Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/9/1989

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Guten Morgen, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! ({0}) Die Sitzung ist eröffnet. Der Abgeordnete Schily hat am 7. November 1989 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. ({1}) Als seine Nachfolgerin hat Frau Abgeordnete Kottwitz die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben, und zwar am 8. November 1989. Ich begrüße die neue Kollegin und hoffe auf gute Zusammenarbeit. ({2}) Ich rufe nun den Zusatztagesordnungspunkt 4 auf: Einspruch des Abgeordneten Böhm ({3}) gegen den am 26. Oktober 1989 erteilten Ordnungsruf. Ich verlese zunächst nach Beratungen im Präsidium am 8. November 1989 folgende Erklärung von

Not found (Mitglied des Präsidiums)

In der 171. Plenarsitzung vom 26. Oktober 1989 habe ich dem Abgeordneten Böhm ({0}) in Absprache mit dem Präsidium einen Ordnungsruf erteilt. Nach ständiger Praxis des Deutschen Bundestages war diese Ordnungsmaßnahme erforderlich, weil sein Zwischenruf an die Abgeordnete Wieczorek-Zeul: „Sie koalieren mit den Mauermördern! " als eindeutig unparlamentarisches Verhalten bewertet werden muß. Dieser Ordnungsruf wird von der CDU/CSU-Fraktion beanstandet, weil die in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages vorgesehene Frist bereits abgelaufen sei. Die Richtigkeit dieses Einwandes ist strittig. Das Präsidium hat in seiner gestrigen Sitzung entschieden, diese Frage deshalb im Geschäftsordnungsausschuß klären zu lassen. Um jedoch Schaden vom Ansehen des Parlaments durch eine andauernde Diskussion dieses Sachverhalts abzuwenden, ziehe ich den Ordnungsruf auf Grund des formalen Einspruchs zurück. Ungeachtet dessen halte ich auch in einer emotional geführten Debatte einen solchen Vorwurf entgegen der Auffassung des Abgeordneten Böhm ({1}) nicht für gerechtfertigt, sondern für rügenswert. So weit die Erklärung. Damit ist der Zusatzpunkt 4 der Tagesordnung erledigt. ({2}) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf: a) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung ({3}) - Drucksachen 11/4124, 11/4452 - aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({4}) - Drucksachen 11/5490, 11/5530 - Berichterstatter: Abgeordnete Günther Heyenn Hoss bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({5}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 11/5493 Berichterstatter: Abgeordnete Sieler ({6}) Strube Zywietz Frau Vennegerts ({7}) Präsidentin Dr. Süssmuth b) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({8}) zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Unruh und der Fraktion DIE GRÜNEN Sofortprogramm für eine Alters-Grundsicherung zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Beck-Oberdorf, Hoss, Frau Unruh und der Fraktion DIE GRÜNEN Zur Gleichbehandlung aller Arbeitnehmer/innengruppen sowie erwerbstätiger und nicht erwerbstätiger Erziehender bei der Bewertung von Kindererziehungszeiten in der Alterssicherung und zur Heraufsetzung der Bemessungsgrundlage von 75 Prozent auf 100 Prozent des Durchschnittseinkommens in der Bundesrepublik Deutschland - Drucksachen 11/1401, 11/4964, 11/5490, 11/5530 - Berichterstatter: Abgeordnete Günther Heyenn Hoss c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Unruh, Frau Beck-Oberdorf, Hoss und der Fraktion DIE GRÜNEN Zur Gleichbehandlung von Rentnern/innen und Beamten/innen bei den Auswirkungen der Steuerreform - Drucksache 11/4957 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({9}) Innenausschuß Rechtsausschuß Finanzausschuß Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Haushaltsausschuß Zum Rentenreformgesetz liegen Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/5538 bis 11/5544 vor. Die Fraktion DIE GRÜNEN hat verlangt, über die Anträge auf den Drucksachen 11/5538, 11/5539, 11/5543 und 11/5544 namentlich abzustimmen. Weiterhin liegen drei Entschließungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/5545 bis 11/5547 vor. Ich weise bereits jetzt darauf hin, daß die Abstimmungen zu den Tagesordnungspunkten 6, 7 und 8 nach einer interfraktionellen Vereinbarung am Ende der Beratungen von Tagesordnungspunkt 8, also gegen 15.20 Uhr, vorgenommen werden sollen. Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 c vier Stunden vorgesehen. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Herr Günther. ({10}) - Einen Augenblick, Herr Günther. Bitte schön, Herr Hüser.

Uwe Hüser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000978, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte einen Antrag nach § 82 Abs. 3 der Geschäftsordnung stellen: Zurückverweisung an den Ausschuß. Den Beitrag für unsere Fraktion wird der Kollege Hoss leisten.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Bitte schön, Herr Hoss. ({0}) Einen Augenblick, Herr Hoss. Herr Bohl, bitte.

Friedrich Bohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000230, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, das verstehe ich nicht. Es ist hier ein Antrag zur Geschäftsordnung gestellt worden. Das ist nach der Geschäftsordnung in der Tat möglich, und damit ist die Redezeit verbraucht. Ich möchte für die Fraktion für die CDU/CSU erklären, daß wir gegen die Zurückverweisung sind. Es ist intensiv beraten worden, und es kann heute in zweiter und dritter Lesung darüber entschieden werden. ({0}) - Das hätten Sie machen können, aber niemand anders.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Dann muß ich zunächst den Antrag des Kollegen Bohl zur Abstimmung bringen. ({0}) - Sie haben einen Antrag auf Rücküberweisung an den Ausschuß gestellt. ({1}) Jetzt hat das Wort der Abgeordnete Herr Hüser.

Uwe Hüser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000978, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe hier nur gesagt, daß wir zu diesem Punkt einen Geschäftsordnungsantrag stellen wollen, bevor Sie in die Debatte eintreten. Deswegen habe ich mich zu Wort gemeldet. Eine Begründung zu dem Antrag wollen wir selbstverständlich geben. ({0}) - Haben Sie denn Angst vor der Begründung?

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Ich sehe dann keine andere Möglichkeit, als zunächst das Wort zu dem Geschäftsordnungsantrag zu erteilen. ({0}) Präsidentin Dr. Süssmuth - Darf ich jetzt etwas zum Verfahren sagen: Wir hören zuerst die Begründung zum Geschäftsordnungsantrag und dann den Widerspruch. Bitte schön, Herr Hoss.

Prof. h. c. Willi Hoss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist doch selbstverständlich, daß man bei einem solchen Antrag eine Begründung geben können muß. Namens der Fraktion DIE GRÜNEN beantrage ich die Aussetzung der zweiten und dritten Lesung des Rentenreformgesetzes und die Rücküberweisung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung. Die Eckdaten, die die Regierungskoalition von CDU/CSU und FDP und auch die SPD zur Begründung für ein eilig zu verabschiedendes Reformwerk angeführt haben, stimmen nicht bzw. nicht mehr. Neuere Untersuchungen des Instituts der deutschen Wirtschaft, die durch Äußerungen weiterer Fachleute und Institutionen gestützt werden, sind zu dem Ergebnis gekommen, daß sich die Bevölkerungsentwicklung und damit auch die Finanzierungsseite der Rentenversicherung nicht, wie erwartet, dramatisch entwickelt, sondern sogar entspannt und positiv verläuft. ({0}) Das Verhältnis von in der Erwerbsarbeit tätigen Bürgern zu Rentenempfängern führt in der Rentenversicherung - bedingt vor allem durch die große Zahl von Aus- und Übersiedlern und natürlich auch durch die konjunkturelle Entwicklung - zu positiven Ergebnissen und verschiebt den problematischen Zeitraum für die Rentenversicherung bis in die Jahre 2030 bis 2040. Bei den Aus- und Übersiedlern ist der Anteil der unter 18jährigen bedeutend höher als in der Bundesrepublik Deutschland. Bei uns beträgt er 18 %, bei den Aus- und Übersiedlern 32 %. Der Anteil der über 60jährigen beträgt in der Bundesrepublik 22 %, bei den Aus- und Übersiedlern 7 %. Die aktuelle und hochzurechnende Bevölkerungsentwicklung, ({1}) der demographische Verlauf gibt uns mehr Zeit, als von der Regierungskoalition angenommen wurde, einen Rentenentwurf vorzulegen, der inhaltlich und strukturell den Anforderungen gerecht wird, die u. a. auch von der Sachverständigenkommission Alterssicherung vorgeschlagen wurden. Der Berichterstatter des Haushaltsausschusses hat zu dem vorliegenden Rentenreformgesetz ausgeführt: Gesetze mit solcher Tragweite, die ins nächste Jahrtausend hineinreichen, sollten mehr Zeit bekommen, und man sollte sie nicht mit so heißer Nadel stricken. Dem Berichterstatter als Vertreter der Parteien, die das Rentenreformgesetz tragen, und allen anderen, die es ehrlich meinen und ein gutes Gesetz wollen, kann geholfen werden, wenn sie unserem Antrag auf Zurückverweisung zustimmen. Auch die Entwicklung der Finanzen in der Rentenversicherung kommt unserem Begehren entgegen. ({2}) Die Rentenkasse hat bis zum letzten Monat gegenüber der Vorausberechnung vom Oktober letzten Jahres ein Plus von 3,8 Milliarden DM, und bis zum Ende des Jahres verfügen die Rentenversicherungen über ein Plus von 25,4 Milliarden DM. Das entspricht zwei Monatsreserven. ({3}) Auch die auf mehr als 20 Milliarden DM prognostizierte und nicht erwartete Entlastung der Rentenkasse über das Jahr 2000 hinaus erlaubt es, daß wir uns mehr Zeit nehmen - sagen wir: zwei Jahre - , um einen vernünftigen Gesetzentwurf zu erarbeiten. ({4}) Sie wissen genau, daß der von Ihnen vorgelegte Gesetzentwurf - das ist in Ihren Reihen auch selber gesagt worden - nicht den Anforderungen genügt, die man eigentlich an einen solchen Gesetzentwurf stellen müßte, denn er löst nicht das Problem der Armut alter Menschen, er löst nicht das Problem der ungerechten Versorgung der Frauen im Rentensystem, er beseitigt auch nicht die Ungleichheiten im Verhältnis von Mitgliedern der gesetzlichen Rentenversicherung und der Beamtenversorgung, auch nicht die Ungleichheit der Versorgung in der Knappschaft gegenüber der in der Arbeiter- und Angestelltenversicherung. Ich bitte Sie, diese Gründe zu akzeptieren und unserem Antrag stattzugeben, den Entwurf des Rentenreformgesetzes an den Ausschuß zurückzuverweisen. Danke schön. ({5})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort zum Antrag hat Herr Cronenberg.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000342, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Gesetzentwurf ist ausgiebig in den Ausschüssen beraten worden. ({0}) Ich möchte mir durch meinen Geschäftsordnungsbeitrag, Frau Präsidentin, nicht künstlich zusätzliche Redezeit verschaffen, was den Inhalt des Gesetzes anbelangt, und gehe insoweit auf die Ausführungen des Kollegen Hoss nicht ein. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß die Begründung - sie ist für den Vortrag des Kollegen Hoss beispielhaft - in einem Punkt mit Sicherheit falsch ist. Kollege Hoss behauptet, daß die demographische Entwicklung, welche die Ursache für dieses Reformwerk ist, sich u. a. deswegen anders darstellt, weil wir einen beachtlichen Anteil an jüngeren Übersiedlern 13102 Deutscher Bundestag - l i. Wahlperiode Cronenberg ({1}) haben. Da ich davon ausgehe, daß dieses Problem zumindest mittelfristig in einer gemeinsamen Rentenversicherung zu lösen ist, weil die Wiedervereinigung irgendwann kommt, halte ich diese Begründung für unzulässig. ({2})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Jahn.

Gerhard Jahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001012, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann mich wirklich auf einen Antrag zur Geschäftsordnung beschränken. Ich bitte namens der SPD-Fraktion, den Geschäftsordnungsantrag der GRÜNEN zurückzuweisen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Der Abgeordnete Herr Bohl hat seinen Widerspruch eben schon zum Ausdruck gebracht. Wir kommen damit zur Abstimmung über den Geschäftsordnungsantrag auf Rücküberweisung an die Ausschüsse. Wer stimmt für den Antrag der GRÜNEN? - Wer stimmt gegen den Antrag der GRÜNEN? - Wer enthält sich der Stimme? - Damit ist der Antrag der GRÜNEN mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der FDP-Fraktion sowie der SPD- Fraktion bei einer Enthaltung abgelehnt. Ich eröffne die Aussprache. Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Herrn Günther.

Horst Günther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000749, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung, dem Rentenreformgesetz 1992, beraten wir ein herausragendes sozialpolitisches Vorhaben mit außerordentlicher Bedeutung für unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger. 1957, in der Zeit des Ausbaues der Bundesrepublik Deutschland, hat die CDU/CSU unter Führung von Konrad Adenauer die dynamische Rente geschaffen. Seitdem sind die Rentner an der allgemeinen Einkommensentwicklung in vollem Umfang beteiligt, ({0}) d. h. die Renten wachsen jährlich nach demselben Maßstab wie die Löhne und Gehälter der Arbeitnehmer. ({1}) Auf diese Weise profitieren unsere älteren Mitbürger seit nunmehr über 30 Jahren vom allgemeinen Wirtschaftswachstum, von der Steigerung der Produktivität und von der damit einhergehenden Verbesserung der Einkommenssituation der Erwerbstätigen. Kollege Hoss, ich bedanke mich ausdrücklich, daß Sie mit Ihrem Geschäftsordnungsantrag in eindrucksvoller Weise unterstrichen haben, wie gut unsere Politik ist. Wirtschaftswachstum führt zu mehr Beitragseinnahmen, was sich aber sehr schnell wandeln kann. ({2}) Wir machen keine Rentenreform bis 1995, sondern wir machen eine Rentenreform, die ab 1992 gilt, aber insbesondere wegen der demographischen Entwicklung erst ab 1995 richtig zum Tragen kommt. Sie wissen selber, welche Probleme die Entwicklung über das Jahr 2010 hinaus mit sich bringt. Insofern ist Ihr Antrag auch von der Sache her völlig ins Leere gegangen. ({3}) Das Nettorentenniveau liegt heute bei rund 72 %. Vor der großen Rentenreform 1957 lag es bei rund 40 %. Wir können daher mit Fug und Recht sagen: Die Rente tritt als Alterseinkommen an die Stelle des Erwerbseinkommens, an das der Rentner während seiner aktiven Zeit gewöhnt war. Die Rente ist damit die entscheidende und verläßliche Grundlage dafür, daß der Rentner seinen gewohnten Lebensstandard beibehalten kann. ({4}) Gegen diese Feststellung wird immer wieder polemisiert. Die Feststellung ist gleichwohl richtig. Denn sie beruht auf folgenden Tatsachen: Erstens. Sie beruht auf einem erfüllten Erwerbsleben mit nach Möglichkeit 45 Versicherungsjahren. Versicherungsjahre sind - ich will das einmal erläutern - Beitragszeiten, Ersatzzeiten, Kindererziehungszeiten, Zurechnungszeiten und Ausfallzeiten - dazu gehören Ausbildungszeiten, Zeiten der Arbeitslosigkeit und der Arbeitsunfähigkeit. Insoweit erreicht mancher Rentner eine höhere Anzahl von Versicherungsjahren und damit eine höhere Rente. Zweitens. Sie beruht auf der Tatsache, daß sich der Einkommensbedarf im Ruhestand vermindert. Große Anschaffungen und Ausgaben fallen in der Regel nicht mehr oder in erheblich vermindertem Umfang an; ({5}) Kinder haben das Elternhaus längst verlassen und stehen auf eigenen Füßen. Drittens. Immer häufiger beziehen Ehemann und Ehefrau eine Rente, und Frauenrenten haben wegen der Änderung des Erwerbsverhaltens nach wie vor eine steigende Tendenz. Ich weiß, daß jetzt die Behauptung einer angeblich großen Altersarmut fällig ist. ({6}) Diese Behauptung ist weit übertrieben. Sie geht an der Lebenswirklichkeit vorbei ({7}) und stützt sich statt dessen auf isoliert herausgegriffene Durchschnittswerte ohne wirkliche Aussagekraft. ({8}) Dazu nur eine Vergleichsrelation, beruhend auf „Infratest" 1986. Demnach lebten 55 % der Bezieher von Renten unter 600 DM in Haushalten mit einem Haushaltseinkommen von 2 000 DM und mehr. Es ist also fast willkürlich und meist bewußt irreführend, lediglich einen niedrigen Durchschnittsrentenwert zu betrachten und hieraus bereits auf Altersarmut zu schließen. ({9}) Es käme ja auch niemand auf die Idee, das Einkommen z. B. einer verheirateten Frau, die einer Teilzeitbeschäftigung nachgeht, isoliert zu betrachten und bei entsprechend niedrigem Verdienst von Armut zu sprechen, ohne das gesamte Haushaltseinkommen zu berücksichtigen. ({10}) Vor allem ist es völlig verfehlt, die Ursachen für Altersarmut dem bestehenden Rentensystem anzulasten und deshalb ein anderes System zu fordern. Die Wahrheit ist, daß die in diesem Land bestehende Rentenversicherung Altersarmut geradezu verhindert und zu ihrer Eindämmung wesentlich beigetragen hat. ({11}) Bei uns geht der weitaus größte Teil der erwachsenen Bevölkerung einer Erwerbstätigkeit nach. Er tut dies für die Dauer eines vollen Erwerbslebens, oder er ist durch eine Lebensgemeinschaft in entsprechender Weise abgesichert und trägt auch dann teilweise durch Erwerbsarbeit oder durch Familienarbeit zur gemeinschaftlichen Alterssicherung bei. An dieser Verhaltensweise orientiert sich nach wie vor der weit überwiegende Teil der Bevölkerung, und an dieser Verhaltensweise orientiert sich auch unser Rentenversicherungssystem. Auf diese Weise funktioniert die Alterssicherung mit den bereits beschriebenen sehr guten Ergebnissen. Das ist der entscheidende Grund, dieses Alterssicherungssystem zu bewahren und den künftigen Gegebenheiten und Herausforderungen anzupassen. Daß eine kleine Minderheit die Gesellschaft verändern und nach völlig anderen Vorstellungen leben möchte, ist noch lang kein Grund, die von der gesamten Gesellschaft organisierte und getragene Alterssicherung auf die Minderheitenvorstellungen auszurichten. ({12}) Den heutigen Stand der Alterssicherung zu erreichen war schwer genug. Ihn für die Zukunft trotz erheblicher Herausforderungen aufrechtzuerhalten ist das Ziel unseres Reformkonzepts. Wir wollen das erreichte Rentenniveau und die Funktion der Rente als den nach wie vor entscheidenden Bestandteil der Sicherung des Lebensstandards im Alter auch für die Zukunft und für die heute noch erwerbstätigen Altersgruppen erhalten. Diese Aufgabe ist nicht leicht, aber sie ist lösbar. Sie ist deshalb nicht leicht, weil sich der Altersaufbau der Bevölkerung anhaltend verändert und weil diese Entwicklung weit in die Zukunft hineinwirkt. Der Anteil und die Zahl der alten Menschen nehmen aus zwei Gründen zu: Weil sich die Geburtenrate gegenüber den 60er Jahren drastisch vermindert, nahezu halbiert hat und weil ferner die Lebenserwartung erheblich gestiegen ist und weiter steigen wird. Das wirkt sich im System der dynamischen, an die Einkommensentwicklung gekoppelten Rente aus, denn dieses System funktioniert nur unter einer bestimmten unabänderlichen Voraussetzung: Die Renten werden immer im wesentlichen von den gerade erwerbstätigen Arbeitnehmern bezahlt. Dieses Umlagesystem funktioniert relativ reibungslos, wenn sich das zahlenmäßige Verhältnis von Rentenbeziehern auf der einen Seite und von Beitragszahlern auf der anderen Seite gleichbleibend entwickelt. Wenn dagegen die Rentenbezieher mehr und die Beitragszahler weniger werden, dann muß man sich über das Gleichgewicht des Systems Gedanken machen. ({13}) Das heutige Renteniveau konnte seit den 70er Jahren nur mit allmählich steigenden Beitragssätzen aufrechterhalten werden. Zwischen 1977 und 1981 wurden die Rentenanpassungen zudem mehrfach nach unten korrigiert. Davon abgesehen wäre das Rentenniveau höher, wenn seit 1983 nicht eine Beteiligung der Rentner an ihrem Krankenversicherungsbeitrag eingeführt worden wäre. Aber ohne diese Beteiligung der Rentner an ihrer Krankenversicherung hätten die Beitragssätze sogar noch kräftiger steigen müssen, oder der Bund hätte diese Ausgaben zusätzlich tragen müssen. ({14}) Der Bund sah sich dazu aber nicht in der Lage, denn er mußte alle Kraft darauf verwenden, seine Neuverschuldung zu begrenzen. ({15}) Wenn die Zahl der Beitragszahler abnimmt und die der Rentenbezieher zunimmt, das Rentenniveau aber trotzdem erhalten werden soll, so hat das eine zwingende Konsequenz: Für den einzelnen Beitragszahler muß sich der Aufwand erhöhen, d. h. der Beitragssatz muß steigen. Ohne unsere Rentenreform, also unter Beibehaltung des geltenden Rechts, würde sich der Beitragssatz von heute 18,7 % auf 24,8 % im Jahre 2010 erhöhen müssen. Das ist ein Anstieg um 6,1 Prozentpunkte, d. h. um ein Drittel des heutigen Beitragssatzes. Demgegenüber führt unser Reformkonzept bis zum Jahre 2010 zu einem Anstieg des Beitragssatzes um lediglich 2,7 Prozentpunkte auf 21,4 %. Auf der Einnahmenseite beteiligt sich auch der Bund an der Aufbringung der zusätzlichen Lasten. Nach geltendem Recht würde der Bundeszuschuß, den Aufwand für Kindererziehungszeiten eingerechnet, von heute 18,5 % der Rentenausgaben auf 14,3 % im Jahre 2010 absinken. Dieser Rückgang des Bundeszuschusses wird als Folge des Reformkonzepts gerade nicht eintreten, sondern der Bundeszuschuß wird in den kommenden Jahren angehoben und dann be13104 ständig bei 19,2 % der Rentenausgaben bleiben, also noch etwas höher sein als heute. ({16}) Das sind für den Bund allein im Jahre 2010 Mehraufwendungen in Höhe von 14,1 Milliarden DM. Ohne diesen Zusatzbeitrag des Bundes müßte der Beitragssatz im Jahre 2010 um nahezu 1 % zusätzlich angehoben werden. Meine Damen und Herren, die Beteiligung des Bundes an den höheren Lasten wird durch folgende Maßnahmen erreicht. Der Bundeszuschuß wird im Jahre 1990 um 0,3 Milliarden DM und 1991 um 2,3 Milliarden DM erhöht. Hinzu kommen die pauschalierten Erstattungen für Kindererziehungszeiten, die künftig auf den Bundeszuschuß übertragen werden. Die so erreichte Erhöhung des Bundeszuschusses um insgesamt 7,4 Milliarden DM führt in Verbindung mit dem geänderten günstigen Fortschreibungsmodus zu dem aufgezeigten vorteilhaften Ergebnis für die Rentenversicherung. Der Bundeszuschuß wird nämlich künftig nicht mehr allein entsprechend dem Anstieg der Bruttoverdienste fortgeschrieben, sondern zusätzlich entsprechend der Entwicklung des Beitragssatzes in der Rentenversicherung. Der Bundeszuschuß wächst damit künftig, und zwar ausgehend von dem kräftig erhöhten Niveau, in demselben Verhältnis, wie der Beitragssatz steigt. Damit ist gewährleistet, daß der Bund auf die Dauer an der Übernahme der zusätzlichen Lasten beteiligt ist, die sich aus der Veränderung des Altersaufbaus für die Rentenversicherung, also für Beitragszahler und Rentner, ergeben. Die Bemessung des Bundeszuschusses stellt das Äußerste dar, was in sehr langen und mit großer Beharrlichkeit geführten Verhandlungen mit dem Bundesminister der Finanzen erreichbar war. Dabei wird ausdrücklich anerkannt, daß es sich zum einen um ein gutes Ergebnis für die Rentenversicherung handelt und daß zum anderen die finanzpolitische Gesamtverantwortung ein wesentlich anderes Ergebnis selbst bei anderen politischen Mehrheitsverhältnissen nicht zugelassen hätte. Dementsprechend ist bekannt, daß die Rentenpolitiker der SPD mit ihren weitergehenden Vorstellungen zum Bundeszuschuß - jedenfalls bei ihren Finanzpolitikern - keine Unterstützung gefunden haben. Ein Prozentpunkt Bundeszuschuß entspricht derzeit fast 1,7 Milliarden DM. Wer also diesen Zuschuß auf 25 % erhöht wissen will, muß sich mit der Frage befassen, wie die nach heutigem Stand dann erforderlichen Mehraufwendungen von 11 Milliarden DM finanziert werden sollen. ({17}) Vorschläge, wie sie für diese Gelegenheit meist bereitgehalten werden, also z. B. den Verteidigungshaushalt entsprechend zu kürzen, wie man das immer wieder hört, lassen das erkennen, meine Damen und Herren, was der Dichter mit „stiller Einfalt" und „edler Größe" bezeichnet hat. Im Lichte der Realitäten sind solche Forderungen völlig illusionär. ({18}) Meine Damen und Herren, die Rentenreform, über die wir heute beraten, hat den Sinn und steht unter der unweigerlichen Notwendigkeit, die finanziellen Belastungen aller Beteiligten in der Zukunft in einem tragbaren Rahmen zu halten. Daher ist es nicht sinnvoll und auch nicht zu verantworten, die Lasten durch Verschiebung in die Zukunft, also durch Verschuldung, noch zu erhöhen. ({19}) Die Erhöhung des Bundeszuschusses ist trotzdem für viele eine Vorstellung, an der sie festhalten möchten. Zur Begründung verweist man darauf, daß die Veränderung des Altersaufbaus der Bevölkerung und die damit verbundene Zunahme der sogenannten demographischen Last eine Sache der Allgemeinheit und damit eines jeden Steuerzahlers sei. Diese Argumentation hat einen zutreffenden Ansatzpunkt. Eben deshalb wird der Bundeszuschuß in dem aufgezeigten Umfang auch erhöht; aber eine erheblich weitergehende Anhebung, zumal auf die Größenordnung von 25 % oder mehr, brächte schwerwiegende Gefahren mit sich, meine Damen und Herren. Je mehr Finanzierung aus Steuermitteln, desto stärker werden die Forderungen nach der Umwandlung in eine steuerfinanzierte Grundsicherung. Auch aus diesem Grunde sprechen sich viele Befürworter von Grund- oder Mindestsicherungssystemen und einer allgemeinen Volksversicherung für drastische Erhöhungen des Bundesanteils aus. Auch das muß man wissen, meine Damen und Herren. Die Rentenreform muß jetzt eingeleitet werden. Ihre vollen Auswirkungen wird sie erst in Jahrzehnten entfalten, und zwar nicht nur bis zum Jahre 2010, sondern auch in den folgenden Jahrzehnten, auch wenn der Gesetzentwurf von der Fortführung der Modellrechnungen über das Jahr 2010 hinaus abgesehen hat, weil wir den falschen Eindruck auf Grund einer Prognose über so lange Zeiträume hinweg nicht entstehen lassen wollten. Gleichwohl läßt sich aufzeigen - darauf hat auch der Sozialbeirat hingewiesen -, daß durch die Reformmaßnahmen der erforderliche Beitragssatzanstieg im Vergleich zu unveränderter Rechtslage sowohl bis zum Jahre 2010 wie auch bis zum Jahre 2030 jeweils mehr als halbiert wird. Ich glaube, dies ist ein großer Erfolg. ({20}) Es dient der Sache und der Akzeptanz der Reform, daß die SPD dieses Gesetz mitträgt. Dem diente es aber nicht, wenn hier oder anderswo versucht würde, den Eindruck zu erwecken, die sozialen Elemente der Reform und damit deren Ausgewogenheit seien erst der Opposition zu verdanken. Es wäre nämlich sozial viel schonender und verträglicher gewesen, wenn die heutige Opposition schon in den späten 70er oder frühen 80er Jahren eine Rentenreform eingeleitet hätte; denn dazu bestand nach dem Rentendebakel von 1976/77 längst Veranlassung. Ich erinnere daran, daß die Rentenanpassung 1977 um ein halbes Jahr hinausgeschoben wurde und daß auch die folgende Rentenanpassung mit einem weiteren halben Jahr VerzögeGünther rung erst zum 1. Januar 1979 erfolgte. Es gab also seinerzeit innerhalb von drei Jahren nur zwei Rentenanpassungen. Die zweite, nämlich die vom 1. Januar 1979, wurde zudem unterhalb der allgemeinen Lohnzuwächse angesetzt. Dasselbe gilt für 1980 und 1981. In dieser Zeit wurden also die Rentenanpassungen nach der Kassenlage und nicht nach den Grundsätzen der dynamischen, lohnbezogenen Rentenbemessung vorgenommen. Damals ist also vieles versäumt worden. Man hätte dort vieles richtig einleiten können, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU - Scharrenbroich [CDU/CSU]: Aber die Zeiten sind Gott sei Dank überwunden! - Frau Unruh [fraktionslos]: Das waren doch schon 25 ({21}) Nach unserem gemeinsamen Reformkonzept wird für die Rentenanpassungen ab 1992 folgendes gelten: Jährlich zum 1. Juli werden die Renten so angepaßt, wie sich im vorausgegangenen Jahr die Nettoentgelte entwickelt haben. Dabei wird auf die gleichen statistischen Quellen wie nach der bisher geltenden Bruttofortschreibung zurückgegriffen. Durch die so vorgenommenen Nettorentenanpassungen wird das Verhältnis der verfügbaren Renten zu den verfügbaren Arbeitnehmerverdiensten, also das sogenannte Nettorentenniveau, stabilisiert. Es werden aber nicht nur Belastungsveränderungen bei den Arbeitnehmern berücksichtigt, sondern auch die bei den Rentnern, beispielsweise durch Veränderungen der Beiträge der Rentner zur Krankenversicherung. Das Ziel einer gleichgewichtigen Entwicklung von verfügbaren Renten und verfügbaren Arbeitnehmerverdiensten ist im Grundsatz schon seit längerem allgemein akzeptiert. Auch zwischen den Parteien des Rentenkonsenses besteht hierüber Einvernehmen. Das Rückkoppelungsverhältnis zwischen der Anpassung der Renten und der Entwicklung der verfügbaren Arbeitnehmerverdienste sorgt dafür, daß die gemeinsame Lastentragung der Versicherten, des Bundes und der Rentner begrenzt wird; denn wenn Beitragssatzerhöhungen erforderlich werden - und dies wird in Zukunft nicht zu vermeiden sein - , bewirkt das automatisch eine Dämpfung des Rentenanstiegs und einen verstärkten Anstieg des Bundeszuschusses. Diese selbstregulierende Verbindung von Beitragssatz, Bundeszuschuß und Rentenanpassung bewirkt schließlich, daß deren Werte sich künftig Jahr für Jahr von selbst ergeben. Daher werden künftig die Höhe der Rentenanpassung und der erforderliche Beitragssatz im Rahmen präziser gesetzlicher Vorgaben durch Rechtsverordnung der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates festgelegt. Die Höhe des Bundeszuschusses folgt unmittelbar aus diesen Entscheidungen und aus den dafür eigens getroffenen Festlegungen im Rentenreformgesetz und wird jährlich durch das Haushaltsgesetz ordentlich festgestellt. Die Finanzierung der Rentenversicherung ist damit auf eine langfristige und gesicherte Basis gestellt. Sie wird von kurzfristigen Ad-hoc-Entscheidungen und tagespolitischen Einflüssen befreit. ({22}) Auf diese Weise wird das Vertrauen in die Sicherheit der Renten und in die gerechte Behandlung aller an der Rentenversicherung Beteiligten gestärkt. ({23}) Wer diese Entpolitisierung der Rentenversicherung kritisiert, was die GRÜNEN mit der Behauptung tun, der Gesetzgeber entäußere sich hiermit eines Teils seiner Verantwortung, der hat in Wahrheit nicht diese Verantwortung im Sinn, sondern es geht ihm genau um die Verunsicherung, die wir vermeiden wollen, meine Damen und Herren. ({24}) Die GRÜNEN möchten nämlich weiterhin Jahr für Jahr das parlamentarische Forum für die wahrheitswidrige Behauptung behalten, um die Alterssicherung stehe es schlecht, und Altersarmut sei ein Kennzeichen und das Merkmal dieser Gesellschaft. Aber in Wirklichkeit ist ein kennzeichnendes Merkmal dieser Gesellschaft, daß ganz bestimmte Teile dieser Gesellschaft einen staatlich finanzierten und abgesicherten Anspruch auf Altersrente ohne eigene Leistung fordern. Und dieses, meine Damen und Herren, lehnen wir ab. ({25}) - Frau Unruh, damit Sie mit Ihren Zwischenrufen vielleicht mal etwas zurückhaltender sind, ({26}) will ich aus „Glauben und Leben", Nr. 42, 1989, zitieren, wo ein Pastor Johannes Döring schreibt: Der vulgäre Fanatismus der Frau Unruh und der ihr hörigen Funktionäre macht jedoch jedes konstruktive Gespräch unmöglich und schadet letztlich der Sache der alten Menschen selbst. Und das ist der Fall, Frau Unruh. ({27}) Meine Damen und Herren, ich komme zu dem vierten Aktionsfeld, das zur Stabilisierung der Rentenfinanzen zur Verfügung steht. Das sind die Vorschriften über den Eintritt in den Ruhestand. Es geht um die Frage der Lebensarbeitszeit. Dabei ist vor allem eines hervorzuheben: Der Begriff „Anhebung der Altersgrenzen" ist mißverständlich. Man darf darunter nicht verstehen, daß nach vollem Inkrafttreten der sogenannten Anhebung niemand mehr vor Vollendung des 65. Lebensjahres in Rente gehen könnte. Vielmehr können vorgezogene Altersruhegelder auch dann noch in Anspruch genommen werden. Das führt allerdings für jedes Jahr der vorzeitigen Inanspruchnahme zu einer Minderung der Rente um 3,6 %. Wer will, kann jedoch auch über das 65. Lebensjahr hinaus erwerbstätig bleiben und noch keine Rente beziehen. In diesem Fall erhöht sich seine spätere Rente um 6 % für jedes hinausgeschobene Jahr. Von all dem nicht betroffen ist die Altersgrenze von 60 Jahren für Berufs- und Erwerbsunfähige, Schwer13106 behinderte und langjährige unter Tage beschäftigte Bergleute. Diese Altersgrenzen können weiterhin ohne Abstriche in Anspruch genommen werden. Diesem Konzept liegt die unbestreitbare Überlegung zugrunde, daß die durchschnittliche Rentenlaufzeit den Finanzierungsbedarf der Rentenversicherung erheblich beeinflußt. Die heutige Ausgestaltung der Rentenversicherung, also die Möglichkeit, ohne jede versicherungstechnische Rücksicht auf die Rente bereits mehrere Jahre vor der Regelaltersgrenze die Rente zu beziehen, läßt sich auf Dauer nicht mehr rechtfertigen. Denn allen Beitragszahlern und allen Rentnern zusätzliche Lasten auferlegen und gleichzeitig den einzelnen von der finanziellen Verantwortung und zu Lasten der Versichertengemeinschaft insgesamt freizustellen, das ist miteinander nicht zu vereinbaren. ({28}) Vielmehr muß das Umgekehrte gelten. Wer seine Lebensarbeitszeit verlängert und von der Möglichkeit eines Rentenbezugs später Gebrauch macht, der trägt zur Bewältigung der wachsenden finanziellen Lasten für die Alterssicherung durch ein Mehr an Beitragszahlung bei. Wir geben also in dem Aktionsfeld Lebensarbeitszeit nicht einfach das Stichwort „Heraufsetzung der Altersgrenze", sondern im Vordergrund steht das Stichwort „Flexibilisierung der Altersgrenzen". Die Versicherten erhalten mehr Wahlmöglichkeiten, und sie erhalten dabei die neuartige Möglichkeit des Bezugs einer Teilrente. Teilrente kann in Höhe von einem Drittel, der Hälfte oder von zwei Dritteln der sonst zustehenden Vollrente bezogen werden. Dabei sind die Hinzuverdienstmöglichkeiten entsprechend abgestuft. Daß der Gesetzgeber auf dem Sektor der Lebensarbeitszeit reagieren muß, kann höchstens bestreiten, wer die Realitäten nicht wahrhaben will, meine Damen und Herren. Zu diesen Realitäten gehört, daß sich die Lebensarbeitszeit tendenziell vermindert hat, weil der Eintritt in das Erwerbsleben infolge längerer Ausbildungszeiten zunehmend hinausgeschoben ist. Eine zweite Realität ist die erheblich gestiegene und weiterhin steigende Lebenserwartung. Das ist gleichbedeutend mit einer längeren Rentenbezugsdauer und damit ansteigenden Rentenausgaben. Deshalb mußten auf diesem Feld Änderungen eingeleitet werden, auch wenn sich diese Änderungen zunächst noch ziemlich geringfügig auswirken. Dabei gehe ich davon aus, daß diese Auswirkungen in späteren Jahrzehnten stärker als bis zum Jahre 2010 zur Finanzstabilität beitragen werden. Denn nach diesem Zeitpunkt wird sich die Veränderung des Altersaufbaus erheblich stärker bemerkbar machen, als das zunächst der Fall ist. Sie sehen also, daß wir auch an die Zeit nach dem Jahre 2010 gedacht haben. Das Instrument der Lebensarbeitszeit hat für die Bewältigung der Zukunftsherausforderungen in der Rentenversicherung mehr Bedeutung, als man sich auf manchen Seiten eingestehen will. Welche Chancen in unserem Flexibilisierungskonzept liegen, wird man in vollem Ausmaß erst bei schrumpfendem Erwerbspersonenpotential und gleichzeitig zunehmender Rentnergeneration erkennen. Mit diesem Instrument kann sich die Rentenversicherung nämlich sehr wirksam selbst helfen, ohne das Einkommensniveau von Rentnern und Erwerbstätigen abzusenken. Ich komme nun zu dem Teil der Reform, den es besonders zu würdigen gilt. Ich meine die familienbezogenen Elemente und dabei an herausragender Stelle die Anerkennung und fortschreitende Berücksichtigung der Kindererziehung. Ich halte das für evident: Wenn die Alterssicherung vom Umlagesystem abhängt, aber das Potential der Beitragszahler an Nachwuchsschwund leidet, muß man hier ansetzen. ({29}) Das hat nichts mit Bevölkerungspolitik zu tun, sondern mit Vernunft und mit der Verbesserung der sozialen Sicherung der Frauen, ({30}) die Familienarbeit und Kindererziehung leisten, dafür Erwerbsarbeit zeitweilig zurückstellen und dadurch Nachteile bei ihrer Alterssicherung erleiden würden, wenn wir das nicht ausbügelten. ({31}) Manche Gruppen in unserer Gesellschaft haben anderes im Sinn. Der Gedanke - auch wenn es nicht so klar ausgesprochen wird - ist: Die Erwerbsquote der Frauen soll gesteigert werden, denn heute liegt sie nur bei gut 50 oder 55 %. Dahinter steht das Gesellschaftsbild: Nur Erwerbstätigkeit führt zur Selbstverwirklichung der Frau. Die Kindererziehung wird dabei aus der Familie in die Verantwortung der Gesellschaft verlagert. ({32}) Unsere Vorstellung ist das nicht. Wir wissen, daß viele Frauen eine ausgeprägte Familienphase anstreben und erst danach das Schwergewicht wieder auf eine Berufstätigkeit legen möchten. ({33}) - Frau Däubler-Gmelin, ich habe gesagt: viele. ({34}) Der Wiedereinstieg in den Beruf ist das Problem, nicht die unbedingte Beibehaltung der Erwerbstätigkeit während der Phase der Kindererziehung und Familienarbeit. Noch eine Bemerkung: Von den Kindern ist bei allem Verständnis und aller Sympathie für die berechtigten und allzuoft vernachlässigten Belange unserer Frauen manchmal sehr wenig oder gar nicht die Rede. Im übrigen sind wir der Auffassung, daß die Ehepartner sehr gut selbst entscheiden können, was sie wollen. Sie brauchen keinen Vormund. ({35}) Aus diesen Gründen wollen wir die rentenrechtliche Anerkennung der Kindererziehung erweitern. Rentensplitting, Beitragssplitting - das sind Irrwege. Sie laufen darauf hinaus, die Folgen der Ehescheidung von vornherein zum Regelfall zu machen. Eine Ehescheidung und ihre rentenmäßigen Folgen führen bei Normalverdienern meistens zu zwei Sozialhilfefällen. Das kann kein Modell für eine Reform der Alterssicherung sein. Wer dennoch dafür eintritt, meine Damen und Herren, hat entweder keine Ahnung oder anderes im Sinn, nämlich die Grundrente. Unser Konzept ist demgegenüber die Familienrente. Sie setzt sich zusammen aus der Rente des Mannes und der Rente der Frau, die einen wesentlichen Bestandteil aus Zeiten der Kindererziehung hat. Kein anderes Konzept ist realisierbar. Die Teilhaberente als einzige überhaupt ernsthafte Alternative war nicht machbar. Das mußten alle verantwortlichen politischen Kräfte in den Jahren 1984 und 1985 erkennen. Deshalb hat die Koalition das Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeitengesetz seinerzeit beschlossen. Diese vorbereitende Reform, mit der ein Auftrag des Bundesverfassungsgerichts zur Gleichbehandlung von Männern und Frauen in der Rentenversicherung erfüllt wurde, ist eine ganz wesentliche Grundlage der jetzt beratenen Rentenreform 1992. Unser Alterssicherungssystem funktioniert nicht durch mehr oder weniger beständige oder unbeständige und unverbindliche Lebensgemeinschaften. Die Institution der Familie ist mitnichten überholt. Im Gegenteil, wenn es auch in Zukunft eine verläßliche Alterssicherung geben soll, dann ist das nicht durch Förderung der Aussteigermentalität zu erreichen und genausowenig durch Förderung der Lebensgemeinschaft auf Zeit. In diesen Lebensformen will niemand dauerhafte Verantwortung für den anderen übernehmen, schon gar nicht für den Zeitraum von Generationen. ({36}) Deshalb, meine Damen und Herren, liegt die Zukunft der Rentenversicherung auch ganz entscheidend in ihrem familienpolitischen Ausbau. Wenn dieses Gesetz heute verabschiedet wird - darüber gibt es sicher keinen Zweifel -, kann in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen - möglicherweise ist er bereits entstanden -, daß die Bedeutung dieses Gesetzes nicht so groß ist; dieses deshalb, weil es über die ganzen Monate hinweg kein großes Getöse in der Öffentlichkeit und auch keine veröffentlichten Meinungen gegeben hat. - Genau das Gegenteil ist aber der Fall. Die Bedeutung des Gesetzes und die Tragweite der Entscheidungen waren Grundlage des Konsens zwischen CDU/CSU, FDP und SPD sowie der Bundesregierung. Dazu gehörte auch die Übereinstimmung der Beteiligten, die schwierigen Arbeiten nicht durch verzichtbare Pressearbeit zu belasten. Dies hat funktioniert. Ich stelle dies mit Genugtuung fest. ({37}) Vielleicht ist gerade wegen des Fehlens der sonst üblichen Begleitung durch Veröffentlichungen unterschiedlicher Art ein so gutes Gesetz herausgekommen. Ich gehe soweit, daß dieses nach 1957 der zweite historische Tag für die deutsche Rentenversicherung ist. Nach langer Beratungszeit bedanke ich mich bei den Vertretern der am Konsens beteiligten Fraktionen, beim Ausschußbüro und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, ({38}) bei der Bundesregierung und hier besonders beim Bundesarbeitsminister mit seiner hervorragenden Mannschaft. ({39}) Ich darf mich heute im Plenum ausnahmsweise auch einmal bei meinen eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bedanken. ({40}) Ich danke auch herzlich für die gute Zuarbeit und Dialogbereitschaft vieler Fachleute, besonders der Rentenversicherungsträger. Ich tue das für meine Fraktion, aber ausdrücklich auch ganz persönlich. Sie alle haben dazu beigetragen, daß wir eine neue Rentensicherheit für Jahrzehnte beschließen und ein Gesetz verabschieden, das von hohem Rang und großer sozialpolitischer Bedeutung für unsere Bürger ist. Deshalb wird unsere Fraktion diesem Gesetz mit Freude zustimmen. Ich danke Ihnen. ({41})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Die Abgeordnete Frau Unruh hat das Wort zu einer persönlichen Erklärung nach § 30 unserer Geschäftsordnung. Frau Unruh, es geht nur um eine persönliche Erklärung, um eine direkte Erwiderung, nicht darum, eine Aussage in der Sache zu machen.

