisten. ({2}) Gerade unseren Soldaten und Offizieren sagen wir, daß sie einen Anspruch darauf haben, zu wissen, was Recht ist und was nicht Recht ist. Wir werden nicht zulassen, meine Damen und Herren, daß Sie unsere Bundeswehr in verfassungsrechtlich unzulässige Abenteuer schicken. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Hans Engelhard das Wort.

Hans A. Engelhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000472, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das von Ihnen heute morgen vorgegebene Thema, Herr Kollege Verheugen, „Deutschlands Verantwortung gegenüber Weltgemeinschaft und Bündnis", das sind wichtige, zentrale, goldene Worte, bei deren Behandlung ein bestimmtes Niveau nicht unterschritten werden sollte. ({0}) Ich meine, hier geht es um zentrale Fragen, schon weil Fragen unserer Verfassung angesprochen sind. Dann sollte man aber auch den Versuch unternehmen, Klarheit in die Dinge zu bringen, um sich nach außen verständlich machen zu können, damit die Menschen draußen im Lande überhaupt noch verstehen, warum hier Meinungsverschiedenheiten vorhanden sind. Dann geht es nicht, wenn man seitens der Opposition antritt und zunächst über die Zustände spricht - über die Zustände hier und dort, über diese ganze Koalition, über mißliche Zustände, unerträgliche Zustände, wie Sie sagen -, dabei aber vernebelt und überspielt, daß es einen Zustand gibt, und das sind Sie. Und da liegt das Problem. ({1}) Wir sind alle der Auffassung, daß, wo es um unsere Verfassung geht, wo es um die Menschen geht, wenn sie über den NATO-Bereich hinaus eingesetzt werden, um unsere Soldaten, ihre Gesundheit, auch ihr Leben, ganz zentrale Fragen einer grundlegenden Rechtsklärung bedürfen. Und da waren Sie es, die bisher nicht bereit waren, den Weg einer VerfasHans A. Engelhard sungsänderung, so wie es notwendig ist, mitzugehen. ({2}) Zu dieser Verfassungsänderung ist unser Koalitionspartner, die CDU/CSU, zu dieser Verfassungsänderung sind wir bereit. Sie waren es nicht. Nun müssen wir andere Wege gehen. Wir sind der Auffassung, daß wir in Deutschland uns nun stellen müssen. Wir können nicht länger warten; die Fragen müssen geklärt, sie müssen angegangen werden. Herr Verheugen, Sie wissen, was noch im Golfkonflikt stattfand. Wir waren daran nicht beteiligt. Wir haben uns zurückgezogen, ({3}) mit Bedacht auf das gräßliche Ereignis. Der Karneval ist ausgefallen, der Fasching ist ausgefallen. Ein kluger Beobachter sagte damals: Wie lange wird es eigentlich dauern, bis die Welt einen solchen Konflikt dort, wo er notwendig ist, austrägt? - Wir aber stehen beiseite und sagen, wir machen etwas anderes. Wir leisten Trauerarbeit für die ganze Welt.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Engelhard, sind Sie bereit, eine Frage des Abgeordneten Professor Heuer zu beantworten?

Hans A. Engelhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000472, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, gerne.

Prof. Dr. Uwe Jens Heuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000891, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Kollege, Sie sprachen von einer notwendigen Verfassungsänderung - nicht von einer Klarstellung, sondern von einer Änderung. Ich habe die Frage, wie Sie eine Änderung auf einem anderen Wege als dem parlamentarischen in diesem Hause erreichen wollen. Wie wollen Sie eine Änderung der Verfassung auf einem anderen Weg als auf dem über dieses Haus erreichen, oder wird es sich wieder um eine Notstandsfrage handeln?

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Professor Heuer, ich nehme an, Sie erwarten eine Antwort.

Hans A. Engelhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000472, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, es fällt schwer, darauf eine Antwort zu geben, weil ich in Ihrer Frage nicht die Unterstellung sehen möchte, als hätte ich etwa auch an einen Staatsstreich oder ähnliches gedacht. ({0}) Dann würde sich die Einschaltung des Parlaments in der Tat erübrigen. Ich möchte aber hier kein Privatissimum in Verfassungsrecht geben ({1}) - das haben Sie ja gar nicht nötig - und nicht von der notwendigen Zweidrittelmehrheit im Bundestag und Bundesrat reden. Lassen wir es beiseite; wir haben Wichtigeres zu besprechen, Herr Kollege. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Engelhard, der Abgeordnete Klejdzinski möchte auch eine Frage stellen.

Hans A. Engelhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000472, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte schön.

Dr. Karl Heinz Klejdzinski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001124, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, Sie haben vorhin ausgeführt, daß wir am Golfkrieg nicht beteiligt gewesen sind. Darf ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß die Amerikaner nur deshalb in der Lage waren, ihre sogenannten Operationen durchzuführen, weil sie sich auf unsere logistische Infrastruktur in der Bundesrepublik stützen konnten?

Hans A. Engelhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000472, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, daß auch in Deutschland gewisse Vorteile für die Amerikaner zugänglich waren, ist unbestritten. Ich wollte aber jetzt gar nicht in eine Erörterung des Golfkonfliktes mit allen seinen Einzelheiten eintreten, sondern wie Sie an meiner Rede gesehen haben, hatte ich einen anderen Ausgangspunkt mit einem ganz anderen Ziel. Meine Damen und Herren, wenn wir uns in einer enger und verflochtener gewordenen Welt auch bei der Erhaltung des Friedens und - an anderer Stelle, wo Krieg herrscht - bei der Wiederherstellung des Friedens engagieren müssen, dann muß Rechtsklarheit herrschen. Ich habe bereits festgestellt - und da können Sie nicht widersprechen -: Sie haben sich bisher Ihrer Mitwirkung an einer klaren Verfassungsänderung, die völlige Rechtsklarheit schaffen könnte, entzogen. ({0}) Also muß man einen anderen Weg gehen. Jetzt besteht ein Meinungsstreit, ob nun Art. 24 Abs. 2 des Grundgesetzes oder Art. 87 a des Grundgesetzes das allein Ausschlaggebende und Bestimmende ist. Darüber herrscht Meinungsunterschied. Aber das ist doch nichts Verwerfliches. Wenn Sie hier hintreten und sagen, das sei ein Tohuwabohu, da sei Krach in der Koalition, da befetze der eine den anderen - Herr Kollege, ich lege Wert darauf, daß die Liberalen in dieser Frage niemanden befetzen werden. Für uns ist dies eine Frage, die im Interesse unseres Landes und seiner Menschen einer Klärung zugeführt werden muß. Dieser Meinung sind wir; dieser Meinung ist der Koalitionspartner. ({1}) So sind wir auf den Weg gekommen, daß nötigenfalls unsere Fraktion - auf einem in unserer Republik erstmals gegangenen Weg - an das Bundesverfassungsgericht herantritt, eine Klage einreicht, verbunden mit dem Antrag auf eine einstweilige Anordnung. Man kann einen solchen Weg in verschiedener Weise begleiten: Das kann mit lautem Getöse gehen, das kann damit gehen, daß man dem Koalitionspartner bei der Gelegenheit eine zu verpassen sucht, er zurückschlägt - oder er begonnen hat - und man darauf wieder antwortet. Ich warne vor alledem. Wir gehen einen für uns nicht einfachen - weil insgesamt sehr ungewöhnlichen und noch nicht dagewesen - Weg, wenn es notwendig ist. Aber wir werden dann vor dem Bundesverfassungsgericht die Argumente auszutauschen wissen. Begleitende Fanfarenstöße und Getrommel draußen in der politischen Öffentlichkeit - das ist nicht notwendig, denn es gibt unterschiedliche Auffassungen, und eine jede ist ehrenwert. Sie haben hier, Herr Kollege Verheugen, Töne angeschlagen. ({2}) - natürlich - wie: Man marschiert an der Verfassung völlig vorbei; diese Regierung schickt sich an - ({3}) - Wir werden es noch im Protokoll genau nachlesen können, was Sie im einzelnen gesagt haben. Es waren jedenfalls Töne, die in diese Landschaft nicht passen sollten. ({4}) Wir werden schon vom Stil her darauf schauen, daß die Öffentlichkeit versteht, worum es geht: Rechtsklarheit zu schaffen in einer zentralen Frage. Da erinnere ich daran, daß vor vielen Jahren einmal aus dem Bundesverfassungsgericht die Bemerkung und auch Ermahnung kam, man solle Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nicht immer als eine Art Wahlkampfwaffe dem politischen Gegner um die Ohren schlagen, so in dem Ton: Na, nahe dran warst du schon, fast ein Verfassungsfeind zu sein. Das zeigen deine Niederlagen. Nein, hier geht es um die Klärung, und wie diese Klärung ausfällt, das weiß keiner. Es sprechen für diese Auffassung gute Argumente, und es sprechen für jene gute Argumente. Wenn unsere Fraktion den Klageweg geht, dann wird sie ihre Auffassung untermauern und dafür zu streiten wissen, aber dies wird nicht mit der Abwertung der anderen Auffassung als „blödsinnig", „unsinnig", „fernab vom Grundgesetz" einhergehen. Nein, für beide Auffassungen gibt es Argumente, und hier im Stil einen gute Weg zu gehen, das ist wichtig. Es ist wichtig - wenn wir uns hier vorösterlich diesem Thema zuwenden -, den Stil zu bewahren, wenn uns überhaupt einer verstehen soll, weil es sonst nur als ein erneuter Krach verstanden würde, wie man ihn draußen gewohnt ist, und davon haben die Menschen genug. ({5})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich erteile der Kollegin Andrea Lederer das Wort.

Andrea Lederer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001301, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Engelhard, diese Fragen auf Stilfragen zu reduzieren ist wirklich Verharmlosung par excellence. Erneut wird der Bevölkerung vorgegaukelt - dafür spricht auch die Benennung dieses Tagesordnungspunkts -, es gehe um Verantwortungswahrnehmung insgesamt. Fakt ist: Es geht um Kriegshandlungen und überhaupt nichts anderes. Es geht darum, daß die Bundesregierung bereit ist, jedes Mittel einzusetzen, um künftig weltweit intervenieren zu können. ({0}) Wir diskutieren hier nicht über internationale Verantwortung, sondern darüber, daß, wie der Kollege Hoyer in den Medien verkündete, der Rubikon überschritten wird und die Bundeswehr sich zum erstenmal nach dem Ende des Krieges an Kriegshandlungen beteiligt, und zwar, wohlgemerkt, nicht in der Landesverteidigung oder der Bündnisverteidigung, sondern über die Verträge hinausgehend. Das ist exakt das Ziel. Der Kommentator Herzog verwendet für den Vorgang, daß sich die Regierung selber verklagt, im Grunde genommen den Begriff „pathologisch". Selbst das ist eine absolute Verharmlosung dessen, was hier vonstatten geht. Es bestätigt sich: Die größten Ignoranten der hiesigen Verfassung sitzen zur Zeit in der Bundesregierung. Ein Verfassungsbruch nach dem anderen prägt die Politik, bestimmt die Außen- und Sicherheitspolitik, und infolgedessen müssen die entsprechenden Töne seitens der Opposition angeschlagen werden. ({1}) Von Selbstachtung zu reden, wenn es daraum geht, mit dem Militär zu rasseln, ist wirklich ein starkes Stück. Man kann sich nur an den Kopf langen, daß hier Stilfragen überhaupt als Argument angeführt werden. Sie haben in der Debatte immer wieder betont, bundesdeutsche Soldaten seien in diesen Flugzeugen gar nicht ersetzbar. Heute wird davon Abstand genommen; Sie erklären im Grunde genommen durch Nichtantwort, Herr Lamers, daß dem überhaupt nicht so ist. Bei jedem konkreten Einsatzfall, der zur Diskussion steht, wird die Bevölkerung nach Strich und Faden belogen, und zwar nur, um endlich - mit oder ohne Verfassungsänderung - die Bundeswehr militärisch einzusetzen und im Grunde den von Herrn Verheugen beschriebenen kleinmilitärischen Anteil, den wir schon ablehnen, zu vergrößern und sich vor allem an der zivilen Unterstützung der UNO nicht zu beteiligen. Sie haben kein Interesse an medizinischer, technischer, ziviler Hilfe; Sie haben schlicht und einfach ein Interesse daran, Interventionspolitik zu betreiben, die Bundeswehr zu einer Interventionsarmee umzufunktionieren und sie einzusetzen - ob das nun mit dem Grundgesetz übereinstimmt oder nicht. ({2}) Noch einen Satz zum Antrag des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Ich verstehe sehr wohl, daß man hier über dieses Thema debattieren will. Ich finde es auch richtig, daß wir debattieren. Aber ich möchte an folgendes erinnern: Die SPD hat monatelang die Regierungskoalition aufgefordert, endlich einen Antrag zur Grundgesetzänderung vorzulegen. Was haben wir auf den Tisch bekommen? Ich erinnere Sie an den Entwurf der Koalitionsparteien, mit dem im Grunde genommen mit schnell zusammengezimmerten Militärbündnissen alles gemacht wird, was einem Militaristen in den Kopf kommen kann. ({3}) Zu Ihrer Aufforderung an die Bundesregierung, endlich einen Entwurf für ein Sonderabkommen vorzulegen, kann ich Ihnen jetzt schon sagen, was kommen wird, nämlich genau das, was im Grunde genommen in diesem Gesetzentwurf schon enthalten ist. Ich halte es, ehrlich gesagt, für einen Bärendienst für die Friedenspolitik, ausgerechnet hier weiter Handlungsfähigkeit einzuklagen, wenn man feststellen kann, daß die Handlungsfähigkeit darin besteht, Interventionspolitik zu praktizieren, einerlei, ob das mit der Verfassung übereinstimmt oder nicht. Infolgedessen hat Ihr Antrag relativ wenig mit knallharter Oppositionspolitik zu tun, wie es Kollege Struck angekündigt hatte. Hier ist ein klares Nein zu allem verlangt, eine wirklich gemeinsame Verhinderungspolitik gegen diese Art von Militärpolitik der Bundesregierung. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich erteile dem Abgeordneten Paul Breuer das Wort. ({0})

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich halte es für erstaunlich und bemerkenswert, daß in den Beiträgen der Redner der Opposition am heutigen Morgen, insbesondere in Ihrer Rede, Herr Kollege Verheugen, nichts über die Situation der Menschen in Bosnien-Herzegowina und über das Morden und die Schande dort zu vernehmen war. ({0}) Sie verschanzen sich hier hinter völlig unverständlichen Mauern. Das kann nicht die Wahrnehmung der Verantwortung Deutschlands in der Weltgemeinschaft sein. ({1}) Deutschlands Verantwortung gegenüber der Weltgemeinschaft und dem NATO-Bündnis, dem einzig funktionierenden Sicherheitsbündnis ({2}) dieser Welt, muß sich in der täglichen praktischen Außen- und Sicherheitspolitik unseres Landes beweisen. Deutsche Sozialdemokraten, Herr Kollege Verheugen, hatten sich einmal zur internationalen Solidarität verpflichtet. ({3}) Von dieser internationalen Solidarität ist nach dem, was man hier vernehmen kann, nichts, aber auch gar nichts übriggeblieben. ({4}) Was übriggeblieben ist, ist eine unsägliche Verwirrung der deutschen Sozialdemokratie. ({5}) Deutschland muß bereit sein, einen aktiven Beitrag zur Erhaltung und Schaffung von Frieden und Freiheit in der Welt zu leisten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Ausstieg aus AWACS, einem voll integrierten NATO-Verband, würde für Deutschland bedeuten, zum einen der Bündnisverpflichtung und zum anderen der Verpflichtung und der Verantwortung gegenüber der Weltgemeinschaft nicht gerecht zu werden. Deswegen ist es richtig, daß dies vermieden wurde.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Der Herr Abgeordnete Verheugen möchte gern eine Frage stellen.

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Günter Verheugen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie den Begriff „internationale Solidarität" auf die Beteiligung an Kriegen reduzieren? ({0})

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Verheugen, ich reduziere den Begriff „internationale Solidarität" nicht auf die Beteiligung an Kriegen. Aber Sie stimmen sicher mit mir überein, daß internationale Solidarität die Erhaltung und notfalls auch die Wiederherstellung des Friedensbedeutet. Dabei ist die Anwendung von Gewalt leider nicht zu vermeiden. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Entschuldigung, Herr Abgeordneter Breuer. Der Herr Abgeordnete Klejdzinski möchte ebenfalls eine Frage stellen.

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte, Herr Dr. Klejdzinski.

Dr. Karl Heinz Klejdzinski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001124, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Breuer, stimmen Sie mit mir darin überein, daß das Thema heute morgen nicht „Ausstieg aus AWACS" lautet, sondern daß es um die Rechtmäßigkeit von Bundeswehrkampfeinsätzen geht, daß das eine Ver12878 fassungsfrage ist und daß es sich darum handelt, wie sich die Koalition in dieser Frage verhalten hat? ({0})

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Dr. Klejdzinski, es ist wichtig, daß Sie diese Frage gestellt haben, weil es mir die Möglichkeit gibt, deutlich zu machen, worum es geht. Es geht darum, daß Deutschland seiner Verantwortung gegenüber der Welt gerecht wird. Das haben Sie durch den Antrag, dieses Thema auf die Tagesordnung zu setzen, zum Ausdruck gebracht. Die NATO, das Verteidigungsbündnis, dem wir angehören und das das einzige funktionierende der Welt ist, hat ihre Politik im Hinblick auf die fundamentale Veränderung der Welt und insbesondere in Europa fortgeschrieben. Sie hat sich der neuen Situation angepaßt. Das Problem ist, daß Deutschland wegen der Blockade durch die deutsche Sozialdemokratie bisher nicht in der Lage war, seine Politik der neuen internationalen Lage und der Lage Europas anzupassen. Das ist die Frage, über die hier in Wahrheit diskutiert wird. ({0}) Herr Kollege Dr. Klejdzinski, alle unsere Partner innerhalb der NATO sind der Meinung, daß wir uns der neuen Lage stellen müssen. Für sie alle ist die Frage des Einsatzes von AWACS überhaupt kein Problem. Wie wollen Sie auch gegenüber Ihren Freunden in der Sozialistischen Internationale und gegenüber unseren Partnerländern rechtfertigen, daß Sie eine deutsche Verantwortung verweigern? Herr Kollege Verheugen versuchte, den Eindruck zu erwecken, als ob wir uns die Frage nach den Anforderungen an uns aus uns heraus stellen und niemand in der Welt - ob in Amerika oder in anderen Ländern Europas - uns danach fragt. Ich frage mich: Mit wem reden Sie eigentlich? ({1}) - Ich kenne Delegationen, die hier mit Ihren Freunden in der Sozialistischen Internationale in Deutschland erscheinen, die Ihnen diese peinlichen Fragen auch auf deutschem Boden nicht ersparen. Das ist die Situation. ({2}) Wir müssen uns auch fragen: Welches Selbstwertgefühl haben die deutschen Soldaten in den integrierten Stäben der NATO? Welches Selbstwertgefühl haben deutsche Soldaten in den integrierten Systemen der NATO? ({3}) Lesen Sie dazu den Bericht des Wehrbeauftragten, der gerade in dieser Woche veröffentlicht worden ist! Er drückt sehr deutlich aus, daß sich die deutschen Soldaten in integrierten Stäben und in integrierten Verbänden deshalb sehr beschwert fühlen, weil die deutsche Entscheidung über die Frage, tatsächlich innerhalb der NATO integriert zu sein, bisher blokkiert worden ist. Das liegt in der Verantwortung der SPD-Opposition hier im Deutschen Bundestag. ({4}) Für Sie, meine Damen und Herren von der SPD, ist es wichtig, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Koalition aus CDU/CSU und F.D.P. im Hinblick auf den Antrag zur karstellenden Ergänzung des Grundgesetzes in Art. 24 deutlich gemeinsam erklärt hat, was politisch notwendig ist. ({5}) Die Koalition hat erklärt: Es ist notwendig, daß Deutschland in diesem Verständnis Verantwortung für die Weltgemeinschaft übernimmt. ({6}) Die heutige Situation ist, daß die SPD in allen Gremien des Deutschen Bundestages, die derzeit darüber befinden, nicht bereit und in der Lage war, die deutsche Verantwortung genauso zu begreifen. ({7}) Sie sind die wahren Blockierer in dieser Frage. ({8}) Aus dieser Blockadehaltung müssen Sie herauskommen. ({9}) - Herr Kollege Verheugen, es wird Ihnen nicht gelingen, in der deutschen Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, ({10}) den Sie gern erzeugen wollen. ({11}) Es gibt ja genügend Mahner in Ihrer eigenen Partei und in Ihrer eigenen Fraktion. ({12}) Zum Schluß meiner Ausführungen möchte ich an diejenigen innerhalb der SPD-Fraktion appellieren, die an sich unsere Meinung mittragen. Denken Sie daran, daß es wichtiger ist, in dieser wichtigen Frage der deutschen Verantwortung in der Welt solidarisch zu sein angesichts der Notwendigkeit, unser Land verantwortungsfähig zu machen, als Solidarität mit Ihrer Partei zu bekunden! ({13}) Die deutsche Verantwortung in der Welt muß wahrgenommen werden. Die SPD muß ihre Blockade auflösen. ({14}) Ich bedanke mich. ({15})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordneter Dr. Wolfgang Ullmann.

Dr. Wolfgang Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002354, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Beweggrund für den Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist ein offenkundiger Regierungsnotstand. Will es dieses Parlament dahin kommen lassen, daß nach den Stahlarbeitern demnächst die Soldaten der Bundeswehr demonstrierend hier erscheinen, weil sie endlich wissen wollen, von wem sie in Zukunft Befehle erhalten, aus Bonn oder aus Karlsruhe? ({0}) Herr Hoyer, Sie versuchen hier ein falsches Bild in der Öffentlichkeit zu erwecken. Der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages war am Mittwoch verhandlungsunfähig, weil es keine Meinungsäußerung von seiten der Koalition gegeben hat. Sie haben ständig gesagt: Wir bekommen einen Änderungsantrag zu dem von Ihnen zitierten alten Antrag. Er ist nicht gekommen. Wir wissen bis heute nicht, was in dieser Koalition gespielt wird. ({1}) Wir wissen nur, daß ein Teil der Koalition offenkundig in Übereinstimmung mit der gesamten Koalition den abenteuerlichen Plan gefaßt hat, eine Klage beim Bundesverfassungsgericht einzureichen, wobei man aber nicht einmal genau weiß, gegen wen sich diese Klage richten soll. ({2}) Dieses Vorhaben widerspricht dem Grundgesetz, laut dessen Art. 93 Abs. 1 das Bundesverfassungsgericht u. a. entscheidet „über die Auslegung dieses Grundgesetzes aus Anlaß von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans". Entsprechend ist die Regelung im Gesetz über das Bundesverfassungsgericht. ({3}) Aber keineswegs ist diese Bestimmung auf einen Streit innerhalb eines obersten Bundesorgans anwendbar. ({4}) Nun könnte man sagen und sich vielleicht sogar noch auf private Äußerungen von Präsident Herzog oder des früheren Bundesverfassungsrichters Simon stützen, daß diese Feststellung der Sachlage den Karlsruher Verfassungsrichtern überlassen werden kann. Ich aber sage: Auf keinen Fall darf das geschehehen. Es ist die Pflicht dieses Hohen Hauses, dem Mißbrauch des mit Recht angesehensten deutschen Gerichts durch eine handlungsunfähige Regierung mit Entschiedenheit entgegenzutreten. ({5}) Ebenso unabweisbar - das sage ich nun als Antwort auf die Anfragen der Kollegin Lederer - ist die Verpflichtung des Parlaments, endlich eine Klärung darüber herbeizuführen, in welcher Form die Bundesrepublik Deutschland ihren Anteil an der Aufrichtung eines globalen Sicherheitssytems, einer Friedensordnung zu übernehmen und zu leisten gedenkt, einer Friedensordnung, die für völker- und menschenrechtswidrigen Terror ethnischer Säuberungen und die Barbarei der Sprengstoffattentate und des Hekkenschützenkriegs keinen Raum mehr läßt und auch der Organisierten Kriminalität des internationalen Waffenhandels den Boden entzieht. Die entscheidende Frage in diesem Zusammenhang ist die Anwendung der in der UNO-Charta in Kapitel VII vorgesehen „Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen". Meine Damen und Herren von der Koalition, ist es nicht an der Zeit, hier daran zu erinnern, daß die Vereinten Nationen entstanden sind, weil all das, was ich soeben gesagt habe, von diesem Land 1939 ausgegangen ist? Es kann doch nicht sein, daß wir jetzt in dieser ungeheuren Herausforderung darauf mit verantwortungslosem Herumfuchteln mit Waffen antworten, ({6}) von denen niemand weiß, wie gefährlich diese Waffen sind, gegen wen sie gerichtet sein sollen und wer kommandiert. ({7}) Das, was ich von Herrn Lamers gehört habe, zähle ich zu diesem verantwortungslosen Herumfuchteln. Meine Generation weiß, was es bedeutet, wenn in Jugoslawien nationale Interessen der Deutschen verfolgt werden. ({8}) Darum stellen wir diesen Antrag, der endlich klarstellt, welches Konzept dieses Land dieser ungeheuren Aufgabe gegenüber zu verfolgen gedenkt. Wir beantragen, daß unser Antrag dem Auswärtigen Ausschuß zur federführenden Beratung sowie dem Rechts- und dem Verteidigungsausschuß zur Mitberatung überwiesen wird. Danke. ({9})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich erteile dem Abgeordneten Christian Schmidt das Wort. ({0})

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002003, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Kollege Ullmann, mit Waffen herumfuchteln für diese Initiative - diese Formulierung bewegt sich auf der gleichen Ebene wie das Wort von der Schraube der Eskalation, das der Kollege Verheugen verwendet hat. Glauben Sie wirklich, daß das ein angemessenes Wort ist, ({0}) wenn man die Luftangriffe auf Srebrenica, ({1}) die Bombardierung der unbewaffneten Zivilisten verhindern will, indem man das, was die Vereinten Nationen schon im letzten Jahr beschlossen haben, endlich durchsetzt, worauf wir alle warten? Ich glaube, daß das nicht angemessen ist. ({2}) Im übrigen: Herr Präsident, vielleicht darf ich die Bitte aussprechen, daß wir das Protokoll dieser Sitzung tatsächlich sehr bald erhalten. Das wird uns in die Lage versetzen, Äußerungen gegenüberzustellen. Dabei denke ich z. B. an die Äußerung des Kollegen Verheugen, der hier auf eine Nachfrage von Herrn Lamers gesagt hat: Nein, natürlich nicht. Ich kenne Äußerungen in namhaften deutschen Zeitungen, in denen selbiger Kollege sagt, auch er sei nun der Meinung, daß der Parteitagsbeschluß der SPD wohl nicht ausreiche und daß man über die Beteiligung an Kampfeinsätzen nachdenken müsse. ({3}) Ich hörte das Wort „politischer Trickbetrug". Meine sehr verehrten Kollegen, ich bitte um etwas mehr Respekt vor dem Bundesverfassungsgericht. Aber der scheint bei der SPD-Fraktion in vielerlei Hinsicht verlorengegangen zu sein, ({4}) was wir ja leider auch bei Personaldebatten erleben müssen. Herr Verheugen, Sie wissen das doch genausogut wie ich. Ich könnte Ihnen dazu an einer Hand fünf und an der anderen Hand wieder fünf Namen von verantwortlichen Kollegen Ihrer Fraktion nennen, die geradezu danach gelechzt haben, im letzten Jahr eine Klage nach Karlsruhe bringen zu dürfen, weil sie auf Ihrem Parteitag nicht in der Lage waren, das, was sie eigentlich für politisch richtig erkannt haben, nämlich unsere Position, durchzusetzen. Das ist die Wahrheit. ({5}) Wenn es politische Trickbetrüger gibt, dann ist es die Opposition. ({6}) Ersparen Sie mir, daß ich Namen aus der höchsten Führungsspitze Ihrer Fraktion nenne, wo hinter vorgehaltener Hand genau das bestätigt wird. ({7}) - Das ist nicht sehr unanständig, sondern das ist die Wahrheit, Herr Verheugen. ({8}) Sie müssen sie ertragen. ({9}) Gehen Sie mit einem anständigen Antrag auf Ihren Parteitag und beschließen Sie das! ({10}) Vor dem 16./17. November letzten Jahres wurde uns signalisiert: Wartet den Parteitag ab. ({11})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Reuter, Sie haben im Moment das Wort nicht. Das hat der Abgeordnete Schmidt.

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002003, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke, Herr Präsident. - Wir werden versuchen, da etwas zu bewegen. Bewegt hat sich nichts. In der Tat haben die Offiziere in den AWACS-Flugzeugen keine blauen Helme auf. Hier stellt sich schon die Frage nach der Sache. Und in der sind wir in der Koalition absolut einig. Ein letzter Punkt zu dem, was hier zu kolportieren versucht wird: Na ja, beruhigt euch. Ruhe ist des Bürgers erste Pflicht. Es ist ja nicht so. Keiner will etwas von uns. Wir bleiben bei uns schön fein allein, und keiner auf der Welt, weder die NATO noch die UNO, will ernsthaft unsere Beteiligung. Leider kann ich wie manche von Ihnen heute vormittag nicht an der Königswinter-Konferenz teilnehmen, obwohl wir es eigentlich wollten. Dort sind unsere britischen Kollegen sehr zahlreich vertreten. Gestern hat ein nicht unmaßgeblicher englischer Journalist, der Chefredakteur der „Financial Times", Herr Mortimer, gesagt: Lange werden die anderen nicht mehr auf Deutschland warten können, bis es seine internen Fragen geklärt hat. Es besteht ein ganz, ganz dringender Regelungsbedarf. Wenn der Weg über eine Klarstellung der Verfassung nicht möglich ist, haben wir überhaupt keine Probleme, eine Entscheidung dort herbeizuführen, wo sie getroffen werden muß, nämlich in der Exekutive. Das ist passiert. Es gibt abweichende Rechtsauffassungen bei Kollegen der Koalition. Das ist deren gutes Recht. Es gibt auch in anderen Verfahren Vorlagen, um eine Klärung durch das Organ der Bundesrepublik herbeiführen zu lassen, das für solche Fragen zuständig ist. An einem werden Sie nicht vorbeikommen. Wenn Sie Mitspieler sein wollen, wenn Sie in dieser Frage gestalten wollen, wenn Sie das Parlament beteiligen Christian Schmidt ({0}) wollen, liegt der Schlüssel bei Ihnen. Sie müssen in Ihrer Partei klar entscheiden, was Sie wollen. Wenn Sie das wissen, kommen Sie wieder zu uns! Dann reden wir weiter. ({1}) Vielleicht haben sich dann die Dinge durch entsprechende Regelungen oder Äußerungen des Bundesverfassungsgerichts sowieso geklärt. Wenn Sie das getan haben, leisten Sie das erste Mal in dieser Frage einen ernsthaften Beitrag zum Ansehen Deutschlands in der Welt. Vielen Dank. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Ortwin Lowack.

