Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/2/1987

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Die Sitzung ist eröffnet. Meine Damen und Herren, die heutige Sitzung habe ich gemäß Art. 39 Abs. 3 Satz 3 des Grundgesetzes auf Grund eines Verlangens der Fraktion der SPD einberufen. Bevor wir uns der Tagesordnung widmen, darf ich einer verstorbenen Kollegin gedenken. ({0}) In Trauer gedenken wir des Mitglieds des Deutschen Bundestages, Frau Ruth Zutt, die am 29. Juni 1987 nach schwerer Krankheit verstarb. Frau Zutt wurde am 11. Juli 1928 in Speyer geboren, legte 1948 ihr Abitur ab und studierte an den Universitäten Heidelberg und Paris Volkswirtschaft, Soziologie und Politische Wissenschaften. Nach ihrem Diplomexamen als Volkswirtin übernahm sie die kaufmännische Leitung der elterlichen Schiffswerft in Speyer. Danach war sie Mitarbeiterin eines Wirtschaftskorrespondenten in Paris. 1970 trat Frau Zutt der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands bei. In Heidelberg sammelte sie von 1971 bis 1980 politische Erfahrungen als Stadträtin. Von 1973 bis 1977 war sie außerdem als ehrenamtliche Verwaltungsrichterin tätig. Eine Reihe von Jahren war sie auch Mitglied des Landesvorstandes der SPD Baden-Württembergs und Landesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen. Dem Deutschen Bundestag gehörte Frau Zutt seit 1980 an. Hier war sie zunächst Mitglied des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Später wechselte sie in den Haushaltsausschuß, wo sie als Berichterstatterin für die Ressorts Justiz und Landwirtschaft zuständig war. Ihre politische Arbeit im Deutschen Bundestag war vor allem durch ihr Engagement für die Menschenrechte und für Minderheiten gekennzeichnet. In der ihr eigenen beharrlichen und geduldigen Art hat sie sich ganz besonders für die Anliegen der Frauen in der Gesellschaft eingesetzt. Immer wieder appellierte sie an die Frauen, sich in verstärktem Maße auch politisch zu betätigen. Ich habe der Familie und der Fraktion der SPD meine Anteilnahme ausgesprochen. Der Deutsche Bundestag wird Frau Ruth Zutt ein dankbares und ehrendes Gedenken bewahren. Sie haben sich zu Ehren der Verstorbenen erhoben. Ich danke Ihnen. Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich bekanntgeben, daß eine Reihe von Kollegen in den zurückliegenden Wochen ihren Geburtstag gefeiert haben: der Abgeordnete Bernrath am 5. Juli 1987 seinen 60. Geburtstag, Parlamentarischer Staatssekretär Gallus am 6. Juli 1987 ebenfalls seinen 60. Geburtstag, der Abgeordnete Wischnewski am 24. Juli 1987 seinen 65. Geburtstag, Herr Vizepräsident Stücklen am 20. August 1987 seinen 71. Geburtstag, der Abgeordnete Dr. Pohlmeier am 22. August 1987 seinen 65. Geburtstag, der Abgeordnete Hinrichs am 28. August 1987 ebenfalls seinen 65. Geburtstag und der Abgeordnete Ruf am 30. August dieses Jahres gleichfalls seinen 65. Geburtstag. Ich darf allen Kollegen die besten Wünsche des Hauses übermitteln. ({1}) Meine Damen und Herren, für die verstorbene Kollegin Frau Zutt hat die Abgeordnete Frau Dr. Dobberthien die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag mit Wirkung vom 1. Juli 1987 erworben. Am 6. August 1987 hat der Abgeordnete Dr. Rumpf auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. ({2}) Als sein Nachfolger hat der Abgeordnete Dr. Hitschler am 7. August 1987 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße die neue Kollegin und den neuen Kollegen herzlich und wünsche gute Zusammenarbeit. ({3}) Meine Damen und Herren, Ihnen liegt eine neugefaßte und erweiterte Tagesordnung vor, der Sie die heutigen Beratungspunkte entnehmen können. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 1 bis 3 auf: 1. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Abschaffung der nuklearen Mittelstreckenraketen - Drucksache 11/732 ({4}) -2. Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN Präsident Dr. Jenninger Sofortiger Verzicht der Bundesrepublik Deutschland auf die 72 Pershing-I a-Raketen der Bundesluftwaffe - Drucksache 11/699 ({5}) -3. Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN Atomwaffenverzicht ins Grundgesetz - Drucksache 11/757 Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Vogel.

Dr. Hans Jochen Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002379, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe überaus selten Anlaß, Herr Bundeskanzler, eine von Ihnen getroffene Entscheidung von dieser Stelle aus zu begrüßen. Heute besteht ein solcher Anlaß. ({0}) Ich begrüße, daß Sie sich - aus welchen Gründen auch immer; vielleicht sogar nur deshalb, weil die Vereinigten Staaten jede Modernisierung schon vorher verworfen haben - in der Frage der 72 PershingI a-Systeme endlich bewegt, daß Sie sich in dieser Frage unserer Position endlich sehr weitgehend angenähert haben. ({1}) Mit Friedrich von Schiller möchte ich sagen: „Spät kommt Ihr - Doch Ihr kommt! " Aber immerhin, Sie kommen; das begrüßen wir. Bekanntlich ist ja auch im Himmel mehr Freude über einen Sünder, der sich bekehrt, als über 99 Gerechte. ({2}) - Meine Herren, ich kann Ihre Aufregung ja verstehen; an Ihrer Stelle wären wir auch aufgeregt. ({3}) Aber mit dieser Feststellung bin ich mit meinem Lob auch schon am Ende. ({4}) Kein Lob, ({5}) sondern scharfe Kritik verdient nämlich die Tatsache, daß Sie sich weigern, in dieser Sitzung eine Regierungserklärung abzugeben; ({6}) daß Sie, Herr Bundeskanzler, in einer wichtigen politischen Frage vor der Presse reden, vor dem Parlament aber schweigen wollten, und zwar nicht nur als Regierung, sondern auch als Person; daß wir Sie durch eine Sondersitzung dazu zwingen mußten, ({7}) zu dieser Frage im Parlament wenigstens das Wort zu ergreifen. ({8}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, daß der Bundeskanzler die Befassung des Parlaments mit einer Frage, die unstreitig von hoher Bedeutung ist, für überflüssig hält, ist eine schlimme Brüskierung der Volksvertretung. ({9}) Das ist eine Brüskierung, gegen die sich eigentlich das ganze Parlament zur Wehr setzen müßte. Daß Sie, Herr Bundeskanzler, die CSU übergehen, ist Ihre Sache. Das müssen Sie mit Ihrem ehemaligen Männerfreund ausmachen. ({10}) Daß Sie das Kabinett übergehen, mag auch noch Ihre Sache sein, wenn man sich auch fragen muß: Was sind das für Minister, die sich das gefallen lassen? ({11}) Daß Sie aber das Parlament übergehen und das Parlament wie einen lästigen Bittsteller behandeln, das ist nicht Ihre Sache; das ist ein schwerer Verstoß gegen die parlamentarischen Prinzipien unseres Hauses. ({12}) Bemerkenswert, Herr Bundeskanzler, ist auch Ihr Bemühen, eine Abstimmung über Ihre neue Haltung in der Pershing-Frage mit allen Mitteln zu hintertreiben. Die Gründe dafür sind durchsichtig. Sie wollen auf diese Weise vertuschen, daß Sie für Ihre Politik in dieser Frage aus eigener Kraft keine parlamentarische Mehrheit mehr auf die Beine bringen. ({13}) Sie wollen vertuschen, daß Ihre eigene Fraktion gespalten ist. Wenn wir die nächsten Umbaumaßnahmen hier in diesem Saal vornehmen, empfehle ich einen weiteren Gang hier: zwischen der CDU und der CSU. ({14}) Sie wollen vertuschen, Herr Bundeskanzler, daß Sie für eine Politik der Vernunft inzwischen auf Stimmen der Opposition angewiesen sind. ({15}) Aber der Offenbarungseid bleibt Ihnen nicht erspart. Sie können sich noch eine Zeitlang drehen und winden: Der Tag kommt, an dem Sie in dieser Frage Farbe bekennen müssen. ({16}) Ich sagte, Herr Bundeskanzler: Sie haben sich unserer Position sehr stark angenähert. Ihre Erklärung vor der Bundespressekonferenz enthält zwar allerlei Floskeln und Verbrämungen, die wir ja auch sonst bei Ihnen kennen; aber der Kern Ihrer Aussage, wenn Worte überhaupt einen Sinn machen, ist doch: Wenn es in Genf zu einer Einigung kommt - und alles deutet jetzt darauf hin, daß sie bald stattfindet - , dann verzichtet die Bundesrepublik auf die Modernisierung ihrer 72 Pershing-I a-Raketen und baut sie ab, und die Sprengköpfe verschwinden. Genau das haben wir seit Monaten gefordert. ({17}) Genau das haben Sie noch in Ihrer Erklärung vom 4. Juni in Zweifel gezogen. Genau das haben die Hardliner in Ihrer Fraktion bis in die letzte Woche mit Erbitterung bekämpft. Genau das bekämpfen Herr Strauß und Herr Waigel und die CSU heute noch. ({18}) - Ja, das ist notwendig, Herr Waigel. Ihre eigenen Leute haben zur Zeit Schwierigkeiten, Sie zu erwähnen. Da muß ich das machen. ({19}) Meine Damen und Herren, Sie können hier doch nicht mit einem kollektiven Gedächtnisverlust rechnen. Es ist doch noch alles in frischer Erinnerung, was Sie gesagt haben. ({20}) Als wir forderten, auf die Modernisierung zu verzichten, da belehrte uns Herr Wörner, die Modernisierung sei unverzichtbar. Sie, Herr Kanzler, wissen doch ebenso gut wie wir, daß er die Modernisierung insgeheim, etwa im Rahmen des sogenannten TechnexProgramms des Bundesverteidigungsministeriums, schon längst auf den Weg gebracht hat, daß er jetzt diese Modernisierung stoppen muß, wenn Ihre Entscheidung wirklich verbindlich ist. Wer nicht modernisiere, schwäche die Verteidigungsfähigkeit des Westens, tönte es. Und Kollege Dregger fügte noch vier Tage vor Ihrem Schwenk - das zeigt Ihre enge Zusammenarbeit - hinzu, die Systeme und ihre Modernisierung seien Faustpfand, seien Hebel, seien eine Eintrittskarte, mit der man sowjetische Zugeständnisse erzwingen werde; das dürfe man nicht aus der Hand geben. Und nun, Herr Dregger? Ist Ihnen nicht einigermaßen blamabel zumute? Schlimmer ist hier in den letzten Jahren wohl noch kein Fraktionsvorsitzender einer Regierungspartei von seinem eigenen Kanzler desavouiert worden, ({21}) übrigens ein Fraktionsvorsitzender, der zusammen mit Herrn Rühe schon die zweite Null-Lösung zu hintertreiben versuchte und deswegen Herrn Rühe nach London und Washington geschickt hat und selbst zu einem überaus eindrucksvollen Besuch in Paris erschien. Als wir forderten, die 72 Pershing-I a-Systeme zu beseitigen, weil sie die Verständigung in Genf erschwerten, weil es inkonsequent sei, die Null-Lösung durch die Beibehaltung von amerikanischen Sprengköpfen mittlerer Reichweite zu entwerten, da hieß es zunächst, es handele sich um Drittstaatensysteme, über die man überhaupt kein Wort verlieren dürfe. Als diese ebenso unsinnige wie gefährliche Behauptung von allen Seiten, wahrscheinlich auch von Ihrem eigenen Außenminister, zurückgewiesen wurde, erfand man den Kunstbegriff des Kooperationssystems, über das auch nicht geredet werden dürfe. Auch dieser Begriff ist durch wunderbare Fügung seit letzter Woche offenbar Makulatur. Dann verfielen Ihre Freunde, Herr Bundeskanzler, auf die Lesart, die NATO verlange die Beibehaltung der Pershing-Systeme. Das war von Anfang an zumindest eine Legende, wenn nicht eine glatte Unwahrheit. In Wirklichkeit haben die Verbündeten ihre bisherige Pershing-Position in Stavanger und anderswo nur höchst widerwillig hingenommen und öffentlich ihre Erleichterung bekundet, daß Sie diese unhaltbare Position in der letzten Woche geräumt haben. Natürlich - wie könnte es anders sein? - fehlte in Ihrer Polemik auch Ihre Standardparole nicht, nämlich die Parole, mit unserer Forderung verträten wir die Interessen Moskaus, seien wir das Sprachrohr Moskaus. ({22}) Und nun, Herr Bundeskanzler? Haben Sie jetzt die Vertretung der Moskauer Interessen mit Ihrer Entscheidung persönlich übernommen? ({23}) Und von Moskau versteht der Bundeskanzler etwas. Das Ganze, der Ablauf dieses Streits um die Pershing-I a-Systeme, ist fast ein Lehrstück dafür, wie die politischen Willensbildungsprozesse in der Bundesrepublik Deutschland immer wieder vor sich gehen. Wir Sozialdemokraten entwickeln einen weiterführenden politischen Ansatz. ({24}) Wir kämpfen für seine Realisierung. Sie antworten mit diffamierender Polemik und widersetzen sich unseren Ansätzen und Vorschlägen mit einer Mischung von Unbeweglichkeit und Überheblichkeit. ({25}) Nach einiger Zeit geraten Sie in Schwierigkeiten. Dann streiten Sie und fallen übereinander her, und schließlich ändern Sie Ihren Kurs im Sinne unseres Konzepts und tun dann so, als ob es von Anfang an Ihr Konzept gewesen sei. ({26}) So war es bei den Ostverträgen, so war es beim Grundlagenvertrag, so war es bei der Schlußakte von Helsinki und zuletzt bei der Null-Lösung für die Mittelstreckensysteme kürzerer Reichweite, und genau so ist es diesmal bei den Pershing-I a-Raketen. ({27}) Wir machen uns keine Illusionen, daß dies in Zukunft anders sein wird. Insbesondere Impulse auf dem Gebiet der Abrüstung und der Friedenssicherung, Fortschritte auf dem Weg zu dem, was der Herr Bundespräsident eine systemöffnende Zusammenarbeit im Interesse der Menschen genannt hat, werden auch in Zukunft mit Sicherheit nicht von Ihnen, sondern sie werden von uns, von den Sozialdemokraten ausgehen. ({28}) Dieser Fall zeigt es ein weiteres Mal: Fortschritte auf diesem Gebiet werden auch in Zukunft nur in dem Maße erreicht werden, in dem wir, in dem die öffentliche Meinung, ({29}) in dem die Mehrheit unseres Volkes Sie drängen und bedrängen und auf Sie einen Druck ausüben, dem Sie dann schließlich nicht mehr widerstehen können. ({30}) In der Frage, die uns heute beschäftigt, ist uns das gelungen. Das ist für uns und für viele in unserem Volk, aber auch in anderen Völkern Anlaß zur Freude und Genugtuung, und es ist eine Ermutigung für die Zukunft auch und gerade für die Friedensbewegungen, die mit zu dieser Entwicklung und zu dieser Bewegung beigetragen haben. ({31}) Zusammenfassend stelle ich fest: Erstens. Unsere Auffassung in dieser Frage hat sich durchgesetzt. Zweitens. Für den Verzicht auf die Modernisierung der Pershing I a und für den Abbau dieser Systeme bringt die Koalition aus eigener Kraft keine Mehrheit zustande. Sie ist in diesem Punkt auseinandergebrochen; sie ist in einer wichtigen Frage handlungsunfähig. ({32}) Drittens. Die Sicherung konkreter Fortschritte auf dem Gebiet der Abrüstung und des Zustandekommens der Null-Lösungen sind uns wichtiger als momentane parteitaktische Vorteile. Wir sehen daher heute davon ab, unsere weitergehenden Vorstellungen zu formalisieren. Statt dessen haben wir einen Antrag eingebracht, der in wörtlicher Übereinstimmung mit der Erklärung des Bundeskanzlers vor der Bundespressekonferenz fordert, daß die Pershing-I a- Systeme nicht modernisiert, sondern zusammen mit der endgültigen Beseitigung aller sowjetischen und amerikanischen Mittelstreckenflugkörper abgebaut werden. Der Antrag fordert zugleich - auch dies ist wieder wörtliches Zitat - die Staaten des Warschauer Paktes auf, „ihrerseits auf die laufende Modernisierung von Raketen mit einer Reichweite unterhalb von 500 km zu verzichten". Selbstverständlich drängen auch wir nachdrücklich auf Verhandlungen über die nuklearen Kurzstreckensysteme in Europa, allerdings mit dem Ziel, daß es auch hier zu einer Null-Lösung, zu einer völligen Beseitigung kommt. ({33}) Dazu, Herr Bundeskanzler - das sind wörtliche Übernahmen - , gehört dann allerdings auch, daß auf unserer Seite von der Modernisierung entsprechender Systeme Abstand genommen wird, solange diese Verhandlungen geführt werden. Wenn Sie das wollen, wenn FDP und CDU das wollen, dann kann unser Antrag, kann die Erklärung des Bundeskanzlers noch in dieser Sitzung zum Beschluß des Deutschen Bundestages erhoben werden. ({34}) Es ist schon ein einmaliger parlamentarischer Vorgang, daß eine sogenannte Koalition es nicht wagt, ihrerseits eine sogenannte Richtlinienentscheidung des Koalitionskanzlers zum Antrag zu erheben. ({35}) Es ist einmalig, daß sie das der Opposition überläßt. Noch gravierender wäre es allerdings, wenn Sie es ablehnen, diesem Antrag heute zuzustimmen, und sich statt dessen in Ihrer Verlegenheit in die Ausschüsse flüchten würden. ({36}) Das wäre nicht nur ein Armutszeugnis ersten Ranges, übrigens auch für die FDP, die draußen so markige Worte findet; ({37}) es würde auch - das ist viel schlimmer - Zweifel daran wecken, daß es Ihnen mit Ihrem Raketenverzicht überhaupt ernst ist. Viele würden fragen, ob Sie nicht wie mit Ihrer verwirrenden und von Herrn Strauß als wirr bezeichneten Erklärung vor den Wahlen in Rheinland-Pfalz und in Hamburg wieder nur auf die nächsten Wahlen zielen, diesmal in SchleswigHolstein und in Bremen. Aber diese Wählerinnen und Wähler werden die heutige Sitzung genau beobachten und sich auf Ihr Verhalten selbst einen Reim machen, ({38}) und sie werden Ihnen und auch der FDP die Quittung geben, die Ihre heutige Haltung verdient; denn klarer denn je ist in diesen Tagen deutlich geworden, wer den Prozeß der Abrüstung ohne Wenn und Aber unterstützt, wer ihn erbittert bekämpft und wer sich halbherzig und zögerlich nur unter Druck in das unvermeidlich Erscheinende fügt. Die überwältigende Mehrheit unseres Volkes will eine Bundesregierung und einen Bundeskanzler, die sich gegen die FortsetDr. Vogel zung des wahnwitzig gewordenen Rüstungswettlaufs mit aller Kraft stemmen. ({39}) Die überwältigende Mehrheit will eine Bundesregierung und einen Bundeskanzler, die den Prozeß der Abrüstung vorantreiben, nicht aber ihm widerwillig in weitem Abstand nachfolgen und ihn verzögern. Der heutige Tag wird zeigen, ob Sie das wirklich erkannt haben. Wenn ja, dann ist Ihnen hier im Parlament die Mehrheit sicher; denn die CSU wird für eine solche Mehrheit nicht gebraucht. Auf die CSU und Herrn Strauß kommt es - das ist das qualitativ Neue - in dieser Frage überhaupt nicht mehr an. ({40}) Wenn nein, dann können Sie sich, Herr Bundeskanzler, zwar noch eine Zeitlang drehen und winden, aber der Tag rückt näher, an dem unser Volk des ewigen Neins aus München in Fragen der Abrüstung, aber auch der Winkelzüge dieser Koalition endgültig müde wird. ({41}) Der Tag rückt näher, an dem sich unser Volk einer solchen gespaltenen Regierung und eines solchen Bundeskanzlers entledigen wird, an dem sich der Friedenswille unseres Volkes eine neue Mehrheit, eine neue Bundesregierung und einen neuen Bundeskanzler suchen wird. ({42}) Wir, Herr Bundeskanzler - das verspreche ich Ihnen mit allem Nachdruck - , werden alles tun, damit dieser Tag so bald wie möglich Wirklichkeit wird. ({43})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Ich erteile dem Herrn Bundeskanzler das Wort.