Gertrud Unruh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002358, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Frau Präsidentin! Haben Sie keine Befürchtungen, daß ich diese Worterteilung ausnutzen werde. Ich habe nicht einmal mehr den Text im Kopf, aber ich weiß, daß, angezettelt von einem 30jährigen Pfarrer, eine Verleumdungskampagne gegen Graue Panther und Trude Unruh läuft. Ich habe die Evangelische Landeskirche eingeschaltet. Einmal war zuständig Rheinland, dann war Rheinland wieder nicht zuständig. Jetzt ist die Evangelische Landeskirche Westfalen mit Sitz in Bielefeld zuständig. ({0}) Eins ist für mich wichtig zu wissen: Wenn es aus dem kirchlichen Glauben heraus ein Stück Gerechtigkeit gibt, ({1}) mein Herr - ich hoffe nicht, daß ich die Staatsanwaltschaft einschalten muß -, ({2}) dann, verehrte Volksvertreter und Volksvertreterinnen, werden Sie im christlichen Grundwert eine andere Politik machen. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Dreßler.

Rudolf Dreßler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000420, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute bringt die sozialdemokratische Bundestagsfraktion zusammen mit CDU/CSU und FDP ein Projekt zum Abschluß, das wohl mit Recht als außergewöhnlich, ja einmalig in der Parlamentsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland gelten kann. Ausgehend von sehr unterschiedlichen Positionen haben wir uns in der Frage der finanziellen Sicherung der Renten, über die in den vergangenen 15 Jahren oft erbittert gestritten wurde, auf ein gemeinsames Konzept geeinigt. Ein solcher Regierung, Parteien und Opposition übergreifender Konsens kann in einer auf Parteienkonkurrenz angelegten Demokratie nicht die Regel sein. Er muß eine Ausnahme bleiben; eine Ausnahme, die vor allem deshalb geboten ist, weil es sich bei der Rentenreform um die Regelung eines der Grundtatbestände des Sozialstaates handelt. Wozu es führt, wenn diese Grundbausteine in Konfrontation behandelt werden, beweist schlagend die sogenannte Gesundheitsreform. Dieses Drama durfte sich bei den Renten nicht wiederholen. Insoweit hat der Konsens auch Signalwirkung für die politische Kultur. ({0}) Gerade die zurückliegenden eineinhalb Jahrzehnte, Herr Scharrenbroich, in denen die Rentenversicherung, von kurzen stabilen Phasen abgesehen, ständig im Gerede, ständig Gegenstand von hektischen Reparaturversuchen und Munition in Wahlkämpfen gewesen ist, haben gezeigt, daß die parteipolitischen Polarisierungen oft vorausschauende Reformen und solide Problemlösungen unmöglich gemacht haben. ({1}) Beide Seiten, Regierung und Opposition - gleich welcher Couleur - , haben sich das Rententhema so heftig um die Ohren geschlagen, daß sie meistens zu nicht mehr in der Lage waren, als die Lösung der langfristigen Probleme zu vertagen, ({2}) kurzfristig Löcher zu stopfen und Milliardenbeträge hin und her zu schieben. ({3}) Die Folge war, daß unabhängig von der jeweiligen politischen Mehrheit nicht weniger als neun Konsolidierungsgesetze innerhalb von 13 Jahren beschlossen worden sind. Mit dem jetzt vorgelegten gemeinsamen Gesetz von SPD, CDU/CSU und FDP soll die 15jährige Turbulenzphase der Rentenversicherung abgeschlossen werden. ({4}) Es wird - so hoffen wir - künftig keine Notwendigkeit mehr bestehen, von Fall zu Fall mehr oder weniger willkürlich in das Rentenrecht einzugreifen und mit immer neuen Finanztransaktionen für die Zahlungsfähigkeit zu sorgen. Mit diesem Gesetz treffen wir vielmehr eine ordnungspolitische Grundsatzentscheidung über die angemessene und sozial ausgewogene Verteilung der künftigen Belastungen auf Rentner, Beitragszahler und Staat. ({5}) Auf der Basis dieser Grundsatzentscheidung schaffen wir einen automatischen Regelmechanismus, der die Rentenversicherung künftig steuern wird und für die nächsten zwei Jahrzehnte Korrekturen durch den Gesetzgeber überflüssig machen soll. Wir schaffen die gesetzlichen Grundlagen, meine Damen und Herren, für einen Regelmechanismus zur sozial ausgewogenen Lastenverteilung. Ob er in der politischen Praxis funktionieren wird, hängt davon ab, inwieweit die an diesem Reformgesetz beteiligten Parteien der Versuchung widerstehen werden, das Erreichte wieder zu zerreden. ({6}) Die Reform, die jetzt beschlossen wird, hält so lange und schafft so lange Sicherheit, wie der politische Konsens in den Eckwerten bestehenbleibt. Das heute zur Verabschiedung anstehende Rentenreformgesetz trägt in wesentlichen Teilen sozialdemokratische Handschrift. Erstens. Der Grundgedanke des Ganzen, die ausgewogene Lastenverteilung auf Rentner, Beitragszahler und Staat, ist zuerst von Sozialdemokraten entwickelt und jetzt im Gesetz verankert worden. Zweitens. Das Konzept des automatischen Regelmechanismus wurde von Sozialdemokraten entwikkelt. Der heutige Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, der Kollege Jürgen Egert, hat es erstmals im Dezember 1980 öffentlich vorgestellt. Drittens. Die neue Rentenformel, die sowohl die allgemeine Komponente der Neufestsetzung der Rente als auch die Anpassung der Bestandsrenten an die Entwicklung der Nettolöhne bindet und auf diese Weise die Teilhabe der Rentner an der wirtschaftlichen Entwicklung mit ihrer Teilhabe am demographischen Risiko kombiniert, entspricht dem Gesetzentwurf, den die SPD-Fraktion bereits im Jahre 1984 im Deutschen Bundestag eingebracht hat. Das gilt übrigens auch für die beiden vorher genannten Punkte. Viertens. Auf unser Drängen ist die Beteiligung des Bundes an der wachsenden Alterslast wesentlich verbessert worden. Die neue Bundeszuschußformel entspricht haargenau der aus dem SPD-Gesetzentwurf von 1984. Fünftens. Die SPD-Forderung einer Rente nach Mindesteinkommen ist zwar nicht zur Dauerlösung ausgebaut, aber doch auf alle Beitragszeiten bis zum 31. Dezember 1991 verlängert worden. Damit werden auf jeden Fall bis etwa zur Jahrtausendwende entsprechend sozialdemokratischen Zielvorstellungen die nachteiligen Folgen niedriger Arbeitslöhne auf die Renten ausgeglichen. Sechstens. Ein Fortschritt ist es auch, daß die Rentenversicherungsbeiträge der Bundesanstalt für Arbeit spürbar erhöht werden. Die Rentenversicherung wird dadurch wesentlich unabhängiger von den Risiken der Arbeitsmarktentwicklung. Das gilt auch, obwohl wir die Beitragsbemessung entsprechend dem vollen Bruttolohn nicht durchsetzen konnten, und das gilt auch, obwohl wir gewisse Rentenverschlechterungen für Bezieher von Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Krankengeld hinnehmen mußten. ({7}) Aus unserer Sicht ist dies ein wirklich schmerzliches Zugeständnis. Siebtens. Ein ganz wesentliches Verhandlungsergebnis, das unsere Zustimmung möglich machte, ist das Hinausschieben des Beginns der Erhöhung der Altersgrenzen von 1995 auf 2001, also um sechs Jahre, und das Hinausschieben der Wirksamkeit der Lebensarbeitszeitgrenze von 65 Jahren von 1998 auf 2006, also um acht Jahre. Damit sind, soweit es heute vorhersehbar ist, schädliche Folgen für den Arbeitsmarkt auszuschließen. Dazu zählt aber auch, daß die SPD-Forderungen für Schwerbehinderte und Untertagebeschäftigte im Bergbau, die Altersgrenze von 60 Jahren zu halten, erfolgreich waren. Sollte es notwendig sein, wird darüber hinaus der ab 1997 gesetzlich vorgeschriebene Bericht jeder amtierenden Bundesregierung, gleich welcher Partei, über die Arbeitsmarktwirkungen die Grundlage für die jährliche Überprüfung dieser Entscheidung sein. Achtens. Mit dem Einstieg in die Harmonisierung der Alterssicherungssysteme, den es zusammen mit dem Rentenreformgesetz geben wird, hat die SPD einen strategischen Durchbruch erzielt. Zum erstenmal hat die Erkenntnis, daß die demographische Entwicklung und die wachsende Alterslast nicht nur ein Problem der gewerblichen Arbeitnehmer und Angestellten der Privatwirtschaft sind, ({8}) zu gesetzgeberischen Konsequenzen geführt. Indem wir nun auch die Beamtenversorgung einschließlich der Ministerversorgung und die Abgeordnetenversorgung in die Konsolidierung einbeziehen, tun wir einen ersten entscheidenden Schritt. ({9}) Meine Damen und Herren, die SPD-Bundestagsfraktion findet im Rentenkompromiß viele ihrer eigenen Positionen wieder. Sie wird die Eckwerte des Gesetzespaketes, das heute beschlossen wird, auch künftig als Ausgangsbasis sozialdemokratischer Alterssicherungspolitik betrachten. Wer für langfristige Verläßlichkeit unseres Rentensystems eintritt, muß populistischen Versuchungen widerstehen. ({10}) Niemand sollte sich in den kommenden Wahlkämpfen zu leichtfertigen Versprechen hinreißen lassen ({11}) und die, gemessen an den jeweils eigenen Vorstellungen, weniger erfreulichen Teile aus dem Gesetz herausbrechen, ({12}) um auf diese Weise das Reformpaket wieder aufschnüren zu wollen. ({13}) Ich kann davor nur warnen, meine Damen und Herren! ({14}) Der Rentenreformgesetzentwurf der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP beruht auf einer Hochrechnung der langfristigen demographischen Entwicklung und der Finanzierungslasten, die sich daraus für die Alterssicherungssysteme ergeben. Die grundsätzliche Einschätzung des Konsolidierungsbedarfs und des Konsolidierungsvolumens hat sich seit der Einbringung des gemeinsamen Gesetzentwurfes nicht geändert, ({15}) und zwar trotz guter Konjunkturlage und trotz leichter Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt. ({16}) Es wäre überhaupt völlig unsinnig, die auf Jahrzehnte angelegten Kalkulationen, die den rentenpolitischen Entscheidungen zugrunde liegen müssen, jeweils nach der augenblicklichen wirtschafts-, finanz- und arbeitsmarktpolitischen Stimmungslage zu wechseln wie das Hemd. ({17}) Auch die Zuwanderung von Aus- und Übersiedlern gibt keinen Anlaß, von den Maßnahmen, die heute beschlossen werden sollen, abzurücken. ({18}) Welches zahlenmäßige Ausmaß die Zuwanderung haben wird, kann niemand wissen. Aber selbst wenn sie anhalten sollte, wäre doch die finanzielle Entlastung, gemessen an der demographischen Alterslast, die wir zu bewältigen haben, ({19}) von untergeordneter Bedeutung. Sehr langfristig, wenn nämlich die jungen Aus- und Übersiedler, die heute zu uns kommen, selbst im Rentenalter sein werden, kehrt sich der Entlastungseffekt sogar in eine Mehrbelastung um. Aus diesen Gründen sind auch die Rechenübungen der GRÜNEN, mit denen die angebliche Verzichtbarkeit der Rentenreform nachgewiesen werden soll, blanker Unsinn, meine Damen und Herren. ({20}) Wie unseriös die GRÜNEN ans Werk gehen, zeigt folgendes Beispiel. In ihrem Entschließungsantrag zur dritten Lesung sprechen sie davon, daß nach Rechnung des Instituts der deutschen Wirtschaft im Zeitraum von 2001 bis 2005 Entlastungen von 19 bis 33 Milliarden DM durch Aussiedler erwartet werden. Dabei wird verschwiegen, daß es nicht jährlich um den Betrag von 19 bis 33 Milliarden geht, sondern daß diese Zahlen die über fünf Jahre aufsummierte Entlastung darstellen. Aber selbst wenn man mit aufsummierten Zahlen rechnet, ohne das kenntlich zu machen, kann man das relative Gewicht der Entlastung nur dann richtig einschätzen, wenn man es mit den Ausgaben der Rentenversicherung vergleicht. Unter der Voraussetzung, daß die Rentenreform wie vorgesehen verwirklicht wird, summieren sich aber die Ausgaben der Rentenkassen von 2001 bis 2005 nach den jetzt vorliegenden Modellrechnungen auf sage und schreibe 1,7 Billionen oder 1 700 Milliarden DM. ({21}) - Eine Sekunde, Frau Kollegin. - Die maximal 33 Milliarden DM Entlastung, die Frau Beck-Oberdorf und Herrn Hoss veranlaßt haben, ihr Szenario zu entwickeln, stehen dazu im Verhältnis von einem Bruchteil; es sind noch nicht einmal 0,2 % der Rentenausgaben. ({22}) Frau Kollegin, ich finde es kläglich, daß sich die GRÜNEN mit einem derart manipulativen Gebrauch von Zahlen und Fakten um eine wirkliche Entscheidung, die hier heute ansteht, herumdrücken wollen. ({23})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Dreßler, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Beck-Oberdorf?

Rudolf Dreßler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000420, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Dreßler, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß es nicht darum ging, die Rentenreform jetzt wie das Hemd zu wechseln, sondern daß wir lediglich gesagt haben: Diese Zahlen geben Zeit zu Aufschub, noch einmal neu nachzudenken, sich an wirkliche Strukturreformen heranzuwagen und nicht nur eine Finanzreform zu machen wie die, die jetzt vorgelegt worden ist?

Rudolf Dreßler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000420, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, vielleicht könnten sich die GRÜNEN einmal davon überzeugen, daß nach dem letzten Rentenanpassungsbericht von 1988 allein bis zum Jahre 2002 selbst bei sehr optimistischen Beschäftigungsannahmen 345 Milliarden DM in den Rentenkassen fehlen werden, daß angesichts dieser Summe ein Plus von 2 oder auch 4 Milliarden DM bei den Beitragseinnahmen beispielsweise von 1989 gegenüber früheren Schätzungen noch nicht einmal den Tropfen auf den heißen Stein bedeuten würde ({0}) und daß die Zahlen des Instituts der deutschen Wirtschaft, die ich Ihnen gerade auseinandergelegt habe, genau das gleiche bedeuten: nicht einmal den Tropfen auf den heißen Stein, 0,2 % der Rentenausgaben, Frau Kollegin. Bei dieser abzusehenden defizitären Lage den Mut zu haben, dem Bundestag vorzuschlagen, das Gesetz auszusetzen und damit die Zahlungsunfähigkeit der Rentenversicherung in Kauf zu nehmen, ist, muß ich Ihnen sagen, schon ein verdammt starkes Stück. ({1}) Ich will noch etwas hinzufügen: 1972 ist es in der Rentenpolitik schon einmal passiert, daß man sich an papiernen Milliarden berauschte und sich zu Entscheidungen verleiten ließ, deren finanzielle Folgen später nicht mehr beherrschbar waren. Die SPD hat aus dieser Erfahrung Lehren gezogen. Wenn die GRÜNEN diesen Fehler sehenden Auges wiederholen möchten, ist das natürlich ihre Sache. Aber vielleicht befassen sich die Kolleginnen und Kollegen der GRÜNEN wenigstens einmal intensiv mit den Zahlen sowie mit den Unsicherheiten und Risiken, die in solchen Schätzungen liegen. ({2}) Dann müßte es Ihnen doch eigentlich dämmern, daß man eine momentan bessere Konjunkturlage und gegenwärtige Aus- und Übersiedlerzahlen nicht einfach auf 20 Jahre in die Zukunft fortrechnen und darauf rentenpolitische Grundsatzentscheidungen aufbauen kann. Frau Kollegin Beck-Oberdorf, das ist nicht nur unsolide, sondern das ist auch verantwortungslos. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage?

Rudolf Dreßler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000420, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Dreßler, sind Sie bereit, hinzunehmen, daß wir uns vor allen Dingen mit den Zahlen von Altersarmut beschäftigt haben und daß uns diese Zahlen dazu veranlaßt haben, zu sagen: Halt, stop, so darf nicht weitergemacht werden; wir brauchen eine Rentenreform, die vor allen Dingen der Altersarmut zu Leibe rückt? Das wäre das Wichtige gewesen.

Rudolf Dreßler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000420, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin Beck-Oberdorf, es ist gut, daß sich die Fraktion der GRÜNEN mit der bestehenden Altersarmut in der Bundesrepublik auseinandersetzt. Das macht auch die SPD-Fraktion. Sie wissen, daß wir das Konzept der sozialen Grundsicherung haben. Es war in den Verhandlungen nicht zu erreichen, dieses eigenständige Konzept mit in das Reformwerk zu übernehmen. ({0}) Darum wird die SPD-Fraktion weiterhin für dieses Konzept werben und, wenn wir entsprechende Mehrheiten haben, es auch verwirklichen. ({1}) Sie sind herzlich eingeladen, daran mitzuwirken. Meine Damen und Herren, im letzten Heft der Fachzeitschrift des Verbandes deutscher Rentenversicherungsträger haben Mathematiker der Rentenversicherung detaillierte Berechnungen über die Auswirkungen der Aussiedlerzahlen veröffentlicht. Das sollten sich auch die GRÜNEN einmal informativ zu Gemüte führen. Auf Grund der dortigen Zahlen hätten Sie nämlich die Chance gehabt, zu begreifen, daß selbst eine Zuwanderung von 3,55 Millionen Aussiedlern bis zum Jahre 2010 nur eine Entlastung von 0,8 des Ausgabenvolumens der Rentenversicherung ergeben würde. Nach den demographischen Berechnungen des Verbandes deutscher Rentenversicherungsträger müssen heute 100 Beitragszahler rund 57 Renten finanzieren. Im Jahre 2030 werden es zweieinhalbmal so viele, nämlich 143 sein, und zwar ohne Aussiedlerzuwanderung. ({2}) Berücksichtigt man den Aussiedlerzuzug, dann sinkt die Zahl der von 100 Beitragszahlern zu finanzierenden Rentner lediglich von 143 auf 140. Soll das denn wirklich die Lösung sein? Nein, die Aussiedler taugen nicht als Ausrede dafür, die Rentenreform aus welchen Gründen auch immer nicht zu wollen. ({3}) Auch die Planungsgrundlagen, die für das vorliegende Gesetz maßgeblich waren, geben keinen Anlaß zu einer Revision. Deswegen werden wir die Grunddaten des Konsolidierungskonzeptes, auch diejenigen, die die Beteiligung des Bundes betreffen, beibehalten. Die Frage der Verlängerung der Lebensarbeitszeit hat in der öffentlichen Diskussion dabei eine besondere Rolle gespielt. Für die SPD-Bundestagsfraktion ist die Entscheidung sehr, sehr schwierig gewesen. Wir haben zwar keinen Zweifel daran gelassen, daß die Erhöhung der Altersgrenzen langfristig aus demographischen und finanziellen Gründen unausweichlich ist - das entspricht auch dem Beschluß unseres Bundesparteitages von Münster aus dem Jahre 1988 -; aber wegen der auf längere Sicht ungewissen Auswirkungen auf die noch immer hohe Arbeitslosigkeit hätte die SPD derzeit noch auf eine gesetzliche Regelung verzichtet. Uns ist es aber gelungen, die Erhöhung der Altersgrenzen beträchtlich zu verschieben und ab dem Jahre 1997 den bereits von mir erwähnten Überprüfungsmechanismus zu vereinbaren. Jeder muß wissen: Erst die Überprüfungsklausel, verbunden mit der Verschiebung der Lebensarbeitszeitverlängerung für acht Lebensjahrgänge - das betrifft ca. eine Million Männer und Frauen - , hat es vielen Mitgliedern der SPD-Bundestagsfraktion überhaupt erst möglich gemacht, dem Rentenreformgesetz zuzustimmen. Wir werden diese Entscheidungen sorgfältig überprüfen, und zwar genau zu dem Zeitpunkt und unter genau den Kriterien, die im Gesetz festgelegt sind, d. h. ab dem Jahre 1997 an Hand des Berichtes jeder Bundesregierung über die finanz- und arbeitsmarktpolitischen Auswirkungen der beabsichtigten höheren Altersgrenzen im nächsten Jahrtausend. Nur wenn die an diesem Rentenkonzept beteiligten Parteien auch in Zukunft Beständigkeit und Verläßlichkeit beweisen, hat die ganze Mühe, der wir uns unterzogen haben, überhaupt einen Sinn gehabt. Die SPD wird es daran nicht fehlen lassen und erwartet das gleiche auch von den anderen beteiligten Fraktionen. Jeder muß sich vor Augen führen: Wer Teile in Frage stellt, gefährdet das Ganze. Wer an seine eigene spezielle Klientel Wahlgeschenke verteilen möchte, der sollte sich nicht der Illusion hingeben und meinen, er könne das Thema Renten- und Beamtenversorgung aus den kommenden Wahlkämpfen heraushalten. Diese eindringliche Mahnung kann allerdings auch nicht bedeuten, daß auf dem Gebiet der Alterssicherung zukünftig Stillstand der Gesetzgebung eintreten wird. Das heute zu verabschiedende Rentenreformvorhaben ist ein wichtiges Gesetz, aber es erledigt nicht alle Probleme. Was nunmehr geregelt wurde, soll nach unserer Auffassung möglichst lange Bestand haben. Was noch nicht geregelt wurde, ist Aufgabe für die Rentenpolitik der 90er Jahre. Dazu will ich einige Akzente setzen: Erstens. Gegenüber den an diesem Gesetz mit uns beteiligten Parteien CDU/CSU und FDP haben wir nie Zweifel daran gelassen, daß mit der jetzt gefundenen Gemeinsamkeit für die SPD weder die soziale Grundsicherung noch der Wertschöpfungsbeitrag erledigt sind. ({4}) Im Gegenteil: Das ausdrückliche Festhalten an diesen beiden Forderungen, über die keine Übereinstimmung zu erzielen war, ist für uns gleichsam Geschäftsgrundlage. Nur auf deren Basis konnten wir dem Gesamtpaket unsere Zustimmung geben. Unser Bemühen, in den 90er Jahren diese beiden Projekten umzusetzen, ist keine Abkehr vom Konsens, sondern dessen Vervollständigung. Ein gleiches gilt auch für die umfassende Sozialversicherungspflicht aller Er13112 werbstätigen und für die weitgehende Abschaffung der Geringfügigkeitsgrenze. ({5}) Zweiter Punkt. Keiner der Fachleute bestreitet, daß das Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrecht in den 90er Jahren neu geordnet werden muß. Nach unserer Auffassung müssen dabei die Überlegungen über das Rentenrecht im engeren Sinne hinausgehen und den gesamten Komplex der Rehabilitation und der Bekämpfung der Frühinvalidität umfassen. Mit der Verlängerung der Lebensarbeitszeit in 16 Jahren haben wir zugleich die sozialpolitische Verpflichtung übernommen, zukünftig auch zu verhindern, daß die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von den Belastungen des längeren Arbeitslebens überfordert werden. Hier sind erhebliche Anstrengungen der Politik notwendig. ({6}) Daß dieses Rentenreformgesetz an den Erwerbs-und Berufsunfähigkeitsrentenregelungen nichts ändert, daß Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten nach wie vor mit 60 Jahren in eine normale Altersrente ohne Abschläge umgewandelt werden, darf nicht Veranlassung sein, dieses wichtige Thema weiter unbehandelt zu lassen. Aus sozialdemokratischer Sicht haben wir selbstverständlich die Forderungen nach Sonderregelungen für Beschäftigte in gesundheitlich besonders belastenden Berufen und Tätigkeiten, z. B. für Schichtarbeiter, einzubringen. Wir werden auch Überlegungen zur Neuordnung der Rehabilitation und der Entschädigung der Opfer von Straßenverkehrsunfällen in die Reformdiskussion einbringen. Drittens. Zu den Problemen, die mit dem Rentenreformgesetz 1992 nicht gelöst werden konnten, gehören auch die Alterssicherung der Frauen und die rentenrechtliche Anerkennung der Kindererziehung. Wir sind uns in der SPD-Bundestagsfraktion bewußt, daß mit der bloß schematischen Ausdehnung der 1986 gefundenen Erziehungszeitenregelung auf das zweite und dritte Jahr für Geburten ab dem 1. Januar 1992 die berechtigten Erwartungen vieler Frauen noch nicht erfüllt worden sind. Nach unserer Auffassung kommt es darauf an, die im ersten Anlauf gescheiterte Reformdiskussion über die eigenständige Sicherung der Frauen aufzugreifen und zum erfolgreichen Abschluß zu bringen. ({7}) An dieser Stelle möchte ich noch eine Anmerkung zum Kindererziehungsjahr machen. Dieses Thema hat während der gesamten parlamentarischen Beratung für heftige Auseinandersetzungen und Emotionen gesorgt. Wir bedauern, daß es dabei zu keiner für die erwerbstätigen Mütter zufriedenstellenden Lösung gekommen ist. ({8}) Für die SPD bleiben insofern Wünsche offen, die mit dem jetzigen Gesetz nicht erledigt sind. Trotzdem wäre es vernünftig, jetzt zunächst eine Denkpause einzulegen im Sinne einer Pause für das Denken und nicht vom Denken. ({9}) Ziel sollte es sein, die Forderungen nach Verbesserung der Erziehungszeitenregelung nicht mehr so isoliert wie bisher weiterzuverfolgen, sondern vielmehr im konzeptionellen Zusammenhang der eigenständigen Alterssicherung der Frauen, meine Damen und Herren.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Dreßler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Scharrenbroich? - Bitte.

Heribert Scharrenbroich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001945, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Dreßler, nachdem Sie sich jetzt so verhement für eine noch weitergehende und bessere Lösung in der Frage der Erziehungszeiten einsetzen, bitte ich Sie, mir das Geheimnis zu verraten, warum sich die SPD früher nie für dieses Thema interessiert hat. ({0}) 1986 gab es zum erstenmal ein Erziehungsjahr im Rentenrecht.

Rudolf Dreßler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000420, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Scharrenbroich, Sie verfolgen nicht aufmerksam genug - das mache ich Ihnen ja gar nicht zum Vorwurf - die programmatische Entwicklung der SPD. ({0}) Der Protest der Mitglieder meiner Fraktion hat Sie ja bereits wissen lassen, daß das einer der entscheidenden programmatischen Punkte in SPD-Debatten und -Konzeptionen seit vielen, vielen Jahren ist, Herr Kollege. ({1}) Ich will zum Thema Alterssicherung der Frauen noch sagen, daß nur im Rahmen einer solchen von mir angedeuteten Konzeption, d. h. wenn klar ist, wie die Alterssicherung der Frauen künftig aussehen soll und welche Funktion die erweiterten Kindererziehungszeiten dabei erfüllen sollen, eine rationale Entscheidung möglich ist. Nur auf diese Weise werden wir auch der Verantwortung gerecht, die sich angesichts der künftigen Alterslast aus den erheblichen finanziellen Dimensionen der Kindererziehungszeiten ergibt. ({2}) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zum Schluß möchte ich noch meinen Dank und meinen Respekt gegenüber denjenigen ausdrücken, die in dem schwierigen Diskurs über die Rentenreform Partner der SPD-Bundestagsfraktion gewesen sind. Die Verhandlungen waren langwierig, oft mühsam und hart. In vielen Punkten waren die Meinungsunterschiede nicht überbrückbar, aber wir hatten immer den Eindruck von Fairneß und von Verläßlichkeit. Gegebene Zusagen und Vereinbarungen sind immer eingehalten worden. Niemand hat versucht, das Gegenüber zu täuschen. Dafür geht mein Dank an Arbeitsminister Blüm, an die Kollegen Günther und Seehofer der CDU/CSU-Fraktion, an die Kollegen Cronenberg und Heinrich der FDP-Fraktion, an den beamteten Staatssekretär Jagoda und nicht zuletzt an die Fachleute des Arbeitsministeriums. ({3}) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zwei Jahre harter Arbeit liegen hinter uns, zwei Jahre, die viel mehr Engagement abverlangt haben, als man normalerweise erwarten darf. Deshalb gilt mein weiterer Dank meinen Fraktionskollegen Günther Heyenn und Jürgen Egert sowie meinen Mitarbeitern Dr. Thomas Ebert, Birgit Gantz-Rathmann und Hermann Krauthausen, deren Arbeitspensum wirklich außerordentlich war. ({4}) Meine Damen und Herren, der frühere Generalsekretär der Union hat mit Blick auf die SPD einmal die Bemerkung gemacht, die Sozialdemokraten seien die klassische Oppositionspartei. Das war zwar hämisch gemeint, aber wenn Herr Geißler damit auch gemeint haben sollte, daß die Kraft der deutschen Sozialdemokratie auch in der Opposition dazu ausreicht, aktiv gestaltend auf die Geschicke unserer Republik einzuwirken und mitzugestalten, dann hat er recht: Dieser Gesetzentwurf hat klare sozialdemokratische Konturen. Ich danke für Ihre Geduld. ({5})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Cronenberg.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000342, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Mit diesem Gesetz wird die Rentenversicherung auch morgen und übermorgen leistungsfähig und finanzierbar gemacht. Diese vierte größere Rentenreform in den letzten 40 Jahren beweist uns: Auch hundert Jahre nach ihrer Gründung ist die gesetzliche Rentenversicherung lebens- und anpassungsfähig. Wer von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, hätte vor zwei Jahren auf den erfolgreichen Abschluß der Konsensgespräche wetten wollen? Ich glaube, es sind nicht viele hier, die eine solche Wette eingegangen wären. Läßt man die Beratungen Revue passieren, so muß man feststellen, daß es zunächst Mißtrauen und Befürchtungen gab und daß viele das Ganze für ein zweckloses Unterfangen hielten. Ich verhehle auch nicht, daß der Konsens gelegentlich auf Messers Schneide stand. Übrigens war der Konsens meines Erachtens eher aus parteipolitischen Erwägungen heraus gefährdet als aus inhaltlichen. Aber mit sauerländischer Sturheit und einem gehörigen Schuß Optimismus habe ich immer einen Erfolg für möglich, ja, für wahrscheinlich gehalten und mich dafür nachdrücklich und, wie das Ergebnis zeigt, auch erfolgreich eingesetzt, gelegentlich auch - das hat mir besondere Freude gemacht - als liberaler Mittler zwischen Schwarz und Rot. Am Ende der Beratungen kann man feststellen, daß das alte Sprichwort „Viele Köche verderben den Brei" diesmal nicht zutrifft, denn das Gericht der Köche Blüm, Dreßler, Heyenn, Günther, Egert, Seehofer, Scheu, Heinrich und meiner Wenigkeit ist kein Renteneinheitsbrei. Ich meine, es ist insgesamt etwas Gescheites und Gutes herausgekommen. Ich möchte auch die Gelegenheit wahrnehmen, mich ausdrücklich dem Dank, den die Kollegen Günther und Dreßler soeben ausgesprochen haben, anzuschließen. Ich verhehle auch nicht, daß ich ohne meinen Mitarbeiter, Herrn Irlenkaeuser, häufig in einer hoffnungslosen Position gewesen wäre. ({0}) Wir haben die Prinzipien unserer gegliederten Altersversorgung und ihres beitragsfinanzierten Rentensicherungssystems erhalten und gestärkt. Wir servieren Ihnen heute keine Nouvelle cuisine, sondern solide, gute Hausmannskost oder - mit Rücksicht auf die GRÜNEN - Hausfrauenkost, also etwas, was die Bürger und die Rentenversicherung dringend brauchen. Die Verantwortung für das jetzt Angerichtete haben wir gemeinsam zu tragen. Keiner hat Grund, sich hier herauszustehlen. Hier gilt: mitgehangen, mitgefangen. Für die Zustimmung der Liberalen sind folgende Gründe maßgeblich: Erstens. Wir haben die Rentenreform in dieser Legislaturperiode für notwendig gehalten, weil die notwendigen Anpassungen an die demographische Entwicklung rechtzeitig erfolgen müssen. Was die Begründung anbelangt, so verweise ich hier auf die Ausführungen von Herrn Günther und Herrn Dreßler. Sie sind huntertprozentig zutreffend. Zweitens. Ein umlagefinanziertes Alterssicherungssystem kann auf das Vertrauen der Bevölkerung nicht verzichten. Nur breite Akzeptanz garantiert das Funktionieren. Auch deswegen begrüßen wir ausdrücklich den Konsens zwischen der Union, den Sozialdemokraten und uns. Eine Politik des heute Hü und morgen Hott gefährdet dieses System. Ich kann die kritischen Bemerkungen zu den letzten 15 Jahren, die der Kollege Dreßler hier soeben vorgetragen hat, nur nachdrücklich unterstreichen. Auch dies war für uns ein Grund für den Konsens, aber, meine Damen und Herren, auch eine Mahnung für die Zukunft. Drittens. Nach den ursprünglichen Berechnungen mußten wir befürchten, daß die Mindestreserve von einer Monatsausgabe Ende 1991 unterschritten wird. Jetzt zeichnet sich möglicherweise ab, daß die Schwankungsreserve nicht unterschritten wird, daß die Beiträge bis 1995 stabil bleiben werden. Das wären neun Jahre Beitragsstabilität ({1}) eine positive Nachricht für Versicherte ebenso wie für die Wirtschaft. ({2}) Cronenberg ({3}) Natürlich hilft dabei auch die gute wirtschaftliche Entwicklung. Und in aller Bescheidenheit sei darauf hingewiesen, daß die Koalition für diese Entwicklung auch etwas getan hat. ({4}) Viertens. Wir alle kennen die demographischen Perspektiven. Trotz leicht steigender Geburtenzahlen und der günstigen Altersstruktur der Aussiedler haben wir langfristig mit einem verschlechterten Altersaufbau zu rechnen. Möglicherweise wird die Bevölkerungspyramide auf den Kopf gestellt. ({5}) Auch hier kann ich, Frau Beck-Oberdorf, Frau Kollegin Unruh, nur nachdrücklich unterstreichen, was der Kollege Dreßler Ihnen soeben vorgerechnet hat; wegen der Kürze der Zeit verzichte ich darauf. Meine Damen und Herren, aber die demographische Entwicklung allein bestimmt die Entwicklung nicht. Es werden auch andere Faktoren von großer Bedeutung sein: Erwerbsverhalten, Investitionen, Lohnentwicklung, Wachstum, Arbeitszeit sind von entscheidender Bedeutung. Damit beantwortet sich auch die Frage, warum wir kein Konzept bis zum Jahre 2030 oder darüber hinaus vorgelegt haben. Wer heute so tut, als könne er für einen Zeitraum von 40 oder 50 Jahren - das wäre also, Herr Professor Biedenkopf, mit dem Zeitraum von der Währungsreform bis heute vergleichbar - ein realistisches Konzept vorlegen, der muß entweder Hellseher sein oder sich morgen oder übermorgen eingestehen, daß er sich geirrt hat. Ich meine, dann ist es ehrlicher, jetzt nur für einen überschaubaren Zeitraum, also mittelfristig, die notwendigen Entscheidungen zu treffen. Dabei war darauf zu achten, daß das System so flexibel bleibt, daß unsere Nachfolger - wenn nötig - auf sich weiter ändernde ökonomische, demographische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen rechtzeitig reagieren können. Dazu ist dieses Gesetz, wie der Sozialbeirat uns ausdrücklich bestätigt hat, eine geeignete Basis. Fünftens. Der letzte, aber für mich bedeutsame Grund für die Zustimmung ist die Realisierung alter liberaler Forderungen. Bei der Vorlage unserer 32 Thesen zur Alterssicherung 1979 hat mein Vorgänger, Hansheinrich Schmidt ({6}), geschrieben: „Unser Ziel bleibt es, den freiheitlichen Sozialstaat, der soziale Sicherheit mit der persönlichen Freiheit des Bürgers verbindet, zu festigen." Ich möchte heute hinzufügen: und entsprechend den Erfordernissen umzubauen. Hier einige realisierte Forderungen: angemessene Verteilung der Belastung aus der demographischen Entwicklung auf Beitragszahler, Steuerzahler und Rentner - These 17; nettoähnliche Rentenanpassung - These 19 und 20. Der guten Ordnung halber sei auch hier noch einmal daran erinnert, daß mir dies damals nicht nur die Schelte des früheren Kollegen Glombig und einiger anderer aus der SPD-Fraktion, sondern auch des damaligen sozialpolitischen Sprechers der Union, des heutigen Bundesarbeitsministers, eingetragen hat. So ändern sich die Zeiten! ({7}) Doch niemand ist daran gehindert, Frau Kollegin Unruh, klüger zu werden, ({8}) auch wir nicht. ({9}) Flexibler Übergang vom Arbeitsleben in den Ruhestand ohne zusätzliche Belastung der Solidargemeinschaft war die Forderung der These 9, die realisiert wurde. Die Einführung von Teilrente bei Teilzeitarbeit - ebenfalls These 9 - ist realisiert worden. Größere Unabhängigkeit der Rentenversicherung von konjunkturellen Schwankungen durch Sicherung der Parallelität zwischen Beitrags- und späterer Rentenleistung war eine Forderung von damals, die realisiert wurde. Dann haben wir gefordert, daß der Rentenversicherung ein erhöhter Bundeszuschuß zur Verfügung steht. - Ich hoffe sehr, daß der Finanzminister mir nicht dauerhaft böse ist, daß wir hier einen kräftigen Schritt weitergekommen sind. Wegfall des Fallbeils der Halbbelegung und Ausbau der Kindererziehungszeiten auf drei Jahre waren in These 26 unserer Forderungen zu lesen; sie ist realisiert worden - wohlgemerkt, alles dies Forderungen aus dem Jahre 1979. ({10}) Zehn Jahre Arbeit, die zum Erfolg geführt haben, und wir sind auch ein wenig stolz darauf. Meine Damen, meine Herren, rechnet man die im Sozialbudget ausgewiesenen direkten und indirekten Sozialleistungen auf den Kopf der Wohnbevölkerung um, so erhält jeder von uns jährlich 10 740 Mark - oft wird es von der einen Tasche in die andere getan. ({11}) Etwa ein Drittel des gesamten Sozialprodukts wird in die soziale Sicherung investiert. Diese Quote weist allerdings keine steigende Tendenz auf; sie ist vielmehr inzwischen fast konstant geblieben. ({12}) Dies macht aber zugleich deutlich, daß das Wachstum der Sozialleistungen nicht ohne Rückwirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung ist. Nach wie vor gilt die alte Binsenwahrheit, daß nur das, was zuvor erarbeitet worden ist, auch verteilt werden kann. Wir müssen daher bei unseren Sozialleistungen immer wieder darauf achten, daß die Wirtschaft nicht überfordert wird und daß wir keine Sozialpolitik mit der Gießkanne betreiben. Auch ist festzustellen: Eine Sozialpolitik auf Pump würde die wirtschaftliche Basis zerstören. Meine Damen und Herren, ich möchte noch auf eine Diskussion zurückkommen, die in der ersten Lesung eine Rolle gespielt hat - insbesondere mit dem KolCronenberg ({13}) legen Urbaniak. Ich habe damals gesagt: Insgesamt haben sich die Einkommensverhältnisse deutlich verbessert, und wir können in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht mehr leisten als eine Basissicherung. Wir können keine Lebensstandardsicherung garantieren. Das muß durch die zweite und dritte Säule geschehen. Ich glaube, daß die Menschen inzwischen auch in der Lage sind, für die zweite und dritte Säule einen angemessenen Beitrag zu leisten. Ich möchte das heute hier wiederholen, weil wir nicht mit Illusionen in die zukünftigen Rentenversicherungsjahre gehen dürfen. Wir müssen deswegen die Rahmenbedingungen für die private Altersvorsorge wie auch für die betriebliche Altersvorsorge verbessern. Das Negativbeispiel AEG und auch verschiedene Maßnahmen, die vom Gesetzgeber wie auch von der Rechtsprechung vorgenommen worden sind, haben Hemmnisse aufgebaut, die für uns alle Anlaß sein sollten, die betriebliche Altersversorgung so zu reformieren, daß sie eine echte zweite Säule für die Alterssicherung unserer Bevölkerung wird. ({14}) - Ich komme mit der Zeit durcheinander. Die Uhr läuft nicht mehr, Frau Präsidentin. ({15}) Mit der Frage bin ich einverstanden. Ich habe auf etwas anderes aufmerksam gemacht.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Bitte schön, Herr Reimann.