Ortwin Lowack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001379, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit über zehn Jahren erweist sich die Regierungskoalition als unfähig, die lebenswichtige Frage eines Einsatzes der Bundeswehr außerhalb des NATO-Territoriums zu klären. Heute ist sich die Regierungskoalition einig, aber leider nur insoweit, daß sie nicht einig ist. Die Sache wird auch nicht dadurch besser, daß während der zehn Jahre zuvor, seit dem Beitritt Deutschlands zu den Vereinten Nationen, die damalige sozialliberale Koalition diese Frage ebenfalls nicht geklärt hatte. Lieber Karl Lamers, wir wissen auch, weshalb. 1981 hatte sich der damalige Außenminister aus drei Gutachten eines herausgesucht, das ihm opportun erschien und das damit in dieser Frage gewissermaßen in den Status einer Verfassung gehoben wurde. Obwohl später ein anderes Gutachten aus dem Justizministerium vorlag, durfte es nicht erörtert werden, weil es innerhalb der F.D.P. zu Problemen geführt hätte. 1988 hatte im Zusammenhang mit dem Iran/IrakKrieg die CSU im Kloster Bantz unter Berufung auf ein hervorragendes Gutachten von Professor Blumenwitz diese Fragen eigentlich geklärt, obwohl sich bereits damals die liebenswürdige Kollegin Michaela Geiger nachhaltig als Transporteurin der Auffassung des Außenministers bewährt hatte. 1990 mußte der Bundesregierung mit dem Golfkrieg klar werden, daß sie diese Frage nicht länger vor sich herschieben könne. Sie hat trotzdem zur Lösung nichts beigetragen. Mitte April 1991, am Ende des Golfkriegs, wollten wir hier im Deutschen Bundestag diese Frage ausführlich diskutieren. Lieber Karl Lamers, wir, du und ich, waren die beiden Redner für die Union. Dieser Zeitpunkt war unglaublich wichtig, weil wir damals ein Signal für die serbischen Kommunisten hätten setzen können, keinen Krieg anzuzetteln. Das wäre dringend notwendig gewesen, weil wir dann längst eine Lösung einschließlich Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hätten und uns nicht schon wieder damit auseinandersetzen müßten. Diese Sitzung damals ist auf Einspruch der Bundesregierung hin abgesetzt worden, weil sie sich nicht schlüssig war, was sie eigentlich wollte. Die Leidtragenden sind die Soldaten der Bundeswehr, die heute nicht wissen, wann sie eingesetzt werden können, und bei denen wir innerhalb weniger Monate das Potential an Sicherheit, das Generationen von Soldaten aufgebaut haben, leichtfertig verspielen. Für mich ist die Entscheidung, vor der wir heute stehen, eigentlich nur ein Hinweis dafür, daß ein solches Drama in Zukunft durch das Parlament vermieden werden sollte. Der Deutsche Bundestag ist keine Assemblée Nationale, eine Nationalversammlung, die nur auf Initiative der Regierung tätig werden dürfte. Er ist auch keine Spielwiese, auf der man etwas austrägt, was einem theoretisch in den Kram paßt. Dieses Parlament muß vielmehr den Mut haben, dann, wenn eine Regierung handlungsunfähig ist, von sich aus Initiative einzubringen und verantwortlich zu entscheiden.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf der Drucksache 12/4639 ({0}) an die in der Tagesordnung auf geführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Das Haus ist offensichtlich damit einverstanden. Es ist so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13a und b sowie den Zusatzpunkt 9 auf: 13. a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dirk Fischer ({1}), Dr. Dionys Jobst, Horst Gibtner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ekkehard Gries, Horst Friedrich, Roland Kohn, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes - Drucksache 12/4610 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß ({2}) Innenausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Verkehr Haushaltsausschuß b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dirk Fischer ({3}), Dr. Dionys Jobst, Horst Gibtner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ekkehard Gries, Horst Friedrich, Roland Kohn, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Eisenbahnwesens ({4}) - Drucksache 12/4609 ({5}) Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Verkehr ({6}) Innenausschuß Rechtsausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg ZP9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Klaus-Dieter Feige, Werner Schulz ({7}) und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Förderung der Bereitstellung, des Betriebs und des Ausbaus des Öffentlichen Personennahverkehrs - Drucksache 12/4619 -Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Verkehr ({8}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Der Ältestensrat schlägt Ihnen eine Debattenzeit von zwei Stunden vor. - Das Haus ist damit einverstanden. Es ist beschlossen. Wir können mit der Debatte beginnen. Ich erteile zunächst dem Abgeordneten Dr. Jobst das Wort.

Dr. Dionys Jobst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001029, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir stehen mit der Beratung des Gesetzespakets über die Bahnreform im Deutschen Bundestag vor einer Jahrhundertentscheidung in der Verkehrspolitik. Noch vor fünf Jahren wäre die Forderung nach Privatisierung der Bahn als eine Illusion abgetan worden. Heute haben wir in der Grundsatzfrage einen breiten Konsens. Dieser Konsens ist eine grundlegende Voraussetzung für eine so weitreichende Entscheidung. Mit dieser Reform werden die Weichen für eine neue Bahn gestellt, für eine leistungsstärkere und wettbewerbsfähigere Bahn, die den Steuerzahler weniger Geld kosten wird. Wir brauchen eine solche Bahn, damit eine Verkehrskatastrophe in unserem Lande verhindert wird. Die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten der Länder haben auf ihrer Solidarpaktklausur bekräftigt, daß die Bahnreform in dieser Legislaturperiode durchgeführt werden soll. Die Problemfelder des Verkehrs sind heute die überfüllten Transportwege, die belastete Umwelt, die Transportsicherheit und die zunehmende Mobilität. Deutschland ist zudem das zentrale Transitland in Europa geworden und steht damit vor weiteren Herausforderungen. Der Verkehr wird weiter wachsen, ob wir es wollen oder nicht. Die Prognosen zeigen die Herausforderungen, vor denen wir stehen. Deshalb brauchen wir eine leistungsfähige Bahn, die den wachsenden Verkehr soweit wie möglich auf sich ziehen kann. Wir wollen, daß dieses umweltfreundliche Verkehrsmittel den Zuwachs bindet. Unser Ziel ist deshalb Wachstum bei der Bahn durch Strukturreform und durch ihre Sanierung. Unser Ziel ist nicht Abbau ihrer Leistungen oder sogar eine Schrumpfbahn. Für uns ist die Bahn volkswirtschaftlich unverzichtbar. Für uns ist die Bahnreform das Gebot der Stunde. Dazu gibt es keine Alternative. Die Bahnreform ist auch praktizierte Umweltpolitik. ({0}) Alle bisherigen Bemühungen, die Bundesbahn zu sanieren, haben nicht zum Erfolg geführt. Die Verkehrsnachfrage wird das Infrastrukturangebot in der Zukunft deutlich übersteigen. Wir stoßen bei der Verkehrsinfrastruktur an Grenzen. Die Behauptung aber - die immer wieder aufgestellt wird -, die Verkehrspolitik erzeuge erst den Verkehr, ist falsch. ({1}) Es ist der steigende Wunsch der Menschen nach Mobilität, es ist die dynamische Wirtschaft, die den Verkehr bedingen. Die Aufwärtsentwicklung in den neuen Bundesländern und auch in den östlichen Staaten wäre ohne Verkehr nicht möglich. Wir wollen aber nicht durch unzumutbare Belastungen den Bürgern die freie Wahl des Verkehrsmittels nehmen und ihnen das Autofahren unzumutbar machen. Die Kommunalwahl in Hessen hat einer solchen Politik eine deutliche Abfuhr erteilt. Das wissen auch Sie, Herr Ministerpräsident Eichel - er ist im Augenblick nicht hier. ({2}) - Er sitzt auf der anderen Seite, auf der Regierungsbank. Er muß noch lange warten, bis er auf dieser Seite sitzen darf. ({3}) Die Finanzsituation von Bundesbahn und Reichsbahn ist fatal. Alarmierend ist die Entwicklung der Verluste und der Schulden. 1992 hatten beide Bahnen ein Defizit von 15 Milliarden DM aufzuweisen. Bei der Bundesbahn wird die Verschuldung 1993 auf 55 Milliarden DM ansteigen, obwohl der Bund vor zwei Jahren noch die Altschulden von 12,5 Milliarden DM übernommen hat. Die Reichsbahn wird einen Schuldenstand von 15 Milliarden DM zum Ende dieses Jahres haben. Die Bahn muß bezahlbar bleiben. Sonst bekommen wir die Schrumpfbahn, die niemand will. Eine Sanierung der Bahn nur mit Finanzhilfen und ohne Strukturreform führt nicht zum Erfolg. Sie dient bestenfalls der Bilanzkosmetik. Die Entscheidung, die Bahn zu einem echten Wirtschaftsunternehmen zu machen, ist ein erster und wichtiger Schritt, um die Bahn aus ihrer Misere herauszuführen. Weitere Maßnahmen müssen folgen. Die Bundesbahn erbringt heute nur mehr 22 % der Verkehrsleistungen im Güterverkehr und nur mehr 6 % der Verkehrsleistungen im Personenverkehr. Dies sind für uns alarmierende Tatsachen, auch im Hinblick auf die Verkehrslawinen, die auf unseren Straßen heute schon vorhanden sind und weiter wachsen werden. Wir brauchen eine Bahn, die sich behaupten kann, die im Wettbewerb bestehen und die Verkehr an sich ziehen kann. Die Bahn steht im nationalen und europäischen Wettbewerb. Die am Gängelband des Staates geführte Bahn, an die viele Forderungen von Stellen gerichtet werden, die keine Finanzverantwortung tragen, kann diese Aufgaben nicht erfüllen und hat keine Zukunft. Deshalb muß die Bahn von dem öffentlichen Dienst- und Haushaltsrecht endlich befreit werden. ({4}) Die Leitung des Unternehmens Bahn braucht unternehmerische Freiheit. Sie muß aber auch in die unternehmerische Verantwortung hineingestellt werden. Wir müssen weg von der Behördenbahn und hin zu einer unternehmerischen Bahn. Die Privatisierung der Bahn hat zur Aufgabe, unternehmerisches Handeln, Steigerung der Produktivität, Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und Verbesserung der Marktstellung zu erreichen. Die Zukunft der Bahn liegt in ihrer Technologie und Sicherheit, in ihrer Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit, in den Vorteilen für die Umwelt und in ihrer europäischen Dimension. Eine totale Umstellung der Arbeitsmethoden deutscher Beamten und öffentlich Bediensteten hat Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Björn Engholm jüngst gefordert. An die Stelle überkommener bürokratischer Strukturen müßten moderne Management- und Steuerungsmethoden treten. Wenn das richtig und geboten ist - ich bin hier seiner Meinung -, dann hat das in erster Linie für das Unternehmen Bahn zu gelten, das im Wettbewerb steht. Die Strukturrefom der Bundesbahn und Reichsbahn ist nicht erforderlich, weil unsere Eisenbahner versagt hätten. Die Eisenbahner können sich mit den Beschäftigten in der Wirtschaft, was Fähigkeiten, Einsatzbereitschaft, Leistung und Treue zum Unternehmen anbelangt, durchaus messen. Wir sagen unseren Eisenbahnern Dank für den Einsatz und für die Leistungen, die sie erbracht haben. ({5}) Es sind vielmehr die gesetzlichen Zwänge, es sind die Struktur und Organisation, mit denen die Bahn ins Abseits gefahren ist. Die Unternehmensführung, die Personalräte, die Gewerkschaften und Eisenbahner haben bei der Personalreduzierung bei der Bahn in den letzten Jahren enorme Leistungen erbracht. Hatte die Bundesbahn 1958 noch 516 000 Mitarbeiter, so hatte sie zum 1. Januar 1993 nur mehr 224 000. Die Deutsche Reichsbahn hatte zum 1. Januar 1993 173 000 Mitarbeiter, 80 000 weniger als 1990. Ohne diese großartige Leistung müßte die Bahn heute mehrere Milliarden Mark im Jahr mehr an Personalkosten aufbringen. Auch dieser Leistung gilt unser Dank. Die Eisenbahner erhalten mit der Strukturreform wieder Zukunftsperspektiven. Deshalb ist diese Reform gerade auch im Interesse der Eisenbahner nötig. Die Bahnreform ist aber auch im Interesse der Wirtschaft, unserer Gesellschaft und im Interesse der Steuerzahler dringend notwendig. ({6}) Die Wirtschaft braucht einen leistungsfähigen Partner, der die Transportleistungen erbringen kann. Wir brauchen die Bahn im Personenfernverkehr, aber auch im Personennahverkehr. Ich greife gern das Stichwort auf: Wir brauchen die Bahn auch aus Umweltschutzgründen. ({7}) Die drohende Transportlawine auf unseren Straßen kann nur eine leistungsstarke unternehmerische Bahn verhindern. Um aber die Wettbewerbsfähigkeit der Bahn zu verbessern, ist es dringend notwendig, daß der ausländische Straßenverkehr, vor allem der Lkw-Verkehr, endlich stärker zu den Wegekosten herangezogen wird. ({8}) Dieses Problem muß endlich gelöst werden. ({9}) Die EG kann nicht länger die Augen vor diesen ungerechten Zuständen in Europa verschließen, die zu Lasten des Haupttransitlandes Deutschland gehen. Wir können es nicht hinnehmen, daß die deutschen Güterkraftverkehrsunternehmen gezwungen werden, ihre Betriebe ins Ausland zu verlagern. Ich möchte dem Bundesverkehrsminister Krause für seinen tatkräftigen Einsatz, diese Ungerechtigkeit zu beseitigen, ({10}) herzlich danken. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihren weiteren Bemühungen. Wir erwarten doch alle Einsicht und Mitwirkung von unseren Partnerländern in der EG. ({11}) Das Gesetzespaket, das wir jetzt zu beraten haben werden, besteht zum einen aus einer Änderung des Grundgesetzes. Die Bahn AG bleibt aber im öffentlichen Eigentum. Die SPD ist aufgerufen, sich ihrer Mitverantwortung nicht zu entziehen und bei der Grundgesetzänderung und den Gesetzesmaßnahmen mitzuwirken. Durch das Eisenbahnneuordnungsgesetz sollen fünf neue Gesetze geschaffen werden, durch die Bundesbahn und Reichsbahn zusammengeführt werden. Das Gesetz über die Gründung einer Deutschen Bahn AG regelt die Ausgliederung des unternehmerischen Bereichs aus dem Bundeseisenbahnvermögen und dessen Umwandlung in eine Aktiengesellschaft. Durch das Gesetz über die Eisenbahnverkehrsverwaltung des Bundes werden die hoheitlichen Aufgaben auf ein Eisenbahnbundesamt übertragen. Mit dem Gesetz über den Bau und die Finanzierung der Schienenwege von Eisenbahnen des Bundes wird die Infrastrukturverantwortung des Bundes für die Schienenwege seiner Eisenbahnen normiert. Die Bahn AG braucht einen guten Start. Ihr muß deshalb eine solide finanzielle Basis gegeben werden. Sie muß von Altlasten und Altschulden befreit werden. Im Laufe der Gesetzesberatung muß die Finanzierung der Bahnreform gesichert werden. Die Bahn wird auch künftig staatliche Mittel benötigen. Wichtig aber ist, daß die Bahnreform zu finanziellen Entlastungen führt. Der Haushalt des Bundes wird in den nächsten zehn Jahren um etwa 140 Milliarden DM entlastet. Die Strukturreform bewirkt also eine finanzielle Verbesserung der gegenwärtigen Situation im Bundeshaushalt, aber auch bei den Bahnen. Das ist wichtig. Damit die Bahnreform zu einem Erfolg wird, muß der Schienenpersonennahverkehr regionalisiert werden. Die Entscheidungen, wie dieser Schienenpersonennahverkehr am wirkungsvollsten und wirtschaftlichsten gestaltet werden kann, kann nur vor Ort erfolgen. Es ist klar: Zur Entscheidungsverantwortung muß auch die Finanzverantwortung kommen. Den Ländern und den Kommunen müssen deshalb die erforderlichen Mittel zur Verfügung gestellt werden. Dieses Problem ist nicht einfach zu lösen. Bei der Solidarpaktverhandlung ist aber über den grundsätzlichen Weg bereits Übereinstimmung erzielt worden. Über die konkrete Ausgestaltung muß noch bei den Beratungen über das Gesetzespaket Einigung herbeigeführt werden. Eine Übergangsfrist bei der Überleitung des Schienenpersonennahverkehrs auf Länder und Kommunen wird dabei weiterhelfen. Für uns ist auch wichtig, daß die berechtigten Belange der Mitarbeiter beider Bahnen gewahrt bleiben. Meine Damen und Herren, wenn wir jetzt das große Werk der Bahnreform beginnen können, dann haben wir dies zu einem großen Teil der Regierungskommission zu verdanken, die von der Bundesregierung 1989 zur Erarbeitung von Vorschlägen eingesetzt wurde. Diese Kommission hat unter der Leitung von Herrn Dr. Saßmannshausen in kurzer Zeit gute Arbeit geleistet und brauchbare, nützliche Vorschläge vorgelegt. ({12}) Danken möchte ich namens der CDU/CSU-Fraktion Bundesverkehrsminister Krause, daß er diese Reform mutig und tatkräftig auf den Weg gebracht hat. ({13}) Ein solches Reformvorhaben wirft eine Vielzahl von Problemen auf. Diese Probleme müssen wir lösen. Wir wollen die Bahnreform zum 1. Januar 1994 in Kraft treten lassen. Diese Reform ist dringend notwendig für die Bahn und für uns alle. Der Ausschuß für Verkehr und die mitberatenden Ausschüsse stehen in den nächsten Monaten somit vor großen Herausforderungen. Ich bin zuversichtlich, daß es uns gemeinsam gelingen wird, die Beratungen zügig durchzuführen und abzuschließen. Es geht um die Zukunft unserer Bahn und ihrer Mitarbeiter. Ich bedanke mich. ({14})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Ministerpräsident, ich weiß zwar, daß es notwendig ist, den Verkehr zwischen Bund und Land zu pflegen, insbesondere mit dem Verkehrsminister. Aber der Verkehrsweg, den Sie zur Pflege des Verkehrs mit dem Verkehrsminister gewählt haben, war ein unzulässiger. Ich muß Sie darauf aufmerksam machen. Nun hat der Abgeordnete Klaus Daubertshäuser das Wort.

Klaus Daubertshäuser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000359, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundeskanzler hat schon Anfang 1991, Herr Kollege Dr. Jobst, in seiner Regierungserklärung betont, die Bahnreform sei das wichtigste Reformvorhaben dieser Legislaturperiode. Die SPD stimmt dieser Einschätzung ausdrücklich zu. Nur, wir müssen auch feststellen, daß der Dauerstreit zwischen Bundesverkehrsminister und Bundesfinanzminister das Tempo und die Konsensfindung zur Bahnreform nachhaltig gebremst hat. Der Vorschlag des Bundesfinanzministers, Belastungen für den ÖPNV in Höhe von 14 Milliarden DM - Sie haben es eben angesprochen - ohne zweckgebundene Ausgleichszahlungen auf die Länder abzuwälzen, war eine Attacke auf die Bahnreform, übrigens auch eine Attacke ohne Sinn und Verstand. ({0}) Herr Kollege Dr. Jobst, ich muß Ihre optimistische Einschätzung doch etwas einschränken. Es ist bei den Solidarpaktverhandlungen zwar gelungen, den absurden Vorschlag des Bundesfinanzministers vom Tisch zu räumen. Im Ergebnis stehen wir aber wieder nur dort, wo wir im Januar dieses Jahres bereits waren. Damit gibt es nach wie vor entscheidende Lücken, und es gibt nach wie vor inhaltliche Mängel; denn weder sind die Instrumente genannt, mit denen die zur Regionalisierung erforderlichen Mittel auf die Länder transferiert werden können, noch besteht Klarheit über die Höhe der erforderlichen Ausgleichszahlungen. Auch das jetzige Verfahren, die Bahngesetzentwürfe Hals über Kopf aus den Reihen der Koalition einzubringen, steht in dieser unguten Tradition. Ich frage mich, ob die Koalitionsfraktionen wirklich gut beraten waren, jetzt überhastet als Ausputzer für die Bundesregierung aufzutreten, die sich in entscheidenden Punkten über eine eigene Konzeption eben nicht einigen konnte. ({1}) Dies ändert nichts daran, daß die SPD nach wie vor bereit ist, sich dieser Aufgabe zu stellen. Wir tun es deshalb, weil wir davon überzeugt sind, daß es so wie bisher nicht weitergehen kann. Wir sind davon überzeugt, daß eine grundlegende Trendwende in der Verkehrspolitik ohne eine massive Stärkung der Bahn nicht gelingen kann. Wir sind davon überzeugt, daß ohne eine solche Trendwende zugunsten der Bahn weder unser Verkehrssystem noch die Menschen in diesem Land die prognostizierten Verkehrszuwächse verkraften werden. ({2}) Deshalb führt kein Weg an einer deutlichen Attraktivitätssteigerung der Bahn vorbei, damit sie zu einer wirklichen Alternative werden kann. Aber, Herr Kollege Dr. Jobst, unter Bahnreform verstehen wir mehr als nur eine Änderung der Rechtsform; denn es war nicht primär die bisherige Rechtsform der Bahn als bundeseigenes Sondervermögen, die zur Bahnmisere geführt hat, sondern es waren die Benachteiligungen beim Infrastrukturausbau und bei den Wettbewerbsbedingungen, die der Bahn nie eine echte Chance ließen. ({3}) Dabei wurde in all den Jahren die Bahn zwar mit dreistelligen Milliardensummen bezuschußt; sie hatte aber wegen dieser strukturellen Benachteiligungen gleichwohl keine Chance zur Gesundung. Schon die Plafondierung der Bundeszuschüsse führte zu Leistungseinschränkungen und damit zu immer weniger Eisenbahn und beschleunigte übrigens auch die Verschuldung der Bahn. Ich meine, wir alle, die es mit der Bahn gut meinen, sollten den Fiskalisten endlich einmal sagen: Die Volkswirtschaft subventioniert nicht die Bahn, sondern es ist gerade umgekehrt: Die Bahn subventioniert mit ihren Leistungen die Volkswirtschaft. Das darf allerdings, Herr Dr. Jobst, auch keine Begründung für den Bahnvorstand, für das Management sein, im Windschatten der politischen Untätigkeit in einen unternehmerischen Dauerschlaf zu verfallen. Denn nicht nur politisch, auch unternehmerisch gibt es bei den deutschen Bahnen viel zu tun. Das Management sollte sich also nicht davon abhalten lassen, die Reform ebenfalls in Angriff zu nehmen und nicht nur auf die politischen Entscheidungen zu starren. Zu den ungenügenden Finanzausstattungen, die ich angesprochen habe, kam eine Investitionspolitik hinzu, die beim Infrastrukturausbau einseitig den Konkurrenten Straße bevorzugte und eine Wettbewerbssituation schuf, die ebenfalls die Konkurrenten der Bahn nachhaltig besserstellte. Daraus folgt, wenn man zu dieser Analyse kommt: Die Bahnreform kann nur erfolgreich sein, wenn ihr Schwerpunkt auf der Beseitigung der strukturellen Wettbewerbsnachteile der Bahn und der Schaffung fairer wettbewerblicher Rahmenbedingungen liegt. ({4}) Deshalb war für uns Sozialdemokraten von Beginn an klar: Es gibt vorab keinen Blankoscheck für eine Grundgesetzänderung, sondern die Frage der neuen Rechtsform wird erst am Schluß der Beratungen entschieden, und zwar dann, wenn klar ist, daß eine privatrechtlich organisierte Bahn unter veränderten Bedingungen auch wirklich überleben kann. Nötig dafür ist dann ein dauerhaft tragfähiges Sanierungskonzept, und zwar muß dies Bestandteil einer grundlegenden Neuorientierung der deutschen und auch der europäischen Verkehrspolitik sein. Im Rahmen eines integrierten Gesamtverkehrskonzeptes ist dabei insbesondere der Einstieg in Konzepte zur Verkehrsvermeidung und zu einer europaweit gerechteren Anlastung der Wegekosten und der externen Kosten nach dem Verursacherprinzip, und zwar für alle Verkehrsträger, erforderlich. ({5}) Die Bahn agiert ja nicht im luftleeren Raum. Sie steht in der Konkurrenz zu einem Straßenverkehr, der nicht einmal seine vollen Wegekosten, geschweige denn seine tatsächlichen gesellschaftlichen Kosten bezahlt. Die Bahn dagegen muß auch das auf ihren Fahrweg entfallende Anlagevermögen und dessen Kosten bilanziell ausweisen. Das Ergebnis wird am Wegekostenanteil der einzelnen Verkehrsträger im Verhältnis zu ihrem Gesamtkostenblock besonders deutlich. Bei der Straße und bei Luftfahrtunternehmen beträgt dieser Wegekostenanteil zwischen 7 und 8 %. Bei der Bahn liegt er mindestens bei 38 %. Das heißt, erst die Einführung eines realistischen Kosten-Preis-Mechanismus im Verkehrswesen kann auf Dauer dazu führen, daß sich ökologisch unvertretbare Transporte auf der Straße auch betriebswirtschaftlich nicht mehr rechnen. ({6}) Erst wenn dies der Fall ist, besteht eine echte Chance, nennenswerte Verkehrsanteile auf die Schiene zu verlagern. Das Kabotageverbot für ausländische Transportunternehmen wird ja wohl nicht mehr lange zu halten sein. ({7}) Dadurch wird sich die Situation auf dem europäischen Verkehrsmarkt weiter verschärfen. Das heißt, die Bahn wird damit schon bald noch stärker in Konkurrenz zu ausländischen Lkw-Unternehmen stehen, die zu Hause wenig Steuern und hier bei uns kaum Wegekosten zahlen. Das hat mit fairen Markt- und Wettbewerbsbedingungen nichts mehr zu tun. ({8}) Das Thema steuerliche Belastungen der ausländischen Lkw entscheidet nicht nur über eine umwelt- und zukunftsgerechte Verkehrspolitik, es entscheidet nicht nur über den Bestand von 150 000 Arbeitsplätzen beim deutschen Güterkraftverkehr, sondern dieses Thema entscheidet auch über den Erfolg oder Mißerfolg der Bahnreform. Der Bundeskanzler hat in der gestrigen Regierungserklärung diesen Sachverhalt beklagt. Nur, Herr Kollege Dr. Jobst, der Bundeskanzler muß dieses Thema endlich als Chefsache begreifen und in den Mittelpunkt seiner Europapolitik stellen. ({9}) Es bringt nichts, im Bundestag die ungleichen Belastungen durch die Kfz-Steuer zu bejammern, sondern er muß endlich auf EG-Ebene handeln. Das hat er seit 1986 der deutschen Verkehrswirtschaft versprochen, aber bisher nichts dafür getan. Ich sage Ihnen: Wer die krassen Wettbewerbsverzerrungen in Europa hinnimmt, verurteilt auch die Bahnreform zum Scheitern. Deshalb ist dies ein ganz zentraler Punkt. ({10})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Sind Sie mit einer Zwischenfrage einverstanden?

Klaus Daubertshäuser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000359, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Dr. Dionys Jobst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001029, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Daubertshäuser, darf ich Ihren Ausführungen entnehmen, daß Sie es für richtig halten, langfristig auf den Autobahnen eine streckenbezogene Gebühr, aber kurzfristig eine zeitbezogene Vignette einzuführen, um diese Wettbewerbsverzerrung zu vermeiden? ({0})