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde, es war außerordentlich erhellend, daß der heutige Morgen vor allem in zwei Punkten für viele einen Aufschluß gegeben hat. Zum einen, Herr Kollege Vogel, haben Sie diese Sondersitzung der Wahrheit entsprechend begründet. Denn Sie haben gesagt: Die Wähler in Schleswig-Holstein und Bremen werden diese Sitzung aufmerksam beobachten. ({0}) Damit ist ganz klar, warum Sie diese Sitzung einberufen haben. ({1}) Es ging Ihnen zu keiner Minute darum, daß wir heute über die Pershing I a, über Abrüstung diskutieren. Es ging Ihnen um ein Wahlkampfspektakel. ({2}) Denn Sie hatten diese Sondersitzung zu einem Zeitpunkt beantragt, zu dem ich meine Äußerungen der Öffentlichkeit noch gar nicht unterbreitet hatte. ({3}) Damit ergibt sich für jeden schlüssig: Sie wollten heute ein Wahlkampfspektakel haben und die nächste Woche noch einmal. Im übrigen, Herr Kollege Vogel: Sie sind einer, der hier besonders gerne Zeitungen aller politischen Richtungen zitiert. Über den Wert oder Unwert dieser Sondersitzung gab es in der deutschen Öffentlichkeit nur eine Meinung. Die allgemeine Meinung war: Es ist für die Sache völlig uninteressant, ({4}) ob wir am 2. oder am 9. September in der Generalaussprache über dieses Thema sprechen. Sie wollten ein Wahlkampfspektakel und sonst nichts. Das war auch das Wesen Ihres Beitrags. ({5}) Ich bin zum anderen ausgesprochen dankbar, daß Sie am Schluß Ihrer Ausführungen einmal etwas von Ihren eigenen Gefühlen wiedergegeben haben. Ich habe schon verstanden, daß Sie damit deutlich machen wollten: Sie sind nach Ihrer Vorstellung für das nächste Mal der Herausforderer. Ich kann Sie in dieser Position nur herzlich begrüßen. Jetzt wissen wir endlich, woran wir sind. ({6}) Herr Kollege Vogel, Sie konnten doch beim besten Willen nicht erwarten ({7}) daß, wenn Sie eine Sondersitzung nach der Geschäftsordnung herbeiführen - ({8}) - Ich weiß gar nicht, warum Sie so durch die Gegend schreien. Haben Sie wirklich Grund, überhaupt nicht mehr zuzuhören? - Sie konnten beim besten Willen nicht erwarten, daß ich, wenn Sie eine Sondersitzung verlangen - das ist Ihr gutes Recht nach der Geschäftsordnung - , sofort springe und eine Regierungserklärung abgebe. ({9}) Herr Kollege Vogel, es gehört schon sehr viel Appell an die Vergeßlichkeit der Bürger dazu, wenn ausge1428 rechnet Sie sich in der Frage der Abrüstungspolitik als Vater der Entwicklung darstellen. Meine Damen und Herren, wir haben es nicht vergessen, daß Sie wegen des Vollzugs des NATO-Doppelbeschlusses - der die Voraussetzung für alle positiven Entwicklungen war und ist - den Kollegen Schmidt gestürzt haben. Das waren doch Sie. ({10}) Der geschätzte Kollege Schmidt hat ja jetzt seine Memoiren angekündigt. Ich weiß nicht, ob die Memoiren schon das Jahr 1982 umfassen oder ob der Abschnitt kurz vor 1982 endet - was möglich ist. Aber wenn diese Memoiren das Jahr 1982 umfassen, dann wird er, wie ich ihn einschätze, in der ihm eigenen Offenheit und hanseatischen Direktheit zu beschreiben haben, wie die einzelnen Gruppen Ihrer Partei und Fraktion ganz bewußt auf seinen Sturz hingearbeitet haben. Das ist inzwischen ja alles erwiesen. ({11}) Sie, meine Damen und Herren von der SPD, haben damals gemeinsam mit uns als Opposition den NATO- Doppelbeschluß herbeigeführt, und wir waren uns in jener Zeit einig, daß das angesichts der sowjetischen Überrüstung die einzige Methode ist, die Sowjetunion dazu zu bringen, an den Verhandlungstisch zurückzukehren und tatsächlich abzurüsten. Es waren doch in Wahrheit zwei Entscheidungen des Westens, die ein Verhandlungsklima erst wieder ermöglicht haben, und beide haben Sie bekämpft: Das war die Stationierung 1983, und es war das amerikanische Festhalten am SDI-Forschungsprogramm. Diese beiden Grundvoraussetzungen der Weltpolitik haben die Sowjetunion an den Genfer Verhandlungstisch zurückgebracht. ({12}) Meine Damen und Herren! Sie waren doch auch in allem bereit, sich mit der sowjetischen Position abzufinden. Herr Kollege Vogel, man wird doch wenigstens noch einmal den Originaltext Ihres Nürnberger Parteitagsbeschlusses vortragen dürfen. ({13}) - Ja, wenn wir das häufig tun, dann fällt Ihre Argumentation noch mehr in sich zusammen. Die SPD forderte - ich zitiere wörtlich - : - von den USA einen Aufstellungsstopp und die Rücknahme der Stationierung von Pershing II und Cruise Missiles, - von der UdSSR den unverzüglichen Abbau der im Gegenzug in der DDR und der CSSR aufgestellten Raketen sowie eine drastische Verminderung der SS 20 auf einen Stand von 1979. ({14}) - Aber Entschuldigung! Das ist doch nicht gefälscht! Dieser Beschluß ist jetzt gerade ein Jahr her. ({15}) Die SPD war damals bereit, ohne westliches Gegengewicht hundert sowjetische SS-20-Mittelstreckenraketen mit insgesamt 300 nuklearen Sprengköpfen hinzunehmen. Das war doch der Stand von 1979! ({16})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Nein.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Nicht. Herr Abgeordneter Gansel, eine Zwischenfrage wird nicht gestattet. Bitte, nehmen Sie Platz.

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Die SPD war auch bereit, das frühere sowjetische Junktim zwischen den Verhandlungen über die nuklearen Mittelstreckenraketen und jenen über strategische und Weltraumsysteme bedingungslos zu akzeptieren. ({0}) Es war doch auch Ihre Position, daß Sie sofort und vorbehaltlos die sowjetische Forderung zu den Pershing I a aufgegriffen und sich zu eigen gemacht haben. Ich wiederhole hier: Die Pershing I a stehen in Genf nicht zur Verhandlung. Es ist einem der Abgeordneten aus Ihren Reihen in den letzten Wochen vorbehalten gewesen, diese vom ganzen Bündnis - und das ist für unsere Sicherheit existentiell - getragene Haltung zu verleumden, indem er uns, der Bundesregierung, vorgeworfen hat, die Bundesregierung wolle „grundsätzlich den deutschen Finger am atomaren Abzug" halten. Das ist doch die gleiche Verleumdungskampagne, wie Sie sie in den vergangenen Jahren immer wieder geführt haben, um trübe politische Geschäfte zu machen. ({1}) Herr Abgeordneter Vogel, ich habe nicht vergessen, wie Sie mit der geschichtlichen Erfahrung, der persönlichen Betroffenheit und der Kriegsangst der Menschen im Verlaufe der Stationierungsdebatte und in der Zeit danach politische Geschäfte machen wollten. Ich erinnere mich noch an Ihre Beiträge in Landtagswahlkämpfen, an Inserate mit Bildern von Kriegerwitwen und vieles andere. Das war ein erbärmliches Beispiel für Denunziation politisch Andersdenkender! ({2}) Nur weil die Gelegenheit günstig ist und weil Sie hier vorhin in dem Brustton der Überzeugung vorgetragen haben: Wir Sozialdemokraten entwickeln ein Konzept, und Sie folgen irgendwann nach, ({3}) Herr Kollege Vogel, will ich eines klarstellen: Wir werden mit Sicherheit Ihrer Bruderschaft mit der SED nicht nachfolgen. ({4}) Wir werden mit Sicherheit dieser traurigen Entwicklung einer großen und stolzen deutschen Volkspartei nicht nachfolgen. ({5}) Wenn in diesen Tagen die „Neue Zürcher Zeitung" schreibt: „Kann eine demokratische Partei mit stolzen Traditionen wie die SPD sich so weit verleugnen, ideologischen Gemeinsamkeiten mit Vertretern eines Machtapparates nachzuspüren, der die Sozialdemokraten im Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone nach 1945 vor die brutale Wahl stellte, sich den kommunistischen Gegnern von einst anzuschließen oder ins Exil zu gehen?", dann müssen Sie den Bürgern in der Bundesrepublik Deutschland diesseits und jenseits der Mauer die richtige Antwort auf diese Frage geben. ({6})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Nein.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das gilt für den gesamten Beitrag?

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zum eigentlichen Thema kommen. ({0}) - Meine Damen und Herren, was ist das eigentlich für eine Arroganz des Denkens? Sie stellen sich ans Pult und polemisieren und stellen Behauptungen auf, und wenn Ihnen jemand antwortet, sind Sie gekränkt, Herr Kollege Vogel. ({1}) Ich habe darauf hingewiesen, wie Ihr Weg in der Sicherheitspolitik war. - Ich weiß, daß Sie das nicht gerne hören, weil Sie in all diesen Fragen ja längst von der Fahne gegangen sind. ({2}) - Ich spreche als der Vorsitzende der Christlich Demokratischen Union Deutschlands und als der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland. ({3}) - Herr Abgeordneter Vogel, beides sind Ämter von eigenständigem Gewicht. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie alle kennen die Erklärung, die ich am 26. August abgegeben habe. Sie haben feststellen können, daß diese Erklärung weithin als ein wichtiger deutscher Beitrag zu den Abrüstungsverhandlungen gewertet wurde. ({4}) Ich verweise insbesondere auf die Zustimmung unserer wichtigsten Verbündeten, vor allem auch ({5}) der Vereinigten Staaten von Amerika. Meine Damen und Herren, diese Zustimmung macht auch deutlich - das ist ein wichtiger Hinweis für unsere Sicherheit auch in Zukunft - , wie fest das Bündnis in wichtigen Fragen der Sicherheitspolitik zusammensteht und wie groß das Einvernehmen ist. Meine Damen und Herren, meine Initiative zu den Pershing I a weist in die Zukunft. Aber sie entspricht selbstverständlich auch der Kontinuität unserer sicherheitspolitischen Grundentscheidungen. ({6}) Ich erinnere dazu an meine Erklärungen vom 7. Mai und vom 4. Juni dieses Jahres vor dem Deutschen Bundestag zu Fragen der Sicherheit, der Strategie und der Abrüstung. Unter Berücksichtigung dieser Aussagen und der gesamtpolitischen Entwicklung habe ich in meiner Erklärung vor einer Woche klargestellt, welche Konsequenzen die jüngsten Verhandlungsfortschritte für unsere Position haben. Ich unterstreiche erneut: Die Sicherheitspolitik der Bundesregierung dient ausschließlich der Kriegsverhinderung und der Erhaltung von Frieden und Freiheit. Dieser oberste Grundsatz bestimmt unsere Entscheidungen zu Fragen der Abrüstung und der Verteidigungsbereitschaft. An diesem grundlegenden Maßstab ist alles zu messen, was wir in der Sicherheitspolitik tun. Wir halten an dem Ziel fest, Frieden zu schaffen mit weniger Waffen, und in diesem Rahmen ist auch unsere Entscheidung zur Pershing I a einzuordnen. ({7}) - Meine Damen und Herren, ich weiß nicht: Wollen wir hier eine Debatte führen? ({8}) Dann sollte es doch möglich sein, daß man sich gegenseitig anhört. ({9}) - Aber, Herr Kollege Vogel, Sie sind hier nicht einer, der Fragen zu stellen hat; Sie sind ein Abgeordneter wie viele andere. Sie haben gesprochen, und jetzt spricht ein anderer. Ich muß Ihnen noch einmal sagen: Es gehört doch zu den Grundregeln des guten Umgangsstils, daß man nicht durch Lärmszenen versucht, den Redner niederzumachen. ({10}) In der gegenwärtigen Phase der weltpolitischen Entwicklung ist der Abschluß eines Abkommens zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Sowjetunion über nukleare Mittelstreckenflugkörper ein wesentliches Ziel. Die Bundesregierung - Sie wissen das - hat in den vergangenen Jahren erhebliche politische Anstrengungen unternommen, damit ein solches Abkommen zustande kommt. Dabei haben wir immer wieder dafür Sorge getragen, daß das Bündnis an den wichtigen Wegmarken dieser Abrüstungsverhandlungen einheitliche Beschlüsse gefaßt hat und gemeinsame Positionen vertritt. Die Bundesregierung hat stets enges Einvernehmen mit den Vereinigten Staaten und den anderen Verbündeten angestrebt, und das ist uns auch gelungen. Deshalb kann ich mit Befriedigung feststellen: Wenn es derzeit eine große Chance für den Abschluß eines Abkommens in Genf gibt, ist dies auch ganz wesentlich das Verdienst unserer Politik. ({11}) Unsere Standfestigkeit bei der Durchführung des NATO-Doppelbeschlusses hat zur Wiederaufnahme der Genfer Verhandlungen, zum ersten und zweiten Gipfeltreffen zwischen Präsident Reagan und Generalsekretär Gorbatschow in Genf und in Reykjavik und schließlich zu den weiteren Fortschritten in den Verhandlungen bis zum heutigen Tage beigetragen. Mit seiner festen und solidarischen Haltung hat das Bündnis der Sowjetunion wichtige Zugeständnisse abgerungen. So hat sich die Sowjetunion schließlich bereit gefunden, das Junktim zwischen den Verhandlungen über die nuklearen Mittelstreckenraketen und jenen über strategische und Weltraumsysteme aufzugeben. Auch mit iher jüngsten Zustimmung zu einer globalen Lösung, also zur weltweiten Abschaffung amerikanischer und sowjetischer Mittelstreckenflugkörper, ist die Sowjetunion von ihrer ursprünglichen Position abgerückt. Damit wird auch eine Forderung erfüllt, die ich in meiner Regierungserklärung von diesem Platz aus am 4. Juni bekräftigt habe. Damals - das wollen wir nicht vergessen, meine Damen und Herren - war der Verhandlungsstand in Genf noch so, daß jeweils 100 Sprengköpfe auf Mittelstreckenflugkörpern größerer Reichweite in den USA und der Sowjetunion verbleiben sollten. Mit der Verständigung auf die globale Null-Lösung stellt sich auch die Frage einer Modernisierung der Pershing I a in einem neuen Licht. Bei einer Regelung der Frage der Mittelstreckenwaffen geht es um mehr als um unser spezifisch deutsches Interesse. Mit der Unterstützung für den Abschluß eines INF-Abkommens haben wir stets und unmittelbar die Erwartung verknüpft, daß die umfassenden Bemühungen um Abrüstung insgesamt einen deutlichen Impuls erhalten würden. So haben wir es auch im Koalitionsbeschluß vom 1. Juni dieses Jahres aus deutscher Sicht klar zum Ausdruck gebracht. Die Pershing I a gehören nicht in die Genfer Verhandlungen zwischen der Sowjetunion und den USA. Unsere Haltung dazu ist gänzlich unverändert. Die Sowjetunion weiß sehr wohl, daß ihre Forderung von vornherein sachlich ungerechtfertigt war. Es war und ist eine nachgeschobene Forderung. Sie hat diese Frage erst vor wenigen Monaten ganz unvermittelt aufgebracht und in den Vordergrund geschoben. Für diese Forderung waren und sind keine Erwägungen maßgebend, die mit der Strategie oder der Rüstungskontrolle zu tun haben. Die Sowjetunion hat hier ausschließlich versucht - das ist deutlich ihr Ziel - , einen Keil zwischen uns und unsere Verbündeten zu treiben. Das gilt insbesondere für das Verhältnis zwischen uns, der Bundesrepublik Deutschland, und unseren amerikanischen Freunden. Dieser Versuch ist gescheitert. Die Position des Bündnisses und die Haltung der Bundesregierung stimmen unverändert überein. Die Pershing I a steht in Genf nicht zur Verhandlung. Dort wird ausschließlich über sowjetische und amerikanische Systeme verhandelt, und dies entspricht dem einstimmigen Beschluß des NATO-Bündnisses beim diesjährigen Außenministertreffen in Reykjavik. So lautete auch von Anfang an die amerikanische Verhandlungsposition, und so wird es bleiben; dessen bin ich sicher. Nach vielfältigen Kontakten mit unseren amerikanischen Freunden habe ich mich entschieden, jetzt in der Frage der deutschen Pershing I a die Initiative zu ergreifen. Diese Entscheidung berücksichtigt auch, daß sich die USA und die Sowjetunion, wie von uns immer gefordert, auf eine weltweite Abschaffung ihrer Mittelstreckenflugkörper geeinigt haben. Diese Entscheidung ist begründet im deutschen und natürlich auch im gesamtwestlichen Interesse. Ich will hier deutlich sagen: Für mich ist auch ganz wichtig, dem amerikanischen Präsidenten zu helfen, die Genfer Verhandlungen erfolgreich abzuschließen. Es geht darum, das Notwendige zu tun, damit ein INF- Abkommen, wie ich hoffe, in diesem Jahr zustande kommt. Sie wissen alle, meine Damen und Herren, daß die Amtszeit des amerikanischen Präsidenten in etwa 16 Monaten zu Ende geht. Die zeitlichen Möglichkeiten der parlamentarischen Ratifikation eines Abkommens in den USA werden damit immer enger, auch im Blick auf den Wahltermin im Spätherbst des nächsten Jahres. Die Chancen für eine Bestätigung durch den Kongreß bis zum Ablauf der Legislaturperiode sind gering, wenn das Abkommen nicht bis Ende dieses Jahres zustande kommt. Meine Damen und Herren, sollte in der Amtszeit von Präsident Reagan ein Abkommen nicht mehr unterzeichnet und ratifiziert werden, gingen nicht nur erneut wertvolle Jahre verloren; wir müßten auch mit negativen Auswirkungen auf die anderen Verhandlungsbereiche und den Ost-West-Dialog insgesamt rechnen. Das kann nicht im deutschen Interesse liegen. ({12}) Aufgrund dieser Einschätzung habe ich am 26. August die folgende Erklärung abgegeben: - Wenn in Genf zwischen den USA und der Sowjetunion eine Einigung über die weltweite Beseitigung aller Mittelstreckenflugkörper erreicht wird, wenn insbesondere die noch offenen Verifikationsfragen in einer für alle Betroffenen befriedigenden Weise gelöst werden, wenn dieses INF- Abkommen zwischen den Vertragsparteien ratifiziert und in Kraft getreten ist, und wenn schließlich die Vertragsparteien den vereinbarten Zeitplan für die Beseitigung ihrer Waffensysteme einBundeskanzler Dr. Kohl halten, dann bin ich für diesen Fall bereit, schon heute zu erklären, daß mit der endgültigen Beseitigung aller sowjetischen und amerikanischen Mittelstreckenflugkörper die Pershing-I a-Raketen nicht modernisiert, sondern abgebaut werden können. Für die Bundesregierung habe ich mit dieser Erklärung einen Beitrag dazu geleistet, daß dem weltweiten Abbau solcher Mittelstreckenflugkörper zwischen 500 und 5 500 km Reichweite nichts mehr im Wege steht. Damit können wir einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu unserem erklärten Ziel vorangehen, Frieden zu schaffen mit weniger Waffen. Wir erwarten von einem solchen Abkommen mittel- und langfristig starke Impulse für die gegenseitige Vertrauensbildung zwischen West und Ost und für die anderen Bereiche der Abrüstung. Wir wissen aber auch, daß ein INF-Abkommen nur einen vergleichsweise geringen Teil der Kernwaffenarsenale erfassen wird. Auch nach dem Abschluß eines solchen Abkommens in Genf bleibt unsere Sicherheit durch das verbleibende sowjetische Militärpotential weiterhin bedroht. Wir können unsere Augen nicht davor verschließen, daß weiterhin über 10 000 sowjetische Nuklearsprengköpfe auf strategischen Systemen auf uns gerichtet werden können, daß die Sowjetunion weiterhin über einen Bestand an chemischen Kampfstoffen in der Größenordnung von 300 000 t verfügt und damit eine Überlegenheit von etwa 10:1 gegenüber der westlichen Allianz besitzt, daß die sowjetischen konventionellen Streitkräfte in einem Überlegenheitsverhältnis von etwa 3:1 den Streitkräften der Allianz in Europa gegenüberstehen, daß, meine Damen und Herren, gerade wir, die Deutschen, und zwar diesseits und jenseits der Mauer, in der Bundesrepublik und drüben in der DDR, im Bereich der Kurzstrekkenraketen bedroht sind, daß wir uns in der Bundesrepublik einem erdrückenden Übergewicht bei nuklearen Kurzstreckenraketen mit einer Reichweite unterhalb von 500 km gegenübersehen. Deshalb habe ich die Sowjetunion aufgefordert, auf unsere Initiative des guten Willens mit einer ebenso deutlichen Geste des guten Willens zu antworten. Die Sowjetunion sollte ohne jede Gegenforderung den Abbau der Bedrohung durch ihre fast 600 SCUD- Raketen einleiten. ({13}) Mit einem solchen Schritt würde die Sowjetunion ganz im Sinne eines neuen Denkens, über das jetzt so viel gesprochen und diskutiert wird, auf eindeutige Weise unter Beweis stellen können, daß sie auch die legitimen Sicherheitsinteressen unseres Landes respektiert, wie wir ja auch die legitimen Sicherheitsinteressen der Sowjetunion respektieren. ({14}) - Aber Herr Kollege Bahr, soweit ich mich erinnern kann und warum sollen nicht auch Sie etwas Vernünftiges sagen? -, ({15}) sind wir gemeinsam dieser Meinung: Wir erwarten, daß andere unsere Sicherheitsinteressen respektieren, so wie wir die Sicherheitsinteressen anderer respektieren. Das brauchen wir uns doch nicht fortdauernd immer wieder zu bestätigen. Ich sage noch einmal: Wir erwarten, daß die Sowjetunion die legitimen Sicherheitsinteressen auch unseres Landes respektiert und die Sonderbedrohung - das ist nun wirklich ein Sonderfall - deutschen Territoriums nicht verschärfen will, sondern zu einer Verminderung bereit ist. Ich füge hinzu: Für diese Forderung erwarten wir jetzt vor allem auch die Unterstützung der DDR, Polens und der CSSR, jener Länder, die ja in den letzten Wochen immer wieder auf die Gefährdung ihres Territoriums durch die Pershing I a hingewiesen haben. Sie müßten demnach ein ganz besonderes Verständnis dafür haben, daß wir die Bedrohung durch die sowjetischen SCUDs empfinden, durch jene SCUDs, die ja, wie Sie wissen, auf dem Territorium der eben genannten Länder stationiert sind. Die Bundesregierung erwartet, daß ein INF-Abkommen in absehbarer Zeit anläßlich eines dritten Gipfeltreffens zwischen Präsident Reagan und Generalsekretär Gorbatschow unterzeichnet werden kann. Wir hoffen und erwarten, daß die Großmächte das Abkommen möglichst rasch ratifizieren und in Kraft setzen. Wir wollen weiterhin mit aller Energie auf Fortschritte auch in den anderen Abrüstungsforen drängen. Nicht nur wir Deutschen, aber gerade auch wir hätten erhebliche sicherheitspolitische Vorteile von einem endlich zustandegekommenen Abkommen über die 50 %ige Reduzierung der strategischen Offensivpotentiale, von einer Konvention über das Verbot chemischer Waffen, die überfällig ist, von mehr Stabilität im konventionellen Bereich in Europa und - ich sage es noch einmal - von einer drastischen Verminderung der nuklearen, vor allem uns bedrohenden Kurzstreckensysteme. Mit gleicher Entschiedenheit wie beim INF-Abkommen werden wir deshalb die Interessen unserer Bürger, unseres Landes und unseres Volkes gerade auch in diesem Bereich in Zukunft wahrnehmen. ({16})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lippelt.

Dr. Helmut Lippelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001352, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat eben noch einmal auf den Zeitdruck, unter dem wir stehen, aufmerksam gemacht: 16 Monate haben wir noch. Am 7. Mai hat er in diesem Hause genauso ausgeführt: „Unser Ziel - so sagte er - muß sein, dazu beizutragen, daß während der jetzigen Administration und der Amtszeit des jetzigen Parlaments in den USA eine Verabschiedung möglich ist." Für die Ratifikationszeit hat er ein Jahr berechnet. Das ist knapp gerechnet. Daher können wir mit dem Herrn Bundeskanzler rückwärts rechnen: Spätester Unterzeichnungstermin etwa Anfang/Mitte November. ({0})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, gestatten Sie, daß ich Sie unterbreche. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die den Saal verlassen wollen, dies zu tun und Gespräche, auch an der Regierungsbank, bitte einzustellen.