Manfred Reimann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001805, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Cronenberg, heißt das - wenn ich Ihnen genau zugehört habe - , daß trotz dieses jetzigen Rentenkonsens die FDP noch nicht den Gedanken aufgegeben hat, die Rentner für die Zukunft durch eine private Versicherung an ihrem späteren Einkommen als sogenannte zweite oder dritte Säule zu beteiligen?

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000342, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, Herr Kollege Reimann. Die FDP hat das nie getan. Wir haben immer gesagt: Die gesetzliche Rentenversicherung ist sozusagen die Basisversorgung für alle. Derjenige, der einen höheren Lebensstandard absichern will, muß über die zweite und dritte Säule sicherstellen, daß er diesen Lebensstandard im Alter halten kann. Das allein kann die gesetzliche Rentenversicherung nicht erbringen. Das ist eine These, der Sie, glaube ich, nicht widersprechen können, die Sie im Gegenteil unterstützen sollten. ({0}) - Nein, Frau Kollegin Unruh. Ein Stück Ehrlichkeit und Redlichkeit ist in diesem Zusammenhang gefragt; nicht mehr und nicht weniger habe ich hier zum Ausdruck gebracht. ({1}) Meine Damen und Herren, ich möchte auch die Frage der Lebensarbeitszeit nicht ausklammern. Wir halten jetzt eine gesetzliche Regelung für erforderlich. Ich will das noch einmal kurz begründen. Es ist erforderlich, damit die Vorausberechnungen in der Rentenversicherung beim Rentenanpassungsbericht vorgenommen werden. Ich meine auch, wir müssen das den Menschen ehrlich sagen, damit sie sich in ihrer persönlichen Lebensgestaltung darauf einstellen können. Wie Sie wissen, hätte ich es begrüßt, wenn wir schon eher mit der Lebensarbeitszeitverlängerung, wenn Sie so wollen, begonnen hätten und die Stufen etwas verringert hätten. Der Konsens ist anders, und ich vertrete ihn, weil ich der Meinung bin, daß nur das gemeinsame Vertreten dieses Konsenses die notwendige Akzeptanz schafft, damit das Ganze funktioniert. An der Notwendigkeit einer solchen Maßnahme gibt es meines Erachtens überhaupt keinen Zweifel. Ehrlichkeit ist auch in diesem Zusammenhang notwendig, und es sei noch einmal festgestellt: Die flexiblere Gestaltung des Zeitpunkts, ab wann jemand in den Ruhestand treten kann, muß jedem überlassen bleiben. Teilrente und Teilzeitarbeit sind humaner und entlasten die Rentenversicherung stärker als das alte System. ({2}) Darüber hinaus sind meines Erachtens zusätzliche Maßnahmen sinnvoll und erforderlich: die Intensivierung der beruflichen Weiterbildung, adäquate medizinische Rehabilitation und der Abbau von Belastungen im Arbeitsleben gerade für ältere Arbeitnehmer. Hier sind die Sozialpartner gefordert. Zu den Herausforderungen unserer Zeit für eine verantwortungsvolle Politik gehört auch, nicht nur an die Vergoldung der Gegenwart, sondern auch an den Verzicht in der Gegenwart zugunsten einer Verbesserung der Chancen künftiger Generationen zu denken. ({3}) Meine Damen und Herren, mit diesem Gesetzentwurf kommen wir diesem hohen Anspruch nach. Ich möchte zum Schluß eine Bitte äußern. Wir legen Ihnen ein Gesetzeswerk vor, das meiner festen Überzeugung nach die Chance beinhaltet, die Probleme unserer Alterssicherung bei normaler wirtschaftlicher Entwicklung bis weit in das nächste Jahrtausend zu regeln. Aber dieser Gesetzentwurf ist, wie alle Gesetze, Menschenwerk, d. h., er wird nicht fehlerfrei sein. Die eine oder andere Kritik, die in dieser oder jener Detailfrage heute noch vorgebracht werden wird, sollte man nicht überbewerten. Auch ich hätte mir das eine oder andere gerne anders vorgestellt. Wer aber über die Detailkritik das Ganze vergißt und madig macht und damit in Frage stellt, schadet dem System, weil er das notwendige Vertrauen in dieses solidarische Sicherungssystem leichtfertig in Frage stellt. ({4}) Ich meine, alles in allem wird das Rentenreformgesetz dem Anspruch, eine verläßliche Grundlage für Cronenberg ({5}) die Alterssicherung für 90% unserer Bevölkerung zu schaffen, gerecht. Deswegen bitte ich Sie: Sagen Sie über alle Parteigrenzen hinweg ja zu diesem Reformwerk, weil es der Alterssicherung dient und beweist, daß Sozialdemokraten, Christdemokraten und Liberale gemeinsam verantwortlich handeln können. In diesem Sinne bedanke ich mich noch einmal bei allen, die es ermöglicht haben, in so vertrauensvoller Weise zusammenzuarbeiten. Ich wünschte mir, daß bei Gesetzeswerken, die sich auf Generationen auswirken, eine solche Zusammenarbeit öfter möglich wäre. Herzlichen Dank. ({6})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Hoss.

Prof. h. c. Willi Hoss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

: Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Das zur Abstimmung stehende Rentenreformwerk ist das Ergebnis einer großen Koalition zwischen der Regierungsseite und der SPD, die diesem Entwurf beigetreten ist. Kollege Dreßler hat gesagt, daß es die Ausnahme bleiben soll, daß man in großer Koalition ein solches Gesetz mitträgt und mitgestaltet. Man sollte meinen, daß das in einem solchen Falle notwendig wird, wenn es darum geht, ein für alle Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande geltendes Gesetz zu machen, gleich welcher Partei sie angehören, wenn es darum geht, soziale Gerechtigkeit herzustellen und Ungerechtigkeiten abzubauen, um dann gemeinsam vor die Bürgerinnen und Bürger zu treten, das zu vertreten, zu vermitteln und zu sagen: Wir haben das geändert, und das wollen wir gemeinsam. Diese Frage steht hier zur Debatte, nämlich zu untersuchen, ob diese Rentenreform eine sozial ausgewogene Lösung darstellt und vor allen Dingen die an den Rand unserer Gesellschaft gedrängten Menschen einbezieht und auch für sie Lösungen findet, die man vertreten und tragen kann. Wenn das gelungen wäre, dann wären wir GRÜNE mit in diesem Konsens drin. ({0}) Wir wissen aber, daß das nicht geschehen ist, daß der vorliegende Gesetzentwurf weder die Frage der Armut alter Menschen noch das Problem der eigenständigen Sicherung der Probleme der Frauen im Rentensystem, noch die Frage der Harmonisierung des Rentensystems anpackt. Dabei weise ich besonders auf die Selbständigen, auf die Unternehmer, auf die Beamten hin, die weitgehend ungeschoren bleiben, die in dieses Rentenreformwerk nicht als tragende Stützen der Finanzierung der Beseitigung von Ungerechtigkeiten, die es in unserer Gesellschaft gibt, einbezogen sind. Ich stelle eine Zahl daneben - mehr kann ich wegen der Begrenztheit meiner Redezeit nicht anführen -, die die Rahmenbedingungen mit angibt. Natürlich müssen wir, wenn wir verteilen, danach fragen: Was ist denn in der Kasse? Kollege Dreßler, Du hast vorhin gesagt, wir seien nicht in der Lage, Zahlen zu sehen und nachzugukken, und wir sollten einmal da hineingehen. ({1}) Nun, wir haben uns mit dem Zahlenwerk sehr aufmerksam befaßt. Der Antrag, den wir hier gestellt haben, die Entscheidung über diese Reform hinauszuschieben, diente genau dem Zweck, Zeit zu gewinnen - nicht für immer und alle Ewigkeit, sondern ein Jahr, zwei Jahre -, ({2}) um das, was an dem Rentenreformwerk schlecht ist, aufzuarbeiten und besser zu machen. Die Zahl, die ich Ihnen nenne, ist folgende. Es ist typisch für Sie, daß Sie überhaupt nicht mehr daran denken, was zur Verteilung ansteht. In den letzten Jahren von 1980 bis 1988 sind die Unternehmergewinne ({3}) nach Steuern - also die Einkommen - von 250 Milliarden DM auf 490 Milliarden DM gestiegen. ({4}) Das zeigt blitzartig die Situation in diesem Land, und es zeigt, welche Möglichkeiten bestehen, mehr für arme Leute zu tun, die im Alter mit dem, was sie kriegen, nicht zurechtkommen. Das Gesetz ist unter dem Strich - das muß man auch einmal sagen; ({5}) das hätte ich gern von den Sozialdemokraten gehört - mehr ein Spargesetz, eine Kosteneinsparungsgesetz als ein Gesetz, das strukturelle Möglichkeiten eröffnet, um auf lange Sicht bis in das nächste Jahrtausend hinein Grundlagen zu legen, um Änderungen zu haben, die vor der ganzen Bevölkerung zu vertreten sind. ({6}) Ich habe gesagt, daß es ein Spargesetz ist. 1988 beträgt die Bezugsgröße für einen Durchschnittsrentner 63,9 % vom Nettoeinkommen. Das wird bis zum Beginn der Rentenreform am 1. Januar 1992 gesenkt; um 2 % gehen die Renten der Rentner hinunter. ({7}) Wenn jemand 45 Jahre Beiträge gezahlt hat, geht es von 1988 mit 91,7 % bis 1992, dem Beginn der Rentenreform, auf 70 %. ({8}) Das heißt, was Sie in der Rentenreform verteilt haben, haben Sie innerhalb des Systems zuungunsten der Rentner und auch zuungunsten derer verteilt, die ohnehin schon geringe Renten bekommen. Sie haben es versäumt, Finanzierungsmöglichkeiten zu eröffnen, mit denen man das Gesamtaufkommen erhöhen kann, um strukturelle Änderungen zu finanzieren. Ich frage mich, warum sich die SPD für eine solche Operation hergegeben hat. ({9}) Auch von den Christlichen Sozialausschüssen müßte man eigentlich erwarten, daß sie für solche Operationen nicht zur Verfügung stehen; aber das ist der Fall. Ich bringe einige Beispiele. Nehmen wir die Regelungen der Renten bei Schwerbehinderten, die in Beschützenden Werkstätten arbeiten. Hat es eine reiche Gesellschaft nötig, Schwerbehinderten, die sich in solchen Werkstätten betätigen und dort Arbeit auf ihre Weise leisten, die Rentenansprüche, die sie dort erarbeiten, auf ein Maß zurückzuschrauben, daß sie bei 80 % der Bezugsgröße nach diesem Rentenreformwerk liegen? Unsere reiche Gesellschaft bringt es noch nicht einmal fertig, Schwerbehinderten in Beschützenden Werkstätten zumindest die durchschnittlichen Rentenansprüche zu gewähren, d. h. die Bezugsgröße auf 100 zu heben. Wir haben einen entsprechenden Antrag in den Ausschußberatungen vorgelegt. Er wurde abgelehnt. ({10}) Unser Antrag auf Verschieben dient unter anderem dem Zweck, diese Frage im Interesse unserer Schwerbehinderten, über die viele große Reden gehalten werden, ({11}) neu aufzuarbeiten und noch einmal zu diskutieren, um dahin zu kommen. Vielleicht können da die Sozialdemokraten eine etwas schärfere Gangart einlegen, damit man für diesen Personenkreis in unserer Gesellschaft mehr tun kann. ({12}) Nehmen Sie die Situation der Menschen im Rentenalter. Es geht bei dieser Frage gar nicht darum, die abzuhandeln, die eine auskömmliche Rente bekommen. Wir wissen, daß der größte Teil in dieser Gesellschaft eine durchschnittliche Rente oder eine Rente hat, die darüber liegt. Die sind nicht in der größten Not. Es geht hier darum, daß wir in unserer Gesellschaft 860 000 alte Menshen haben, die mit einem Einkommen - das ist das einzige, was sie zur Verfügung haben - von unter 900 DM zurechtkommen müssen. Damit bewegen sie sich in dem Bereich der Sozialhilfe. Unter diesen 860 000 sind 550 000 Frauen. ({13}) Kollege Günther, Sie sagen: „Das liegt aber nicht an der Rentenversicherung". Wissen Sie, meine Damen und Herren, wie eine Frau in diese Lage kommen kann? Sie kann in diese Lage kommen, wenn sie mit einem Mann verheiratet war, der ein Durchschnittsverdiener in der Bundesrepublik ist, der 40 Jahre lang Beiträge gezahlt hat, ohne auch nur eine einzige Ausfallzeit zu haben, und mit diesem durschnittlichen Verdienst bekommt er eine Rente von 1 500 DM. Wenn der Mann stirbt und die Frau davon 60 % bekommt, dann hat sie 900 DM Rente. Kollege Günther von den christlichen Sozialausschüssen, es liegt am Rentensystem, daß die Frauen in diese Lage kommen, und über diese Dinge, Kollegen von der SPD, seid ihr weggegangen, da habt ihr nichts verändert, und das kann ich euch nicht verzeihen: ({14}) daß ihr euch in einen Konsens begeben habt, der vom System her so aufgebaut ist, daß die Leute in die Armut fallen, zur Sozialhilfe müssen. Jetzt können Sie sagen: Wir haben in der Bundesrepublik 60 oder 65 Millionen Menschen, und das sind nur 550 000 Frauen oder nur 860 000 Menschen. ({15}) Kollege Dreßler, dein Zahlenwerk, das du hier abgelassen hast, überzeugt mich überhaupt nicht, weil wir von diesen konkreten Menschen reden. ({16}) Wenn es 10 000 Menschen gibt, die in dieser Lage sind, dann muß es aus dieser Gesellschaft heraus möglich sein, eine Lösung für diese Menschen zu finden. Wenn wir beantragen, das nochmal zu verschieben, dann heißt das nichts anderes, als daß wir uns dafür einsetzen, ({17}) genauso wie wir uns für die Schwerbehinderten einsetzen, die in unserer Gesellschaft keine große Zahl ausmachen, oder für die Menschen, die als Langzeitkranke, als Langzeitarbeitslose an den Rand der Gesellschaft gedrängt worden sind, bei denen Sie noch nicht einmal in der Lage sind, ihren Rentenanspruch mit 100 % anzurechnen, sondern die auf 80 % gesetzt werden. Unser Antrag, diese Renten auf 100 % anzuheben, ist abgelehnt worden.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Hoss, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Reimann?

Prof. h. c. Willi Hoss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielleicht dient es meiner Beruhigung. Ich rege mich so auf, weil es hier um Menschen geht. ({0})

Manfred Reimann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001805, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Da will ich Sie mal beruhigen, Kollege Hoss. Ist Ihnen eigentlich in der Vergangenheit entgangen, daß Sozialdemokraten in ihrer Rentenkonzeption drin haben und mehrfach beantragt und gefordert haben, die Witwenrente von 60 % spürbar nach oben zu verändern?

Prof. h. c. Willi Hoss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das ist mir nicht entgangen. Mir ist auch nicht entgangen, daß es in vielen Parteien wunderschöne Programme gibt, aber ich rede hier über Fakten. ({0}) Ich rede nicht über das, was die Menschen in ihre Programme reinschreiben, sondern ich rede über das, was hier geschehen ist, und ich habe es mit einem konkreten Gesetzentwurf zu tun, und da sehe ich, daß Schwerbehinderte in Beschützten Werkstätten mit 80 % abgefunden werden und nicht 100 % erhalten, und das ist bei anderen Menschen auch so. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Hoss, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Heyenn?

Prof. h. c. Willi Hoss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wenn es denn sein muß und nicht auf meine Redezeit angerechnet wird, ja.

Günther Heyenn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000897, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielleicht muß es nicht sein, aber ich möchte Sie trotzdem fragen: Sie beklagen hier, daß die Mehrheit des Bundestages einer Zurückverweisung an den Ausschuß nicht zugestimmt hat. Wir hätten im Ausschuß noch sehr viel längere Beratungszeiten haben können, wenn die Fraktion der GRÜNEN weiteren Beratungsbedarf angemeldet hätte. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Die Antwort ergeht vom Kollegen Hoss.

Prof. h. c. Willi Hoss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich empfinde das, Kollege Heyenn, als eine miese Frage - Verzeihung, wenn das unparlamentarisch ist -, ({0}) weil Sie genau wissen, wie wir zu zweit in diesem Ausschuß gearbeitet haben. Ich möchte an dieser Stelle auch unseren Mitarbeitern, der Kollegin Zander und dem Kollegen Müssener, unseren Dank aussprechen, weil wir so arbeiten mußten, daß von einer 35- Stunden-Woche oder von einer 70-Stunden-Woche überhaupt nicht geredet werden kann. Wir haben alle Anträge eingebracht - gucken Sie sich mal das Paket an -, und Sie haben das mit großer Schnelligkeit abgebügelt, wobei ich mich auch an die Regierungskoalition wenden muß. ({1}) Es war ganz offensichtlich, daß wir in dieser Frage von uns aus keine Änderung herbeiführen können, sondern daß das Problem darin besteht, daß Sie in sich gehen und von sich aus die Probleme neu stellen. Dem diente unser Vertagungsantrag. ({2}) - Natürlich geht es darum. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Hoss, Sie haben das Wort.

Prof. h. c. Willi Hoss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe gesagt, daß wir in dieser Ausschußsitzung einen Antrag gestellt haben, der darauf hinausläuft, für die Menschen, die unter 900 Mark monatlich haben und damit zurechtkommen müssen, die Mindestsicherung von 1 200 DM im Monat zu erreichen. Wir haben das diskutiert. Die Regierungskoalition hat es abgelehnt. Da war überhaupt zu sehen: wenn man noch eine Stunde oder zwei oder drei Stunden diskutiert, ändert sich auch nichts. Die SPD hat uns vorgehalten, daß sie es in ihrem schönen Programm stehen hat und daß sie das irgendwann im Jahre 2000 lösen wolle. Aber es war ganz offensichtlich, wenn wir noch zwei, drei Tage diskutiert hätten, daß Sie nicht bereit gewesen wären, die Grundsicherung zu Ihrem Problem zu machen und zu sagen: Wenn wir es nicht schaffen, für die 550 000 Frauen und 860 000 Menschen in der Bundesrepublik eine Grundsicherung zu erreichen, steigen wir aus dem Rentenkonsens aus. Das hätte Ihnen gut angestanden. Dann hätten Sie unseren Beifall gehabt; ({0}) aber das haben Sie nicht gemacht, sondern sind im Konsens geblieben und haben damit diese Menschen verraten. Ich schränke das mal auf einen bestimmten Zeitraum ein, zumindest auf den, den der Kollege Dreßler genannt hat. Er hat gesagt, daß dieser Konsens für lange Zeit Bestand habe. Deshalb kann man, wenn Sie nächstes Jahr in den Wahlkampf gehen, Ihren Worten, daß Sie für eine Grundsicherung seien, überhaupt nicht trauen; denn an der Stelle, wo Sie hätte springen müssen, haben Sie es nicht getan. Das ist das Problem. ({1}) Ich hätte noch weitere Beispiele, aber ich sehe, wie mir die Redezeit wegläuft. Man müßte Ihnen die Leviten lesen. Es ist eigentlich ein Trauerspiel, daß die einzige Opposition in der Frage der Rentenreform bei einer Debatte von vier Stunden nur 28 Minuten erhält, ({2}) sondern in einem solchen Fall müßte die Opposition genügend Gelegenheit haben, sich mit dem Problem auseinanderzusetzen. ({3}) Es gibt einen weiteren Skandal.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Hoss, gestatten Sie vorher noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Egert? Das wird Ihnen nicht angerechnet; die Zeit steht.

Prof. h. c. Willi Hoss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich weiß nicht, wieviel Zeit ich noch habe. Ich weiß nicht, wann Sie auf den Knopf drücken und meine Antwort als beendet ansehen. Ich habe nur noch drei Minuten.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Wenn sich der Kollege Egert wieder hinsetzt, wird die Zeit wieder eingeschaltet.

Jürgen Egert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000437, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Zuverlässigkeit der Uhr wird gewährleistet sein. Herr Kollege Hoss, würden Sie so gütig sein. mir zu bestätigen, daß es seit dem Januar 1987 keine weitere Bundestagswahl gegeben hat?

Prof. h. c. Willi Hoss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, das kann ich Ihnen bestätigen. Was wollen Sie damit sagen? ({0}) Wollen Sie damit meine Argumentation von vorhin entkräften? Darauf hatte ich gewartet, daß Sie sich in Ihrer Frage mit der Grundsicherung auseinandersetzen, die von mir zuletzt behandelt wurde. Ich muß jetzt mal sehen, wie ich ({1}) aus dem, was ich mir zu sagen vorgenommen hatte, noch die wichtigsten Punkte herausnehme. Ich nehme mal ein Problem, um sichtbar zu machen, woran Sie vorbeigegangen sind. Es gibt in diesem Gesetz einen Skandal um die Bestimmung, die mit der Zeit der nationalsozialistischen Verfolgung und dem damaligen Unrecht zu tun hat. Frauen, die von den Nazis verfolgt wurden, nach 1933 emigrierten und im Ausland Kinder bekommen und erzogen haben, kriegen die Kindererziehungszeiten nicht angerechnet. Nach dem Gesetz haben Sie sich nämlich in der Zeit ihrer Kindererziehung nicht im Gebiet des damaligen Deutschen Reiches befunden. ({2}) Es ist unerhört, so etwas in ein Gesetz zu schreiben. Das zeigt, in welcher Weise Sie Vergangenheit bewältigen wollen. Das gilt jetzt nicht nur für die Sozialdemokraten, sondern genauso für die Regierungskoalition. Wir hatten doch den Antrag gestellt ({3}) und auch ausgearbeitet; aber Sie waren noch nicht einmal bereit, ihre Stimme zu erheben und im Ausschuß einem Antrag zuzustimmen, das an den federführenden Ausschuß zu geben, wo das geregelt werden sollte, sonder jetzt ist es im Gesetz so geregelt. Und deswegen haben wir gesagt: Schiebt das noch mal hinaus! Laßt uns noch mal zwei Jahre darüber nachdenken! Und laßt uns eine Reform machen, die wir alle gemeinsam tragen können! ({4}) Aber eine solche Reform haben wir nicht und können wir nicht gemeinsam tragen. Ich muß jetzt weitere Punkte überspringen. Die Frage der Frauen wird meine Kollegin behandeln. Ich möchte noch auf das Problem der Öffnung von Finanzierungsquellen eingehen: Natürlich muß man, wenn man die Rentenreform angeht, auch danach suchen: Wie können wir die Lasten, die da entstehen und die wir ja nicht bestreiten - Verschiebung der Altersgrenzen - verteilen? Da haben wir gesagt: Wir müssen das Rentensystem so gestalten, daß wir die Lasten auf alle Mitglieder dieser Gesellschaft verteilen. Wir müssen auch die Selbständigen, wir müssen die Unternehmer, wir müssen die Beamten beitragspflichtig machen, in das System einbeziehen und die Lasten, die gesellschaftlich vorhanden sind, auf die ganze Gesellschaft verteilen. Das ist das Problem, vor dem wir stehen. ({5}) Wir haben einen Antrag in diesem Sinne eingebracht. Dieser Antrag wurde abgelehnt. Wir haben, um die Grundsicherung finanzieren zu können einen Antrag eingebracht, den Bundeszuschuß auf 25 % zu erhöhen, wo er eigentlich hingehört. ({6}) Der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger geht von noch viel höheren Zahlen aus, der redet sogar von bis zu 30 %. In Wirklichkeit ist der Bundeszuschuß zurückgefahren worden von 30 % in den 60er Jahren auf 17 %. ({7}) Und die Sozialdemokratie hat einen üblen Trick mitgemacht: Mit diesem Reformgesetz hat man zugelassen, daß die Erhöhung des Bundeszuschusses von 17,8 auf 20 % auf die Weise erfolgt, daß man einen Betrag rübermanipuliert, der sich aus der Zahlung für Kindererziehungszeiten, die vom Bund zu tragen ist, aber formal über die Rentenversicherung abgewickelt wird, ergibt. Man hat diesen Betrag überwiesen und stellt sich jetzt hin und sagt - Kollege Dreßler, wörtlich - : Wir haben es erreicht, daß der Bundeszuschuß erhöht worden ist. ({8}) Mit Zahlenwerk kann man sehr gut blenden. Es kommt darauf an, daß man bei all diesem Zahlenwerk die Menschen nicht vergißt. In dieser Gesellschaft gibt es genügend Menschen, für die man ein Reformwerk machen muß, für das auch wir stehen können. Auch wir sind Mitglieder dieser Gesellschaft, und wir wollen gerne an so einem Gesetz mitarbeiten. In diesem Sinne bitte ich Sie, unseren Anträgen zuzustimmen und sich vielleicht noch einmal zu überlegen, das jetzt nicht zu verabschieden, sondern noch hinauszuschieben. Danke. ({9})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Scheu.

Dr. Gerhard Scheu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001962, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Lieber Kollege Reuter, herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Meine Damen und Herren! Die unerwartet hohe Zahl von Aus- und Übersiedlern beschäftigt die Bevölkerung zweifelsohne weit über den Kreis derjenigen hinaus, die daraus parteipolitisch Wasser auf ihre Mühle leiten möchten. Das Thema ist auch wie kein anderes geeignet, begründete und unbegründete Sorgen zu schüren. Dazu gehört die berechtigte Frage, auf die ich besonders eingehen möchte, ob das bisherige Fremdrentengesetz unverändert bleiben kann, wenn manche seiner Ungereimtheiten jetzt verstärkt ins Blickfeld rücken, weil es in nicht wenigen Einzelfällen zu Besserstellungen von Fremdrentenberechtigten gegenüber Rentnern kommen konnte, die ihr Versicherungsleben in der deutschen Rentenversicherung zurückgelegt und hier Beiträge gezahlt haben. Für die an sozialer Gerechtigkeit orientierte Betrachtung meiner Partei waren diese Fragen, die durch ungelöste Probleme des deutsch-polnischen Sozialabkommens aus dem Jahre 1975 noch verschärft wurden, daher ein wesentlicher Punkt im Rentenkonsens. Wir hätten es vorgezogen, die Fremdrente künftiger Zuwanderer, die keinerlei Zeiten in der deutschen Reichsversicherung mehr nachweisen können, auf das Niveau der hiesigen Durchschnittsrenten zu begrenzen oder wenigstens eine sogenannte Beitragsquote in Abzug zu bringen, womit strukturell am einfachsten der Tatsache Rechnung getragen werden könnte, daß es sich insofern eigentlich um Renten ohne Beitragsleistungen handelt. Sie ersehen aus dem Konjunktiv, daß diese Auffassung nicht konsensfähig war. Auf der anderen Seite ist es jedoch gelungen, das Fremdrentengesetz in zahlreichen Punkten so zu ändern, daß die begründeten Einwände zunächst ausgeräumt erscheinen, und auch die unter den Konsensfraktionen CDU/CSU, SPD und FDP jetzt übereinstimmende Beurteilung des DPSVA hat ihr eigenes bedeutsames und von der Bundesregierung sicherlich auch angemessen gewürdigtes Gewicht. Bereits der Gesetzentwurf hat Besserstellungen beseitigt, die so nicht länger zu tolerieren waren. Ich will nur einige nennen: Teilzeitarbeit in Herkunftsländern erhält nur einen Teil- und nicht wie bisher den Vollzeitwert. Geringfügige Beschäftigungen bleiben künftig ebenso unberücksichtigt wie minimale freiwillige Beiträge. DDR-Beitragszeiten von Nichtdeutschen werden nicht länger übernommen, DDR-Schul- und Studienzeiten nur noch als Anrechnungszeiten eingestuft. Zeiten der Kindererziehung oder beispielsweise des Grundwehrdienstes werden so bewertet wie bei ansässigen Versicherten auch. Die Möglichkeit wird ausgeschlossen, lediglich glaubhaft gemachte Beitragszeiten mit anderen Zeiten voll aufzufüllen. Sicherungssysteme für Selbständige können nicht mehr als gesetzliche Rentenversicherung anerkannt werden. In ausländischen Vertragsstaaten nach Kriegsende zurückgelegte Zeiten werden nicht mehr angerechnet. Der nunmehr vorliegende Gesetzesantrag enthält eine Reihe weiterer zum Teil bedeutender Neuregelungen. Zeiten ohne Beitragsleistung, für die im Bundesgebiet eine Nachversicherung durchzuführen gewesen wäre, können nicht mehr als Beitragszeiten angerechnet werden, was der Absicht entspricht, sogenannte beitragslose Beitragszeiten einzuschränken und einen Leistungstransfer ins Ausland zu verhindern. Die volle Anrechnung für langjährig beim selben Arbeitgeber Beschäftigte wird gestrichen. Für die Zuordnung zur Knappschaft kommt es darauf an, ob die Beschäftigung auch im Bundesgebiet der Pflicht zur knappschaftlichen Versicherung unterlegen hätte. Von Bedeutung ist vor allem, daß Zuwanderer künftig individuell gerechter ihrem jeweiligen Wirtschaftsbereich zugeordnet werden sollen, was zur Folge hat, daß bisher überhohe Fremdrenten abgeflacht und unter dem Branchendurchschnitt liegende aufgestockt werden. Ob sich die von den Befürwortern des Branchenmodells gehegte Erwartung einer besseren Akzeptanz einstellen wird, wird sich zeigen. Sollte das neue, gegenüber einem Strukturabschlag verwaltungstechnisch sicherlich weit aufwendigere Verfahren - jede Einzelfallgerechtigkeit bringt mehr Aufwand mit sich - eine Fülle von Rechtsstreitigkeiten nach sich ziehen, so wären zumindest Zweifel angebracht. Außerdem wird es von der Branchenstruktur der Zuwanderer abhängen, ob das Modell für die Rentenversicherung finanziell von Vor- oder Nachteil ist. Immerhin: Wichtige Schritte sind gemacht, die sich zunächst zwar alle - der Teufel steckt wie immer im Detail - sehr rententechnisch anhören, mit denen wir aber der Kritik an überzogenen fremdrechtlichen Gewährungen den Boden entzogen haben. Aus dieser Sicht bedeutender sind die Neuregelungen im Bereich des deutsch-polnischen Sozialversicherungsabkommens, von denen der eine Teil bereits im Rentenreformgesetz selbst umgesetzt wird, der gewichtigere Teil aber noch der Erfüllung durch die tatkräftige Bundesregierung entsprechend der nunmehr im Deutschen Bundestag mit großer Mehrheit vertretenen gemeinsamen Beurteilung harrt. Das deutschpolnische Sozialversicherungsabkommen hat hinsichtlich seines sachlichen wie seines persönlichen Geltungsbereichs nun wirklich eine Ausdehnung erfahren, deren beabsichtigte oder auch nur stillschweigende Inkaufnahme ich weder der damaligen deutschen Verhandlungsseite unterstellen will, noch mit den legitimen Belangen der deutschen Solidargemeinschaft für vereinbar halten könnte. Es gibt auch einen ordre public des deutschen Interesses. Auf der Grundlage ihres bisherigen extensiven Abkommensverständnisses hat die deutsche Rentenpraxis in Polen zurückgelegte Zeiten selbst dann berücksichtigt, wenn das deutsche Rentenrecht entsprechende Ansprüche gar nicht kennt. Beispiele hierfür sind Kindererziehungszeiten von bis zu sechs Jahren, Zeiten der Pflege eines kranken Kindes oder eines Kriegsinvaliden, Zeiten einer Ausbildung ohne Abschluß usw. Mit anderen Worten: Der Berechtigte fährt danach mit polnischen Zeiten in der Bundesrepublik in einen rentenrechtlichen Wertehimmel auf, der den Deutschen hier selbst verschlossen bleibt. Daß solches Fremdrentenrecht die ansässige Bevölkerung mehr als „befremdet" hat, verwundert nicht, ({0}) noch dazu, wenn man sich vor Augen führt, welche Zeiten nach polnischem Recht als den Beschäftigungszeiten gleichzustellen oder hinzurechenbar angesehen werden und damit abkommenserheblich sein können. ({1}) Ich will diese Zeiten gar nicht benennen. Insbesondere bedarf jedoch die Interpretation des persönlichen Geltungsbereichs einer Anpassung an das, was beide Parteien seinerzeit vernünftiger- und billigerweise gewollt haben können. Das DPSVA ist weltweit wohl das einzige Abkommen dieser Art, das zwischen zwei Staaten das sozialversicherungsrechtliche Eingliederungsprinzip uneingeschränkt vereinbart. Diese Einzigartigkeit hat die Stellungnahme der Bundesregierung vom Februar 1975 damit erklärt, die Vereinbarung trage den besonderen Gegebenheiten in den deutsch-polnischen Beziehungen Rechnung. Die dem Rentenabkommen zugrunde liegende Situation liege so nur im deutschpolnischen Verhältnis vor, da nur hier Gebiets- und Bevölkerungsverschiebungen dieses Ausmaßes erfolgt seien, die dann eine Regelung der sich daraus ergebenden rentenrechtlichen Unzuträglichkeiten auf diese Weise erforderlich machten. Es lag jedoch außerhalb der Vorstellung der Parteien und war mit Sicherheit seinerzeit auch nicht gewollt, daß die Bundesrepublik damit einseitig Renten für eine möglicherweise unübersehbar und unbestimmbar große Zahl von Personen, noch dazu gleich, welcher Staats- oder Volkszugehörigkeit, übernehmen wollte oder sollte. Dagegen spricht die zum Verhältnis von Leistung und Gegenleistung grundlegende Vereinbarung über die pauschale Abgeltung von Rentenansprüchen in Höhe von 1,3 Milliarden DM, die ihrer vertraglichen Zweckbestimmung nach zum wechselseitigen Ausgleich bereits erbrachter Leistungen, aber ebenso für die sich aus der im Abkommen vorgesehenen Übernahme von Rentenleistungen künftig noch ergebenden Belastungen vorgesehen war. In die Rentenlast der deutschen Seite sollten künftig im wesentlichen nur noch deutsche Aussiedler fallen. Dafür, daß man das so nicht ausdrücklich in das Abkommen geschrieben hat, war allein der Umstand verantwortlich, daß man sich vor dem Hintergrund von Art. 116 unseres Grundgesetzes nicht auf einen gemeinsamen Staatsangehörigkeitsbegriff für diesen Personenkreis verständigen konnte. Deshalb spricht man insoweit von einem „offenen" Abkommen. Daß aber darüber hinaus nennenswerte Fluktuationen von Rentenberechtigten stattfinden würden, lag außerhalb der beiderseitigen Erwartungen und konnte deshalb auch von vornherein nicht Gegenstand der Verhandlungen gewesen sein. Die andere Seite hatte sich ja im Gegenteil dagegen verwahrt, daß ihre Haltung in humanitären Fragen „für eine Emigration zu Erwerbszwecken von Personen polnischer Nationalität ausgenutzt wird". In Wirklichkeit ist alles ganz anders gekommen. Die Zahl der Polen, die in der Bundesrepublik Asylantrag stellen, hat sich seit 1976 versiebzigfacht. Die Zahl der Ablehnungen hat sich gar knapp vervierhundertfacht. Von 1976 bis heute haben rund 112 000 Polen in der Bundesrepublik um Asyl wegen angeblich politischer Verfolgung nachgesucht. Es halten sich derzeit rund 150 000 Polen mit Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung in der Bundesrepublik auf. Würde dieser Personenkreis - mehr als die seinerzeit vereinbarte Umsiedlung von 125 000 Deutschen - als nach dem Abkommen „berechtigt" angesehen werden, so könnte sich das nach einer groben Rechnung, aufsummiert über die Rentenlaufzeit, zu einer Belastung von etwa 12 bis 13 Milliarden DM nach heutigem Geldwert auswachsen. Die im Rentenreformgesetz jetzt erfolgende Definition des gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne des DPSVA ist sicher eine geeignete erste Maßnahme, einem bloßen Rententourismus in die Bundesrepublik entgegenzuwirken, zumal es die erklärte Politik der Bundesregierung ist, keine Anreize dafür zu setzen, daß die Bürger Osteuropas ihre Heimat verlassen. Verläßlich wirken kann aber nur die Eingrenzung des persönlichen Geltungsbereichs auf das, was bei Vertragsschluß gewollt war. Wir sehen deshalb beide Seiten nach Treu und Glauben in der Pflicht, sich in geeigneter Weise zu verständigen. Wege dazu gibt es; man muß sie nur gehen wollen. Ein Asylantenbegünstigungsgesetz wäre der Solidargemeinschaft der deutschen Rentenversicherung nicht zumutbar. Welchen gerechten Grund sollte es auch geben, Asylbewerber aus Polen besserzustellen als solche aus anderen Staaten, in denen - anders als im Polen von heute - wirklich politische Verfolgung stattfindet? Was soll man davon halten, daß Drittstaatsangehörige, die in Polen als Gastarbeitnehmer - z. B. aus Vietnam - tätig sind, via DPSVA denkbarerweise gegenüber der deutschen Rentenversicherung polnische Zeiten geltend machen können? Das wäre bei aller Offenheit für multikulturelle Bereicherungen jedenfalls rentenrechtlich eine Unmöglichkeit. Dann wäre es besser, gleich in unser Rentenrecht zu schreiben, daß die deutsche Sozialversicherung die Ausfallgarantie für alles übernimmt, was anderswo nicht bedient wird. ({2}) Auch manche Zumutungen der EG-Kommission scheinen ja, z. B. bei den Kindererziehungszeiten, in diese Richtung zu gehen. Wir können der deutschen Sozialpolitik nur raten, will sie ihr hohes Niveau nicht gefährden, dazu von Anfang an klar nein zu sagen. Lassen Sie mich abschließend noch auf zwei Punkte eingehen, die teilweise auf Kritik gestoßen sind. Die Übertragung der Kosten der Kindererziehungszeiten auf die Rentenversicherung sei durch den erhöhten Bundesanteil zwar möglicherweise bis weit in das kommende Jahrhundert hinein abgedeckt, bleibe aber gleichwohl eine Aufgabe allein des allgemeinen Familienlastenausgleichs. Dieser Auffassung vermag ich so nicht zu folgen. Kinder sind im Grunde das Dek13122 kungskapital der im Umlageverfahren finanzierten Rente. Aber dieses Verfahren funktioniert wie vorgesehen doch nur so lange, wie sich das Verhältnis von Beitragszahlern und Rentenempfängern über die jeweiligen Perioden hinweg nicht grundlegend ändert. Es war - insofern verstehe ich die Kritik allerdings - nicht möglich, z. B. über eine familienorientierte Staffelung der Beitragssätze entsprechende Mittel den Rentenversicherungsträgern zuzuführen. Ernst nehmen wir den Einwand, die bis zum Jahre 2035 nicht sichere, aber vorstellbare Verdoppelung des Alterslastquotienten lasse es angeraten erscheinen, das Umlageverfahren nicht zu überfordern. Deshalb bestehen auch erhebliche Bedenken, neue Aufgaben wie etwa das Pflegefallrisiko für die in Zukunft mit Sicherheit immer größer werdende Zahl der Hochbetagten auf Dauer dem sozialversicherungsrechtlichen Umlageverfahren zuzuweisen. Für die Absicherung der bereits jetzt schwer Pflegebedürftigen war das zunächst sicherlich unvermeidlich. Im übrigen aber sollten wir weitere Überlegungen darauf konzentrieren, inwieweit einer kapitalbildenden Selbstvorsorge der Vorzug zu geben wäre, wie wir ohnehin die ergänzenden Möglichkeiten der betrieblichen oder privaten Altersvorsorge stärker in das Bewußtsein rücken sollten, wofür z. B. die Rückgängigmachung der Quellensteuer auf Kapitallebensversicherungen sicherlich ein richtiger Schritt war. Der Gesetzgeber darf nicht die Illusion nähren, soziale Leistungen kämen wie der Strom aus der Steckdose. Voraussetzung ist und bleibt eine hohe Wirtschaftsleistung, ohne die die Probleme der Zukunft nicht annehmbar zu lösen sein werden. Eben diese Leistungskraft wird aber von der Bildung langfristigen Kapitals begünstigt, die mit jeder ergänzenden privaten Altersvorsorge einhergeht. Wirtschafts- und Sozialpolitik sind eine untrennbare Einheit. Aus diesem Grunde müssen die Reformen der Alterssicherungssysteme ebenso wie die Neuordnung der gesetzlichen Krankenversicherung und anderer Bereiche des Sozialrechts und des Steuerrechts stets als Einheit gesehen und so gestaltet werden, daß die Gesamtabgabelast in wirtschaftlich noch verträglichen Grenzen bleibt. So gesehen ist die Mitwirkung der SPD am Rentenkonsens sehr zu begrüßen. Sie bleibt aber unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit der Renten leider nur ein halber Schritt, solange die SPD nicht zu akzeptieren vermag, daß eben deswegen - damit die unvermeidlich steigende Rentenbeitragslast aufgebracht werden kann - der Krankenversicherungsbeitrag stabilisiert und die Steuerlast gesenkt werden mußte. Alles miteinander, die Steuerreform 1985/90, die Gesundheitsreform 1988 und die Rentenreform 1990/92, war notwendig, um das Ganze zu sichern: eine leistungskräftige Volkswirtschaft, in der soziale Gerechtigkeit verwirklicht werden kann. Für diese schwere Gesamtaufgabe sind und bleiben CDU/CSU und FDP ohne Alternative die am ehesten geeigneten Garanten. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Heyenn.