Klaus Daubertshäuser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000359, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Dr. Jobst, Ihnen ist bekannt, daß die Sozialdemokraten seit 1984 eine Schwerverkehrsabgabe für den Lkw-Verkehr fordern. Wir haben vier Jahre lang bei von der Union gestellten Verkehrsministern dafür geworben. Herr Dr. Warnke hat sich sehr spät während seiner Amtszeit zu diesem Schritt bemüßigt gesehen, leider Gottes mit dem Ergebnis, das wir alle kennen. Insofern müssen Sie Sozialdemokraten von der Notwendigkeit einer europaweiten Lkw-Schwerverkehrsabgabe nicht überzeugen. Das ist seit vielen Jahren unsere Position. ({0}) Ein weiterer für mich ganz entscheidender Wettbewerbsnachteil der Bahn liegt in der bisherigen Infrastrukturpolitik. Sie wissen, daß von 1950 bis heute rund 150 000 km Straßen in Deutschland neu gebaut wurden, dagegen gerade einmal 1 000 km Schienenstrecken, wenn man die S-Bahn-Strecken hinzurechnet. Das heißt, für die Straße wurden allein auf Bundesebene - die anderen Ebenen nicht mitgezählt - neunmal soviel an Finanzmitteln zur Verfügung gestellt wie für den Schienenbau. Es hat also eine einseitige Subventionierung des Straßenverkehrs allein im Infrastrukturbereich gegeben. Der Staat selbst hat demgemäß die wirtschaftliche Existenz seiner eigenen Bahn entscheidend unterminiert und die tiefe, langanhaltende Krise der Bahn selbst ausgelöst. ({1}) Die Folge war eine umwälzende Änderung der Verkehrsmittelwahl. Kein privatrechtlich strukturiertes Eisenbahnunternehmen ist in der Lage, dagegen anzukämpfen. Es wird machtlos sein. Die Ungleichbehandlung betrifft im übrigen nicht nur die Investitionen, sondern auch die rechtliche Seite. Die Femstraßenneubaumaßnahmen, über die wir gerade beraten, werden als Gesetz beschlossen; die geplanten Investitionen im Schieneninfrastrukturbereich werden uns im Parlament bis zur Stunde nur zur Kenntnis gegeben. Ob und wie sie umgesetzt werden, bleibt in erster Linie der Bahn selbst überlassen, die sich dafür übrigens wieder auf dem Kapitalmarkt verschulden muß. Für uns ist deshalb klar: Kernpunkt der Bahnreform muß eine grundlegende Trendwende in der Infrastrukturpolitik sein. Man kann es mit einem griffigen Satz ausdrücken: Bahn sanieren, Herr Kollege Dr. Jobst, heißt Schienen bauen. So einfach ist das. ({2}) Dabei steht außer Zweifel, daß das Vorhalten einer leistungsfähigen Verkehrsinfrastruktur bei der Schiene ebenso wie bei allen übrigen Verkehrsträgern eine klassische staatliche Aufgabe der Daseinsvorsorge ist. Deshalb muß im Grundgesetz die Verantwortung des Staates für die Infrastruktur der Bahn eindeutig und unmißverständlich festgeschrieben werden. Bereits der Urvater des Wettbewerbsgedankens, Adam Smith, hat die Errichtung und den Betrieb von Verkehrswegen als eine außerhalb des Marktmechanismus stehende Staatsaufgabe bezeichnet. ({3}) Wir sind also in bester Gesellschaft. Der Staat muß deshalb wie bei allen anderen Verkehrsträgern auch bei der Bahn Eigentümer der Infrastruktur bleiben. Das schließt nicht aus, daß er mit der Pflege und dem Ausbau der Schienenwege ein privatrechtliches Unternehmen beauftragt. Deshalb haben wir im Mai letzten Jahres unser Schienenwegeausbaugesetz vorgelegt und damit den Weg vorgezeichnet, wie bei der Verkehrswegeplanung Planung und Finanzierung der Bahn mit jenen der Straße gleichgesetzt werden können. Ein weiterer zentraler Punkt ist die Zukunftssicherung des Schienenpersonennahverkehrs. Ich möchte hier dem hessischen Ministerpräsidenten Eichel, der im Namen aller Ministerpräsidenten diese Frage koordiniert, nicht vorgreifen. Ich möchte aber folgendes wenigstens klarstellen: Die SPD-Bundestagsfraktion teilt voll die Auffassung der Länder, Kreise und Kommunen, daß eine Regionalisierung zwingend die Bereitstellung ausreichender Finanzmittel, und zwar zweckgebunden, voraussetzt. ({4}) Eine kalte Regionalisierung lehnen wir ebenso wie die Länder und die Kommunen entschieden ab. Ich greife an dieser Stelle noch einmal einen Vorschlag auf, der nach meiner Auffassung die Zusammenarbeit zwischen Bahn und kommunalen Bestellern in Zukunft wesentlich erleichtern kann. Eine eigene Nahverkehrssparte der Bahn unter Einbeziehung der Bahnbusdienste garantiert einen maßgeschneiderten Nahverkehr vor Ort und stellt die notwendige organisatorische und rechnerische Trennung zwischen Fern- und Nahverkehr sicher. Ich wäre froh, wenn die Bundesregierung über diesen Vorschlag noch einmal ernsthaft nachdenken würde. Vielleicht tragen dazu auch die neuen Berechnungen des Bahnvorstands bei, wonach ein Verkauf der Bahnbusdienste Verluste von über 70 Millionen DM pro Jahr verursachen würde. Die Zusammenfassung von Schiene und Bus hingegen kann das jährliche Ergebnis der Bahn um über 130 Millionen DM verbessern. Es wäre doch wirklich absurd, der neuen Bahn Grundlagen für die Ergebnisverbesserung bereits jetzt, vor der Reform, zu entziehen. Das kann doch wohl nicht wahr sein. Meine Damen und Herren, wesentlich für einen Erfolg der Bahnreform ist ferner ein seriöses und dauerhaft tragfähiges Entschuldungskonzept. Man muß einen völlig schuldenfreien Start der Bahn AG sicherstellen und sie auch ausreichend mit Eigenkapital ausstatten. Schließlich kann die SPD einer Bahnreform nur dann zustimmen, wenn die Probleme der Personalüberleitung sozialverträglich, und zwar unter voller Wahrung der erworbenen Mitarbeiterrechte, gelöst werden. Es ist in der Tat so, wie der Kollege Dr. Jobst ausgeführt hat: Die Bediensteten der Bahn kann man wahrhaftig nicht für die Bahnmisere verantwortlich machen. Diese haben ihren Job über viele Jahrzehnte hervorragend geleistet. Die Sozialdemokraten stehen nicht zurück, den Bediensteten der Bundesbahn und der Reichsbahn dafür herzlichen Dank zu sagen. ({5}) Die Forderungen für eine erfolgreiche Bahnreform sind der Bundesregierung seit langem bekannt. Legt man diese Meßlatte an die jetzt vorgelegten Gesetzentwürfe an, so zeigt sich, daß damit, Herr Kollege Dr. Jobst, eine konsensfähige Lösung noch nicht in Sicht ist. Dem Parlament steht schwerste Arbeit bevor, wenn die Reform noch gelingen soll. ({6}) Der Gesetzentwurf, Herr Kollege Dr. Jobst, vollzieht den grundlegenden Fehler der Regierungskommission „Bahn" nach, nämlich sich einseitig auf die Umgestaltung der Organisationsstruktur der Bahn zu konzentrieren und die übrigen Rahmenbedingungen fast völlig zu vernachlässigen. Das heißt, hier wird isoliert und sektoral an einer neuen Bahngesellschaft gebastelt, die in die gleichen feindlichen Rahmenbedingungen entlassen werden soll, die der alten Staatsbahn das Genick gebrochen haben. Es gibt kein integriertes Gesamtverkehrskonzept, es fehlt jede grundgesetzliche Sicherung des staatlichen Infrastrukturauftrages, und darüber hinaus fehlt auch eine Sicherung gegen einen Verkauf der Mehrheitsanteile des Bundes an der Bahn AG. Es besteht nach wie vor zumindest rechtlich eine Möglichkeit des Bundes, aus seiner Verantwortung für die Bahn insgesamt auszusteigen. Solange der Bund Mehrheitseigentümer ist, besteht lediglich eine Förderungsverpflichtung zum Ausbau der Infrastruktur. Diese steht unter dem Vorbehalt des Bundesinteresses an neuen Maßnahmen und des Vorhandenseins ausreichender Haushaltsmittel. Das heißt, ständige Diskussionen zwischen dem Bund und der Eisenbahn über das Maß des unternehmerischen Interesses und den Grad der Kostendekkung durch Nutzungsentgelte sind damit vorprogrammiert. Beim Bau von Bundesfernstraßen und von Bundeswasserstraßen kommt es auf derartige Aspekte nicht an. Nach wie vor gibt es also keine volle rechtliche Gleichstellung zwischen Schiene und Straße. Die Schieneninfrastruktur soll einer privaten Fahrweg AG übertragen werden, während nach Art. 90 des Grundgesetzes der Bund weiterhin Eigentümer der Bundesfernstraßen bleibt. Daran ändern auch die von Minister Krause aus dem Hut gezauberten Vorschläge nichts, das Autobahnnetz zu privatisieren. Diese Vorschläge sind noch völlig unausgegoren. Insbesondere sind sie nicht annähernd zeitgleich mit dem Beginn der Bahnreform umzusetzen. Da die behaupteten Bahn-AG-Effekte erst mit einer längeren zeitlichen Verzögerung einsetzen werden, wird die Bahn gerade in einer kritischen Anfangsphase ihrer neuen Rechtsform weiterhin den bisherigen wettbewerbsverzerrenden Strukturen ausgesetzt sein. Dies kann und wird sie unternehmerisch nicht überstehen. Deshalb muß das geändert werden. ({7}) Es gibt ferner keinerlei Klarheit über die Kostenaufteilung zwischen Fahrweg AG und Betriebsgesellschaften. Die Fahrweg AG soll zinslose Darlehen des Staates in der Höhe der jährlichen Abschreibungen zurückzahlen. Dies setzt jedoch voraus, daß solche Summen überhaupt erwirtschaftet werden können; denn von der Höhe der künftigen Fahrwegabgaben hängt das Wohl und Wehe der Betriebsgesellschaften ab. Nach welchen Kriterien diese Fahrwegabgaben festgelegt werden und wie auch hier die Chancengleichheit mit den anderen Verkehrsträgern hergestellt werden soll, ist in den Gesetzentwürfen, Herr Dr. Jobst, bisher nicht geregelt. Für den Infrastrukturbereich bleibt festzuhalten, daß der künftigen Bahn ein Maximum, dem Bund als Eigner dagegen ein Minimum an Verantwortung zugewiesen wird. Das heißt, das Schienennetz wird zur Handelsware, und die Infrastrukturverantwortung des Bundes wird zur Leerformel. ({8}) Es gibt kein solides Finanzierungs- und Entschuldungskonzept. Der Bundesfinanzminister hat den Bundesverkehrsminister in die unsägliche Debatte über Pkw-Vignette und Mineralölsteuer getrieben, ohne daß bis heute klar ist, ob und wann die nötige Basis dafür in Brüssel überhaupt geschaffen werden kann. Dies geschah zum Schaden der Bahnreform und ihrer Akzeptanz in der Öffentlichkeit. Die Berechnungsgrundlagen für diese ominösen Forderungen des Bundesfinanzministers liegen weiterhin im dunkeln. Wenn die Berechnungen des Bundesverkehrsministers richtig sind, wird die Bahnreform mittelfristig nicht Geld kosten, sondern Geld sparen. Dann ist aber nicht einzusehen, warum man ausgerechnet jetzt, bei diesem Umfeld, neue Finan12888 zierungsquellen im Verkehrsbereich erschließen muß, es sei denn, Herr Waigel will die Altschulden der Bahn, die in mehr als 40 Jahren aufgelaufen sind, mit einem finanzpolitischen Urknall tilgen. Nur macht dies aus den verschiedensten Gründen wirklich keinen Sinn. Meine Damen und Herren, größte Sorgen macht mir daneben noch eine Vereinbarung des Bundesverkehrsministers mit dem Bundesfinanzminister, wonach für Fehlbeträge, die über Einnahmen aus neuen Abgabeerhöhungen hinausgehen, die Deckung durch die Deutsche Bahn AG zu erbringen ist. Damit hängt von vornherein der Pleitegeier über der neuen Bahn. Die mangelnde Klarheit und die ständig wechselnden Zahlenspielereien der Bundesregierung haben bisher nur eines erreicht, nämlich die Akzeptanz der Bahnreform bei der Bevölkerung nachhaltig zu schwächen. An die Stelle der Luftbuchungen gehört jetzt endlich ein solides Finanzierungskonzept. Wenn nicht bald klipp und klar gesagt wird, was auf Heller und Pfennig wirklich nötig ist, wird sich die Akzeptanz weiter verringern. Meine Damen und Herren, problematisch sind die Gesetzentwürfe auch im Bereich der Personalüberleitung. Wenn die Bahn nicht von inneren Streitigkeiten zerrissen werden soll, muß eine Annäherung an ein Arbeitgebermodell so weit wie möglich hergestellt werden. Hier muß insbesondere mit den Gewerkschaften über mögliche Verbesserungen nachgedacht werden. Meine Damen und Herren, das Gesetzespaket, das heute von der Koalition dem Deutschen Bundestag vorgelegt wurde, ist ein Torso, und dieser Torso spiegelt exemplarisch die innere Zerrissenheit der Bundesregierung wider. Die zentralen Probleme der Bahn werden bisher nicht gelöst. Es gibt keinen ernsthaften Einstieg in den Abbau der Wettbewerbsverzerrungen. Es besteht keine Klarheit über die Zukunft der Bahninfrastruktur. Es besteht ebenso keine Klarheit über die Bedingungen der Regionalisierung. Das Finanzierungskonzept steht auf tönernen Füßen. ({9}) Wenn das Gesetzespaket so in Kraft gesetzt wird, hat die Bahn keine Zukunft. Der Weg der Bahn zu einem bloßen Hilfsinstrument der Verkehrspolitik wäre dann unausweichlich. Ein solches Ergebnis kann und will die SPD nicht mittragen. Wir wollen eine echte Renaissance der Bahn, nicht aus Nostalgie, sondern weil wir sonst an den Folgen einer verfehlten Entwicklung der letzten 40 Jahre ersticken. Die zukunftsgerechte Gestaltung der deutschen Bahn ist für uns der entscheidende Stellschlüssel auf dem Weg zu einer modernen, an Haupt und Gliedern reformierten Verkehrspolitik. Wir werden deshalb an der Bahnreform konstruktiv mitarbeiten und sind bereit, in diesem Sinne Verantwortung zu übernehmen. ({10})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nun hat der Kollege Roland Kohn das Wort.

Roland Kohn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001168, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Gegensatz zur „guten alten Zeit" ist die Bahn heute kein Unternehmen mit Monopolcharakter mehr, sondern ein Verkehrsdienstleistungsunternehmen unter anderen, in Konkurrenz zu anderen. Deshalb muß die Bahn von einer Staatsverwaltung in ein modernes Großunternehmen umstrukturiert werden. Mit diesen Worten, meine sehr verehrten Damen und Herren, habe ich vor zehn Jahren, im September 1983, die Bahnpolitik der F.D.P. skizziert. Wenn wir heute in erster Lesung das Gesetzeswerk zur Neuordnung des Eisenbahnwesens in Deutschland einschließlich der Änderung des Grundgesetzes beraten, blicken wir in der Tat auf einen langen und steinigen Weg zurück; und wir sind noch nicht am Ende des Weges angekommen. Zwei Dinge habe ich dabei gelernt. Zum einen: Unser politisch-gesellschaftliches System läuft Gefahr, immer mehr die Kraft zur inneren Reform zu verlieren. Zum anderen: Der größte Kostenfaktor in der Demokratie ist die Zeit. Der erste Verkehrsminister, mit dem ich es hier in Bonn zu tun hatte, sagte mir einmal: Herr Kohn, Sie können mit mir über alles reden; aber tasten wir, um Gottes willen, bloß das Bahngesetz nicht an! - Es ist deshalb mehr als koalitionspolitische Höflichkeit, wenn ich heute Ihnen, Herr Minister Krause, bei allem, was uns parteipolitisch trennt, ausdrücklich dafür danke, daß Sie das Drängen der Liberalen auf eine fundamentale Reform der Bahn zu Ihrer Sache gemacht haben. ({0}) Wir, die Freien Demokraten, haben ein großes Ziel. Wir wollen die soziale Marktwirtschaft zu einer sozialen und ökologischen Marktwirtschaft fortentwikkeln. ({1}) Gerade in gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umbruchphasen braucht ein Gemeinwesen Reformperspektiven. Deshalb ist es richtig, marktwirtschaftliche Instrumente ökologischer Umsteuerung in unsere Wirtschaftsordnung einzubauen. In diese Perspektive ist deshalb die Verkehrspolitik der Liberalen eingebettet. Im Interesse der Umwelt und einer leistungsfähigen Verkehrsinfrastruktur muß mit marktwirtschaftlichen Mitteln erreicht werden, daß die Verkehrsträger miteinander vernetzt werden und auf Grund fairer Wettbewerbsbedingungen ihre systemspezifischen Stärken am Verkehrsmarkt zur Geltung bringen können. Vor allem jedoch müssen die einzelnen Verkehrsträger mit den Folgekosten belastet werden, die sie verursachen - also Internalisierung externer Kosten -, und das gilt vor allem für die von ihnen verursachte Umweltbelastung. ({2}) Zwischen 1965 und 1990 ist die Umweltbelastung durch den Straßenverkehr erheblich gestiegen. ({3}) Die Anteile an der Gesamtbelastung stiegen beispielsweise bei Kohlenmonoxid von 49 % auf über 72 %, bei Stickoxiden von 30,9 % auf 62,2 %, bei organischen Verbindungen von 29,3 % auf 48,2 % und bei Staub von 1,8 % auf 21 %. Damit es ganz klar ist: Es geht hier nicht um die Ablehnung des Straßenindividualverkehrs. Auch in Zukunft wird und muß das Auto eine unverzichtbare Rolle im Kreis der Verkehrsmittel spielen. Das gilt natürlich insbesondere für das flache Land. Aber wir müssen dennoch die Auswirkungen der Verkehrsmittel auf die Umwelt realistisch analysieren. Die wirtschaftlichen Wachstumsprozesse aus der Verwirklichung des gemeinsamen Binnenmarktes der Europäischen Gemeinschaft, aus der hoffentlich auch weiterhin marktwirtschaftlichen Politik der Reformstaaten Mittel- und Osteuropas sowie aus dem Aufbau in den neuen Bundesländern führen mittel- und langfristig zu einem erheblichen Wachstum des Verkehrsaufkommens. Angesichts der Konsequenzen für Wirtschaft und Umwelt ist, wie ich denke, eine Wende in der Verkehrspolitik Europas überfällig. Wir müssen uns die Frage vorlegen, ob die Dimensionen des Verkehrswachstums schicksalhaft und unabänderlich über uns hereinbrechen oder ob nicht zumindest eine teilweise Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Verkehrswachstum möglich ist. Neben diesen quantitativen Gesichtspunkten wird in Zukunft aber auch die qualitative Seite des Verkehrsproblems gleichberechtigt zu berücksichtigen sein. Priorität kommt in diesem Zusammenhang den ökologischen Auswirkungen des Verkehrs zu. Die erfreulich gesteigerte Sensibilität der Menschen für die Belange des Umweltschutzes zwingt alle verkehrspolitischen Entscheidungsträger dazu, ökologisch überzeugende Strategien für die Bewältigung des Verkehrswachstums auszuarbeiten. ({4}) Ich bin zutiefst überzeugt: Wir werden nur noch dann die Akzeptanz der Bürger für die Verkehrspolitik aller politischen Ebenen erringen, wenn wir glaubhaft nachweisen können, daß wir die Möglichkeiten zu ökologisch verträglichem Handeln vollständig ausgeschöpft haben. ({5}) Um den Verkehrsinfarkt in Europa mit seinen negativen volkswirtschaftlichen und ökologischen Konsequenzen zu barmen, muß sich die Verkehrspolitik von einem Prinzip leiten lassen: Es bedarf der Kooperation der Verkehrsträger, bei der sie ihre systemspezifischen Stärken einbringen können. Auf dem Verkehrsmarkt ist künftig ein Miteinander, kein Gegeneinander angesagt. ({6})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Kollege Kohn, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Müller erlauben?

Roland Kohn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001168, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Mit großem Vergnügen.

Albrecht Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001543, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, ich wäre Ihnen auch mit großem Vergnügen dankbar, wenn Sie mir sagen könnten, wo diese von Ihnen mit Recht geforderten ökologisch verträglichen Linien in Ihren Vorstellungen zur Bahnreform sichtbar werden.

Roland Kohn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001168, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, Sie brauchen nur noch die restlichen zwölf Minuten meiner Redezeit zuzuhören, dann werden sie exakt die Antwort auf Ihre Frage bekommen. ({0}) Wir sagen, es ist ein Miteinander, kein Gegeneinander der Verkehrsmittel angesagt. Natürlich wissen wir, daß es auch in Zukunft einen Wettbewerb der Verkehrsträger geben wird. Aber wenn es nicht gelingt, effiziente verkehrsträgerübergreifende Konzepte zur Lösung von Transportproblemen anzubieten und zu entwickeln, dann werden wir alle, wird diese Gesellschaft zu den Verlierern gehören. Welche Rolle kommt der Bahn zu? Es ist unstrittig, daß die Deutsche Bundesbahn und die Deutsche Reichsbahn auch heute eine wichtige Rolle in unserem Verkehrswesen spielen und daß aus Gründen des Umweltschutzes, des rationellen Energieeinsatzes, der Verkehrssicherheit, aber auch aus Gründen der rationalen Nutzung der einzelnen Verkehrsträger diese Rolle der Bahn in Zukunft wieder größer werden muß. Unstrittig ist auch, daß die Bahn für unsere gesamte Volkswirtschaft unverzichtbar ist, auch als bedeutender Wirtschaftsfaktor. Ich will in diesem Zusammenhang darauf hinweisen - und ich tue das auch in Gegenwart des Vorstandes von Bundesbahn und Reichsbahn -, daß ich mir eine Verstetigung der Nachfragepolitik der Bahn wünsche, insbesondere auch was das rollende Material anbelangt; denn wir sollten die leistungsfähige deutsche Eisenbahnindustrie nicht vor die Hunde gehen lassen. Die deutsche Industrie hat für den Einsatz auf den Schnellbahnstrecken Fahrzeuge entwickelt, deren Qualität keinen Vergleich zu scheuen braucht. Der Unfall vom gestrigen Tage ist kein Widerspruch hierzu. Wir wissen inzwischen, daß es sich nicht um ein Problem des Fahrzeuges, sondern um eine falsch gestellte Weiche handelte. Ich betone diese Leistungsfähigkeit der deutschen Eisenbahnindustrie nachdrücklich, weil von interessierter Seite immer wieder behauptet wird, es gebe in Europa nur Platz für ein einziges Hochgeschwindigkeitssystem, notabene das französische. Ich bekunde meinen Respekt für den TGV, aber als Liberaler glaube ich auch hierbei an die wohltätige Kraft des Wettbewerbs. Die Chancen für eine grundlegende Reform und Sanierung der deutschen Bahnen stehen auch dank des Engagements der Liberalen so günstig wie nie zuvor. Wird jetzt die Chance nicht ergriffen, wird der Gesamtschuldenstand der beiden deutschen Bahnen bis zu 500 Milliarden DM im Jahre 2000 aufwachsen, werden ihre Verkehrsmarktanteile weiter dramatisch schrumpfen und wird die verkehrsbedingte Umweltbelastung erheblich zunehmen. Im Kern also geht es um die Frage, welche Eisenbahn wir im Jahr 2000 brauchen, wie diese Eisenbahn arbeiten soll und was diese Bahn kosten darf. Beantworten muß diese Frage unsere Gesellschaft insgesamt. Der Marktanteil der DB im Güterfernverkehr ist zwischen 1965 und 1990 von 40 % auf knapp 25 gefallen, im Personenverkehr von 11,2 auf 6,2 %. Während das Bundesfernstraßennetz in den letzten Jahrzehnten massiv ausgebaut wurde, und zwar völlig unabhängig davon, wer gerade in Bonn regiert hat, fährt die Bahn bis heute im wesentlichen auf einem Schienennetz, das im 19. Jahrhundert konzipiert und gebaut worden ist, wenn man einmal von den wenigen Kilometern Neubaustrecken absieht, die inzwischen für den Hochgeschwindigkeitsverkehr zur Verfügung stehen. Wie sehr in der Vergangenheit in der Bundesrepublik die Bahn benachteiligt wurde, erkennen Sie daran, daß zwischen 1965 und 1990 die Streckenlänge der Bahn von 30 400 km auf 26 900 km geschrumpft ist, während sich beispielsweise die Streckenlänge der Bundesautobahnen verdreifacht hat. Das Wachstum im Bestand der Pkw und Lkw brauche ich hier nicht vorzutragen; das ist bekannt. Erst Anfang der 90er Jahre brachte die Inbetriebnahme der Neubaustrecken der Bahn eine Anpassung an die nach 1945 veränderten Verkehrsströme der alten Bundesrepublik in Nord-Süd-Richtung. Im vereinten Deutschland und im Zusammenhang mit dem Zerfall des Eisernen Vorhangs müssen auch die klassischen Ost-West-Linien mit Vorrang wiederhergestellt werden. ({1}) Worin liegen die Ursachen der Bahnmisere? Ich weise hin auf den Rückgang der klassischen Massenguttransporte, auf den wachsenden Anteil sogenannter Kaufmannsgüter am Transportaufkommen und auf die verringerte Lagerhaltung der Unternehmen mit den sich darauf ergebenden tiefgreifenden Konsequenzen für die Anforderungen an den Transporteur. Außerdem hat ein massiver Umbau unserer Gesellschaft einschließlich ihrer Siedlungsstrukturen hin zu mehr individueller Mobilität stattgefunden. ({2}) Mit diesen dramatischen Veränderungen konnte die von der Politik vernachlässigte Staatsbahn nicht mithalten. Die finanziellen Konsequenzen daraus: Vor dem beschriebenen Hintergrund wird sich das Defizit der beiden Bahnen 1993 auf rund 14,5 Milliarden DM bei einem Schuldenstand von rund 70 Milliarden DM erhöhen. Schon im Jahre 1996 hätten die beiden Bahnen bei Verkehrserträgen von rund 24 Milliarden DM Finanzschulden in Höhe von 124 Milliarden DM und müßten ca. 10 Milliarden DM Zinsen zahlen - und dies trotz der vom Kollegen Jobst mit Recht angesprochenen gewaltigen Anstrengungen der Eisenbahner in diesem Lande. Verschärft wird diese Lage noch durch die gegenwärtig dramatischen Einbrüche bei den Umsatzerlösen im Güterbereich. Ursache hierfür sind die rezessiven Tendenzen, beispielsweise ein Rückgang der Rohstahlproduktion um rund 25 % im letzten Quartal 1992, aber auch der verschärfte Wettbewerb durch weitgehende Auflösung der bisherigen Verkehrsmarktordnung sowie die Überkapazitäten beim Straßengüterverkehr. Deshalb ist es jetzt „höchste Eisenbahn" für entschiedenes politisches Handeln. Das liegt im Interesse der 400 000 Eisenbahner, im Interesse der Umwelt, übrigens auch im Interesse der 23 Millionen Bürger, die tagtäglich mit Bus und Bahn unterwegs sind, aber natürlich auch im Interesse der Steuerzahler; denn die von uns vorgeschlagene Reform wird den unter Status-quo-Bedingungen bis zum Jahre 2002 entstehenden Finanzbedarf beider Sondervermögen von rund 510 Milliarden DM und rund 105 Milliarden DM reduzieren. Worum geht es uns Liberalen bei der großen Bahnstrukturreform? Ziel ist die Fortentwicklung der Bahn zu einem modernen Verkehrsdienstleistungsunternehmen. Dies erfordert die tatsächliche Trennung von Fahrweg und Betrieb. Das bedeutet die privatrechtliche Organisation des Fahrweges im Bundesbesitz als Aufgabe staatlicher Daseins- und Zukunftsvorsorge und den Betrieb in getrennten Aktiengesellschaften für den Güter- und Personenverkehr, in einer Übergangszeit im Bundesbesitz. Es bedeutet Öffnung des Fahrweges für Dritte einschließlich Privater und damit ein Stück Wettbewerb auf der Schiene. Es bedeutet Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs bei entsprechender Finanzausstattung von Ländern und Regionen. Gemeinwirtschaftliche Leistungen müssen nach dem Prinzip der speziellen Entgeltlichkeit von den öffentlichen Händen finanziert und bezahlt werden, die sie bestellt haben. ({3}) Lassen Sie mich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich die Haltung der Liberalen untermauern: Wir wollen auch die Privatisierung der Bahnbusgesellschaften. Wir halten es nicht für akzeptabel, Gesellschaften, die im Bundesbesitz sind, in diesem Bereich, wo es Private gibt, die leistungsfähiger und kostengünstiger arbeiten könnten, den Weg zu einer solchen echten Privatisierung zu verstellen. ({4}) - Ich freue mich an dieser Stelle ganz besonders über den Beifall auch aus der Fraktion der CDU/CSU. Meine Damen und Herren, der Bund wird die Schulden der Staatsbahnen sowie die überhöhten Versorgungslasten und Zusatzkosten, die auf dem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis beruhen, übernehmen. Die Bahn AG kann dann endlich unternehmerisch und marktorientiert arbeiten. Die Trennung in Reichsbahn und Bundesbahn wird der Vergangenheit angehören. Für die Mitarbeiter der Bahn - das ist mir besonders wichtig - wird es durch die umfassende Neuordnung des Eisenbahnwesens, was Status, Besoldung und Aufstiegschancen angeht, keine SchlechterstelRoland Kohn lung geben; dafür wird es endlich überzeugende Anreize für die Leistungsträger auf allen Ebenen des Unternehmens geben können. Für uns Liberale bleibt es dabei: Wir wollen, daß sich die Bahnen am Verkehrsmarkt durch die Qualität ihrer Produkte, ihrer Angebote, ihrer Dienstleistungen behaupten können. Voraussetzung dafür ist, daß sich die Bahnen auf ihre systembedingten Stärken konzentrieren. Die politische Einflußnahme auf das Unternehmen ist dann weg. Das Management ist dann aber auch wirklich verantwortlich für Erfolg oder Mißerfolg des Unternehmens; Ausreden gibt es dann nicht mehr. Hätten wir diese von der F.D.P. vertretene Linie schon früher durchgesetzt, wir hätten der Bahn größere Anteile am Verkehrsmarkt erhalten können, und wir hätten dem Steuerzahler einige Milliarden ersparen können. Aber wie Karl Rahner, der große Theologe, einmal gesagt hat: Die unbequemste Art der Fortbewegung ist das In-sich-Gehen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der jetzt beginnenden parlamentarischen Beratung werden wir uns mit einer Reihe von Fragen noch beschäftigen müssen; u. a. geht es um die Tarif- und Beförderungspflicht und deren Abschaffung, um die Entrümpelung der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung und vergleichbare Regelungen, um die Problematik der Finanzierung der Altlasten und eine Reihe von anderen Themen. Eines aber muß klar sein: Die große Bahnstrukturreform, Herr Kollege Müller - auch wenn Sie gerade telefonieren, spreche ich Sie an -, wird nur dann gelingen, wenn die Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten der Bahn schrittweise abgebaut werden. Ich denke dabei u. a. an die Ersetzung der Kilometerpauschale durch eine allgemeine Verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale, an die stufenweise Erhöhung der Mineralölsteuer, und zwar im Sinne ökologischer Lenkung, sowie an die Einführung einer Schwerverkehrsabgabe. Grundsätzlich tritt die F.D.P. dafür ein, daß die freie Wahl des Verkehrsmittels und der Zugang zum Verkehrsmarkt ohne Diskriminierung in ganz Europa verwirklicht werden. Deshalb ist ein einheitlicher europäischer Rahmen für den Wettbewerb vordringlich. Die Liberalisierung des europäischen Verkehrsmarkts aber muß Hand in Hand mit der Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen erfolgen, und - ich sage dies ganz deutlich - die EG darf nicht länger einseitig auf den Straßengüterverkehr setzen. Ich denke, wir müssen drei Dinge tun: Wir müssen marktwirtschaftliche Rahmenbedingungen für den Verkehr in ganz Europa herstellen, um vorhandene Wettbewerbsverzerrungen abzubauen - dies gilt im zwischenstaatlichen Bereich ebenso wie im Verhältnis der Verkehrsträger zueinander -, wir müssen eine optimale Verknüpfung der einzelnen Verkehrsträger durch strategischen Ausbau von Schnittstellen erreichen, und wir müssen zu einer umweltschonenden und intelligenten Nutzung und Erweiterung der Kapazitäten der Verkehrsträger kommen, um möglichst wenig Landverbrauch zu verursachen. Die Schiene, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist ebenso wie die Wasserstraße ein eher umweltfreundlicher Verkehrsträger. Deshalb wollen wir Liberalen, daß der Anteil des Schienenverkehrs am Verkehrsmarkt durch bessere Dienstleistungen und attraktivere Angebote wachsen kann. Ich bin kein Ideologe, deshalb glaube ich nicht daran, daß die Menschheit besser ist als der Mensch, aber ich glaube daran, daß viele Menschen der Bahn eine Chance geben wollen, weil sie sich an das Motto halten: Vorfahrt für Vernunft. ({5})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nun spricht Frau Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie eine Bemerkung vorweg. Politiker und Journalisten gleichermaßen waren in den letzten Monaten mit zahlreichen Affären beschäftigt, Amigo-, Briefbogen-, Schubladenaffäre usw. usf., ({0}) nun noch die Putzfrauenaffäre des Ministers Krause. Nicht wenige forderten seinen Rücktritt. ({1}) - Ich habe zehn Minuten zu reden. - Warum eigentlich? Er hat doch im Grunde nichts anderes getan als das, was gestern hier bei der Debatte um den Solidarpakt mit großer Mehrheit beschlossen wurde: ({2}) dem kleinen Steuerzahler in die Tasche zu greifen. Wenn das zum Rücktritt führte, müßten hier viele gehen. Nein, Minister Krause ist untragbar wegen seiner verfehlten Verkehrspolitik der absoluten Priorität der Straße, der dramatischen Steigerung des gesamten Verkehrsaufkommens und des damit verbundenen drastischen Anwachsens des Schadstoffausstoßes. ({3}) - Kollege Jobst, man kann es sicher auch als Schicksal hinnehmen, aber ich denke, hier ist vor allen Dingen die Verkehrspolitik die Ursache. ({4}) Nun soll es der Bahn an den Kragen. Es ist ganz gut, ab und zu einmal in historischen Dokumenten zu graben. ({5}) In einem wird u. a. formuliert: Der Bund trägt für den Ausbau der umweltfreundlichen Eisenbahn eine besondere Verantwortung. Nein, nein, das ist keine Forderung des BUND oder des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs, es ist nachzulesen in der Koalitionsvereinbarung der 12., also der jetzt laufenden Legislaturperiode. Wie weit aber klaffen Anspruch und Realität auseinander? Mit den hier vorliegenden Gesetzentwürfen zur Änderung des Grundgesetzes und zur Neuordnung des Eisenbahnwesens stiehlt sich der Bund aus der Verantwortung für die Bahn und überläßt ihre weitere Entwicklung marktwirtschaftlichen Zufällen, und da bleibt dann nicht allzu viel von Wohltätigkeit, Herr Kollege Kohn. Mit Art. 87 Abs. 1 des Grundgesetzes haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes im Interesse des Gemeinwohls dem Bund die Verantwortung über verschiedene Einrichtungen übertragen. Die Eigenverantwortlichkeit des Bundes und die unmittelbare Verantwortung gegenüber dem Bundestag bei den Eisenbahnen wurde also als wesentliche Garantie einer Verkehrsabsicherung für alle Bürgerinnen und Bürger betrachtet. Diese Bindung an das Gemeinwohl wird mit der jetzt geplanten Ande-rung des Grundgesetzes faktisch aufgehoben, ja, mit dem neuen Art. 87e des Grundgesetzes wird dem Bund sogar die Möglichkeit gegeben, sein Alleineigentum bzw. seine Mehrheitsbeteiligung aufzugeben, um sich damit jeglicher finanzieller Verpflichtung zu entledigen. Diesem scheibchenweisen Verhökern der Bahn muß ein Riegel vorgeschoben werden. Der Bund darf nicht aus seiner Daseinsvorsorge im Schienenverkehrssystem entlassen werden. Dazu muß im Grundgesetz ein Infrastrukturauftrag fest verankert werden; ich stimme dem Kollegen Daubertshäuser hier ausdrücklich zu. Als verhängnisvoll erweist sich unseres Erachtens auch die Entscheidung, drei Jahre nach Gründung der Deutschen Bahn AG die Bereiche Personenverkehr, Güterverkehr und Fahrweg als drei unabhängige Aktiengesellschaften unter einheitlicher Leitung der Bahn AG aufzugliedern und fünf Jahre danach die einheitliche Leitung zu kappen, so daß völlig unabhängige Aktiengesellschaften entstehen. Eine solche unternehmerische Trennung ist verkehrspolitischer Unfug. Eisenbahn und Fahrweg sind nun einmal siamesische Zwillinge; das eine kann ohne das andere nicht leben. Hinzu kommt, daß schon heute auszurechnen ist, daß eine selbständige Fahrweg AG nicht in der Lage sein kann, die Gesamtkosten zu erwirtschaften. Die Folge wäre, daß nach und nach Teile des Streckennetzes aufgegeben werden müssen. Meine Damen und Herren, ich betone nochmals: Auch wir halten eine Reform der Bahn für dringend erforderlich. Das setzt aber eine eindeutige Klärung der Frage nach den Altschulden voraus. Sie dürfen nicht einmal teilweise an die neue Aktiengesellschaft übertragen werden, wenn man unsoziale, drastische Bahntariferhöhungen vermeiden will. Nun fragen Sie, woher das Geld kommen soll. Nichts einfacher als das! Man hätte verhindern sollen, daß Finanzminister Waigel seine gierigen Finger sofort nach der Vereinigung nach den Immobilien der Reichsbahn ausstreckt und sie für sich vereinnahmt. Eine Aktiengesellschaft, die auf drei Säulen basiert - Bundesbahn, Reichsbahn und Immobilienfonds der ehemaligen Reichsbahn - hätte auf alle Fälle günstigere finanzielle Startbedingungen gehabt. Mehrfach hat die PDS/Linke Liste hier eingefordert, den Bahnen faire Wettbewerbsbedingungen einzuräumen. Es ist eine Tatsache: Solange das Verursacherprinzip im Verkehr politisch nicht gewollt wird, solange man vor einer Kostenwahrheit die Augen und Ohren verschließt, wird staatlicherseits schlicht und ergreifend eine Politik pro Straße betrieben. Es wird sich der Trend fortsetzen, daß im Schienengüterverkehr die Verkehrsleistungen weiter deutlich zurückgehen. So weisen diese Leistungen der Bahn allein in den letzten zwei Jahren einen Rückgang um 24 % im Osten und um 14 % im Westen auf. Ausgehend von den tatsächlichen volkswirtschaftlichen und ökologischen Kosten ergibt sich, so berechnete 1991 das Heidelberger Umwelt- und Prognoseinstitut, ein jährliches Haushaltsdefizit in Höhe von 205 Milliarden DM. Diese Kosten werden von der Allgemeinheit getragen; sie bezuschußt jedes Auto jährlich mit 6 000 DM. Um es etwas plastisch zu machen: Mit eben diesem Geld könnte allen, die auf ein Auto verzichten, eine Jahreskarte für den öffentlichen Nahverkehr, alle fünf Jahre ein Fahrrad und zusätzlich jedes Jahr rund 15 000 km Bahnfahrt 1. Klasse zur Verfügung gestellt werden. Das wäre eine Alternative. Die Bahnreform muß also in ein Gesamtverkehrskonzept eingebettet werden, von dem die Bundesregierung zwar immer redet, das aber so geheim sein muß, daß es niemand kennt. Sie muß in ein Gesamtverkehrskonzept eingeordnet werden, das die Rolle der einzelnen Verkehrsträger, orientiert an ihre Umwelt- und Sozialverträglichkeit, festlegt, und zwar ergänzend und nicht konkurrierend, und das die ökologisch verträglicheren Verkehrsmittel eindeutig bevorzugt. Daß dies möglich ist und funktioniert, beweist die Bahnpolitik der Schweiz. Die Bahn in diesem Land hat mittels einer Angebotsoffensive enorme Zuwachsraten im Personen- wie im Güterverkehr zu verzeichnen und erfreut sich einer großen Akzeptanz in der Bevölkerung. Dort ist in deri letzten Jahren viel getan worden, um die Bahn auch technologisch voranzubringen. Gerade hier gibt es großen Nachholbedarf. Warum aber werden dann die Reichsbahnausbesserungswerke in den neuen Bundesländern dichtgemacht, die, wie z. B. in Stendal, über ein gut qualifiziertes Personal verfügen, das in der Lage ist, moderne Schienentechnik nicht nur zu warten, sondern auch zu entwickeln? Hier wird wertvolles Potential vergeudet, und Chancen für die Zukunft einer auf der Höhe der Zeit stehenden Bahn werden verspielt. Meine Damen und Herren, in der Bundesrepublik sind gegenwärtig rund 380 000 Eisenbahnerinnen und Eisenbahner von der bevorstehenden Reform betroffen. Nun kommt es darauf an, daß die Bundesregierung die gemachten Zusagen zum Besitzstandsschutz für Tarifverträge und Sonderregelungen einhält. Wiederholt wurde beispielsweise von Minister Krause und Bahnchef Dürr zugesichert, daß es keine Entlassungen geben werde. Welche Garantien gibt es außer diesen verbalen Versprechungen? Der japanische Ministerpräsident hatte übrigens auch versprochen, daß im Zuge der Bahnprivatisierung kein Eisenbahner entlassen wird. 274 000 verloren ihren Arbeitsplatz. Ehrlich gestanden, große Bauchschmerzen habe ich bei Ihren Erklärungen, Herr Minister, daß jeder Eisenbahner und jede Eisenbahnerin einen Arbeitsplatz erhält. Heißt das, daß derjenige, der z. B. heute auf dem Stellwerk in Börgerende arbeitet, möglicherweise künftig in Lörrach als Rangierer beschäftigt wird? Ein klares Wort dazu, daß jedermann nicht nur irgendeinen Arbeitsplatz erhält, sondern einen Arbeitsplatz, der für den Beschäftigten und seine Familie gleichermaßen zumutbar ist, steht nach wie vor aus. Meine Damen und Herren, mehr als unglücklich ist wohl die Verknüpfung von Bahnreform und Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs. Um es klar zu sagen: Wir begrüßen die Regionalisierung, schafft sie doch die Voraussetzung dafür, daß Kommunen und Länder in stärkerem Maße Einfluß auf die Verkehrsentwicklung in ihren Regionen nehmen können. Dazu darf Ihnen aber weder der finanzielle Bremsklotz angehängt noch die letztendliche Entscheidungsbefugnis genommen werden. Ausreichende Ausgleichszahlungen des Bundes an die Länder unter Festlegung ihrer Zweckbindung für den Schienenpersonennahverkehr sind wesentliche Bedingungen dafür, ein leistungsfähiges Nahverkehrssystem zu erhalten bzw. auszubauen. Werden diese Bedingungen nicht erfüllt, droht - das dürfte jedem hier klar sein - angesichts der mehr als kritischen Haushaltslage der Länder und Kommunen eine Massenstillegung sogenannter unrentabler Strecken, die vor allem kleinere Ortschaften miteinander verbinden.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Frau Kollegin Enkelmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Friedrich?