Dr. Helmut Lippelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001352, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir kommen dann sehr wohl dahin, daß also die letzte Möglichkeit für ein politisches Clearing noch offener Fragen zu diesem Vertrage das Außenministertreffen am 15./16. September ist. Vor diesem Hintergrund müssen sich alle um Abrüstung in diesem Lande besorgten Menschen fragen: Wie sollte denn der vom Bundeskanzler angekündigte Beitrag zum Zustande dieses Vertrages aussehen? Denn was man sah, war, daß die Bundesregierung statt den Vertrag zu fördern, ihn aufs Bedenklichste gefährdete. Die Bundesregierung hatte sich mit der Regierungserklärung vom 7. Mai festgelegt, die altersschwachen Pershings krampfhaft festzuhalten. Sie hatte die Drittstaatentheorie an den Haaren herbeigezogen und für sich reklamiert. Eben hat der Bundeskanzler es wieder getan. Ein Unding in sich, Herr Bundeskanzler; denn die Drittstaatentheorie war die Konzession der Sowjetunion, um das leidige Problem der historisch gewachsenen nuklearen Potentiale der Mitsiegermächte England und Frankreich aus dem Weg zu bekommen. In diesem Range stehen wir nicht und auch Sie nicht, so sehr Sie das möchten. ({0}) Aus den USA hörte man: Im Notfall geht Verbündeter vor Vertrag. Außenminister Shultz hat in seinem Brief an Genscher ähnliche Formulierungen gebraucht. Dann gerieten sich sogar Auswärtiges Amt und Bundeskanzleramt um die Interpretation dieses Briefes in die Haare. Das Bundeskanzleramt sah in diesem Brief eine Bestätigung seiner Position eines sturen Festhaltens an den Pershings; das Auswärtige Amt dagegen sah eine vorsorgliche subtile Schuldzuweisung an die Adresse der Bundesrepublik im Falle eines eventuellen Scheiterns der Verhandlungen. Das, Herr Bundeskanzler, war der desolate Zustand bundesrepublikanischer Außenpolitik im Sommerloch. ({1}) Der Bundeskanzler dümpelte auf dem Wolfgangsee und sah wieder keinen Entscheidungsbedarf. Nach Zusammentritt des Parlaments - Herr Bundeskanzler, Sie haben den 9. September erwähnt - waren zunächst Haushaltsberatungen für eine Woche angesagt. ({2})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Ich bitte die Gespräche vor der Regierungsbank einzustellen. ({0})

Dr. Helmut Lippelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001352, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

: Herr Waigel, zu Ihnen komme ich später noch. ({0})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, fahren Sie bitte fort.

Dr. Helmut Lippelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001352, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Bundeskanzler, es hilft doch überhaupt nichts, wenn Sie jetzt mit Herrn Vogel alte Rechnungen aufmachen. Es geht um Ihr konkretes Verhalten in einer sich anbahnenden Verhandlungskrise. Gerade Ihr Geschimpfe soeben hat doch gezeigt, Herr Bundeskanzler, daß Sie zwar - wir konnten es jetzt im „Stern" noch genauer nachlesen - unter amerikanischem Druck im letzten Moment noch die Kurve gekratzt haben. Aber ich habe den Eindruck, Sie haben immer noch nicht begriffen, warum Sie es mußten. ({0}) Und dann wundern Sie sich, Herr Bundeskanzler und meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, daß wir hier eine Debatte verlangten. Der Antrag dazu bedurfte - Herr Vogel, man muß das der Ehrlichkeit halber wohl sagen - erst des Umweges über die SPD. Aber nun haben wir die Debatte. Wenn Sie, meine Herren auf der rechten Seite, heute fragen: Was soll diese Debatte nach der Pressekonferenz des Bundeskanzlers, so antworten wir zweierlei: Erstens. Wäre es wohl zu den entsprechenden Erklärungen des Bundeskanzlers ohne den Druck der Friedensbewegung und zu dieser Sondersitzung ohne die Initiative der Opposition gekommen? Zweitens. Die Erklärung selbst und die durch sie wiederum ausgelöste grundsätzliche Stellungnahme der CSU bedürfen allerdings gründlicher Hinterfragung. Da sind wir etwas genauer als Sie, meine Damen und Herren von der SPD. Denn was besagt die Erklärung des Bundeskanzlers? Sie schließt das verklausulierte Festhalten an den Pershing I a bis 1991 ein. Unter den vom Kanzler formulierten Vorbedingungen ist die letzte besonders bedenklich. Erst sollen die vertragschließenden Großmächte den Vertrag voll erfüllt haben, dann will der Kanzler auf Modernisierung verzichten. Sehen wir einmal davon ab, daß dies ein Vorbehalt ist, der wie so vieles bei Ihnen, Herr Kanzler, durch die Geschichte schon wieder überholt ist; denn seit der vorigen Woche wissen wir ja aus den von den USA vorgelegten neuen Vorschlägen zur Verifikation, daß die USA im ersten Jahr gerade bei den Raketen niedriger Reichweite - 500 bis 1000 km - anfangen wollen. Sie sollen im ersten Jahr verschwinden, die anderen in den folgenden Jahren. Sehen wir also davon ab, daß der Kanzlervorbehalt die Pershing I a bis 1991 kaum aus dem Abrüstungsprozeß heraushalten kann, so ist das hier zum Ausdruck kommende Rollenverständnis noch erschrekkender. Der Kanzler wirft sich zum Kontrolleur der Großmächte auf. Er will eventuelle Abweichungen oder Verzögerungen definieren. Wir wissen aus der Geschichte von SALT II, wie schwierig das ist. Aber er will das definieren und sich vorbehalten, bei fehlenDr. Lippelt ({1}) dem Wohlverhalten seine Raketen doch noch zu modernisieren. ({2}) Unser erster Antrag zielt deshalb darauf ab, den vom Bundeskanzler seinerzeit angekündigten Beitrag der Bundesrepublik zum Zustandekommen des Vertrages aus einem Pseudobeitrag zu einem echten Beitrag zu machen. Wir fordern, den Verzicht nicht erst in vier Jahren, sondern sofort hier auszusprechen und ihn sofort wirksam werden zu lassen, mit den entsprechenden Folgeschritten: Verschrottung der Raketen, Abtransport der Gefechtsköpfe, Auflösung der Raketenverbände. ({3}) Bedenkt man die Schrottreife dieser Raketen, die bekanntlich ab 1991 schon aus technischen Gründen außer Dienst gestellt werden müssen, so fragt man sich allerdings - und diese Frage muß hier auch einmal erörtert werden - : Warum treibt die Bundesregierung das Festhalten an diesen Raketen so sehr auf die Spitze, daß sie bis vor kurzem bereit war, einen Vertrag, der zum Wohl unseres Landes so wichtig ist, ernsthaft aufs Spiel zu setzen? Die vielfach auch anderweitig schon gegebene Antwort lautet: Hier sollten Optionen offengehalten werden. Die eine Option ist die zur Modernisierung. Aber mindestens so wichtig ist doch auch die Option, diese Raketen, modernisiert oder nicht, in europäische Lösungen einzubringen, insbesondere in eine deutsch-französische militärische Kooperation. Die CSU spricht da in ihrer im Zorn geschriebenen Grundsatzdeklaration mit wünschenswerter Klarheit. In den Punkten 4 und 5 heißt es: Durch den Abzug der Mittelstreckenraketen und insbesondere durch die als letztes Kontingent nun preisgegebenen Pershings sei das Bündnis als Gebiet gleicher und unteilbarer Sicherheit nun in Zonen unterschiedlicher Sicherheit zerfallen. Jetzt wörtlich: „Das Bündnis würde damit sernen Sinn verlieren; es würde" - so droht die CSU im Konjunktiv - „dann zwangsläufig zu einer Neuorientierung der deutschen Politik kommen. " Herr Waigel, ich möchte diesbezüglich gern einmal von Ihnen hören, in welche Richtung. ({4}) Dies, jetzt nämlich verbunden mit dem Lob der - wie es auch dort heißt - „unbeugsamen Wahrung nationaler Interessen durch England und Frankreich", zeigt sehr wohl und sehr genau, wohin die Reise unserer bayerischen nationalen Rechten auch gehen könnte. Nimmt man nun die Vorhaben gemeinsamer Rüstung, die kooperativen Systeme wie Lance 2, LRSOM und ANS 90 hinzu, die immer nukleare Teilhabe im Planungsbereich mit beinhalten und erinnert man an eine Tradition bundesrepublikanischer Politik, die gekennzeichnet war durch das immer mal wiederkehrende Drängen nach nuklearer Souveränität, nimmt man drittens hinzu, daß der Atomwaffensperrvertrag ja 1995 ausläuft, so möchte ich mit aller Vorsicht behaupten, daß das irrationale Festhalten an den zur Verschrottung reifen Pershing I a jeglichem Verdacht Tür und Tor geöffnet hat. Deshalb legen wir heute auch unseren zweiten Antrag vor, eine Aufforderung an die Bundesregierung, eine Grundgesetzänderung vorzubereiten, die dem Verzicht der Bundesrepublik auf Herstellung und Besitz von Atomwaffen Verfassungsrang gibt. ({5}) Dies, meine Damen und Herren, würde nämlich jeglichem Verdacht endgültig die Spitze nehmen. Da meine Freunde und ich davon ausgehen, daß im Ernst niemand hier im Saal Verfügung über nukleare Waffen anstrebt, sollte eine Einigung über diesen unseren Antrag doch wirklich schnell möglich sein. ({6}) Ich möchte noch einen Gedanken vortragen, der sich aus den Erklärungen der CSU ergibt. Wie gesagt, die geheimen Intentionen und das Weltbild der politischen Rechten liegen selten so offen zutage wie in dieser Deklaration. Unter Punkt 7 des CSU-Papieres wird die Vorstellung formuliert, der Verzicht auf die Pershing I a sei eine einseitige Vorleistung. Das stimmt natürlich nicht; die Sowjetunion verschrottet mehr Raketen dieser Reichweite, als hier Pershings plus andere Systeme in Frage kommen. Aber trotzdem führt dies die CSU zu der Warnung, es dürfe nicht dazu kommen, daß - Zitat unsere militärische Sicherheit mehr vom Friedenswillen der Sowjetunion abhängt als von der amerikanischen Sicherheitsgarantie, deren Strategie wechselnd definiert wird. Zu deutsch: Sie sind nicht mehr zuverlässig. Eine solch massive Kritik aus dem Regierungslager an den USA ist mir bisher noch nicht bekannt geworden. Schon taucht sie auch auf, die geheime Sehnsucht der deutschen Rechten nach Rapallo. Denn wie schließt das Papier: mit der Hoffnung auf einen politischen Wandel der Sowjetunion mit dem Verzicht auf Weltrevolution, dem Verzicht auf strategische Überlegenheit usw. Nun haben wir GRÜNEN hier in der Diskussion der Regierungserklärung im März die Regierung ausdrücklich dazu aufgefordert, sich der geistigen Herausforderung des neuen Denkens in der Sowjetunion zu stellen. Wir könnten also mit dieser Resonanz eigentlich sehr zufrieden sein, sind wir aber nicht. Denn wie verhält sich die Rechte zu diesem auch von ihr erwünschten Wandel? Sie entwickelt Tandlers Faustpfandtheorie: Die Pershing sollten als Faustpfand gehalten werden, um Abrüstung im Bereich 150 bis 500 km zu erzwingen. Nun, wenn man nicht ganz und gar dem Dilettantismus und Voluntarismus in der Außenpolitik verfallen will, dann weiß man, daß sich Verhandlungen sinnvoller Weise entlang vereinbarter Definitionen bewegen. Wenn man sich einig ist, im Bereich 500 bis 1000 km eine umfassende Null-Lösung anzustreben, kann sich die CSU für diesen Bereich nicht ein Faustpfand schaffen, um damit Gegenleistungen in einem anderen Bereich zu erzwingen, während ihr anderer1434 Dr. Lippelt ({7}) seits der unmittelbare Eintritt in Verhandlungen über die Abrüstung auch in diesen Bereichen längst angeboten ist. Ich komme zum Ende - ich kürze jetzt ab - : Was wir von der Regierung verlangen, ist folgendes. Wir möchten, Herr Bundeskanzler, daß Sie alles tun, um die Dynamik dieses Abrüstungsprozesses aufrechtzuerhalten. Sie können als Vorleistung die vorhin angesprochenen Rüstungsprojekte im Bereich von unter 500 km suspendieren. So mag denn - als Ziel und Perspektive - ein sich vertiefender Abrüstungsprozeß zu dem notwendigen Friedensprozeß führen, dessen es in Europa in der Tat dringend bedarf. ({8})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dregger. ({0}) - Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen erneut, nicht im Saal herumzustehen, sondern Platz zu nehmen. Es sind noch genügend Sitzplätze da.

Dr. Alfred Dregger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000418, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser Thema - zumindest der Hintergrund unseres Themas - sind Abrüstung, Sicherheit vor Krieg, Sicherheit vor atomarer Erpressung und Frieden für unser Volk, das an der Teilungsgrenze von Ost und West mitten in Europa zu leben hat. Diesem ernsten Thema sollten wir uns nicht so nähern, wie es heute morgen als erster Redner der Kollege Vogel getan hat. ({0}) Herr Kollege Vogel triefte geradezu vor Selbstgerechtigkeit, ({1}) vor Überheblichkeit, dazu noch verbunden mit Oberflächlichkeit und Leichtfertigkeit, die diesem Thema wirklich nicht angemessen sind. ({2}) In den letzten Tagen hat es in der Union Unstimmigkeiten in der Frage der P I a gegeben, ({3}) wie jeder weiß. ({4}) Diese Unstimmigkeiten sind nicht schlimm. ({5}) Wenn man ein Thema wie dieses sorgfältig diskutiert, sind Unstimmigkeiten nahezu unvermeidbar. ({6}) Sie sollten sich bitte nicht falschen Hoffnungen hingeben: ({7}) Diese Unstimmigkeiten können am Zusammenhalt dieser Fraktion, die seit fünf Jahren alle wichtigen Entscheidungen einstimmig getroffen hat, ({8}) und an der Unterstützung für die Politik des Bundeskanzlers nichts ändern. ({9}) Eine dritte Feststellung: Wir sind keine Weltmacht. Die SPD ist keine Weltmacht, was sie manchmal vergißt. Auch wir, die CDU/CSU, sind keine Weltmacht. ({10}) Auch die Bundesrepublik Deutschland ist keine Weltmacht. Diese Selbsterkenntnis ist wichtig, damit wir unseren richtigen Standort finden und unsere Möglichkeiten richtig beurteilen können. Was uns bleibt, ist, daß wir versuchen müssen, in einem Kräftefeld, das im wesentlichen von anderen bestimmt wird, das uns Mögliche zu tun, damit unser Volk in einer gefährlichen Welt in Frieden überlebt. ({11}) Dazu ist es allerdings notwendig, daß wir die deutschen Sicherheitsinteressen analysieren und zur Geltung bringen. Wenn Sie ständig das Gegenteil tun, dann können wir doch von unseren Verbündeten nicht erwarten, daß sie die Analysen unserer Sicherheit anstellen, die wir selber anzustellen versäumen. ({12}) Ich meine, bei dem Ernst des Themas muß die Analyse ehrlich und die Schlußfolgerung konstruktiv sein. Um beides sollten wir uns bemühen. Zur Analyse: Erstens. Doppel-Null ist nicht null, sondern 3 %. Nur 3 % des atomaren Vernichtungspotentials werden von der doppelten Null- Lösung erfaßt. ({13}) Daß die übrigen 97 % ausreichen, um uns auszulöschen, dürfte auch den Antragstellern nicht verborgen geblieben sein, obwohl sie es nicht verlautbart haben, meine Damen und Herren. ({14}) Zweitens. Die atomare Gefahr wird durch die sogenannte doppelte Null-Lösung also nicht gebannt, am allerwenigsten für uns Deutsche. Auch darauf fehlt in Ihren Anträgen jeder Hinweis. Ein Vergleich der sehr unterschiedlichen Auswirkungen für die Betroffenen ergibt folgendes: Für die Sowjetunion entfällt das Risiko, bei einem Angriff nach Westen auf ihrem eigenen Territorium oder in ihrem Aufmarschgebiet durch landgestützte Systeme der USA von Europa aus getroffen werden zu können. Daß diese Tatsache die Optionen der Sowjetunion wesentlich verbessert, insbesondere der nicht atomar bewaffneten Bundesrepublik Deutschland gegenüber, liegt auf der Hand. Für die Vereinigten Staaten bedeutet die doppelte Null-Lösung die Befreiung von dem Risiko, durch einen Einsatz ihrer Mittelstreckenraketen von Europa aus einen sowjetischen Gegenschlag auf ihr Land zu provozieren. Auch für unsere Nachbarn bringt die doppelte NullLösung Vorteile, wenn man von einigen ihrer GrenzDr. Dregger gebiete zu Deutschland hin absieht. Außerhalb strategischer Reichweiten können unsere europäischen Nachbarn durch landgestützte Raketen der Weltmächte in Zukunft nicht mehr getroffen werden. Die atomare Bedrohung der Deutschen hält dagegen auch nach Verwirklichung der doppelten Null-Lösung im wesentlichen an. Deutschland wird durch die doppelte Null-Lösung einer atomaren Sonderbedrohung unterworfen, die es bisher nicht gegeben hat. Denn außerhalb strategischer Reichweiten wird es nach der doppelten Null-Lösung im wesentlichen nur noch ein Land in Europa geben, das durch landgestützte Raketen der Weltmächte, also beider Seiten, getroffen werden kann, nämlich das Deutschland beiderseits der Militärgrenze von Ost und West. ({15}) Wegen der außerordentlichen Überlegenheit der Sowjetunion bei atomaren Waffen mit Reichweiten unter 500 Kilometern sind davon insbesondere wir, die Bundesrepublik Deutschland, betroffen. Allein die nahezu 600 sowjetischen SCUD-Raketen, die von der doppelten Null-Lösung leider nicht erfaßt werden und denen auf westlicher Seite kein Gegengewicht gegenübersteht, reichen aus, den Wegfall der SS 20 im Hinblick auf die Bundesrepublik Deutschland voll auszugleichen. Und diese 600 SCUD werden zur Zeit, meine Damen und Herren, modernisiert, d. h. sie werden in Reichweite und Zielgenauigkeit verbessert. Ich finde es schlimm, meine Damen und Herren der rot-grünen Opposition, daß Sie sich in Ihren Anträgen zwar für den Abbau der 72 P I a, für dieses deutschamerikanische Gemeinschaftssystem, nicht aber für den Abbau der nahezu 600 SCUD der Sowjetunion einsetzen. ({16}) Denn bei den SCUD reden Sie nur vom Ende der Modernisierung, aber nicht vom Abbau, bei den 72 P I a reden Sie vom Ende der Modernisierung und vom Abbau. Diesen Unterschied machen Sie. Das ist schlimm und verantwortungslos. Damit werden Sie Ihrer Verantwortung für unser Deutschland nicht gerecht. ({17}) Wenn Sie sagen, daß diese SCUD nicht Gegenstand der gegenwärtigen Verhandlungen sind, dann ist das zwar richtig. Aber das gleiche gilt für die 72 P I a dieses deutsch-amerikanischen Gemeinschaftssystems. Das ist kein deutscher Standpunkt, sondern das ist der Standpunkt der Allianz und der Standpunkt des Verhandlungsführers, der Vereinigten Staaten von Amerika. ({18})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jahn?

Dr. Alfred Dregger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000418, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Bitte sehr, Herr Kollege Jahn.

Gerhard Jahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001012, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Dregger, wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß der Antrag, gegen den Sie hier eben polemisiert haben, wörtlich den Herrn Bundeskanzler mit seinen Äußerungen vor der Bundespressekonferenz wiedergibt?