Günther Heyenn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000897, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe Bauchschmerzen, Herr Kollege Scheu, wenn man das Gesundheits-Reformgesetz in Verbindung setzt mit dem Rentenreformgesetz; denn einer unserer Gründe für die Beteiligung am Konsens war gerade, daß wir bei der Rente verhindern wollten, daß es einen zweiten großen Trümmerhaufen, dem Gesundheits-Reformgesetz vergleichbar, gibt. ({0}) Wir haben uns entschlossen - anders als bei den großen Rentenreformen von 1957 und 1972 -, bereits bei der Vorarbeit für den Gesetzentwurf Einfluß geltend zu machen und Verantwortung zu übernehmen, und das um der sozialpolitischen Sache willen. Im Interesse der Rentner und der Beitragszahler haben wir uns zu diesem Schritt entschlossen. Der gemeinsame Weg birgt allerdings auch Risiken für beide Seiten. CDU/CSU, FDP und der Bundesarbeitsminister müssen damit leben, daß die Sozialdemokraten im Laufe der Konsensgespräche erhebliche Verbesserungen durchgesetzt haben, und sie müssen damit leben, daß wir darüber auch mit sehr deutlichen Worten sprechen. Wir Sozialdemokraten haben uns mit erheblicher Kritik aus Teilen der Partei und aus einzelnen Gewerkschaften auseinanderzusetzen, ({1}) vielleicht auch, weil es für Teile der Partei ungewohnt war, daß wir, die wir uns seit 1982 in der Opposition befinden, hier einen Teil Verantwortung mittragen, allerdings in einer Sache, die nahezu die gesamte Bevölkerung angeht. ({2}) Die Anhebung der Altersgrenzen und die fehlende additive Anrechnung der Kindererziehungszeiten sind Hauptinhalte dieser Kritik. Aber ich glaube, mit diesen Risiken können CDU/CSU, FDP und SPD leben. - Wir bleiben nicht zähneknirschend bei der Stange, Frau Beck-Oberdorf, sondern wir sagen: Dieser Entwurf trägt in wesentlichen Teilen sozialdemokratische Handschrift. ({3}) Wir haben mit 37 % der Mandate eine Menge durchgesetzt. Daß die Alterssicherungssysteme in den kommenden Jahrzehnten vor erhebliche Finanzierungsprobleme gestellt werden, ist inzwischen allgemein bekannt. Die demographische Entwicklung, die veränderte Erwerbsbiographie der Arbeitnehmer und die anhaltend ungünstige Arbeitsmarktsituation werden in den nächsten Jahrzehnten zu einer für die BeitragsHeyenn zahler erheblich belastenden Relation zwischen Beitragszahlern und Rentnern führen. ({4}) Ich will wiederholen: Heute müssen 100 Beitragszahler für 59 Rentner aufkommen. Im Jahre 2000 werden es auf 100 Beitragszahler 75 Rentner sein und im Jahre 2010 sogar 90 Rentner auf 100 Beitragszahler. Ich will ebenfalls wiederholen, daß das Defizit der Rentenversicherung, wenn wir als Gesetzgeber nichts tun, im Jahre 2002 zwischen 345 und 470 Milliarden DM betragen wird. Diese Zahlen verdeutlichen die Notwendigkeit einer Konsolidierung, und dies ist in der Tat ein Gesetz zur Konsolidierung, aber auch zur Veränderung der Strukturen. Verläßlichkeit und Vertrauen in die Generationensolidarität lassen sich durch eine Reform nur wiederherstellen, wenn sie von einer breiten parlamentarischen Mehrheit getragen wird. ({5})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Beck-Oberdorf?)

Günther Heyenn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000897, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn Sie mir gestatten, noch zwei Sätze zu sagen. Nur bei einem parteiübergreifenden Konsens können sich die Beteiligten darauf einrichten, daß die jetzt getroffenen Regelungen auch veränderte Mehrheiten überdauern. Damit werden auch über die unmittelbaren materiellen Inhalte des Reformgesetzes hinaus die politischen und die psychologischen Grundlagen für die Sicherheit im Alter gelegt. Bitte.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Heyenn, wenn Sie hier von den astronomischen Zahlen und von den Löchern, die sich in den Rentenkassen auftun, sprechen, frage ich Sie: Haben Sie auch die astronomischen Zahlen im Bereich der Unternehmensgewinne, die mein Kollege Hoss eben genannt hat, zur Kenntnis genommen, und sehen Sie gerade als Sozialdemokraten da keinen Umverteilungsspielraum, der dort ganz eindeutig auf der Hand liegt?

Günther Heyenn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000897, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir sehen diesen Umverteilungsspielraum eindeutig, und wir sagen Ihnen auch, daß mittel- und langfristig zu dem, was wir jetzt hier beschließen, zur Finanzierung, die Wertschöpfung dazugehört. Nur, mit 37 % der Mandate konnten wir in dieser Konsensrunde dies nicht durchsetzen. ({0}) Wir haben 1984 einen Rentenreformgesetzentwurf vorgelegt. Diesen haben wir in den folgenden Jahren weiterentwickelt. Das jetzt zur Verabschiedung anstehende Gesetz enthält in vielen Teilen Punkte aus diesem Entwurf von 1984, so den künftigen Gleichklang in der Entwicklung der Nettoeinkommen und der Renten, die sogenannte Nettorentenanpassung. Hier liegt im übrigen das Haupteinsparpotential unserer Rentenreform. Über die Anhebung des Bundeszuschusses mag man trefflich streiten. Es ist sicherlich ordnungspolitisch ein Fehler, die Kindererziehungszeiten hineinzurechnen; ({1}) wenn ich aber große Milliardenbeträge und bis zum Jahr 2036 hieraus zusätzliche Mittel im Bundeszuschuß für die Rentenversicherung gewinnen kann, dann bin ich gerne bereit, diesen ordnungspolitischen Fehltritt mitzutragen. ({2}) Wir haben die Verlängerung der Rente nach Mindesteinkommen durchgesetzt, d. h. die Anhebung der niedrigen Pflichtbeiträge für langjährig Versicherte. Bisher war das auf die Zeit bis 1972 begrenzt. In den Konsensverhandlungen haben wir erreicht, daß die Mindestbewertung auf alle Pflichtbeitragszeiten bis 1991 verlängert wird. Damit erhalten die Betroffenen eine Rente über dem Sozialhilfeniveau. Von diesem Schritt profitieren vor allem Frauen, ({3}) deren Niedriglöhne damit im Rentenalter ausgeglichen werden. ({4}) So findet ein Ausgleich der Lohndiskriminierung statt. Entscheidend ist dabei, daß alle Renten, die 1991 laufen, überprüft werden und somit rund 1,4 Millionen Rentner - das ist jeder zehnte Rentner und ist jede zehnte Rentnerin - durchschnittliche Rentenanhebungen von 150 DM im Monat erhalten. ({5}) Damit ist die Altersarmut in der Republik nicht beseitigt - das kann nur eine soziale Grundsicherung leisten -, ({6}) aber es ist ein erheblicher Schritt in die richtige Richtung. ({7}) Auch beim Gesamtleistungsmodell zur Reform bei der Anrechnung der beitragslosen und beitragsgeminderten Zeiten gab es im ersten Diskussionsentwurf gravierende Verschlechterungen für Frauen. Nach dem Entwurf der Bundesregierung hätten Frauen mit im Durchschnitt 3,2 % der Rentenausgaben, Arbeiterinnen sogar mit im Durschnitt 5,2 % Rentenverschlechterungen hinnehmen müssen. Durch unsere Vorschläge wurde das Gesamtleistungsmodell umgestaltet, und in Verbindung mit der Weiterführung der Rente nach Mindesteinkommen wurden erhebliche Verbesserungen für Frauen erzielt. Die drohende Finanzierungskrise der gesetzlichen Rentenversicherung hat allerdings - das darf nicht unausgesprochen bleiben - die jetzige Bundesregierung mitverschuldet. So wurden mit dem Haushaltsbegleitgesetz die Rentenversicherungsbeiträge der Bundesanstalt für Arbeit mehr als halbiert, auf diese Weise wurden der Rentenversicherung jährlich 5 Milliarden DM entzogen. Durch den Einsatz der SPD ist Ergebnis der Konsensgespräche, daß wir die halbierten Beiträge der Arbeitslosen zur Rentenversicherung wieder anheben, zwar bedauerlicherweise nicht auf 100 %, aber doch auf 80 %. Es muß darauf hingewiesen werden, daß dies gegenüber dem heutigen Stand jährliche Mehreinnahmen von 4 Milliarden DM für die Rentenversicherung bedeutet. Sehr schmerzlich ist uns geworden, daß in diesem Zusammenhang die Leistungen für Arbeitslose in ihrer Auswirkung auf die Berechnung der Rente abgesenkt wurden. Wir konnten in den Konsensverhandlungen nur erreichen, daß dies zeitlich hinausgeschoben wird und in Stufen erfolgt. Die Heraufsetzung der Altersgrenzen in der gesetzlichen Rentenversicherung hat vor allem im Hinblick auf die gegenwärtige Arbeitsmarktsituation viel Unmut hervorgerufen. Wir haben dieser Heraufsetzung zugestimmt, weil wir erreichen konnten, daß der Eintritt der Maßnahme um acht Jahre hinausgeschoben wird und daß die Heraufsetzung dann in kleinen Schritten erfolgt, und weil wir erreicht haben, daß ab 1997 der Deutsche Bundestag jährlich mit dem Rentenanpassungsbericht darüber informiert wird, wie sich die Anhebung der Altersgrenzen ab 2001 auf die Finanzen des Bundes, auf die Finanzen der Rentenversicherung und auf die Arbeitsmarktsituation auswirken wird. Meine Damen und Herren, wenn wir dann noch Massenarbeitslosigkeit haben, wird wohl jede Mehrheit, welche es dann auch gibt, sagen: Bei Massenarbeitslosigkeit ist die Heraufsetzung der Altersgrenze nicht zumutbar. Und dann wird man zu entsprechenden gesetzlichen Schritten kommen. ({8}) Wir hätten die Entscheidung über die Altersgrenzen in diesem Gesetz gerne vermieden. Ich will aber nicht verhehlen, daß die Ankündigung dieser Heraufsetzung ab 2001 für die Versicherten und für ihre Lebensplanung auch eine nicht unerhebliche Bedeutung hat. Meine Damen und Herren, der Kollege Scheu hat zum Fremdrentengesetz gesprochen. Ich will mich darauf beschränken, zu sagen, daß wir mit dem Fremdrentengesetz und den daraus resultierenden Leistungen Millionen Heimatvertriebene und DDR- Flüchtlinge in der Vergangenheit rentenrechtlich, also sozialpolitisch, in die Bundesrepublik integriert haben. ({9}) Wir haben immer wieder betont, daß wir am Grundprinzip des Fremdrentengesetzes, nämlich dem Integrationsprinzip, festhalten. Eine Demontage dieses Gesetzes kommt für uns nicht in Frage. ({10}) Zudem - das will ich zur Bezahlung sagen - ist darauf hinzuweisen, daß für Jahrzehnte die günstige Altersstruktur der Aus- und Übersiedler positive Auswirkungen auf die Finanzen der Rentenversicherung haben werden. Wir wollen allerdings auch eines - das leisten wir mit diesem Gesetz - : Wir wollen dort, wo sich durch das geltende Recht oder durch Entscheidungen des Bundessozialgerichts Besserstellungen für Aus- und Übersiedler gegenüber bundesdeutschen Bürgern ergeben haben, das Recht ändern. Aus- und Übersiedler sollen nicht bessergestellt werden als bundesdeutsche Bürger, sie sollen aber auch nicht schlechtergestellt werden. ({11}) Wir haben mit dem vorgesehenen Entwurf unser Ziel, die Belastungen aus der demographischen Entwicklung weitgehend gleichgewichtig auf Bund, Versicherte und Rentner zu übertragen, weitgehend erreicht. Der Einstieg in die Harmonisierung ist zu begrüßen. Was muß ich zum Schluß noch erwähnen? Ich glaube, es ist wichtig, darauf hinzuweisen, daß wir für alle, die ab 1. Januar 1992 berufs- oder erwerbsunfähig werden - und dies vor dem 55. Lebensjahr -, die Zurechnungszeit ausgebaut haben. Das bedeutet für diesen Personenkreis eine Anhebung um durchschnittlich 60 DM im Monat bei ihrer Rente. Ich muß auch noch erwähnen, daß wir den Alterssicherungsbericht ab 1997 einmal in jeder Legislaturperiode vorgelegt bekommen, um im Bundestag dann über die Einkommenssituation im Alter der gesamten Bevölkerung und nicht nur der der Rentenversicherung diskutieren zu können. ({12}) Der Personenkreis der Verfolgten mit Kindern im Ausland, auf den Herr Hoss hingewiesen hat, wird im wesentlichen schon nach heutigem Recht durch die Anrechnung von Ersatzzeiten entschädigt. Ich muß darauf hinweisen - das ist ganz wichtig - , daß wir erstmalig seit 40 Jahren für deutschsprachige Juden die Anerkennung als Vertriebene erreicht und damit Leistungsmöglichkeiten nach dem Fremdrentengesetz geschaffen haben. Ich halte das für einen erheblichen Fortschritt. ({13}) Lassen Sie mich abschließend kurz vier Punkte nennen: Erstens. In diesem Gesetzentwurf ist die sozialdemokratische Handschrift deutlich erkennbar. Zweitens. Mit diesem Gesetzentwurf haben wir für die nächsten 20 Jahre die politischen und psychologischen Grundlagen für die Sicherheit im Alter gelegt. Drittens. Die Einführung einer sozialen Grundsicherung, die Einführung eines Wertschöpfungsbeitrags und die Abschaffung der Geringfügigkeitsgrenze, was wir hier nicht lösen konnten, bleiben für uns Sozialdemokraten auf der Tagesordnung. ({14}) Viertens. Wir haben mit diesem Gesetzentwurf nicht nur der politischen Kultur in der Republik gedient, wir haben auch gegenüber den Vorschlägen der Koalition bei aller nötigen Konsolidierung erhebliche Verbesserungen erreicht. Darauf sind wir ein bißchen stolz. Wir haben den betroffenen Beitragszahlern und den betroffenen Rentnern erheblich geholfen. Vielen Dank. ({15})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Abgeordnete Heinrich.

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Meiner Rede möchte ich die Überschrift geben: Vertrauen in das gemeinsame Konzept der Alterssicherung. Die seitherigen Beiträge rechtfertigen, glaube ich, diese Überschrift. Die beitrags- und leistungsbezogene Rentenversicherung ist für die Mehrheit unserer Bürger die bedeutendste Absicherung im Alter. Dabei wird es auch künftig bleiben. Keiner, der heute Rente bezieht, muß - dies sei in aller Klarheit gesagt - Angst haben, daß seine Rente gekürzt wird. Notwendige Korrekturen werden, soweit sie nicht Verbesserungen enthalten, nur für die Zukunft vorgenommen. Mit langen Übergangsregelungen haben wir dafür gesorgt, daß rentennahen Jahrgängen der Anpassungsprozeß erleichtert wird. Dabei habe ich Verständnis, daß all diejenigen, denen diese Übergangsregelungen noch nicht ausreichen, natürlich gerne weitreichendere Regelungen gehabt hätten; aber mehr ließ sich in diesem Rahmen nicht durchsetzen. Besonders wichtig war für uns, daß auch künftig an der Vielfalt des gegliederten Systems unserer Alterssicherung festgehalten wird. Es ist sachlich und historisch begründet sowie im Bewußtsein der betroffenen Personengruppen fest verankert. Vergessen wir aber nicht, daß die gesetzliche Rentenversicherung die Lebensstandardsicherung auf längere Sicht nicht in jedem Fall gewährleisten kann. - Kollege Cronenberg hat darauf bereits hingewiesen. - Deshalb gehören nach unserer Auffassung neben der ersten Säule, der gesetzlichen Rentenversicherung, auch die zweite Säule, die betriebliche Altersversorgung, und die dritte Säule, die private Vorsorge, dazu. Eine Einheitsversorgung, auch in Form einer allgemeinen Grundsicherung, lehnen wir hingegen ab. Wir können uns auch weiterhin nicht mit Vorstellungen anfreunden, alle Selbständigen obligatorisch in die Rentenversicherung einzubeziehen. Dafür gibt es weder Bedarf noch eine Notwendigkeit. Insofern ist es richtig, daß der Entscheidungsspielraum, ob ein Selbständiger in die Rentenversicherung als Pflichtmitglied eintreten will oder nicht, nunmehr von zwei auf fünf Jahre verlängert wird. Dieser Grundsatz von mehr Wahlfreiheit verlangt aber auch im Bereich der Handwerkerversicherung, allen Plänen eine deutliche Absage zu erteilen, die auf eine wesentlich längere Zwangsmitgliedschaft als nach geltendem Recht zielen. Es ist uns gelungen, gravierende Verschlechterungen für die jetzt aktiven Alleinmeister zu vermeiden. Damit wird die Akzeptanz dieses Reformvorhabens erhöht. Sie wird ebenso durch die verlängerte Nachzahlungsmöglichkeit - in Zukunft bis zum 45. Lebensjahr - für jetzt nicht mehr anerkannte Ausbildungszeiten als zukünftige Anrechnungszeiten erhöht. Wir haben in den Beratungen im Ausschuß, die sehr konstruktiv verliefen, nicht nur die Möglichkeiten der vorzeitigen Wartezeiterfüllung verbessert, wenn Erwerbsunfähigkeit oder Tod die Folge einer Krankheit kurz nach Beendigung einer Ausbildung sind, sondern auch bestehende Ungerechtigkeiten hinsichtlich einer Gruppe von Arbeiterwitwen abgebaut. Nicht übersehen werden darf, daß - das liegt mir ganz besonders am Herzen - entscheidende Verbesserungen für Behinderte erzielt wurden. Dies gilt nicht nur für die Bewertung der Beiträge zur Rentenversicherung - diese wurden von 70 % auf 80 % erhöht, Herr Kollege Hoss - , sondern vor allem auch für den Wegfall der bisher geltenden Regelung, nach der in den letzten fünf Jahren vor dem Rentenbezug mindestens drei Jahre Pflichtbeiträge gezahlt werden mußten. Diese flexible Regelung macht jedoch zugleich deutlich, daß das gesamte Recht der Invaliditätsrenten der Überprüfung bedarf. Hier werden wir in der Zukunft noch einiges zu leisten haben. In der öffentlichen und parlamentarischen Diskussion waren die Renten von Aus- und Übersiedlern in den letzten Monaten ein wesentliches und oft dominierendes Thema. Bei dieser oft emotional und noch öfter ohne Sachkenntnis geführten Diskussion ({0}) war fast immer festzustellen, daß auch in der Bundesrepublik unterschiedliche Lohn- und Gehaltsstrukturen in den einzelnen Regionen und Branchen immer auch unterschiedlich hohe Renten zur Konsequenz haben. Diese Tatsache muß man auch in der Diskussion über die Aus- und Übersiedlerrenten berücksichtigen. Dazu noch eine Bemerkung. Man kann nicht einerseits eine rasche Integration dieses Personenkreises in unsere Wirtschaft und Gesellschaft fordern und andererseits - ohne schamrot zu werden - so tun, als hätten diese neuen Bürger nie gearbeitet. ({1}) Bei der Regelung dieser sehr komplizierten Materie ließen wir uns aber immer noch von dem Gedanken leiten, daß besondere Vergünstigungen für diesen Personenkreis der Aussiedler, die unserem Recht nicht entsprechen, beseitigt werden müssen. Dies gilt auch - und insofern besteht Übereinstimmung mit der polnischen Regierung - für die im deutsch-polnischen Sozialversicherungsabkommen Begünstigten. Um pauschalierende Besserstellungen zu minimieren, haben wir die bisherige Eingruppierung in bestimmte Leistungsgruppen durch 24 Branchenwerte ergänzt. Ich bin mir im klaren darüber, daß dies Mehrarbeit für die Rentenversicherungsträger schafft, aber ich bin absolut sicher, daß eine solche Regelung dazu beiträgt, daß wir unserem Ziel nahe kommen, sowohl für die Neubürger als auch für die eingesessene Bevölkerung gleichermaßen vertretbare Lösungen der Probleme zu schaffen. Was das deutsch-polnische Sozialversicherungsabkommen betrifft, so haben wir eine sofortige Kündigung, wie sie von manchen suggeriert wurde, abgelehnt. Wir verkennen aber nicht, daß die politischen Veränderungen in Polen es notwendig machen, gemeinsam mit den Polen darüber nachzudenken, ob die in den 70er Jahren unter ganz anderen Umständen getroffenen Entscheidungen auf Dauer noch aufrechterhalten werden können. Lassen Sie mich noch auf einige Aspekte eingehen, die heute in der Debatte angeklungen sind, Vorstellungen, die - äußerst vorsichtig ausgedrückt - problematisch sind. Ich erwähne in diesem Zusammenhang auch die Forderung vom Kollegen Dreßler nach einer Wertschöpfungsabgabe. Richtiger müßte es ja wohl heißen: nach einer Rationalisierungs- oder Investitionsstrafsteuer. Wir sagen dazu ein klares Nein; denn gerade bei den anstehenden demographischen Problemen, die wir nur bewältigen können, wenn unsere Wirtschaft international und im EG-Rahmen wettbewerbsfähig bleibt, können wir uns eine zusätzliche Belastung von Innovation und wirtschaftlichem Fortschritt nicht leisten. ({2}) Verlockend mag in manchen Ohren auch die Forderung nach einer bedarfsorientierten Grundsicherung klingen. Doch wer solchen Schalmeienklängen folgt, verniedlicht die damit verbundenen Gefahren, daß nämlich früher oder später die beitragsfinanzierte Rentenversicherung auf Grund läuft. Lassen Sie mich noch ein Wort zu den gerade geäußerten Befürchtungen sagen, der vorgesehene Regelmechanismus zwischen Rentenanpassung, Beitragssatz und Bundeszuschuß führe zur Entpolitisierung. Im Ausschuß wurde sogar von einer Selbstkastrierung des Bundestages gesprochen. - Bei allem Verständnis für solche Bedenken, die das Selbstverständnis des Parlamentes berühren - ich halte sie letztlich für nicht durchschlagend; denn durch die jetzige Regelung ist doch der Gesetzgeber nicht gehindert, einzugreifen, wann immer er es für notwendig hält. Der künftige Regelmechanismus entlastet aber nicht nur das Parlament, ist also Entbürokratisierung, Deregulierung im besten Sinne, hemmt kurzsichtige Einzelfallentscheidungen, wie es sie in der Vergangenheit gab, sondern trägt auch zur ausgewogenen Belastung aller Beteiligten, nämlich der Beitragszahler, der Rentner und des Bundes, bei der Bewältigung der Probleme der demographischen Entwicklung bei. ({3}) Lassen Sie mich noch ein paar kurze Sätze zur Verlängerung der Kindererziehungszeiten sagen. Die jetzt vorgesehene Verbesserung bei der Anrechnung von Zeiten der Kindererziehung und Pflege wird von uns nachdrücklich unterstützt, ({4}) wird doch damit eine alte FDP-Forderung endlich erfüllt. Die jetzige Regelung ist aber noch nicht weitgehend genug. Wir berücksichtigen partiell die gesellschaftlichen Veränderungen, aber, wie gesagt, eben nur teilweise. Hier besteht noch Handlungsbedarf. Die Rezepte dafür sind sehr unterschiedlich. Für uns Liberale geht es in diesem Zusammenhang nicht um eine irgendwie geartete Bevölkerungspolitik. Wir wollen dem einzelnen oder der einzelnen auch nicht ein bestimmtes Lebensmodell vorschreiben. Wenn ihr oder ihm zum Ausgleich der zusätzlichen Belastungen, die mit Kindern notwendigerweise verbunden sind, Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung gewährt werden, darf unserer Ansicht nach nicht danach differenziert werden, ob jemand wegen seiner Kinder zu Hause bleibt ({5}) oder ob er den ohnehin schwierigen Versuch unternimmt, Berufsleben und Kindererziehung unter einen Hut zu bringen. Deshalb halten wir die Anerkennung der Kindererziehungszeiten auch bei Berufstätigkeit oder freiwilliger Beitragsleistung, begrenzt bis zur Beitragsbemessungsgrenze, in vollem Umfang für erforderlich. Nach unserer Auffassung berücksichtigt nur eine solche Regelung die veränderten gesellschaftlichen Umstände und trägt dem sich langfristig ändernden Erwerbsverhalten von Frauen, das ja von allen gewünscht wird, Rechnung. Ich möchte noch ein deutliches Wort zu den immer wieder vorgebrachten kritischen Äußerungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes zur Verlängerung der Lebensarbeitszeit sagen. Wer dies ablehnt und die Wochenarbeitszeit gleichzeitig auf 35 Stunden verringern will, muß sich über die gefährlichen Konsequenzen in der Zukunft im klaren sein. Dies hieße im Klartext: Senkung des Rentenniveaus. ({6}) Auch der DGB muß endlich zur Kenntnis nehmen, daß das Rentenniveau entscheidend durch die Beiträge beeinflußt wird und daß bei kürzerer Arbeitszeit auch weniger Beiträge in die Kassen der Rentenversicherung fließen. ({7}) Lassen Sie mich zusammenfassend noch einmal sagen: Der Konsens zwischen CDU/CSU, SPD und FDP ist deshalb gelungen, weil sich die beteiligten Parteien ihrer Verantwortung bewußt waren, in dieser überaus wichtigen Frage der Alterssicherung eine große Aufgabe gemeinsam lösen zu müssen, und dafür die normalerweise nun einmal bestehenden Hürden beiseite schoben. Für mich ist das erneut ein Beweis dafür, daß die Parteien ihren Auftrag in der Demokratie verantwortungsbewußt wahrnehmen, und dies stimmt mich hoffnungsvoll. Herzlichen Dank. ({8})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Beck-Oberdorf.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einer sitzt bisher ja ganz still auf der Regierungsbank. Das ist der Herr Minister Blüm. ({0}) - Ich weiß. Ich sage nur, daß er still dasitzt. Mehr habe ich nicht gesagt. - Der Herr Minister Blüm ist diesmal ja mit einem blauen Auge davongekommen. Die große gesellschaftliche Auseinandersetzung um die Gesundheitsstrukturreform hatte ihn tatsächlich schwer angeschlagen. Dafür hatten unter anderem die Damen und Herren von der Sozialdemokratie gesorgt. ({1}) Diesmal steht der Herr Minister besser da. Es scheint so, als sei die Rentenreform wirklich zu aller Zufriedenheit ausgefallen. Dabei ist leicht zu belegen - mein Kollege Hoss hat das heute morgen schon sehr eindringlich getan - , daß die Einschnitte, die diese Reform für die Rentner und Rentnerinnen d. h. für die alten Menschen in dieser Gesellschaft, bereithält, mindestens so schwerwiegend wie die Belastungen durch die Gesundheitsreform sind. ({2}) Nur hat es der Minister diesmal geschickter angestellt und vorher mit den Sozialdemokraten einen Deal gemacht. Damit hat hier eine wesentliche Stimme der Opposition gefehlt. Es ist sogar so, daß der Kompromiß die Sozialdemokratie so mundtot gemacht hat, daß sie - so würde man es im Volksmund sagen - jetzt Scheiße für Gold verkauft. ({3}) - Den Volksmund darf man hier ja wohl zitieren, oder? ({4}) Das heißt, daß sie keinerlei Anstrengungen mehr unternommen hat, die Bevölkerung aufzuklären und ihr zu vermitteln, was dieses Gesetz eigentlich bedeutet. ({5}) Sie hofft, bei diesem Deal ungestraft davonzukommen. Die Wortgewalt des Kollegen Dreßler heute morgen soll nur über das schlechte Gewissen der Sozialdemokraten hinwegtäuschen. ({6}) Der massenhafte Protest alter Menschen ist denn auch überwiegend ausgeblieben. Wen wundert es? Denn es ist nur verständlich, wenn immer und immer wieder betont wird, daß wir in eine geradezu dramatische Veränderung der Altersstruktur unserer Gesellschaft hineinwachsen, und Kollege Dreßler gebrauchte heute morgen immer das skandalöse Wort von der Alterslast. Nach solch einer Propaganda müssen die Alten dann schon froh sein, wenn nicht noch mehr gekürzt wird als das, was jetzt vorliegt. ({7}) Wieder haben wir es mit einem Spar- und Kürzungsgesetz und nicht mit einem Reformgesetz zu tun, das dringend notwendige Strukturveränderungen anpackt. Das hätte nämlich bedeutet, der Tatsache Rechnung zu tragen, daß die Rentenfrage im wesentlichen eine Frauenfrage ist, weil Armut im Alter weiblich ist. ({8}) Das wissen auch die Rentenreformer. Hätten sie sich sonst genötigt gesehen, diese Reform im Vorfeld unverfroren als so frauenfreundlich anzupreisen? Ich will nicht leugnen, daß es kleine Zugeständnisse an Frauen gegeben hat, z. B. mit der Verlängerung der Rente nach Mindesteinkommen und der Anerkennung von Kindererziehungszeiten. Aber die sind durch die Verlängerung der Lebensarbeitszeit gleich wieder doppelt kassiert worden. Das müssen Sie hier auch zugeben; doch dazu später. Zunächst einmal etwas Grundsätzliches: Mit dieser Reform wurde die Chance verpaßt, die längst überfällige eigenständige Alterssicherung der Frauen anzugehen. Ich frage Sie: Wozu berufen Sie eigentlich Enquete-Kommissionen ein - die immer auch viel Geld kosten, die viele Sitzungen abhalten - , ohne dann deren Aussagen überhaupt zur Kenntnis zu nehmen? ({9}) So eine Enquete-Kommission gab es nämlich bereits in den 70er Jahren. Sie forderte schon damals eine Umgestaltung des Rentenrechts, um endlich zu einer eigenständigen Alterssicherung der Frauen zu gelangen. ({10}) Diese Forderung ist heute noch dringlicher als damals. Knapp zwei Drittel aller Rentnerinnen der Arbeiterrentenversicherung beziehen eine erbärmliche Rente unter 500 DM, ({11}) fast 40 % weniger als 300 DM. Das sind Zahlen, die Sie in den Unterlagen, die Ihnen von der Regierung in der Ausschußberatung zugeleitet worden sind, selbst nachlesen können. ({12}) - Auf die Beitragsjahre komme ich gleich, Herr Kolb. - Im Gegensatz dazu sind von einer niedrigeren Rente als 500 DM nur 13 % der Männer betroffen. Das Bild ist immer gleich: Die Frauen haben winzige Renten, weil sie doppelt benachteiligt werden. ({13}) Zum ersten haben die wenigsten Frauen eine lebenslange geschlossene Erwerbsbiographie. Wie sollten Sie auch? Denn schließlich hat diese Gesellschaft ihnen ja die Rolle der Verantwortlichen für Haus und Kinder zugeschoben - die Pflege der Alten und Kranken nicht zu vergessen. Zum zweiten: Selbst wenn die Frauen ein Leben lang erwerbstätig waren, sind ihre Löhne so viel niedriger als die der Männer, daß sich ihre Renten am Sozialhilfesatz entlanghangeln. ({14}) So erhalten ca. 21 % der ledigen Frauen - und die sind in der Regel ihr Leben lang berufstätig gewesen - eine Rente von weniger als 900 DM. Noch schlimmer steht es um die geschiedenen Frauen: 24 von ihnen liegen mit ihrer Rente unter 900 DM, aber jede dritte Ehe wird geschieden. Was heißt denn das? In einer Zeit, in der noch so viel Beschwörung von Liebe, Treue, Familienglück und trautem Heim nicht mehr die lebenslange Verbindung zweier Menschen herbeireden kann - das kann man nicht herbeireden - , ist es sozialpolitisch schlicht unverantwortlich, ein soziales Sicherungssystem genau an diese Fiktion zu knüpfen. ({15}) Und Sie haben heute morgen wieder von der Familienrente geredet. Die Familienrente ist in unserer Zeit eben nicht mehr tragfähig. Dämmert es Ihnen jetzt, warum die Frauen zunehmend auf ein Antidiskriminierungsgesetz und auf Anspruch auf bezahlte Freistellung bei der Kindererziehung pochen? Wenn einerseits Herr Glotz vom Ende des Patriarchats schreibt und andererseits seine Partei hier eine Rentenreform mitgebastelt hat, die diesen Mißständen nicht vom Ansatz her zu Leibe rückt, können wir diese Glotzschen Aussagen allerdings nur müde belächeln. ({16}) Doch selbst innerhalb des bestehenden Systems gibt es große Ungerechtigkeiten: Die Kindererziehungszeiten werden den erwerbstätigen Müttern vorenthalten, obwohl gerade sie oft diejenigen sind, die keine Chance haben. Die nicht erwerbstätigen Hausfrauen und Mütter, die Sie sich wünschen - sicher nicht nur zum Wohl der Kinder, sondern auch deshalb, weil das die Frauen sind, die Ihnen weiterhin die Hemden bügeln und die Hausschuhe hinterhertragen, weil sie eben die Zeit dazu haben -, ({17}) haben die Wahl, und die Frauen, die erwerbstätig bleiben, haben eben nicht die Wahl - sie sind oft alleinerziehend - , denen gewähren Sie keine Anerkennung der Kindererziehungszeiten. Das ist schlichtweg ein Skandal. ({18}) Ich werde einmal schauen, wie sich die Kolleginnen dieses Hauses, die leider nicht den Mut hatten, sich von den Männern zu emanzipieren und einen fraktionsübergreifenden Frauenantrag zu formulieren, dann bei der namentlichen Abstimmung verhalten werden. ({19}) Die Heraufsetzung der Altersgrenze - obwohl nichts von der Doppelbelastung der Frauen beseitigt ist - ist ein geradezu niederträchtiger Gleichberechtigungsschachzug. Hier stellen Sie zum ersten Mal „Gleichberechtigung" her, ausgerechnet indem Sie damit Schutzrechte für Frauen abschaffen. Wir jedenfalls können nicht verstehen, daß gerade die Kolleginnen von der Sozialdemokratie solche Ungerechtigkeiten und Verschlechterungen für die Frauen mitgetragen haben und durch diesen Kompromiß mit möglich machen. ({20}) Wir meinen auch, daß die Verlängerung der Rente nach Mindesteinkommen, die übrigens nur bis 1992 gelten soll, das Kuscheln mit den Regierungsparteien nicht gerechtfertigt hat. ({21}) - Herr Heyenn, wie können Sie fragen: Wo gibt es denn Verschlechterungen? Anscheinend lesen Sie als Sozialdemokrat nicht einmal Ihre Gewerkschaftspapiere mehr. Die erzählen Ihnen nämlich, daß die Verlängerung der Lebensarbeitzeit eine Verschlechterung für Frauen ist. ({22}) Natürlich wird die Rente nach Mindesteinkommen einem Teil der Frauen helfen. Das soll hier nicht weggeredet werden. ({23}) Das will ich hier gar nicht leugnen. Damit wird immerhin das geringe Lohnniveau von Frauen, das diese Gesellschaft trotz formaler Gleichstellung immer noch zuläßt, auf 75 % des Durchschnittseinkommens aufgestockt. Meine Damen und Herren: Auf 75 %! Das heißt: Für Frauen sind drei Viertel gerade gut genug; denn das ist angeblich, Ihrer Meinung nach wohl, das gesellschaftlich Richtige, was Frauen zusteht. Im Klartext heißt das: Dreiviertel vom Ganzen ist genug für einen Frauenlohn, genug jedenfalls, um das schlechte Gewissen der Männerwelt zu beruhigen. In Mark und Pfennig bedeutet das eine Aufstockung der Rente auf höchstens 700 DM bis 980 DM. ({24}) Immer noch: Sozialhilfe als Lohn für Lebensleistung. Es können noch nicht einmal alle Frauen davon profitieren; denn die Voraussetzung dafür ist eine Erwerbsbiographie von 35 Jahren. Jetzt werden darin auch die Kindererziehungszeiten mit eingerechnet, aber Voraussetzung ist immerhin noch fast eine ganze Lebensarbeitsbiographie. ({25}) Hinzu kommt, daß bei Teilzeitarbeit die Aufstokkung künftig geringer ausfällt. Auch das ist eine Verschlechterung der alten Regelung. Überhaupt die Teilzeitarbeit. Diese Bundesregierung rührt ständig die Trommel für die Teilzeitarbeit. Das ist ihre Antwort für das schier unlösbare Problem, Kinder, Haus und Beruf unter einen Hut zu bringen. Sie wissen genau, daß es die Frauen sind, ({26}) die in Teilzeit gehen, und nicht die Männer. Gleichzeitig aber legen Sie heute ein Rentengesetz vor, das durch seine Lohn- und Beitragsbezogenheit Teilzeitarbeitende zu den Armen von morgen macht - und das sind die Frauen. Ziel einer Rentenreform hätte es sein müssen, allen alten Menschen ein existenzsicherndes Alterseinkommen jenseits der ungenügenden Sozialhilfe zu garantieren. Diese Chance wurde verpaßt. Die Sozialdemokratie hat ihre Stimme nicht erhoben, die Werbetrommel nicht gerührt, in der Gesellschaft nicht dafür gekämpft, daß genau das endlich eine Selbstverständlichkeit wird. Sie hat vielmehr mit den Regierungsparteien gekuschelt und steht jetzt da und muß diesen Kompromiß auch noch vollmundig verteidigen. ({27}) Die Einführung einer bedarfsorientierten Grundsicherung würde dieses Ziel sofort erreichen. Meine Damen und Herren, dieses Mal sind Sie gut davongekommen. Noch schlucken viele ältere Menschen, viele Frauen die Armut, die ihnen diese Gesellschaft zumutet. Ich bin mir aber sicher, daß mit zunehmendem Selbstbewußtsein der Frauen die Legitimation für dieses Gesetz immer brüchiger wird. ({28}) Auch wenn Sie so gerne mit dem Schlagwort „Jahrhundertreform" hantieren, bin ich mir gewiß: Hundert Jahre werden die Frauen nicht mehr stillhalten. ({29}) Sie werden dafür sorgen, daß die Rentenreform weiter auf der Tagesordnung bleibt. ({30})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Limbach.