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ja, gerne.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Bitte.

Horst Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000593, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, sind Sie mit mir der Meinung, daß für ein Funktionieren eines ÖPNV vor Ort nicht nur die Finanzausstattung notwendig ist, sondern auch und vor allem zunächst ein grundlegendes Konzept, und daß dieses Konzept, bevor die Finanzmittel eingefordert werden, von den Verantwortlichen vor Ort vorgelegt werden muß?

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich denke, dieses Konzept kann nicht kommen, wenn nicht klar ist, wie die finanzielle Situation der Länder und Kommunen aussieht. Anders ist ein Konzept durch die Länder nicht zu erstellen. ({0}) Das dürfte Ihnen klar sein. Ich fahre fort: Hier ist bereits etwas zur Finanzierung gesagt worden. Sowohl im Solidarpakt als auch aus allem, was hier vorher diskutiert worden ist, auch in den Gesetzentwürfen, die hier vorliegen, wird ersichtlich, daß es kein Finanzierungskonzept gibt. Nun meint mancher hier, daß Eisenbahnverkehr in der Fläche ohnehin unrentabel sei, sich nicht lohne. Vielleicht trifft das auf die alten Bundesländer mit ihren zersiedelten Strukturen zu, aber auch das wage ich zu bezweifeln. In den neuen Bundesländern sind die Bedingungen aber tatsächlich andere. Hier pendeln täglich Tausende in Zügen der Reichsbahn z. B. aus Groß Schönebeck, Nauen, Werder, Zossen usw. nach Berlin zur Arbeit. Erklären Sie denen mal, daß Sie auf ihre Strecken verzichten können. Meine Damen und Herren, das, was uns hier so großartig als ein Konzept für eine Bahnreform vorgelegt wurde, ist so unausgegoren wie Kefir. Nun scheinen mir fast alle Messen schon gesungen. Deshalb meine Bitte vor allem an die Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion: Sie haben die Chance, wenigstens noch einige Forderungen durchzusetzen, insbesondere diejenigen, die von den Gewerkschaften kommen. Setzen Sie sich dafür ein, daß die Interessen der Beschäftigten der Bahn, insbesondere der Besitzstand, gesichert werden. Setzen Sie sich dafür ein, daß die Beschäftigten der Deutschen Reichsbahn nicht benachteiligt werden. Eine politische Regelung für die bisher fehlende Gesamtversorgung der Reichsbahnerinnen und Reichsbahner steht nach wie vor aus. Es gibt keinen Stufenplan für eine Tarifangleichung auf 100 % der Westtarife. Es fehlen immer noch Festlegungen zur Altersversorgung, die denen der Bundesbahnerinnen und Bundesbahner entsprechen. Setzen Sie sich für eine paritätische Besetzung des Aufsichtsrates nach dem Montanmitbestimmungsmodell ein. Setzen Sie hier im Bundestag wirkliche Bahnakzente: „Gut reisen mit der Bahn - Unternehmen Zukunft". Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Das Wort hat nun der Ministerpräsident des Landes Hessen, Hans Eichel. Ministerpräsident Hans Eichel ({0}): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst bitte ich um Entschuldigung, aber es war schon symptomatisch, daß ich den falschen, nämlich den kürzesten Weg zum Bundesverkehrsminister gewählt habe. Bei allem, was ich kritisch anzumerken habe: Das Gesprächsklima zwischen der Bundesregierung, präzise: zwischen dem Bundesverkehrsminister und den Ländern in dieser Frage ist gut. Das ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, daß wir in der Sache zusammenfinden. ({1}) Ministerpräsident Hans Eichel ({2}) Daß ich nachher leider sehr schnell weg muß, ist - das sage ich ausdrücklich - keine Mißachtung. Ich bedauere dies; es hängt mit der Terminplanung, die ursprünglich ein bißchen anders gewesen ist, zusammen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, unabhängig von der grundsätzlichen Bewertung der vorliegenden Gesetzentwürfe kann ernstlich nicht bestritten werden, daß die Strukturreform der deutschen Bahnen zu den wichtigsten Gesetzgebungsvorhaben dieser Legislaturperiode gehört. Es handelt sich keineswegs allein um eine Strukturreform von Unternehmen, die schon wegen ihrer Größe und der Zahl der bei ihnen Beschäftigten zu den größten Unternehmen der Bundesrepublik Deutschland gehören. Vielmehr ist ohne ein leistungsfähiges Bahnsystem eine ökologisch verantwortbare Verkehrspolitik undenkbar. Die Strukturreform der Bahn - das ist übrigens in allen Reden als Allgemeingut anerkannt worden; das freut einen dann auch - muß daher in ein verkehrspolitisches Konzept eingebunden werden, ({3}) das über ein bloßes Unternehmens- und Strukturkonzept weit hinausgeht. Die ökologischen, raumplanerischen und städtebaulichen Grenzen der bisherigen Verkehrspolitik mit ihrer einseitigen Bevorzugung der Straße gegenüber der Schiene - auch Sie, Herr Kohn, haben das eben mit Zahlen unterlegt und beklagt - werden zunehmend sichtbar. Ein Umsteuern in der Verkehrspolitik ist nur möglich, wenn die Bahnen so leistungsfähig sind, daß sie dem steigenden und unabweisbaren Mobilitätserfordernis im europäischen Binnenmarkt gewachsen sind. Neue Strukturkonzepte müssen daher entwickelt werden. Sie bedürfen eines breiten politisch-parlamentarischen Konsenses - dieses keineswegs nur deswegen, weil sie mit einer Änderung des Grundgesetzes verbunden sind; vielmehr können strukturpolitische Konzepte dieser Größenordnung nicht in den kurzen Abständen von Legislaturperioden geändert, sondern müssen auf Dauer angelegt werden, um überhaupt praktische Erfolge zu erzielen. ({4}) Zum anderen ist die Verkehrspolitik keinesfalls ausschließlich Sache des Bundes. Auch die Länder haben in diesem Bereich wesentliche verkehrspolitische Interessen und können erwarten, daß diese angemessen berücksichtigt werden. Ich bedauere - nun komme ich zu den kritischen Bemerkungen, die nichts von dem zurücknehmen, was ich eingangs gesagt habe -, daß die Bundesregierung die Interessen der Lander nicht bereits in den Verfahren der Vorbereitung der vorliegenden Gesetzentwürfe berücksichtigt hat. ({5}) Zwischen dem Bundeskanzler und den Regierungschefs der Länder - ich sage das auch ein wenig selbstkritisch; das werden Sie gleich merken - wurde in einer gemeinsamen Beratung am 17. Dezember vergangenen Jahres endlich die Bildung einer Arbeitsgruppe beschlossen, nachdem die Länder zuvor schon mehrfach nachdrücklich auf ihre Interessen in diesem Zusammenhang hingewiesen hatten. Durch diese Arbeitsgruppe hätten die Lander ihre Interessen bei der Reform der Bahnen angemessen zur Geltung bringen können. Ich sage aber selbstkritisch: Auch wir hätten auf die Arbeitsgruppe schon früher nachdrücklicher drängen können. Bevor aber die Arbeitsgruppe zum erstenmal zusammentrat, hatte das Bundeskabinett - dies allerdings hat uns Herr Minister Krause vorher gesagt, ist also insofern kein Vorwurf - die Bahngesetzentwürfe des Bundesverkehrsministers bereits verabschiedet und in die parlamentarische Beratung eingebracht. Dieses Verfahren hat der Sache, um die es geht, denke ich, nicht genutzt. Jedenfalls besteht die Gefahr, daß dieses Verfahren Zeit kostet. Dies war aber aus unserer Sicht nicht der einzige Fehler, der schon im Verfahren begangen wurde. Vielmehr besteht die Gefahr, daß durch die parallelen Gesetzesberatungen im Bundesrat und im Deutschen Bundestag den Abgeordneten des Bundestages kaum Zeit zur Verfügung steht, das Vorbringen der Länder im Bundesrat ausreichend zu prüfen. ({6}) - Wir werden es im Ergebnis sehen. Aber ich sage ausdrücklich: Bei einem so schwerwiegenden Gesetzgebungsverfahren, das wir hier haben, einen so abgekürzten Weg zu wählen, halte ich für problematisch. Aus gutem Grund schaltet das Grundgesetz den Gesetzgebungsberatungen im Bundestag die Stellungnahme des Bundesrates zu einer Vorlage der Bundesregierung regelmäßig vor. Der Deutsche Bundestag wäre gut beraten, sich mit der Auffassung der Lander zur Bahnstrukturreform frühzeitig auseinanderzusetzen, um zu verhindern, daß die im Verfahren getroffenen Fehlentscheidungen zu einem Scheitern der Bahnreform führen. Durch die von der Bundesregierung angestrebte Inkraftsetzung der Bahnstrukturgesetze zum 1. Januar 1994 werden sich die Länder jedenfalls nicht davon abbringen lassen, ihre grundsätzlichen Positionen zur Bahnreform im Gesetzgebungsverfahren klarzumachen. Die grundlegenden Positionen sind auch nicht abdingbar. Ich werde sie jetzt im einzelnen darstellen. Aus Ländersicht gibt es aber auch inhaltliche Mängel der vorgelegten Gesetzentwürfe. Die wesentlichen Forderungen der Länder, und zwar aller Länder, wurden nicht berücksichtigt. Die Gesetzentwürfe gehen davon aus, daß bereits durch die Privatisierung der Bahn Bahndienstleistungen nachfragegerecht angeboten werden. Diese Annahme trifft - so sehen es die Länder insgesamt - nicht zu. Ich räume aber ein, daß sich der Bundesverkehrsminister im Gespräch mit uns ausdrücklich um diesen Punkt intensiv bemüht. Richtig ist vielmehr, daß die Nachfrage nur dort gedeckt wird, wo sie eine Größenordnung erreicht, durch die die Kosten des Angebots refinanziert werden können. Ich habe Zweifel, ob vor allem in der Ministerpräsident Hans Eichel ({7}) Fläche - das betrifft die Länder massiv - der Schienenverkehr mit Personen und Gütern künftig kostendeckend betrieben werden kann. Andererseits ist auch hier ein ausreichendes Angebot an Verkehrsdienstleistungen dringend notwendig. Die Länder fordern daher eine verfassungsrechtlich gesicherte Gemeinwohlverantwortung des Bundes im Bereich der Bundeseisenbahn und der Nachfolgeunternehmen, insbesondere im Regional- und Nahverkehr. ({8}) Der Bund muß grundsätzlich Eigentümer des Schienennetzes der Bundeseisenbahnen bleiben und die volle Finanzverantwortung für das Streckennetz behalten. ({9}) Für Bau und Unterhaltung der Schienenstrecken muß wie bei den Bundesfernstraßen die gesamtwirtschaftliche Bewertung maßgeblich sein. Die künftig noch engere Interessen- und Zuständigkeitsverflechtung zwischen Bund und Ländern im Bereich der Eisenbahnen erfordert erweiterte Beteiligungsrechte der Länder. Diese sollen durch das Erfordernis der Zustimmung des Bundesrates bei allen künftigen Bahngesetzen gewährleistet werden. Dies sind die wichtigsten sachlichen Änderungen, die die Länder hinsichtlich der vorgelegten Gesetzentwürfe einfordern. Sie regeln in Wahrheit die Bahnreform und die Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs aus unserer Sicht nur höchst unvollkommen. Die Bahnreform hat bis heute kein solides Fundament, weil die Bundesregierung bis heute kein ausreichendes Finanzierungskonzept vorgelegt hat. ({10}) Es gibt, Herr Dr. Jobst, keine Zustimmung der Länder im Rahmen des Solidarpaktes. Es gibt die Aussage der Länder, die unbestritten ist, daß wir uns einig sind über die Notwendigkeit der Bahnreform. ({11}) Inhaltliche Festlegungen sind nicht getroffen worden. Zwar ist - so denke ich - durch die Abkoppelung der Bahnreform vom Föderalen Konsolidierungsprogramm der Versuch des Bundesfinanzministers, die Länder mit den Kosten der Regionalisierung und des Nahverkehrs zu belasten, zunächst gescheitert. Dies ist erfreulich, denn für Verkehrspolitiker war dieses Einfügen in das Konsolidierungsprogramm ein herber Rückschlag. ({12}) Ich kann nur sagen: In dem Punkt hat uns der Bundesverkehrsminister an seiner Seite gefunden und er sich umgekehrt auch an unsere gestellt. Das erkenne ich ausdrücklich an. Eine Lösung der Finanzierungsprobleme ist deshalb aber noch keineswegs in Sicht, dies um so weniger, als offenbar die Bundesregierung bis heute - dies scheint mir auch für die Bahn zu gelten - kein Interesse daran hat, die tatsächlichen Kosten des Regionalverkehrs und die Investitionsnotwendigkeiten offenzulegen. Meine Damen und Herren, ich glaube, die Wahrheit - jedenfalls bei den Zahlen, die mir vorliegen - gebietet zu sagen, daß es nicht nur im Osten Unternehmen gegeben hat, bei denen man Raubbau getrieben hat, in die nicht investiert wurde und die heute in der Tat keine vernünftigen Dienstleistungen mehr erbringen können. ({13}) Wir haben das auch im Westen. Wer sich auf den Nebenstrecken unserer Bahnen umsieht, wird das ganz genau erkennen. ({14}) Die Regierungschefs der Länder haben bereits mit Beschluß vom 25. Juni 1992 die Zustimmung der Länder zur Reform des Eisenbahnwesens davon abhängig gemacht, daß bei einer Regionalisierung der Aufgaben- und Ausgabenverantwortung den Ländern ein umfassender finanzieller Ausgleich - das ist hier heute auch mehrfach zustimmend gesagt worden, das begrüße ich ausdrücklich - durch den Bund gewährt wird. Der Ausgleich muß dauerhaft, dynamisch - dynamisch im Blick auf die Entwicklung dieser Aufgabe - und aufgabenbezogen sein. Die Regierungschefs der Länder haben in ihrem Gespräch mit dem Bundeskanzler am 17. Dezember 1992 zur Finanzierung der Bahnreform eine angemessene, verfassungsrechtlich abgesicherte Beteiligung der Länder an der Mineralölsteuer gefordert. Nach den derzeitigen Schätzungen kann dieser Anteil nicht unter 25 % liegen. Bei dieser Gelegenheit, meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu dem machen, was gegenwärtig in der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen diskutiert wird und was man dann, wenn man im Land unterwegs ist, kritisch zurückgespiegelt bekommt. Ich glaube, es tut der Verkehrspolitik einen Tort an, für die Finanzierung von Altschulden das Instrument der Mineralölsteuer in die Hand zu nehmen. Ich denke, wir sind uns alle darüber im klaren, daß wir zur Finanzierung der Verkehrsaufgaben - das sind große Aufgaben - die Mineralölsteuer werden anfassen müssen. Aber sie werden dafür in der Bevölkerung nur dann Verständnis gewinnen, wenn sie einen Zusammenhang zwischen dieser Steuererhöhung und Leistungen im Verkehrssektor sichtbar herstellen können; zur Stopfung von Finanzlöchern nicht. Deshalb sage ich: Ich denke, es ist aus verkehrspolitischer Sicht fatal, für die Altschulden der Bahn die Mineralölsteuer als Finanzierungsquelle heranzuziehen. ({15}) Statt eines Finanzierungskonzeptes des Bundes wurde im Haushaltsplan ein Sperrvermerk bei den Ministerpräsident Hans Eichel ({16}) Finanzhilfen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz angebracht, um die notwendigen Mittel für den erheblichen Investitionsbedarf in den neuen Bundesländern zu erhalten. Diesen Sperrvermerk möchte die Fraktion der F.D.P. durch das von ihr eingebrachte Gesetz zur Änderung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes verstetigen, über das der Bundestag am 11. März hier in erster Lesung beraten hat. Die Entscheidung der Bundesregierung und dieser Gesetzentwurf haben zu einer spürbaren Verunsicherung der Länder und Kommunen geführt, die nunmehr nicht wissen, ob die Finanzierung ihrer schon seit längerer Zeit geplanten und dringend erforderlichen Projekte noch gewährleistet ist. Die Finanzierung der Bahnreform und der unbestrittene Zusatzbedarf an Investitionsmitteln in den neuen Ländern ist allein mit dem Instrument des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes nicht möglich. ({17}) Erst recht ist die Verschiebung von 1 Milliarde DM von Ost nach West kein taugliches Instrument zur Behebung des Investitionsstaus in den neuen Bundesländern, ({18}) der auch von allen westlichen Ländern ausdrücklich anerkannt wird, der aber auch in den alten Ländern der Bundesrepublik Deutschland bei den Schienennetzen besteht und dessen Behebung im übrigen angesichts der Entwicklung des Verkehrssystems insgesamt keinen Aufschub duldet. Deshalb besteht unsere Forderung, das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz mit dem jetzigen Volumen langfristig beizubehalten und das Volumen mindestens entsprechend der Preisentwicklung, möglicherweise auch der Aufgabenentwicklung, zu dynamisieren. ({19}) Hier müssen wirksamere Konzepte gefunden werden, die die Länder befähigen, die auf sie zukommenden neuen Aufgaben im Rahmen des öffentlichen Personennahverkehrs zu bewältigen. Die Länder sind bereit, mit dem Bund hierüber zu verhandeln. Aber auch der Bund muß das in seiner Verantwortung Liegende tun, um zu einer gemeinsamen und sachlich fundierten Lösung mit den Ländern zu kommen. Ich hoffe, daß dies im weiteren Gesetzgebungsverfahren gelingt. Wir jedenfalls, die Länder, wollen ein grundlegendes Umsteuern in der Verkehrspolitik. Einer reformierten Bahn, die nicht mehr ungerechten Wettbewerbsbedingungen unterliegt, sondern faire Wettbewerbsbedingungen hat, kommt dabei eine Schlüsselfunktion zu. Mit diesem Geist gehen die Länder an die Gesetzgebungsarbeit heran. Wir wollen den Erfolg, aber wir müssen ihn uns noch gemeinsam erarbeiten. ({20})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nun hat der Kollege Horst Gibtner das Wort. ({0})

Horst Gibtner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000677, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit der Strukturreform der Bundeseisenbahnen wollen wir im wahrsten Sinne des Wortes ein Jahrhundertvorhaben in Gang setzen. Ich finde es auch bemerkenswert und der Bedeutung dieser Debatte angemessen, daß der Vorsitzende der Vorstände der beiden deutschen Bahnen, Herr Dürr, und sein Vorstandskollege, Herr Hartmann, diese Debatte auf der Zuschauertribüne verfolgen, die für ihr Unternehmen von existentieller Bedeutung ist. ({0}) Diese Reform ist der Aufgabe der Treuhandanstalt bei der Privatisierung und Strukturveränderung der mitteldeutschen Industrie durchaus vergleichbar. Der Unterschied ist, die Strukturreform der Bundeseisenbahnen betrifft sogar mehr Beschäftigte der Bundesbahn als der Reichsbahn und ist damit die bisher größte Privatisierungsaufgabe auch in den westlichen Bundesländern. Und diese Strukturreform wird vom Staat als Eigentümer sehr sorgfältig vorbereitet und begleitet, und dem dient auch unser Gesetzgebungsverfahren. Herr Kollege Daubertshäuser und Herr Ministerpräsident Eichel, ich kann nichts Schlechtes daran finden, daß das Parlament hier die Initiative bereits ergriffen hat und rechtzeitig in die Diskussion um die Gesetzentwürfe einsteigt. Wir sind durchaus sensibel, die Argumente, die Probleme, die Aufgaben, die Sie, die die Länder und die Kommunen sehen, aufzunehmen und sorgsam zu erwägen. Meine Damen und Herren, ein Jahrhundertvorhaben ist die Bahnreform auch deshalb, weil sie mit der Neugestaltung der gesamten Verkehrsmarktordnung verbunden ist. Seit der Brüningschen Notverordnung von 1931 versucht der Staat, die Marktanteile seiner Staatsbahnen durch Reglementierung des Straßengüterverkehrs und der übrigen Verkehrsteilnehmer zu sichern. Dies ist, wie auch in dieser Debatte schon nachgewiesen, nicht ausreichend gelungen. Das kann auch nicht gelingen, solange die Bahn zu Transporten und zu anderen Dienstleistungen gezwungen wird, bei denen sie aus strukturellen Gründen nicht wettbewerbsfähig sein kann. ({1}) Auch deshalb ist die Übertragung der Aufgaben des Schienenpersonennahverkehrs und der Finanzverantwortung dafür auf die Länder sinnvoll und notwendig. Seit Mitte der 60er Jahre haben Politik und Bahn halbherzig an Veränderungen des Verkehrskonzepts einschließlich der Bahnpolitik laboriert. Aber, Herr Kollege Daubertshäuser, es ist nicht fair, und es ist auch nicht wahrhaftig, dies allein den jetzigen Regierungsparteien anzulasten, denn 16 Jahre dieser Verkehrspolitik sind von SPD-geführten Regierungen mitgestaltet worden. Ich erinnere mich sehr gut an die Namen Leber mit dem Leber-Plan und mit der These „Jedem Bürger seinen Autobahnanschluß", an Herrn Lauritzen, an Herrn Gscheidle, an Herrn Hauff. ({2}) Ich denke, Herr Ministerpräsident Eichel hat recht, Herr Daubertshäuser, daß Trendwenden in der Verkehrspolitik nicht einmal innerhalb einer Legislaturperiode, sondern nur über größere Zeiträume erreicht werden können. Wenn Sie heute zu anderen Ansichten gekommen sind, dann ehrt Sie das, aber Sie werden mir zustimmen, man kann nicht alle Schritte gleichzeitig tun. Gegner der Bahnreform wenden ein, die Behördenbahn habe das ihr verfügbare Rationalisierungspotential noch gar nicht ausgeschöpft. Dem stimme ich zu, aber dazu war Zeit genug. ({3}) Jetzt ist dieser Zug abgefahren, und selbst geübte Eisenbahner können nicht mehr aufspringen. Nicht nur die finanzielle Lage der Bahn zwingt zu einer grundlegenden Änderung, auch die wachsenden Verkehrsströme zwingen dazu, den vorhandenen Verkehrsträger Bahn mit seinem arteigenen Wegenetz wettbewerbsfähig zu machen und besser zu nutzen, nicht zuletzt wegen seiner günstigen Umweltparameter. Dies ist nicht etwa allein eine deutsche Erkenntnis. In den USA, in Japan, in Schweden, in den Ländern der Europäischen Gemeinschaft werden vergleichbare Wege beschritten. Die EG hat die Trennung von Fahrweg und Transport und die Zulassung des Wettbewerbs auf der Schiene verbindlich vorgegeben. Es liegt im volkswirtschaftlichen Interesse, daß die Bahn künftig in einen echten Wettbewerb mit den übrigen Verkehrsträgern eintritt. Dazu gehört allerdings - da stimme ich Ihnen zu, Herr Daubertshäuser -, die Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen für alle Verkehrsträger, national wie international. Deshalb ist die Bahnstrukturreform nur eine der Vorbedingungen für die Ausgestaltung eines neuen Verkehrsmarktes. Wenn also beispielsweise die Bahn-AG zur Refinanzierung der Fahrweginvestitionen des Bundes durch Rückzahlung der Darlehen verpflichtet wird, ist die Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren ebenso recht und billig. Schon deshalb ist das Gerede, die Autofahrer müßten die Bahn finanzieren, grober Unfug. Das Gesamtsystem der verkehrsbezogenen Steuern und Abgaben muß konsequent so gestaltet werden, daß die Benutzer der Bahn wie der Straße Preise zu entrichten haben, die der Belastung der jeweiligen Infrastruktur und den übrigen Betriebskosten adäquat sind. Das gilt für die anderen Verkehrsträger ebenso. Große Aufgaben stehen also der Verkehrspolitik noch bevor. Nur eine davon, die Gesetzgebung zur Einleitung der Bahnstrukturreform, wollen wir jetzt lösen. Es ist ausgesprochen wohltuend, meine Damen und Herren, daß die Fraktionen des Deutschen Bundestages hierbei prinzipiell zusammenarbeiten. Das gilt für die Opposition, und das gilt wohl sogar für unseren Koalitionspartner, die F.D.P., wie Herr Kohn vorhin gesagt hat. Weshalb also die Kritik aus den Reihen der Opposition, daß die Gesetzentwürfe noch nicht die Endfassung haben? Wir scheuen uns nicht vor der Arbeit und vor der Wahrnehmung der Verantwortung für das Wohl der Bahn und der Volkswirtschaft. Meine Damen und Herren, der erste Reformschritt wird die Zusammenführung der Sondervermögen Deutsche Bundesbahn und Deutsche Reichsbahn und dann deren Aufteilung in einen unternehmerischen Bereich, die Bahn-AG, und einen hoheitlichen Bereich, das Eisenbahnbundesamt, sein. Auf die Verschmelzung von Bundesbahn und Reichsbahn bereiten sich die Eisenbahner sorgfältig vor. Vor allem die Angehörigen der Deutschen Reichsbahn, die davon am meisten betroffen sind, haben hierfür intensiv umgelernt und bereits Großartiges geleistet. Die Attraktivität der Deutschen Reichsbahn ist gestiegen; die Kunden spüren kaum noch Unterschiede zwischen diesen beiden Bahnen. Dies war auch unsere Absicht, als wir mit dem Einigungsvertrag vereinbart haben, beide Bahnen für einen Übergangszeitraum als selbständige Sondervermögen weiterzuführen. Zu unterschiedlich waren damals die Strukturen, die technischen Standards, das Rechnungswesen und selbst die Vorschriften für die Betriebsführung. Die Reichsbahn durchläuft derzeit einen schwierigen Umstrukturierungsprozeß, der auch noch durch die ungünstigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und durch den großen Nachholbedarf an Unterhaltungsarbeiten und Investitionen belastet wird. Zur Zeit der Planwirtschaft war die Nachfrage nach Verkehrsleistungen garantiert. Nunmehr muß sich die Schiene dem Wettbewerb stellen, vor allem dem des Straßenverkehrs, und zwar gerade im Güterverkehr einem Wettbewerb um ein stark geschrumpftes Verkehrsaufkommen. Gleichzeitig nehmen die Aufwendungen zu, vor allem sehr kräftig beim Personal und bei der Instandhaltung. Die Verkehrsleistungen der Reichsbahn - Personen und Güter - haben sich 1991 im Vergleich zu 1990 etwa halbiert, und 1992 sind sie weiter abgesunken. Dabei darf man aber nicht vergessen, daß die Deutsche Reichsbahn bis 1990 dank staatlicher Transportzuweisung doppelt soviel über jeden Streckenkilometer zu transportieren hatte wie die Bundesbahn. Das heißt, im Wettbewerb mit dem Straßenverkehr schneiden beide Bahnen jetzt nahezu gleich ab. Der vergleichsweise hohe Personalbestand der Deutschen Reichsbahn beruht keinesfalls nur auf sozialistischer Beschäftigungstheorie, abgesehen etwa von der längst aufgelösten politischen Verwaltung, sondern er stammt aus der Zeit höchster Transportanforderungen, die mit einer gegenüber der Bundesbahn wesentlich schlechteren technischen Ausstattung bewältigt werden mußten. Hinzu kommen Unternehmensbereiche, die für die Deutsche Bundesbahn längst über die freie Wirtschaft abgedeckt waren, von der Deutschen Reichsbahn aber selbst wahrgenommen werden mußten. Es ist deshalb fair und politisch jederzeit zu rechtfertigen, wenn der neue Eigentümer, der Bund, den gegenwärtigen Personalmehrbestand der Deutschen Reichsbahn in das Restbundeseisenbahnvermögen übernimmt, der Bahn-AG nur die dem Produktivitätsstandard entsprechenden 70 000 Beschäftigten in Rechnung stellt und darüber hinaus den Nachholbedarf an Investitionen und Instandhaltung finanziert. Damit hat die Bahn-AG die Chance, ohne die unverschuldete Mehrbelastung durch die Altschulden der Deutschen Reichsbahn zu starten und sich dem Wettbewerb zu stellen. Sie hat allerdings auch die Verpflichtung, durch betriebliche Rationalisierung und damit verbundene Investitionen den Personalbedarf zu reduzieren und das Bundeseisenbahnvermögen schrittweise zu entlasten. Meine Damen und Herren, die Neuordnung des Eisenbahnwesens erfordert, wie wir schon gehört haben, eine Änderung des Grundgesetzes, insbesondere des Art. 87 Abs. 1. Dabei sollen auch unter Berücksichtigung des Rechtes der Europäischen Gemeinschaft die Führung der bisherigen Bundeseisenbahnen als Wirtschaftsunternehmen in privatrechtlicher Form, die Übertragung der Aufgaben- und Finanzverantwortung für den Personennahverkehr der bisherigen Bundeseisenbahnen auf die Länder, die Verwaltungszuständigkeit des Bundes für den Eisenbahnverkehr der bisherigen Bundeseisenbahnen und ausländischen Eisenbahnen in Deutschland sowie die gesetzliche Zuweisung von Beamten der Deutschen Bundesbahn zur privatrechtlich organisierten Eisenbahn im Grundgesetz verankert werden. Ich bin der Auffassung, dies ist in den Gesetzentwürfen bereits gut verankert. Der Bund behält die staatliche Verantwortung für das Schienennetz. Es ist erfreulich, daß für diese Grundgesetzänderung eine breite Akzeptanz in diesem Hohen Haus vernehmbar ist. Natürlich ist die Verlagerung von Verantwortung auf die Länder, die sogenannte Regionalisierung, eine hochbrisante Aufgabe, die an viele Vorbedingungen geknüpft ist, selbstverständlich auch an die ausreichende finanzielle Ausstattung des neuen Aufgabenträgers. Sie muß im Interesse der Erhaltung des Schienenverkehrs auch in der Fläche mit Sachverstand und politischem Fingerspitzengefühl gelöst werden; aber sie muß gelöst werden. Ich habe Verständnis, daß die Länder und Kommunen nicht die Katze im Sack kaufen wollen, daß sie Transparenz und klare Regelungen über die Höhe der Finanzausstattung und auch über den zeitlichen Rahmen haben wollen. Ich glaube, wir sind uns einig hier in diesem Hause: Daran werden wir intensiv arbeiten, parallel und gemeinsam mit dem Bundesrat. Meine Damen und Herren, alle einfachgesetzlichen Regelungen - Herr Dr. Jobst hat es schon gesagt - werden im Entwurf eines Artikelgesetzes zusammengefaßt, in dem Gesetz zur Neuordnung des Eisenbahnwesens. Dieses umfaßt fünf neue Gesetze und rund 130 Gesetzes- und Verordnungsänderungen. Besonders wichtig finde ich im Zusammenhang mit der verfassungsrechtlichen Neuordnung und mit der Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen der Verkehrsträger das Gesetz über den Bau und die Finanzierung der Schienenwege von Eisenbahnen des Bundes. Mit diesem Gesetz übernimmt der Bund eine Infrastrukturfinanzierungsverpflichtung für die Schienenwege seiner Eisenbahnen. Das Gesetz entspricht dem Fernstraßenausbaugesetz. Die Förderung von Investitionen in die Schienenwege der Eisenbahnen des Bundes bleibt Aufgabe des Bundes. Eine Förderung durch andere Gebietskörperschaften und Dritte ist darüber hinaus nicht ausgeschlossen. Die Refinanzierung in Höhe der Abschreibungen muß durch die Bahn dann erfolgen, wenn Bau und Ausbau des Schienenweges auf Antrag und im Interesse dieser Bahn vom Bund finanziert wurden. In den Ausschußberatungen werden uns noch zahlreiche Einzelfragen beschäftigen. Entscheidend ist für alle Überlegungen, die noch anzustellen sind: Die Eisenbahnen sollen durch die Strukturreform in die Lage versetzt werden, stärker als bisher am zukünftigen Verkehrswachstum aus EG-Binnenmarkt, neuen Ost-West-Beziehungen und allgemeiner Wirtschaftsentwicklung beteiligt zu sein. Mit Blick auf das zu erwartende starke Anwachsen der Verkehrsströme muß die Bahn als eines der umweltfreundlichsten Verkehrsmittel gestärkt und die Wettbewerbsposition der Schiene verbessert werden. Die Bahn soll künftig ihre Systemvorteile stärker nutzen und so attraktiv werden, daß sie eine wirkliche Alternative zum Auto und zum Flugzeug darstellt. Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen, wir wollen die Bahn, und deshalb wollen wir die Bahnreform. ({4})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nun spricht der Kollege Norbert Otto ({0}).