Dr. Alfred Dregger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000418, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Also, Herr Kollege Jahn, Ihr Antrag ist es gar nicht wert, daß man gegen ihn polemisiert. ({0}) Mir geht es um etwas völlig anderes. Ich bin dabei, die Lage zu analysieren, wie sie ist, um dann zu Schlußfolgerungen zu kommen. Vielleicht hören Sie mal zu; das ist sehr viel wichtiger. ({1}) Ihre Sorge, meine Damen und Herren, daß die doppelte Null-Lösung an den 72 P I a scheitern könnte, ist im übrigen völlig unbegründet. Als Generalsekretär Gorbatschow - es war, glaube ich, im Oktober 1986 - zu seiner historischen Begegnung mit dem amerikanischen Präsidenten nach Reykjavik flog - Sie haben das ursprünglich völlig falsch eingeschätzt; Herr Kollege Ehmke, Sie haben vom schwarzen Freitag gesprochen - , war er, wie von ihm nicht anders zu erwarten, sehr gut vorbereitet. Er wußte genau, warum er atomare Abrüstung nicht bei den Kurzstrekkenraketen und nicht bei den Langstreckenraketen, sondern bei den Mittelstreckenraketen vorgeschlagen hat. Sie sind ja das landgestützte Gelenkstück zwischen den amerikanischen Gefechtsfeldwaffen in Europa und ihren strategischen Systemen in den USA und auf den Weltmeeren. Die Sowjetunion schätzt den strategischen Vorteil, den sie mit der Beseitigung dieses Gelenkstücks gewinnt, so hoch ein, daß sie ihn nicht einmal wegen SDI gefährden wollte. Was für den hochbedeutsamen SDI- Verzicht gilt, gilt erst recht für die im Vergleich dazu wenig bedeutsamen P I a. Um die Größenordnung deutlich zu machen: Der Anteil der 72 deutsch-amerikanischen P I a am nuklearen Potential ist so gering, daß er sich in Zahlen kaum ausdrücken läßt. Josef Joffe hat in seinem auch im übrigen lesenswerten Aufsatz in der „Süddeutschen Zeitung" vom 26. August 1987 einen Anteil von 0,0014 % errechnet. Die politische Bedeutung der 72 P I a ist allerdings größer als ihre militärische. ({2}) Sie sind ein Gemeinschaftsunternehmen der USA und der Bundesrepublik Deutschland. ({3}) Sie machen wie kein anderes Waffensystem deutlich, daß sich die USA mit uns gemeinsam für unsere Sicherheit verantwortlich fühlen. Das ist aber gerade das, was die Sowjetunion stört. Sie läßt keine Gelegenheit aus, den Versuch zu machen, unser Bündnis mit den USA zu schwächen. Sie, meine Damen und Herren von der SPD und den GRÜNEN, haben der Sowjetunion dabei wieder einmal bereitwilligst Hilfestellung geleistet. ({4}) Ich zitiere aus dem Antrag der GRÜNEN: „Bestehende Kooperationsabkommen mit den Vereinigten Staaten sind aufzulösen." So ist es. Sie wollen die Trennung und nicht den Zusammenhalt der Allianz. ({5}) Die Amerikaner haben uns nicht nur intern, sondern in der Hoffnung, daß das vielleicht wenigstens bei der SPD zur Kenntnis genommen würde, auch öffentlich wissen lassen - ich erinnere an die Erklärung des amerikanischen Botschafters -, daß sie das Hochspielen des Themas der 72 P I a gerade jetzt, in der Schlußphase der Genfer Verhandlungen, als Schwächung ihrer Verhandlungsposition empfinden. ({6}) - Das ist die Wahrheit. Es werden aber ständig Gerüchte verbreitet; die sind die Unwahrheit. ({7}) Das hat mir gegenüber nicht nur der amerikanische Sicherheitsberater Carlucci versichert, sondern der amerikanische Botschafter Burt hier in Bonn öffentlich erklärt. Nehmen Sie es doch bitte zur Kenntnis. ({8}) - Herr Vogel, hören Sie mal zu! Dadurch entstand eine Lage, der der Bundeskanzler in der Verantwortung seines Amtes, die wir alle respektieren, durch seine Erklärung vom 26. August vor der Bundespressekonferenz Rechnung getragen hat, nicht indem er das tat, was Moskau, SPD und GRÜNE von ihm verlangten. ({9}) Ich weiß, daß auch hier das Gegenteil verbreitet wird; aber das ist eine Fälschung, das stimmt nicht. ({10}) Hätte der Bundeskanzler das getan, was Sie, Moskau und die GRÜNEN wollten, dann hätte er unsere Sicherheitsinteressen verletzt, die amerikanische Verhandlungsposition geschwächt und das INF-Abkommen in Genf gefährdet. Der Bundeskanzler hat etwas ganz anderes getan: Erstens. Er hat die amerikanische Verhandlungsposition in Genf ausdrücklich und uneingeschränkt bekräftigt. Die 72 P I a sind als Gemeinschaftssystem ebenso wenig wie die Drittstaatensysteme Gegenstand der gegenwärtigen bilateralen Verhandlungen zwischen der Sowjetunion und den USA. Sie können es nicht sein, und sie werden es nicht sein. Selbst die Sowjets haben das inzwischen begriffen. Nur die rotgrüne Opposition hält sich daran noch fest. ({11}) Zweitens. Der Bundeskanzler hat einen künftigen deutschen Verzicht auf die 72 P I a von wichtigen Voraussetzungen abhängig gemacht, die frühestens 1992 verwirklicht sein können. Der Herr Bundeskanzler hat diese fünf Punkte heute in seinem Redebeitrag vorgetragen. Ich brauche sie nicht zu wiederholen. Drittens. Der wichtigste Punkt in der Erklärung des Bundeskanzlers ist der dritte. Es ist seine Forderung, die atomare Abrüstung nicht an der berüchtigten, möchte ich sagen, „Brandmauer" enden zu lassen, sondern sie gerade dort fortzusetzen. Ich unterstreiche diese Forderung des Bundeskanzlers mit Nachdruck. Wir Deutsche wollen in der atomaren Bedrohung nicht singularisiert werden. Deswegen können wir es nicht zulassen, daß ausgerechnet die Raketen von der atomaren Abrüstung ausgenommen werden, die nahezu ausschließlich Deutschland bedrohen. ({12}) Das sagen wir nicht nur an die Adresse der Sowjetunion, das sagen wir auch an die Adresse unserer Verbündeten. ({13}) Daß einige die Vorstellung hatten und vielleicht noch haben, man könne das, was durch Abrüstung im Reichweitenband zwischen 500 und 5 500 km wegfällt, durch Aufrüstung bei Reichweiten unter 500 km ausgleichen, empfinden wir als Zumutung. ({14}) - Gut, wunderbar. Darüber sollten Sie mehr reden als über Ihre 72 P I a. Das ist doch lächerlich, Ihr Thema. ({15}) Wenn das nämlich geschähe, dann würde der auf Grund der Grenzlage unvermeidbaren konventionellen Sonderbedrohung eine durchaus vermeidbare nukleare Sonderbedrohung hinzugefügt. Ich sage mit großem Ernst - ich darf das so sagen - : Die dichtbesiedelte Bundesrepublik Deutschland kann atomar vernichtet, aber nicht atomar verteidigt werden. Atomare Waffen sind nur als Abschreckungswaffen verantwortbar. ({16}) Nach dieser Zweckbestimmung müssen sie ausgewählt werden. Wenn Atomwaffen tatsächlich zum Einsatz kommen, haben sie ihren Zweck verfehlt. ({17}) Das gilt insbesondere dann, wenn ihr Einsatz auch noch auf dem Gebiet des Angegriffenen, also des Verteidigers selbst, stattfindet oder gar stattfinden soll. Deshalb sage ich: Zur Abschreckung bestimmte Raketen, die das Gebiet des potentiellen Angreifers erreichen, können und dürfen, wenn sie wegfallen, nicht durch Raketen ersetzt werden, die auf Grund ihrer geringen Reichweite nur das Gebiet des VerteiDr. Dregger digers, also nur unser Gebiet, treffen können. Fremdabschreckung kann und darf nicht durch Selbstabschreckung ersetzt werden. ({18}) Wir, die CDU/CSU, haben das unseren Verbündeten gesagt, als erste und sehr nachdrücklich. Sie haben vorhin den Versuch gemacht, sich darüber spöttelnd zu äußern. Dies war unser Thema in Washington, in London und in Paris. Ich habe es mehrfach hier im Bundestag vorgetragen, ich wiederhole es heute. Wir wollen nicht weniger, sondern mehr Abrüstung. Die atomare Abrüstung muß, vor allem bei den kürzeren Reichweiten, weitergehen. Auch die konventionelle und die chemische Abrüstung müssen einbezogen werden. ({19}) Solange die Sowjetunion uns an Panzerarmeen und chemischen Waffen haushoch überlegen ist, so lange fordern wir für die atomaren Kurzstreckenraketen zwar keine Null-Lösung, aber wir fordern schon jetzt eine drastische Verminderung der atomaren Waffen mit Reichweiten unter 500 km auf einen Mindestbestand, der notwendig ist, um Angriffsmassierungen konventioneller Kräfte zu verhindern. Alles, was darüber hinausgeht, muß verschwinden, selbstverständlich auf beiden Seiten, meine Damen und Herren. Ich habe eine Arbeitsgruppe der Fraktion eingesetzt, ({20}) die den Fragenkreis der atomaren Abrüstung für Reichweiten unter 500 km in Zusammenarbeit zunächst mit dem Verteidigungsminister und dann auch mit dem Außenminister untersuchen wird. Meine Damen und Herren, wer Sicherheit will, kann seine Abrüstungspolitik nicht auf einzelne Waffenkategorien beschränken. Der Tod durch Kurzstreckensysteme ist nicht weniger schrecklich als der Tod durch Mittelstreckensysteme. Das macht keinen Unterschied. ({21}) Wer Sicherheit will, kann sich letztlich auch nicht an mathematischen Formeln wie Null oder Doppel-Null orientieren, ({22}) die über Sicherheit nichts aussagen. Wer Sicherheit will, muß den Maßstab des Gleichgewichts zugrunde legen, und zwar des Gesamtgleichgewichts in allen Waffenkategorien. ({23}) Vielleicht macht es nicht die Opposition, aber dafür einige unserer Zuhörer nachdenklich, wenn ich mitteile, was der frühere britische Staatsminister für auswärtige Angelegenheiten, Lord Chalfont, übrigens Mitglied der Labour-Party, am 23. Juli 1987 in der „International Herald Tribune" geschrieben hat. Ich zitiere Lord Chalfont: Abrüstungsvereinbarungen müssen das ganze militärische Spektrum umfassen; sie dürfen nicht einzelne Waffenkategorien abschaffen. Sie müssen ausgewogen sein ... Sie müssen die Sicherheit erhöhen, statt sie aufs Spiel zu setzen. Der Maßstab des Gleichgewichts - natürlich des Gesamtgleichgewichts - ist für alle akzeptabel, die nicht durch unausgewogene Abrüstung Übermacht gewinnen oder schon vorhandene Übermacht noch vergrößern wollen. Wir, an der Militärgrenze von Ost und West, sind jedenfalls auf Gleichgewicht angewiesen; denn wegen unserer gefährlichen Lage an der Grenze werden wir durch jede Unausgewogenheit - ob in der Rüstung oder in der Abrüstung, das macht gar keinen Unterschied - mehr gefährdet als andere. Wir, die CDU/CSU, haben zusammen mit der FDP durch unsere Konsequenz in der Nachrüstungsfrage Abrüstung möglich gemacht. Der Bundeskanzler hat dazu am 26. August erneut einen Beitrag geleistet. ({24}) Mit der gleichen Konsequenz wollen wir dafür eintreten, daß Abrüstung zu mehr Sicherheit führt, zu mehr Sicherheit für alle, auch für uns. ({25})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Scheer.

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Gegensatz zu dem, was der Bundeskanzler heute früh einleitend gesagt hat - die allgemeine Meinung sei gewesen, diese Sitzung sei gar nicht nötig -, ({0}) war die allgemeine Meinung ursprünglich, daß sie nach der Erklärung des Bundeskanzlers letzte Woche - zwei Tage vorher kam unser Antrag - ihre Funktion erfüllt habe, weil die Sondersitzung den Bundeskanzler zu seiner Erklärung veranlaßt habe, die sonst wohl nicht gekommen wäre. Heute muß man sagen, daß sich auf Grund des Konflikts in den letzten Tagen in den Unionsparteien und auf Grund heutiger Debattenbeiträge die Notwendigkeit des Festhaltens an dieser Sondersitzung nachdrücklich bestätigt hat. ({1}) Sie haben soeben - das gilt für den CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden, teilweise auch für den Bundeskanzler - den Versuch gemacht, den Verzicht auf die Pershing I a mit Argumenten für die Pershing I a zu begründen. Wie soll das eigentlich noch aufgehen? ({2}) Der Konflikt um die Pershing I a hat die Bundesregierung nun über Monate hinweg gelähmt. Diese Lähmung hat dazu geführt, daß die Bundesrepublik Deutschland ihren Nachbarn in West und Ost ein trübes Bild bot, nämlich einziger Quertreiber der bisher größten Abrüstungschance seit dem Zweiten Weltkrieg zu sein, einer Abrüstungschance, die vor allem dem deutschen Volk zugute kommt. ({3}) In fataler Weise erinnert das an die politische Lage der 60er Jahre. Auch damals war die von der CDU/CSU geführte Bundesregierung der eigentliche Quertrei1438 ber des seinerzeit sich anbahnenden internationalen Entspannungsprozesses. Die laufende Auseinandersetzung in den Unionsparteien zeigt, daß die Differenz weitergeht und damit wohl auch die Lähmung. Dabei handelt es sich ganz offenkundig um weit mehr als verletzte Eitelkeit der CSU, bei dem Einschwenken des Bundeskanzlers auf eine von uns verlangte Position nicht gefragt worden zu sein. Was für heute vom Fraktionsvorsitzenden der Union mühsam zugekleistert worden ist, kann morgen oder nach den bevorstehenden Landtagswahlen wieder aufbrechen. Herr Bundeskanzler, ich hätte das Stichwort der Landtagswahlen gar nicht gebracht. Wir erinnern uns sehr gut daran, wie Sie das Dilemma der Union vor der rheinland-pfälzischen Landtagswahl - wenige Wochen vorher gegen die doppelte Null-Lösung Stellung nehmend - dadurch wenige Tage vor der Wahl zu bereinigen versuchten, daß Sie erklärten, Sie seien für eine dreifache Null-Lösung, eine Null-Lösung auch bei Kurzstreckenraketen, und das sofort nach der Wahl wieder zurücknahmen. So einfach geht es nicht. Die Auseinandersetzung wird weitergehen, und das offensichtlich in ziemlich brutaler Form. Man braucht nur das nachzulesen, was heute in der „Welt" steht. Dort erklärt Herr Waigel, die Auseinandersetzung mit der CDU werde nach dem Prinzip der Flexible response von der CSU weitergeführt. ({4}) - Das steht dort wörtlich. ({5}) Die Übernahme militärischen Vokabulars auf die Auseinandersetzungen in der Union, das kann sehr bedenklich werden! ({6}) Nicht zu übersehen ist, daß die CSU heute bei ihrer Ablehnung eines deutschen Verzichts auf die Pershing I a diejenigen Argumente hochhält, die bis vor sieben Tagen von der gesamten CDU/CSU vertreten wurden. ({7}) Schon mehrmals wurde im vergangenen Jahr versucht, durch die Hintertür neue Hindernisse gegen die Abrüstung der Mittelstreckenraketen aufzubauen. Weil wir Sozialdemokraten unser möglichstes tun wollen, daß der Abrüstungsvertrag endgültig unter Dach und Fach kommt und die deutsche Lähmung in der Abrüstungspolitik überwunden wird, hat diese Sondersitzung die Aufgabe, die Positionen deutlicher zu markieren, als es die Regierung bisher vermochte. ({8}) Das Verwirrspiel muß aufgelöst und Klarheit geschaffen werden. Darauf haben unsere Mitbürger ein Recht, und dazu haben wir die Pflicht. ({9}) Denn es ging in den letzten Wochen um weit mehr als 72 bereits ohnehin schrottreife Atomraketen, und es ging schon gar nicht um einen deutschen Joker im Verhandlungspoker. Erstens sind wir kein Verhandlungsteilnehmer, und zweitens ist der Verhandlungspoker ja seit einiger Zeit beendet: seit der Zeit, als sich die amerikanische und die sowjetische Regierung auf den vollständigen Abbau aller ihrer Festlandsmittelstreckenraketen einigten. Das ist der Tatbestand. Ein Festhalten der Bundesregierung an den Pershing I a war in jedem denkbaren Fall schief gewickelt und höchst merkwürdig begründet. Neben dem, was unser Fraktionsvorsitzender, Dr. Vogel, bereits genannt hat, werde ich das an vier Punkten verdeutlichen: Erstens. Es war und bleibt gegen das deutsche und internationale Interesse, wegen des Festhaltens an diesen Waffen in letzter Minute ein Scheitern der Verhandlungen zu riskieren. Die Gefahr, daß dies geschehen könnte, war unübersehbar. ({10}) Zweitens. Es war weder sinnvoll noch notwendig, diese Raketen als Druckinstrument für Anschlußverhandlungen über den Abbau atomarer Kurzstreckenraketen setzen zu wollen. Tatsache ist, daß die Sowjetunion ihre Bereitschaft dazu ohnehin schon erklärt hat, und es ist eine ebensolche Tatsache - Herr Kollege Dregger, das wissen Sie - , daß es innerhalb des Westens wesentliche Meinungsverschiedenheiten gibt, ob man diesen Weg überhaupt gehen soll, auch über die Reduzierung von Kurzstreckenraketen zu verhandeln. Ein westliches Konzept dafür gibt es bis heute nicht. ({11}) Drittens. Es war und ist anmaßend und wiederum gegen das deutsche Interesse, den Anspruch zu erheben, wie ein atomarer Drittstaat behandelt zu werden und deshalb die Pershing-I a-Raketen der Bundeswehr aus einer Abrüstung der Mittelstreckenraketen herauszuhalten. ({12}) Zur Erläuterung für die Mitbürger, die das sicherheitspolitische Vokabular nicht kennen, aber diese Debatte verfolgen: Unter „Drittstaaten" versteht man die Atommächte Frankreich, Großbritannien und China - und nichts anderes! Der Anspruch, wie ein solcher Staat angesehen zu werden, verstößt gegen elementare völkerrechtliche Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland, keinesfalls Atomwaffenstaat sein zu wollen. ({13}) Mit dem unverhohlen geäußerten Drittstaatenanspruch haben Sie international - unabhängig vom Ausgang des Pershing-I a-Konflikts - Mißtrauen erweckt und sich an einer Staatsraison der Bundesrepublik Deutschland vergangen. Dies wird möglicherweise - ich hoffe es nicht - Nach- und Fernwirkungen haben, deren negative Auswirkungen noch nicht abzusehen sind. ({14}) Viertens. Es war gegen das deutsche Interesse, die Pershing-I a-Raketen behalten zu wollen. Man stelle sich einmal vor, Sie wären trotz Null-Lösung damit durchgekommen! Nur noch auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland hätten landgestützte Atomraketen mittlerer Reichweite der NATO gestanden, also Raketen, die sowjetischen Boden erreichen können. Wir hätten uns damit in einer singulären Situation befunden, einer Situation, die bisher prinzipiell von deutscher Sicherheitspolitik vermieden wurde. ({15}) Mit anderen Worten: Wir allein wären exponiertes Zielgebiet frühzeitiger atomarer Gegenschläge geworden. ({16}) Wenn Sie trotz allem an der Pershing I a festgehalten haben und mit der CSU ein Teil der Union - wie groß er ist, wissen wir nicht, denn nicht allzu viele, auch aus der CDU, werden ihre Reden von gestern schon vergessen haben - , wenn also immer noch viele daran festhalten wollen, dann muß das andere Gründe haben. Tatsächlich geht es um die Frage, ob die Bundesrepublik Deutschland ihre Sicherheit in der Weiterführung atomarer Abschreckung - ich meine das ganz unpolemisch, Herr Bundeskanzler - einschließlich eines deutschen Fingers am atomaren Abzug suchen soll oder ob sie sich auf den Weg der Beseitigung der Atomwaffen macht. Das ist der Kern des deutschen Zwiespaltes über die Abrüstung der Mittelstreckenraketen einschließlich der Pershing I a. Das sicherheitspolitische Denken der Union ist nach wie vor an der atomaren Abschreckung orientiert. Es gibt auch darüber hinaus viele, die daran orientiert sind. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dieser Position ist notwendig. Dieses Denken in der Bundesrepublik wurde vor allem von Franz Josef Strauß seit seiner Zeit als Verteidigungsminister zwischen 1956 und 1962 geprägt. Wer wie er Atomwaffen nicht nur als vorübergehende Waffen, sondern als Dauereinrichtung betrachtet, der kann sich folglich auch nicht damit abfinden, keine Mitverfügung über Atomwaffen in irgendeinerArt zu haben. Deshalb betrieb er die Ausrüstung der Bundeswehr mit atomaren Trägerwaffen und war für die Stationierung atomarer Systeme der Vereinigten Staaten auf unserem Boden, mit atomaren Trägerwaffen aber auch bei uns, deren Sprengköpfe wegen des offiziellen deutschen Atomwaffenverzichts unter amerikanischem Verschluß sind. Deren Glanzstück wurde Anfang der 60er Jahre die Pershing I a. Die atomaren Trägerwaffen der Bundeswehr sollten gewährleisten, daß die USA ihre auf unserem Boden stehenden Atomwaffen auch tatsächlich einsetzen würden; so Strauß in einer Rede am 15. März 1961 im Deutschen Bundestag. Meine Damen und Herren, bei dem Militärphilosophen von Clausewitz steht der Satz: „Was heißt verteidigen? Erhalten. " - Aber statt auf die Erhaltungsverteidigung wurde die Sicherheitspolitik auf Abschreckung festgelegt, so daß wir seitdem unter dem Schatten der zwangsläufig damit verbundenen Selbstvernichtungsgefahr leben. Mit der Verfügung der Bundesrepublik über solche Raketen sollte verhindert werden, daß sich die USA und die Sowjetunion - wörtliches Zitat von Franz Josef Strauß von 1960 - über die deutschen Köpfe hinweg auf eine Abschaffung der Atomwaffen einigen. Von dieser Position aus wurde von der CDU/CSU die deutsche Unterschrift unter den Atomwaffensperrvertrag bekämpft, weil Sie die Möglichkeiten einer direkteren deutschen Mitverfügung über gemeinsame westeuropäische Atomwaffen offenhalten wollten. Bis heute ist es im wesentlichen - mit Modifikationen - bei dieser Grundposition geblieben. Nur wird sie im Gegensatz zu früheren Jahren kaum noch offen vertreten. Aber es liegt am Festklammern der Union am Prinzip der atomaren Abschreckung - womit ich nicht unterstelle, daß damit ein Atomkrieg geführt werden soll, sondern daß damit im ursprünglichen Sinne des Konzepts ein Krieg verhütet werden soll -, daß bei der Union der Widerwille gegen die einfache Null-Lösung bereits im September, Oktober letzten Jahres deutlich wurde und daß als Alternative wenigstens die Nachrüstung mit Mittelstreckenraketen kürzerer Reichweite versucht wurde. Es liegt an diesem Prinzip, daß die Union im Frühjahr gegen die doppelte Null-Lösung Sturm lief und ein Einlenken nur durch den Regierungskompromiß des Festhaltens an der Pershing I a möglich war. Daß es gerade die Pershing I a war, liegt am Konzept des Mitverfügungswunsches, man kann auch sagen: des Wunsches nach einem Finger am atomaren Abzug, einer Beteiligung an atomarer Machtpolitik. ({17}) Es war ein großer Fehler, Herr Bundesaußenminister, sich auf diesen Kompromiß einzulassen. ({18}) Sie wagten es nicht von sich aus, diesen offen in Frage zu stellen, trotz des immer deutlicher damit verbundenen Risikos, daß die Verhandlungen scheitern könnten, weil Sie zu Recht eine tiefe Erschütterung in der Koalition vermuten mußten, die selbst dann eintrat, als der Bundeskanzler den Kompromiß vom 1. Juni verließ. Ich erinnere an etwas, was heute noch zu lesen ist. Im „Bayernkurier" wird darauf hingewiesen, daß Franz Josef Strauß mit dem Bundeskanzler am 1. Mai dieses Jahres vereinbart habe - wörtlich -, „nie und nimmer dürfe die Bundesrepublik Deutschland auf die Pershing I a verzichten". ({19}) Das hat prinzipielle Gründe, und daher rührt dieser tiefe Konflikt in der Union. ({20}) Nun sagte Herr Kollege Dregger: Es geht nicht an, daß nur noch die Atomwaffen auf deutschem Boden bleiben, die uns selber bedrohen, Ost und West in Deutschland. - Völlig richtig, das wäre völlig verantwortungslos. Nur steht dies im Widerspruch zu dem, was Sie gleichzeitig angedeutet haben, nämlich einer Nachrüstung mit Kurzstreckenraketen, in welcher Größenordnung auch immer, ({21}) die letztlich der definitive Ausdruck einer Erneuerung der atomaren Abschreckungsdoktrin - ({22}) - Gut, wenn Sie von Abrüstung sprechen. Ich habe es eben anders gehört. Wenn Sie von Abrüstung, von vollständiger Abrüstung sprechen, haben Sie unsere volle Unterstützung. ({23}) Wir werden Sie aber - das möchte ich festhalten - exakt an diesem Ziel messen. ({24}) In der nächsten Runde, wenn die doppelte NullLösung unter Dach und Fach ist, wird es darum gehen, ob eine dritte tatsächlich möglich wird. ({25}) Auf die Darlegung dieses Konflikts hat die Öffentlichkeit einen Anspruch, wenn Sie es schon nicht von sich aus tun. Ich vermute, daß dieser Konflikt über atomare Abschreckung oder atomare Abrüstung genau wieder aufbrechen wird. Wir stehen für die atomare Abrüstung aus prinzipiellen Gründen, weil es sich als Notwendigkeit erwiesen hat, durch eine kontrollierte, stufenweise und vollständige Beseitigung der Atomwaffen den Zustand zu überwinden, daß in der Sicherheitspolitik nur noch die Selbstvernichtung die Alternative zu erfolgreicher Kriegsverhütung ist. Es ist grundsätzlich nicht länger hinnehmbar, daß sich die Menschen zu Waffen versteigen, mit denen sie in kürzester Zeit die gesamte Zivilisationsgeschichte, die Gegenwart und die Zukunft auslöschen können. ({26}) Es ist mit langfristig angelegter vertrauensbildender Friedenspolitik unvereinbar, an Atomwaffen festzuhalten; denn solange man wechselseitig bereit ist, mit Atomwaffen gleichzeitig die Auslöschung des Gegenübers und die eigene Selbstauslöschung zu riskieren, bedarf es eines zu diesen Waffen gehörenden teufelsähnlichen Feindbildes. ({27}) Atomwaffen sind nicht mehr die Folge, sie sind inzwischen die Quelle andauernden Mißtrauens. ({28}) Deshalb ist die Überwindung der atomaren Abschreckung nötig. Die Abrüstung der Mittelstreckenraketen wäre der erste entscheidende Schritt zu einer Zukunft, in der wir nicht mehr im Schatten einer Sicherheitsstrategie des Schreckens stehen würden, die in meinen Augen das organisierte Kalkül des Nihilismus und des politischen Pessimismus darstellt. Wir sind der Meinung, daß es notwendig ist, daß im Bundestag diese Problematik zwischen diesen beiden Alternativen ausgetragen wird. Noch sind die Querschläger aus den Reihen der Koalition allen im Ohr. Solange es solche gibt, solange die Regierung nicht von sich aus eine klare Position in dieser Frage festlegen kann, ist öffentliche Wachsamkeit für das Ergreifen der Abrüstungschancen notwendig, und zu dieser öffentlichen Wachsamkeit soll diese Sitzung beitragen. Vielen Dank. ({29})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mischnick.