Editha Limbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch heute morgen spielt wie in vielen Gesprächen zur Rentenreform immer wieder die Frage eine Rolle: Wie frauenfreundlich und wie familienfreundlich ist diese Reform? Dabei möchte ich doch einmal darauf hinweisen, gerade auch wegen der Ausführungen der Kollegen von der SPD, daß in dieser Hinsicht wichtige Schritte auch schon vor diesem Reformgesetz getan wurden. Ich denke daran, daß die Wartezeit für das Altersruhegeld von 15 auf 5 Jahre gesenkt wurde, was insbesondere Frauen zugute kommt ({0}) - es sind immerhin 200 000 Frauen, die dadurch einen Anspruch auf Rente bekommen haben, das muß man auch sehen -, ({1}) und auch die Tabellenwerte für die ersten fünf Jahre werden für Männer und Frauen inzwischen gleich berechnet. Aber die wichtigste Entscheidung überhaupt - das ist schon 1986 eingeläutet worden und wird jetzt erst ausgebaut - war die Einführung von Kindererziehungszeiten. Ich gehe darauf etwas weiter ein, weil dieser Punkt in der Debatte gerade deshalb eine Rolle spielt, weil Kindererziehungsszeiten in einer ganz bestimmten Weise ausgeformt worden sind. Vielleicht sollte man noch einmal betonen: Natürlich sind Frauenpolitik und Familienpolitik nicht identisch, aber sie haben immer Berührungspunkte, haben immer etwas miteinander zu tun. Dem Konzept der Kindererziehungszeiten in der Rente liegt eine bestimmte Vorstellung zugrunde; dies ist aber nicht die Vorstellung einer bestimmten Rolle, die Mann oder Frau in der Ehe in bezug auf Kindererziehung, Erwerbsleben und gesellschaftliches Engagement haben. Wir gehen davon aus - das haben wir immer mit dem Prinzip der Wahlfreiheit ausgesprochen -, daß Frauen und Männer nach ihren eigenen Kriterien entscheiden sollen, wie sie das gestalten. Jetzt kommt der Punkt: Natürlich gibt es - das sehen wir auch - Einschränkungen dieser Wahlfreiheit durch äußere Umstände: Alleinleben, mangelndes Einkommen und dergleichen. Aber man muß sehen: Man kann nicht immer alle Probleme, die es dann gibt, jeweils mit einem einzigen Gesetz lösen. Vielmehr ist es vernünftiges und auch pragmatisches politisches Handeln, aber ausgerichtet an einem Konzept, wenn man immer da, wo es denn geht und wo es sinnvoll erscheint, e i n Problem, das in dieser Gesellschaft in dieser Beziehung besteht, zu lösen versucht. Hier ging es uns darum, die Folgen der Entscheidung zur Erziehung ohne Erwerbstätigkeit verträglich zu gestalten. Der Haken war ja - ich spreche nur von diesen Familien - : Wenn man sich für Erziehungsarbeit ohne Erwerbsarbeit entschied, man kann auch sagen: entscheiden konnte, hatte das gravierende Nachteile in der Rentenbiographie. Diese Lücke auszufüllen, das ist das Ziel der Kindererziehungszeiten. Wir sind sehr froh, daß das von uns 1986 eingeführte eine Jahr rentenbegründend - das muß man ausdrücklich sagen - und rentensteigernd für die Geburten ab 1992 auf drei Jahre ausgedehnt wird. ({2}) Hier möchte ich auch einmal erwähnen, daß wir von der CDU/CSU-Fraktion es gerne gesehen hätten, daß diese Neuregelung schon für die Geburten ab 1990 gegolten hätte. ({3}) Das war aber in den Konsensgesprächen nicht durchzusetzen. ({4}) Erlauben Sie einmal eine Bemerkung zum Kompromiß. Es ist bei jedem Kompromiß, und sei er noch so fair, so, daß niemand der Beteiligten seine eigenen Anschauungen lupenrein durchbringen kann. So hat jeder, der daran beteiligt war, sicher in dem einen oder anderen Punkt nachgeben müssen. Die Ausdehnung ab 1992 war z. B. ein Punkt, wo wir nachgegeben haben. Ich meine, auch das sollte man einmal sehen: denn das Prinzip „Kompromiß" gilt auch für die Beamtenversorgung. Auch da wurden nicht alle Vorschläge, die z. B. von uns Frauen erarbeitet wurden, in den gemeinsamen Konsens aufgenommen. Aber es gehört auch zur Fähigkeit, gemeinsam Politik zu machen, daß man akzeptiert, daß man auch Kompromisse suchen und finden muß, und daß man dann, wenn sie gefunden sind, dazu gemeinsam stehen muß, auch wenn man selbst vielleicht noch einzelne Vorbehalte hat. ({5}) Eine konkrete Verbesserung - das ist hier auch gesagt worden - stellen auch die Kinderberücksichtigungszeiten dar - sie gelten auch für Geburten vor 1992 -, die bis zu zehn Jahren pro Kind betragen. Sie sind - das muß man einmal sagen - ein wichtiger Baustein, um Ansprüche, z. B. den Anspruch auf eine Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit, aufrechtzuerhalten, ohne daß für diese Zeit Beiträge gezahlt werden müssen. Die Kinderberücksichtigungszeiten haben eine besondere Bedeutung auch im Rahmen der Gesamtleistungsbewertung, weil sie verhindern - da kommt wieder das Element der Rentenlücke wie bei den Kindererziehungszeiten - , daß sich in diesem Rahmen erziehungszeitbedingte Lücken mindernd auf die Bewertung der beitragslosen Zeiten auswirken. Auch hier ist das Ziel nicht sozusagen ein genereller Zuschlag für Erziehungsleistungen, sondern Hilfe, um Lücken, die durch Erziehung ohne Erwerbstätigkeit entstehen, zu verringern oder aufzufüllen. Dazu erwähne ich die Pflegeberücksichtigungszeiten, die vorgesehen sind. Im Ausschuß haben wir eine Verbesserung herbeigeführt, indem der Begriff der Pflege aus dem BSHG übernommen wurde, der etwas mehr Spielraum gibt. Diese Pflegeberücksichtigungszeiten werden vielfach von Frauen in Anspruch genommen, weil diese, wie schon zu Recht gesagt wurde, die Erziehungs- und Pflegeleistungen übernehmen. Diese Zeiten haben dieselben positiven Wirkungen wie die Kinderberücksichtigungszeiten, die ich hier dargestellt habe. Nun lassen Sie mich noch ein Wort zu dem sagen, was immer wieder in der Diskussion hochkam und was auch Sie, Frau Beck-Oberdorf, sagten. Ich frage einfach: Finden Sie es eigentlich schlimm, wenn Menschen sich gegenseitig helfen, sei es durch Hemdenbügeln, sei es durch Windelnwaschen, Kaffeekochen oder was auch immer. ({6}) Ich finde das sehr schön, wenn beide dies untereinander teilen. Ich finde es sehr schön, wenn ich mich bei meinem Mann bedanke, daß er Kaffee gekocht hat, und wenn er sich bei mir bedankt, daß ich die Wäsche gemangelt habe; wenn ich mich bei ihm bedanke, daß er die bügelfreien Hemden gewaschen hat. Das alles finde ich richtig und gut. Ich finde es nicht gut, wenn in die Diskussion immer ein Touch hineinkommt, als sei das eigentlich eine falsche Lebensweise. ({7}) Ich finde es dann falsch, wenn der eine es vom andern fordert nach der Position: Ich habe das zu fordern. ({8}) Ich finde es richtig, wenn es in einer funktionierenden Partnerschaft - die ich vielen Menschen wünsche - freiwillig von den Beteiligten auf dem Gebiet, das sie beherrschen, eingebracht wird. ({9})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Frau Abgeordnete, Sie gestatten eine Zwischenfrage?

Editha Limbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Bitte.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Kollegin, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich nicht das gegenseitige Helfen schlimm finde, wenn es gegenseitig ist, daß ich allerdings dagegen bin, daß ein Teil der Bevölkerung, nämlich ein Geschlecht, den anderen bedient und dafür auch noch mit materieller Armut bezahlt? ({0})

Editha Limbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich nehme Ihre Stellungnahme zur Kenntnis, Frau Beck-Oberdorf. Aber ich kann sie nicht teilen, weil in Ihren vorherigen Ausführungen der Aspekt, den Sie soeben verdeutlicht haben, nicht deutlich wurde. Ich habe selber gesagt: Menschen dürfen solche Dienstleistungen nicht voneinander fordern, als hätten sie es mit Sklaven zu tun; doch Menschen dürfen es freiwillig füreinander tun, selbst dann, wenn der eine mehr als der andere der Gebende ist, solange er es freiwillig und aus eigenem Antrieb und aus Liebe zu dem anderen tut. ({0}) - Richtig; es verbietet keiner, Frau Unruh. Aber es wird sehr häufig in der öffentlichen Diskussion so dargestellt, ({1}) daß viele Frauen hinterher fragen: Machen wir denn etwa alles falsch? Und daß viele Männer sich fragen: Werden wir hier denn als Rüpel hingestellt? Ich finde, das darf nicht sein. Wenn wir es gemeinsam verbessern wollen, dürfen wir nicht damit anfangen, diejenigen, von denen wir denken, sie müßten sich noch verFrau Limbach ändern, als erstes vors Schienbein zu treten. Dann fällt es ihnen nämlich schwerer, sich zu verändern. ({2}) Ich denke, das sollten wir ihnen erleichtern und nicht erschweren. ({3}) Die Redezeit ist leider begrenzt. Deshalb muß ich mich auf diese kurzen Bemerkungen beschränken. Aber ich glaube, daß die Frage nach der Frauen- und Familienfreundlichkeit dieser Rentenreform auch nach dem zwischen den Fraktionen gefundenen Konsens jedenfalls positiv beantwortet werden kann, wobei wie bei allem Menschenwerk immer Lücken und Wünsche an die Zukunft bleiben. Ich bin sicher: Es wird auch in Zukunft Abgeordnete und andere Menschen geben, die sich bemühen werden, unser Sozialsystem, unser Rentenversicherungssystem, unser Gemeinschaftsleben zu verbessern. Ich wünsche uns und denen, die dies dann weiter tun und weiterführen werden, viel Erfolg. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Schmidt ({0}).

Renate Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002016, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen! Wir unterhalten uns heute hier über das Konzept zur Sicherung der Finanzierung der Renten. Davon sind, wie es Frau Beck-Oberdorf, Frau Limbach und viele andere heute hier gesagt haben, Frauen besonders betroffen, weil - auch das ist gesagt worden - sie das Gros der Rentner und Rentnerinnen stellen, weil sie überproportional im Alter von Sozialhilfe abhängig werden, leider, weil die Armut im Alter vorwiegend nach wie vor eine weibliche ist und weil bei vielen Frauen, vor allem bei denen mit Kindern, nach einem sehr arbeitsreichen Leben eine Versorgung vorhanden ist, die dieser Arbeitsleistung in keiner Weise entspricht. Darüber bin ich mir mit all denen - einschließlich der GRÜNEN - , die das hier gesagt haben, einig. Deshalb muß dieser Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden wollen und der, Frau Beck-Oberdorf, nicht das Ende jeder Reformbemühung in der Rentenversicherung darstellt, ({0}) daraufhin überprüft werden, ob er diesem Ziel, da Verbesserungen zu schaffen, ein Stück näherkommt oder ob er dieses Ziel behindert. Ich sage im Gegensatz zu Ihnen, dieser Gesetzentwurf und dieses Konzept haben erreicht, daß Altersarmut für viele ein Stück gemildert - ich verwende das Wort „beseitigt" nicht - ist. ({1}) Ich wiederhole das, was ich hier in der ersten Lesung gesagt habe: Allein die Tatsache, daß durch die Fortschreibung der Rente nach Mindesteinkommen, eine der wesentlichen Forderungen meiner Fraktion, 1,1 Millionen Rentnerinnen und 170 000 Rentner eine deutliche Verbesserung ihrer Rente erfahren werden und nicht mehr von Sozialhilfe abhängig sein werden, ist für mich der Grund, dem zuzustimmen. Was gibt mir denn mit meiner Altersversorgung das Recht, mich über das Schicksal dieser Menschen zu erheben und mit einem Achselzucken darüber hinwegzugehen? ({2}) Aber auch für diejenigen Frauen, die zwar ausreichende Renten, aber immer noch deutlich niedrigere als die Männer - auch da teile ich diese Analyse - haben, ist es gelungen, die Differenz zwischen den Männerrenten und den Frauenrenten zu verringern und zu berücksichtigen, daß Frauen andere Lebensbiographien haben, daß sie zwar alle arbeiten, aber nicht alle durchgehend und voll erwerbstätig sein können und wollen. Wir freuen uns deshalb, daß künftig zwei zusätzliche Kindererziehungsjahre anerkannt werden. Wir wissen, daß dieses Wort „künftig" auch auf Kritik stößt, nach dem Motto: Warum erst für diejenigen, die ihre Kinder ab 1992 bekommen? Schlicht und einfach deshalb, weil eine rückwirkende Lösung 9 Milliarden DM zusätzlich gekostet hätte, um diese zwei zusätzlichen Jahre auch für bereits geborene Kinder anzuerkennen. Ich akzeptiere, auch wenn meine Generation und die Generation meiner Mutter nichts mehr davon hat, ({3}) daß es die Generationen unserer Töchter und Enkelinnen - hoffentlich betrifft es auch bald die Söhne und Enkel - etwas leichter haben werden, einen Rentenanspruch zu erwerben, der die für die Familie geleistete Arbeit berücksichtigt. Könnte man also sagen: Wir sind zufrieden? ({4}) - Nein. Sie haben recht, Frau Unruh; aber nicht in dem Stil, wie Sie das machen. Nein, wir sind nicht ganz zufrieden. ({5}) Wir sind es nicht, weil die Konzeption, Herr Blüm, der Anerkennung von Kindererziehungszeiten einen ganz erheblichen Mangel aufweist, der, Frau Limbach, in diesem Gesetz hätte geregelt werden können. Frauen, die nach der Geburt eines Kindes erwerbstätig sind, bekommen ihre Kindererziehungsleistung nicht oder nur teilweise anerkannt. Frauen, die für diese Zeiten - das ist eines der schlimmsten Dinge - freiwillig Beiträge aus ihrer Tasche geleistet, auf einiges verzichtet haben, um das machen zu können, ihre Erwerbstätigkeit also unterbrochen haben, bekommen ebenfalls nichts anerkannt. Das heißt, es wird eben nicht die Kindererziehungsleistung aller Mütter anerkannt. Die Erziehungsleistung der alleinerziehenden Verkäuferin, lieber Herr Minister Blüm, ist Ihnen nichts wert, ebenso die Erziehungsleistung der Mutter, deren Mann in Kriegsgefangenschaft war oder arbeitslos ist und die arbeiten will und muß, um die Existenzgrundlage ihrer Familie zu sichern. Die Erziehungsleistung der Sekretärin, deren Mann studiert und dem sie das Studium finanziert Frau Schmidt ({6}) und die ihre Erwerbstätigkeit zu einem späteren Zeitpunkt unterbricht, um ihren Kindern in der Familie und in der Schule zu helfen, ist dem Herrn Arbeitsminister ebenfalls nichts wert. ({7}) - Diese Wirkung ist so, weil sie nicht nach der Geburt ihres Kindes ihre Erwerbstätigkeit unterbricht und weil Sie nicht erkennen, daß Frauen, auch wenn ihre Kinder älter sind, ihre Erwerbstätigkeit reduzieren, um für ihre Kinder da zu sein. Die haben nichts davon. ({8}) Die Erziehungsleistung einer teilzeitbeschäftigten Frau ist in manchen Fällen pro Jahr noch 2,50 DM oder auch gar nichts wert. Die Erziehungsleistung der Mütter, die wegen ihrer kleinen Renten von Sozialhilfe abhängig werden, schlägt sich auch nicht mehr nieder, weil hier eine Anrechnung auf die Sozialhilfe stattfindet. Nun könnte man natürlich meinen, das alles habe irgendwelche finanzielle Ursachen, es seien wieder Milliardenbeträge dafür notwendig und deshalb gäbe es logische Gründe, dies abzulehnen. Nein, so ist es nicht. Warum wird es also gemacht? Eine vernünftige Lösung ist vor allem an der Ideologie des Bundesarbeitsministers gescheitert, liebe Waltraud Schoppe, nicht an uns. Ich muß nicht dahin schauen; die haben nämlich gekämpft, und die dort haben auch gekämpft. Nur der hat nicht gewollt, und der Herr Günther hat nicht gewollt. So sieht es aus. ({9}) Eine vernünftige Lösung ist an der Ideologie des Bundesarbeitsministers gescheitert; Aussage: Und selbst wenn das Ganze nichts kostet, mit mir nicht. Der Arbeitsminister akzeptiert eben nach wie vor nicht die unterschiedlichen Lebensplanungen von Frauen. Er akzeptiert nicht, daß alle Mütter lebenslang berufliche Nachteile haben, die sich dann auch in ihrer Rente niederschlagen. Er akzeptiert nicht, daß alle Mütter ihre Kinder erziehen und dies unabhängig davon, ob, wann und in welchem Umfang sie erwerbstätig sind. Er ficht hier hoffentlich ein letztes Gefecht gegen die Vereinbarkeit von Kindern und Beruf und die Gleichwertigkeit von Lebensverläufen. Er hat sich damit leider gegen die Vorsitzende der Frauenunion Frau Professor Süssmuth durchgesetzt, die noch im Januar öffentlich erklärt hat, daß sie die Anerkennung von Kindererziehungszeiten für nach der Geburt erwerbstätige Frauen und freiwillig Versicherte will. Er hat sich gegen uns und er hat sich gegen die FDP durchgesetzt. Leider haben wir vergeblich auf die Unterstützung der Frauenministerin in dieser Frage gewartet. ({10}) Die Ideologie hat in dieser Frage über die Vernunft gesiegt. ({11}) Sie müssen aber ehrlicherweise zugeben, daß dieser Sieg nicht möglich gewesen wäre - Herr Blüm, ich habe Ihnen das nach unserem Gespräch angekündigt, Sie wissen Bescheid, Sie dürfen jetzt nicht erstaunt sein - , wenn sich alle Frauen des Deutschen Bundestages einig gewesen wären, alle Frauen! Wir waren bis zuletzt bereit - auch um den Preis, für Teilzeitbeschäftigte oder wegen Kindererziehung beurlaubte Beamtinnen einer verbesserten Übergangsregelung zuzustimmen - , gemeinsam mit den Frauen der Unionsfraktion die Anerkennung der Kindererziehungsleistung für alle Frauen durchzusetzen. Leider konnten oder wollten Sie es nicht. Wir konnten und wollten nicht einer Regelung zustimmen, die Verbesserungen für Beamtinnen bringt und Rentnerinnen unberücksichtigt läßt. Bei uns gab es keine ideologischen Gründe, sondern ausschlaggebend war schlicht und einfach die Tatsache, daß bei vergleichbaren Einkommen und gleichen Lebensverläufen die Altersversorgung der Beamtinnen trotz der vorgesehenen Kürzungen und nach Abzug aller Steuern immer noch um 25 bis 30 % über der der Rentnerinnen liegt. Wir hätten es trotzdem getan, aber nicht dann, wenn die Rentnerinnen unberücksichtigt bleiben.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Beck-Oberdorf?

Renate Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002016, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn ich es nicht angerechnet bekomme, selbstverständlich.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Kollegin Schmidt, ist Ihnen bekannt, daß heute hierzu ein Antrag auf namentliche Abstimmung vorliegt, in dem alle Frauen dieses Hauses genau diese additive - Frau Schmidt ({0}) ({1}): Ich bin doch gleich dabei; geben Sie mir noch die halbe Minute Zeit. Es geht nämlich in meinem Gedankengang genauso weiter. Sie dürfen sich auch setzen; es ist nämlich mein Redetext. Wenn nun heute einige Mitglieder der SPD-Fraktion in namentlicher Abstimmung in zweiter Lesung dem Antrag der GRÜNEN auf additive Anrechnung von Kindererziehungszeiten zustimmen werden, dann haben sie sich diese Entscheidung nicht leicht gemacht. Wir wollen uns nämlich nicht zu Lasten anderer profilieren. Wir akzeptieren - wir können diese Überlegungen nachvollziehen -, daß diejenigen, die diesen Antrag für richtig halten - und das tut meine gesamte Fraktion - und ihm dennoch nicht zustimmen, befürchten, daß ihre Zustimmung zu diesem Antrag den gesamten Kompromiß gefährden könnte. Ich dagegen und einige andere können nicht glauben, daß dieser Kompromiß und die Regierungsfähigkeit oder ähnliches daran hängen kann, offenkundige Ungerechtigkeiten zu beschließen. Deshalb möchten ich und andere diese letzte Möglichkeit nutzen, noch etwas zu erreichen. Aber auch dann, wenn dieser Versuch scheitern sollte, werden wir dem Gesamtkonzept dieser Rentenreform zustimmen, weil das, was ich eingangs sagte, bestehen bleibt: In diesem Kompromiß ist für Frauen vieles erreicht worden, was unter der Überschrift „Sanierung der Rentenfinanzen" nicht selbstverständlich war. Wir wären unglaubwürdig, wenn wir die VerbesFrau Schmidt ({2}) serung der Lebenssituation von Millionen von Menschen mit einem Achselzucken abtäten, weil wir uns in einigen Fragen nicht durchsetzen konnten. Wir müssen uns aber auch klar darüber sein, daß eine wirkliche Reform unserer Alterssicherungssysteme gerade im Hinblick auf die Situation der Frauen noch nicht erreicht ist. Wir wollen, Frau Beck-Oberdorf, wie auch Sie, wenn auch wahrscheinlich auf anderen Wegen, eine eigenständige Alterssicherung und keine von unseren Partnern abhängige. Wir wollen die Honorierung der bezahlten und unbezahlten Arbeit, die Frauen in dieser Gesellschaft leisten. Die Arbeit an der Rentenversicherung geht also weiter und auch der Streit um den besten Weg zu einer wirklichen Reform. ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unsere Rentenversicherung besteht in diesem Jahr genau hundert Jahre. Sie hat in diesen hundert Jahren Generationen Sicherheit geboten. Die Rente hat alle Schicksalsschläge und Katastrophen unseres Jahrhunderts überlebt, zwei furchtbare Weltkriege, zerstörte Städte und Betriebe, die Teilung unseres Vaterlandes, Inflation und Währungsreform. Hundert Jahre Rentenversicherung! Und sie soll auch die nächsten hundert Jahre Sicherheit gewähren. Und deshalb muß sie weiterentwickelt werden, damit man sich auf unsere Rentenversicherung verlassen kann. Sie ist eine der großen Solidarleistungen. Sie ist auch mehr als eine Verteilungsmaschine. Sie ist auch mehr als nur Lieferant von materieller Sicherheit. Sie eignet sich nicht für Tagespolitik und nicht für eine Politik von der Hand in den Mund; denn mit ihr verbinden sich Lebenserwartungen. Auch der 30jährige hat einen Anspruch darauf zu wissen, wie es ist, wenn er 60 ist. Deshalb kann man Rentenpolitik nicht in die Zwänge einer Legislaturperiode einspannen. Die Rentenversicherung folgt den großen Volksweisheiten: „Im Verhältnis zum Alter offenbart sich die Kultur jeder Zeit". ({0}) „Du sollst Vater und Mutter ehren" ist ja nicht nur ein biblisches Gebot, sondern eine Volksweisheit, gespeist aus Jahrhunderten. Deshalb ist es gut, daß wir alle Kräfte für eine große Renteneinigung mobilisiert haben. Auch die GRÜNEN waren dazu eingeladen. Sie haben die Einladung abgelehnt. ({1}) Wir wollten einen Rentenkonsens so breit wie nur möglich, über alle parteipolitischen Grenzen hinweg, ohne alle Scheuklappen. Und deshalb ist es heute ein guter Tag für die Sozialgeschichte unserer Republik, daß sich SPD, FDP, CDU, CSU, Gewerkschaften, Arbeitgeber und die großen Sozialverbände - ich nenne VdK und Reichsbund - in Sachen Renten geeinigt haben und gegenüber unseren älteren Mitbürgern die Zusage geben, daß wir eine Rentenreform geschaffen haben, rausgehalten aus dem parteipolitischen Streit, soweit es geht, um Vertrauen zu schaffen; denn das Schlimmste, was der Rentenversicherung passieren könnte, wäre eine jährliche Diskussion über ihre Zukunft. Da könnte die Rente aktuell noch so hoch sein, wenn nicht Verlaß ist, wenn man nicht weiß, wie es weitergeht, dann würde mit Angst Unsicherheit entstehen. Und was zählt - das will ich auch sagen - , ist der Konsens. Ich beteilige mich heute überhaupt nicht an einer Rechthaberei, wer wann was wo besser gewußt hätte. Ich finde, ein Konsens hat nur Sinn, wenn er von allen Seiten mitgetragen wird. Ich erhebe auch gar keinen Patentanspruch, welche Idee von der CDU kam, welche von der FDP. Das ist bestenfalls etwas für Geschichtsbücher. Am Schluß zählt das, was wir gemeinsam zustande gebracht haben. ({2}) Ich würde mich allerdings gegen den Eindruck wehren, als sei die eine Seite die Seite der Hartherzigen und die andere Seite die Seite der sozial Empfindsamen, die einen fordern, und die anderen bleiben auf der Kasse sitzen. Nein, es ging uns gemeinsam um die Zukunft der Rentenversicherung. - Ich werde nur an einer Stelle von diesem guten Vorsatz abweichen. ({3}) Das ist an der Stelle, an der ich eine Antwort auf Frau Schmidt Ihnen und mir schuldig bin. Ich will den Blick zurücklenken. Die erste große Reform in der Nachkriegszeit war die im Jahre 1957 unter Konrad Adenauer. Der Durchbruch damals war, daß die Rente keine Zuteilung mehr war, daß sie lohn- und beitragsbezogen wurde, daß sie dynamisch wurde, daß damit die Rentner an den Fortschritten der Volkswirtschaft, an den produktiven Fortschritt angehängt wurden. Lohn war damit der Maßstab für die Rente. Rente ist nicht ein Akt der Barmherzigkeit, sondern hat etwas mit Gerechtigkeit zu tun. Wer ein Leben lang gearbeitet und Beiträge gezahlt hat, ({4}) der bekommt eine andere Rente als der, der weniger erwerbstätig war und weniger Beiträge bezahlt hat. Für die Frage der Armut ist die Rentenversicherung nicht zuständig. Dafür haben wir andere Instrumente. Denn sonst würden die Beitragszahler sozusagen den Sozialstaat bezahlen. Zur Bekämpfung der Armut sind alle verpflichtet, alle Steuerzahler, auch diejenigen, die gar nicht in der Rentenversicherung sind. Die Rente muß das bleiben, was sie seit Konrad Adenauers Zeiten ist: ein Alterslohn für Erwerbsarbeit. ({5}) Darauf basiert auch das, was wir weiterentwickelt haben. Wir haben nicht bei Null begonnen. Wer so tut, als gäbe es die Chance, sozusagen bei Null zu beginnen, der überfordert die Politik. Wir leben mit Erwar13134 tungen von Menschen, mit Zusagen. Wir können nicht mit einem großen Strich neu beginnen. Wir entwikkeln weiter. Evolution war immer das Erkennungszeichen der Sozialpolitik. ({6}) Es gibt drei Erkennungszeichen dieser Reform. Erstens. Wir führen die Reform rechtzeitig und langfristig durch. Wir reformieren nicht in letzter Minute. Wenn es nur um diese Legislaturperiode gegangen wäre, wenn es um den Wahlkampf 1990 gegangen wäre, wenn wir nur taktisch gedacht hätten, hätte ich gesagt: Reformiert die Rentenversicherung erst, wenn das Feuer im Haus ist, reformiert sie erst, wenn jeder merkt, daß wir reformieren müssen. Nein, wir reformieren rechtzeitig. In dieser Legislaturperiode besteht keine Rentengefahr. Die gibt es erst in den 90er Jahren. Dennoch: Wir handeln heute gemeinsam aus Verantwortung. Und das finde ich gut. Wir machen Sozialpolitik nicht von der Hand in den Mund, sondern Sozialpolitik, die vorausschauend verantwortungsvoll tätig ist. ({7}) Damit entkräften wir auch den Vorwurf an alle Politiker, wir würden nur taktisch und kurzfristig handeln und nur an den nächsten Wahlkampf denken. Die Rentenreform widerlegt diesen Vorwurf. Zweitens. Die Rentenreform ist solidarisch. Die Lasten, die durch veränderte Bedingungen entstehen, verteilen wir auf alle Schultern. Es ist ein guter Erfahrungssatz der Solidarität: Wenn es schwierig wird, verteile die Lasten auf alle, auf die Jungen, auf die Alten und auf den Staat. Er muß als Dritter im Spiel sein. Es ist eine solidarische Lastenverteilung nach dem Grundsatz: Geteilte Last ist halbe Last. Die Jungen werden auch einmal alt. Sie wollen dann von den Nachfolgenden so behandelt werden, wie sie die Alten behandelt haben. Die Alten müssen wissen, daß man den Jungen nicht Lasten und Beiträge zumuten kann, unter denen sie zusammenbrechen. Insofern ist die alte Generationensolidarität, früher in der Großfamilie verwirklicht, in ihrer Sicherungsfunktion so nicht mehr da. Das muß jetzt die Rentenversicherung übernehmen. Drittens. Es ist eine solide Reform. Wir haben diese Reform jahrelang vorbereitet und die Rentenversicherung durch wichtige Entlastungsgesetze in einen Zustand gebracht, daß wir jetzt ohne den akuten Druck leerer Kassen handeln können. Ich denke, daß auch die Reform der Renten der Hinterbliebenen ein Bestandteil der Strukturreform war. Es ist eine solide Reform. Ich teile auch das, Herr Hoss, was heute morgen der Kollege Dreßler gesagt hat: Es ist keine Rentenreform aus Augenblicksrechnungen, weil das Wetter gerade günstig ist. Wir machen jetzt eine Rentenreform für Generationen. Deshalb können wir nicht aus Augenblicksrechnungen Entscheidungen treffen. ({8}) - Bitte, Herr Hoss.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Sie gestatten eine Zwischenfrage.

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Entschuldigung, Herr Präsident, daß ich Ihnen vorgegriffen habe.

Prof. h. c. Willi Hoss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie sagen, daß Sie die Rentenreform nicht aus Augenblickssituationen machen, sondern für künftige Generationen. Interessiert Sie dabei nicht die Augenblickssituation von Leuten - ich sage es nochmals: 550 000 Frauen -, die mit ihrer Rente unter 900 DM und damit im Bereich der Sozialhilfe liegen?

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Auf die Zahlen komme ich gleich. Es zeigt sich, daß die Höhe der Rente allein über den Lebensstandard der Betroffenen überhaupt nichts aussagt. Weniger als 2 % der Rentenbezieher sind Sozialhilfeempfänger. Es gibt kein Sozialleistungssystem, das einen so geringen Anteil von Sozialhilfeempfängern aufweist. Wer davon betroffen ist, ist in Not. Er kann nicht durch den Verweis darauf, daß sein Schicksal nicht von allen geteilt wird, getröstet werden. Ihm muß geholfen werden. Aber ich bleibe dabei: Das kann nicht alles durch die Rentenversicherung geschehen, sonst müßten das alles nur die Beitragszahler der Rentenversicherung aufbringen. Wenn Not vorhanden ist, ist deren Beseitigung die Aufgabe aller Steuerzahler, nicht aber nur der Beitragszahler in der Rentenversicherung. ({0}) Man muß noch einmal deutlich machen, warum die Reform notwendig war. Manche haben ja den Eindruck, wir täten das aus einer Art parlamentarischer Beschäftigungstherapie heraus. Die Reform ist erstens notwendig, weil die Rentner immer älter werden. Das wünschen wir uns ja auch. Die Lebenserwartung steigt. Die steigende Lebenserwartung unserer Bevölkerung hat für die Rentenversicherung finanzielle Konsequenzen, denn die Renten müssen länger gezahlt werden. Allein von 1970 bis zum Jahre 1995 wird die statistische Lebenserwartung der 60jährigen Männer um fast 3,5 Jahre auf 78,5 Jahre steigen. Für die 60jährigen Frauen steigt - wiederum statistisch - die Lebenserwartung um 4,5 Jahre auf 83,5 Jahre. Ich sage das, damit man sich einmal ausrechnen kann, was das bedeutet. Ein Jahr durchschnittlich längere Rentenlaufzeit kostet die Rentenversicherung im Jahr 2000 zusätzliche 15 Milliarden DM. Wir wünschen uns das ja alle. Das ist eine erfreuliche Entwicklung. Aber es kostet mehr: Ein Jahr durchschnittlich längere Rentenlaufzeit kostet 15 Milliarden DM. Da muß gefragt werden: Wer bezahlt das? Zweitens werden die Rentner immer jünger, pointiert gesprochen, weil die Menschen immer früher in Rente gehen. ({1}) - Ich erzähle es Ihnen gleich. Die Renten laufen länger, die Rentner werden älter, und die Rentner gehen früher in Rente. Während vom Jahrgang 1905, also einem Jahrgang, der noch vor der Einführung der flexiblen Altersgrenze in Rente ging, drei von fünf Männern und zwei von fünf Frauen mit der Vollendung des 65. Lebensjahres in Rente gingen - im übrigen war das auch ein Jahrgang, der viel erlebt hat - , sind es heute nur noch ein Mann und eine Frau von jeweils fünf Altersrentnern. Dieser Trend wurde auch durch die Vielfalt der gesetzlichen Möglichkeiten realisierbar. Der Vorruhestand war ein Angebot, um in schwierigen Zeiten - nicht auf Dauer - Arbeitsmarktprobleme zu bewältigen. In der Tat kann man keine Rentenversicherung vorsehen, in der eine Massenarbeitslosigkeit eingeplant ist. Ein dritter Punkt ist die Tatsache, daß die Erwerbsarbeit später beginnt. Die Ausbildungszeiten verlängern sich immer mehr. Das Durchschnittsalter bei Beginn der Lehre stieg von 16,6 Jahre 1970 auf 18,7 Jahre. Die Studenten bleiben im Vergleich zur Zeit Mitte der 70er Jahre im Durchschnitt ein Jahr länger an den Hochschulen. Diese Entwicklung und andere Faktoren führen dazu, daß der Anteil der 15- bis 30jährigen am Arbeitskräfteangebot von derzeit 33 auf gut 20 % im Jahre 2000 zurückgeht. Wir müssen alles zusammen betrachten: längere Rentenlaufzeiten, früherer Renteneintritt, späterer Eintritt ins Erwerbsleben, und viertens werden weniger Kinder geboren. All das verlangt eine Antwort der Rentenversicherung. Späterer Eintritt ins Erwerbsleben, früherer Eintritt in den Rentenbezug, weniger Kinder, also weniger Beitragszahler, und mehr Rentner - es wäre verantwortungslos zu sagen: es kann alles beim alten bleiben. ({2}) Wir handeln rechtzeitig. Wir wollen das System weiterentwickeln; das sagte ich schon. Es hat dazu geführt, daß Altersarmut kein Massenschicksal mehr ist. Vor 1957 deckten die Renten höchstens 40 % des Erwerbseinkommens ab. Sie bildeten eine schmale Existenz- und Grundsicherung. Armut war das allgemeine Schicksal. Das kann heute niemand mehr für den Zustand der Alten sagen. Ich weiß, daß es Altersarmut gibt, auch materielle. Aber es ist eine falsche Beschreibung unserer Gesellschaft, das als Massenschicksal hinzustellen. Andernfalls schmälerten wir auch die Verdienste vieler, die an der Entwicklung der Rentenversicherung mitgearbeitet haben. Deshalb noch einmal die Zahlen, Herr Hoss: Witwen mit einer Witwenrente von unter 300 DM verfügen auf Grund weiterer Einkünfte im Durchschnitt über ein Nettogesamteinkommen von 1 153 DM. ({3}) Frauen mit einer Versichertenrente von unter 500 DM kommen auf ein Familieneinkommen von durchschnittlich etwa 1 800 DM. Ich sage es noch einmal: Es gibt arme Mitbürger, aber hüten wir uns davor, aus einer kleinen Rente auf Armut zu schließen. ({4}) Wenn sich die Bevölkerungsentwicklung verändert, dann schlägt sich diese Veränderung nicht nur in der Rentenversicherung nieder. Deshalb mußte - das ist auch ein Gebot der Gerechtigkeit - im Zusammenhang mit dieser Rentenreform auch die Beamtenversorgung reformiert werden. Nicht, weil die Rentenversicherung dadurch auch nur eine Mark gewinnen würde, sondern aus Gründen der Gerechtigkeit und der Akzeptanz. Bevölkerungsentwicklung, Rückgang der Kinderzahlen sind doch kein Rentenspezifikum. Das ist eine allgemeine Erscheinung. Ich will zu den Aus- und Übersiedlern nur soviel sagen: Es wäre ja ein Armutszeugnis, wenn ausgerechnet die Sozialversicherung, angetreten unter dem Gebot der Solidarität, die Aus- und Übersiedler zurückweisen würde. Es wäre ein Widerspruch zu dem Gesetz, unter dem sie angetreten ist. Ich weiß auch, daß das Problem DDR nicht durch Übersiedler gelöst wird, daß Veränderungen in der DDR erfolgen müssen. Aber wer will denn diejenigen, die zu uns kommen, zurückweisen? Ich will auch gegen manche Stammtischparole sagen: Die Aussiedler kommen mit einem geringen Durchschnittsalter. Unter Rentengesichtspunkten ist das zunächst einmal eine Entlastung. Der Vorsitzende des Vorstandes der BFA, Walter Quartier, hat festgestellt, im Jahre 2000 wird es einen Überschuß von 15 bis 17 Milliarden DM geben. Das ist nun bei Gott kein Argument, mit dem das Thema Aussiedler behandelt werden sollte. Nur, gegen die Parolen, die mancherorts genannt werden, muß man die Fakten auf den Tisch legen. Es ist auch richtig, daß das Fremdrentengesetz unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit der Verbesserung bedarf. Niemand, der hierher kommt, darf bessergestellt sein als derjenige, der immer hier war. Das widerspricht nicht der Solidarität, sondern ist ein Gebot der Gerechtigkeit. ({5}) Jetzt zu den familienpolitischen Leistungen - Frau Schmidt, wenn Sie mir einen Augenblick Aufmerksamkeit gewähren - : Von 1986 bis 1990 werden 6 Millionen Mütter die Kindererziehungszeiten in Anspruch genommen haben. Das wird uns 10 Milliarden DM kosten. Die brauchen sich bei mir nicht zu bedanken. Aber ich nehme in Anspruch, liebe Frau Schmidt, daß ich dafür mitgekämpft habe, daß diese 6 Millionen Mütter zum erstenmal in ihrem Leben, weil sie Kinder erzogen haben, Rentenerhöhungen erhalten. Deshalb verbitte ich mir, mich von Ihnen der deutschen Öffentlichkeit als Frauenfeind vorstellen zu lassen. Das verbitte ich mir in aller Form. ({6}) Sie können anderer Meinung sein, Sie können mich attackieren. Ich sage Ihnen: Ein Kindererziehungsjahr - das kostet uns allein in diesem Jahr 3 Milliarden DM - ist mehr als null Kindererziehungsjahre. Sie gehören einer Partei an, die 13 Jahre regiert und null Kindererziehungsjahre zustande gebracht hat. ({7}) Wie kommen Sie mir eigentlich vor? ({8}) - Auf einen groben Klotz kommt ein grober Keil. Ich verbitte mir das ausdrücklich. Drei Kindererziehungsjahre sind auch mehr als ein Kindererziehungsjahr. Und drei Kindererziehungsjahre stehen in diesem Gesetz. ({9}) - Für diese Frauen ist das so viel, wie bei Ihnen alle Frauen bekommen haben. Die stehen sich also nicht schlechter als in den 13 Jahren, in denen Sie regiert haben. Da haben sie nämlich null bekommen. Jetzt - ganz ruhig - noch einmal zur Philosophie. ({10}) - Ich habe mich nicht aufgeregt. Ich lasse mich nur nicht gerne der Öffentlichkeit zum Fraß vorwerfen. Es wird ja langsam modisch, einen Buhmann zu haben: da haben wir den Norbert Blüm. Also, ab heute nicht mehr. ({11}) Über die Philosophie kann man ja wirklich unterschiedlicher Meinung sein. Man muß doch einmal fragen: Was soll das Kindererziehungsjahr? Soll das eine Aufstockung der Rente wegen Kindererziehung sein? Gut, der Meinung kann man sein. Dann ist das allerdings ein Kindergeld im Alter. Wie komme ich eigentlich dazu, daß die Beitragszahler ein Kindergeld im Alter bezahlen? Wir haben das für die vor 1921 geborenen Frauen so gemacht, weil es technisch nicht anders ging. Über Kindergeld im Alter können Sie mit mir sprechen: daß man im Alter noch einmal anerkennt, wenn Kinder erzogen worden sind. Dann muß man es aufstocken. ({12}) - Nein, ich möchte jetzt einmal die Philosophie darstellen. ({13}) - Ich lasse mich nicht gern stören, wenn ich im Zusammenhang darstellen will. Für den Zuschlag - so würde ich sagen - ist der Steuerzahler zuständig. Etwas anderes ist: Soll die Rente einen Nachteil ausgleichen, den jemand, ob als Vater oder als Mutter, erfährt, weil er aus Gründen der Kindererziehung vorübergehend auf Erwerbsarbeit verzichtet hat? Soll ihm der vorübergehende Verzicht auf Erwerbsarbeit ermöglicht werden, so wie wir ja auch Bildungszeiten ausgleichen? Wenn man diese Ausgleichsfunktion, die eigentlich eine Rentenphilosophie ist, will, dann geht es nur so, wie wir es gemacht haben. Im übrigen dürfen Sie doch nicht dagegen Sturm laufen; beim Erziehungsgeld machen wir es doch genauso. Die 600 DM Erziehungsgeld sind ja kein allgemeines Kindergeld, sondern die 600 DM erhält derjenige, der auf Erwerbsarbeit verzichtet, damit überhaupt Wahlfreiheit hergestellt wird. ({14}) Ich will noch einen anderen Gesichtspunkt hinzufügen. Wenn Sie es einfach aufstocken, dann würden Sie den alten Unterschied zwischen Hausfrau - manche sagen etwas abschätzig: Nur-Hausfrau; ich sage es nicht ({15}) und erwerbstätiger Frau, den ich ausgleichen möchte, nur auf einer höheren Stufe fortsetzen. Die erwerbstätige Frau würde für dasselbe Jahr zwei Beiträge in der Rentenversicherung haben, nämlich den, den die Rentenversicherung finanziert, und den, den sie mit ihren eigenen Beiträgen finanziert. ({16}) Die andere Frau hätte nur einen Beitrag - für ein Jahr. Meine Damen und Herren, Sie sagen jetzt, es gibt Frauen in Not - das sehe auch ich - , die nicht freiwillig - wir wollen ja Wahlfreiheit herstellen - , also nicht aus freier Entscheidung erwerbstätig sind. Für diese Frauen müssen wir eine freie Entscheidung ermöglichen, und zwar nicht dann, wenn sie im Alter sind, sondern dann, wenn die Entscheidung zu fällen ist. Wir müssen das Kindergeld erhöhen und das Erziehungsgeld erhöhen. ({17}) Dann, wenn diese Entscheidung zu treffen ist, muß geholfen werden. Diese Entscheidung trifft doch die 30jährige nicht; sie trifft die 25- oder 30jährige. ({18}) Da bin ich mit von der Partie. Jetzt habe ich den Zusammenhang dargestellt, und jetzt können Sie eine Zwischenfrage stellen. ({19}) - Sie können mit mir darüber reden, ob die Leistungen des Familienlastenausgleichs ausreichend sind. Da haben wir mehr getan als alle Vorgänger. Dennoch sage ich: Sie reichen nicht. Gerade denjenigen, die in Not sind, muß in dieser Situation geholfen werden, damit sie eine freie Entscheidung zwischen Erwerbsarbeit und Hausarbeit treffen können.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Ja, bitte.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Bitte, Frau Abgeordnete.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