Norbert Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001668, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit der Regionalisierung von Bahnen im Zusammenhang mit der Bahnstruktur darf es zu keiner Einschränkung der Mobilität der Bürger kommen. Mobilität ist eines der Grundbedürfnisse des Menschen. Nur wer wie die Bürger in der ehemaligen DDR Einschränkungen in seiner Bewegungsfreiheit erlebt hat, weiß um den Wert dieser Freiheit. Ich erinnere mich noch mit Schaudern an Zeiten zurück, in denen wir zwischen Rostock und Meiningen, zwischen Eisenach und Görlitz eingegrenzt waren. Mobilität auf Schiene, Straße, Wasser oder in der Luft ist eben Bestandteil unserer Freiheit. Mobilität setzt aber auch eine funktionierende Infrastruktur voraus, die so auszurichten ist, daß die Ziele Mobilität, Ökologie, Finanzierbarkeit und letztlich auch Akzeptanz der Bürger unter einen Hut zu bringen sind, sicherlich nur auf dem Weg eines Kompromisses. Zugegebenermaßen fällt dieser Kompromiß je nach Betrachtungsweise unterschiedlich aus. Die Palette reicht da von der autofreien Region bis hin zur autogerechten Landschaft. Beides ist unakzeptabel. Der Wähler wird Politiker, die einen solchen Unsinn vertreten, entsprechend bewerten. Ich glaube, der Wähler in Kassel hat das mit den 21 % Verlust der dortigen Verantwortlichen zu Recht gemacht. ({0}) Norbert Otto ({1}) Mit der vorgesehenen Bahnreform und der damit verbundenen Regionalisierung von Eisenbahnlinien werden neue Möglichkeiten zur Gestaltung der Verkehrsnetze im Regionalbereich eröffnet. Länder und Gemeinden haben erstmals die Chance, ihren Regionalverkehr maßgeschneidert auf die Region zu gestalten. Der Bahnverkehr kann somit im engen Verbund mit anderen Verkehrsträgem entsprechend den Erfordernissen ausgelegt werden. Es ist doch untragbar, wenn wie bisher eine 3 000 PS starke Lokomotive zwei Personenwagen zieht, in denen 20 Menschen befördert werden. Das ist in der derzeitigen Situation möglich und auch überhaupt kein Problem. Das ist aber wirtschaftlicher und ökologischer Unsinn. Andererseits muß aber auch darauf geachtet werden, daß die Regionalstreckennetze der Bahn nicht in Zukunft durch die Länder und Gemeinden schlechthin wegrationalisiert werden. Es ist sehr genau zu überprüfen, welche Strecken in Zukunft an Bedeutung gewinnen, auch in Anbetracht der Tatsache, daß man auch im Regionalverkehr zu einer Verlagerung von der Straße auf die Schiene kommen muß. Mit der Übertragung der Bundesmittel für den Bahnregional-verkehr auf die Länder muß eine Verpflichtung zum Erhalt wirtschaftlicher Bahnstrecken einhergehen. Mit der Bahnreform öffnet sich somit ein breites Feld der Gestaltung für einen bürgernahen Regionalverkehr. Am Ende der Bahnreform muß eine neue, attraktivere und vor allem billigere Bahn stehen. Das meine ich auch mit Blick auf die realen Fahrpreise. Nur so kann die Bahn als ernsthafter Konkurrent zum Pkw oder Lkw betrachtet werden. Dank der Verbesserung der Schienenanbindungen zwischen den Großstädten wird auch der ökologisch und ökonomisch fragwürdige innerdeutsche Flugverkehr zunehmend unsinniger. Die Bahn muß hier ihren Anspruch als das umweltfreundlichste Verkehrsmittel weiter stärken. Wir sollten uns diesem Ziel gemeinsam widmen, auch im Interesse einer ökologischen Verkehrsgestaltung in unserem Land. Vielen Dank. ({2})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nun hat der Herr Bundesminister für Verkehr, Dr. Günther Krause, das Wort.

Dr. Günther Krause (Minister:in)

Politiker ID: 11001203

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einem kurzen Rückblick beginnen. Wir haben vor 14 Tagen an dieser Stelle die erste Lesung des für Deutschland zukünftig gültigen Planungsvereinfachungsgesetzes gehabt. Ich habe an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß wir nicht losgelöst einen Reformschritt in der Verkehrspolitik in dieser Legislaturperiode zu realisieren haben, sondern daß die integrierte Verkehrspolitik in dieser Legislaturperiode vier Reformschritte kennen muß, damit auch das hier heute vorliegende Gesetz zur Neugestaltung unserer Eisenbahn gelingen wird. Diese vier Reformen sind, um sie noch einmal kurz aufzuzählen, folgende. Als erste ist die Bahnreform zu nennen, über die wir heute reden. Zweitens geht es um eine Veränderung des Planungsrechts, um die unerträglich langen Planungszeiten in Deutschland zu verkürzen. Auch dies ist natürlich ein Grund, weshalb relativ wenig neue Eisenbahnstrecken gebaut worden sind. Der eigentliche Bauboom, vor allem im Autobahnnetz Westdeutschlands, ist bis Ende der 60er Jahre erfolgt - unter Bedingungen, als es noch wesentlich einfacher war, in Deutschland zu planen. Der dritte wichtige Reformschritt wird es sein zu begreifen, daß öffentlicher Auftrag nicht gleich öffentliche Finanzierung bedeutet, daß wir Finanzierungswege in Deutschland einschlagen müssen, die in Frankreich, in Italien und in anderen entwickelten Ländern selbstverständlich sind, bei uns leider noch nicht. Der vierte aus meiner Sicht wesentliche Schritt, um die Gestaltbarkeit deutscher Verkehrspolitik in den nächsten Jahren zu sichern, ist die Harmonisierung der Verkehrswegekostenanlastung und hier vor allem das zur Zeit sehr hart diskutierte Thema des viel zu billigen Lkw-Verkehrs. Die allgemeine Diskussion, der Lkw sei zu billig, ist falsch, denn heute bezahlt ein in Deutschland zugelassener Lkw fast dreimal soviel an Kostenanteilen wie ein nicht in Deutschland zugelassener Lkw. Diese Ungerechtigkeit führt letztendlich zu der heute auch diskutierten Subventionierung der Straße, die sich nicht nur darin ausdrückt, daß deutsche Arbeitsplätze im Güterfernverkehr gefährdet sind, sondern auch darin, daß ein Angriff auf den Güterverkehr der Bahn und der Binnenschiffahrt wegen der fehlenden europäischen Harmonisierung erfolgt. Hier müssen wir in diesem Jahr kämpfen. Ich sehe beste Möglichkeiten, wenn wir gemeinsam und engagiert zusammen mit der Opposition dieses Ziel in Brüssel durchzusetzen versuchen. Dann haben wir Chancen, diese Gerechtigkeitslücke zu schließen. Übrigens sehe ich hier die einzige Gerechtigkeitslücke, die wir in Deutschland schließen müssen. ({0}) Nun zur Bahnreform. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich denke, es ist, wenn man die Bahnreform selbst analysiert, wichtig festzustellen, daß die Bahnreform und der entsprechende Gesetzentwurf viele Väter haben. Ich möchte an erster Stelle der „Regierungskommission Bahn" danken, vor allem ihrem Vorsitzenden, Herrn Dr. Saßmannshausen. Ich möchte an dieser Stelle aber auch den Beamten meines Ministeriums und den Beamten der anderen Ministerien recht herzlich danken. Nicht zuletzt möchte ich den Beschäftigten der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Reichsbahn danken, daß sie so engagiert mitgearbeitet haben. ({1}) Wenn Kollege Gibtner darauf hingewiesen hat, daß der Bahnvorstand heute vertreten ist, ist es für mich besonders angenehm, auch die Gewerkschaft zu begrüßen, die sehr engagiert diese Bahnreform mit unterstützt. Ich bin dankbar, daß wir den gemeinsamen Weg - bisher jedenfalls - in weitgehendem Konsens realisieren konnten. Die Bahnreform - um diese Frage von vornherein zu beantworten - bedeutet nicht etwa eine Gefährdung der Bahn, sondern dieses Konzept, das wir vorlegen und das die drei anderen Reformen bedingt und begründet, wird dafür sorgen, daß die Arbeitsplätze unserer Eisenbahner gefestigt und gesichert werden. Würden wir bei den Status-quo-Bedingungen bleiben, würden wir pro Tag letztendlich mit 27 Millionen DM zusätzlichen Verlusten zu leben haben. Das ist auch meine Antwort auf die Frage, die der Kollege Eichel aus Hessen gestellt hat: Warum wollte der Bundesverkehrsminister relativ schnell in das Gesetzgebungsverfahren hinein? Für mich steht nicht nur die Frage an, ob wir die Bahnreform nicht schon morgen in ihrem Ergebnis bräuchten, sondern für mich steht auch die Frage an: Warum sollen wir an jedem Tag 27 Millionen DM umsonst ausgeben, wenn uns die Bahnreform jeden Tag, den wir sie eher beschließen, 27 Millionen DM Ersparnisse bringt? Deshalb lohnt es sich, nicht nur darum zu streiten, sondern darum zu kämpfen, vor dem 1. Januar 1994 möglichst schon zu einem positiven Ergebnis zu kommen, um so die Belastung des Steuerzahlers zu reduzieren. Nun stellt sich die Frage: In der Öffentlichkeit wurde diskutiert, die Bahnreform koste Geld. Diese Diskussion hat etwas mit Altlasten zu tun, die 40 Jahre lang vorrangig in Westdeutschland, in der alten Bundesrepublik aufgelaufen sind. Es dreht sich mittlerweile um die Kleinigkeit von etwa 70 Milliarden DM Sonderverschuldung, die nicht über den Bundeshaushalt abgetragen werden. Schon allein die Zinsen für die 70 Milliarden DM Sonderschulden machen 6 Milliarden DM pro Jahr aus. Herr Kollege Daubertshäuser hat natürlich voll und ganz recht, wenn er darauf hinweist: Die Bahnreform wird in dem Sinne nicht Geld kosten, sondern dem Steuerzahler Geld sparen. Aber ich unterstütze den Kollegen Theo Waigel in einer anderen Fragestellung: Können wir die Finanzpolitik in diesem Bereich, die 40 Jahre lang mit Sondertöpfen gearbeitet hat, so weiterführen? Da bin ich der Meinung: Auch diese Regierung, diese Koalition muß die Kraft zur Finanzwahrheit aufbringen und die Dinge so ordnen, daß es in unserer Haushaltsführung keine Sondertöpfe mehr gibt. Das ist letztendlich die Begründung für die 8 Milliarden, die wir benötigen, um die Sanierung und damit die Bewältigung von Erblasten nicht etwa nur in Ostdeutschland, sondern auch im Bereich der Deutschen Bundesbahn in Westdeutschland gemeinsam zu finanzieren. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin fest davon überzeugt, daß die Eisenbahn die Chance hat, eine Renaissance zu erleben. Sie muß allerdings nicht politisch beeinflußt werden. Eines der größten Probleme heute ist doch - und da wollen wir bei der Lesung zum Bundesverkehrswegeplan doch ruhig und sachlich argumentieren -, daß der eine oder andere politische Hinweis zur Gestaltung des Bundesverkehrswegeplanes genutzt werden muß. Das ist richtig und gut, weil wir unterscheiden müssen zwischen der betriebswirtschaftlichen Verantwortung eines Unternehmens und der volkswirtschaftlichen Sicht, die wir als Parlamentarier - und hier natürlich auch der zuständige Minister - in Deutschland mit zu verantworten haben. Beides, betriebswirtschaftliche Verantwortung aus der Sicht des Unternehmens und Finanzierung der volkswirtschaftlich begründeten und vom Parlament zu verantwortenden Eisenbahnstrecken, müssen wir in dem vorgelegten Gesetzespaket entsprechend berücksichtigen. Lassen Sie mich einen zweiten Punkt bringen, bei dem die Bahnreform, wie ich meine, an einer wichtigen Stelle in Deutschland zu einer Verbesserung der Dienstleistung der Eisenbahn vor allem für den Bürger führen wird. Mit Beginn der Bahnreform wird es in Deutschland möglich sein, daß wir jedem, der fachlich und inhaltlich und natürlich auch finanziell in der Lage ist, auf Schienen eigene Unternehmen zu gründen und sie zu betreiben, eine entsprechende Zulassung über das neu zu gründende Eisenbahnamt erteilen. Wir werden einem solchen Anliegen positiv gegenüberstehen. ({2}) Das ist für mich der entscheidende Punkt. Auch hier wird Wettbewerb nicht dazu führen, daß die Fahrpreise etwa höher werden. Wettbewerb wird meiner festen Überzeugung nach dazu führen, daß die Strukturen beim Monopolisten sich selbst so erneuern, daß mittelständische Parallelangebote, beispielsweise im Güterkraftverkehr, der dann schrittweise auf die Schiene gehen kann, zu Tarifen und damit zu Belastungen der Nutzer führen, die nicht unbedingt die Größenordnung von heute haben müssen. Lassen Sie mich noch einen dritten Punkt zur Bahn selbst sagen. Es hat mich gestört, daß bei der Diskussion, die seit etwa eineinhalb Jahren sehr intensiv geführt wird - ich möchte daran erinnern, daß wir am 17. Februar 1992 im Kabinett den Grundsatzbeschluß gefaßt haben, eine solche Reform anzugehen -, immer auf den Beamten die gesamte Last dessen, was bei der Deutschen Bundesbahn und bei der Deutschen Reichsbahn nicht funktioniert, abgeladen worden ist. Ich halte diese Diskussion für grundfalsch; zum einen, weil wir zur Zeit nur Beamte bei der Deutschen Bundesbahn haben, aber keinen einzigen bei der Deutschen Reichsbahn. Insofern ist, wenn über beide Unternehmen gesprochen und die Beamten in die Diskussion gebracht werden, dieser Zungenschlag schon völlig falsch. Der zweite Punkt ist dieser: Es ist doch korrekt - so muß man die Demokratie, denke ich, verstehen -, daß ein Beamter als Staatsdiener ja eher verwaltet, denn mit Risiken Entscheidungen verantworten will. Genau diese Risikobereitschaft wünschen sich viele, viele Mitarbeiter endlich bei der Deutschen Bundesbahn, damit sie aus einem gesunden Risikobewußtsein mit anderen Unternehmern am Markt arbeiten können. Genau darum geht es. Mit diesem Gesetzentwurf haben wir für die Bahnreform nicht etwa schon den Erfolg für die nächsten Jahre erreicht. Der 1. Januar 1994 bringt eigentlich den Beginn der Schwerstarbeit. Wir müssen vielleicht einen der größten Sanierungsfälle durchstehen, den wir in Deutschland mit einem Wirtschaftsunternehmen bisher hatten. Deshalb ist die Bahnreform nicht so zu verstehen, daß die Privatisierung zum 1. Januar 1994 bereits voll durchBundesminister Dr. Günther Krause gesetzt sein wird. Wir werden vielmehr erst am Schluß eines Sanierungszeitraums von acht Jahren - so jedenfalls der Gesetzentwurf - die Privatisierung und damit die Wettbewerbsfähigkeit erreicht haben. Der eine oder andere Redner ist in der Diskussion darauf zurückgekommen, wie wir in Ostdeutschland die Bedingungen erfüllen wollen. Ich möchte dazu noch einiges zu den ostdeutschen Mitbürgerinnen und Mitbürgern sagen. Wir werden - so ist der Entwurf - der Deutschen Reichsbahn unterstellen, sie wäre in der Produktivität ähnlich wie die Deutsche Bundesbahn oder mit ihr vergleichbar. Wir werden der neuen Bahn-AG dann nur die entsprechenden Kosten anrechnen können, die für eine vergleichbare Produktivität stehen. Solange natürlich die Produktivität weit zurück ist und noch Stellwerke aus dem Jahre 1901 bedient werden müssen, muß es selbstverständlich sein, daß letztendlich der Staat den Differenzbetrag zu tragen hat. Das ist ein Beispiel, wie wir Industriekerne in Ostdeutschland neu strukturieren, ohne daß sie untergehen müssen. Deshalb ist die Diskussion, es müßte Massenentlassungen bei den deutschen Bahnen geben, völlig falsch. Leider ist die Kollegin Enkelmann nicht mehr anwesend. Ich will aber doch zu ihrem Vorwurf etwas sagen, ({3}) daß in Japan 264 000 Menschen entlassen worden sind. Das ist Polemik, wie ich sie auch von der SED kenne. Es ist falsch - es dreht sich immerhin um 380 000 Beschäftigte -, in dieser Debatte zu sagen, in Japan habe es durch die Bahnreform 264 000 Entlassungen gegeben. Die Wahrheit ist, daß in Japan durch Umstrukturierungsmaßnahmen bis auf 2 000 Beschäftigte alle Beschäftigten einen Arbeitsplatz erhalten haben. Ich meine, wir können in Deutschland eine ähnliche Politik realisieren. ({4}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß folgendes bemerken. Nach dem erfolgreichen Abschluß des Solidarpakts ist es jetzt an der Zeit, die notwendigen Reformen, die nicht in die parteipolitische Diskussion hineingehören, im Sinne eines Solidarpakts zu realisieren. Ich möchte aus der Kabinettssitzung vom Mittwoch zitieren, weil das Ergebnis wahrscheinlich noch nicht vollständig bekannt ist: Der Bund beabsichtigt, den Ländern für die Übernahme der Aufgabe des Schienenpersonennahverkehrs einen zweckgerechten finanziellen Ausgleich im Rahmen der Umsatzsteuerverteilung zu gewähren. Das heißt, daß der Bundesfinanzminister und ich uns geeinigt haben, im Rahmen einer weiteren Erhöhung des Umsatzsteueranteils für die Länder eine solche zweckgerechte Verteilung zu realisieren. Damit ist u. a. die Dynamisierung gesichert, weil die Mehrwertsteuer eine Steuer ist, die einer gesunden Dynamisierung unterliegt. Wir haben uns geeinigt, daß bei der Regionalisierung ein Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Länderstrukturen geschaffen wird. Ich möchte hier nur repräsentativ die Probleme in Bayern und in der Hansestadt Hamburg nennen. Ich denke, wir können auf dieser Basis in den nächsten Wochen eine vertrauensvolle Zusammenarbeit im Parlament vor allem auch mit den Bundesländern beginnen. Ich wünsche mir, daß wir die Bahnreform möglichst sogar noch vor dem 1. Januar 1994 abschließen können. Jeder Tag, den wir die Bahnreform eher realisieren, bringt dem deutschen Steuerzahler, im Mittel der nächsten zehn Jahre berechnet, eine Einsparung von 27 Millionen DM. Wir sollten an dieser Stelle ans Geld denken. Vielen Dank. ({5})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, ich darf Sie noch um die Zustimmung zu folgendem bitten. Der Kollege Schulz hat gebeten - er war vorhin noch anwesend -, seine Rede zu Protokoll zu geben. Sind Sie mit dieser Abweichung von der Geschäftsordnung einverstanden? - Das ist der Fall. *) Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Dann schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 12/4610, 12/4609 ({0}) und 12/4619 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Darm sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 14 auf: a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Sportausschusses ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Wilhelm Schmidt ({2}), Friedhelm Julius Beucher, Peter Büchner ({3}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Sofortprogramm zur Förderung des Sports in den neuen Ländern ({4}) - Drucksachen 12/2815, 12/4484 - Berichterstattung: Abgeordnete Rolf Rau Wieland Sorge b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 16. November 1989 gegen Doping - Drucksache 12/4327 Überweisungsvorschlag: Sportausschuß ({5}) Ausschuß für Frauen und Jugend Ausschuß für Gesundheit Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. *) Anlage 2 Vizepräsidentin Renate Schmidt Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem dem Kollegen Wilhelm Schmidt das Wort.

Wilhelm Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002022, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein Kollege Wieland Sorge hatte in der ersten Lesung des SPD-Antrages in sehr eindringlicher Weise auf die bedrückende Situation für den Sport in den neuen Bundesländern aufmerksam gemacht. Wenn ich heute zu diesem Thema spreche, dann soll das gleichzeitig ein Signal dafür sein, daß auch wir Sportpolitiker in Westdeutschland die Lösung der ostdeutschen Probleme ernst nehmen und zu ihrer Lösung beitragen wollen, jedenfalls bei der SPD. Die Lage für den Sport in den neuen Ländern hat sich in den zurückliegenden Monaten weiter verschärft. Im Spitzensport ist eine Stabilisierung des Leistungsniveaus nicht in Sicht. Im Gegenteil, bis auf wenige Ausnahmen sind die Einbrüche im bisherigen Standard vor allem durch die Abwanderung gen Westen beachtlich und bedenklich, und dies, obwohl gerade für den Spitzensport in Ostdeutschland, relativ gesehen, noch am meisten aufgewendet worden ist. Problematischer, ja dramatischer, meine Damen und Herren, ist die Lage für den Breitensport und den Aufbau einer soliden Vereins- und Verbandsstruktur. Trotz einiger ermutigender Ansätze fehlt es hier an allen Ecken und Enden. Die Anhörung aller ostdeutschen Landessportbünde sowie der kommunalen Spitzenvertreter und anderer Vertreter, die kürzlich auf Antrag der SPD im Sportausschuß stattgefunden hat, war beeindruckend. Das dort gezeichnete Bild über die Schwierigkeit bei der Gewinnung ehrenamtlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und noch mehr über den Zustand der Sportanlagen in den fünfeinhalb neuen Bundesländern ließ an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Bereits die vielfältigen Erfahrungen, die von der SPD vor Ort gesammelt worden waren, hatten zu einer ähnlichen Einschätzung vor Jahresfrist geführt und in den Jahren 1991, 1992 und 1993 ergeben, daß wir Anträge zum Bundeshaushalt gestellt haben, die allerdings sämtlich von den Mehrheitsfraktionen niedergestimmt worden sind. Wir befinden uns als Sportpolitikerinnen und Sportpolitiker dabei in guter Gesellschaft mit den Kolleginnen und Kollegen in anderen Bereichen, z. B. der Wirtschaftspolitiker, die der Regierung sinnvolle Maßnahmen zum Aufbau in Ostdeutschland ähnlich erfolglos empfohlen haben und in der Sache doch recht behielten. Unsere Bemühungen um eine Besserung der Situation bei den ostdeutschen Sportanlagen führte im Juni 1992 zu dem Antrag, der heute abschließend beraten wird. Bestätigt werden die Erkenntnisse der SPD im Antrag auf Drucksache 12/2815 durch den inzwischen auch vom Deutschen Sportbund vorgelegten Plan, den wir unter dem Titel „Goldener Plan Ost" Ende November 1992 vorgestellt bekommen haben. Hier wird mit dem Ziel, einen einigermaßen gleichen Standard mit den westdeutschen Sportstätten zu erreichen, ein Gesamtinvestitionsbedarf von knapp 25 Milliarden DM errechnet und nachgewiesen, und zwar 11 Milliarden DM für Sanierung, 14 Milliarden DM für Neubauten. Nach dem Vorbild des segensreichen Goldenen Plans, der im Westen Deutschlands von 1960 bis 1975 wesentlich zur heutigen Güte des Sportstättenangebots geführt hat, soll dieser Investitionsbedarf in 15 Jahren abgearbeitet werden. In der damaligen, auch recht schwierigen Lage der Bundesrepublik haben sich der Sport, der Bund übrigens mit maßgeblichen Beiträgen des damaligen Bundeskanzlers Konrad Adenauer und des CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Krone - sowie die Länder und die Gemeinden für ein solches Gemeinschaftswerk entschieden. Die sportliche Grundversorgung haben alle Beteiligten seinerzeit als wichtig angesehen. Es herrschte nämlich die einmütige Überzeugung, daß vor allem der Jugend eine Orientierungshilfe, Bewegungsmöglichkeiten, soziale Bildung, Leistungsvermögen und Spaß vermittelt werden müßten und daß dies durch sportliche Betätigung in besonderer Weise gelingen könne. Überlegt man sich denn eigentlich im Bundeskanzleramt, was passiert, wenn immer und immer wieder in nächster Zeit Turnhallen, Sportplätze, Schwimmbäder geschlossen werden und die Jugendlichen nicht wissen, wohin sie in ihrer Freizeit gehen sollen? Wir haben gerade gestern abend in der kinder- und jugendpolitischen Debatte in diesem Hause festgestellt, daß es gerade diese Maßnahmen im Jugend-, Sport- und Freizeitbereich sind, deren Ausbau dringend notwendig ist, um der Jugend Orientierung zu geben. Deswegen auch der Appell, an dieser Stelle stark einzugreifen. ({0}) Die SPD hat in diesen Tagen eine Fraktionssondersitzung zur Erinnerung an das Ermächtigungsgesetz der Nazis vor 60 Jahren durchgeführt. Dabei wurde eindringlich deutlich, wohin es führt, wenn man orientierungslose, bindungslose, politikfeindliche Jugendliche in eine Gesellschaft entläßt und diese Gruppen nicht in einer Weise an eine Bindung heranführt, die zur Gesellschaft zurückführt. Wo sind in der heutigen, noch prekäreren Lage solche Überzeugungen bei den politischen Spitzen anzutreffen? Wo ist die Überzeugungskraft der Sportspitze, übrigens auch in Richtung Politik? Kaum noch Krisenmanagement, von Prävention keine Spur! Wir bedauern dies ausdrücklich. Der Sporthaushalt - auch das will ich an dieser Stelle sagen - wird demgegenüber weiter gekürzt. Was will man denn eigentlich noch erreichen, wenn wir in diesen Tagen von einem zusätzlichen, einem neuen Schub in Form eines Sportinvestitionsförderungsprogramms sprechen? Ich will erneut den Verfassungsauftrag zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse bemühen, der beim Einigungsvertrag bezüglich des Sports ja doch hinreichend mit Füßen getreten worden ist. Wer dies getan hat, wissen wir auch. Ich will das aber auch deutlich in Erinnerung rufen: Es war der ehemalige sportpolitische Sprecher der CDU/CSU, Herr Dr. Wolfgang Schäuble, der in seiner anderen Funktion diesen Einigungsvertrag ja maßgeblich beeinflußt hat. Natürlich ist ein mieses SED-Regime daran Wilhelm Schmidt ({1}) schuld, daß diese Zustände überhaupt entstanden sind, weil es seine Ressourcen auf der Jagd nach medienwirksamer Anerkennung im Spitzensport verschleudert hat und schon deswegen nicht als „Erbe des Arbeitersports sozialdemokratischer Tradition" bezeichnet werden kann. ({2}) Aber vor der Aufarbeitung können und dürfen wir uns im Interesse der Menschen in Ostdeutschland nicht drücken. Wir wissen, daß die Kommunen in dieser Region 1993 200 Millionen DM, die Länder 176 Millionen DM aufwenden, um aus ihren Möglichkeiten und Mitteln wenigstens etwas zum Sportstättenbau beizutragen und zu leisten. Warum kann dann nicht auch der Bund, wie es die SPD in ihrem Antrag ursprünglich gefordert hat, mit 175 Millionen DM in diesem Jahr eine erste Tranche zur Verfügung stellen? Es ist schon abenteuerlich, wie sich die Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen in den Ausschußberatungen an dieser fachlichen Verantwortung vorbeigedrückt haben. ({3}) - Herr Rüttgers, das war schon manchmal sehr beeindruckend, und zwar im negativen Sinne. ({4}) Alles wurde auf die ostdeutschen Länder und Kommunen abgewälzt, ein mittlerweile in diesem Hause leider hinlänglich bekanntes Schwarze-Peter-Spiel, das ja leider an vielen anderen Stellen auch noch stattfindet, obwohl ja mit dieser Maßnahme auch eine Investitionsforderung und damit auch eine Wirtschafts- und Arbeitsmarktförderung eintreten würde. Es ist außerordentlich bedauerlich, daß nicht einmal diese Argumentation, geschweige denn die präventive, die ich vorhin beschrieben habe, vielleicht ein wesentliches Moment für das Einhalten in Ihrer Richtung hätte sein können. Die Forderung der SPD nach einem konkreten Bundesbeitrag bleibt bestehen. Wir hatten gehofft, daß eine Chance zur Umsetzung unserer Vorstellungen im Rahmen des Solidarpakts bestehen würde. Leider ist dies nicht eingetreten. Eine geringfügige Möglichkeit besteht allerdings noch; denn die „Solidarpaktverwaltungsvereinbarung zur kommunalen Investitionspauschale 1993" ({5}) - ich habe j etzt einmal den vollen Titel vorgelesen - und der dazugehörige Ansatz, Herr Sauer, im Nachtragshaushaltsplan des Bundes - auch den will ich genau nennen, weil ja auch Frau Albowitz da ist, die sich in diesen Dingen noch besser auskennt als wir -, Einzelplan 60, Titel 882 01/692 - das lege ich Ihnen wirklich ans Herz, Frau Albowitz -, enthalten eine Beschreibung der in diesem Rahmen förderfähigen Maßnahmen. Hier muß die „Grundversorgung mit Sportanlagen" - so würden wir dies als Beschreibung ansehen - nicht nur von Schulsportstätten im Rahmen des Schulbaus ergänzend aufgenommen werden. Dies wäre die Nachbesserung, die man ja offensichtlich auch noch vornehmen kann. ({6}) Wir bitten Sie alle gemeinsam sehr herzlich darum, dies dann auch entsprechend mit umzusetzen. Ansonsten ist auf die zahlreich verbreiteten Argumente der DSB-Führung, übrigens insbesondere des Vizepräsidenten des Deutschen Sportbundes von Richthofen - zuletzt in der „Frankfurter Rundschau" vom 17. März 1993 -, zu verweisen. Wir versündigen uns, meine Damen und Herren, an der Jugend in Ostdeutschland noch mehr, als dies ohnehin schon geschieht, wenn wir nicht auch von Bundesseite ein spürbares Signal zur Verbesserung der Lage des Sports setzen. Soweit es die Bundesmittel betrifft, so ist jetzt schon ein energisches Umsteuern in den vorhandenen Fördertöpfen zugunsten der ostdeutschen Projekte angezeigt. Hochglanzprojekte im Westen - das muß ich eindeutig sagen - fördern unnötigerweise den Unmut und die innere Spaltung des Sports. Sie müssen - jedenfalls für einige Zeit - beendet sein. ({7}) Bei der nach langem Zögern vom Bundesinnenminister vorgelegten Projektliste für 1992 bis 1994, Herr Sauer - ganz haben Sie es nämlich auf Regierungsseite nicht gemacht -, war von einem solchen Umsteuern bisher nichts zu spüren. Eine jüngst veröffentlichte Erhebung über die Erwartungen der Bevölkerung in Leipzig zum Sport ergab, daß die öffentlichen Hände den Breitensport fördern sollen, damit preiswerte und vielseitige Sportangebote ohne kommerziellen Charakter genutzt werden können. Das ist der politische Auftrag dieser Tage. Im Zusammenhang mit der Olympiabewerbung Berlin 2000 will ich noch einen Satz sagen. Wenn wir es nicht hinbekommen, daß die Sportstätten in der ja von uns allseits geförderten Bewerbung nun auf den Weg kommen, könnte es möglicherweise sein, daß wir im Herbst dieses Jahres die Ausrichtung zwar übertragen bekommen, wir dann aber wegen mangelnder Sportnachwuchskräfte keine Athletinnen oder Athleten im Jahre 2000 bei den Olympischen Spielen haben werden. Das wäre ja nun wirklich schlimm. ({8}) Ich bedaure ausdrücklich - das will ich zum Schluß sagen -, daß wir heute die Debatte um den Sportstättenbau in Ostdeutschland im Zusammenhang mit der Debatte um die Dopingkonvention führen müssen. Ich finde, das ist nicht so ganz geschickt und der Sache nicht ganz angemessen. ({9}) Dennoch werden wir uns da durchschleusen. Ich habe den ersten Teil getan; meine Kollegin Janz wird zum zweiten Teil sprechen. Vielen Dank. ({10})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Als nächstes spricht der Kollege Rolf Rau.