Wolfgang Mischnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001512, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die FDP-Bundestagsfraktion begrüßt die Erklärung des Bundeskanzlers ({0}) zur doppelten Null-Lösung. ({1}) - Wenn Sie davon überrascht wären, würde mich das wundern, ({2}) denn Sie haben sie, wenn ich das richtig sehe, auch begrüßt. ({3}) Wenn es hier eine gemeinsame Auffassung gäbe, wäre das gut. Es hat sich nur sehr schnell gezeigt, daß Sie nicht bereit sind, mit konsequentem Durchdenken allen Überlegungen zu folgen, die für die Bundesregierung und für die Koalition wichtig sind. Mit dieser Erklärung wird erneut bewiesen, daß die Bundesrepublik Deutschland Abrüstungsbemühungen nicht blockiert, sondern aktiv unterstützt, und dies festzustellen ist eine entscheidende Aufgabe dieser Sitzung, wenn sie überhaupt einen Sinn haben soll. ({4}) Sie sind der Meinung gewesen, Sie bräuchten die Sitzung. ({5}) Ich bin nach wie vor der Meinung, daß wir in der nächsten Woche während der Haushaltsdebatte genauso über diese Fragen hätten sprechen können wie heute. ({6}) Wenn Sie sie trotzdem durchführen, sollten Sie wenigstens den Mut haben, anzuerkennen, daß die BundesMischnick republik Deutschland Abrüstung aktiv unterstützt und nicht, wie es immer wieder behauptet worden ist, blockiert. ({7}) Diese Behauptung der Blockierung ist ja außerdem noch von der unverantwortlichen Behauptung begleitet worden, die Bundesrepublik Deutschland erstrebe selbst Verfügungsgewalt über atomare Sprengköpfe. Die Bemerkung „den Finger am Abzug halten" unterstützt dies. ({8}) Spüren Sie nicht, wie mit dieser Art der Diskussion und Polemik der bisherige klare Standpunkt der Bundesrepublik Deutschland, keine atomaren Waffen zu besitzen und besitzen zu wollen, von Ihnen in Frage gestellt wird und wie damit - statt daß unser Standpunkt vertreten wird - den Gegnern in die Hände gearbeitet wird? ({9}) Es ist bedauerlich, daß Vorwürfe von sowjetischer Seite durch deutsche Politiker unterstützt worden sind, ({10}) statt daß diese Vorwürfe ins Reich der Fabel verwiesen wurden. Wir waren, sind und bleiben für den Verzicht auf A-, B- und C-Waffen. ({11}) - Was sagen Sie? Das stimme nicht? ({12}) - Ihr Antrag ist eine ganz andere Frage! Jetzt rede ich von A-, B- und C-Waffen. Wir haben die A-, B- und C-Waffen immer geächtet und sie abgelehnt. Wir wären froh, wenn andere Staaten dieser Welt diesem klaren Verzicht der Bundesrepublik Deutschland folgen würden. Deshalb ist es schlecht, wenn in Frage gestellt wird, daß wir diesen Willen nicht nur hatten, sondern auch in Zukunft haben werden. ({13}) Meine Damen und Herren, wenn hier versucht wird, die Pershing I a als eine Art Einstieg in eigene atomare Bewaffnung zu behandeln, so scheinen die Betreffenden entweder das Gegenteil nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen oder der Öffentlichkeit weismachen zu wollen, es gebe hier bei uns Verfügungsgewalt über die Sprengköpfe, und sei es auch nur ein bißchen. Die gibt es nicht! ({14}) Die Verfügungsgewalt liegt bei den Vereinigten Staaten. ({15}) - Bei den Drittstaaten geht es sowohl um Drittstaaten mit eigenen atomaren Waffen als auch um Drittstaaten, die Raketensysteme ohne eigene Verfügungsgewalt über die Sprengköpfe haben. ({16}) Diese beiden Dinge gibt es im Bündnis. Darüber ist gesprochen worden, über nichts anderes. ({17}) - Lieber Herr Kollege, das braucht gar keine Verdächtigungen auszulösen, wenn das, was hier in der Sitzung im Mai und im Juni gesagt worden ist, nicht verfälschend nach draußen wiedergegeben würde, sondern so wiedergegeben würde, wie es von der Regierung und von den Koalitionsfraktionen tatsächlich gebracht worden ist. ({18}) Es hat sich ja auch gezeigt, daß die bevorstehenden abschließenden Gespräche zwischen den USA und der Sowjetunion durch die Erklärung des Kanzlers natürlich erleichtert werden. Von amerikanischer Seite ist heute noch einmal bestätigt worden, daß die Pershing I a weder Verhandlungsgegenstand waren noch es sind. ({19}) Wenn man sich auf den Bündnispartner beruft, dann wäre ich dankbar, wenn man dann diesen Gesichtspunkt des Bündnispartners in der Debatte nicht wegwischt, sondern ihn einbezieht. ({20}) Daß hier eine Zeitlang falsch argumentiert wurde, hat die Situation natürlich nicht erleichtert. Es war nicht hilfreich, es war eher schädlich. Es ist hochinteressant, einmal nachzulesen, zu welchem Zeitpunkt die Debatte über die Pershing I a auch von sowjetischer Seite in den Vordergrund geschoben wurde: Das war, nachdem es hier begann. Das sollte man nicht vergessen. Vielleicht ist es doch des Nachdenkens wert, daß man, während Verhandlungen in Gang gesetzt werden, auch als Opposition in der öffentlichen Diskussion die gemeinsamen Interessen aller Deutschen mehr sieht als die parteipolitischen Interessen für den Augenblick. Das war ein Fehler, den Sie damals gemacht haben. ({21}) Meine Damen und Herren, ich habe im Mai gesagt: Wir müssen auch sehen, daß ein Reifeprozeß im Gange ist. Im Mai haben wir noch davon gesprochen, daß wir auf der einen Seite eine teilweise und auf der anderen Seite eine vollständige Null-Lösung bekommen. Da waren noch die berühmten 100 Raketen auf beiden Seiten in der Diskussion. Wie richtig es damals war, Festlegungen nicht durch Abstimmungen zu treffen, sieht man heute; denn diese beiderseitigen 100 Raketen sind in die Verhandlungen mit einbezogen und werden verschwinden. Daß sich daraus für die Pershing I a auch insgesamt eine neue Situation ergeben hat, ist unbestreitbar. Insofern hat sich bestätigt, was ich damals sagte: Hier ist ein Reifeprozeß im Gange, den man abwarten und in die eigene Entscheidung einbeziehen muß. Es kommt ein Weiteres hinzu: Der völlige Verzicht auf Mittelstreckenraketen der Reichweite von 500 bis 5 000 km erleichtert natürlich die Überprüfbarkeit. Das Beibehalten eines Restbestandes auf beiden Seiten hätte die Verifizierung, die Kontrolle, die Überprüfbarkeit der Abrüstung erschwert. Denn beim Beibehalten eines Teils muß man für Ersatz sorgen. Ersatz nachzuprüfen, wieweit dieser schon wieder ein Umgehen des Vertrages wäre, wäre schwieriger geworden. Wir begrüßen deshalb, daß es zur vollständigen doppelten Null-Lösung kommt und damit die Überprüfbarkeit der Einhaltung eines solchen Abkommens entsprechend größer geworden ist. Deshalb ist es absolut logisch, daß eine Nachrüstung der Pershing I a - wenn es zu dem Abkommen kommt - in Widerspruch zu einem solchen Abkommen stehen würde. Deshalb ist der Standpunkt der Freien Demokraten von Anfang an gewesen und unverändert geblieben, daß es kein Junktim mit einer Nachrüstung der Pershing I a geben kann, daß es aber dabei bleiben muß, daß sie in die Verhandlungen der Großmächte nicht einbezogen werden können. Daß Kritik am Bundeskanzler geübt wird, weil er bestimmte Bedingungen für den Verzicht auf die Pershing I a genannt hat, verstehe ich überhaupt nicht. Warum wird daran Kritik geübt? Voraussetzung dafür, daß man überhaupt die deutsche Erklärung umsetzt, ist doch, daß das Abkommen abgeschlossen wird, daß die Überprüfbarkeit möglich ist und daß es verwirklicht wird. Das sind die Voraussetzungen dafür, und deshalb ist eine Kritik an den Bedingungen, die der Bundeskanzler genannt hat, wirklich überflüssig. ({22}) Die Freien Demokraten sehen in dieser jüngsten Entwicklung eine erneute Bestätigung ihres konsequenten außenpolitischen Weges zur Sicherung des Friedens, zur Entspannung und zur schrittweisen Abrüstung. Die schweren Entscheidungen, die wir mit der Ankündigung und der Verwirklichung der Nachrüstung treffen mußten, haben sich als richtig erwiesen. Wir können heute feststellen: Wir haben in beiden Fällen, bei der Ankündigung und der Nachrüstung, viel auf uns nehmen müssen, aber das Durchhalten hat sich als richtig erwiesen. Ich bedaure sehr, daß die Kollegen in der SPD, die damals zwar der Ankündigung zustimmten, aber bei der Umsetzung dann plötzlich zurückschreckten, nicht wenigstens heute soweit sind oder den Mut haben zu sagen: Jawohl, ihr hattet recht mit dieser Entscheidung; wir werden in Zukunft sorgfältiger prüfen, bevor wir solche wichtigen Beschlüsse ablehnen und damit die Geschlossenheit des Deutschen Bundestages in Fragen der Abrüstung durch unsere eigene Position in Frage stellen. Das sollten Sie sich für die Zukunft überlegen. ({23}) Diese schweren Entscheidungen waren im Interesse nicht nur unseres Volkes richtig und wichtig, sondern es zeigt sich, daß damit auch in Mitteleuropa insgesamt eine positive Entwicklung zur Abrüstung eingeleitet werden konnte. Mit diesem entscheidenden Schritt zur Abrüstung kann ein Weg der Umkehr, nämlich der Umkehr von der Aufrüstung zur Abrüstung, eingeleitet werden. Das ist für uns ein wichtiger Schritt, der nicht zu unterschätzen ist. Aber er ist für uns der erste Schritt einer wirklichen Abrüstungspolitik. Wir hoffen deshalb auf baldige weltweite Vereinbarungen über die Ächtung und Beseitigung aller chemischen Waffen. Dies müßte als nächster Schritt jetzt mit aller Energie angestrebt werden, um damit in einem weiteren Bereich den Beweis zu liefern, daß man es auf beiden Seiten ernst meint. ({24}) Wir erwarten während der Verwirklichung des Mittelstrecken-Abkommens - und das geht über einige Jahre - intensive Verhandlungen zum Abbau der atomaren Kurzstreckenwaffen und Vereinbarungen über eine Begrenzung der konventionellen Waffen. Wir nehmen die Erklärung des Warschauer Paktes, Unsymmetrie im konventionellen Bereich abzubauen, sehr ernst; sie ist von großer Bedeutung. ({25}) Dies muß der nächste Schritt werden. Wir Freien Demokraten werden alle Bemühungen in dieser Richtung wie bisher unterstützen, ({26}) und wir können nur hoffen, daß entsprechende konkrete Vorschläge von beiden Seiten eingebracht werden. Unsere Unterstützung werden sie haben. Dabei muß aber gleichzeitig auch sichergestellt sein, daß die Sicherheitsinteressen beider Seiten damit gewahrt werden. Lassen Sie mich noch eine kurze Bemerkung zu der Freude über unterschiedliche Auffassungen innerhalb der Koalition machen, die hier anklang. Nach dem Volksmund soll ja Schadenfreude die schönste Freude sein. Das mag im täglichen Leben noch hingehen. Ich gestehe offen, daß ich daran nie eine besondere Freude hatte. Wer aber Schadenfreude im politischen Leben zum Ratgeber macht, der schadet sich meistens selber. Davor möchte ich alle warnen, die glauben, bei einer solchen wichtigen Frage Schadenfreude über andere zur Grundlage ihrer Entscheidung machen zu müssen. Ich weiß, daß hier natürlich noch manche harte Diskussion vor uns steht. Wir werden die Anträge in die Ausschüsse überweisen. ({27}) Sie werden auch aus den Ausschüssen zurückkehren. Es wird dann natürlich darüber hier Beschlüsse geben; das ist nun einmal so bei Anträgen. ({28}) Vielleicht haben Sie sich einmal überlegt, daß es auch für die Gesamtentwicklung von Vorteil sein kann, wenn vor dem 14./15. September, wenn die Außenminister sich treffen, eine Erklärung des Bundeskanzlers auf dem Tisch liegt, und nach diesem Treffen wenn wir mehr über die weitere Entwicklung wissen, weitere Beratungen hier stattfinden. Dies würde ich als eine sinnvolle Unterstützung der Bemühungen einer Regierung ansehen. ({29}) Deshalb sind wir der Meinung, daß heute die Überweisung in die Ausschüsse erfolgen sollte und daß wir darüber im Detail zu beraten haben. ({30}) - Ach, wissen Sie, Herr Kollege Ehmke, wenn Sie sich zur Durchführung des Doppelbeschlusses so bekannt hätten, wie wir immer zu jeder Entscheidung gestanden haben, dann stände es um Ihre Partei besser, als es heute der Fall ist. ({31}) Sie sind doch abgewichen, und Sie werden das immer wieder spüren. ({32}) - Das war ein Faktum. Meine Damen und Herren, weil wir den Frieden wollen, vernachlässigen wir unsere Sicherheit nicht, kämpfen aber unermüdlich für weitere Abrüstungsvereinbarungen. Wir sehen darin eine politische Hauptaufgabe für die nächsten Jahre. Denn nur durch die Sicherung des Friedens ist es möglich innenpolitisch Entscheidungen zu treffen, die auf Dauer wirken. Wir sind aber nicht so naiv, an diese Entscheidungen unter dem Gesichtspunkt der augenblicklichen Schlagzeile heranzugehen, sondern unter dem der Seriosität und der Kontinuität. ({33}) Dies wird auch in Zukunft unser Handeln bestimmen. ({34})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Beer.

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Freundinnen und Freunde! Der Alptraum der Hardthöhen-Generäle und Regierungspolitiker ist also Wirklichkeit geworden. Das Bedrohungsbild, die Lüge vom schrecklichen Russen, der bei erstbester Gelegenheit in unser Land mit seinen Panzern einrolle, von denen er so viel mehr habe, und das Bild von der Sowjetunion, die deshalb ungleich mehr an Waffen, Panzern und Raketen habe und auch ungleich mehr aufrüste als die NATO; diese Bedrohungslüge wird von der Bevölkerung unseres Landes nicht mehr geglaubt. Sie mußte jahrelang dafür herhalten, daß ein immenses Aufrüstungsprogramm der NATO vollzogen werden konnte. Die Sowjetunion hat trotz der Verhinderungstaktik auf westlicher Seite konsequente Abrüstungsvorschläge wie Null oder Doppel-Null formuliert und aufrechterhalten sowie durch einseitige Verzichtleistungen - ich erinnere hier nur an den einseitigen Atomteststopp der Sowjetunion - Vertrauen auch in der westlichen Bevölkerung erzeugt und verdient. Es wird klar: Feindbildideologie und Abschreckungsideologie funktionieren nicht mehr. Weitere offene Aufrüstung würde auf den Widerstand der Bevölkerung stoßen, wenn sie nicht mit scheinbaren Abrüstungsvorschlägen und Abrüstungsbereitschaft garniert werden würde. Sie praktizieren Aufrüstung - darauf komme ich später noch zurück - und sind gezwungen, den Eindruck zu vermitteln, als wollten Sie abrüsten. Das Verhalten der Bundesregierung im Rahmen der ganzen Abrüstungsdebatte der letzten Monate bestand darin, einerseits mit immer neuen Vorwänden die Abrüstung zu blockieren und dann, wenn der Druck der USA auf die Regierung zu groß wurde und keine andere Wahl mehr ließ, klein beizugeben und dies in einer gigantischen Pseudoinszenierung als Abrüstungswille zu verkaufen. Sie müssen diese perfekte Darbietung nach außen vermitteln, müssen so tun, als wären Sie jetzt derjenige, der ein Abrüstungsabkommen möglich macht. Zu einem Zeitpunkt, wo nicht nur die Friedensbewegung, sondern auch die Mehrheit der Bevölkerung Abrüstung will und das auch klar und deutlich von den Regierungen verlangt, können Sie nicht allein der Sowjetunion dieses Abrüstungsimage überlassen. Immerhin hat „Der Spiegel" in dieser Woche in seiner Sympathieumfrage bei einem Vergleich von Gorbatschow und fünf anderen Politikern festgestellt, daß er weit an der Spitze steht. ({0}) Alle Welt redet von Abrüstung und ich von Aufrüstung. Warum? Weil wir den Tatsachen ins Gesicht sehen müssen. Das näher rückende Abrüstungsabkommen, welches nicht Verdienst der harten Politik der NATO und ihrer Zustimmung zum sogenannten Nachrüstungsbeschluß ist, sondern Erfolg des neuen Denkens in der Sowjetunion und des beständigen Kampfes der Friedensbewegung für den sofortigen Abzug dieser atomaren Tötungspotentiale, wird gefährdet dadurch, daß in Wirklichkeit weiter aufgerüstet wird. Daß kräftig weiter aufgerüstet wird, ist keine Unterstellung. In den nachfolgenden Beispielen beziehe ich mich größtenteils schon heute auf Angaben in dem noch zu besprechenden vorliegenden Haushaltsentwurf. Er sieht Gelder vor für die FOFA-Konzeption der NATO, die den an der offensiven US-Doktrin Air Land Battle angelehnten Tiefschlag ins gegnerische Hinterland möglich machen soll. Sie stellen Gelder bereit für neue Munitionsbehälter für den Tornado, für das MARS-Raketenwerfersystem, Mittel für die Forschung, Entwicklung und zum Teil schon Produktion von Abstandswaffen. Mit den Geldern für die Beschaffung der PatriotRakete findet der stillschweigende Einstieg der Bundesrepublik in die taktische Raketenabwehr statt, natürlich ausbaufähig. Dieser Rüstungshaushalt verfolgt genauso auch das sogenannte Jagdflugzeug 90 weiter, ein würdiger Nachfolger für den Tornado, zumin1444 dest was die sinnlose Verschwendung immer größerer finanzieller Ressourcen betrifft. ({1}) Nicht Abrüstungswille, nicht einmal Signale des Willens zur Kontrolle der Aufrüstung kennzeichnen diesen Rüstungshaushalt, Herr Kohl, sondern der ungebrochene Wille zur militärischen Stärke. „Frieden schaffen mit immer weniger Waffen" ist das, was Sie sagen, Kriegsführungsfähigkeit schaffen mit immer mehr Waffen ist das, was Sie tun. ({2}) Wie weit wir von einer wirklichen Friedens- und Abrüstungspolitik entfernt sind, zeigt sich auch in der folgenden Kurzbeschreibung der diesjährigen Manövertätigkeit. Da hat vorige Woche das sechswöchige Manöver Reforger 87/Certain Strike begonnen, an dem über 80 000 Soldaten aus mehreren Ländern teilnehmen. Spiel ohne bzw. um Grenzen? Bei diesem größten Manöver überhaupt in unserem Land sollen zum erstenmal alle Möglichkeiten von Truppentransporten unter voller Nutzung der zivilen Infrastruktur geprobt werden. Der Manöverteil Certain Strike enthält eine Reihe von offensiven, auf die Air-Land-Battle-Strategie ausgerichteten Elementen. Das 3. US-Corps soll im ganzen Übungsverlauf eine auf „Angriff ins Hinterland" gerichtete offensive Rolle spielen. Beim Manöver Accord Express übt die Allied Mobile Force, die schnelle Eingreiftruppe der NATO, mit 50 000 Mann in Dänemark die rasche Verlegung von Einheiten an die „Nordflanke". ({3}) Insgesamt sind bei diesen Manövern eine halbe Million Soldaten im Gelände. Besonders möchte ich neben den oben aufgeführten Manövern auf das deutsch-französische Manöver „Kecker Spatz " mit 80 000 Soldaten in Süddeutschland aufmerksam machen, das seine Bedeutung neben seiner Größe vor allem durch seine euromilitärische Stoßrichtung erlangt: die aktuell wieder aufgeflammte, halb offizielle Diskussion über eine französisch-deutsche Arbeitsteilung bei Nuklearwaffen, die Planungen für eine gemeinsame deutsch-französische Brigade und die für den 27. Oktober 1987 in Den Haag geplanten Wiederbelebungsversuche der längst totgesagten WEU usw. Diese Kriegsübungen, dieser Schlachtenlärm sind die Begleitmusik zu dem Regierungstheater, Herr Kohl, das Sie in der Frage der Pershing-Raketen hier aufführen. ({4}) Da hilft das Trommelfeuer aus Bayern, in der Öffentlichkeit das gewünschte Bild aufzubauen: ({5}) gute Bundesregierung - böse Bayern, Genscher gegen Strauß. Bei dem Bild, das Sie zu vermitteln versuchen, Friedens- und Abrüstungswillen bei der FDP, CDU und SPD, müßten Sie sich, wenn es denn stimmen würde, schon die Frage gefallen lassen, warum Sie nicht danach handeln. Nichts wäre einfacher, als hier und heute eine Abstimmung durchzuführen, und den Stationierungsbeschluß wieder aufzuheben. Wer abrüsten will, kann das auch tun. Was Sie uns aber vorführen, ist ein Spiel mit verteilten Rollen. Herrn Genschers Vorschlag in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vorn 31. August, in diesem Prozeß scheinbarer Abrüstung zu einem neuen Konsens zwischen Teilen der CSU, CDU, Genscher und der SPD unter Ausschluß der GRÜNEN zu kommen, ist ein Altparteienkompromiß, den wir selbstverständlich auch ablehnen würden. Anläßlich unserer Bundestagsdebatte über die doppelte Null-Lösung am 4. Juni hatte ich Sie, Herr Genscher, aufgefordert, den Verzicht auf die Pershing I a auszusprechen. Die Antwort darauf liegt uns heute in Form einer Erklärung von Herrn Kohl vor: Er vertritt noch immer den Standpunkt, die Pershing I a sei nicht Verhandlungsgegenstand in Genf; eine Modernisierung werde nur dann unterlassen werden, wenn alle Atomraketen zwischen 500 und 5 000 Kilometer Reichweite abgeschafft worden seien. Alle die, die diese Erklärung unterstützen, auch Sie, meine Damen und Herren, haben in diesem Moment ihre Beharrlichkeit hinsichtlich des Hinweises auf das Drittstaatensystem aufgegeben und stellen sich hier in einen Konsens mit den Regierungsparteien. Nicht die Koalition hat sich bewegt, sondern Sie, die SPD, haben sich nach rechts bewegt, indem Sie darauf verzichten. ({6}) Genau die Frage, wem diese Sprengköpfe gehören, eine Frage, die der Leiter der Abrüstungsabteilung des sowjetischen Außenministeriums, Karpow, jetzt erneut in TASS aufgeworfen hat, ist nicht irgendeine, sondern trifft exakt den neuralgischen Punkt bundesdeutscher Rüstungs- und Außenpolitik. Für die Bundesregierung wäre die Anerkennung, über Drittstaatensysteme zu verfügen, ein spektakulärer diplomatischer und innenpolitischer Durchbruch auf dem Weg zum Mitbesitz und Alleinbesitz von Atomwaffen. ({7}) Um dies klarzustellen, haben wir den Antrag gestellt, den Verzicht, den wir fordern, in das Grundgesetz aufzunehmen. Ein solcher Schritt hätte auch Auswirkungen auf die Ängste in Ost und West vor dem Trauma einer deutschen Atombombe, vor dem auch Kissinger im April dieses Jahres bereits gewarnt hat; auch das wissen Sie sehr wohl, Herr Kohl. Zum Schluß möchte ich die Friedensbewegung auffordern und ermutigen, weiterzumachen, gerade in dieser Situation das Abrüstungsabkommen, das wir wollen, zwar auch zu fördern, aber deutlich zu machen, daß damit noch längst nicht alle Waffen, auch nicht die seegestützten oder luftgestützten atomaren Waffen, verschwunden sind. Ich mache darauf aufmerksam, was hier geplant wird: Bei der NATO-Ministerratstagung in Stavanger am 15. Mai verständigten sich die NATO-Verteidigungsminister darauf, mit anderen atomaren Waffen „nachzurüsten". Es soll also nicht nur die konventionelle Rüstung verstärkt werden. Hier könnten Sie CDU/CSU und FDP, doch anfangen, machen Sie doch einseitige Vorleistungen! ({8}) Sie sehen ja, wie es funktioniert.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Frau Abgeordnete, die für Sie gemeldete Redezeit ist abgelaufen.