: Herr Blüm, sind Sie bereit, sich damit auseinanderzusetzen, daß selbst die Frauen, die erwerbstätig bleiben, in der Regel trotzdem immer Einbrüche und Nachteile in der Erwerbsbiographie haben und daß für 99 % der Frauen ein Modell erforderlich wäre, durch welches die Lücken, die für sie trotz der Erwerbstätigkeit entstanden sind, einfach ausgeglichen werden? ({0})

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Deshalb haben wir ja, Frau Beck-Oberdorf, gerade in dieser Reform versucht, solche Benachteiligungen der Frau durch das Gesamtleistungssystem, durch Kinderberücksichtigungszeiten und durch Pflegezeiten, zu beseitigen. Es ist zwar im Gesetz geschlechtsneutral formuliert, aber die Hauptbegünstigten, für die damit ein Nachteil beseitigt wird, werden Frauen sein. Ich sehe es so wie Sie, daß Frauen benachteiligt waren. Allerdings können nicht alle Nachteile in der Rentenversicherung ausgeglichen werden. Wenn Frauen niedrige Löhne haben, dann müssen die Tarifpartner gefragt werden. Es wäre ja ein bequemes Ruhekissen, wenn man Lohnungerechtigkeiten dann im Alter durch die Rentenversicherung wettmachen würde. Wir machen es jetzt auf der Basis der Rente nach Mindesteinkommen, weil es die Tarifpartner halt noch nicht gemacht haben. Aber für die Zukunft, meine ich, müßte unser gemeinsamer Druck - ich hoffe, darin stimmen wir überein - auf Lohngerechtigkeit im Erwerbsleben gerichtet sein. Diese hat dann auch Rentengerechtigkeit im Alter zur Folge. ({0}) Die Rentenversicherung ist nicht sozusagen der nachträgliche Reparaturbetrieb für Ungerechtigkeiten beim Lohn. Wenn sie aber passiert sind, muß man durch die Rente nach Mindesteinkommen solche Ungerechtigkeiten ausgleichen. Denn sie sind nun einmal passiert. Lassen Sie mich vielleicht doch noch folgendes darstellen: Bei dieser Rentenreform gibt es immer noch viel Rentenchinesisch. Deshalb kommt manches möglicherweise gar nicht bei denjenigen an, für die es gedacht ist, beispielsweise nicht bei den Frauen. Heute morgen ist es so dargestellt worden, als sei dies eine Reform gegen die Frauen. Kinderberücksichtigungszeiten bis zum zehnten Lebensjahr des Kindes gab es überhaupt noch nicht. Auch das beseitigt Benachteiligungen. Pflegeberücksichtigungszeiten führen - und zwar ohne Begrenzung - dazu, daß jemand, der pflegt, ({1}) in der Bewertung von beitragsfreien Zeiten keinen Nachteil hat. Daß Pflegende freiwillige Beiträge zur Rentenversicherung zahlen können, ist auch deshalb eine Verbesserung, weil diese freiwilligen Beiträge privilegiert werden; sie sind mit Invaliditätsschutz versehen. Hier baue ich auch die Brücke zur Gesundheitsreform. Wer will, kann einen Teil des Geldes, das wir ab 1991 durch das Gesundheits-Reformgesetz in der Pflege anbieten, nehmen, um sich damit einen eigenständigen Anspruch in der Rentenversicherung aufzubauen. Sehen Sie, wir haben nicht eine Sozialpolitik sozusagen mit einem einzigen Wurf, sondern eine menschennahe Sozialpolitik, die auf die unterschiedlichen Situationen eingeht. Ein Gewinn für Frauen ist, daß in größerem Umfange als bisher Beiträge, die aus Anlaß der Heirat erstattet worden sind, durch Beitragsnachentrichtung wieder ausgeglichen werden können. Nun zur Neuordnung der beitragsfreien Zeiten. Da gab es ja das System mit Halbbelegung, verkürzter Halbbelegung, Vorbeitrag, Pflichtanschlußbeitrag - alles Rentenchinesisch. Das haben wir durch ein Gesamtleistungssystem, das mehr Gerechtigkeit schafft, ersetzt. Von der Ungerechtigkeit der Vergangenheit waren hauptsächlich Frauen betroffen, wenn sie die Halbbelegung nicht zustande brachten. Ich muß das erklären: Halbbelegung war ein System, in dem man mindestens die Hälfte der Zeit zwischen Eintritt in die Rentenversicherung und Eintritt in die Rente mit eigenen Pflichtbeiträgen belegt haben mußte, um beitragsfreie Zeiten bewertet zu bekommen. Das haben natürlich gerade die Frauen nicht geschafft, die beispielsweise zugunsten der Kindererziehung lange Zeit draußen waren, die ihre Erwerbsbiographie unterbrochen haben. Es hat überhaupt nur die Hälfte der Frauen mit Kindern die Halbbelegung erfüllt. Wenn wir das beseitigen, schaffen wir nicht nur allgemein mehr Gerechtigkeit, sondern das ist auch ein ausgesprochen frauen- und familienfreundlicher Beitrag. Das bisherige System war auch irrational. Da konnte es passieren, daß man, wenn man einen Monatsbeitrag mehr gezahlt hat, am Schluß weniger Rente hat. Ein System, das über Jahrzehnte wächst, enthält eben manche Ungereimtheit. Die Reform war auch Gelegenheit dazu, dies zu beseitigen. Herr Hoss, Sie haben hier einen Fall vorgetragen, der einem, wenn er so vorgetragen wird, ausgesprochen unter die Haut geht. Die Frage war, wieso eine Mutter, die ihr Kind im Ausland zur Welt gebracht hat, weil sie, um ihr Leben vor den Nazis zu retten, ins Ausland geflohen war - die also nicht freiwillig dort ihr Kind geboren hat - , keine Kindererziehungszeiten angerechnet bekommt. Nach unserer Regelung werden Zeiten eines verfolgungsbedingten Auslandsaufenthalts bis 1949 als Ersatzzeiten angerechnet, so daß eine Kindererziehungszeit gar nicht wirksam würde. Das will ich nur klarstellen, damit niemand glaubt, wir würden einen solchen Zustand, wie Sie ihn dargestellt haben, akzeptieren. Wir haben ja gerade im Zusammenhang mit diesem Gesetz auch einiges getan, um Unrecht, das aus nationalsozialistischer Verfolgung entstanden ist, wettzumachen. Auch das ist Bestandteil dieses Gesetzes. Für einen großen Vorteil halte ich es, daß wir die Rentenversicherung von jährlichen Beschlüssen des Gesetzgebers abkoppeln. Wir schaffen einen sich selbst steuernden Regelmechanismus, so daß die Rentenversicherung von pausenlosen gesetzlichen Interventionen befreit ist. Wir schaffen einen Regelkreis, der sich selber steuert. Wenn mehr Beiträge notwendig sind, sind die Rentenerhöhungen nicht mehr so hoch. Das ist die Nettolohnrente. Aber Dritter im Bunde - neben Beitragszahlern und Rentnern - ist der Bund. Wir haben ein System, das aus drei Teilnehmern besteht: ({2}) Junge - Beitragszahler - , Alte - Rentner - und Bund. Dieser Regelmechanismus führt dazu, daß, wenn das Gesetz nicht gekommen wäre, der erforderliche Beitragssatzanstieg bis zum Jahre 2010 doppelt so hoch wäre, wie er nun sein wird. Mit anderen Worten: Wir haben die Jungen davon befreit, einen Beitrag zu zahlen, den sie nicht zahlen können. Den Beitragsanstieg halbieren wir. Zweitens. Die Rentenanpassung ist nettobezogen und nicht mehr bruttobezogen; denn auch die Arbeitnehmer leben ja nur von ihrem verfügbaren Einkommen. Aber wir stabilisieren das Nettorentenniveau. Drittens. Der Bundeszuschuß wird gegenüber dem bisherigen Fortschreibungsmechanismus um rund 14 Milliarden DM alleine im Jahre 2010 erhöht. Deshalb, Herr Hoss, sollten Sie sich noch einmal überlegen, ob Sie wirklich sagen können, dies sei ein Spargesetz. Wenn der Bund 14 Milliarden DM mehr zahlt, als er auf Grund des bisherigen Systems zu zahlen hätte, dann können Sie das schlecht als Spargesetz ausgeben. Wenn der Bundeszuschuß erhöht wird, wie kommen Sie dann eigentlich dazu, zu sagen, das sei ein Spargesetz? Das sind aus meiner Sicht merkwürdige Vorstellungen. Ich stehe auch zur stufenweisen Anhebung der Rentenaltersgrenzen. Das ist hier ja in Frage gestellt worden. Wenn wir alle, wie wir hoffen, älter werden, dann bleibt nur die Wahl, ob wir das Rentenniveau absenken oder die Beiträge erhöhen - die dann mancher vielleicht nicht mehr zahlen kann - oder auch später in Rente gehen, ({3}) und zwar zu einem Zeitpunkt, wie es über Generationen der Fall war, nämlich mit 65 Jahren. Insofern führen wir gar nichts Neues ein. Jetzt wieder zur Abteilung Taktik. Man hätte taktisch sagen können: Das trifft ja erst im nächsten Jahrhundert ein; laßt die Finger davon, macht euch beim Volk beliebt und sagt gar nichts dazu. - Ich finde, es ist ein Gebot der Ehrlichkeit, heute, 1989, zu sagen, daß wir ab dem Jahre 2001 das Rentenalter ganz langsam Schritt für Schritt anheben, so daß es bei den Männern im Jahre 2006 und bei den Frauen, da sie eine größere Wegstrecke zwischen 60 und 65 Jahren zurückzulegen haben, im Jahr 2012 bei 65 Jahren liegt. Das beschließen wir heute. Ich finde, es ist ein Gebot der Ehrlichkeit und des Mutes, das zu sagen, damit sich jeder einzelne darauf einstellen kann, im übrigen auch der Arbeitgeber. Ein Arbeitgeber weiß, wie lange ein 50jähriger noch bei ihm ist, wodurch möglicherweise seine Umschulungs- und Fortbildungschancen erhöht werden. Unter taktischen Gesichtspunkten kann ich es nur für eine große Dummheit erklären, vor dem Wahlkampf zu sagen, daß wir in der viertnächsten Legislaturperiode oder noch später bei einem Rentenalter von 65 Jahren sind. Aber ich meine, wir sollten diese Art von Politik beiseite schieben. Sonst hieße das nämlich, das Volk für dumm zu verkaufen. Wir sollten ihm sagen, was wir meinen und wie es weitergeht. Wir verbinden das mit mehr Wahlfreiheit. Wir müssen von den starren Altersgrenzen Abschied nehmen. Der eine will länger arbeiten. Laßt ihn länger arbeiten. Der eine will kürzer arbeiten. Laßt ihn kürzer arbeiten. Der eine legt mehr Wert auf Freizeit, auch Altersfreizeit. Laßt ihm mehr Freizeit. Der andere will mehr Geld. Laßt ihm mehr Geld. Ich finde, wir sollten uns abgewöhnen, die Arbeitnehmer zu bevormunden. Sie sind erwachsen genug. Sie sollten bestimmen, wann sie mit der Erwerbsarbeit Schluß machen. ({4}) Eine zweite Wahlmöglichkeit neben der Wahl, ganz in Erwerbsarbeit oder ganz in Rente zu sein, besteht darin, daß auch Teilrente angeboten wird. Auch das ist ein Beitrag zum sanften Übergang von der Erwerbsarbeit in die Altersarbeit. ({5}) - Frau Unruh, lachen Sie doch nicht. ({6}) Meinem Vater hätte es gut gefallen, wenn er nicht von heute auf morgen von der Erwerbsarbeit in den Ruhestand gekommen wäre, sondern wenn er sich Schritt für Schritt von seinen Arbeitskollegen hätte verabschieden können. Ich halte das für viel menschlicher als die schroffen Übergänge, die wir bisher organisiert haben. ({7}) Im übrigen, wer das nicht will, kann es ja lassen. Wir zwingen ja niemanden. Wir sind überhaupt nicht dafür zuständig, das Leben der Menschen einzuteilen. Wir haben nur die Rahmenbedingungen zu schaffen. Aber wir sind nicht die Produzenten des Glücks der Menschen; das halte ich für politische Arroganz. ({8}) Wir sind nicht die Produzenten des Glücks der Menschen, sondern wir sind dazu da, mehr Wahlmöglichkeiten und mehr Selbstbestimmung in ihr Leben zu bringen und es mit sozialer Sicherheit zu verbinden. Deshalb sind Teilrente, Flexibilisierung und Anhebung der Altersgrenzen ein Paket, das nicht nur finanzielle Dimensionen hat, sondern auch einen Beitrag zu mehr Selbstbestimmung der Arbeitnehmer, zu mehr Humanität im Arbeitsleben und zu mehr Humanität beim Übergang von der Erwerbsarbeit in den Ruhestand leistet. Meine Damen und Herren, diese Reform schafft mehr soziale Gerechtigkeit und mehr Sicherheit. Sie ist keine Rentenrevolution. Bewährtes wird erhalten, Neues eingeführt. Die Familie findet sich im Generationenvertrag wieder; 97 von 100 Jahren gab es sie nicht in der Rentenversicherung. Wir bauen die familienbezogenen Leistungen aus. Ich werte es als eine historische Stunde für das Parlament, für die Rentenversicherung, daß wir dieses große Reformwerk im Konsens zu Ende bringen. Am Schluß kann ich ja ein Betriebsgeheimnis lüften: Wenn Sie mich vor zwei Jahren gefragt hätten, ob wir es schaffen, hätte ich mein bescheidenes Vermögen dafür nicht verwettet. Wir haben uns hier politische Demutshaltung und Unterwürfigkeit angewöhnt. Aber ich finde, dies ist ein Tag, an dem das Parlament auf sich stolz sein kann. ({9}) Wir müssen zum Streit fähig sein. Unsere Streitlust ändert sich durch den Konsens nicht. Demokratie lebt von den Alternativen. Aber es wäre borniert, wenn der Streit ein Selbstzweck wäre. Er ist ein Mittel zum Zweck. Daran müssen wir uns immer erinnern. Wo Zusammenarbeit im Interesse der Bürger möglich ist, ist Zusammenarbeit gefordert, wo es nötig ist, auch der Streit. Zu beidem sollten wir fähig sein. Ich habe in dieser Stunde vielen, die daran mitgewirkt haben, Dank zu sagen, der Opposition: Rudolf Dreßler, Günther Heyenn, Jürgen Egert - stellvertretend für alle - , der CDU: Horst Günther, Elmar Kolb, der CSU: Horst Seehofer, Gerhard Scheu, der FDP: Julius Cronenberg, Ulrich Heinrich. Ich hoffe, ich vergesse niemanden. Ich möchte ausdrücklich auch den Beamten des Arbeitsministeriums wie allen Mitarbeitern der Fraktionen meinen Dank sagen. In dieser Reform liegt mehr Knochenarbeit, als durch die Schlagzeilen der Zeitungen wiedergegeben wird. Das ist ein Beweis, daß die Schlagzeilen nicht immer Wertmaßstab der Politik sind. Ich denke, wir haben heute für die ältere Generation, auch für uns, für die nachwachsende Generation, ein großes sozialpolitisches Werk vollbracht. Ich bedanke mich bei allen nicht nur für das Ergebnis, sondern auch für die Art und Weise, wie es zustande kam. ({10})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Egert.

Jürgen Egert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000437, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Ich hoffe auf die Nachsicht der SPD-Fraktion, daß ich meinem spärlich behaarten Kopf kurz eine andere Mütze aufsetze, nämlich die Mütze des Vorsitzenden des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung. Da so vielen gedankt wird, sage ich auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ausschußsekretariats herzlich danke. Sie haben auch die offizielle Arbeit - nicht nur die hinter verschlossenen Türen - in bewährter Weise begleitet. Es gibt einen interessanten Bericht zu diesem Gesetz. Ich empfehle den Kolleginnen und Kollegen, ihn nicht einfach abzulegen unter „R" wie „Rente" oder „J" wie „Jahrhundertwerk" - dort wollen, wie ich gehört habe, DIE GRÜNEN ihn ablegen -; das sollte nicht so sein. Wenn man ihn liest, kann man manches Nützliche darin finden. Weil hier in der Debatte heute eine Irritation über die Möglichkeit, sich mit dem Gesetzentwurf ausreichend auseinanderzusetzen, entstanden ist, will ich der staunenden Öffentlichkeit mitteilen, daß sich der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung in insgesamt 21 Sitzungen mit diesem Gesetzesvorhaben beschäftigt hat. In der Mehrzahl waren es sehr ausführliche Einführungssitzungen sowie zwei öffentliche und drei nichtöffentliche Anhörungen. Es gab also Zeit und Gelegenheit, sich mit dem Gegenstand vertraut zu machen. Ich sage das - wenn es der Wahrheitsfindung dient -, damit es nicht vergessen wird. Jetzt komme ich zu dem, was ich für die SPD-Fraktion in der Sache sagen will.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Egert, gestatten Sie zuvor noch eine Zwischenfrage?

Jürgen Egert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000437, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja; wenn sie mir auf die Zeit nicht angerechnet wird, gerne. - Herr Kollege Hoss.

Prof. h. c. Willi Hoss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich wollte Sie nur fragen, wie Sie die Tatsache, daß der Berichterstatter des Haushaltsausschusses gesagt hat, daß dieses Gesetz mit heißer Nadel gestrickt worden sei und daß er gerne mehr Zeit gehabt hätte, interpretieren.

Jürgen Egert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000437, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe jetzt davon gesprochen, daß der federführende Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung in 21 Sitzungen - ganztätigen Sitzungen - die Gelegenheit hatte, sich mit dem Gesetzentwurf zu beschäftigen. Die Berichterstatter im Haushaltsausschuß stehen immer unter großem Zeitdruck. Das soll sogar manchmal für das Haushaltsgesetz, ihr eigenes Thema, gelten. Insofern nehme ich das nicht als Beleg dafür, daß die Zeit für die, die sich sachverständig machen wollten, im federführenden Ausschuß nicht zur Verfügung gestanden hat. ({0}) Der Kollege Berichterstatter im Haushaltsausschuß war ständig ein Berngesehener Gast im federführenden Ausschuß. Wenn er die Gelegenheit nicht genutzt hat, bedauere ich das sehr. Ich werfe ihm das nicht vor. Er hat sicherlich gute Gründe gehabt, nicht zu kommen. Dies ist jedenfalls kein Argument dafür, daß im federführenden Ausschuß nicht die Gelegenheit bestanden hat, sich sachverständig zu machen. Das wollte ich einfach sagen, damit sich dieser Eindruck gar nicht erst festsetzt. ({1}) Herr Minister, über weite Strecken habe ich Ihnen zugehört und gedacht: Gott, was ist das für ein interessanter populär-wissenschaftlicher Vortrag zum Thema Rente. Da ist die Geschichte der Rentengesetz13140 gebung in der Nachkriegszeit dargestellt worden. - Ich war sozusagen kurz davor, dieses Exemplar von Rede in meine Sammlung von Reden für besondere Gelegenheiten einzuverleiben, als dann der Bundesarbeitsminister laut wurde. Er sagte, er lasse es sich nicht gefallen, daß ihn die Kollegin Schmidt zum Frauenfeind erkläre. Wenn ich er wäre, würde ich mir das auch nicht gefallen lassen. Nur, die Kollegin Schmidt hat etwas ganz anderes gesagt. Sie hat nämlich gesagt, daß dieser Gesetzentwurf für eine bestimmte Personengruppe aus ihrer Sicht und aus der Sicht der SPD-Fraktion ({2}) - und der GRÜNEN, natürlich; auch der FDP, das füge ich hinzu, wenn wir gerade dabei sind - nicht befriedigende Lösungen enthält und daß sie in bezug auf diesen Personenkreis den Verdacht hat - diesen hat sie hier laut ausgesprochen - , daß der Bundesarbeitsminister ein Ideologe ist. ({3}) Wenn, dann sind Sie sozusagen ein Anti-FrauenIdeologe. Bezogen auf die genannte Gruppe hat sie von „Frauenfeind" nichts gesagt, Herr Minister. ({4}) Ich habe ihm weiter zugehört und habe gedacht, jetzt werde er widerlegen, daß er ein Ideologe sei. ({5}) Das Komische bei dem, was man sagt, ist: Man wird der Gefangene der eigenen Worte. Sie, Herr Minister, sind in dieser Frage, die die Kollegin Schmidt zum Gegenstand der Debatte gemacht hat, tatsächlich ein Ideologe. ({6}) Das ist, für sich genommen, noch kein Schimpfwort; denn sonst wäre das ja schon gerügt worden. Sie sind also ein Ideologe insoweit, als Sie davon ausgehen, daß sozusagen die doppelte Belastung von Frauen, die erwerbstätig sind und Kinder erziehen, aus Ihrer Sicht nicht ausgeglichen wird. Das ist Ihr gutes Recht als Angehöriger einer politischen Partei, die andere Vorstellungen z. B. von Familie, von der Erwerbstätigkeit der Frau, von der Beziehung von erwerbstätigen oder nicht erwerbstätigen Frauen zu Kindern hat. Das ist alles Ihr gutes Recht; es ist dann aber auch das gute Recht anderer, dies für eine ideologische Position zu halten. ({7}) Insofern, Herr Minister, war die Lautstärke völlig unangemessen. Nun will ich zu dem Thema, weil mich das als einen der alternierenden Vorsitzenden in der Gleichstellungskommission der Berliner SPD auch unheimlich interessiert, noch ein paar Bemerkungen machen, die Sie und auch gleich die Fraktion der GRÜNEN mit einbeziehen. ({8}) Der erste Punkt ist folgender, Herr Minister: Mich ärgert an dieser Debatte zunehmend - als Verhandler in diesen Konsensrunden ist man ein bißchen Gefangener dieser Verhandlungen - , daß wir uns in eine politische Diskussion hineinmanövrieren, die uns die falsche Alternative von einem Entweder-Oder vorgaukelt, wo es aus meiner Sicht um ein Sowohl-AlsAuch geht. Sie haben noch den Versuch gemacht zu sagen: Sie, Frau Kollegin Schmidt, und damit zugleich die ganze SPD-Fraktion haben es in Ihrer Regierungszeit, 13 Jahre lang, nicht geschafft, überhaupt Kindererziehungszeiten zu berücksichtigen. Ich war der erste, der für die Mütter etwas getan hat. - Das ist alles wahr. Aber wenn wir gerade dabei sind, Herr Minister, dann sollten wir nicht in den Fehler einer sowjetischen Geschichtsschreibung verfallen, die ja gerade abgeschafft wird. Tatsache ist doch, daß es ein Jahr 1972 gegeben hat. ({9}) Dieses Jahr kommt immer wieder zur Erwähnung. Warum denn wohl? Doch wohl deshalb, weil es da die durchaus ernsthafte Absicht von Sozialdemokraten -

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Limbach?

Jürgen Egert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000437, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich möchte im Zusammenhang sprechen. Frau Kollegin Limbach, das sage ich nicht, weil ich nicht gern Zwischenfragen von Ihnen zulasse, sondern deshalb, weil hier irgendwann eine Regierungsbefragung stattfinden soll, der ich ohnehin schon zeitlich im Wege stehe. Deswegen bitte ich um Nachsicht dafür, daß ich das jetzt im Zusammenhang ausführen will. 1972 haben Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten den ernsthaften Versuch unternommen, im Hinblick auf dieses Thema etwas zu tun. „Babyjahr" hieß es damals ganz populär. Es ist aus vielen Gründen nicht dazu gekommen. Ich erinnere z. B. an Parteigänger, die hin- und herwechselten. Inzwischen sind sie wieder hergewechselt. Vielleicht wechseln sie ja noch weiter. Man weiß das bei Parteigängern ja nie. Das kann sogar der Fraktion DIE GRÜNEN passieren. ({0}) Deswegen ist es nicht dazu gekommen. Dann hat es eine „Kompensation" in der Rente nach Mindesteinkommen gegeben. Herr Minister, ich plädiere dafür, die Frauen, die ihr Leben im vorigen Jahrhundert, in diesem Jahrhundert und in den Anfängen dieser Republik, dem zarten Pflänzchen, dessen 40jähriges Bestehen wir in diesem Jahr feiern, unter besonderen Erwerbsbiographien, unter bestimmten familiären Situationen und z. B. auch unter bestimmten Vorstellungen in der Arbeiterbewegung führen mußten, nicht zu diskriminieren. Wir haben in dieser Rentendiskussion u. a. SchwierigEgert keiten, weil es für den arbeitenden Mann ein Erfolg war, daß er der arbeitenden Frau - ähnlich wie in der großbürgerlichen Familie - die Chance geben konnte, nicht berufstätig zu sein. Dahinter steckt auch ein Stück Bewußtsein. Es gibt noch bodenständige Strukturen, in denen das noch immer so gesehen wird. Das entspricht nicht meinen Vorstellungen von partnerschaftlicher Solidarität. Das entspricht auch nicht den Vorstellungen vieler junger engagierter Frauen in unserer Partei. Deswegen gilt: nicht Entweder-Oder, sondern Sowohl-Als-Auch. Dieses Versäumnis beklagen wir hier. ({1}) Wir beklagen ja nicht, daß es in dem einen Bereich eine Ausweitung bei der Anrechnung von Kindererziehungszeiten gegeben hat, sondern wir beklagen, daß das nicht auch in dem anderen Bereich geschehen ist. Nun komme ich zur Fraktion DIE GRÜNEN. Mein Problem mit Ihrer Position zu dieser Frage ist - das war jetzt schon ein bißchen eine Eingangsbemerkung an Ihre Adresse - : Ich fürchte, die Frauenbewegung, insbesondere auch das, was dort feministisch bewegt ist, kann sich - das ist meine Sorge - in eine Sackgasse manövrieren, wenn wir ausschließlich darüber nachdenken, wie die unterschiedlichen Erwerbsbiographien von Männern und Frauen im Alter ausgeglichen werden können und nicht gleichzeitig wieder die Frage auf die Tagesordnung nehmen, ob eine Gleichstellungspolitik die Entlastung nicht vielmehr in der Zeit vorzunehmen hat, in der die Belastung besteht. Dazu gehört die Schaffung von Einrichtungen, die die Familie entlasten. ({2}) - Nein, ich sage Ihnen nur: Ich habe die Sorge - ich habe nicht gesagt, daß das ein Vorwurf an Ihre Adresse ist - , daß diese Diskussion einseitig verengt wird. Ich habe darüber hinaus die Fragen angesprochen, die mit der Gleichstellung zusammenhängen. Das geht bis hin zu der Frage, wie die arbeitsteilige Organisation in der Familie aussehen sollte, wie die Anforderungsprofile für die Männer und Väter von morgen aussehen sollten, damit partnerschaftliche Solidarität, wofür wir auf jedem sozialdemokratischen Parteitag eine Mehrheit finden, die aber im sozialdemokratischen Alltag noch immer keine Entsprechung findet, gelebte Wirklichkeit wird. Das ist ein Problem. Das gehört zu Lebenswirklichkeit. ({3}) Es macht keinen Sinn, daran vorbeizureden und sich darum herumzumogeln. Ich will, ehe ich in einer Schlußbemerkung noch einmal auf die Fraktion DIE GRÜNEN und in diesem Zusammenhang insbesondere auf einige Punkte zu sprechen kommen, die Sie in die Debatte eingeführt haben, eine Bemerkung zu einem ganz anderen Thema machen. Ein Komplex des Gesetzentwurfs hat, was wir, als wir mit den Konsensverhandlungen begannen, nur teilweise gesehen haben, an Aktualität gewonnen. Die Entscheidung über den gemeinsamen Gesetzentwurf fällt nämlich zeitlich mit einer Welle von Aus- und Übersiedlern zusammen, wie sie die Bundesrepublik Deutschland seit der Nachkriegszeit nicht mehr erlebt hat. Die Schwierigkeiten, die mit der Integration dieser Menschen verbunden sind, nutzen rechtsradikale Rattenfänger, um Fremdenhaß, Neid und Ausländerfeindlichkeit zu schüren. Dabei bleiben auch die Leistungen der Alterssicherung nicht von diesen Stammtischemotionen ausgespart. Um diesen Entwicklungen die Spitze abzubrechen, ist auch das Fremdrentenrecht kritisch überprüft worden. Dabei stand die Reform aus sozialdemokratischer Sicht unter zwei Leitideen, nämlich erstens Einzelfallgerechtigkeit herzustellen und zweitens eine größtmögliche Angleichung der Fremdrenten an vergleichbare Rentenanwartschaften zu erreichen. Mit dieser Auffassung, die zunächst zwischen den am Konsens beteiligten Fraktionen keineswegs unumstritten war, hat die SPD erfolgreich das Ansinnen abgewehrt, die Fremdrenten pauschal zu kürzen. Dabei ist die Neuordnung der Tabellenwerte das Herzstück der Reform. Mit diesem sogenannten Branchenmodell konnten wir eine überzeugende Alternative zu allen pauschalen Kürzungsforderungen durchsetzen. Sie entspricht auch unserer Auffassung, daß Aus- und Übersiedler nicht besser, aber auch nicht schlechter gestellt werden sollen als vergleichbare Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in der Bundesrepublik. Mit dem Fremdrentenrecht in engem Zusammenhang steht das Sozialversicherungsabkommen mit Polen. Dieses Abkommen ist leider, auch aus den Reihen der CSU, in populistische Kampagnen hineingezogen worden, die weder seiner entspannungs- und friedenspolitischen Bedeutung noch seiner besonderen Bedeutung im Hinblick auf die zwölf Jahre Hitler-Deutschland und die Geschichte, die damit verbunden ist, entsprechen. Die historische Dimension dieses Abkommens darf deshalb niemals vergessen werden. Deshalb kommen für die SPD Einschnitte, wie sie ursprünglich auch von der CSU gewollt worden sind, nicht in Frage. ({4}) Es befriedigt uns, daß wir es in den Verhandlungen erreicht haben, eine vernünftige Linie zu bekommen. Insbesondere ist die Forderung abgewehrt worden, das Abkommen zu kündigen. Wir haben uns statt dessen geeinigt, die Anwendung des Abkommens zu präzisieren und an die veränderte Entwicklung anzupassen. Dies geschieht unter strikter Einhaltung des Vertrages. Die Änderungen beschränken sich auf das Ratifikationsgesetz zu diesem Abkommen. Sie halten sich in dem Rahmen, der nach dem Vertrag selbst der freien Ausgestaltung durch den Gesetzgeber der Bundesrepublik Deutschland unterliegt. Aus unserer Sicht ist damit das Ende der Fahnenstange erreicht, was das Gesetzgebungsverfahren angeht. Aber wir verhehlen nicht, daß die Regelung, die ausschließlich zur Bewältigung der Nazi-Vergangenheit und des Zweiten Weltkrieges gedacht war, inzwischen ein Instrument zur sozialpolitischen Flankie13142 rung der Aussiedlerwelle geworden ist. Daher halten wir weitergehende Überlegungen für legitim, die auf eine Modifikation des Abkommens im Einvernehmen mit der polnischen Regierung zielen. Nun, meine Kolleginnen und Kollegen der Fraktion DIE GRÜNEN, Sie haben zur zweiten und dritten Lesung auf Rosa - nicht SPD-Rosa in diesem Fall oder Grün-Rosa - und Grün Änderungsanträge bzw. Entschließungsanträge ({5}) - Sie drucken nicht selbst - vorlegen lassen. Ich habe da eine Zahl guter sozialdemokratischer Bekannter entdeckt. ({6}) Sie, meine Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion DIE GRÜNEN, haben der Verlockung nicht widerstanden, die gute, alte SPD aus durchsichtigem Parteikalkül vorführen zu wollen. ({7}) Wenn wir Ihren Änderungsanträgen nicht zustimmen werden, hat das nicht mit inhaltlichen Differenzen, sondern ({8}) primär mit der Erkenntnis zu tun - und der Kollege Hoss wollte mich vorhin nicht verstehen -, daß das Wahlergebnis vom Januar 1987 mindestens bis zum 9. Dezember 1990 ({9}) unverrückbar ist. ({10}) Vor die Alternative gestellt, Frau Kollegin Beck-Oberdorf, die Menschen nur mit papiernen Programmen abzuspeisen oder am Konsens aktiv mitzustrikken - nicht mit denen zu kuscheln; so attraktiv ist das nicht, mit den Regierungsparteien zu kuscheln, ({11}) jedenfalls für mich nicht. Ich weiß nicht, wer von meinen Kollegen da einen Reiz entdecken kann. Ich glaube nicht, daß das viele sind -, ({12}) haben wir uns dafür entschieden, an dem Konsens mitzustricken, und uns damit - zugegeben - für den unbequemeren Weg entschieden. Da wir Sozialdemokraten dazu neigen, das Unvollkommene nicht zu kämen - und das ist eine Aufforderung des von mir sehr verehrten Bundespräsidenten Gustav Heinemann, ({13}) die ich Ihnen hier ins Bewußtsein rufe - , bekennen wir uns dazu, daß wir es - statt uns in unsere Plakate zu verlieben - erreicht haben, daß die Verlängerung der Rente nach Mindesteinkommen einer Million Frauen Rentenverbesserungen bringt; daß wir das Inkrafttreten der Verlängerung der Lebensarbeitszeit von 1995 auf das Jahr 2001 hinausgeschoben haben; daß die Benachteiligung der Arbeitsfrauen im Gesamtleistungsmodell beseitigt worden ist; daß die Beiträge für arbeitslose Männer und Frauen auf eine Bemessungsgrundlage von 80 % erhöht worden sind; daß ein Einstieg in die Harmonisierung der Alterssicherungssysteme erreicht worden ist; daß die Generationensolidarität neu gefestigt worden ist; daß die Rentenfinanzen für eine überschaubare Zukunft gesichert worden sind. Ausgangspunkt - und das müssen Sie mit sich abmachen - war für all dies, was wir erreicht haben, der Diskussionsentwurf aus dem Hause Blüm. Dies war der Ausgangspunkt der Gesetzeswirklichkeit, weil die Mehrheiten in diesem Hause so sind, wie sie sind. ({14}) Ich empfehle meinen Kolleginnen und Kollegen selbstbewußt, das, was ich Ihnen hier gesagt habe, nicht zu vergessen und weiterzuerzählen. Ich denke, daß die Diskussion zwischen Plakat und Tat zugunsten der Tat ausgehen wird. Ich bedanke mich für Ihre Geduld. ({15})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Meine Damen und Herren, wir unterbrechen die Aussprache und fahren mit der Befragung der Bundesregierung und anschließend der Fragestunde, in der nach dem Stand von heute morgen vier Fragenkomplexe vorgesehen sind, fort. Wir setzen diese Diskussion um 14.00 Uhr fort. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Befragung der Bundesregierung Die Themen der Kabinettssitzung, die der Chef des Bundeskanzleramts mitgeteilt hat, sind den Fraktionen bekannt. Die Bundesregierung hat weiter mitgeteilt, daß der Bundesminister des Innern berichtet. Das Wort hat der Bundesminister Dr. Schäuble.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat sich heute vor allem mit dem Zustrom von Flüchtlingen aus der DDR und mit der Unterbringungssituation von Aus- und Übersiedlern beschäftigt. Seit der Öffnung der Grenze der CSSR am 3. November sind 48 177 Übersiedler aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland gekommen, davon allein in den letzten 24 Stunden 11 018. Die Hälfte etwa kommt mit dem eigenen Wagen, und die anderen kommen in fahrplanmäßigen Zügen sowie in Sonderzügen, in geringerer Zahl auch in Bussen. Der Zustrom hält an. Die Durchführung der Erstaufnahmeverfahren ist auch bei diesem Zustrom gesichert. Wir haben neben den herkömmlichen Aufnahmeeinrichtungen in Gießen und in Schöppingen in rund 140 Notunterkünften 46 000 Betten zur Verfügung, davon in Einrichtungen der Bundeswehr rund 25 000 Betten, in Einrichtungen des Bundesgrenzschutzes rund 6 000 Betten, in Einrichtungen des Katastrophenschutzes rund 8 000 Betten. Die Verweildauer in den Durchgangseinrichtungen liegt bei zwei bis drei Tagen. Wir haben zur Bewältigung der Aufnahmeverfahren 18 Teams von Beamten des Bundesgrenzschutzes und der Bundeswehr mit jeweils etwa 50 Mann zusammengestellt. Wir erweitern das in diesen Tagen auf 20 Teams, die im Wechsel in diesen 140 Notunterkünften die Aufnahmeverfahren durchführen, so daß wir auch weiterhin in der Lage sind, die Erstaufnahme der Flüchtlinge sicherzustellen. Schwieriger ist die Situation bei der vorläufigen Unterbringung in den Ländern, den Städten und den Gemeinden. Es ist klar, daß es eine Aufgabe der Länder ist und bleiben muß, die vorläufige Unterbringung von Aus- und Übersiedlern zu bewerkstelligen. Aber die Bundesregierung geht davon aus, daß wir alle Länder und Gemeinden bei der Bewältigung dieser Aufgabe nicht allein lassen dürfen. Ich habe deshalb die Bundesländer, auch die kommunalen Spitzenverbände, auf politischer Ebene zu einem weiteren Gespräch für die kommende Woche eingeladen, um darüber zu sprechen, welche zusätzlichen Hilfen für Länder, für Städte und Gemeinden für die vorläufige Unterbringung von Aus- und Übersiedlern zur Verfügung gestellt werden können. Ich will vielleicht in diesem Zusammenhang sagen: Wir haben in diesem Jahr bisher insgesamt 225 233 Übersiedler aus der DDR und über 300 000 Aussiedler, und die Zahl steigt laufend an. Wir werden prüfen, welche weiteren Bundeseinrichtungen wir den Ländern zur vorläufigen Unterbringung von Aus- und Übersiedlern zur Verfügung stellen können. Wir sind im Gespräch mit den Alliierten. Ich bedanke mich ausdrücklich für die Bereitschaft unserer Verbündeten, mit uns darüber zu sprechen und zu helfen, Raum für die einstweilige Unterbringung von Aus- und Übersiedlern zu schaffen. Die Bundesregierung appelliert an alle gesellschaftlichen Gruppen, an Verbände, an karitative Einrichtungen mitzuhelfen. Ich denke, daß wir etwa im Bereich von Jugendherbergen oder Bildungseinrichtungen weitere Möglichkeiten zur einstweiligen Unterbringung von Aus- und Übersiedlern finden müssen und zur Verfügung stellen sollten. Ich appelliere auch an das Verständnis unserer Mitbürger, daß dadurch Einschränkungen auch für die Benutzer solcher Einrichtungen unvermeidlich sein werden. Aber angesichts der Dimension dieser nationalen Aufgabe möchte ich noch einmal an den Appell erinnern, den der Herr Bundeskanzler gestern in der Regierungserklärung zur Lage der Nation im geteilten Deutschland hier an alle Kräfte in der Bundesrepublik Deutschland gerichtet hat. Ich möchte auch, meine Damen und Herren, ganz klar sagen, daß jeder Übersiedler oder Flüchtling aus der DDR damit rechnen muß, daß er auf längere Zeit in unzulänglichen Wohnverhältnissen hier in der Bundesrepublik Deutschland leben muß. Viele, wenn nicht die meisten werden schlechter untergebracht sein, als sie es bisher gewohnt waren. Auch aus diesem Grund und auch im Hinblick auf die kalte Jahreszeit sollte sich jeder Deutsche in DDR vor einer möglichen Entscheidung, zu uns zu kommen, diesen Schritt sorgfältig überlegen. Aber ich füge hinzu: Wir werden jeden aufnehmen, heute, morgen und in Zukunft. Wir werden auch in Zukunft keinen zurückweisen, und niemand muß fürchten, daß, wenn er nicht heute oder morgen kommt, er dann in Zukunft hier keine Aufnahme finden wird. Wir werden auch in Zukunft alle aufnehmen, auch wenn die objektiven Schwierigkeiten groß bleiben werden. Die Aufnahmebereitschaft der Mitbürger in der Bundesrepublik Deutschland ist groß. Ich appelliere an alle Bundesbürger, daß es so bleibt. Es sollte sich auch jeder überlegen, ob er nicht doch noch freien Wohnraum hat, den er zur Verfügung stellen kann. Ich bin sicher, daß Städte und Gemeinden und insbesondere unsere Landsleute, die zu uns kommen, für jedes Angebot dankbar sind. Unsere Hoffnung ist, daß sich die Verhältnisse in der DDR rasch ändern, aber dies, meine Damen und Herren, ist allein die Verantwortlichkeit derer, die in der DDR Verantwortung tragen. Sie müssen mit Reformen ernst machen, sie müssen schnell machen, und sie müssen nicht bloß Zeichen, sondern Ecksteine setzen, die unverrückbar den Beginn einer neuen Ära markieren. Wir wollen denjenigen helfen, die zu uns kommen, wie denjenigen, die in der DDR bleiben.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Danke. Als erster Fragesteller hat Herr Abgeordneter Penner das Wort.