Rolf Rau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001781, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Erneuerung der wirtschaftlichen, kulturellen, sozialen und ökologischen Ordnung in den jungen Bundesländern ist eine riesige Aufgabe. Die dabei auszugleichenden Defizite fordern das gesamte deutsche Volk heraus. Mit aller Konsequenz müssen Bund und Länder wie auch die Kommunen gemeinsam einen Weg beschreiten, der die innere Einheit Deutschlands stabil aufbaut. Der Sport spielt dabei eine gewichtige Rolle. Ich möchte die Gelegenheit wahrnehmen, den „Goldenen Plan 2000" oder den goldenen Plan für den Osten des Deutschen Sportbundes zu würdigen. Die damit vorgenommene Analyse zur Situation der Sportanlagen, aber auch der Lösungsmöglichkeiten in den neuen Bundesländern sind eine gute Ausgangsposition für die künftige Arbeit. Ich bin mit dem Deutschen Sportbund der Auffassung, daß der Sport wesentlich dazu beitragen kann, die Lebensverhältnisse der Menschen zu verbessern. Erst vor wenigen Tagen konnte ich bei einem Besuch des Amateuroberligavereins 1. FC Markkleeberg - nicht nur die SPD war an der Basis, Kollege Schmidt - feststellen, mit wieviel Liebe und Anstrengung Menschen sich um ihre Mitbürger bemühen. Ich muß aber auch sagen - und das unterstreicht die Richtigkeit des Goldenen Plans -, daß diejenigen, die sich dort in Verantwortung begeben haben, eine hohe Last zu tragen haben, um auch dort die wirtschaftlichen und nicht nur die sportlichen Probleme zu bewältigen. Hinter der Spitzenmannschaft im Oberligabereich stehen zehn oder elf Kinder- und Jugendmannschaften. Allein dieser Fakt zeigt, daß ein solcher Sportverein auch eine hohe Verantwortung für die gesellschaftliche Entwicklung mit übernommen hat. Dabei können wir aus Bonner Sicht durchaus auf Erfolge im letzten Halbjahr zurückblicken, ist es uns doch gelungen, durch gemeinsame Aktivitäten - insbesondere beginnend durch die Erfurter Gespräche der christdemokratischen Abgeordneten im Sommer vorigen Jahres - die Sportstätten und ähnliche Einrichtungen unentgeltlich an die Gemeinden abzugeben, soweit sie vor dem 3. Oktober 1990 genutzt wurden. Diese Grundstücke kostenlos zu übertragen war eine der wichtigsten Voraussetzungen, um den Sport in den Kommunen überhaupt begleiten zu können. Daß nunmehr auch die Dynamo-Sportanlagen, Sportanlagen der GST und ähnliche zu einem symbolischen Preis übergeben werden können, ist ein weiterer Schritt, den wir angemahnt hatten. Ähnliches steht nunmehr noch bei Sportstätten der Eisenbahn und der Post aus. Aber auch hier zeichnen sich einzelne Lösungsformen ab. Wir wissen, daß eine vernünftige Sportstätte eine wichtige Voraussetzung ist, um sich kulturvoll sportlich zu betätigen. Deshalb war unsere Forderung, im Rahmen des Solidarpakts die Mittel bereitzustellen, die über die Kommunen an die Sportvereine zur Sanierung fließen können. Ich freue mich deshalb, daß es gelungen ist, im Rahmen des Solidarpakts außer den wichtigen Durchbrüchen z. B. im Bereich des Wohnungsbaus und des Länderfinanzausgleichs auch im Bereich der Unterstützung der Kommunen durch eine Neuauflage der Investitionspauschale hilfreich zu sein. Herr Kollege Schmidt hat vorhin schon die 1,5 Milliarden DM angesprochen. Sie sollten nun in der Verantwortung der Gemeinden besonders dort eingesetzt werden, wo für die Sanierung der Schulsportanlagen Mittel benötigt werden. Wie hoch die Verantwortung der Länder ist und wie sie auch sehr deutlich wahrgenommen wird, möchte ich am Beispiel des Freistaats Sachsen darstellen. Allein zur Förderung der Trainingsmöglichkeiten, also des Sportbetriebs, werden z. B. 36,7 Millionen DM aus dem Haushalt finanziert. Für den Bau von Sportstätten werden an die Gemeinden Mittel in Höhe von 35 Millionen DM zur Verfügung gestellt, und eine Unterstützung sonstiger Träger für den Sportstättenbau erfolgt noch einmal in Höhe von 5 Millionen DM. Insgesamt gibt der Freistaat Sachsen 78,45 Millionen DM für den Sport aus. Ich erinnere daran, daß es noch 1991 nur 28 Millionen DM waren und hier auch die Verbindung zwischen Bund-, Länder- und Gemeindeverantwortung zum Tragen kommt. Man sollte auch hier die Anerkennung voll unterstreichen und erwähnen, daß der Deutsche Sportbund in seinem Plan auch diese Position unterstrichen hat. Man kann finanzielle Mittel nicht ohne eine entsprechende Sportentwicklungskonzeption einsetzen. Das heißt, in den Vereinen, bei den Kommunen, Landessportbünden und Ländern müssen klare Entwicklungsziele für den Sport beschrieben werden. Es müssen Methoden zur Realisierung verankert werden, und es muß eine schrittweise Erfüllung stattfinden. Auch ergibt sich in den jungen Bundesländern, daß Sportstätten durchaus den Vereinen rückübertragen werden können und daß dort durch Sponsoren und andere hilfreiche Privatinitiativen Möglichkeiten gesucht werden müssen, den Sport in der Breite bis hin zur Spitze weiterhin zu fördern. In vielen Fällen wurde die Form der ABM genutzt, um die Sportorganisation zu realisieren. Auch das durch Bundesmittel. Mir ist bewußt, daß der Obergang von hauptamtlichen Sportfunktionären zu ehrenamtlichen Sportfunktionären, begleitet durch AB-Maßnahmen, ein wichtiger Faktor ist und daß zügig, aber auch sachlich begründet die Wandlung weiter vollzogen werden muß. Auch sollte man in diesem Zusammenhang die Möglichkeiten suchen, über den § 249h des Arbeitsförderungsgesetzes hier und da Lücken zu schließen, die von anderen öffentlichen Händen nicht zu schließen sind. Der Weg zur Festanstellung könnte so erleichtert werden. Außerdem möchte ich den Innenminister Seiters bzw. seinen Staatssekretär noch einmal bitten, alles dafür zu tun, daß er als Sportminister im Rahmen der erforderlichen Umschichtungen innerhalb des Innenministeriums bei der Globalkürzung den Sportbereich völlig außen vorläßt. Dies wäre ein gutes Zeichen für die Arbeit mit der Jugend. Auch ist mir klar, daß, wie es die Opposition fordert, aber auch die Zahlen und Wünsche im „Goldenen Plan Ost" des Deutschen Sportbundes zu erkennen geben, immer mehr Mittel in die Haushalte eingestellt werden könnten, als zur Zeit zur Verfügung stehen. Trotzdem bin ich der Auffassung, daß wir ein gutes Stück vorangekommen sind und sich Möglichkeiten aufgetan haben. Nutzen wir diese, besonders im Interesse der vielen Millionen Deutschen, die im Sport eine sinnvolle Freizeitbetätigung suchen und finden, sich aber auch an Spitzenleistungen oder an Medaillen erfreuen. Vielen Dank. ({0})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nun spricht der Kollege Wolfgang Mischnick.

Wolfgang Mischnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001512, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! In einer Zeit, in der Arbeitsplatzsorgen die Menschen in den hinzugekommenen Ländern bedrücken, in der Existenzfragen eine große Rolle spielen, ist es manchmal nicht ganz leicht, begreifbar und sichtbar zu machen, daß der Sport eine gesellschaftspolitische Bedeutung hat, die weit über das hinausgeht, was man in der Vergangenheit bei der Förderung des Spitzensports gewohnt war. Jetzt die Erkenntnis zu fördern - nicht nur bei denjenigen, die selbst bereit sind, Sport zu treiben, bei denjenigen, die neue Vereine gegründet oder alte wiedergegründet haben, sondern auch bei denjenigen, die in den Verwaltungen tätig sind -, daß der Sport für die Jungend, für die jungen Menschen, für die heranwachsenden Menschen und gerade da wichtig ist, wo sich Arbeitslosigkeit besonders negativ auswirkt, das ist oft nicht ganz einfach. Ich verstehe auch, daß das bei vielen schwierig ist. Deshalb ist es eine unserer wesentlichen Aufgaben, diese gesellschaftliche Bedeutung in den hinzugekommenen Ländern sichtbar zu machen - über die Schule hinaus, in den gesamten gesellschaftlichen Ablauf hineinwirkend. Nun wird geklagt, daß zuwenig in dieser Richtung geschehe. Das ist überall so. Ich kenne keinen Bereich, in dem nicht geklagt wird, daß zuwenig geschehe. Auch diejenigen, die die Sportpolitik ernst nehmen, wissen, daß sie alles in eine Gesamtgestaltung einbetten müssen. ({0}) Deshalb ist es gut, daß der „Goldene Plan" vom Deutschen Sportbund vorgelegt wurde, der einen Rahmen für das darstellt, was er als notwendig erachtet. Inwieweit er umgesetzt werden kann, in welchem Zeitrahmen er umgesetzt werden kann, ist eine Frage, die im Dialog zwischen Politik und Sport weiter verfolgt werden muß. Mit dem Entschließungsantrag, den wir vorgelegt haben, wird eine Weichenstellung gegeben. Sie macht deutlich, daß die Grundgedanken richtig sind, daß man über die Frage der Umsetzung von Fall zu Fall bei der Prioritätensetzung sprechen muß und Schritt für Schritt vorangeht. Ich möchte dabei allerdings nicht verwischen, daß für den Breitensport Länder und Gemeinden zuständig sind, und zwar nicht, weil ich etwas abwälzen will, sondern weil das, was eine grundgesetzliche föderalistische Ordnung vorgibt, hierbei nicht verlorengehen darf, damit man sich der Verantwortung bewußt bleibt. ({1}) Das schließt ja nicht aus, daß auch vom Bund Hilfestellung geleistet wird, wie das schon geschehen ist. Es ist doch nicht so, daß der Bund nichts getan hat. Der „Goldene Plan" geht von einer Struktur aus, wie wir sie in den 50er/60er Jahren hatten. Da will ich allerdings nicht verschweigen, daß auch bei der Dreifachzuständigkeit - Bund, Länder und Gemeinden - Reibungsverluste eintraten, so daß man sich sehr genau überlegen muß, ob wir bei einer eventuellen Umsetzung Fehler der Vergangenheit wiederholen oder nicht. Bei einer Entscheidung über eine Sportstätte in einer Stadt vermag ich nicht einzusehen, warum drei Instanzen nicht nur die Entscheidung treffen, sondern auch überprüfen, ob sie richtig war. Des weiteren muß man bedenken, daß durch den Solidarpakt Vorgaben vorhanden sind, bei denen der Sport bisher leider noch nicht den entsprechenden Stellenwert erhalten hat. Mit der Arbeitsgemeinschaft, die hier noch tätig ist, wollen wir versuchen, noch einige Millionen hineinzubringen. Wenn unabhängig davon über den Solidarpakt den Kommunen bestimmte Mittel zweckgebunden zur Verfügung gestellt werden, heißt das, daß man diese Bereiche nicht im eigenen Etat einsetzen muß und dafür natürlich anderes übernehmen kann. Das bedeutet auch nicht, daß damit von vornherein ein Freispruch gegeben ist, sich nicht selbst darum zu bemühen, auch in die eigenen Prioritäten diese Gesichtspunkte einzubeziehen. ({2}) Der nächste Punkt, der bei der ganzen Überlegung nach meiner Überzeugung eine Rolle spielt, ist, daß wir Hilfestellung leisten müssen, das Gewicht des Sports auch bei unseren Kollegen, die die Entscheidungen auf Landes- und auf kommunaler Ebene zu treffen haben, sichtbar zu machen. Hier ist auch der Sport gefordert, deutlich zu machen, daß das alleinige Rufen nach der Zentrale - wie das in der ehemaligen DDR üblich war; da wurde ja alles zentral geleitet - falsch ist, sondern daß man selber in den eigenen Bereichen daran mitwirken muß, daß positive Entscheidungen zur Erhaltung der Sportstätten fallen. Daß wir nicht lange warten dürfen, sondern bei vielen Dingen sehr schnell gehandelt werden muß, damit nicht der Verfall weiter fortschreitet und es damit viel teurer wird, es übermorgen wieder in Ordnung zu bringen, ist eine gemeinsame Erkenntnis. Ich war allerdings etwas erschrocken, daß bei einer Anhörung aus den westlichen Ländern zum Teil zu hören war, warum wir uns überhaupt um Breitensport, Schulsport und solche Dinge kümmerten, das sei reine Landessache. Wenn das die grundsätzliche Einstellung ist, muß man das natürlich auch durchhalten, wenn es an die Finanzierung geht. ({3}) Deshalb ist es notwendig, dies miteinander vernünftig zu einer weiteren Verbesserung auch der finanziellen Ausstattung im Rahmen der Gesamtmöglichkeiten zu bringen. Sie haben recht, Herr Schmidt: Da sind viele Investitionen dabei. Investitionen sind in dieser Situation richtig und notwendig. Ich frage mich aber manchmal, ob alle diejenigen, die über die Situation vor Ort zu entscheiden haben, bereit sind, so abzuwägen, wie es im Interesse einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung notwendig ist. Da sollten wir ein bißchen mithelfen, damit hier nicht Verzögerungen bzw. Hinausschiebungen eintreten. Es sind noch nicht alle Probleme gelöst, die mit der Treuhand zusammenhängen. Weitgehend sind sie jetzt aber schon vorangebracht worden. Das liegt jedoch nicht allein an der Treuhand - damit da kein Irrtum entsteht -, sondern zum Teil auch daran, daß Gemeinden noch zögern, Sportanlagen zu übernehmen, weil sie sich vor den Folgekosten fürchten. Von deren Standpunkt ist dies eine verständliche Reaktion - von der Sache her, wie wir sie vertreten, ist dies nicht verständlich. Hier unseren Kollegen, die in den Stadtparlamenten und in den Landtagen tätig sind, zu helfen, daß hier das richtige Verständnis wächst, scheint mir notwendig zu sein. Man sollte das auch weiter so betreiben. Hier sind schon ein paar Hinweise über die eigenen Aktivitäten in den Vereinen gegeben worden. Ich kann das ergänzen. Ich will das aber mit einem spezifischen Punkt ergänzen. Ich glaube, man sollte auch viel Wert darauf legen, daß Traditionsvereine, die durch das SED-Regime damals kaputtgemacht worden sind und jetzt versuchen, sich wieder zu bilden, Hilfestellung über die Verbände erhalten, so daß sie sich wieder bilden können und wieder wettbewerbsfähig werden. Ich denke z. B. - Kollege Nelle weiß, auf was ich hinaus will - an den Dresdner Sportclub, der ja damals mit ganz fiesen Methoden kaputtgemacht worden ist und sich nun wieder als Allroundverein bemüht, hier mitzuwirken. Es ist wichtig, daß man hier auch über die Sportverbände Hilfestellung leistet, daß man sich bewußt ist, daß man hier auch eine gewisse Tradition fortsetzen kann und bei den Sportstätten, die sie hatten, mithelfen kann, diese entsprechend zu unterstützen, damit sie tätig werden können. Das gilt für alle Sportarten. Ich gebe ganz offen zu, daß ich bei den speziellen Freunden aus der Leichtathletik, bei den Gehern, immer das Gefühl habe - weil sie sowieso keine Profis werden können, weil sie sowieso keine Mark verdienen; im Gegenteil, das Geld immer mitbringen müssen -, daß man daran am wenigsten denkt, es aber dann zu Überraschungserfolgen bei den Olympischen Spielen kommt. Dabei denke ich z. B. an Weigel mit der Bronzemdaille. Hier auch privat Anreize zu geben und zu helfen, müßte unsere Aufgabe sein. Die Firmen können dies zum Teil noch nicht. Aber die Firmen, die aus Westdeutschland in der ehemaligen DDR Zweigfirmen haben, sollten doch dabei daran denken, daß sie etwas für die allgemeine Jugenderziehung tun können. Lassen Sie mich zu dem zweiten Teil - Dopinggesetz - noch eine kurze Bemerkung machen.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Kollege Mischnick, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schmidt?

Wolfgang Mischnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001512, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Aber selbstverständlich.

Wilhelm Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002022, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Mischnick, da Sie jetzt offensichtlich zum zweiten Teil übergehen, würde ich in Anbetracht des Themas zum ersten Teil noch fragen: Was sagen Sie denn nun zum „Goldenen Plan"? ({0})

Wolfgang Mischnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001512, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe doch gesagt, daß ich ihn für einen guten Plan halte, daß er entwicklungsfähig ist, daß aber die Umsetzung mit den finanziellen Möglichkeiten in Einklang gebracht werden muß und daß man verhindern muß, daß die Fehler wiederholt werden, die beim Goldenen Plan der 50er und 60er Jahre auftraten. Damals gab es bürokratische Hemmnisse, weil drei Stellen dabei waren. Das habe ich doch alles gesagt. Haben Sie das schon wieder vergessen? - Es tut mir leid, wenn das übersehen worden ist. Nun zu der Frage des Gesetzentwurfs in bezug auf die Dopingkontrollen. Wenn hier eine Vereinbarung international geschlossen werden soll, dann halte ich das für richtig. Ich halte es für notwendig. Alleingänge bringen im Bereich Doping wenig bzw. fast gar nichts. Es ist auch notwendig, daß unsere Sportfunktionäre, die international tätig sind, darauf drängen, daß das, was wir für richtig und notwendig halten und was über internationale Vereinbarungen umgesetzt werden muß, überall angewendet wird, so daß es nicht zu einem Großteil eine deutsche Angelegenheit bleibt, in diesem Bereich tätig zu werden. Ich bin sehr froh darüber, daß inzwischen mancher auch in den Sportverbänden, der bisher Doping für ein Kavaliersdelikt gehalten hat, zu neuen Einsichten gekommen ist. Eines muß man allerdings auch sagen: Nicht alles, was in diesem Bereich geschieht, kann man allein auf gesetzlichem Wege regeln. Hier kommt es darauf an, daß alle Beteiligten, nicht nur die Sportler selber, sondern auch die Trainer, die Ärzte sowie die Verbands- und Vereinsfunktionäre gemeinsam dies so sehen, nämlich daß die Bekämpfung von Doping ein wichtiges Mittel ist, um Sportler vor persönlichem Schaden zu bewahren, den sie selber oft gar nicht erkennen können, wenn diese Manipulation vorgenommen wird. Deshalb werden wir diese Bemühungen unterstützen. ({0})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Frau Dr. Ruth Fuchs.

Dr. Ruth Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000615, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Hinsichtlich des Antrags der SPD „Sofortprogramm zur Förderung des Sports in den neuen Bundesländern" halte ich folgende Bemerkungen für wichtig: Für mich drängt sich der unmißverständliche Eindruck auf, daß nicht Weitsichtigkeit, sondern das politische Tagesgeschäft mit den zu vielen Entscheidungen der Politik in diesem Hohen Haus dominiert. Sparen ist das Motto, und so treten nahezu zwangsläufig diejenigen gesellschaftlichen Belange in den Hintergrund und werden letztlich als nicht finanzierbar abgelehnt, deren Wert nicht unmittelbar in Mark-und Pfennigbeträgen Ausdruck erhält. Im Gleichklang damit werden durch diejenigen, die die Verteilung der Mittel des Bundeshaushalts zu beraten und zu beschließen haben, bestimmte Lebensbereiche als gesamtgesellschaftlich bedeutend im Prozeß der Herstellung der Einheit gesehen, deren Nutzen offensichtlich einer verkürzt gedachten Kosten-Nutzen-Rechnung entspricht. Leider ist der Sport in seiner gesamten Breite ungeeignet, dieser Maxime zu entsprechen. So erfährt er auch nicht die Anerkennung, wie er sie verdienen würde und tatsächlich auch verdient. Es bleibt zu hoffen, daß vor allem die den Sport vertretenden Parlamentarier gerade in der momentan schwierigen Situation auch weiterhin für die Bereitstellung wesentlicher Mittel - ich denke da insbesondere an die Sportstättensanierung votieren werden. Zur zweiten Drucksache: Die Zivilisationskrankheit des Hochleistungssports heißt Doping, dessen weltweiter Gebrauch ohne Zweifel zu einer Werte- und Sinnkrise im Sport geführt hat. Der uns vorliegende Entwurf eines Gesetzes zum Übereinkommen gegen Doping kann ein Schritt dahin gehend sein, einen Ausweg aus dieser Krise zu finden. Wenn ich sage „ein Schritt", meine ich damit, daß in diesem Entwurf die Bekämpfung des Doping zu einseitig auf Maßnahmen von Symptombekämpfung - wie Verboten und Kontrollen - reduziert ist. Will man aber eine Krankheit erfolgreich bekämpfen, gilt es, die Ursachen zu bekämpfen. Hier beginnt das Ganze, zu einem wesentlich komplizierteren Problem zu werden. So steht z. B. in der Präambel des Entwurfs, daß das vorrangige Ziel des Sports die Erhaltung der Gesundheit zu sein hat. Des Sports: ja. Aber dies für den Hochleistungssport formulieren zu wollen ist nicht nur unrealistisch, sondern Selbstbetrug. Das Ziel ist und bleibt Produktion von Höchstleistungen, - natürlich mit der Verpflichtung, alles zu tun, das gesundheitliche Risiko so klein wie möglich zu halten. Dies ist machbar, indem man ein System einer kontinuierlichen medizinischen und prophylaktischen Betreuung von Spitzensportlern organisiert, die es in dem notwendigen Umfang immer noch nicht gibt. Ein zweites Problem, das ungelöst bleibt: Der Spitzensport selber hat mit der Dominanz des Geldverdienens einen Hauptgrund von Leistungsmanipulation gesetzt. In einer Welt, wo Geldranglisten, Werbeverträge, Siegprämien etc. dominieren, wo über den Martkwert einer Leistung verhandelt wird, ist die Gefahr, daß Moral und Fair play an Bedeutung verlieren, so groß geworden, daß der Griff zum Doping verführerisch wird; denn Sieg heißt: höchster Lebensstandard und öffentliche wie gesellschaftliche Anerkennung. Was die Definition des Begriffs Doping betrifft, so bestehen Unklarheiten und international unterschiedliche Interpretationen darüber, welche Mittel und Formen in welcher Sportart unter die Rubrik Substitution bzw. Reproduktion fallen und somit kein Doping sind. Hier ist Klärungsbedarf notwendig, der auf nationaler und internationaler Ebene durch Experten aus Sportwissenschaft, Medizin und anderen Wissenschaftsbereichen geleistet werden muß. Eine Hauptaufgabe im Kampf gegen Doping muß neben Verboten und Kontrollen die Aufklärung und Wissensverbreitung über die selbstzerstörerischen und gesundheitsschädlichen Folgen von Dopingmißbrauch sein. Auch hier sind international ausgerichtete professionelle Aufklärungskampagnen eine Notwendigkeit. Dabei wissen wir: Die kosten sehr viel Geld, Schafft man es nicht, allein nur diese genannten Probleme zu verändern oder zu lösen - aus Zeitgründen fehlt da noch eine ganze Menge -, wird Doping den modernen Hochleistungssport weiter begleiten. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nun hat die Kollegin Ilse Janz das Wort.