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bin gleich fertig, ich komme zum Schluß. - Wir werden deutlich machen, daß dieser Beschluß, atomare Mittelstreckenraketen, die abgebaut werden sollen, in anderen Bereichen zu kompensieren, uns nicht zu dem Frieden führt, den wir wollen. Wir wollen keinen Frieden mit Waffen, sondern ohne Waffen. Der einseitige Verzicht auf Pershing I a in diesem Moment ist das einzige, was das Vertrauen in Sie, das Sie verspielt haben, wiederherstellen kann. ({0})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Biehle.

Alfred Biehle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000176, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Sondersitzung erweist sich, wie ich meine, immer mehr als ein Eigentor der SPD. ({0}) Die Vorwürfe, die die SPD gegen diese Bundesregierung erhebt, wenden sich immer mehr gegen sie selbst. ({1}) Der Fraktionsvorsitzende Dr. Vogel mag zwar gelegentlich bibelfest sein, aber ich meine, er ist heute und hier der falsche Rufer in der Wüste. ({2}) Er vergißt einfach, daß nicht die NATO und der Warschauer Pakt miteinander verhandeln und daß nicht die Bundesregierung verhandelt, sondern die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten. Und wenn er glaubt, feststellen zu müssen, daß die CSU zur Mehrheit nicht mehr gebraucht wird, kann ich nur sagen: Sie sind ein Spaßvogel. ({3}) Mit dem, was Herr Dr. Scheer gesagt hat, werden wir uns sicher auch in den Ausschüssen auseinanderzusetzen haben. Aber wenn er meint, er müsse die Formulierung „flexible response" unseres Landes-gruppenvorsitzenden Dr. Waigel in der „Welt" kritisch anführen, dann finde ich, es ist besser, verständliche militärische Begriffe einer Friedensstrategie zu verwenden, als östliche Vokabeln zu übernehmen. ({4}) Jedenfalls bin ich der Auffassung, daß wir hier und heute auch der Bildung falscher Legenden, wie sie von der SPD versucht wird, entgegentreten müssen. Wir von der CSU haben mit der CDU und der FDP die - übrigens vom SPD-Kanzler Schmidt eingeleitete - Nachrüstung als entscheidenden Bestandteil der Sicherheitspolitik des Bündnisses mit verantwortet und mit getragen - mit allen Konsequenzen. Und diese Nachrüstung war letzten Endes doch auch der Schlüssel zu der vom westlichen Bündnis angestrebten Verhandlungsbereitschaft der Sowjetunion in Abrüstungsfragen. Ist es nicht gerade unsere Pflicht als demokratisch gewählte Vertreter des Volkes, Schwachstellen, Lücken und Gefahren aufzuzeigen und darauf aufmerksam zu machen? Deshalb warnen wir ja auch vor Weichenstellungen, die die NATO in Zonen unterschiedlicher Sicherheit spalten könnten, ({5}) nämlich eine Bundesrepublik ohne Sicherheit, weil nukleare Kurzstreckenraketen nur die Bundesrepublik treffen, oder die europäischen Partnerländer mit verminderter Sicherheit, und schließlich eine totale Sicherheit nur für die Großmächte - die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten - , weil weiter nukleare strategische Abschreckung unter diesen beiden Mächten und keine Gefahr konventioneller Angriffe bestehen. Wenn nun von den 100 Prozent Nuklearwaffen 3 Prozent wegverhandelt werden, ist das sicher begrüßenswert und ein erfreulicher Auftakt. Übrigens, die „Süddeutsche Zeitung" vom 26. August 1987 spricht von einem Pershing-Anteil von 0,0014 Prozent. Es bleiben aber immer noch 97 Prozent mit allen Risiken einer Bedrohung vorhanden. Und die über 1 400 sowjetischen Kurzstreckenraketen erreichen weiterhin fast ausschließlich die Bundesrepublik, aber nicht die europäischen Partnerländer. Insofern ist verständlich, daß von den europäischen Partnern spontane Zustimmung kam. Der angekündigte Verzicht auf die Pershing I a ist für uns eine weitere Vorleistung der Bundesrepublik Deutschland. Sie sollten nach unserer Auffassung ein Faustpfand für weitere Verhandlungen sein. ({6}) Trotz allem gibt es nicht den geringsten Anlaß, die Abrüstungsbereitschaft der CDU und der CSU in Zweifel zu ziehen. ({7}) Wir beide haben nie den Standpunkt vertreten, daß die Pershing I a aus allen künftigen Abrüstungsverhandlungen ausgeklammert werden sollten. ({8}) Wir haben aber in diesem Waffensystem immer ein Instrument gesehen, um die Sowjetunion dazu zu bewegen, ihre erdrückende Überlegenheit im konventionellen Bereich und im Bereich der Kurzstrecken1446 waffen abzubauen. Davon ist in den Anträgen, die Sie heute vorgelegt haben, nichts zu spüren. ({9}) An dieser vernünftigen Position halten wir fest. Nichts anderes ist das, was Bayerns Ministerpräsident und die CSU in der Vergangenheit festgestellt haben. Dies gilt für uns unverändert auch heute. ({10}) Der Modernisierungsverzicht gilt als ein erneutes Signal an die Sowjetunion, endlich ihrerseits damit zu beginnen, ihre Überrüstung drastisch zu reduzieren. Von ihr erwarten wir zu Recht Taten, nicht nur Worte, und eine rasche und positive Reaktion. Aber in der heutigen Debatte geht es, meine ich, im Kern aber um mehr als nur die Pershing I a. Diese 72 Raketen allein würden keine Sondersitzung des Deutschen Bundestages rechtfertigen. Es geht um die Abrüstungspolitik insgesamt und um den Versuch der SPD, diese erfolgreiche Abrüstungs- und Friedenspolitik der Bundesregierung einfach in Mißkredit zu bringen. Diese Pershing-Raketen waren nie Gegenstand der mehr als sechsjährigen Genfer Verhandlungen. Sie sind es bis heute nicht, und sie können es auch in Zukunft nicht sein. Sie werden auch keinen Vertragsabschluß behindern. Selbst aus der Sowjetunion kamen ja die Stimmen, die klargestellt haben, daß Genf nicht an der Pershing I a scheitern würde. Die „Süddeutsche Zeitung" schrieb dazu in einem Kommentar: Es gilt also, nicht russischer sein zu wollen als die Russen selbst. Und als Schlußfolgerung hieß es: kein Vetorecht der Sowjets über westliche Verteidigungsinstitutionen. Das war doch wohl an die Adresse der SPD gerichtet und nicht an die Union. Aber es paßte natürlich nicht in das Ideologiekonzept der SPD, weil es dort keine realistische Bedrohungsanalyse gibt, nur noch Wunschdenken, und dies ist tödlich für uns alle. ({11}) Die SPD sollte sich nicht ausgerechnet jene als Verbündete aussuchen, die dafür verantwortlich sind, daß Millionen unserer deutschen Landsleute Freiheit und Selbstbestimmung versagt bleiben. Einen Konsens mit der SPD in der Außen- und Sicherheitspolitik, wie es auch Kollege Ehmke immer wieder vorträgt und anbietet, kann es aber nur geben, wenn Sie bereit sind, die natürlichen deutschen Interessen wieder realitätsbezogen wahrzunehmen. Zu diesen natürlichen deutschen Interessen gehört es jedenfalls nicht, Vermittlerdienste für sowjetische und östliche Interessen in Bonn zu leisten. ({12}) Diese SPD - das hat sich heute gezeigt - hat kein überzeugendes Abrüstungskonzept. Es ist nur ein wirres opportunistisches Sammelsurium, das sie hier vorträgt. ({13}) Auch die Beharrlichkeit, mit der die SPD an der heutigen Sondersitzung festgehalten hat, ändert nichts daran, daß sie die Partei der abrüstungspolitischen Irrtümer ist. Dazu ist genügend gesagt worden. Die „Welt" hat am 11. August geschrieben: „Die SPD ist vor allem eine Neinsagerpartei. " Das spricht Bände. Mit SPD-Konzepten und -Empfehlungen stünde diese Bundesregierung Kohl in den Abrüstungsverhandlungen nicht so erfolgreich da, wie es heute der Fall ist. Ich will es an einigen Beispielen aufzeigen: Zu den Verhandlungen über Mittelstreckenwaffen hat die SPD 1983 den Verzicht auf die Stationierung von Pershing II und Marschflugkörpern ohne sowjetische Gegenleistungen empfohlen. ({14}) Wir waren es jedenfalls, die durch diesen Stationierungsbeschluß dazu beigetragen haben, daß jetzt ein weltweiter Abbau aller SS-20 erfolgt. Bei den Verhandlungen über chemische Waffen empfiehlt die SPD die Einrichtung einer chemiewaffenfreien Zone in Europa - wenige hundert Kilometer in Mitteleuropa. Ein solcher Korridor kann und wird unsere Sicherheit nicht erhöhen. ({15}) Deswegen bestehen wir auf einer weltweiten Abrüstung und auf dem Verbot aller chemischen Waffen. ({16}) Die feste Haltung der Bundesregierung und ihrer Verbündeten hat auch seit wenigen Wochen dazu beigetragen, daß die Sowjetunion hier einen Sinneswandel zeigt. Ein Abkommen über das umfassende und weltweite Verbot chemischer Waffen ist jetzt auch in greifbare Nähe gerückt. Bei den konventionellen Waffen schließlich empfiehlt die SPD - ich denke dabei nur an das BülowPapier - die Reduzierung der Bundeswehr auf 300 000 Mann. Wir halten an dem vorgegebenen Streitkräfteumfang fest und fordern die Sowjetunion auf, Verhandlungen über die Reduzierung der konventionellen Überlegenheit einzuleiten, damit das Ziel einer Gleichgewichtigkeit auf einem möglichst niedrigen Niveau erreicht wird. Am 18. April 1986 willigte im übrigen Generalsekretär Gorbatschow in Ostberlin ein und bot Verhandlungen über die Reduzierung aller konventionellen Waffen vom Atlantik bis zum Ural an. Diese Realisierung wäre in der Tat ein großer Durchbruch. Nun kommt ausgerechnet vom SPD-Kollegen Glotz ein grober Keil, wie ich aus der „FAZ" vom 31. August entnehmen muß. Ich zitiere die Überschrift: „Glotz will die Präsenz der Amerikaner verringert wissen" . Das ist doch erneut ein falsches Signal an die östliche Seite, an die Sowjetunion. Das heißt doch: Wartet ab mit der konventionellen Abrüstung, wir werden selbst dafür sorgen, daß die Amerikaner aus der Bundesrepublik und aus Europa verschwinden. ({17}) Was hat denn die Sowjetunion in den vergangenen fünf Jahren im Gleichklang mit der SPD an Vorleistungen gefordert? Verzicht auf SDI, Anrechnung der französischen und britischen nuklearen Systeme, Verbleib von je 100 Raketen im asiatischen Teil und in Alaska. All diese Vorbedingungen sind durch unsere Standhaftigkeit wieder aufgegeben worden, und ausgerechnet an den 72 Pershings - 0,0014 % Anteil - sollen nach Ihrer Auffassung - damit stehen Sie ganz allein - diese Verhandlungen scheitern. Im übrigen, meine ich, bereitet es uns Sorge, daß in der Öffentlichkeit immer wieder häufiger militärische Abrüstung grenzenlos mit den Begriffen Frieden und Sicherheit gleichgesetzt wird. Man vergißt dabei, daß z. B. auch der politische Wille und die Menschenrechte dazu gehören. Überleben allein genügt nicht, um die Freiheit zu haben und zu garantieren. Dies wäre gleichzusetzen mit dem Motto: lieber rot als tot. ({18}) Abrüstung allein, so wie sie von manchen im Westen verstanden wird, führt keineswegs automatisch zu mehr Sicherheit und mehr Frieden. ({19}) Dieser Vertrag über die doppelte Null-Lösung bei Mittelstreckenwaffen, der hoffentlich in wenigen Wochen unterzeichnet wird, verdient Unterstützung, weil er den Einstieg zu - hoffentlich - weiteren Abkommen bei den strategischen Waffen, wobei man auch die chemischen und konventionellen Waffen nicht vergessen darf, ermöglichen soll. Lassen Sie mich dennoch sagen: Der Abrüstungsbeginn bei Kurzstreckenraketen wäre sinnvoller gewesen; denn sie treffen unser Land und verändern unsere Sicherheit. Dieser INF-Vertrag soll Vertrauen schaffen, um weitergehende Einschnitte in die nuklearen Waffenarsenale der Supermächte zu ermöglichen. Die nukleare Bedrohung der Bundesrepublik ändert sich aber durch die doppelte Null-Lösung leider nicht, denn die Sowjetunion ist -

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Fuchs?

Alfred Biehle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000176, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. Ich lasse keine zu. Meine Zeit läuft davon. Denn die Sowjetunion ist längst dabei, die strategisch wichtigen Ziele, die bisher durch die SS 20 abgedeckt waren, durch neue SS 25-Raketen weiter zu bedrohen. Von der mobilen sowjetischen SS 25, die eine variable Reichweite bis 10 000 km hat, sind bereits über 100 Stück einsatzbereit. Wo bleibt denn hier die SPD als Ankläger in ihrem Antrag? Die sowjetische SS 24, die ebenfalls Ziele in Westeuropa erreichen kann und sogar bis zu 10 Nukleargefechtsköpfe hat, befindet sich in der Einführungsphase. Wo bleibt hier die SPD als Ankläger? ({0}) Wenn die doppelte Null-Lösung verwirklicht ist und die Pershing I a ausläuft, dann stehen im Kurzstreckenbereich den 88 Lance-Raketen der NATO 1 400 Systeme des Warschauer Paktes gegenüber. Wo bleibt hier die SPD als Ankläger? ({1}) Dies sind weitere Beispiele, an denen die SPD die nationalen und bündnispolitischen Interessen vertreten könnte. ({2}) Niemand, der den Frieden in Freiheit will, wird den Zustand nuklearer und konventioneller sowjetischer Überlegenheit auf Dauer hinnehmen können. Wir müssen solidarisch im Bündnis daran arbeiten, meine ich, daß die sowjetische Überlegenheit in allen Bereichen abgebaut wird. Was in den bisherigen Verhandlungen erreicht worden ist, mag ein erster Erfolg sein, mag hoffen lassen, aber wir dürfen uns damit keinesfalls zufrieden geben. Die doppelte Null-Lösung kann nur ein Anfang sein, nur ein erster Schritt in eine Welt mit weniger Waffen, und dies nicht nur nuklear, sondern auch konventionell und bei den C-Waffen. ({3}) Das müssen wir künftig auch stärker unseren Mitbürgern verdeutlichen, damit sie klar sehen, worauf es bei dieser Sicherheitspolitik ankommt. Die Bundesregierung und ihre Verbündeten haben bisher in der nuklearen Abrüstung weitreichende Schritte unternommen. In den 80er Jahren wurden alleine 2 400 nukleare Waffensysteme einseitig als Vorleistung abgebaut, ohne sowjetische Gegenleistungen. Ganze Waffensysteme, wie etwa das Luftverteidigungssystem NIKE, wurden entnuklearisiert. Auf die sowjetische Gegenleistung dazu warten wir bis heute. Wenn es die Sowjetunion ernst meint mit ihren Abrüstungsvorschlägen, könnte sie ohne Gefährdung ihrer Verhandlungsposition radikale Einschnitte in ihr Nuklearpotential vornehmen. Das läge auch im deutschen und europäischen Interesse. Nur so wird der Frieden sicherer, nur so würde auch künftig die Freiheit gefestigt. Es wäre gut, wenn die Bundesregierung dazu auch die Unterstützung der SPD hätte. Das Nein-Sagen allein genügt nicht. ({4})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Ich erteile dem Herrn Bundesminister des Auswärtigen das Wort. ({0})