Dr. Willfried Penner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesminister, die Situation in den Städten und Gemeinden bei uns ist in der Tat als dramatisch zu bezeichnen. Das gilt für die Inanspruchnahme öffentlicher sozialer Einrichtungen wie privater Einrichtungen, das gilt aber insonderheit für die Frage der Unterbringung. Jetzt frage ich Sie ganz offen: Sieht die Bundesregierung angesichts des bestehenden Notstandes überhaupt noch Möglichkeiten, wenigstens für eine zeitliche Befristung eine Wohnraumbewirtschaftung zu vermeiden?

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Bundesminister Schäuble.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Penner, wie ich soeben schon ausgeführt habe, gehen wir davon aus, daß wir sowohl für die Erstaufnahme wie für die vorläufige Unterbringung die notwendigen Vorkehrungen getroffen haben bzw. die notwendigen Reserven in der Bundesrepublik Deutschland mobilisieren können. Was die Frage der dauerhaften Wohnraumversorgung betrifft, denke ich, daß wir mit marktwirtschaftlichen Elementen und mit dem, was Frau Kollegin Hasselfeldt in diesen Tagen auch der Öffentlichkeit mitgeteilt hat, die notwendigen Maßnahmen treffen, um den nötigen Wohnraum zu schaffen. Nur, Herr Kollege Penner, es gibt überhaupt keinen Zweifel daran: Der Wohnraum, der erst gebaut wer13144 den muß, steht nicht innerhalb von Wochen und Monaten zur Verfügung. Deswegen habe ich über die einstweilige Unterbringung von Aus- und Übersiedlern gesprochen. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Penner.

Dr. Willfried Penner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es ist wohl wahr, daß die geplanten Maßnahmen der Bundesregierung im Wohnungsbau nicht von jetzt auf gleich greifen können. Das leuchtet ja ein. Aber ist das die einzige Antwort der Bundesregierung auf die jüngst bekannt gewordenen Nöte der Stadtstaaten - ich denke dabei besonders an Bremen, aber auch an Berlin und an Hamburg - bei der Überwindung von Schwierigkeiten, unter denen diese Städte fast zusammenzubrechen drohen?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Penner, wenn ich die Stimmen aus den Stadtstaaten Hamburg und Bremen und auch aus dem Land Berlin in den letzten Tagen richtig gehört habe, sprechen sie von den Schwierigkeiten, die sie bei der einstweiligen Unterbringung von Aus- und Übersiedlern haben. Davon habe ich gesprochen. Ich habe davon gesprochen, daß wir die Länder und die Städte und Gemeinden dabei nicht allein lassen dürfen. Mit „wir" habe ich nicht nur die Bundesregierung gemeint, sondern auch alle gesellschaftlichen Gruppen in der Bundesrepublik Deutschland. Deswegen glaube ich, daß auch die Stadtstaaten davon ausgehen dürfen, daß wir mit den Möglichkeiten, die wir haben, ihnen helfen. Ich bin sicher, daß unsere freiheitliche Wohlstandsgesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland in der Lage ist, dieses Problem zu bewältigen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Frau Dr. Hamm-Brücher.

Dr. Dr. h. c. Hildegard Hamm-Brücher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000793, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Bundesminister, erlauben Sie mir, zwei Fragen anzuschneiden, die ich heute der Presse entnommen habe. Ist es richtig, daß zunehmend auch Eltern ihre Kinder bis an die Grenze bringen und sie dann sich selber überlassen; und welche Vorsorge ist denn getroffen, daß diese Kinder in besondere Obhut genommen werden? Falls Sie darüber heute noch nicht berichten können: Gehen Sie dieser Problematik nach und geben Sie dem Bundestag darüber Informationen?

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Bundesminister.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin Hamm Brücher, erstens kann ich die Ihrer Frage zugrunde liegenden Pressemeldungen ausdrücklich nicht bestätigen. Ihre Frage war bezogen auf Übersiedler. Ich kann sie ausdrücklich nicht bestätigen. Zweitens. Wir sind nicht nur in einem ständigen Kontakt, sondern in enger Zusammenarbeit mit allen Wohlfahrtsverbänden und humanitären Organisationen. Ich habe gestern beispielsweise ein Gespräch mit den Präsidenten aller humanitären Organisationen geführt. Wenn solche Fälle auftreten sollten, werden wir gemeinsam dafür die notwendigen Betreuungseinrichtungen vorsehen. Aber selbstverständlich bin ich gern bereit, den Bundestag auch darüber zu informieren, falls es Informationen geben sollte, die ich bisher nicht bestätigen kann.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Zusatzfrage, Frau Hamm-Brücher.

Dr. Dr. h. c. Hildegard Hamm-Brücher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000793, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Bundesminister, es wird auch berichtet, daß sich sozusagen Besucher unter den Flüchtlingen befinden, die aussagen, sie wollten sich einmal umgucken, hätten auch ein bißchen eingekauft und führen jetzt zurück. Kann das bestätigt werden? Wenn ja: Wie wird das eigentlich beurteilt?

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Bundesminister.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Aber, Frau Kollegin Hamm-Brücher, wir haben alle sogar im Fernsehen solche Interviews gesehen. Das ist eigentlich ein ganz normaler Vorgang. Wir nähern uns ja offensichtlich in einem beeindruckenden Tempo der Normalität, wobei die Übergangszeit von einem so unnormalen Zustand im geteilten Deutschland seit 40 Jahren zu der Normalität, daß die Grenze durchlässig wird, eben diese Probleme mitbringt, über die ich berichtet habe. ({0}) - Nur dann, wenn sie sich zur Aufnahme melden. Das ist ihre Entscheidung. Wenn sie nur einfach einreisen und ausreisen wollen, werden sie nicht einmal registriert. Es herrscht in der Bundesrepublik Deutschland eine völlige Freiheit der Ein- und Ausreise, insbesondere für Deutsche. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Bohl.

Friedrich Bohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000230, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesinnenminister, der Oberbürgermeister von Hannover, der von der SPD gestellt wird, hat offensichtlich die Auffassung vertreten, daß die Großstädte für Übersiedler dichtgemacht werden müßten. Wie beurteilt eigentlich die Bundesregierung diese Aussage von Herrn Schmalstieg insbesondere auch vor dem Hintergrund, daß die SPD in den großen Städten unseres Landes eine besondere Verantwortung trägt?

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Bundesminister.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Bohl, ich möchte auch an den Oberbürgermeister Schmalstieg und Vizepräsidenten des Deutschen Städtetages nachdrücklich appellieren, daß er seinen Teil an Verantwortung, den er in einem föderativen Bundesstaat trägt - Bund, Länder und Gemeinden - wahrnimmt, und daß sich niemand der Bewältigung einer nationalen Aufgabe versagt. Wir alle müssen zusammenwirken. Ich habe gesagt: Wir dürfen die Länder und Gemeinden bei der Bewältigung dieser Aufgabe nicht alleinlassen, aber die Gemeinden, auch die großen Städte, können sich von der Bewältigung dieser Aufgabe auch nicht verabschieden, ohne daß sie auf diese Weise die kommunale Selbstverwaltung in ihrem Kern gefährden würden. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Frau Abgeordnete Vollmer.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe zwei Fragen. Die erste: Herr Minister, man hat den Eindruck, nachdem erst fast triumphal bejubelt worden ist, daß die Menschen nun alle kommen, um hier bei uns die Freiheit zu haben, und darin stand auch ein Systemtriumph, daß es jetzt mehr das Signal ist, daß auch von Ihnen gesagt wird: Herr, halt' ein mit deinem Segen. Als einzige Lösung sagen Sie - das habe ich eben Ihrer Antwort entnommen - : Es ist allein die Verantwortung der DDR, sie müssen noch mehr tun. Nun haben die ja schon sehr viel getan, und jetzt fordern sie noch freie Wahlen. ({0}) Sind Sie der Meinung, daß der Flüchtlingsstrom, wenn es dort freie Wahlen gibt, wirklich aufhört und daß es nicht im Gegenteil so sein wird, daß der weiter vorhanden sein wird, weil die Mauer fällt, weil es das Wohlstandsgefälle gibt, ({1}) und daß wir deswegen etwas tun müssen, um die materiellen Lebensbedingungen, die so ungleich gegenüber unseren sind, ({2}) anzuheben, damit dieser Ausgleich überhaupt möglich ist? ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Bundesminister.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin Vollmer, ich will nicht polemisch antworten, obwohl es einigermaßen schwerfällt, darauf zu verzichten. ({0}) Erstens haben wir niemals gejubelt, und wir sagen jetzt auch nicht: Oh Herr, hör' auf mit deinem Segen! Ich habe vielmehr darüber berichtet, was das Kabinett heute beraten hat. Das ist der Sinn, Frau Präsidentin, dieser Veranstaltung. Wir haben uns mit der Situation von Aus- und Übersiedlern und mit der Unterbringungssituation beschäftigt, und ich habe ausdrücklich gesagt: So ist die Lage, diese und jene Maßnahmen sind vorgesehen, das und das tun wir weiter. Natürlich gehört dazu auch, daß wir objektiv alle, die es angeht, über die Lage unterrichten, und es entspricht nur der Wahrheit, wenn wir auch sagen: Es muß jeder bei dieser Situation wissen - 225 000 Übersiedler bis heute morgen, über 300 000 Aussiedler - , daß sie für einen längeren Zeitraum in unzulänglichen Wohnverhältnissen untergebracht werden müssen. Es ist doch richtig, daß man das vorher sagt. Ich habe aber auch gesagt: Es braucht niemand irgendeine Panik zu haben. Wir werden heute, morgen und in aller Zukunft keinen Deutschen zurückweisen, sie werden auch in Zukunft alle aufgenommen werden können, und wir bemühen uns in der Bundesrepublik Deutschland alle, sie so gut wie irgend möglich und so rasch wie möglich aufzunehmen, aber bei den großen Zahlen, die im Augenblick kommen, wäre es unwahrhaftig, wenn man nicht über Schwierigkeiten aufklären würde.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Eine Zusatzfrage.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich wollte Sie fragen, ob Sie auf der heutigen Sitzung auch über das Thema gesprochen haben, das gestern im Innenausschuß war, nämlich daß die Übersiedler alle durch die Datei ADOS erfaßt werden und daß sie in dieser Datei 35 Jahre gespeichert werden, daß daran ein Interesse des Verfassungsschutzes besteht, um, wie er sagt, eine Objektkartei zu haben. Sind Sie nicht der Meinung, daß dieses mit dazu beiträgt, daß der schnelle Durchlauf von den Lagern zu den Orten, wo die Leute unterkommen, gestoppt wird, weil das bei immerhin 50 000 Menschen einige Schwierigkeiten machen wird, sie in dieser Datei zu erfassen?

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Bundesminister.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Erstens, Frau Kollegin Vollmer, haben wir heute im Kabinett darüber nicht gesprochen. Zweitens ist das, was Sie sagen, auch wenn wir im Kabinett darüber nicht gesprochen haben, unzutreffend. ({0}) Drittens ist es so, daß diese Angaben nur freiwillig erfolgen sollen und daß die Fragebogen ausdrücklich den Hinweis enthalten, daß - ({1}) - Na, gut. Aber ich spreche ja von jetzt. Wir haben dafür gesorgt, daß auf dem Befragungsbogen ausdrücklich aufgedruckt ist, daß diese Angaben nur freiwillig gemacht werden, daß sie gemacht werden können, aber nicht müssen. Viertens ist es in keinem Fall zu irgendeiner Verzögerung bei der Abwicklung der Aufnahmeverfahren gekommen. Wir haben bei der Abwicklung der Aufnahmeverfahren zwischendurch - nicht im Augenblick - in Einzelfällen Schwierigkeiten bei der Verteilung auf die Länder gehabt. Im Augenblick haben wir diese Schwierigkeiten nicht. Wir haben eine durchschnittliche Dauer der Erstaufnahmeverfahren von zwei bis drei Tagen einfach deswegen, weil wir, wie ich gesagt habe, inzwischen 140 Notaufnahmestellen haben. Denken Sie daran, daß wir ursprünglich eine einzige Notaufnahmestelle in Gießen hatten. Dann haben wir Schöppingen hinzugenommen. Inzwischen haben wir 140 Stellen, in denen wir Aufnahmeverfahren durch Beamte des Bundesgrenzschutzes und der Bundeswehr in demnächst 20 Teams abwikkeln. Ich will an dieser Stelle auch einmal meinen Respekt bekunden und meinen Dank an alle Beamte sagen, die eine völlig neue Aufgabe in einer sehr unbürokratischen Weise erfüllen. ({2}) Es gibt keine Verzögerung aus den von Ihnen angedeuteten Gründen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Frau Abgeordnete Hämmerle.

Gerlinde Hämmerle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000777, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesminister, uns allen ist die Situation bekannt, daß in den Aufnahmelagern unseriöse Agenten aller Art die Neuankömmlinge mit ebenso unseriösen Verträgen überschwemmen und daß diese Menschen in Unkenntnis der Dinge, die auf sie zukommen, diese Verträge auch unterschreiben. Die Situation spitzt sich immer mehr zu. Ich frage die Bundesregierung, ob sie daran denkt, die Betreuungsorganisationen in den Aufnahmelagern personell besser auszustatten oder ihnen zu helfen, diese Problematik zu bewältigen. Sie haben soeben, Herr Bundesminister, den karitativen Einrichtungen und Wohlfahrtsverbänden gedankt. Ich möchte Sie fragen, ob Sie mit mir der Ansicht sind, daß sich insbesondere in Grafenau der Bundesgrenzschutz bis an die Grenzen seiner Möglichkeiten und weit darüber hinaus in einem ganz beispielhaften menschlichen Einsatz um die Menschen kümmert, und ich möchte Sie fragen, ob Sie nicht auch mit mir der Auffassung sind, daß Oberbürgermeister unserer Städte in Wahrnehmung ihrer Verantwortung sehr wohl auch einen Auftrag zur Mahnung haben.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Bundesminister, bitte.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin Hämmerle, erstens, ich bin dankbar, daß Sie zu Recht den Bundesgrenzschutz so anerkennend erwähnen. Ich habe es soeben eine Minute vor Ihnen auch getan und tue es gerne noch einmal. Ich beziehe aber die Bundeswehr und viele andere und auch die Verbände ausdrücklich mit ein. Zweitens. Wir sind in der Tat im Gespräch darüber, wie wir durch die Betreuung, sei es durch die Angehörigen karitativer Verbände, sei es durch die Angehörigen von Bundesverwaltungen, die Neuankömmlinge auch ein bißchen vor dem schützen, was es natürlich immer gibt, daß Leute versuchen, die Unerfahrenheit von Menschen mit einer freiheitlichen Lebensordnung für Geschäftemacherei auszunutzen. Wir sind auch im Gespräch darüber - nicht in bezug auf dieses Thema, sondern generell -, wie wir helfen können, die notwendigen personellen Kapazitäten für die Betreuungsdienste weiter zu verstärken. Ich sagte, daß ich gestern ein Gespräch mit den Spitzen aller humanitären Organisationen geführt habe. Drittens. Ich stimme Ihnen zu, daß natürlich auch für Städte und Kommunen Verantwortliche mahnen sollen; aber es ist ein Unterschied zwischen Mahnen und dem Fordern von Kontingenten, wie es der Oberbürgermeister Schmalstieg nach meiner Information getan hat, das heißt, den Deutschen aus der DDR nicht mehr den freien Zugang in die Bundesrepublik Deutschland zu ermöglichen. Ich finde, wenn Herr Schmalstieg - wie wir - mahnt, alles uns Mögliche zu tun, die Deutschen aufzunehmen, ist dies das eine; aber wenn er fordert, daß wir den Zugang begrenzen sollten, und damit die mögliche Panik in der DDR verstärkt, dann ist das das Falsche. Aber danach haben Sie auch nicht gefragt. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Lüder.

Wolfgang Lüder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001390, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sosehr es nach der Frage der Kollegin Vollmer reizen würde, die kritische Diskussion über die ADOS-Kartei hier fortzusetzen und das Plenum des Bundestages zum Plenum des Innenausschusses umzufunktionieren, will ich mich auf die Fragen konzentrieren, die heute hier anstehen. Ich habe drei Fragen an die Bundesregierung. Ich vermute, daß unterschiedliche Minister antworten werden. Erstens. Gilt auch für die Übersiedlerpolitik als Grundsatz der Bundesregierung, wie wir das auch für die Aussiedlerpolitik ausdrücklich formuliert haben, daß es unser Interesse ist, daß jeder Deutsche oder Deutschstämmige - bei den Aussiedlern „Deutschstämmige", bei den Übersiedlern aus der DDR „Deutsche" - an seinem Wohnort bleiben soll und wir alle dazu beitragen wollen, daß ihm dies erleichtert wird, daß wir aber zweitens jeden Wunsch jedes Individuums deutscher Nationalität oder Volkszugehörigkeit, zu uns zu kommen, anerkennen und respektieren, so daß wir Fragen mit dem Gusto, wir würden Abwerbung oder ähnliches machen, die kamen, nicht akzeptieren können? Für uns geht es wohl doch nur darum, die freie Entscheidung der Persönlichkeit, zu uns zu kommen, zu respektieren. Die zweite Frage: Wenn ich es richtig gesehen habe, hat der Arbeitsmarkt der Bundesrepublik die zunehmende Zahl der Aussiedler und Übersiedler nicht nur verkraftet, sondern es ist sogar so, daß wir, wenn ich die Angaben von Herrn Franke richtig im Kopf habe, noch nie so viele Leute in der Bundesrepublik Deutschland in Lohn und Brot hatten wie jetzt und eine sinkende Arbeitslosenquote haben. Dieses ermutigt mich zu sagen: Wir haben Chancen für ein kräftiges Wirtschaftswachstum und für eine aktive Beschäftigungspolitik durch Aus- und Übersiedler. Teilt die Bundesregierung diese Einschätzung?

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als erster, wahrscheinlich, Herr Bundesminister Schäuble.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Herr Kollege Lüder, vielleicht darf ich zur Beantwortung Ihrer ersten Frage - ich nehme an, die zweite Frage wird der Kollege Norbert Blüm beantworten, wenn die Frau Präsidentin das ermöglicht - der Einfachheit halber aus der gestrigen Regierungserklärung, dem Bericht zur Lage der NaBundesminister Dr. Schäuble tion im geteilten Deutschland, den Herrn Bundeskanzler zitieren: Wir alle wissen, daß ein Massenexodus aus der DDR weder im Interesse der Menschen in Deutschland liegt noch das Ziel einer vernünftigen Deutschlandpolitik sein kann. Unsere besondere Achtung und Sympathie gehören genauso jenen, die in der DDR bleiben und darauf hoffen, - jetzt auch selbst daran mitwirken wollen daß sich die Verhältnisse jetzt auch dort zum Besseren verändern. Der Bundeskanzler fuhr fort: Ich möchte in diesem Zusammenhang auch eindringlich davor warnen, sich ... als Richter über jene aufspielen zu wollen, die sich dafür entschieden haben, aus der DDR zu uns zu kommen, oder über jene, die sich entschieden haben, dort zu bleiben. Wir sollten unsere Landsleute nicht bevormunden, sondern wir sollten die Entscheidung jedes einzelnen respektieren.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Danke schön. Herr Bundesminister Blüm.

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Herr Abgeordneter Lüder, ich bestätige ausdrücklich den Eindruck, der auch der Ihre ist. Ich kann das auch noch mit Zahlen erhärten: Die Beschäftigtenzahl, die Erwerbstätigenzahl, war noch nie so hoch, wie sie jetzt ist. Sie lag im September 1989 um 332 000 höher als im vergangenen Jahr. Die Zahl der Arbeitslosen hat im Oktober 1989 gegenüber Oktober 1988 um 200 000 abgenommen. Es ist die niedrigste Arbeitslosenzahl in einem Oktober seit Oktober 1981. Auf dem Arbeitsmarkt ist viel in Bewegung. Das können Sie daran sehen, daß wir ein Rekordergebnis in der Arbeitsvermittlung haben. Seit Januar sind von den Arbeitsämtern 1,8 Millionen Mitbürger in Arbeit vermittelt worden. Das ist gegenüber dem Vorjahr eine Steigerung um mehr als 6 % . Die Zahl der arbeitslosen Aussiedler hat im Oktober um rund 19 000 zugenommen. Sehr viel mehr Aus- und Übersiedler sind zu uns gekommen. Ich glaube, daß auch unsere Mitbürger, die aus der DDR oder aus anderen Gebieten zu uns kommen, eine gute Chance zur Beschäftigung haben.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Danke schön. - Als nächster hat der Abgeordnete Herr Gerster das Wort zu seiner Frage.

Dr. h. c. Johannes Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, ich teile Ihre Auffassung, daß Wohnungszwangswirtschaftsmaßnahmen keinen Sinn hätten, um die Probleme zu lösen. Aber darf ich noch einmal unterstützend fragen: Teilen Sie nicht meine Auffassung, daß bei rund 200 000 leerstehenden Wohnungen die Sozialbindung des Art. 14 des Grundgesetzes Veranlassung sein sollte, alle Eigentümer von Wohnungen nicht nur öffentlich aufzufordern, daß sie jetzt in diesen Notsituationen vermieten sollen, sondern daß möglicherweise das eine oder andere Begleitende im Sinne einer politischen Diskussion hier sinnvoll wäre? Teilen Sie die Auffassung, daß jeder, der eine leerstehende Wohnung hat, verpflichtet ist, jetzt umgehend zu vermieten, um die Notstände mit beseitigen zu helfen?

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Bundesminister.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Gerster, ich teile Ihre Auffassung. Ich wiederhole, daß ich zu Beginn der Regierungsbefragung an alle Bundesbürger appelliert habe, zu überlegen, ob sie angesichts der Dimension dieser nationalen Aufgabe nicht jetzt freien Wohnraum zur Verfügung stellen können. Ich weise auch darauf hin, daß Frau Kollegin Hasselfeldt gestern darauf aufmerksam gemacht hat, daß kommunale Verwaltungen zum Teil dazu übergegangen sind, ihrerseits zeitweise Wohnungen anzumieten und sie Aus- und Übersiedlern zur Verfügung zu stellen. Die Bundesregierung vertraut im übrigen darauf, daß die freien Kräfte unserer freiheitlichen Gesellschaft besser in der Lage sind, diese Aufgabe zu bewältigen. Wir vertrauen auch auf die Hilfsbereitschaft unserer Bürger. Sie sollte sich gerade jetzt in der Zurverfügungstellung von Wohnraum dort, wo wir leerstehende Wohnungen haben, bewähren.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Zusatzfrage.

Dr. h. c. Johannes Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, ist die Bundesregierung bereit, sich in diesem Sinne an die Landesregierungen und an die Kommunen zu wenden, um diese zu bitten, von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, freistehende Wohnungen zunächst treuhänderisch anzumieten, um sie dann umgehend an Aus- und Übersiedler weiterzuvermieten?

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Ja, bitte.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Wahrscheinlich wäre Frau Kollegin Hasselfeldt zuständig. Aber da sie gestern gesagt hat, daß sie das schon getan hat, und ich gerade stehe, Herr Kollege Gerster, sage ich: ({0}) Die Bereitschaft der Bundesregierung besteht. Sie ist durch Frau Kollegin Hasselfeldt bereits verwirklicht worden.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächste Fragestellerin Frau Hensel.

Karitas Dagmar Hensel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000872, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Bundesminister, nationale Aufgaben, denke ich, können nur durch ganz konkrete Maßnahmen gelöst werden. Ich frage Sie deshalb ganz konkret: Welche haushaltspolitischen Maßnahmen, welche Sofortmaßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen, um den Zuzug der DDR- Menschen finanzieren zu können, und welche politischen Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen, um die durch den unbegrenzten Zuzug sich auf13148 bauenden sozialen Spannungen in der Bundesrepublik zu entschärfen und zu beenden?

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Wer antwortet? - Sie, Herr Bundesminister Schäuble. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin, ich habe einleitend darauf hingewiesen, welche Maßnahmen bereits ergriffen sind und weiter ergriffen werden. Der Deutsche Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates im Nachtragshaushalt 1989 dankenswerterweise die Mittel so erhöht, daß wir bei der Abwicklung dieser Aufgaben haushaltsmäßig überhaupt keine Probleme haben. Ich bin zuversichtlich, daß auch im Bundeshaushalt 1990, der sich gerade in der Beratung durch das Hohe Haus befindet, die notwendigen Mittel in ausreichendem Maße zur Verfügung gestellt werden. Ich würde davon abraten, daß wir uns auf Prognosen einlassen, wie viele 1990 kommen werden. Das hat eine ganz falsche Wirkung. Das steht uns auch gar nicht zu. Da wir, wie ich vorhin ausgeführt habe, die Entscheidung jedes einzelnen zu respektieren haben, sollten wir nicht durch vorherige Prognosen, auch nicht im Wege von Haushaltsberatungen, den Respekt vor der Entscheidung des einzelnen im Grunde ein Stück weit aushöhlen. Die haushaltsmäßigen Vorkehrungen sind getroffen. Es sind die Maßnahmen auf dem Weg, um die Wohnungsbauprobleme so gut wie irgend möglich zu lösen. Die einstweilige Unterbringung ist in der unmittelbaren Verantwortung der Länder. Nur das Erstaufnahmeverfahren ist Sache des Bundes. Ich habe berichtet, daß dort alles soweit funktioniert. Bei der einstweiligen, vorläufigen Unterbringung, die zum Teil 12 bis 18 Monate dauert, sind die Länder und damit die Städte und Gemeinden in einer schwierigen Situation. Deswegen habe ich davon gesprochen, daß wir sie dabei nicht allein lassen dürfen. Aber es wäre ganz falsch, zu einer Länderaufgabe die Bundesregierung zu fragen, was sie allein ganz konkret zu tun beabsichtigt. Das können wir nur gemeinsam machen. Deswegen sind wir in einem engen Kontakt. Ich habe Ihnen berichtet, daß ich die Länder für die kommende Woche wieder zu Gesprächen auf politischer Ebene gebeten habe. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Ich weise darauf hin, daß ich aus Zeitgründen nur noch Herrn Oostergetelo und Herrn Hitschler berücksichtigen kann, weil wir sonst weit über die Zeit hinauskämen und noch zwei freie Fragen da waren. Wir sind wegen der Rentendebatte in zeitlicher Bedrängnis. Ich bitte heute um Verständnis. Sie haben noch eine Zusatzfrage, Frau Hensel.

Karitas Dagmar Hensel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000872, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

: Die ganz kurz ist. Ich bitte um eine ganz konkrete Antwort. Ich halte meine vorige Frage übrigens nicht für beantwortet. Ich habe nach den konkreten Haushaltseinstellungen gefragt. ({0}) Eine ganz kurze Frage, genauso konkret: Wie sieht die konkrete Hilfestellung der Bundesregierung gegenüber den Städten und Gemeinden aus, die ja tatsächlich die Integration und Aufnahme der DDR- Menschen zu bewerkstelligen haben? ({1}) - Sie sollten sich auch etwas zurücknehmen, finde ich. - Das war eine ganz konkrete Frage. ({2})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Darf ich um Ruhe für die Zusatzfrage und die Beantwortung bitten.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin, Sie meinen Deutsche, um das zunächst einmal ganz einfach klarzustellen. Sie sollten von Deutschen sprechen. ({0}) Ich habe hier einleitend vorgetragen - ich will das, Frau Präsidentin, nicht im einzelnen wiederholen -, wie wir Ländern, Städten und Gemeinden helfen wollen, diese schwierige Aufgabe zu bewältigen. Wir können nach Auffassung der Bundesregierung die Länder, Städte und Gemeinden bei der Erfüllung ihrer originären Aufgabe nicht alleinlassen. Der kooperative Föderalismus und die kommunale Selbstverwaltung bedeuten, daß wir Hilfestellung leisten können. Wir können aber nicht vorschreiben, welche konkreten Maßnahmen die Länder und die Kommunen ihrerseits zu ergreifen haben. Wir helfen dabei, auch indem wir Bundeseinrichtungen zur Verfügung stellen, indem wir an die Bevölkerung, an die Verbände, an alle appellieren, Raum für die Unterbringung zur Verfügung zu stellen, indem wir gemeinsam darüber sprechen. Aber es entspricht nicht der kommunalen Selbstverwaltung, wenn Sie hier ein konkretes Programm der Bundesregierung für einen Aufgabenbereich der kommunalen Selbstverwaltung erwarten.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Oostergetelo.

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesminister, Sie haben - ich finde: zu Recht - von einer großen nationalen Aufgabe gesprochen. Ich frage Sie: Wenn alle Appelle an unsere Verantwortung und auch Hinweise auf das Grundgesetz nicht nutzen, ist es dann in Ihre Überlegungen überhaupt nicht einbezogen, daß man notfalls auch eine zeitlich begrenzte Zwangsbewirtschaftung vornimmt, damit die Leute ein vernünftiges Dach über dem Kopf haben? Zweitens möchte ich Sie fragen: Kann man überhaupt davon ausgehen, daß der Strom der Menschenmassen abebbt, bevor gesichert ist, daß es in jenem Teil Deutschlands freie demokratische Wahlen gibt, bevor endlich Reisefreiheit besteht, die nicht vom Staat gewährt wird, sondern als selbstverständliches Recht gilt, und bevor die Schandmauer verschwindet? ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Bundesminister Schäuble.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Oostergetelo, ich bitte Sie um Verständnis. Ich glaube, wir dienen niemandem, wenn wir hypothetische Fragen stellen und auch noch Antworten darauf erwarten. Ich möchte es nicht tun. Ich sage: Wir sind in der Lage, ohne Zwangsmaßnahmen die Aufgabe zu bewältigen. Ich denke, wir bleiben es auch. Mein Vertrauen in die Freiwilligkeit, in die Hilfsbereitschaft unserer Bevölkerung ist groß. Das hat sich in den zurückliegenden Wochen und Monaten auch bestätigt. Auf die Frage, wie die Entwicklung in der DDR und wie die Entwicklung des Flüchtlingsstroms sein wird, möchte ich keine Antwort geben, weil ich gesagt habe: Wir haben die Entscheidung eines jeden einzelnen Deutschen zu respektieren. Das sollten wir auch nicht durch Prognosen ein Stück weit einschränken. Ich denke, wenn wir die Entscheidung respektieren, tun wir eben das Unsrige, um all denjenigen, die zu uns kommen, obwohl wir ihnen gesagt haben, daß es Schwierigkeiten geben wird - davon habe ich gesprochen - , bei der Bewältigung der Schwierigkeiten, die auch die unsrigen sind - auch das ist eine nationale Gemeinsamkeit und Solidarität -, so gut wir es können, zu helfen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Hitschler.

Dr. Walter Hitschler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000910, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Bundesinnenminister, haben Sie wirklich den Eindruck, daß alle Städte und Kommunen das Ihnen notwendig Erscheinende getan haben, um Aussiedler und Übersiedler bei sich unterzubringen? Ich denke in diesem Zusammenhang beispielsweise an den Abfluß der den Städten und Kommunen vom Bund zur Verfügung gestellten Mittel zum Bau von Übergangs- und Durchgangsheimen. Haben Sie zweitens nicht den Eindruck, daß die gegenwärtige Organisationsstruktur des Sprachunterrichts dazu führt, daß die Aussiedler über Gebühr lange in Durchgangs- und Übergangsheimen aufgehalten werden? Wir haben inzwischen eine Verweildauer von, wie ich glaube, 18 Monaten. Meinen Sie nicht, daß die Integration in den normalen Arbeitsmarkt, aber auch in den Wohnungsmarkt sehr viel schneller vonstatten gehen könnte, wenn man diesen Sprachunterricht dergestalt änderte, daß er beispielsweise auch abends erteilt wird, so daß die Leute tagsüber arbeiten können?

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Bundesminister.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Hitschler, ich möchte ungerne öffentliche Zensuren über die Kommunen abgeben. Wir sind auf die Zusammenarbeit aller Beteiligten angewiesen. Aber ich habe ja davon gesprochen, daß es zum Glück noch freie Kapazitäten gibt. Es kommen ja auch laufend weitere Übersiedler zu uns. Deswegen ist es gut, daß es noch freie Kapazitäten gibt. Wir müssen die Anstrengungen verstärken. Dem können Sie entnehmen, daß ich durchaus der Meinung bin, daß es noch Raum - in des Wortes doppelter Bedeutung - gibt und daß wir diesen Raum auch aktivieren müssen. Was das Programm der Kreditanstalt für Wiederaufbau für den Bau von Übergangswohnheimen anbetrifft, so haben wir ja die Konditionen für die Kommunen - auch für andere - verbessert. Seitdem fließen die Mittel auch mit einer hohen Geschwindigkeit ab, so daß jedenfalls jetzt ganz offensichtlich das Notwendige geschieht. Was die Sprachförderung für Aussiedler anbetrifft, so ist es zunächst einmal so, daß die Verweildauer in Übergangswohnheimen nichts mit der Sprachförderung zu tun hat. Die Verweildauer in Übergangswohnheimen ist auch länger, als die Sprachförderung dauern kann. Das hat mit den Engpässen in der Wohnungsversorgung zu tun. Aber ich weise darauf hin, daß der Deutsche Bundestag in der Endphase der Beratung eines von der Bundesregierung - federführend der Bundesinnenminister - eingebrachten Gesetzes ist, mit dem wir die Möglichkeiten der Sprachförderung straffen wollen, vor allen Dingen dadurch, daß wir das Teilunterhaltsgeld einführen. Wenn der Deutsche Bundestag so beschließt, wird eine berufliche, eine Erwerbstätigkeit mit der Möglichkeit der Sprachförderung verbunden, so daß wir nicht mehr das Entweder-Oder, sondern das Und-Und - berufliche Tätigkeit und daneben begleitend Sprachförderung - haben. Ich verspreche mir von diesem Vorhaben, das hoffentlich bald verabschiedet und damit Gesetz werden wird, eine ganz wesentliche Erleichterung der Lösung der Probleme, auf die Sie abgehoben haben und die ich nicht bestreite.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Die reguläre Zeit für die Befragung der Bundesregierung ist abgelaufen. Ich verlängere sie um die zwei Fragen, die noch gestellt werden von der Abgeordneten Frau Schmidt und Herrn Abgeordneten Müntefering. Frau Schmidt.

Renate Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002016, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe Presseberichterstattungen und Mitteilungen von Kollegen der Koalitionsfraktionen entnommen, daß das Schwangeren-Beratungsgesetz in dieser Legislaturperiode nicht mehr vorgelegt werden soll. Vor nicht allzu langer Zeit gab es die Aussage des Bundeskanzlers, daß das zu den wichtigen, in Kürze vorzulegenden Koalitionsvorhaben gehöre. Ich hätte gerne gewußt, welches die Gründe dafür sind, daß dieser Gesetzentwurf nicht vorgelegt wird.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Für die Bundesregierung antwortet Herr Staatsminister Stavenhagen.

Not found (Gast)

Frau Kollegin, Frau Minister Lehr ist gerade mit dem Bundeskanzler nach Polen abgereist und hat mich deswegen informiert und auch gebeten, zu dieser Frage Stellung zu nehmen. Es gibt in der Koalition Meinungsverschiedenheiten über dieses Schwangeren-Beratungsgesetz, die bisher nicht ausgeräumt werden konnten. Die Bundesregierung wird diesen Gesetzentwurf erst einbringen, wenn diese Meinungsverschiedenheiten ausgeräumt werden können. Das ist zur Stunde noch nicht der Fall. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Eine Zusatzfrage.