Ilse Janz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001019, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Das Übereinkommen gegen Doping kommt zu einer Zeit, in der dieses Thema dafür sorgt, daß sich der Sport oft in negativen Schlagzeilen befindet. 1989 wurde es vom EG-Ministerkomitee beschlossen. Wahrscheinlich war dieser Zeitpunkt schon zu spät. Die in dem Übereinkommen dargestellten Fakten basieren auf den Jahren seit 1986. Heute hat sich das Problem verschärft und ausgebreitet und eine öffentliche Dimension erreicht, mit der damals vielleicht niemand gerechnet hat. Deshalb müßte es eigentlich einen aktualisierten Entwurf geben. Trotzdem: Meine Fraktion und ich begrüßen dieses Übereinkommen, das die Möglichkeit eröffnet, die individuellen nationalen Rechte entsprechend zu verändern und dafür zu sorgen, daß zumindest europaweit einheitlich vorgegangen und die internationale Harmonisierung angegangen wird. Dieses Übereinkommen enthält viele allgemeine Aussagen, die von uns kritisiert werden. Lassen Sie mich als Beispiel Art. 7 nennen: In ihm wird lediglich „angeregt" , daß die nationalen Sportorganisationen ihre entsprechenden Rechte und Pflichten sowie Aufgaben aufeinander abstimmen. Die Vertragsparteien sollen ihre nationalen Sportorganisationen „ermutigen", z. B. wissenschaftliche Trainingsmethoden zu unterstützen oder Richtlinien zu erarbeiten. Ein wichtiges Instrument dieses Übereinkommens könnte die in Art. 10 festgelegte „beobachtende Begleitgruppe" sein, wenn sie nicht schon durch die Formulierung zu einer Sitzungskommission ver12908 kommt, die sich nur ab und zu trifft. Diese Begleitgruppe, meine ich, muß aufgewertet werden. Sie muß, wenn sie wirksam arbeiten soll, eigene Rechte haben, mit möglichst vielen Sachverständigen aus Politik, Wissenschaft und Sport besetzt sein und dann auf eigene Veranlassung zusammentreten. Sie muß Forderungen erheben und die Einleitung von Maßnahmen direkt vorschlagen können und nicht - wie vorgesehen - lediglich die Anwendung dieses Abkommens verfolgen. Meine lieben Kollegen und Kolleginnen, so wie jetzt ratifiziert werden soll, ist es uns zuwenig. Nun hat sich die Bundesregierung mit dem Ratifizierungsgesetz schon so lange Zeit gelassen. Denn das Übereinkommen wurde von ihr bereits im Mai 1992 unterzeichnet. Aber außer den zwei Absätzen haben wir noch nicht erfahren, wie sie sich die Umsetzung dieses Übereinkommens vorstellt. Vielleicht gelingt uns das heute. Ich bin aber sicher: Es wird konkrete Forderungen aus dem Sportausschuß in Richtung Bundesregierung geben. Was ist Doping? Die Wissenschaft beschreibt den Begriff Doping als „Versuch einer Leistungssteigerung mit Mitteln, die normalerweise nicht oder nicht in solchen Dosen zugeführt werden, wobei die Art der Zufuhr grundsätzlich bedeutungslos ist", oder als „eine künstliche Steigerung der Leistungsfähigkeit im Sport". Für mich ist und bleibt Doping Betrug: ({0}) an der Person selbst und am Nächsten. Doping gefährdet extrem die Gesundheit. Die Idee des sportlichfairen Wettkampfs ist damit passé. Das hat jetzt auch, wie wir aus den Medien erfahren, der scheidende Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes endlich begriffen. Viel wird in dieser Frage die Ost-West-Problematik hochgeredet und -geschrieben. Ich will noch einmal deutlich erklären: Gedopt wurde und wird in Ost- und Westdeutschland. Deshalb ist das ein Problem für uns alle in der Gesellschaft. Nur die Methoden, die Systematik und die Größenordnung waren in der ehemaligen DDR anders und sind deshalb heute besser nachzuvollziehen. In den alten Bundesländern wurde individueller gehandelt. Spektakuläre Fälle wie Krabbe trugen das Ihre dazu bei. Beim Doping im Spitzensport sind mir manche Äußerungen von Sportfunktionären total unverständlich, z. B.: Wenn alle dopen, herrscht doch auch Wettbewerbsgleichheit. - Eine solche Abgebrühtheit halte ich für unverschämt, kommt hier doch eindeutig zum Vorschein: Hauptsache Medaillen und Siege, möglichst im Medaillenspiegel an der Spitze stehen. Aber welche Spätfolgen ein kontinuierliches Dopen für die Sportlerin oder den Sportler im gesundheitlichen Bereich hat, scheint egal zu sein. Wenn es wirklich nur um gleiche Chancen im Wettkampf geht, dann ohne Doping. Diese Einstellung richtet sich nicht gegen den Spitzensport, sondern ist eine Einstellung für Fairneß und körperliche Unversehrtheit. ({1}) Es ist leider keine neue Erkenntnis, daß Frauen und Mädchen durch Doping besonders gefährdet sind. Die gravierenden Störungen und Komplikationen gerade bei den Sportlerinnen sind hinreichend bekannt. Die Skala der Dopingverstöße beginnt mit Hormonversuchen an minderjährigen Jungen und Mädchen - zum Teil schon beginnend im Alter von 11 Jahren - und wird im Laufe der Zeit mit der regelmäßigen Verabreichung von Mixturen aus Anabolikapräparaten fortgesetzt. Die Sportlerinnen so ist vielfach belegt - schlucken mehr Anabolika als ihre männlichen Kollegen. Mädchen und Frauen wurden auf diese Weise oft ohne ihr Wissen zu „Versuchstieren im Testlabor" degradiert, ohne über die vielen physiologischen und psychologischen Auswirkungen aufgeklärt zu werden. Lebensbedrohliche Organbelastungen - ich kennzeichne das bewußt drastisch - werden auf dem schmalen Grat zwischen Tod und Vermännlichung wie selbstverständlich in Kauf genommen. In diesem Zusammenhang ist es für mich erstaunlich, wie wenig wissenschaftliche Untersuchungen es zum Bereich „Frauen und Sport" oder „Frauen und Doping" gibt. Es ist jetzt höchste Zeit, daß sich die Wissenschaft mit der Dopingproblematik insbesondere bei den jungen Mädchen, aber auch bei den Hochleistungssportlerinnen auseinandersetzt und gesichertes Forschungsmaterial vorlegt. Zeitungsüberschriften wie „Versuchskaninchen Mensch" oder „Erst in die Tiermast, dann in den Sport" müssen uns alle aufrütteln und zum Handeln zwingen. Bilder, die der Heidelberger Professor Franke beim zweiten Runden Tisch des Deutschen Leichtathletik-Verbandes in Erfurt vorgestellt hat, dürfen uns nicht gleichgültig lassen. Die jungen Körper waren entsetzlich anzusehen: voller Pickel, dicker roter Wucherungen und entsetzlicher Akne. Nicht erst seit heute sind die Nebenwirkungen von Anabolika bekannt. Ich will hier nur einige nennen: Hormon- und Fettstoffwechselstörungen, Leberschädigung bis zum Krebs, Blutfettstörungen schwerster Art, Herzinfarkte schon bei sehr jungen Menschen, schwere Depressionen, Schlafstörungen, Virilisierung bei Frauen, Hodenschrumpfung bei Männern. Das alles hat bei vielen Verantwortlichen in den Verbänden sowie bei den Ärzten, Trainern und Betreuern leider nicht dazu geführt, auf Doping bei ihren Schützlingen zu verzichten. Im Gegenteil: Inzwischen scheint es fast „in" zu sein, auch in weiten Kreisen des Breitensports - beim Bodybuilding, bei den Catchern - seinen Fleisch- und Fitneßzuwachs über Anabolika herzustellen. Die Versuchung, mehr leisten zu wollen, als nach Veranlagung und Trainingszustand vorhanden ist, scheint vor niemandem haltzumachen. Der jüngste Bericht der Weltgesundheitsorganisation belegt das. Ich bin fest davon überzeugt, daß sich dieser Trend fortsetzen wird, wenn wir - Sport, Politik, Ärzte und Wissenschaft - nicht umgehend Einhalt gebieten. Meines Erachtens ist es dringend erforderlich, bereits in den Schulen auf diese Gefährdungen hinzuweisen. Es muß eine Öffentlichkeits- und Informationskampagne betrieben werden, die, weg von der Konzentrierung auf den Spitzensport, auf die Gefahren insgeIlse Janz samt aufmerksam macht. Die Wissenschaft muß sich hiermit intensiv beschäftigen. Es muß uns gemeinsam gelingen, Hersteller und Handel stärker zu kontrollieren. Wenn, wie im Grundgesetz festgelegt, Unabhängigkeit und Selbstverantwortung des Sports fundamentale und unabhängige Prinzipien sind und sich die Verbände vehement auf ihre Autonomie berufen können, ist der Sport gefordert, entsprechend zu handeln und für einen doping-freien Sport zu kämpfen. Dazu gehört die Effizienz der Trainings- und Wettkampfkontrollen auf nationaler und internationaler Ebene ebenso wie entsprechende Sanktionsmaßnahmen. Die für den Dopingmißbrauch verantwortlichen Trainer, Mediziner und Funktionäre müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Denn wenn jetzt nicht entscheidende Schritte unternommen werden, ist es fraglich, ob die Vertreter des fairen und humanen Sports den Wettlauf gegen die Manipulatoren je gewinnen werden. Die SPD fordert seit langem eine rasche Umsetzung des im Frühjahr letzten Jahres unterzeichneten Übereinkommens. Dazu müssen wirksame Regelungen über die Verfügbarkeit - einschließlich der Bestimmungen über Kontrolle, Verbreitung, Besitz, Einfuhr, Verteilung und Verkauf sowie Anwendung - verbotener Dopingwirkstoffe durchgesetzt werden. Das bedeutet, liebe Kolleginnen und Kollegen, ganz eindeutig eine Verschärfung des Arzneimittelgesetzes und des Betäubungsmittelgesetzes. ({2}) Ich beziehe mich hier auch auf den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages, der in seiner Ausarbeitung vom März 1992 zu diesem Ergebnis kommt, sowie auf ein Gutachten des Justitiars des DSB vom Februar diesen Jahres. ({3}) - Auch das hat er in der Anhörung gesagt. Sie müssen richtig zuhören. Die Gesetzeslücke beim Erwerb und der mißbräuchlichen Verschreibung von Dopingarzneimitteln muß geschlossen werden. Die finanzielle Unterstützung der Dopingforschung, bei der Verbesserung des Dopingkontrollsystems sowie bei den von mir schon erwähnten Aufklärungsmaßnahmen im Bildungs- und Erziehungswesen muß verstärkt werden. Wir, die SPD, fordern gesetzgeberische Maßnahmen mit wirksamen Strafen für verantwortliche Mediziner, Betreuer, Trainer und für andere Personen, die für die Verletzung der Vorschriften gegen Doping bzw. für Manipulationen mit und an Minderjährigen verantwortlich sind. Für uns gehört dazu ein Rückbau der erfolgsorientierten Bundestrainerverordnung unter dem Stichwort: je mehr Medaillen, desto mehr Geld. ({4}) Wir wollen eine Verbesserung der medizinischen Nachsorge auch nach Aufgabe des Leistungssports und eine Absenkung der Qualifikationsnormen für internationale Wettkämpfe. Das Stichwort muß heißen: „Deutsche Meisterin" ist auch eine Qualifikation. Wir sind auf dem politischen Feld gemeinsam gefordert, die Schritte einzuleiten, die erforderlich sind, um aus dem europäischen Übereinkommen ein tatsächliches, wirksames Handlungskonzept zu machen. Deshalb habe ich bereits bei der ersten Behandlung im Sportausschuß vorgeschlagen, im Hinblick auf die zukünftige gemeinsame Handhabe alle Aspekte zu beleuchten und einen nationalen wissenschaftlichen Kongreß durch das Bundesinstitut für Sportwissenschaften durchführen zu lassen, der die sportpolitische, gesundheitspolitische - wir wissen alle, daß wir mit den Gesundheitspolitikern noch in eine Diskussion treten müssen -, juristische und verbandsrechtliche Positionen analysiert. Danach sollten die Konsequenzen für die Umsetzung dieses europäischen Übereinkommens gemeinsam eingeleitet werden. Ich bedanke mich. ({5})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nun spricht der Kollege Roland Sauer.

Roland Sauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001922, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein Hinweis, Frau Kollegin Janz: Wir hatten am Mittwoch den Leiter des Kölner Doping-Kontrollabors hier, Professor Donike. Er sagte - wie auch Herr Dr. Evers -: Statt bei der Dopingbekämpfung die vorhandenen Gesetze zu verschärfen - wie Sie es offensichtlich gehört haben -, sollten die bestehenden Vorschriften voll ausgeschöpft werden. Protokoll: „Heute im Bundestag". ({0}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Athletenkommission des IOC, beim Kongreß in BadenBaden vor Jahren äußerst aktiv, als es um die Mitwirkungsrechte ging, meldet sich nun mit der Forderung zurück, das IOC solle eine Meinungsführerschaft im Kampf gegen Doping im Sport übernehmen. Wie sieht es aber nun wirklich aus? Das IOC will den Bluttest, das IOC verzichtet auf den Bluttest. Gewiß nicht verzichten wird das IOC aber auf die Medienmillionen, die es mit kommerzialisierten Spielen verdienen kann. Ist dies nicht ausschlaggebend, warum der Kampf gegen Doping im Sport so aussichtslos erscheint? Seit Jahren setzt sich der Sportausschuß dafür ein, eher auf Medaillen zu verzichten, als durch chemischpharmakologische Manipulationen den Stellenwert des Sports in unserer Gesellschaft zu ruinieren. Oftmals hatte es den Anschein, als würden einige Sportfunktionäre diese Gefahr verkennen. Von manchem scheint sie bis heute noch nicht erkannt zu sein. Dabei ist sie mehr als evident. Ich nenne hier einige Beispiele, sie sind symptomatisch: Da verwehrt der Leiter eines Gymnasiums die Bildung einer Leichtathletik AG mit dem Hinweis, Roland Sauer ({1}) diese dopingverseuchte Sportart könne man Kindern nicht zumuten. Da begründen Stadtkämmerer die Forderung nach Kürzung der Sportfördermittel mit dem Hinweis auf Doping und auf die Fernsehmillionen, die in wenigen Sportarten und von wenigen Sportlern und Sportlerinnen verdient werden, und meinen, das Freizeitverhalten von Menschen verdiene keine Förderung mehr. Da ist keine Rede mehr von den sozialen Verpflichtungen und gesellschaftlichen Aufgaben, die durch den Sport erfüllt werden und von unzähligen Frauen und Männern ehrenamtlich erbracht werden. Da beginnt man offensichtlich, die öffentliche Aufgabe Sport zu negieren und sie als reines Privatvergnügen abzutun. So weit ist es also schon gekommen. Das sind die Folgen von Kommerz und Doping. Wie sagte doch vor kurzem der frühere Olympiasieger Thompson: Kommerz und Doping machen den Sport kaputt. Wer hier gegensteuern will, muß den Kampf gegen Doping im Sport noch engagierter führen, als dies heute in einigen Sportkreisen schon getan wird. Für uns gilt - dies ist unumkehrbar -: Wer gegen Drogen kämpft - und wir kämpfen gegen Drogen -, der muß auch entschieden gegen Doping angehen ({2}) und kann Doping - wie es der Kollege Mischnick schon gesagt hat - nicht augenzwinkernd als Kavaliersdelikt durchgehen lassen. Daher müssen alle wissen: Wer hier nicht konsequent mitzieht, entzieht sich der öffentlichen Unterstützung. Hier gibt es auch kein Schwarz-WeißDenken und kein Ost-West-Gefälle. Wir wissen heute: In einigen Sportarten haben viele in Ost und West Dreck am Stecken, auch wenn sie jetzt so tun, als hätten sie davon nichts gewußt. Bereits im ersten Hearing in den 70er Jahren wurde die Frage nach der Wechselwirkung zwischen Doping und den vom DSB gesetzten Olympianormen gestellt, weil jedem Fachkundigen klar war: Bestimmte Normen sind nur mit Doping zu erreichen. Ich denke hier vor allem an die Kraftsportarten. Aber im Zeichen des Wettkampfs der Systeme galt offenbar in weiten Kreisen des Sports und wohl auch bei der ihn unterstützenden Politik die Parole: Augen zu und durch! Nicht nur, weil dieser Wettkampf der Systeme nun nicht mehr besteht, sondern auch, weil wir um die soziale Bedeutung des Sports für die Menschen wissen und uns verantwortlich fühlen, sagen wir noch einmal und ganz deutlich: Lieber weniger Medaillen, dafür aber wieder mehr Hochachtung und Anerkennung für den Sport, für die Aktiven und für die Mitarbeiter. In den Texten des Übereinkommens ist nun theoretisch alles enthalten, was zur Dopingbekämpfung notwendig ist. Es gilt nun, diese Absichten in Taten umzusetzen, nicht nur europaweit, sondern weltweit. Ein Punkt von besonderer Bedeutung scheint mir zu sein: Wir müssen in allen Ländern der Welt unangemeldete Trainingskontrollen durchsetzen. Dies trägt zur Chancengleichheit und zur Chancengerechtigkeit bei. Ich meine, hier ist das IOC aufgefordert, nun endlich Nägel mit Köpfen zu machen. Das IOC hat mit der Zulassung zu den Olympischen Spielen den entscheidenden Schlüssel zur Lösung der Dopingproblematik in der Hand. Das IOC muß diese Möglichkeit nutzen. Nun verbinden die Kollegen von der Opposition mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die Erwartung, ein Antidopinggesetz durch die Hintertür, durch die kalte Küche zu erreichen. Ich warne davor. Die bestehenden Regelungen in den Gesetzeswerken reichen aus. Man muß sie nur - wie es uns auch die Experten sagen - konsequent anwenden. ({3}) Ich denke an das Arzneimittelrecht, an das Betäubungsmittelgesetz, an das Lebensmittelrecht und an das allgemeine Strafrecht. Ein Staat, der die Autonomie gesellschaftlicher Gruppen ernst nimmt, sollte nicht versuchen, bloß weil sich diese derzeit partiell schwertun, mit Gesetzen in sie hineinregieren zu wollen. Er sollte seine Kraft darauf konzentrieren, die Sportorganisationen im Kampf gegen Doping tatkräftig zu unterstützen. Dies wollen wir, und dies tut die Bundesregierung, und zwar mit großen finanziellen Aufwendungen schon in den letzten Jahren. Im übrigen haben wir in unserem Land viele dieser Vorschläge der Konvention schon längst umgesetzt. Wo aber bleibt zumindest die moralische Verurteilung der Sportverbände, die sich dem Kampf gegen Doping zu entziehen versuchen? Wenn das IOC seinen moralischen Anspruch nicht gefährden will, muß hier endlich deutlich Flagge gezeigt und ein Bekenntnis abgelegt werden. Ansonsten wird das IOC zum Totengräber seiner eigenen Ideale und am Stellenwert des Sports in der Gesellschaft. ({4}) Wir stimmen dem Überweisungsvorschlag zu. Wir sind gewiß, die Beratungen im Sportausschuß werden als Ergebnis die engagierte Fortsetzung im Kampf gegen Doping bringen. Herzlichen Dank. ({5})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nun spricht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Eduard Lintner.

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung ist schon immer der Auffassung, daß der Sport wesentlich dazu beitragen kann, die Lebensverhältnisse der Menschen zu verbessern. Ein demokratisch strukturierter Vereinssport leistet Wichtiges für den freiheitlichen und sozialen Rechtsstaat insgesamt. Der Sport, insbesondere der Vereinssport, gehört zu den stabilisierenden und auch wertevermittelnden Institutionen unseres Staatswesens. Daß für den Vereinssport benutzbare Sportanlagen logischerweise die unabdingbare Voraussetzung sind, ist uns allen natürlich klar. Wir alle wissen, daß gerade in den neuen Bundesländern hier noch erheblicher Nachholbedarf besteht. Der Deutsche Sportbund hat mit der Vorlage seines Memorandums zum „Goldenen Plan Ost" eine im ganzen sehr brauchbare Analyse der Situation in den neuen Ländern vorgenommen. In den vergangenen Jahren ist seitens der Kommunen in den neuen Ländern bei der Sportstättensanierung schon einiges bewegt worden. Einiges haben die Vereinsmitglieder selber als Eigenleistung eingebracht. Wie das vom Sportausschuß durchgeführte Hearing ergeben hat, sind beispielsweise bei der Sportstättensanierung Mittel in nicht unbeträchtlichem Umfang, etwa 100 Millionen DM aus der kommunalen Investitionspauschale sowie aus dem Programm Aufbau Ost, eingesetzt worden. Im Entwurf der Bundesregierung über einen Nachtragshaushalt 1993 sind 1,5 Milliarden DM als kommunale Investitionspauschale vorgesehen. Bei der abschließenden Aufzählung der Aufgabenbereiche sind die Sporteinrichtungen nicht enthalten. Immerhin können die Mittel der Investitionspauschale aber für den Schulausbau verwandt werden. Dazu gehören selbstverständlich auch Schulsportanlagen im weitesten Sinn, die gleichzeitig für den Breitensport benutzt werden können. ({0}) - Die Liste ist lang, zugegebenermaßen, Herr Schmidt. Aber wir können das wirklich nicht in einem Jahr erledigen. Entscheidend kommt es jetzt darauf an, daß die Länder und Kommunen diese Möglichkeit bei der Umsetzung des Programms ausschöpfen. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, daß die Kommunen in den neuen Ländern und auch die Landesregierungen dem Sport zunehmend den ihm zukommenden Stellenwert zubilligen. Das muß gelegentlich öffentlich anerkannt werden. Jedenfalls bringen bloßes Wehklagen und ständig neue Forderungen den Breitensport nach unserer Auffassung nicht weiter. Zum Entwurf eines Vertragsgesetzes zu dem Übereinkommen vom 16. November 1989 gegen Doping will ich noch folgende Anmerkungen machen: Erstens. Doping hat dem Ansehen des Spitzensports bei der Bevölkerung und vor allem bei jungen Leuten erheblichen Schaden zugefügt. Zweitens. Die Bundesregierung stellt weiterhin - wie schon in der Vergangenheit - ihre Förderbereitschaft für den Spitzensport unter den Vorbehalt, daß der deutsche Sport alle erdenklichen Anstrengungen im Kampf gegen Doping und andere Manipulationen unternimmt. Drittens. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die deutschen Sportorganisationen den Kampf gegen Doping ernst nehmen. 4 000 Trainingskontrollen außerhalb des Wettkampfes, die im vergangenen Jahr durchgeführt wurden und auch für dieses Jahr wieder vorgesehen sind, sind ein Schritt in die richtige Richtung. Das Risiko für die Athleten ist auf Grund der Zufallskontrollen, die ohne Vorankündigung durchgeführt werden, unkalkulierbar geworden. Viertens. Innerstaatliche Antidopingregeln reichen aber allein nicht mehr aus. Es ist unabdingbar, daß in allen Staaten ein Dopingkontrollsystem angewandt wird, das dem unsrigen vergleichbar ist; denn, meine Damen und Herren, die Athleten müssen selbstverständlich wissen, daß im Wettkampf Chancengleichheit besteht, d. h., daß alle Konkurrenten nicht manipuliert sind. Die deutschen Sportorganisationen müssen in dieser Richtung auf internationaler Ebene entschieden eintreten und tätig werden. Fünftens. Das Übereinkommen vom 16.Oktober 1989, das nicht auf Europa beschränkt ist, sondern auch Drittstaaten offensteht, hat das Ziel, im Kampf gegen Doping international einen gleichen Standard zu schaffen. In diesem Sinne werden den Vertragsstaaten und ihren Sportorganisationen auch einheitliche Maßstäbe und Maßnahmen vorgegeben. Das in Deutschland geltende Antidopingsystem des deutschen Sports, das staatlicherseits flankierend unterstützt wird, erfüllt im wesentlichen die Anforderungen des Übereinkommens. Der Bund wird prüfen, ob und gegebenenfalls welche Folgeregelungen aus dem Übereinkommen erforderlich werden. Gleiches gilt natürlich auch für den deutschen Sport selbst und für die Bundesländer. ({1}) Es ist zu wünschen, daß der Kampf gegen Doping Erfolg hat und der Sport weltweit wieder auf den Pfad der Tugend und der Fairneß zurückkehrt: Eltern müssen ihre Kinder ohne Sorge vor Manipulationen dem Spitzensport anvertrauen können. Junge Menschen müssen sich ohne Angst, in ihrer Entwicklung oder gar in ihrer Gesundheit beeinträchtigt zu werden, Vereinen, Funktionären und Trainern anvertrauen können, und der Spitzensport muß seine - teilweise leider verlorene - Vorbildfunktion für den Breiten- und den Freizeitsport wieder erfüllen können. Das ist jedenfalls unser Wunsch. Ich bedanke mich fürs Zuhören. ({2})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Sportausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Förderung des Sports in den neuen Ländern, Drucksachen 12/2815 und 12/4484. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist diese Beschlußempfehlung bei einer großen Zahl von Enthaltungen einstimmig angenommen. ({0}) Vizepräsidentin Renate Schmidt - Der SPD-Fraktion, lieber Kollege Struck. Wie sollte sonst die große Zahl der Enthaltungen zustande kommen? Der Regierungsentwurf zu dem Übereinkommen gegen Doping auf Drucksache 12/4327 soll an die in der Tagesordnung genannten Ausschüsse überwiesen werden. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen dann zu Tagesordnungspunkt 15 und Zusatzpunkt 10: 15. Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Joachim Hacker, Iris Gleicke, Regina Kolbe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Herstellung der Rechtseinheit bei grundeigenen Bodenschätzen - Drucksache 12/3969 Überweisungsvorschlag: Ausschuß Treuhandanstalt ({1}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ZP10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Rolf Schwanitz, Hans-Joachim Hacker, Robert Antretter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Herstellung der Rechtseinheit bei grundeigenen Bodenschätzen H - Drucksache 12/4621 -Überweisungsvorschlag: Ausschuß Treuhandanstalt ({2}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Aussprache dreiviertel Stunden vorgesehen. Gibt es dagegen Widerspruch? - Ich sehe keinen. Dann ist auch dies so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem dem Kollegen Rolf Schwanitz das Wort.

Rolf Schwanitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002123, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heute von den Sozialdemokraten vorgelegten Anträge berühren ein ostdeutsches Thema von hoher Brisanz. In Mecklenburg-Vorpommern, in Sachsen-Anhalt und in Sachsen schließen sich Menschen zusammen, auf deren Grundeigentum private Unternehmen Kiese und Sande abbauen wollen. Im Erzgebirge und im Vogtland vereinigen sich Bürgerinitiativen mit Kommunal- und Landespolitikern, um gemeinsam gegen Steinbrüche vorzugehen, die wie Pilze aus dem Boden schießen sollen. Was ist geschehen? Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zunächst einen kurzen Rückblick auf die Entstehungsgeschichte der heutigen Situation hinsichtlich der strittigen Vorhaben zum Abbau von Bodenschätzen in den neuen Bundesländern vornehmen. Die fein säuberliche Trennung in bergfreie und bergeigene Bodenschätze, wie sie das Bundesberggesetz für die Bundesrepublik seit Jahren festgeschrieben hat, ist in der DDR bis 1990 unbekannt gewesen. Die Unterscheidung zwischen bergfreien Stoffen, also jenen wertvollen Bodenschätzen wie Gold, Eisen, Kupfer, die unabhängig vom Grundeigentum auf staatliche Genehmigung hin abgebaut werden können, und bergeigenen Bodenschätzen, also jenen geringerwertigen Bodenschätzen, bei denen der Abbau nur im Einvernehmen mit dem Grundeigentümer erfolgen kann, spielte in der DDR keine Rolle. Es entsprach dem vormundschaftlichen Wesen des DDR-Staates, daß Bodenschätze, waren sie auch nur im entferntesten Sinne volkswirtschaftlich interessant, dem Volkseigentum, also dem Eigentum des Staates, zugeordnet worden sind. Erst im Zuge der deutsch-deutschen Vereinigung im Jahre 1990 entstand die Notwendigkeit, dieses restriktive DDR-Recht an die differenzierten Regelungen des Bundesberggesetzes der Bundesrepublik anzupassen. So erließ die Regierung de Maizière im August 1990 eine Verordnung, in der der Umfang der bergfreien Bodenschätze definiert worden ist. In dieser Verordnung allerdings, die durch den Einigungsvertrag unbefristet als weitergeltendes Recht in den neuen Bundesländern verankert worden ist, wurde der Umfang der bergfreien Bodenschätze im Vergleich zum Bundesberggesetz, also zur Regelung in den Altbundesländern, wesentlich erweitert. Insbesondere zählen in Ostdeutschland seitdem Bodenstoffe wie Kiese und Sande, Glimmer, Kaolin, Marmor oder Quarz, also Stoffe, die vor allen Dingen in der Bauwirtschaft benötigt werden, zu den bergfreien Bodenschätzen. Parallel zu dieser Verordnung, wenige Tage vor dem 3. Oktober 1990, verlieh der Ministerrat der DDR der Treuhandanstalt das Bergwerkseigentum an diesen zusätzlichen bergfreien Bodenstoffen, was wenige Zeit darauf durch die zuständigen Bergämter bestätigt worden ist. Durch den Status dieser zusätzlichen bergfreien Bodenschätze wurden die Interessen der Grundeigentümer auf der Ostseite, die ja in vielen Fällen Privatleute sind, zugunsten der Bauunternehmer beschnitten. Machen wir uns dies einmal an einem Beispiel klar: Während der Abbau einer Kiesgrube oder etwa der Abbau von Quarzgestein in einem Steinbruch in den alten Bundesländern nur im Einvernehmen mit dem Grundeigentümer erfolgen kann, weil die Bodenstoffe als grundeigene Bodenschätze gelten, spielen die Interessen der Grundeigentümer in den neuen Bundesländern nahezu keine Rolle mehr. Das heißt im Klartext: Im Konfliktfall wird ein Abbau auch gegen den Willen des Grundeigentümers erfolgen. Die Treuhandanstalt hat zwischenzeitlich begonnen, ihr Bergwerkseigentum an private Unternehmen zu veräußern. Diese Unternehmen wenden sich dann ihrerseits an die zuständigen Bergbehörden, um - zwischenzeitlich natürlich durch den Kauf mit gesicherten Rechtsansprüchen ausgerüstet - das vorgesehene Bewilligungsverfahren zum Aufsuchen und zur Gewinnung der Bodenschätze in die Wege zu leiten. So kommt es in nicht wenigen Fällen dazu, daß die Grundeigentümer und die betroffenen Kommunen erst im Stadium des Bewilligungsverfahrens - zum Teil nur durch die öffentlichen Medien - vom beantragten Abbau von Bodenschätzen sowie vom Einrichten von Steinbrüchen erfahren, und dies zu allem Überfluß in einem Umfang, der in keinem Verhältnis mehr zum für die Bauwirtschaft notwendigen Bedarf steht. Allein im sächsischen Erzgebirge und im Vogtland wurde beispielsweise der Abbau von bergfreien Bodenschätzen für eine Fläche von mehr als 4 000 ha beantragt, wobei für 600 ha der Abbau bereits bewilligt worden ist. Meine Damen und Herren, an dieser Stelle sollten noch einige Bemerkungen zur Quantität gemacht werden. Auf die Frage, in wie vielen Fällen Bergwerkseigentum durch die Treuhandanstalt an interessierte Unternehmen veräußert worden ist, antwortete die Bundesregierung folgendermaßen: Insgesamt sind in den neuen Bundesländern 870 Bergwerksfelder auf diese Art und Weise zur Treuhand gelangt. Differenziert nach Ländern sieht dies so aus: In Mecklenburg-Vorpommern sind es 128 Bergwerksfelder; bis zum 30. November 1992 waren 35 % davon bereits verkauft. In Brandenburg sind es 159 Bergwerksfelder, davon 35 % bereits verkauft. In Sachsen-Anhalt sind es 192 Bergwerksfelder, davon 36 % bereits verkauft. In Sachsen sind es 244 Bergwerksfelder, davon 48 % bereits verkauft. In Thüringen sind es 147 Bergwerksfelder, wovon 41 % bereits verkauft worden sind. Im Schnitt waren zum 30. November 1992 also 40 % dieser Bergwerksfelder durch die Treuhandanstalt bereits an Privatunternehmen veräußert worden. Da die Öffentlichkeit bis jetzt nur von denjenigen Vorhaben Kenntnis erhalten hat, die im Wege des Bewilligungsverfahrens bei den Bergämtern quasi an die Öffentlichkeit geraten sind, müssen diese Zahlen zusätzlich alarmieren. Das, was momentan in den neuen Bundesländern zu sehen ist - der damit verbundene Aufruhr ist wahrlich groß genug -, ist offensichtlich nur die Spitze des Eisbergs. Wir Sozialdemokraten wollen zunächst einmal positiv unterstellen, daß die Regierung der DDR, die diese umfangreichere Liste bergfreier Stoffe ausgearbeitet hat, und die Bundesregierung, die diese Liste im Einigungsvertrag für die neuen Bundesländer bestätigt hat, dies in der Hoffnung eines erleichterten Abbaus mineralischer Rohstoffe und einer Förderung der ostdeutschen Bauwirtschaft getan haben. Ich kann mich jedoch nicht von dem Verdacht befreien, daß es damals auch darum gegangen ist, der Treuhandanstalt auf einfachem Wege lukrative Bergwerksfelder und damit zusätzlichen Gewinn zu beschaffen - einen Gewinn, für den die ostdeutschen Grundeigentümer dauerhaft durch einen Verzicht auf Eigentümerrechte bezahlen sollen und der in seinen maßlosen territorialen Folgen ernsthafte Beeinträchtigungen der kommunalen Entwicklung mit sich bringt. ({0}) Wir Sozialdemokraten wissen sehr wohl, daß dies nicht nur ein Problem der Kiese und Sande ist. Unser Antrag hat deshalb mehr exemplarischen Charakter. Worauf es nun vor allem ankommt, ist, daß der Treuhandanstalt ein Veräußerungsstopp in bezug auf diese Bergwerksfelder auferlegt wird, damit in dieser schwierigen Verwaltungssituation nicht noch weitere Unternehmen mit unanfechtbaren Rechtsansprüchen in die ostdeutschen Kommunen dringen. Deshalb unser zweiter Antrag. Die Bundesregierung muß sich im dritten Jahr der deutschen Einheit - und dies unabhängig vom Ausgang der laufenden Verfassungsklage - endlich Gedanken machen, wie die ostdeutschen Verwaltungen, vor allem die Kommunen, bei der Bewilligung hinreichend beteiligt und die Grundeigentümer im Osten nur noch übergangsweise benachteiligt werden und wie vor allem auch bei den bergfreien Bodenschätzen eine Vereinheitlichung des Rechts in den alten und den neuen Bundesländern vorgenommen wird. Die „Goldgräbermentalität in Wildostmanier" muß im Interesse der ostdeutschen Bürger und Kommunen wenigstens für die Zukunft verhindert werden. Danke. ({1})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Die Kollegin Vera Wollenberger bittet um Ihre Zustimmung, ihre Rede zu Protokoll geben zu dürfen. Besteht damit Einverständnis? - Dann ist dies so beschlossen.*) Als nächster spricht der Kollege Ulrich Petzold.