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! West und Ost haben die Chance, zum erstenmal einen wichtigen Schritt zu atomarer Abrüstung zu tun. Die Bundesrepublik Deutschland trägt durch ihre Friedenspolitik dazu bei, daß diese Chance ergriffen werden kann. Das verlangt eine kooperative Politik zwischen West und Ost in allen Bereichen, und es macht notwendig, daß wir die Ergebnisse dieser Politik durch vertragliche, nachprüfbare Vereinbarungen unumkehrbar machen. Diese Einsicht beginnt sich in West und Ost durchzusetzen. Das amerikanisch-sowjetische Gipfeltreffen in Reykjavik war in seinen Ergebnissen schon Ausdruck dieses neuen Denkens. Im West-Ost-Verhältnis wollen heute beide Seiten eine dauerhafte Verbesserung. Sie streben kooperative Lösungen auch für die Sicherheitspolitik an. Im deutschen und im europäischen Interesse ist es, die Chancen zu nutzen, die in dieser Entwicklung liegen. Nur so und nicht durch einen neuen Rüstungswettlauf können wir die Risiken, die für die Stabilität unverändert fortbestehen, vermindern. Wir müssen uns immer bewußt sein, daß sich auf deutschem Boden die Grundprobleme bündeln, die Europa heute belasten. Die Grenze durch Europa ist die Grenze durch Deutschland. Hier bei uns stehen sich zwei unterschiedliche Wertsysteme und zwei Paktsysteme hochgerüstet unmittelbar gegenüber. Hier bei uns ist die Konzentration atomarer und konventioneller Waffen und Streitkräfte in West und Ost am stärksten. Hier im Zentrum Europas sind die Gefahren für die natürlichen Lebensgrundlagen durch dichte Besiedlung, durch Hochindustrialisierung und durch die geographische Lage am größten. Das ist die schicksalhafte Lage, in der wir Deutschen leben, in der wir Politik zu machen haben. Hier hat die europäische Friedens- und Überlebensverantwortung der Deutschen ihre Wurzeln. Es ist notwendig, den Besuch des Staatsratsvorsitzenden der DDR auch in dieser europäischen Perspektive zu sehen. ({0}) Wir Deutschen haben das größte Interesse an einer grundlegenden und stetigen Verbesserung der WestOst-Beziehungen und am Abbau der militärischen Konfrontation. Dafür werden wir auch in Zukunft unseren politischen Handlungsraum verantwortungsbewußt einsetzen. Dieses deutsche Handeln ist eingebettet in die im Harmel-Bericht des Bündnisses vorgezeichnete Politik. Sie verlangt einerseits gesicherte Verteidigungsfähigkeit. Wer die eigene Verteidigungsfähigkeit schwächt, mindert die Aussichten für Abrüstung. ({1}) Sie baut andererseits auf der Erkenntnis auf, daß autonome Verteidigungsanstrengungen allein nicht mehr ausreichen, um dauerhaft und verläßlich Frieden zu sichern. Rüstungskontrolle und Abrüstung sind deshalb integrale Bestandteile unserer Sicherheitspolitik. Es bleibt das unverrückbare Ziel unseres Bündnisses, jede Art von Krieg zu verhindern, einen atomaren ebenso wie einen konventionellen. Das verlangt, bei Beurteilung jedes Abrüstungsschrittes ausschließlich in Kriegsverhinderungs- und nicht in Kriegsführungsszenarien zu denken. ({2}) Europäische Friedenspolitik im Nuklearzeitalter bedarf der umfassenden Zusammenarbeit zwischen West und Ost. Sie bedarf des friedlichen Interessenausgleichs als Ergebnis intensiven und kontinuierlichen Dialogs. Das gegenseitige Aufrechnen von militärischen Potentialen führt auf den Irrweg des Wettrüstens, wenn nicht ein umfassendes politisches und sicherheitspolitisches Konzept den Weg von der Konfrontation zur Kooperation weist. Die Bundesregierung und das westliche Bündnis stützen sich bei ihrer Politik auf ein im Bündnis erarbeitetes kohärentes rüstungskontrollpolitisches Gesamtkonzept, dessen Ziel ein stabiles Kräfteverhältnis auf möglichst niedrigem Niveau der Streitkräfte und Rüstungen ist und das ein möglichst hohes Niveau für Transparenz für Vertrauen will. Unsere beharrliche, konsequent verfolgte und gegen schärfste und größte innerpolitische Widerstände - ich weiß, wovon ich dabei rede - durchgesetzte Sicherheitspolitik hat dazu beigetragen, daß ein Abkommen über die weltweite Beseitigung aller amerikanischen und sowjetischen Mittelstreckenflugkörper mit einer Reichweite von mehr als 500 Kilometern greifbar nahe ist. Hier hat die Bundesrepublik, hier hat die Regierungskoalition eine entscheidende Voraussetzung für aussichtsreiche Abrüstungsverhandlungen geschaffen. ({3}) Es geht um ein historisches Abkommen, durch das Waffenarsenale einer bestimmten Art und Reichweite erstmals nicht mehr auf einem hohen Niveau begrenzt, sondern gänzlich beseitigt werden. Das ist der Weg von der Rüstungsbegrenzung zu wirklicher Abrüstung! Es liegt auf der Hand, daß niemand von einem Abkommen über die doppelte Null-Lösung politisch und sicherheitspolitisch mehr gewinnt als wir Deutschen. Die auf uns gerichtete Bedrohung wird spürbar vermindert. Ein Abkommen würde zur Vernichtung von etwa 700 sowjetischen Mittelstreckensystemen mit mehr als 1 500 atomaren Gefechtsköpfen führen. 1 500 atomare Gefechtsköpfe! Jeder dieser heute noch auf uns gerichteten Sprengköpfe hat die vielfache Vernichtungskraft der Atombombe von Hiroshima; die mehrfachen Nachladebestände sind dabei nicht einmal mitgerechnet. Auf westlicher Seite sind 316 Pershing II und Marschflugkörper zu vernichten, die 316 atomare Gefechtsköpfe tragen. Die Entscheidung der Bundesregierung für die doppelte Null-Lösung am 4. Juni 1987 war ein Akt von großer politischer Weitsicht. Die Erklärung des Bundeskanzlers vom 26. August 1987 zur Pershing I a liegt in der Logik und in der Konsequenz des Beschlusses des Deutschen Bundestages und der Regierungserklärung vom 4. Juni 1987. Sie ist von unseren Verbündeten mit Zustimmung aufgenommen worden. Diese Erklärung hat hohen politischen Rang. Sie hat Verbindlichkeit für die Bundesrepublik Deutschland. Das gilt auch für die Voraussetzungen, die in dieser Erklärung genannt worden sind. Die Sowjetunion sollte diese Erklärung in ihrer ganzen Tragweite und in ihrer Ernsthaftigkeit richtig einschätzen. Die Sowjetunion und ihre Verbündeten sollten aber auch die dabei genannten Erwartungen ernst und zum Anlaß einseitiger positiver Schritte nehmen. Wir empfinden die sowjetischen Raketen kurzer Reichweite als eine spezifische Bedrohung für uns. ({4}) Wir verkennen dabei nicht, daß die Sowjetunion mit der Zustimmung zu der vom Westen geforderten weltweiten Geltung der doppelten Null-Lösung einen wichtigen konstruktiven Schritt getan hat. Es hat sich auch hier ausgezahlt, daß die Bundesregierung beharrlich darum geworben hat, daß sich die Sowjetunion zu diesem Schritt entschließt. Die von der Bundesregierung mit der Erklärung vom 26. August 1987 einseitig gezogene Konsequenz ist keine beliebige - sie ist eine unausweichliche. Sie geht davon aus, daß ein Bestehen auf der Modernisierung dieser Raketen für den Fall des Abschlusses eines Mittelstreckenabkommens eben dieses Abkommen selbst unmöglich machen würde. Die Bundesregierung beweist damit ihren Willen, alles in ihren Kräften Stehende zu tun, um den Abschluß dieses Abkommens zu fördern. Sie drückt zugleich Kontinuität und Berechenbarkeit unserer Außen- und Sicherheitspolitik aus. Es ist selbstverständlich, daß nach Beseitigung der 72 deutschen Pershing I a die dazugehörigen Sprengköpfe von den Vereinigten Staaten, wie von diesen zum Ausdruck gebracht, abgezogen werden. ({5}) Die Bundesregierung leistet mit ihrer Politik in einer entscheidenden Phase der Verhandlungen erneut einen Beitrag zum baldigen Abschluß eines Abkommens über die weltweite Beseitigung der nuklearen Mittelstreckenflugkörper. Mit der Entscheidung für die Nachrüstung haben wir den Weg für die weltweite Beseitigung der Mittelstreckenraketen geöffnet; mit unseren nachfolgenden Entscheidungen haben wir diesen Weg weiter geebnet. Meine verehrten Kollegen von der SPD, auf den letzten Schritten begleiten Sie uns; bei dem ersten, dem schwierigen Schritt haben Sie uns im Stich gelassen. ({6}) Wir sind überzeugt, daß nunmehr die letzte Strecke zum Ziel rasch zurückgelegt werden kann. Nur weil wir seit 1979 konsequent an dem für richtig erachteten Kurs festgehalten haben, können wir heute zuversichtlich sein. Wir haben uns nicht von denen beirren lassen, die früher zwar für den Westen die Null-Lösung akzeptierten, der Sowjetunion aber einen Restbestand an SS 20 zubilligen wollten. Die noch offenen Fragen sollten zügig geregelt werden, damit eine INF-Vereinbarung noch in diesem Jahr bei einem Gipfeltreffen in den USA unterzeichnet werden kann. Das sich abzeichnende INF-Abkommen schafft mehr Sicherheit für alle Verbündeten, auch bei uns. Aber, meine Damen und Herren, ein INF-Abkommen umfaßt nur einen - wenn auch für uns wichtigen - Teilbereich der beiderseitigen Rüstungen. Die von ihm ausgehende Dynamik muß jetzt für andere Verhandlungen genutzt werden. Als ein Land, das keine Atommacht ist und das auch keine Atommacht sein oder werden will - wer etwas anderes behauptet, schadet unseren nationalen Interessen, meine Damen und Herren -, ({7}) appellieren wir an beide Großmächte, mit der Reduzierung der strategischen Potentiale auch in ihrem Wechselverhältnis mit den Defensivsystemen endlich ernst zu machen. Wir werden alles tun, damit die weltweite Ächtung der chemischen Waffen endlich beschlossen wird. Wir fordern auch mit Nachdruck Verhandlungen über das konventionelle Kräfteverhältnis in Europa. Durch Verhandlungen noch nicht erfaßt sind die atomaren Systeme kürzerer Reichweite, denen wir besonders ausgesetzt sind. Unsere Verbündeten werden deshalb verstehen, daß für uns die Aufnahme von Verhandlungen über die atomaren Systeme kürzerer Reichweite von zentraler Bedeutung ist. Wir halten es für wichtig, daß sich die NATO- Außenminister-Konferenz in Reykjavik am 11. und 12. Juni dieses Jahres prinzipiell für Folgeverhandlungen über bodengestützte amerikanische und sowjetische Flugkörpersysteme kürzerer Reichweite verständigt hat. Nach den Erklärungen des Warschauer Pakts und der Sowjetunion selbst dürfen wir erwarten, daß man sich solchen Verhandlungen nicht verschließen wird. Für uns Deutsche geht es darum, daß über diese Systeme - ich wiederhole es - , die heute noch nicht Gegenstand von Verhandlungen zwischen West und Ost sind, endlich verhandelt wird. ({8}) Meine Damen und Herren, auch wenn die doppelte Null-Lösung nur einen kleinen Teil der atomaren Potentiale erfaßt, so ist sie doch ein Einstieg in wirkliche Abrüstung. Das Abkommen über die doppelte NullLösung kann und wird beweisen, daß Abrüstung möglich ist. Ein solches Abkommen kann in der Folge nachweisen, daß Abrüstung wirksam nachprüfbar und dauerhaft sicherheits- und vertrauensbildend wirkt. Vertrauensbildung muß das zentrale Ziel der Politik in West und Ost sein. Nur so können wir erfolgreich den Weg zu einer europäischen Friedensordnung beschreiten. Die grundlegende Veränderung der weltpolitischen Landschaft, die sich abzeichnet, das neue Denken, das in Reykjavik sichtbar wurde, haben die Fortschritte bei der Abrüstung erleichtert. Es wäre deshalb ein schwerwiegender Irrtum, das West-OstVerhältnis auf die Abrüstung zu verkürzen. Die inneren Entwicklungen in der Sowjetunion und in den anderen Staaten des Warschauer Pakts sind eben nicht nur innenpolitische Vorgänge ohne außenpolitische Wirkung. Prozesse der Öffnung nach innen und außen stärken die Kooperationsfähigkeit. Sie können mit mehr Offenheit zu Elementen der Vertrauensbildung werden. Diese Entwicklung zu nutzen, ist Chance und Verantwortung der Deutschen. Die Bundesrepublik Deutschland tut das auf gesicherter Grundlage. Wir leisten bei der europäischen Einigung mit der schick1450 salhaften deutsch-französischen Partnerschaft Wesentliches zur Schaffung des Friedensfaktors Europäische Gemeinschaft. Wir tragen unter den europäischen Mitgliedern der NATO die Hauptbelastung der gemeinsamen Sicherheit. Wir haben mit unserer Vertragspolitik nach Osten und mit unserer aktiven Rolle im KSZE-Prozeß den Weg für eine schrittweise Verbesserung des West-Ost-Verhältnisses geebnet. Jetzt leisten wir einen bedeutenden Beitrag für den Erfolg der Abrüstungsverhandlungen. Von jeder dieser Bemühungen hat unser Land gewonnen; es hat gewonnen an Zukunftschancen, an Sicherheit, an Achtung bei den anderen Völkern und an Gewicht und an außenpolitischer Handlungsfähigkeit. Jedes einzelne dieser Elemente deutscher Außenpolitik ist europäische Friedenspolitik, die dem ganzen Europa und die allen Deutschen dient. Wir handeln heute in einer in unserer Geschichte seltenen Übereinstimmung mit unseren Nachbarn in West und Ost. Das ist ein kostbarer Gewinn, der Vertrauen schafft, und das ist die Grundlage für eine glückliche Zukunft der Deutschen in West und Ost. Selbstisolierung und Neutralismus, gleich welcher Prägung, würden das alles wieder aufs Spiel setzen. Wir dürfen nie außer acht lassen, was unveränderte Grundvoraussetzung jeder deutschen Außenpolitik ist: Wir leben im Herzen Europas. Was wir tun und was wir unterlassen, das bestimmt das Schicksal aller europäischen Völker stärker als das Handeln vieler unserer Nachbarn. Deshalb hat uns unsere Geschichte auch nie allein gehört, und deshalb sind wir so stark mit dem Schicksal des ganzen Europa verbunden. Die Gründerväter unseres Staates wußten, warum sie uns in unserer Verfassung eine historische Aufgabe gestellt haben, ({9}) als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden in der Welt zu dienen. Die Bundesregierung und ihre Politik dienen diesem Ziel. ({10})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat Herr Abgeordneter Bahr.

Prof. Egon Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000080, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Zustand dieser Regierung und dieser Koalition ist durch die heutige Debatte wirklich sehr offensichtlich geworden. ({0}) Was der Bundeskanzler zum Thema des Abzugs der Sprengköpfe und zum Besuch des Staatsratsvorsitzenden hätte sagen sollen, hat der Außenminister gesagt. Was der Kanzler gesagt hat, fand keinen Beifall der CSU. Was der Außenminister gesagt hat, fand keinen Beifall der CDU/CSU-Fraktion. ({1}) - Sie haben doch stillgehalten. ({2}) - Sie waren so still und haben die Hände gar nicht gerührt. Schade! ({3}) - Meine Damen und Herren, ich stelle fest: Sie können das alles korrigieren, wenn Sie am Ende dieser Debatte dem Wortlaut dessen zustimmen, was der Kanzler gesagt hat. ({4}) Der Bundeskanzler hat heute morgen begründet, warum es notwendig und richtig war, die bisherige Haltung der Bundesregierung zu ändern und die Pershing wegzubringen. ({5}) - Doch, das hat er. ({6}) - Herr Dregger hat kaum anderes begründet, als daß die doppelte Null-Lösung eigentlich falsch ist. ({7}) Jedenfalls ist völlig klar: Die Änderung in der Haltung der Bundesregierung besteht darin, daß nun auch der Kanzler erkannt hat: Null plus Null ergibt nicht 72. ({8}) Das ist die Umkehr oder die Umkehrung, wie es der Kollege Strauß formuliert hat. Übrigens, zu dieser Umkehr oder Umkehrung gibt es noch keinen Kabinettsbeschluß und keine Regierungserklärung. Aber das, was insofern nicht beschlossen worden ist, hat der Kollege Genscher schnell hinter dem Rücken von Regierung und Parlament in Genf international notifiziert, und das ist in Ordnung. ({9}) Aber, meine Damen und Herren, ein normales Vorgehen ist das nicht. Es ist natürlich die Flucht aus der Geschäftsordnung, wenn der Kanzler seinem Kabinett verschweigt, was als neue Regierungslinie von ihm zwei Stunden später verkündet wird. ({10}) Daß es diesmal in eine von uns gewünschte Richtung ging, ist eine Sache. Daß der Bundeskanzler das Kabinett und seinen Koalitionspartner brüskiert hat, ist eine Feststellung, mit der Franz Josef Strauß doch recht hat. ({11}) - Aber Entschuldigung, mit solchen Methoden kann man doch der Berechenbarkeit der Bundesrepublik und der Durchsichtigkeit von Entscheidungsprozessen keinen Dienst erweisen! ({12}) Der Bundeskanzler hat diesmal das Richtige falsch gemacht. ({13}) Die CSU sagt: Er hat das Falsche falsch gemacht. Daß er das Richtige richtig gemacht hat, glaubt wohl nur der Kanzler, aber er sagt es nicht. ({14}) Nur der Kollege Schäuble meint, der Kanzler habe gar nichts Neues gemacht, aber das sei eilig gewesen. ({15}) Daß hier durch die Erklärung des Kanzlers nichts Neues geschehen ist, kann man doch nur behaupten, wenn man Regenwetter als Sonnenschein bezeichnen will! Vor allem, meine Damen und Herren: Eine ordentliche Kabinettsentscheidung wird ja wohl noch nachgeliefert werden müssen. ({16}) Daß der Kanzler heute keine Regierungserklärung abgeben kann, ist nach der Zehn-Punkte-Erklärung der CSU offensichtlich; daß er sie nachliefern muß, ist unausweichlich, denn die Presseerklärung des Kanzlers läßt z. B. offen, ob er denn die Pershing I noch hierlassen will, wenn alle amerikanischen und sowjetischen Raketen vor 1991 verschwinden - was wir doch hoffen, nicht wahr? Das wäre doch zu wünschen! Der Kanzler wird dann nicht wie ein Fußkranker der Völkerwanderung hinterherhinken können, sondern wird nachbessern müssen. ({17}) Nun haben wir heute von allen Rednern der Regierungskoalition - denn das ist ja das Minimum, worin sie sich einig sind - wieder gehört, das alles sei der Erfolg ihrer konsequenten und geradlinigen Politik. ({18}) Wenn diese Koalition zur ersten Null-Lösung eingeschwenkt ist, zur doppelten Null-Lösung umgefallen ist, sich zur Einbeziehung der Pershing la korrigiert hat und dann noch von Erfolg ihrer Politik spricht, wünschen wir Ihnen noch viele solcher Erfolge! ({19}) - Bitte nicht so lange klatschen, es geht von der Zeit weg! Aber in einem Punkte müssen wir sehr klar werden, und vor allen Dingen Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, müssen sich sehr klar werden: Sie haben heute wieder argumentiert, die Möglichkeit eines ersten historischen Abkommens sei das Ergebnis des NATO-Doppelbeschlusses ({20}) und der dabei gezeigten Stärke dieser Regierung. ({21}) Wenn das stimmt, ({22}) stehen uns schlechte Zeiten bevor, nicht nur weil diese Regierung nicht stark, sondern schwach ist, sondern weil der NATO-Doppelbeschluß und die Nachrüstung gegenstandslos werden, wenn das historische Abkommen Null auf allen Seiten bringt. ({23}) Wie sollen wir denn nun in einem so schwachen Zustand, in den uns die Bundesregierung so erfolgreich gebracht hat, noch auf Sicherheit und Abrüstung hoffen? Die doppelte Null-Lösung führt - ich zitiere Punkt 6 der CSU-Erklärung - dazu, daß „im Bereich von 0 bis 500 km der Westen nur 88 Lance mit 120 km Reichweite, im Bereich von 120 bis 500 km nichts hat, während die Sowjetunion in diesen beiden Bereichen zusammen 1 300 Atomraketensysteme in der DDR und in der CSSR hat". Die Koalitionslogik müßte in dieser Lage dazu führen, eine Nachrüstung zu verlangen, damit wir mit Aussicht auf Erfolg die sowjetische Überlegenheit beseitigen können. ({24}) Die politische Wirklichkeit ist ganz anders. In der politischen Wirklichkeit zittert diese Koalition davor, daß die Sowjetunion eine dritte Null-Lösung vorschlägt. ({25}) Schon bei der zweiten Null-Lösung mußten wir doch nicht nachrüsten, um auf Null zu kommen. Die veränderte sowjetische Haltung war der entscheidende Faktor. ({26}) Breschnew war gefährlich, weil er Raketen aufstellte; so haben wir es gehört. Gorbatschow ist offenbar noch gefährlicher, weil er sie wieder wegnehmen will. ({27}) Meine Damen und Herren, nicht die Stärke zahlt sich aus, sondern die Idee der gemeinsamen Sicherheit! ({28}) Nach der doppelten Null-Lösung unter Einschluß der Pershing I a bleibt der Koalition, wenn sie nicht auf Nachrüstung setzen will, gar nichts anderes, als auf gemeinsame Sicherheit zu setzen, und zwar auf möglichst niedrigem Niveau, auf die Beseitigung von Überlegenheiten - taktisch-nuklear wie konventionell - , auf gesicherte Verteidigung, bei der der Verteidiger sogar einen Vorteil hat, also auf das Konzept der SPD. ({29}) Nach der doppelten Null-Lösung unter Einschluß der Pershing I a ist die Illusion tot, Sicherheit durch Demonstration der Stärke zu erzielen. ({30}) Das System der gemeinsamen Sicherheit wird künftig getestet. Diesem Test müssen sich die Sowjetunion und die DDR ebenso wie die Bundesrepublik Deutschland unterziehen. Das ist die Fortsetzung der Entspannungspolitik. Das führt zu Sicherheit mit immer weniger Waffen. Das bringt uns in der Bundesrepublik wie in der DDR aus der Unerträglichkeit unterschiedlicher Sicherheit in den Bündnisgebieten, in der wir doch schon sind und in die wir nicht erst hineinkommen, wie Herr Strauß fürchtet. Das eröffnet für Europa die Chance eines neuen Abschnitts seiner Geschichte, die militärische Konfrontation dann durch den friedlichen Wettstreit der Systeme und Ideologien und wirtschaftliche Zusammenarbeit ersetzt. Die SPD ist auf diesem Gebiet Vorreiter. Wir haben versucht, den schwersten Teil der Arbeit zu leisten; denn der Kampf und die Auseinandersetzungen zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten waren in den zurückliegenden 70 Jahren tiefer und grundsätzlicher, als sie zwischen den Parteien der Koalition und den Kommunisten sein konnten. Auch in diesem Falle gilt, daß man weder vergessen noch verdrängen darf. Das ist meine Formulierung des richtigen Satzes, den das „Neue Deutschland" zu dem Papier über den „Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit" geschrieben hat: Es gibt keine ideologische Koexistenz, und es wird auch keine geben. ({31}) Diese unausweichlichen Auseinandersetzungen müssen aber dem gemeinsamen Interesse an der Erhaltung des Friedens untergeordnet bleiben. Die Kultur des Streits darf keine Gegensätze verwischen, darf aber auf die Beziehungen zwischen Staaten eben nicht durchschlagen. Das entspricht dem Geist von Helsinki. Das ist die konsequente Fortentwicklung des Gewaltverzichts, zu dem sich nicht nur alle Parteien in diesem Hause bekannt haben, sondern der für unsere Bundesrepublik Deutschland die übergeordnete verbindliche Maxime der Außen- und Sicherheitspolitik geworden ist. Ziel eines solchen politischen Denkens und Handelns ist eine stabile und dauerhafte Friedensordnung in Europa . . ., die den Krieg als Mittel der Politik ausschließt, den Einsatz militärischer Gewaltmittel ... verhindert, Konflikte zwischen den Staaten auf der Grundlage vereinbarter Verfahren friedlich regelt ... und das Selbstbestimmungsrecht eines jeden Volkes anerkennt und respektiert. So heißt es in unserem Papier. Was kann eigentlich irgend jemand dagegen haben? ({32}) Es wäre zu begrüßen, wenn von den Parteien der Regierungskoalition nach sorgfältiger Prüfung formuliert würde, was sie anderes und Besseres wünschen und mit regierenden Kommunisten durchsetzen wollen. Einseitige Kapitulationswünsche sind natürlich leichter zu formulieren, aber sinnlos. Es werden doch keine grundsätzlich anderen Grundsätze sein, die der Geist des Kommuniqués nach dem Honecker-Besuch enthalten kann, falls es ein solches Kommuniqué gibt. Es können doch keine wesentlich anderen Grundsätze sein, die das Verhältnis der Völker, Parteien, Kirchen, gesellschaftlichen Organisationen zwischen Ost und West bestimmen, damit wir Frieden sichern und wenn wir den Frieden in Europa unzerbrechbar machen wollen. Es handelt sich um ein Ost-WestPapier in deutscher Sprache. Es könnte genausogut in englisch und russisch, in französisch und polnisch, in italienisch und ungarisch geschrieben sein. Jetzt, meine Damen und Herren, nach dem Regierungsschwenk zur Pershing I a, ist es an der Zeit, nach vorn zu blicken. Hier zeigt sich eine Reihe von gemeinsamen Auffassungen, wie sie in dieser Tragweite nicht oft in diesem Haus formuliert werden konnten. Wir sind uns einig: 1. An der Pershing I a wird das erste weltweite Abrüstungsabkommen nicht scheitern. Die Bedingungen des Kanzlers sind nur eine gefällige Auflistung der einzigen Selbstverständlichkeit, nämlich daß das Abkommen erreicht wird. 2. Die Chancen für einen Gipfel sind dank dieser gemeinsamen deutschen Haltung bedeutend gestiegen. 3. Wir wünschen weitere Verhandlungen über die Atomwaffen der Reichweiten von unter 500 km und auf konventionellem Gebiet. Je kürzer die Reichweite, desto deutscher die Wirkung; das ist eine richtige Erkenntnis, die Konsequenzen haben muß. ({33}) 4. Die Verhandlungen über konventionelle Stabilität in Europa vom Atlantik bis zum Ural müssen Zentraleuropa besonders berücksichtigen und das Ziel haben, Überlegenheiten zu beseitigen und eine Situation zu schaffen, in der auch ein bloß konventioneller Angriff unmöglich wird, weil ein Angreifer keine Chance und der Verteidiger einen Vorteil hat. 5. Für dieses Ziel darf es keine Nachrüstungen geben, sondern es muß durch Abrüstung auf ein möglichst niedriges Niveau erreicht werden. ({34}) Meine Damen und Herren, ich glaube, daß wir uns über diese fünf Punkte nach den Erklärungen einig sind, die teils von der Bundesregierung, teils von Herrn Dregger, teils von Herrn Geißler, teils von Herrn Mischnick und sicher von Herrn Genscher abgegeben worden sind. Über Einzelheiten und Methodik wird es noch genug Meinungsverschiedenheiten geben. Wir sind z. B. als Sozialdemokraten dafür, daß unter dem Gesichtspunkt der Verantwortungsgemeinschaft die beiden deutschen Staaten überlegen, konsultieren, zusammenwirken, wie in dieser zentralen Frage der europäischen Sicherheit gemeinsame Interessen formuliert und zu Initiativen verdichtet werden können. Nichts können hier die beiden Staaten allein erreichen. Aber gerade weil beide unbezweifelbar loyale Mitglieder ihres jeweiligen Bündnisses sind, haben Initiativen, denen sie zustimmen, um so mehr Aussicht auf Erfolg, je mehr sie den Interessen ihrer - unserer - europäischen Nachbarn dienen. ({35}) Der Besuch des Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker bietet dafür eine außergewöhnlich gute Gelegenheit. Man kann dafür ebenso an den Grundlagenvertrag anknüpfen wie an die Formulierung, die die Herren Kohl und Honecker in Moskau gefunden haben. Es ist auch eine Gelegenheit, zu zeigen, daß die Bundesregierung, wenn es um die Chance für stabile Sicherheit geht, nicht zögert, sondern drängt, weniger Bedingungen formuliert als eigene Vorschläge macht. Die Grundsätze für einen atomwaffenfreien Korridor, die wir nach dem Vorschlag der Palme-Kommission mit den Kollegen der SED ausgearbeitet haben, werden zunehmend Bedeutung bekommen. Sie würden nicht nur die gegenseitige Bedrohung durch Kurzstreckenraketen beseitigen, sondern könnten eine neue Qualität bekommen, wenn aus diesem Korridor alles besonders angriffsfähige schwere Gerät beseitigt würde. Dazu gehört natürlich bei entsprechender internationaler Kontrolle auch, daß die Vorwarnzeit von 48 Stunden beseitigt wird, die heute die NATO so belastet. Das alles würde sich auch gut in die Vorschläge Jaruzelskis einpassen, die erweitert und konkretisiert wurden und in die zahlreiche westliche Argumente und Vorstellungen Aufnahme gefunden haben. Die polnische Regierung hat dazu ein neues Memorandum übergeben. Es ist außergewöhnlich konstruktiv. Es würde eine ebenso konstruktive Prüfung verdienen. Das alles gehört sicher in den Kreis der Fragen, die mit dem Staatsratsvorsitzenden Honecker zu erörtern sind, und sicher auch zu der Beschreibung des Zieles für eine Verbesserung der Lage in Mitteleuropa und unserer Verantwortung dazu, die der Außenminister hier eben formuliert hat. Meine Damen und Herren, ich habe am Schluß meiner Rede am 4. Juni darauf hingewiesen, daß auf dem Gebiet der Rüstungskontrolle und Abrüstung die Fortsetzung des Werkes erforderlich ist, das wir in den 70er Jahren begonnen haben. Sogar innenpolitisch könnten wir auf diesem europäischen Weg eine weite Strecke zusammen gehen. Ich habe dafür heute fünf Punkte formuliert, über die wir nicht streiten müssen. Einige Kollegen aus der Koalition müssen sich mit dem Gedanken vertraut machen, daß mit der doppelten Null-Lösung die Stärke unserer Position nicht mehr durch Aufrüstung und Nachrüstung gefunden werden kann, sondern nur noch durch die klaren und konsequenten Grundsätze der gemeinsamen Sicherheit. Das Mittel der militärischen Stärke, schon bisher eine Illusion, steht dann nicht einmal mehr als Propaganda zur Verfügung. Wenn diese Kollegen in der Koalition daraus die Konsequenzen ziehen, dann werden sie auch nicht mehr so ins Stolpern geraten wie im letzten halben Jahr, dann können wir darüber wetteifern, wer die besseren Vorschläge zur Abrüstung macht, und drängen, damit von der Mitte Europas Frieden ausgeht. ({36})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Bevor wir zu den Abstimmungen über die Anträge kommen, erteile ich dem Abgeordneten Kleinert zu einem Geschäftsordnungsantrag das Wort.