Ulrich Petzold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001700, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es geschehen immer noch Zeichen und Wunder. Meine Damen und Herren von der Opposition: Ein einziges Mal schreibt der Einigungsvertrag, wie Sie es angeblich wünschen, Entschädigung vor Rückgabe vor - und schon beantragen Sie eine Änderung und berufen sich auf Art. 14 des Grundgesetzes. Nun gut. - Warum halten gerade CDU-Abgeordnete aus den neuen Bundesländern die Regelung im Einigungsvertrag, die auf einer Verordnung der letzten Volkskammer basiert, für derzeit noch unverzichtbar? Lassen Sie mich ein Beispiel anführen. In Walkenried/Südharz in Niedersachsen fördert die Firma Börgarts als Gipshersteller den grundeigenen Bodenschatz bei einer Kapazität von nur 100 000 t im Jahr, und das aus sieben verschiedenen Tagebauen. Dieses wirtschaftlich unsinnige Vorgehen ist notwendig, da sich jeder Grundeigentümer trotz grundsätzlicher Genehmigung des Abbaus gegen den Verkauf von Grund und Boden sperren kann. Bei einer Einigung der Grundbesitzer wäre es ihnen ein leichtes, einen Förderbetrieb totzumachen. Mit der Kenntnis dieses Sachverhalts und mit dem Wissen, daß für den Aufbau der vernachlässigten Infrastruktur in den neuen Bundesländern riesige Mengen von Bauzuschlagstoffen erforderlich wären, war es nur folgerichtig, daß die Volkskammer in der Verordnung vom 15. August 1990 auch diese Betonzuschlagstoffe den bergfreien Bodenschätzen zuordnete. Die von Ihnen in Ihrem Antrag aufgeführte Verordnungsermächtigung des Bundeswirtschaftsministers aus dem Einigungsvertrag bezieht sich ausdrücklich *) Anlage 3 auf das DDR-Berggesetz vom 12. Mai 1969 und damit auf die dritte Durchführungsverordnung vom 12. August 1976. ({0}) Die parallel zum Einigungsvertrag von der Volkskammer beschlossene „Verordnung über die Verleihung von Bergwerkseigentum" ist also nicht durch die von Ihnen benannte Regelung aus dem Einigungsvertrag erfaßt und kann deshalb meines Erachtens nicht einfach durch eine Verordnung des Bundesministers für Wirtschaft geändert werden. Ihre Feststellung, daß mit der unterschiedlichen Zuordnung der Steine-und-Erden-Bodenschätze Unterschiede im Bergrecht der alten und der neuen Bundesländer entstanden sind, ist zwar prinzipiell richtig; aber diese unterschiedliche Abgrenzung ist selbst innerhalb der alten Bundesländer nicht neu. Sie kommt vielmehr in verschiedenartiger Ausgestaltung vor. So stehen z. B. Salze, insbesondere die Kalisalze, in weiten Teilen Norddeutschlands den Grundeigentümern zu, während sie im übrigen Alt-Bundesgebiet zu den bergfreien, d. h. dem Grundeigentum entzogenen Bodenschätzen gehören

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Herr Kollege, würden Sie kurz eine Pause machen und mir die Möglichkeit geben, Sie zu fragen, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen?

Ulrich Petzold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001700, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich.

Rolf Schwanitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002123, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, Sie haben soeben die Volkskammer der DDR für die Verordnung vom August 1990 mit in die Verantwortung genommen. Stimmen Sie mir zu, daß nach den Rechtsetzungsgrundsätzen der DDR eine Verordnung in der ehemaligen DDR nicht in die Rechtsetzungskompetenz der Volkskammer fiel, sondern in die des Ministerrats?

Ulrich Petzold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001700, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Verordnung ist von Herrn de Maizière unterschrieben. Ich gehe deshalb davon aus, daß der Ministerrat mit dieser Verordnung einverstanden war. Ich glaube, Sie kennen die etwas schwierigen Verhältnisse in der Volkskammer während dieser Übergangszeit. Damals ist einiges vielleicht nicht ganz so gelaufen, wie es hätte laufen müssen. ({0}) - Ob es falsch gelaufen ist, ist eine andere Frage. ({1}) - Herr Schwanitz, Sie haben ja auch nicht dagegen gestimmt. Wenn diese Unterschiede in der Zuordnung im bisherigen Bundesgebiet möglich waren, sehe ich hier keinen Verstoß gegen das Gebot der Gleichbehandlung nach Art. 3 des Grundgesetzes. Außerdem, meine Damen und Herren von der Opposition: Ist es nicht immer wieder ein Vorwurf von Ihnen, daß den neuen Bundesländern zu schnell das Recht der Alt-Bundesländer „übergestülpt" wurde? Lassen Sie uns doch wenigstens für einen Teil der Aufbauphase die leichter handhabbare Volkskammerverordnung! ({2}) - Darüber läßt sich diskutieren. Der Vorwurf, daß mit der Beibehaltung der alten Verordnung nur die Wirtschaftskraft der Treuhandanstalt gestärkt werden soll, ist etwas an den Haaren herbeigezogen. Für den Bestand der Bergbauberechtigungen und damit für den Erhalt der Bergbaustandorte war eine Anmeldung bei den Bergämtern bis zum 3. April 1991 vorgeschrieben. Durch die Treuhandanstalt wurde dies fach- und sachgerecht vorgenommen, so daß auch nicht eine einzige hochwertige Lagerstätte verlorenging. So konnten bis heute durch die Treuhandanstalt von den 326 Kiesvorkommen in den neuen Bundesländern 227 - das ist die Zahl von gestern - verkauft werden. Bei den oft unklaren Eigentumsverhältnissen in den neuen Bundesländern wäre das bei Nichtübertragung an die Treuhandanstalt wohl kaum möglich gewesen. Eine Verzögerung, die durch Klärung der Eigentumsverhältnisse und Neuanmeldung der Bergbauberechtigung entstanden wäre, hätte durch wirtschaftlich und ökologisch nicht wünschenswerten Ferntransport von Grundbaustoffen ausgeglichen werden müssen. Das Bauen in den neuen Bundesländern wäre allein unter dem Gesichtspunkt, daß die Frachtkosten per Lkw bei Entfernungen von 15 km bis 30 km den Warenwert bereits überschreiten, wesentlich teurer geworden. Die Zusammenarbeit zwischen der Treuhandanstalt und den Bergämtern wird in der Regel als gut eingeschätzt, was nicht ausschließt, daß gerade 1990, in der Aufbauphase der Treuhandanstalt, Ungereimtheiten beim Verkauf der Bergbauunternehmen und Lagerstätten vorgekommen sind. ({3}) Unsicherheit bei der Bevölkerung verursacht außerdem, daß die Bewilligung für eine Lagerstätte im Volksglauben mit einer Betriebsgenehmigung gleichgesetzt wird. Auch der Vorwurf der verfassungswidrigen Enteignung ist so nicht haltbar. Nach den klaren Aussagen der Treuhandanstalt hält sie sich streng an das Bundesberggesetz. Eigentümer, unter deren Grund und Boden ein Kiesvorkommen abgebaut werden soll, werden zum landwirtschaftlichen Bodenwert entschädigt. Die Entschädigungshöhe variiert dabei zwischen 2 DM pro Quadratmeter für Ödland bis hin zu 20 DM pro Quadratmeter für beste Qualität. Die in der DDR enteigneten Grundeigentümer werden nach dem von uns beschlossenen VermögensgeUlrich Petzold setz behandelt. Das heißt, falls das Kiesvorkommen noch nicht ausgebeutet ist, hat der Grundeigentümer die Möglichkeit, einen Reprivatisierungsantrag zu stellen oder eine Entschädigung zu erhalten. Dies gilt allerdings nur, wenn entschädigungslos enteignet wurde. ({4}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, im Interesse des schnellen Aufbaus der neuen Bundesländer und erfolgreicher Investitionen wäre die Beibehaltung des Rechts für eine möglichst lange Zeit wünschenswert. In dem zur Zeit vor dem Bundesverfassungsgericht zu diesem Thema laufenden Verfahren werden die Rechtsstandpunkte geklärt, so daß wir bis zum Abschluß des Verfahrens abwarten sollten. Falls erforderlich, können wir dann eine behutsame Neuregelung vornehmen. Ich danke Ihnen. ({5})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nun spricht der Kollege Klaus Beckmann.

Klaus Beckmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Herstellung der Rechtseinheit bei grundeigenen Bodenschätzen mag ja von der Idee her zu begrüßen sein. Aber bei genauerer Betrachtung der Umstände wäre die Umsetzung der Idee zum jetzigen Zeitpunkt aus meiner Sicht wenig hilfreich. ({0}) Die Rechtmäßigkeit der unterschiedlichen Behandlung von Bodenschätzen wie Torf, Kies oder Gips in den alten und den neuen Bundesländern wird zur Zeit, wie Sie wissen, vom Bundesverfassungsgericht geprüft. Ich denke, daß der Gesetzgeber in dieser Situation nicht übereilt handeln, sondern die endgültige Klärung dieser Frage abwarten sollte. Die von der SPD vorgetragenen rechtlichen Bedenken rechtfertigen es aus meiner Sicht nicht, von dieser Haltung abzuweichen. Ich will deutlich sagen, daß meine Fraktion eine größtmögliche Freiheit von Grundeigentümern befürwortet, damit diese ihren Grund und Boden auch wirtschaftlich nutzen können. Doch können wir in der Unterstellung von Bodenschätzen unter das Bergrecht keinen offensichtlichen Verstoß gegen Art. 14 des Grundgesetzes sehen. Daß regionale Unterschiede in der Zuordnung von Bodenvorkommen zu den bergfreien oder grundeigenen Bodenschätzen möglich sind, zeigt die unterschiedliche Behandlung z. B. von Kalisalzen in den alten Bundesländern. Es müssen nur vernünftige Gründe dafür vorliegen. Verehrte Kolleginnen, liebe Kollegen, wäre die hier angegriffene Regelung im Einigungsvertrag aus dem Beweggrund getroffen worden, der in der Begründung des SPD-Antrags unterstellt wird, nämlich daß die Wirtschaftskraft der Treuhandanstalt gemehrt werden sollte, würden sich in der Tat Zweifel an der Rechtmäßigkeit aufdrängen. Die Motive waren damals aber die Sorge um eine gesicherte Rohstoffversorgung für die Bauindustrie und auch die Erhaltung der wirtschaftlichen Einheiten, um einen geordneten Übergang der als Kombinate geführten Abbaubetriebe in die Marktwirtschaft zu gewährleisten. ({1}) Wenn also vernünftige Gründe für einen unterschiedlichen Rechtszustand in den alten und in den neuen Bundesländern sprechen, kann nicht ohne weiteres von der Verletzung des Gleichheitsgebots ausgegangen werden, die eine Änderung des Einigungsvertrags zum jetzigen Zeitpunkt rechtfertigen würde. Ich denke, dieser Einsicht folgen richtigerweise auch die Chefs der Staatskanzleien der neuen Bundesländer, die sich für eine abwartende Haltung ausgesprochen haben. ({2}) Eine Rücknahme der Unterstellung von Kiesen - Sie haben recht, Herr Kollege - unter das Bergrecht würde außerdem Milliardeninvestitionen gefährden, die zu einer Sicherung von Tausenden von Arbeitsplätzen in den Gewinnungsbetrieben geführt haben. ({3}) Der Entzug der ca. 500 bereits an private Investoren vergebenen Bergbauberechtigungen würde Schadensersatzforderungen in Milliardenhöhe mit sich bringen und auch den Zusammenbruch der Baustoffindustrie befürchten lassen. ({4}) Ich ziehe das Fazit: Die besseren Gründe sprechen dafür, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abzuwarten. ({5}) Deshalb lehne ich namens der F.D.P.-Fraktion den Antrag der sozialdemokratischen Fraktion ab. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Gunter Weißgerber das Wort.

Gunter Weißgerber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002464, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich frage mich: Was hindert uns als vernünftige Menschen eigentlich, erkannte Fehler rückgängig zu machen? Hier werden Fehler vorgeworfen, die 1990 passiert sind. Wir haben sie erkannt. Es ist viel problematischer, als wir es damals gesehen haben. Ändern wir es doch! Was hindert uns daran? ({0}) Ich spreche vor allem zu dem Zusatzantrag, d. h. zum Veräußerungsstopp für die Treuhand. Die ent12916 sprechenden Zahlen hat mein Kollege Schwanitz in seinem Beitrag sehr eindringlich genannt. Mit der Problematik gehen Angst und Wut auch in meinem Betreuungswahlkreis Obererzgebirge mit den Kreisen Annaberg-Buchholz, Marienberg und Zschopau einher, Angst um den einzigen natürlichen Standortvorteil für die Region: die Schönheit des Erzgebirges. Dieser Vorteil ist im Moment stark gefährdet. Wird dem unkontrollierten Treiben der Treuhandanstalt auf diesem Gebiet nicht Einhalt geboten, sieht das Erzgebirge in wenigen Jahrzehnten dem Braunkohlenrevier in Sachsen um Borna und Altenburg, wo ich herkomme, ähnlich.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zu beantworten?

Gunter Weißgerber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002464, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja; bitte.

Reiner Krziskewitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, würden Sie mir zustimmen, daß die Praktiken und die Geschehnisse, die Sie schildern, nicht eine Frage des Eigentums, sondern eine Frage der Genehmigungspraxis der Bergbehörden sind?

Gunter Weißgerber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002464, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist so. Da muß man auch die Bergbehörden hinterfragen. Dabei spielt allerdings die Eigentumsregelung schon eine Rolle. Ich komme noch dazu.

Reiner Krziskewitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Darf ich eine Zusatzfrage stellen: Sind Sie mit mir der Ansicht, daß eine einzige Fläche in Privateigentum von nur 6 oder 10 a einen ganzen riesigen Kiestagebau lahmlegen kann?

Gunter Weißgerber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002464, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Zur Zeit herrscht Wildwuchs auf diesem Gebiet, das, was Sie hier so schön schildern, ist nicht der Fall. Dies ist kein Horrorgemälde, von mir etwa gedankenlos entworfen. Steinbrüche, unter heutigen, modernen Bedingungen betrieben, rasieren ganze Berge in historisch kurzer Zeit gnadenlos weg. ({0}) Ich möchte den Fraktionsvorsitzenden der Landkreisfraktion der SPD in Zschopau, Dieter Lang, zitieren. In einer Pressemeldung ließ er am 5. März dieses Jahres unter der satirischen Überschrift „Weg mit dem Erzgebirge! Freier Blick nach Böhmen!" seinen Hilferuf erklingen: Der Bergbau hat das Erzgebirge wiederentdeckt. Nach Silber und Uran findet jetzt der blanke Stein Interesse. Im Westerzgebirge hat man Abbauflächen von rund 5 000 ha beantragt. Dies entspricht der 15fachen Größe der Talsperre Eibenstock. Wie groß werden die Abbauflächen im mittleren und oberen Erzgebirge sein? Nicht nur, daß die Folgen der SDAG Wismut noch nicht beseitigt sind; nein, jetzt will man mit dem gesamten Gebirge Schluß machen. ({1}) Es muß einem das Herz bluten, wenn man hört, daß ganze Landschaften zermahlen werden sollen. So sagte ein Einheimischer. Die Wut geht um, weil sich in Eigentumsfragen offenbar nur die Begriffe geändert haben, nicht aber die faktische Erlebniswelt der Menschen. Vorher hieß es Volkseigentum und gehörte niemandem, allenfalls dem Politbüro. Heute gehört dem Eigentümer die Rasennarbe; was darunter liegt, bleibt Volkseigentum bzw. Treuhandmauschelgut. Der nunmehrige Eigentümer ist wieder keiner. ({2}) „Verhöhnung der Menschen" schwirrt mir an dieser Stelle als Begriff durch die Luft. Da diese Verhöhnung von der Bundesregierung sicherlich nicht beabsichtigt ist, sollte auch sie ein großes Interesse an einer Klärung im Sinne unseres Antrages haben. In der Argumentation pro Erzgebirgsabriß werden von den Verfechtern auch immer Arbeitsplätze ins Feld geführt. Wir wissen heute: Moderne Steinbrüche benötigen viel Technik und wenig Beschäftigte. Der im Erzgebirge anvisierte sanfte Tourismus ist im Gegensatz dazu umweltverträglich und bindet eine Vielzahl an Arbeitnehmern. Nichts spricht für den Raubbau am Kleinod Erzgebirge. Ostdeutschland ist nicht das Großlabor für im Westen nicht ausgelebte Begehrlichkeiten. Bieten wir dem Wildwuchs Einhalt, den Menschen und der Natur zuliebe! Danke. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Dr. Michael Luther das Wort.

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Einigungsvertrag mußte viele Übergangsregelungen schaffen. Warum? Es lag an den unterschiedlichen Rechtsgrundlagen, und allgemeines Ziel des Einigungsvertrags ist es, auf den verschiedenen Rechtsgebieten möglichst bald zu einer Rechtsangleichung zu kommen. Warum eigentlich wurde das unterschiedliche Bergbaurecht im Einigungsvertrag eingeführt? Was wäre geschehen, wenn von vornherein bundesdeutsches Recht gegolten hätte? Wichtig für diese Entscheidung war der notwendige Bestandsschutz für bestehende Gewinnungsbetriebe. Diese Betriebe hätten für den weiteren Betriebsablauf keine gültigen Genehmigungen gehabt. Bis bundesdeutsche Genehmigungen vorgelegen hätten, wäre Zeit ins Land gegangen. Diesen Stillstand wollte keiner. ({0}) Ein zweiter wichtiger Grund war, daß für den Aufbau im Osten, d. h. für den Straßenbau, für den Wohnungsbau, für Modernisierung und Instandhaltung, ein erheblicher Bedarf an Kiesen, an Sanden, aber auch an Gesteinen, Schotter usw. zu erwarten war. Auch diese Zielvorstellung ist nach wie vor aus heutiger Sicht richtig. Die Frage ist heute, ob es neue Erkenntnisse gibt, die eine Korrektur dieser Regelung im Einigungsvertrag erforderlich machen. An erster Stelle steht für mich die Rechtseinheit. Bei verkauften Bergwerksrechten für bergfreie Bodenschätze sind die Grundeigentümer im Osten wesentlich schlechter gestellt als die im Westen, und zwar letztendlich auf Dauer.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Dr. Luther, würden Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schwanitz beantworten?

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Rolf Schwanitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002123, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, würden Sie mir bei der Feststellung zustimmen, daß in der Altbundesrepublik in den 50er Jahren der Aufbau aus Trümmern auch ohne eine solche extensive Regelung möglich war?

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Schwanitz, ich hatte ausdrücklich das wichtige Motiv betont, das für mich wie sicherlich auch für Sie bei der Zustimmung zum Einigungsvertrag gegolten hat, nämlich die Fortsetzung der bestehenden Betriebe. Es gab einen zweiten Grund, der ebenfalls nach wie vor als gültig angesehen werden kann. Wir haben nicht mehr die 50er Jahre, sondern befinden uns im Jahre 1993. Sie kennen die Spannungsverhältnisse innerhalb Deutschlands. Ein Aufbau kann nicht praktisch aus dem Nichts heraus einheitlich in einem Land erfolgen, sondern es gibt eine Differenzierung innerhalb des Landes. Die Bedingungen sind anders und aus meiner Sicht nur bedingt mit denen des Jahres 1950 vergleichbar. An erster Stelle - das habe ich schon gesagt - steht für mich die Rechtseinheit. Bei verkauften Bergwerksrechten für bergfreie Bodenschätze sind die Grundeigentümer im Osten schlechter gestellt als die im Westen, und das auf Dauer. Die Bergwerksrechte sind für den Besitzer vererbbar und dinglich belastbar, also nicht rückführbar. Damit bleibt ein dauerhafter Unterschied zwischen Ost und West. Das berührt schon Art. 14 Grundgesetz. Die Klage beim Bundesverfassungsgericht muß und wird hier eine Klärung bringen. Bis dann ist es sicher sinnvoll, von einem weiteren Verkauf von Bergwerksrechten abzusehen. Eine zweite wichtige Frage wird uns von der Praxis gestellt: Was ist mit den durchaus guten und positiven Beweggründen des Einigungsvertrages geworden? Hier möchte ich auf einen in meiner Heimat spektakulären Fall eingehen: das Wildenfelser Zwischengebirge. Hier wurden von der Treuhand die Abbaurechte für ein 62 ha großes Gebiet an einen Privatbetrieb verkauft. Das Sächsische Staatsministerium für Wirtschaft und Arbeit erstellte die Bewilligungsurkunde zur Erkundung. Bei der Erstellung der Bewilligungsurkunde für die genannte Lagerstätte war zu prüfen, ob Versagensgründe vorliegen. Sie kommen in Betracht, wenn im gesamten zuzuteilenden Bewilligungsfeld überwiegend öffentliche Interessen den Abbau von Kalkstein - und darum geht es hier - ausschließen. Die Bewilligungsbehörde hat keine überwiegenden entgegenstehenden öffentlichen Interessen festgestellt. Für mich ergibt sich jedoch die Frage, wie man prüfen konnte, ob es entgegenstehende öffentliche Interessen gibt, wenn weder Bürgermeister noch Gemeinderat, weder Landrat noch Kreistag dazu befragt wurden. Was zeigt uns die Praxis weiter? Die Treuhand wurde z. B. beauftragt, große Lagerstätten zu teilen und die Vergabe der geteilten Felder an mehrere mittelständische Unternehmen bei tragfähigen Unternehmenskonzepten vorzunehmen. Damit ergeben sich für mich drei Fragen: Erstens. Ist ein 62 ha großes Abbaufeld kein großes Abbaufeld? ({0}) Zweitens. Der Privatmann, der eine Bewilligungsfläche erworben hat, möchte abbauen. Was passiert, wenn auf Grund von öffentlichem Interesse im Raumordnungsverfahren oder im Planfeststellungsverfahren festgestellt wird, daß in diesem Feld überhaupt nicht abgebaut werden kann? Das Wildenfelser Zwischengebirge könnte nach meiner Ansicht zu einem solchen Fall werden. Denn hier würde der Abbau keine kurzfristige Inanspruchnahme der Landschaft bedeuten; hier wäre hinterher ein Berg weg, der eigentlich Landschaftsschutzgebiet ist. Das ist eine dauerhafte neue Landschaftsgestaltung in einer Region, die eingezäunt ist durch die Wismutgebiete Crossen, Oberrothenbach, Trünzig, Ronneburg, Aue, Schlema, Schneeberg; genau dieser Kreis. Wird, wenn aus diesem öffentlichen Interesse heraus nicht abgebaut werden kann, der private Unternehmer entschädigt? ({1}) Wäre es nicht besser, erst zu prüfen und dann zu verkaufen und zu bewilligen? Drittens. Allein im Landkreis Zwickau - und die Landkreise in den neuen Bundesländern sind klein - gibt es 490 ha Bewilligungsflächen und für weitere über 1 000 ha Anträge auf Bewilligungen. Das sind insgesamt 1 500 ha; ein Streifen von 1 km Breite und 15 km Länge. Sicher ist, daß nur auf einem Teil dieser Fläche später einmal Rohstoffe gewonnen werden können. In der Zeit des Rechtsstreits - und der ist nun unabwendbar - passiert nichts. Arbeitsplätze im Sinne der Kreiskonzeption des Landkreises im Bereich Naherholung, Touristik, sanftes Gewerbe usw. können nicht realisiert werden; denn kein Investor für ein Hotel, für eine Sportanlage, für eine Freizeitanlage oder für ein anderes Gewerbe wird Geld investieren, wenn weithin sichtbar ein großflächiger Steinbruch entsteht und wenn praktisch die Zukunft des Landkreises nicht klar ist. Die Arbeitsplätze, die in dieser Region erforderlich sind, entstehen ebenfalls nicht; denn ein Steinbruch bietet nicht so viele Arbeitsplätze. ({2}) Das Negativste an dieser Geschichte ist aber etwas anderes: Die Bürger sind nicht gegen den Gesteinsabbau. Denn schon heute werden z. B. im Landkreis Zwickau pro Einwohner des Landkreises 16,8 t Gesteinsmaterial abgebaut; das ist doppelt so viel wie der Durchschnitt in den alten Bundesländern. Man ist auch ohne weiteres bereit, weitere Aufschlüsse zuzulassen. Aber es muß sinnvoll sein. Die Bürger fühlen sich durch die Vorgehensweise infolge der Regelungen des Einigungsvertrags überfahren. Es besteht die Gefahr, daß eine Tugend, die am Anfang bestand, nämlich die Bereitschaft der Menschen, nachzudenken, manches hinzunehmen, zu verstehen und mitzugestalten, in die Untugend umschlägt, grundsätzlich gegen alles zu sein. Hier, liebe Kollegen von der SPD, geben Ihre Parteifreunde aus der Landtagsfraktion in Sachsen, in meiner Heimat, kein gutes Beispiel. Sich des Themas anzunehmen ist eine gute Sache; es mit viel Demagogie vorzutragen hilft jedoch niemandem. Ich möchte noch einmal betonen: Die Bürger wollen den Aufschwung, und die Bürger wissen auch, was dazu benötigt wird, auch Steinbrüche. Die Regelungen im Einigungsvertrag, abschließend gesagt, sind aus meiner Sicht sinnvoll angelegt. Bei einer sinnvollen Anwendung führen sie auch zu dem, was wir eigentlich wollten. Leider gab es in der Praxis eine ganze Menge Ungereimtheiten. Deswegen sollten wir darauf hinwirken, daß diese Ungereimtheiten - nicht unbedingt der Ursprung der Regelungen - aufgehoben werden. Danke. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich erteile nun dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Kolb das Wort.

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie eine kurze Vorbemerkung. Kollege Weißgerber hat im Zusammenhang mit den grundeigenen Bodenschätzen von „Treuhandmauschelgut" gesprochen. Ich möchte diese Formulierung ausdrücklich zurückweisen ({0}) und feststellen, daß es die schwierige Aufgabe der Treuhandanstalt, die sie auf dem Boden und der Grundlage unserer Rechtsordnung erfüllt, nicht erleichtert, wenn die Rechtmäßigkeit ihres Handelns, und sei es in Nebensätzen, in Zweifel gezogen wird. Der vorliegende Antrag der SPD-Fraktion zur Herstellung der Rechtseinheit bei grundeigenen Bodenschätzen ist darauf gerichtet, die im Einigungsvertrag geregelte Zuordnung bestimmter Kiese und Kiessande zu den bergfreien Bodenschätzen im Verordnungswege im Sinne einer Zuordnung zu den grundeigenen Bodenschätzen zu ändern. Die Vorschriften über die Zuordnung der mineralischen Rohstoffe im Beitrittsgebiet sind neben den Überleitungsmaßnahmen für bestehende Gewinnungsrechte und für laufende Abbaugenehmigungen Kernpunkt der Regelungen des Einigungsvertrags zum Bergrecht. Vorrangiges Ziel dieser Regelungen war die Aufrechterhaltung und Sicherung der Versorgung der Volkswirtschaft mit den unverzichtbaren mineralischen Rohstoffen insbesondere im Energie- und Baurohstoffbereich. Dieses Ziel konnte nur unter Anpassung des Bundesberggesetzes an die unterschiedliche rechtliche und tatsächliche Situation im Bergbausektor der ehemaligen DDR erreicht werden. Dies geschah im Bereich der Zuordnung der Rohstoffe durch Überführung aller ehemals volkseigenen Bodenschätze in die Kategorie der ebenfalls nicht dem Grundeigentümer gehörenden bergfreien Bodenschätze. Da der Kreis der ehemals volkseigenen Bodenschätze umfassender war als der Kreis der bergfreien Bodenschätze im Alt-Bundesgebiet, sind die Kataloge der bergfreien und grundeigenen Bodenschätze in den alten und neuen Ländern nunmehr nicht voll deckungsgleich. Aber - Kollege Petzold hat zu Beginn schon darauf hingewiesen - unterschiedliche Abgrenzungen dieser Art sind auch innerhalb der alten Länder nicht ungewöhnlich. ({1}) So stehen z. B. Kalisalze in weiten Teilen Norddeutschlands den Grundeigentümern zu, während sie im übrigen Alt-Bundesgebiet bergfrei sind. ({2}) Für die neuen Länder bedeutet dies, daß insbesondere der Bereich der Baurohstoffe, wie hochwertige Kiese und Sande, aber auch andere Steine und Erden nach wie vor nicht der Verfügungsbefugnis der Grundeigentümer unterliegen. Diese Rohstoffe wurden in der DDR praktisch ausnahmslos von Kombinanten abgebaut. Entscheidend für die generelle Überführung aller ehemals volkseigenen Bodenschätze in bergfreie Bodenschätze unter Einbeziehung der Baurohstoffe war die sich abzeichnende außerordentliche volkswirtschaftliche Bedeutung gerade der Baurohstoffe für den Wiederaufbau in den neuen Ländern. Die Bedeutung dieser Regelungen wird durch die noch vor der Wende erfolgte Verleihung von Bergwerkseigentum in 861 Fällen an die Treuhandanstalt durch die de-Maizière-Regierung deutlich, durch die die Treuhandanstalt in den Stand versetzt wurde, ihren Privatisierungsauftrag im gesamten rohstoffgewinnenden Bereich zu erfüllen. Bei diesem Vorgang standen nicht die im vorliegenden Antrag genannten Gründe der Mehrung der Wirtschaftskraft der Treuhandanstalt, sondern - ich sage es ganz deutlich - überwiegende volkswirtschaftliche Belange der Rohstoffversorgung und des geordneten Übergangs von der Staatswirtschaft zur Marktwirtschaft im Vordergrund. Die Änderung der vorgefundenen bergrechtlichen Zuordnung insbesondere der hochwertigen Kiese und Kiessande im Sinne einer Zuordnung zum Grundeigentum hätte große Teile der flächenintensiven Kiesgewinnung bis zur bestandskräftigen Klärung von Parl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolb Restitutionsansprüchen im wesentlichen zum Erliegen gebracht. Eine, wie ich finde, nicht vertretbare zeitliche Verzögerung des Wiederaufbaus wäre die Folge gewesen. Im übrigen werden die im SPD-Antrag gegen diese Regelungen vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken von der Bundesregierung nicht geteilt. Diese Bedenken sind Gegenstand mehrerer Verfassungsbeschwerden, die dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorliegen. Da die SPD-Initiative in erster Linie mit diesen verfassungsrechtlichen Bedenken begründet wird, sollte vor einer Weiterverfolgung der Initiative die Klärung dieser Frage durch das höchste deutsche Gericht abgewartet werden. Eine Schlußbemerkung zu dem von der SPD eingebrachten Zusatzantrag zum sofortigen Veräußerungsstopp. Ein solcher Veräußerungsstopp in bezug auf das Bergwerkseigentum würde die Privatisierungsbemühungen der Treuhandanstalt im gesamten Rohstoffsektor konterkarieren. Das Bergwerkseigentum der Treuhandanstalt umfaßt, wie schon erwähnt, neben Steinen und Erden auch Braunkohle und Kali. Der Veräußerungsstopp würde einen massiven Rückschlag bei der Privatisierung der ostdeutschen Braunkohle- und Kaliindustrie mit nicht abzuschätzenden Konsequenzen für die Wirtschaft und die Arbeitsplätze bedeuten.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zu beantworten?

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Bitte sehr.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte sehr.

Hans Joachim Hacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000771, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, stimmen Sie mit mir darin überein, daß bis zur Verordnung vom 15. August 1990 die Grundeigentümer auch Eigentümer der darunterliegenden Kiesvorkommen waren und daß durch die Verordnung vom 15. August 1990 de facto und de jure eine Enteignung vorgenommen wurde?

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Das ist, Herr Kollege, leider so nicht richtig, wie Sie das dargestellt haben. Tatsache ist, daß die von mir gemachten Ausführungen zutreffen, wonach sich durchweg die im Einigungsvertrag vorgenommene Regelung an den tatsächlichen Verhältnissen in der früheren DDR orientiert hat. ({0}) Das gleiche, meine Damen und Herren, d. h. die nicht abzuschätzenden Konsequenzen für die Wirtschaft und die Arbeitsplätze, gilt auch für die Privatisierung der Baurohstoffindustrie. Mit dem von der SPD beantragten Stopp würde der Aufbau der Steine- und Erden-Industrie blockiert und damit, statt Hemmnisse abzubauen, ein weiteres Hemmnis für den wirtschaftlichen Aufschwung in den neuen Bundesländern geschaffen. Schönen Dank. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Aussprache. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen auf den Drucksachen 12/3969 und 12/4621 in Abweichung vom Überweisungsvorschlag in der Tagesordnung zu überweisen zur federführenden Beratung an den Ausschuß Treuhandanstalt und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft sowie an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist das so beschlossen. Wir sind damit am Ende unserer Tagesordnung. Ich möchte mich bei denjenigen, die noch hiergeblieben sind, herzlich bedanken und Ihnen ein angenehmes Wochenende wünschen. Ich hoffe, daß keine Ereignisse eintreten, die uns veranlassen, in der Osterpause eine Sondersitzung einzuberufen. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 21. April 1993, 13 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.