Dr. Hubert Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001122, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beantrage, daß der Deutsche Bundestag jetzt eine Abstimmung über die Anträge, die in den Drucksachen 11/699 - das ist der Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN - und 11/732 - das ist der Antrag der Fraktion der SPD - vorliegen, durchführt. Eine solche Abstimmung ist möglich, und eine solche Abstimmung ist notwendig. Die Bundesregierung hat lange genug durch ihre Haltung die Möglichkeiten zu einer Vereinbarung in Genf erschwert. Der Bundestag hat heute nicht zum erstenmal über diese Fragen diskutiert. Die Fraktionen hatten lange genug Zeit, ihre Haltung zu diesen Fragen zu klären. Es ist doch eigentlich grotesk, daß wenn der Kanzler der Bundesrepublik und Vorsitzende der CDU eine politische Position formuliert, dann, wenn diese Position auf Grund eines Antrags der SPD im Bundestag zur Abstimmung steht, eine Abstimmung nicht stattfinden soll, nur weil ein Herr in München sitzt, dem diese Erklärungen nicht passen. ({0}) Es ist grotesk, wenn auf diese Weise der Bundestag mit billigen Geschäftsordnungsstricks von einem Herren, der gar nicht Mitglied des Bundestages ist, und seinen Freunden daran gehindert werden soll, in einer solch existentiellen Frage hier eine Abstimmung herbeizuführen. ({1}) Wir wissen, warum diese Abstimmungen hier partout verhindert werden sollen: Sie wollen sie nicht, weil Sie fürchten, daß die Koalitionsfraktionen in dieser Frage ein Bild der Zerrissenheit bieten. Es kann aber nicht sein, daß der Bundestag deshalb, weil in der Geschäftsordnung Lücken auftreten, in einer Frage von derartigem Gewicht zu einem Zeitpunkt, wo eine Entscheidung auf der Grundlage des Verhandlungsstandes in Genf bitter notwendig wäre, zu einer solchen Entscheidung gar nicht kommt. Das kann nicht sein, das darf nicht sein, meine Damen und Herren. ({2}) Es kann nicht sein, daß der Bundestag bloß deshalb eine solche Entscheidung nicht treffen kann, weil die CDU/CSU ihre inneren Befindlichkeitsprobleme ({3}) nicht auf die Reihe bekommt. Es darf nicht sein, daß der Bundestag eine solche Entscheidung deshalb nicht treffen kann, weil das Gepoltere von Herrn Strauß immer noch solche Furchtsamkeit bei Ihnen auslöst. ({4}) Kleinert ({5}) Es ist oft genug gesagt worden: Die Bundesregierung hat lange genug die Rolle des Bremsers und die Rolle des Abrüstungsbehinderers gespielt. Sie haben im letzten halben Jahr oft genug demonstriert, wie sehr Sie Angst haben vor Abrüstung. Eben gerade ist noch einmal gesagt worden, Sie fürchteten nichts mehr, als daß Herr Gorbatschow erneut einen Vorschlag zu einer weiteren Null-Lösung mache. Das ist doch Ihre Befürchtung. Sie haben lange genug Zeit gehabt, das zu demonstrieren. ({6})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, bitte sprechen Sie zu Ihrem Geschäftsordnungsantrag.

Dr. Hubert Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001122, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es ist allerhöchste Zeit, diese Haltung aufzugeben und die Weichen in eine andere Richtung zu stellen. Weichen Sie dieser Entscheidung heute nicht aus. Sagen Sie klipp und klar, was Sie wollen, sagen Sie, ob Sie auf die Beibehaltung der Pershing-I a-Raketen verzichten wollen oder nicht. Sagen Sie, ob Sie die Pershing-Träger verschrotten und die Sprengköpfe abziehen wollen oder nicht. Sagen Sie, ob Sie alles dafür tun wollen, in Genf einen Durchbruch zu erzielen, oder nicht. Wenn Sie das alles nicht wollen, dann haben Sie den Mut, sich hier und heute dazu zu bekennen und zu sagen: Nein, wir wollen es nicht. Aber das, was Sie vorhaben, ist das Billigste, was man in einer solchen Situation überhaupt machen kann. Sie wollen abtauchen, Sie wollen sich auf gut deutsch gesagt - - Nein, ich lasse es lieber. Sie wollen abtauchen, Sie wollen hier wegtauchen. Sie wollen der Abstimmung ausweichen. ({0}) Aber ich sage Ihnen: Ausweichen ist die schlechteste Lösung, die man hier treffen kann. Deshalb appelliere ich an Sie alle: Lassen Sie uns heute abstimmen. Heute ist der richtige Zeitpunkt. Heute muß diese Abstimmung erfolgen. Lassen Sie uns das hier mehrheitlich beschließen. ({1})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Zu einem weiteren Geschäftsordnungsantrag erteile ich das Wort dem Herrn Abgeordneten Gansel.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der SPD-Fraktion beantrage ich, wie es die Geschäftsordnung ermöglicht, über die Drucksache 11/732 ({0}) heute in der Sache abzustimmen. Diese Drucksache enthält wortwörtlich die Erklärung des Bundeskanzlers, mit der er auf Verbleib und Modernisierung der 72 Pershing-I a-Raketen der Bundesluftwaffe verzichtet hat. Sie erfolgte unter Berufung auf die Richtlinienkompetenz. Art. 65 des Grundgesetzes bestimmt, daß für die Wahrnehmung der Richtlinienkompetenz der Kanzler die Verantwortung trägt. Solche Erklärungen kann das Parlament unterstützen oder ablehnen. Sie können nicht den Ausschüssen zur Beratung und Veränderung überwiesen werden, wie es die Regierungskoalition will. ({1}) Der Bundeskanzler hat seinen Verzicht damit begründet, daß die Genfer Verhandlungen jetzt in ein entscheidendes Stadium eingetreten seien. Er wolle zu einem Durchbruch in den Verhandlungen beitragen. Die Regierungskoalition beantragt, diesen Beitrag in die Bundestagsausschüsse zu überweisen, weil der Kanzler in einem entscheidenden Stadium keine regierungsfähige Mehrheit mehr im Parlament hat. Eine solche Regierung ist handlungsunfähig. Die Regierung ist gelähmt. ({2}) Das Grundgesetz hat für einen solchen Fall vorgesorgt. Bei einer Sachfrage dieses Ranges kann der Bundeskanzler die Vertrauensfrage stellen, ({3}) ja er sollte es tun. ({4}) Willy Brandt und Helmut Schmidt haben das getan. Wenn Helmut Kohl darauf verzichtet, ist ihm die Sache entweder nicht wichtig genug oder er will sie durch Zugeständnisse an die CSU nachträglich noch verändern. Ist das der Sinn so mancher nebulöser Formulierung Helmut Kohls? ({5}) Die Gegner in den Regierungsfraktionen mögen nicht von der Richtigkeit der Verzichtserklärung des Bundeskanzlers überzeugt sein. Wir haben nun Anlaß, an der Aufrichtigkeit zu zweifeln. Deshalb beantragen wir eine Abstimmung in der Sache. Mit ihren Anträgen gibt die SPD dem Kanzler die Möglichkeit, Klarheit zu schaffen und sich bei seinem Verzicht auf die Pershing-I a-Raketen auf eine Mehrheit des Bundestages über die Parteigrenzen hinweg zu stützen. Wäre das so schlimm? ({6}) Wenn Sie diese Möglichkeit nicht nutzen, Herr Bundeskanzler, machen Sie die internationale Verbindlichkeit Ihrer Verzichtserklärung fragwürdig. ({7}) Helmut Kohl trägt nicht nur Verantwortung für die Bundesregierung, sondern auch für seine Partei. Die CDU sieht zur Zeit ihre Mehrheit in Schleswig-Holstein gefährdet. Wenn Generalsekretär Geißler sagt - ich zitiere -, die jüngste Erklärung des Kanzlers werde sich ganz sicher als positives Signal auf die Wahl in Schleswig-Holstein auswirken, so entgegnen wir Ihnen: Die Wählerinnen und Wähler wollen kein positives Signal für die Wahl in Schleswig-Holstein, sondern für den Erfolg der Abrüstungsverhandlungen. ({8}) Sie, meine Herren Geißler und Kohl, haben den Mund gespitzt, jetzt müssen Sie auch den Mut haben, zu pfeifen. ({9}) Wenn Sie einer Abstimmung aus dem Wege gehen, dann zeigen Sie, daß es der CDU zunächst einmal darum geht, die Landtagswahlen zu überstehen, bevor sie über ihre Haltung in der Sache selbst entscheidet. Die CSU gefährdet durch ihr Beharren auf den Pershing-I a-Raketen die historische Chance für Abrüstung. ({10}) Ihnen geht es um etwas anderes: Sie wollen eine andere Bundeswehr. Eine Bundeswehr, die über Atomraketen verfügt. Das wäre eine andere Republik. ({11})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, bitte sprechen Sie zu Ihrem Geschäftsordnungsantrag. ({0})

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bei einer Abstimmung in der Sache wird die FDP vor die Mutprobe gestellt, ob sie für Klarheit in der Abrüstungspolitik sorgen und das Koalitionsklima gefährden will. ({0}) Sie können bei dieser Abstimmung den bösen Verdacht widerlegen, daß bei der FDP die Demontage des Sozialstaats im Zweifelsfall vor der Demontage der Raketen rangiert. ({1}) Erst die Wahlergebnisse von Rheinland-Pfalz und Hamburg haben bewirkt, daß sich die Führung der CDU und die Bundesregierung die doppelte Null-Lösung zu eigen gemacht haben. ({2}) Es spricht für unsere Demokratie, wenn die Parteien, wenn die Regierung auf die Stimmung, nein, auf die bewußt gewordenen Interessen der Wählerinnen und Wähler reagiert. Aber diese Reaktion muß ehrlich und zuverlässig sein. Sonst ist sie eine Verhöhnung des Friedenswillens unseres Volkes. ({3})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Sie können zur Geschäftsordnung nur fünf Minuten sprechen.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, namens meiner Fraktion beantrage ich eine sofortige Abstimmung in der Sache. Zur Sache selbst beantrage ich eine namentliche Abstimmung. ({0})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Zur Geschäftsordnung erteile ich das Wort dem Abgeordneten Seiters. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002156, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es muß um die sozialdemokratische Fraktion schon sehr übel aussehen, ({0}) wenn Sie eine Geschäftsordnungsdebatte, in der sich der Geschäftsführer schon gar nicht mehr nach oben traut, mißbrauchen, um einen schleswig-holsteinischen Wahlkämpfer hier jetzt reden zu lassen. ({1}) Das ist doch der Punkt. Das war ein entlarvender, geifernder Beitrag. Es hätte nur noch gefehlt, daß Sie ins Mikrophon gebissen hätten, Herr Gansel. ({2}) Es ist schon eine merkwürdige Geschichte mit diesem merkwürdigen Antrag. Seit zwei Wochen hören wir aus dem Munde des Fraktionsvorsitzenden Vogel geradezu düstere Drohungen. Er beruft sich auf die Geschäftsordnung und sagt, er werde diese Bundesregierung zu einer Regierungserklärung zwingen, er werde die Koalition zwingen, eine Überweisung der Anträge an die Ausschüsse nicht zuzulassen. Heute morgen hat Herr Ehmke in der „Bild"-Zeitung spekuliert, die Koalition werde, weil sich die CSU versagen werde, für die Überweisung gar keine Mehrheit mehr finden. Da das nun alles nicht mehr zieht, auch nicht mit der Geschäftsordnung, wollen Sie vom normalen parlamentarischen Verfahren, von der Geschäftsordnung abweichen. Ihr ganzes Vorgehen in dieser Frage in den letzten Wochen - Antrag auf überflüssige Sondersitzung, Forderung nach einer Regierungserklärung, Anträge einbringen, Anträge zurückziehen, neue Anträge formulieren, ({3}) Abweichung von der Geschäftsordnung; alles nach dem Motto: Wie kann ich denn die Koalition möglicherweise ein bißchen in Schwierigkeiten bringen? - zeigt ganz deutlich, Herr Kollege Vogel ({4}) - ja, das ist Ihre Überlegung gewesen -, daß die Formulierung Ihres Antrages - und das haben wir den ganzen Vormittag hier gesagt - nicht von der Sorge um den Gang der Abrüstungsverhandlungen und erst recht nicht von der Überlegung, diese Bundesregierung bei ihren Bemühungen zu unterstützen, sondern ausschließlich von parteipolitischer Taktik und von parlamentarischen Winkelzügen bestimmt ist; so war es nämlich. ({5}) Wir lehnen Ihren Antrag ab. ({6}) Wir hätten die Diskussion über die Abrüstungspolitik der Bundesregierung in aller Breite in der nächsten Woche im Rahmen der Haushaltsdebatte führen können. Deshalb haben wir seit zwei Wochen diese von der SPD beantragte teure, aufwendige Sondersitzung des Bundestages für überflüssig erklärt. ({7}) Deshalb haben wir erklärt, daß es für uns keine Veranlassung gibt, durch das Stellen eigener Anträge der SPD eine nachträgliche Rechtfertigung für diese Sitzung zu geben. ({8}) Und deshalb haben wir ebenfalls seit zwei Wochen darauf hingewiesen - Sie haben uns das nur nicht geglaubt -, daß am Ende dieser Sitzung das wahrlich beeindruckende Ergebnis der Überweisung Ihrer Anträge in die Ausschüsse stehen wird. Das ist der Punkt. ({9}) Also: Es gibt überhaupt keinen Grund, von dieser unserer konsequenten, klaren, beständigen Auffassungslinie abzuweichen. ({10})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Meine Damen und Herren, ich bitte um Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002156, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie sollten sich keinen Illusionen hingeben, Herr Kollege Vogel, meine Damen und Herren von der Opposition. Dieser Bundeskanzler, der gegen den Widerstand der abrüstungspolitischen Versager von gestern ({0}) die Tür zu den Abrüstungsverhandlungen in Genf weit geöffnet hat, ({1}) bedarf nicht der Annahme dieses Antrags, um zu wissen, daß diese Fraktion, die Koalition und dieses Parlament hinter ihm stehen. ({2}) Ich empfehle Ihnen, darüber nachzudenken, ob Sie nicht beim nächsten Mal einen anderen Antrag einbringen. Da könnten wir unter Umständen zustimmen. Dieser Antrag könnte mit Blick auf Ihre Nürnberger Parteitagsbeschlüsse so lauten: Der Deutsche Bundestag dankt der Bundesregierung dafür, daß sie in den vergangenen Jahren nicht den verhängnisvollen Vorschlägen der Sozialdemokratie gefolgt ist. ({3})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluß.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002156, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir lehnen diese merkwürdigen Anträge der Opposition ab ({0}) und beantragen, wie seit zwei Wochen angekündigt, die Überweisung Ihrer Anträge an die zuständigen Ausschüsse. ({1})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Zur Geschäftsordnung erteile ich dem Abgeordneten Wolfgramm das Wort. ({0}) - Meine Damen und Herren, ich bitte, diese lauten Zwischenrufe zu unterlassen.

Torsten Wolfgramm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002557, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Zu Anfang dieser Debatte hatte man, als der Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion seine Rede in bemühter Staatsbürgerlichkeit und auch staatsmännisch vorgetragen hat, ja noch den Eindruck haben können, daß es wirklich um ein ernstes Anliegen gehe. Aber der Auftritt des Kollegen Gansel hat den Vorhang zerrissen. ({0}) Der Schafspelz ist gefallen. Sie stehen nun wirklich da als der unfaire Wahlkämpfer für Schleswig-Holstein. Ich hoffe, daß Ihr Auftritt hier den FDP-Stimmen im Land starken Auftrieb geben wird. Mehr möchte ich dazu nicht sagen. ({1}) Aber vielleicht sollten wir uns doch einmal der Geschäftsordnung selbst zuwenden. Das ist ein interessanter Punkt. Was Sie beantragen, erfordert eine Zweidrittelmehrheit dieses Hauses, ({2}) denn wir weichen von der Geschäftsordnung ab, wozu ein bedeutender Sozialdemokrat in diesem Bereich, nämlich Manfred Schulte, der sich dieser Sache lange Jahre sorgsam und umsichtig angenommen hat, gesagt hat, daß man von dieser Bestimmung nur ganz, ganz selten Gebrauch machen soll. ({3}) Wolfgramm ({4}) Deswegen steht da drin: Zweidrittelmehrheit. Das ist übrigens dieselbe Mehrheit, ({5}) dasselbe Quorum, mit dem wir im Bundestag auch das Grundgesetz ändern. Wolfgang Mischnick hat in seiner Rede sehr deutlich gesagt: Wir überweisen diese Anträge. Wir haben Anlaß, sie in den Ausschüssen sorgfältig zu debattieren. ({6}) Wir haben Anlaß, das Ergebnis des Treffens der beiden Außenminister abzuwarten und dann auch hier über diese Anträge zu debattieren. Eine Zweidrittelmehrheit rechtfertigt das überhaupt nicht, wie überhaupt diese ganze Sitzung, wie wir gerade aus dem letzten Beitrag gesehen haben, nicht gerechtfertigt war. ({7})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Meine Damen und Herren, wir kommen nun zu den Abstimmungen. Ich rufe zunächst den Antrag der Fraktion der SPD auf. Von seiten der SPD-Fraktion und der Fraktion DIE GRÜNEN ist eine sofortige Abstimmung über diesen Antrag beantragt. Die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP haben Überweisung beantragt. Nach ständiger Übung geht der Antrag auf Ausschußüberweisung der Abstimmung in der Sache vor. Es gibt, Kollege Wolfgramm, keine Bestimmung in der Geschäftsordnung, daß für eine Abweichung eine Zweidrittelmehrheit notwendig ist. Daß von der bisherigen Praxis abgewichen wird, kann mit einfacher Mehrheit beschlossen werden. ({0}) Meine Damen und Herren, ich stelle den Antrag auf Abweichung von der bisherigen Praxis zur Abstimmung. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit, der Antrag ist abgelehnt. Meine Damen und Herren, zum Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/732 ({1}) ist von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP Ausschußüberweisung beantragt, und zwar zur federführenden Beratung an den Auswärtigen Ausschuß und zur Mitberatung an den Verteidigungsausschuß. Wer diesem Antrag auf Ausschußüberweisung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag auf Ausschußüberweisung ist angenommen. Meine Damen und Herren, wir kommen nun zum Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/699 ({2}). Hierzu hat die Fraktion DIE GRÜNEN beantragt, daß zunächst eine Abweichung von der bisherigen Praxis beschlossen werden soll. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt. Auch in diesem Fall beantragen die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP Ausschußüberweisung wie bei dem Antrag der SPD. Wer stimmt für den Antrag auf Ausschußüberweisung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag auf Ausschußüberweisung ist angenommen. Wir kommen jetzt zum Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/757. Hier ist Ausschußüberweisung beantragt, und zwar an den Rechtsausschuß. Wer stimmt für den Antrag auf Ausschußüberweisung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag auf Ausschußüberweisung ist angenommen. Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 9. September 1987, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.