Renate Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002016, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Heißt das nun - so wie es der Presseberichterstattung und den Pressemitteilungen von Kollegen dieses Hauses zu entnehmen war - , daß es in dieser Legislaturperiode nicht mehr kommt, oder heißt es, daß es in dieser Legislaturperiode vielleicht doch noch ein bißchen kommt, oder heißt das, daß es in dieser Legislaturperiode höchstwahrscheinlich kommt?

Not found (Gast)

Frau Kollegin, im Zusammenhang mit diesem Gesetz fällt mir zu „ein bißchen" natürlich etwas ein, was ich hier nicht sagen sollte. Aber ich will sagen: Die Meinungsverschiedenheiten sind nicht ausgeräumt. Solange sie nicht ausgeräumt sind, können wir den Gesetzentwurf nicht einbringen. Das habe ich gesagt, und mehr kann ich dazu nicht erklären.

Renate Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002016, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gibt es Anstrengungen, diese Meinungsverschiedenheiten auszuräumen, ({0}) oder ist es ad acta gelegt?

Not found (Gast)

Bemühungen, Meinungsverschiedenheiten auszuräumen, sind eine ständige Anstrengung. Sie werden natürlich auch fortgesetzt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Müntefering.

Franz Müntefering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001570, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

In der Annahme, daß die Vereinbarungen der Koalition zum Wohnungsbau von vorgestern, die gestern von der Bauministerin auf dem Briefbogen der Bundesregierung veröffentlicht wurden, heute von der Bundesregierung auch beschlossen worden sind, frage ich die Bundesregierung, wann sie und ob sie Abstimmungen mit den Ländern über die Modalitäten dieser Vereinbarungen durchgeführt hat und wann sie erwarten kann, daß es eine Zustimmung hierzu gibt und das Programm dementsprechend umgesetzt werden kann, und ob die Tatsache, daß der Bereich verbesserter Mieterschutz, Schutz vor Eigenbedarfskündigungen und gegen erhöhte Mietsprünge und das Stichwort Bauland, Baunutzungsgebote, Vorkaufsrecht der Gemeinden und Satzungsrecht der Gemeinden fehlt, bedeutet, daß die Bundesregierung zu diesem Bereich, zum Gesamtpaket der Wohnungspolitik, keine Vorschläge mehr unterbreiten wird.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Frau Ministerin Hasselfeldt.

Gerda Hasselfeldt (Minister:in)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Müntefering, auf der Arbeitsebene ist mit den Ländern gesprochen worden. Am 30. November werden die Bauminister der Länder tagen. Ich werde dabei sein. Dabei werden die letzten Formalitäten abgestimmt werden. Sie können davon ausgehen, daß zu den Bereichen, zu denen eine Verwaltungsvereinbarung abgeschlossen werden muß, diese auch so schnell wie möglich abgeschlossen wird. Die Vorklärungen auf Arbeitsebene sind im Gange. Das Paket, das gestern vorgestellt wurde, ist sehr umfangreich. Es schließt auch Änderungen im Mietrecht und auch im Baurecht ein. Diese Bereiche werden in den nächsten Monaten in der Gesetzgebung mit vollzogen werden. Ich werde mich persönlich darum kümmern, daß es möglichst schnell vollzogen wird, um das, was auf den Weg zu bringen ist, auch schnell zu realisieren. Darüber hinausgehende Beschlüsse, beispielsweise bei der Miethöhe, sind nicht vorgesehen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Eine Zusatzfrage.

Franz Müntefering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001570, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, ich nehme die Diskussion, die eben gelaufen ist, die von Herrn Gerster ausgelöst worden ist und zu der auch der Innenminister geantwortet hat, noch einmal auf. Es geht um die Frage der Unterbringung der Menschen und um die Möglichkeit, im Bestand zu mobilisieren. Ist die Bundesregierung denn bereit, das aufnehmend, was eben dazu als Möglichkeit angedeutet worden ist, bis zur zweiten und dritten Lesung des Haushaltes Ende November unserem Vorschlag doch noch zuzustimmen, einen Bund-Länder-finanzierten Kommunalfonds eben auch mit Mitteln des Bundes einzurichten, damit die Städte und Gemeinden solche Wohnungen durch Anmieten und durch Ankauf von Belegungsrechten mobilisieren können, um die akuten Probleme zu lösen?

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Frau Bundesminister.

Gerda Hasselfeldt (Minister:in)

Politiker ID: 11000825

Ich sehe über das von den Koalitionsfraktionen bisher vorgelegte Programm hinaus, das bis zur Haushaltsbereinigungssitzung auch voll eingebracht ist und in der dritten Lesung mit verabschiedet werden wird, keinen weiteren wohnungspolitischen Handlungsbedarf.

Franz Müntefering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001570, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Hat ihn das Kabinett schon beschlossen oder nicht?

Gerda Hasselfeldt (Minister:in)

Politiker ID: 11000825

Das wird in die Haushaltsberatungen, die zur Zeit laufen, mit eingebracht werden.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Meine Damen und Herren, damit ist die Befragung der Bundesregierung abgeschlossen. Ich schließe diesen Tagesordnungspunkt und komme wieder zum Tagesordnungspunkt 6. Wir haben in der Zwischenzeit durchrufen lassen, daß wir früher beginnen. Ich sehe allerdings noch nicht die entsprechenden Personen im Raum. Sollen Präsidentin Dr. Süssmuth wir gleich fortfahren? - Die Rednerin ist da. - Machen wir weiter. Dann hat die Abgeordnete Frau Würfel das Wort.

Uta Würfel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002569, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Um heute hier die frauenspezifischen Aspekte des Rentensicherungsgesetzes darstellen zu können, habe ich drei Kollegen meiner Fraktion bitten müssen, mir jeweils zwei Minütchen ihrer selbst kurz bemessenen Redezeit abzutreten. Ich glaube, das ist ein Vorgang, der zeigt, wie dringend wir eine Parlamentsreform benötigen. ({0}) Ich habe also meinen Kollegen zu danken, erstens daß sie es mir ermöglichen, hier überhaupt zu sprechen, und zweitens daß sie im Rahmen des Konsenses zwischen SPD, CDU/CSU und uns entschieden für die Berücksichtigung der Interessen der Frauen im Rentensicherungsgesetz eingetreten sind. Meine Damen und Herren, meine politische Tätigkeit begann ich vor 15 Jahren mit Veröffentlichungen, in denen ich auf die skandalöse Ungerechtigkeit gegenüber unseren Müttern hinwies, die sich durch die mangelnde gesellschaftliche Anerkennung ebenso auszeichnete wie durch das Nicht-Berücksichtigen der großen gesamtgesellschaftlichen Leistung der Kindererziehung in der Rente dieser Mütter, obwohl - dies ist das Verblüffende daran - das System der gesetzlichen Rentenversicherung auf der nachkommenden Generation fußt. Von dem Zeitpunkt an, zu dem Solidarsysteme zur Absicherung verschiedener Risiken des einzelnen geschaffen wurden, können die Erziehung von Kindern und die Pflege behinderter und schwer pflegebedürftiger Abgehöriger nicht länger ausschließlich Privatsache sein. Es ist unumgänglich, daß die vor allem von Frauen übernommenen und für das Funktionieren unserer Gesellschaft unverzichtbaren Tätigkeiten, die bislang von den Frauen ausschließlich für Gotteslohn geleistet wurden, sowohl eine höhere ideelle Anerkennung als auch eine höhere materielle Bewertung erfahren. Die Zeiten, in denen lediglich entlohnte Tätigkeit zu gesellschaftlicher Anerkennung und zu einer Rente führte, sind nun Gott sei Dank vorbei; denn mit dem vorliegenden Rentensicherungsgesetz erfahren unsere Mütter und pflegenden Frauen eine weitere materielle Aufwertung. Ihre gesellschaftliche Aufwertung, meine Damen und Herren, wird nur gelingen, wenn wir grundsätzlich zu einer anderen Bewertung des Begriffs „Arbeit" kommen. Der Wermutstropfen - und Sie wissen, Wermut ist bitter - , der mir das Erreichte allerdings ganz schön vergällt, ist die Tatsache, daß es auf Grund der für mich nicht nachvollziehbaren, von Herrn Blüm als „Philosophie" bezeichneten, von mir allerdings „Ideologie" genannten Bedenken der Kollegen von der CDU/CSU leider nicht gelang, für die berufstätigen Mütter die notwendige Anerkennung ihrer Erziehungsleistung in der Rentenversicherung zu erreichen. ({1}) Herr Blüm, ich möchte jetzt Ihren Blutdruck nicht in die Höhe treiben, muß aber fortfahren: An dem Einsatz unserer Verhandlungsführer hat es nicht gefehlt, und ich möchte, daß die berufstätigen Mütter draußen das wissen. Wir Freien Demokraten halten diese Situation für eine himmelschreiende Ungerechtigkeit. Herr Blüm, es darf nicht zwei Sorten von Müttern geben. ({2}) Ich finde, wir alle, auch die Kollegen von der CDU und der CSU, sollten uns dazu verstehen, die Kindererziehung als solche als eine gesamtgesellschaftliche Leistung anzuerkennen und diese materielle Anerkennung dann auch den Müttern zu gewähren, die berufstätig sind oder sein müssen. ({3}) Denn, Herr Blüm, auch berufstätige Mütter sind ja Mütter, und ich meine, es steht niemandem zu, Klassifizierungen in angeblich engagierte HausfrauenMütter und berufstätige Mütter vorzunehmen. ({4}) Vor allem alleinerziehende Mütter, die ja meist berufstätig sein müssen, damit Mutter und Kind nicht von den Wohltätigkeiten der Solidargemeinschaft abhängig werden, müssen sich nun in der Tat wieder einmal benachteiligt fühlen. Ich würde mir schon wünschen, daß diese von Ihnen so genannte Philosophie, die man genauso gut als - bitte verzeihen Sie - eine ideologische Verbohrtheit bezeichnen kann, in Zukunft nicht länger ein Hemmschuh für die Herstellung von Gerechtigkeit für berufstätige Mütter ist. ({5}) Herr Blüm, wir müßten uns einmal zusammensetzen, um das noch mal zu erörtern. Ich habe auch Verständnis für die Forderung, die materielle Anerkennung dieser Erziehungsleistung habe für alle Mütter gleich hoch zu sein, was bedeutet, daß die Beamtin im Rahmen ihrer Pension den gleichen Betrag gutgeschrieben bekommt wie die Hausfrau in ihrer Rente. Ich bedaure jedoch, daß im Zusammenhang mit weiteren Maßnahmen in der Beamtenversorgung die Beamtinnen eine überproportionale Minderung ihrer Versorgung in Kauf nehmen müssen, wenn sie eine Teilzeitbeschäftigung aufnehmen oder sich wegen der Kindererziehung für einige Jahre beurlauben lassen. Das kann nicht gewollt sein und bedarf deshalb weiterer Überlegungen, wie Herr Dreßler sagte, in einer Denkpause. ({6}) Natürlich ist für mich noch ein weiterer Punkt unbefriedigend, den ich hier kurz anführen möchte. Das zweite und das dritte Rentenversicherungsjahr für Erziehungsleistungen können, wie wir gehört haben, aus finanziellen Gründen erst den Müttern gutgeschrieben werden, deren Kinder nach 1992 zur Welt kommen. Ich bedaure dies, denn hier schaffen wir erneut Ungleichheit. Dennoch war - wir haben auch das gehört - eine andere Regelung nicht erreichbar, wenn der Konsens nicht gefährdet werden sollte. Bei diesem Rentensicherungsgesetz ging es nun darum, daß wir alle gemeinsam in diesem Hause etwas zuwege bringen, und ich glaube, wir können auch froh und stolz auf das sein, was wir zuwege gebracht haben. ({7})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Unruh.

Gertrud Unruh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002358, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Volksvertreterinnen und Volksvertreter! Einige Stunden habe ich zugehört und Zwischenrufe gemacht, ich bin aber nicht schlauer geworden. Was Sie gerade, verehrte FDP-Kollegin, von Kindererziehungszeiten auch für die erwerbstätigen Mütter, von dem großen Konsens und, daß es dann doch nicht ging, gesagt haben, kann ich nicht verstehen. Man kann wegen Frauen und Müttern ja auch einmal etwas platzen lassen. Daß die Sozialdemokraten so ein komisches Verständnis von Demokratie haben, dazu kann ich nichts. Die GRÜNEN treten jetzt so vehement für Kindererziehungszeiten, also für Babygeld obendrauf, und natürlich für die Grundsicherung der Alten, oder wie man das sagt, ein. Das Bündnis ist zugrunde gegangen, weil das bei den GRÜNEN überhaupt nicht selbstverständlich war. Die Abgeordnete Marieluise Beck-Oberdorf, Herr Minister Blüm, vertrat ungefähr Ihre Ansicht; das muß ich hier doch einmal feststellen dürfen. ({0}) - Vielleicht ist sie auch deshalb nicht hier. Zusätzlich stellte sie diese sogenannte Baby-Rente obendrauf, die wir Grauen Panther in einem Wahlprogramm zum Bündnis der GRÜNEN gefordert haben, als „Gebärprämie", als „Kopfprämie" und sonst etwas dar. Deshalb ist das Bündnis mit den GRÜNEN ja kaputtgegangen und nicht deshalb, weil es da so eine komische Trude Unruh gab, die ja nach wie vor vor Ihnen steht, mit einem Graue-Panther-Mandat. Da haben wir Alten gesagt: Hallo, wenn keine Partei mit uns will, dann müssen wir uns opfern; dann initiieren wir einfach eine Altenpartei. Wir Alten müssen unser Schicksal dann ja wohl selber in die Hand nehmen. Wenn ich dann sehe, wie Sie sich selber einen Lebensstandard verpassen, den ich Ihnen gönne, und wenn Sie dann hier noch sagen, Herr Blüm: Bei den Rentnern zählt ja nicht nur die Rente, die sie bekommen, nein, es zählt ja auch das Haushaltseinkommen, dann möchte ich einmal wissen, wer von Ihnen überhaupt eine Rente verdient hat. Man kann ja nicht so tun, als ob das Haushaltseinkommen nur die Rentner anginge. ({1}) - Notieren Sie sich das einmal, Herr Dr. Becker. Auch Sie wollen ja so ein soziales Herz haben. Das ist nicht die Mindestrente von irgendwelchen Frauen, die einmal nebenbei gearbeitet haben. Die Angestelltenfrau, wenn sie z. B. 25 bis 30 Erwerbsjahre hat, bekommt 867,19 DM. Die Arbeiterfrau, wen sie 25 bis 30 Jahre selbständig gearbeitet hat, bekommt 557 DM. Der Arbeitermann, wenn er 25 bis 30 Jahre gearbeitet hat, bekommt 962,56 DM. Der Angestelltenmann, wenn er 25 bis 30 Jahre gearbeitet hat, bekommt 1 271 DM. Also tun Sie hier doch nicht so! Wenn wir um eine Mindestrente kämpfen - mit „wir" meine ich die Grauen Panther - , dann sind wir nicht so dumm und fordern dem Staat sonstwas ab, sondern sagen: Die Solidarität aller ist mit einer Mindest- und Höchstrente zu versehen. Wir Grauen Panther sehen überhaupt nicht ein, warum der Bundeskanzler - er hat ja ein hohes Haushaltseinkommen - mehr als 3 500 DM Rente haben soll. So etwas ähnliches hatten wir von Ihnen erwartet: Mindest- und Höchstrente für alle und eigene Einzahlungen. Da liegen wir mit dem DGB ganz gut. Was Sie jetzt in die Rente hineingebracht haben, tut doch weh. Was der DGB hier schreibt, Herr Kolb, für Sie vielleicht sehr lesenswert. Oder gehören Sie nicht zum christlichen Flügel Ihrer Partei? Der DGB sagt: Nur 30 % der Arbeiter erreichen die derzeitige Altersgrenze. Herr Dreßler, sie sind kaputtgearbeitet, z. B. durch Berufskrankheiten. Dann wird eine Erwerbsverlängerung bis zum 65. Lebensjahr von Ihnen mitgetragen! Sie SPD haben das vorhin ja glaubwürdig dargestellt: 1997 wollen Sie das überprüfen. Ich sage Ihnen: 1997 fällt bei Ihnen - genau wie die jetzigen Berechnungen - alles zusammen. Es ist noch gar nicht neu wissenschaftlich hochgerechnet, Herr Dreßler. Deshalb kann ich den Antrag der GRÜNEN nur unterstützen: Wir hätten in eine neue Beratungsphase eintreten müssen; denn alles das, was Sie - angefangen beim Herrn Minister - uns vormachen, trifft doch nicht mehr zu. Auch ich freue mich, daß jetzt die Rentenkassen überquellen - sie quellen über! -; es sind 25 Milliarden DM und mehr drin. Sie haben zur Zeit nicht die Macht; aber warum haben Sie, CDU-CSU-FDP und SPD, denn nicht unsere Massenarbeitslosigkeit beseitigt? Meinen Sie, unsere Männer und Söhne könnten nicht genausogut reinhauen wie die Übersiedler oder Aussiedler, die zu uns kommen? - Also, das stimmt doch vorne und hinten nicht. Wie haben Sie die Rentenkassen geplündert! VdK, Reichsbund und andere haben es mir bestätigt - ich wußte es nicht - : Zur SPD-Zeit sind 25 % abdynamisiert worden, und heute geht die Niveauabgleichung wieder los. Es trifft immer diese kleinen Leute aus der Arbeiter- und Rentenversicherung. Noch etwas: Herr Dreßler, es ist Ihnen doch nicht unbekannt, was die ÖTV schreibt. Sie schreibt: Renten ab 1992 anders berechnet! Gesetzentwurf von Koalition und SPD stabilisiert Rentennettoniveau auf viel zu niedrigem Stand! Sie können weiter lesen: Die allgemeine Bemessungsgrundlage hängt sieben Jahre zurück. Das müssen Sie sich einmal vorstellen! Das sind doch wissenschaftliche Daten; darauf muß man sich doch berufen. Wie soll das sonst gehen, Herr Minister, mit Ihrem christlichen Grundwert im Kopf? - Nach Ihrem Haushaltseinkommen brauchen Sie doch keine Pension. Legen wir doch demnächst die Rente nach Haushaltseinkommen fest; machen wir es doch so! Ich habe doch nichts dagegen. Es aber so zu machen, wie Sie es jetzt vorschlagen, geht natürlich nicht. Herr Dreßler, wir kennen uns seit 1968. ({2}) - Ja, natürlich, selbstverständlich. ({3}) - Lieber Herr Kolb, mit Ihnen hätte ich bestimmt keine so langjährige Freundschaft bis heute durchgehalten, weil Sie nämlich der Roßtäuscher par excellence sind. ({4}) Aber bei Herrn Dreßler kann ich mir ungefähr vorstellen, was in seinem echten sozialdemokratischen Herz vorgeht. Aber das müssen Sie selber mit Ihrem Gewissen vereinbaren. Ich freue mich schon auf den nächsten Wahlkampf, wo auch Sie sagen werden: Wau, Wau, Grundsicherung, und, und, und! ({5}) Die sozialdemokratischen Frauen haben das aber schon im Wahlkampf 1986 gesagt. - Also, wir sollten hier nicht immer so blauäugig tun. Aber ich bin mir sicher, die Sozialdemokraten wissen letztlich, was sie den kleinen Leuten schuldig sind. Herr Dreßler, auch ich habe zwei Anträge im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung eingebracht. Sie sind natürlich gemeinschaftlich wie immer abgeschmiert worden. Gut, ihr Sozialdemokraten habt entdeckt, daß das Wiederaufleben der Arbeiterwitwenrente nötig ist. ({6}) - Halten Sie sich einmal bedeckt! Sie waren nicht da; sonst hätten Sie jetzt diesen Einwurf nicht gemacht. - Ich finde es toll, daß endlich entdeckt worden ist - und damit etwas Gerechtigkeit kommt -, daß die Arbeiterwitwen, die keine Kinder hatten, bis 1947 ausgeschlossen waren. Diese Frauen bekamen keine Witwenrente - nur die Frauen, deren verstorbener Ehemann Angestellter war. Und wo sind wir heute? - Ich hatte erst die SPD gefragt: Bringen Sie einen Antrag dazu? Da war kaum was drin. Dann habe ich versucht, eine solchen Antrag in diesem Kungel zu stellen, um einfach zu sagen: Könnt ihr das nicht ab 1. Januar 1990 machen? - Nein. Dann habe ich gesagt: Eine Rentenerhöhung von nur 2,1 °A. ist bei dem heutigen Lebensstandard ein bißchen wenig. Könnt ihr nicht, weil die Rentenkasssen überquellen, einmalig ein bißchen angleichen? Gebt doch 1 % mehr! - Nein. - Das tut natürlich alles sehr, sehr weh. Dann gibt es noch das berühmt-berüchtigte Weihnachtsgeld sowie 13., 14. Monatsgehalt usw., Herr Minister. Da könnte ja einmal etwas für die Rentner passieren. Wir könnten damit anfangen, auch diesen Rentnern, denen man mehr als 500 Milliarden DM zweckentfremdet hat - das waren „Fremdentnahmen" aus den Rentenkassen; bitte denken Sie daran! - einmal ein kleines Weihnachtsgeld oder Ausgleich zu geben. Den Liberalen, die immer so toll tun, ({7}) möchte ich sagen: Haben Sie nicht einmal überlegt, daß es eine andere Rente, so á la öffentlicher Dienst, geben könnte? Diese Zusatzkasse würde dann ganz anders gestaltet, nämlich - ich habe die Berechnungen auf dem Tisch - : 100 DM Arbeitgeber, 100 DM Arbeitnehmer. ({8}) Nix, nix, Freund. - Wissen Sie, was dabei herauskommt? Wenn das in eine Lebensversicherung eingezahlt wird, haben Sie nach 30 Jahren 260 000 DM verfügbares Kapital. Wenn das mit 6 % angelegt wird, haben Sie 1 300 DM jeden Monat im Pott. Warum kommen nicht einmal solche Vorlagen? Ich wünsche Ihnen allen gute Besserung. Die Grauen kommen, und wir werden euch, die Sozialdemokraten, so in die Enge treiben, daß ihr müßt, ob ihr wollt oder nicht.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Kolb. ({0})

Elmar Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001170, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als heute früh der Kollege Hoss begründete, wieso wir das Ganze noch einmal verschieben sollten, wurde ich an Kindheitstage erinnert. Wir haben im Winter nichts sehnlicher erwartet als die erste Frühlingssonne, weil wir dann die verhaßten langen Strümpfe, die selbstgestrickten, ablegen konnten. ({0}) Darüber waren wir froh, weil die so fürchterlich gekratzt haben. Wir hatten dann den Nachteil, daß wir, kaum war die Frühlingssonne wieder weg, am nächsten Tag wieder die langen Strümpfe tragen mußten. ({1}) Wenn für kurze Zeit einmal etwas mehr Geld in der Kasse ist und man das gleich wieder verteilen will, dann ist das der Fehler, den wir in der Vergangenheit gemacht haben. ({2}) Meine Damen und Herren, wer sich die Mühe gemacht hat, das Rentenprotokoll von 1957 und 1972 nachzulesen, findet u. a. 1957 auch warnende Stimmen, die darauf hinwiesen, daß dann, wenn man in der Leistung zu großzügig wird, eventuell diejenigen, die Beiträge zahlen müssen, überfordert werden. Dies war leider 1972 vergessen, als man sich damals einträchtig daranmachte, mögliche Erträge für das Jahr 1986 hochzurechnen, die nicht erbrachte Ernte verteilte und dann ab 1976 in einem sehr interessanten Rollenspiel - ich sage das für die jetzige Opposition und für die damalige - die jeweilige Opposition die Regierung beschuldigte, mit den Rentenfinanzen und den Rentnern nicht ordentlich umzugehen. Wenn wir dies jetzt endlich abgeschafft haben, dann, meine Damen und Herren, sind wir in diesem Punkt ein ganzes Stück weiter. Wir in der Regierungskoalition haben uns, als wir in die Rentenberatung gingen, nicht auf irgendwelche fragwürdigen Zahlen geeinigt und uns nicht gesundgerechnet, sondern wir haben schon versucht, einen mittleren Weg bis zum Jahre 2005 zu gehen. Wir wissen genau, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß dies alles mit gewissen Fragezeichen versehen ist. Herr Präsident, gestatten Sie eine etwas sarkastische Bemerkung: Im Gegensatz zu dem Architekten des Parlamentsneubaus, der auf gesicherten Fundamenten die Statik eigentlich viel leichter hätte berechnen müssen, waren unsere Fundamente nicht fest. Wir haben uns trotzdem bemüht, eine vernünftige Statik bis zum Jahre 2015 hinzubekommen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die heutigen Beitragszahler, die jetzt in die Rentenversicherung gehen, wollen nicht wissen, ob das nur bis zum Jahre 2005 oder 2010 hält, sondern sie wollen wissen, ob sie im Jahre 2030 noch eine beitragsbezogene Rente bekommen. ({3}) Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind wir alle gefordert, immer wieder unser Zahlengerüst zu überprüfen. Wir können, sofern keine Naturkatastrophen und sonstige unvorhergesehenen Ereignisse kommen, bis zum Jahre 2055 die jährliche Zahl der 65jährigen plus/ minus 513/0 berechnen. Aber ab dem Jahre 2010 wird die Zahl derer, die in das Arbeitsleben eintreten, das große Fragezeichen werden. Ich will das begründen: Die Geburtenquote der 60er Jahre betrug im Durchschnitt 913 000, die Geburtenquote der 70er Jahre betrug im Durchschnitt 649 000, und die Geburtenquote der 80er Jahre betrug im Durchschnitt 624 000. Wenn die in den 70er und 80er Jahren Geborenen das gleiche generative Verhalten wie die in den 60er Jahren Geborenen an den Tag legen, dann werden die Sozialpolitiker ab 2005 eine Herkulesarbeit zu verrichten haben. Die Frage, woher sie Beitragszahler nehmen sollen, wird für sie zur Hauptfrage. Es gibt sicher die Möglichkeit, daß die Beschäftigungsquote der 15- bis 65jährigen weitaus höher ist, als das heute der Fall ist. Was vielleicht auch unsere Bildungspolitiker bewegen sollte - es ist hier heute schon ein paarmal angedeutet worden - : Es kann nicht angehen, daß unsere Studenten immer länger studieren und immer später ins Berufsleben eintreten. Wenn zur Zeit über 350 000 Studenten älter als 30 Jahre sind, dann sollten wir schon einmal ein bißchen darüber nachdenken, ob wir uns das auf Dauer eigentlich leisten können. ({4}) Es muß ebenfalls geklärt werden - Frau Kollegin Würfel, hier sind natürlich die Familienpolitiker gefragt - , wie in Zukunft gewährleistet werden kann, daß Frauen, die wegen der Kindererziehung eine Zeitlang aus dem Beruf aussteigen, nicht einen zu großen Knick in ihrer beruflichen Karriere hinnehmen müssen. Das heißt, sie müssen die Chance haben, auch während der Zeit, in der sie Kinder erziehen, sozusagen auf dem laufenden zu bleiben. Ich denke hier an Volkshochschulen und ähnliche Einrichtungen, die wir sicher weitaus besser nutzen müssen, als wir das bisher getan haben. Wenn es den Familienpolitikern nicht gelingt zu erreichen, daß das generative Verhalten der in den 70er und 80er Jahren Geborenen besser wird als das der in den 60er Jahren Geborenen, muß ich sämtliche Rechnungen, die über das Jahr 2010 hinausgehen, mit großen Fragezeichen versehen. Das ist natürlich schon eine Herausforderung für die Politik. Das Erziehen von Kindern darf nicht sozusagen bestraft werden. Ich meine den materiellen Teil. Wenn wir die Dinge heute exakt betrachten, dann stellen wir fest, daß das Einkommen mancher Familien mit Kindern in keinem Verhältnis zu dem Einkommen von Paaren steht, bei denen beide Partner berufstätig sind und keine Kinder großziehen. Es wäre vielleicht ganz gut, wenn sich die Familienpolitiker zu solch einem Konsens aufraffen würden, wie die Rentenpolitiker es jetzt getan haben. Das war nicht ganz einfach, und - Herr Kollege Dreßler, ich stimme Ihnen zu - der Konsens hat Kompromisse von allen Seiten erfordert. Niemand konnte sich mit seinen Idealvorstellungen durchsetzen. Ich möchte nunmehr auch eine Gruppe ansprechen, die bis heute noch nicht angesprochen worden ist. Ich möchte die Partner der Selbstverwaltung in der Rentenversicherung ansprechen. Ich finde es schon sehr eigenartig, wenn die Tarifpartner über die Herausforderung der Rentenversicherung wissen und sagen: Wir werden die Rentenprobleme auf Dauer nur bei Vollbeschäftigung lösen können, und wenn die gleichen Tarifpartner dann, wenn sie sich draußen um Tarifverträge kümmern, die Frage der Vollbeschäftigung plötzlich nicht mehr so strikt beachten. Hier sollte die Geschäftsverteilung nicht immer nur bei der Politik hängenbleiben. Eine zweite Herausforderung wird auf uns zukommen: Der Wunsch, immer neue Einnahmequellen zu erschließen, ist immer irgendwie mit der Politik verbunden. Es ist natürlich nachdenkenswert, auch für Maschinen Beiträge zu verlangen. Ich habe aber als Kaufmann gelernt, daß sämtliche Kosten in einem Betrieb wieder über den Preis weiterzugeben sind. Das heißt, der kleine Mann hat anschließend all das wieder zu bezahlen, was anscheinend über eine andere Finanzierungsquote bezahlt worden ist. ({5}) - Nein, entschuldigen Sie, lieber Herr Kollege Stahl, das sind die Grundsätze, die ein Kaufmann in der Kalkulation lernen muß. Im Gegensatz zu Ihrem Verständnis bin ich immer noch überzeugt, daß Betriebe verpflichtet sind, einen Gewinn zu machen, ({6}) weil das für ihre Lebensgarantie und für die Beschäftigungsgarantie notwendig ist. Es gibt leider nicht so viele Stahlbetriebe, die das Wohlwollen der Politik insgesamt haben, wenn sie nicht schwarze Zahlen schreiben. Wer sagt, der Bundeszuschuß müsse erhöht werden, muß sich auch einmal die Mühe machen, der Frage nachzugehen, wie der Bundeszuschuß - sprich: die Steuereinnahmen - finanziert wird. Wenn die Haupteinnahmequelle der Steuerfinanzen die Mehrwertsteuer und die Lohnsteuer sind, dann sind es im Endeffekt wieder dieselben Leute, die auch zur Beitragsfinanzierung herangezogen werden. Und deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren: Man kann über neue Gedanken immer reden. ({7}) Aber man sollte sie dann auch einmal bis zum Ende verfolgen und fragen, ob dies dann besser sei oder nicht. Ich möchte uns dazu beglückwünschen, daß wir - mit einer ganz kleinen Ausnahme - diese Diskussion ohne Polemik geführt haben, daß es uns gelungen ist, gegenseitig unsere Meinung auszutauschen, und daß wir gesagt haben: Dies ist eine Verantwortung für uns alle. Und ich möchte uns empfehlen, daß wir in Zukunft in der Mitte der Legislaturperiode - wenn es geht, ohne Landtagswahlkämpfe - das gesamte Problem der Rentenpolitik, einschließlich ihrer hochgerechneten Finanzierung, diskutieren, fragen, ob gewisse Säulen noch stimmen oder ob es bei gewissen Annahmen Veränderungen gegeben hat. Wenn dies so ist, sollten wir rechtzeitig gegenschalten und sollten nicht immer die jeweilige Opposition die Regierung beschimpfen, sie habe falsch gearbeitet. Dann, meine sehr verehrten Damen und Herren, hätten wir endlich das getan, was ein Großteil der Wähler von uns möchte: ({8}) sachlicher zu diskutieren und die Probleme nach Möglichkeit vor allem rechtzeitig zu erkennen. Mit Polemik ist uns nicht geholfen. Ich möchte mich bei allen bedanken, die dazu beigetragen haben, daß wir zu dieser Lösung gekommen sind. Herzlichen Dank! ({9})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Steinhauer.

Waltraud Steinhauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002238, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Herren und Damen! Ich wiederhole, was heute morgen schon ein paarmal vorgetragen wurde: Rentenneuregelungen, Rentenreformen sollten tunlichst von einer breiten Parlamentsmehrheit getragen werden. Es war und ist meine Meinung, daß es nicht gut ist, wenn Rentenreformen von 51 % des Palaments beschlossen werden. Beim sogenannten Gesundheits-Reformgesetz wurde die konstruktive Mitarbeit der SPD ignoriert. ({0}) Millionen Menschen leiden unter den Auswirkungen dieses Abkassierungsmodells. ({1}) Dieses Trauerspiel soll sich nicht wiederholen. Dafür hat die SPD gesorgt. Wir haben mit den Regierungsparteien CDU/CSU und FDP lange und zäh verhandelt und uns schließlich auf ein gemeinsames Konzept zur Sicherung der Renten verständigt. Nun erfolgt kein sozialer Kahlschlag, sondern Lösungen, die auch unsere Handschrift erkennen lassen. Verantwortungsvolle Opposition bedeutet Einfluß nehmen und mitgestalten. Damit folgt die SPD ihrer Tradition, gerade in der Alterssicherung einen Konsens zu finden. Es ist kein Zufall, daß sich gerade bei der Alterssicherung eine parteiübergreifende Regelung gefunden hat. Alterssicherung ist auf langfristiges Vertrauen angelegt und muß Verläßlichkeit schaffen. Beitragszahler und Rentner müssen sich auf die Dauerhaftigkeit der gefundenen Regelungen einrichten können. Rentnerinnen und Rentner, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen sich darauf verlassen können, daß das, was das Alterssicherungssystem weiterentwikkelt, gemacht wird, das System aber nicht nach jedem Regierungswechsel umgestoßen wird. Dem trägt die SPD Rechnung. ({2}) Wir Sozialdemokraten haben dies beispielsweise auch in den 50er Jahren bei der grundlegenden sogenannten 57er Rentenreform praktiziert. ({3}) Als ganz besonders wichtigen Punkt bei der damaligen Mitgestaltung möchte ich z. B. die Einführung der sogenannten Dynamisierung der Renten und damit der ständigen Anpassung an die Lohnentwicklung herausstellen. In der ersten Lesung hat seinerzeit der Redner der CDU/CSU, Herr Horn, als Vertreter der Regierungspartei der Dynamisierung der Renten seine Zustimmung nicht geben können. Der damalige Bundesarbeitsminister Storch stellte in der gleichen Debatte die Anpassung der Renten an die Produktivitätsentwicklung als gefährliche Angelegenheit in Frage. (Dreßler ({4}) Erst in den Ausschußberatungen ist man dem Gedanken nähergetreten. Man wollte jedoch nur eine Anpassung in einem mehrjährigen Rhythmus. Zum Teil wurde diskutiert, daß das alle fünf Jahre erfolgen solle. Darin ist auch der Grund zu suchen, warum 1957 im Rentenreformgesetz die jährliche Anpassung nicht grundsätzlich gesetzlich geregelt wurde. Dieses Beispiel zeigt: Die SPD ist als Opposition nicht zur Obstruktion, sondern zur Verantwortung und Mitgestaltung angelegt. ({5}) Bei dem vorliegenden Gesetzentwurf haben wir nicht alle sozialpolitischen Vorstellungen verwirklichen können. Wir haben aber eine Menge durchsetzen können, wenn man die Koalitionsposition im Referentenentwurf mit dem jetzigen Ergebnis vergleicht. Die Rentenbeiträge der Bundesanstalt für Arbeit für Empfänger für Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe werden erhöht. Man kann über den Bundeszuschuß streiten, aber ich stelle noch einmal heraus: Der Bundeszuschuß wird ab 1992 auf 20 % der Rentenausgaben steigen, und sich in den Folgejahren - ebenfalls bei wachsenden Beiträgen - noch weiter erhöhen. ({6}) Wir haben erreicht, daß es einen Einstieg in die Harmonisierung der Alterssysteme geben wird. Die SPD zeigt Verantwortungsfähigkeit, finanzpolitischen Realismus und die Kraft zu Reformen auch dort, wo es nicht nur um Leistungsverbesserungen geht. ({7}) Die SPD durchbricht die Ohnmachtsspirale der Oppositionsrolle und beweist Meinungsführerschaft, ({8}) wenn sie bei einer Ausgangsbasis von 37 % Wähleranteil bei der letzten Bundestagswahl wichtige Teile ihres Programms verwirklichen kann. Eine tragfähige und sozial ausgewogene Rentenreform sorgt dafür, daß eine spätere Regierungstätigkeit der SPD nicht, wie etwa bei der mißglückten Steuer- und Gesundheitsreform, noch durch eine zusätzliche konservative Belastung im Rentenbereich erschwert wird. ({9}) An die Spitze dessen, was wir bei den Verhandlungen mit den Koalitionsparteien und der Regierung erreicht haben, will ich einige Verbesserungen für Frauen stellen. Hier ist vor allem die rückwirkende Weiterführung der Rente nach Mindesteinkommen für die Zeit von 1973 bis 1991 zu nennen. Dabei werden niedrige Pflichtbeiträge für langjährig Versicherte auf einen Wert von bis zu 75 % des Durchschnittseinkommens angehoben. Dadurch werden höhere Renten bezahlt. Da vor allen Dingen Frauen niedrige Verdienste erzielen, werden sie von dieser Neuregelung besonders begünstigt, und zwar auch dann, wenn sie bei Inkrafttreten bereits Rentnerinnen sind. Der Personenkreis, der auf diese Weise am 1. Januar 1992 eine Rentenverbesserung erhält, wird etwa eine Million Rentnerinnen und 165 000 Rentner sowie 200 000 Hinterbliebene umfassen. In Mark und Pfennig bedeutet dies bei einer Rente nach 50 % des Durchschnittseinkommens unter Zugrundelegung des gesamten Zeitraums von 1973 bis 1991 eine Verbesserung von 177 DM monatlich. Die Kindererziehungszeiten werden für Geburten ab 1992 von bisher einem Jahr auf drei Jahre verlängert. Damit werden auch einige soziale Sicherungen für die Betreuung von Kindern im Vorschulalter berücksichtigt. Zukünftig werden Zeiten der Kindererziehung bis zu zehn Jahren pro Kind und der Pflege von Schwerpflegebedürftigen mit in Betracht gezogen. Dies bedeutet: Verbesserungen bei den Voraussetzungen für Renten wegen der Berufs- und Erwerbsunfähigkeit, bei der 35jährigen Wartezeit für das vorzeitige Altersruhegeld, bei der 35jährigen Wartezeit für die Rente nach Mindesteinkommen und bei der rentensteigernden Bewertung von beitragsfreien Zeiten. Bei der Reform der beitragslosen und beitragsgeminderten Zeiten durch Krankheit, Schulausbildung und Arbeitslosigkeit konnte erreicht werden, daß die von der Regierung vorgesehenen massiven Verschlechterungen für die Frauen in das Gegenteil verkehrt wurden. Nach dem Konzept der Koalition wären die Renten der Männer im Durchschnitt um 1 % gestiegen, die der Frauen hingegen um 3 % verschlechtert worden. Bei den Arbeiterinnen wäre sie gar um 5 % verschlechtert worden. Nach dem von der SPD eingebrachten Konsensmodell werden sich nunmehr Männer um bis zu 1 % schlechter stehen als nach dem geltenden Recht, während Frauen Verbesserungen bei ihrer Rentenhöhe um 3,1 % erhalten, Arbeiterinnen sogar bis zu 5,9 %. Für Frauen und Männer - es scheint mir wichtig, zu erwähnen, daß das Herausschieben der Lebensalterszeit um acht Jahre hier eine Rolle gespielt hat - bedeutet die Heraufsetzung der Altersgrenze, daß davon allein 800 000 Menschen positiv betroffen werden. Sonst sollte damit nämlich schon 1995 begonnen werden. Wir haben das verhindert. In 17 Jahren soll zwar für Männer und in 22 Jahren für Frauen die Lebensarbeitszeit bei 65 Jahren enden; wir haben aber durchgesetzt, daß ab 1997 hier jährlich ein Anpassungsbericht vorzulegen ist, in dem diese Maßnahme überprüft wird. Die Lebensarbeitszeitverlängerung war aus finanziellen Gründen unvermeidbar. Sie ist aber sozialpolitisch vertretbar, wenn wir verhindern wollen, daß die Rentenversicherung sonst in große Unsicherheiten gerät. Alle Fachleute der Sozialversicherung sind im übrigen übereinstimmend der Auffassung, daß es dringend geboten ist, die Berufs- und Erwerbsunfähigkeit in den 90er Jahren neu zu ordnen. Nach meiner Meinung müssen die Überlegungen über diesen Bereich hinausgehen und den gesamten Komplex der Rehabilitation und Frühinvalidität umfassen. Wir werden hier aus sozialdemokratischer Sicht die Forderungen nach Sonderregelungen für Arbeitnehmer in gesundheitlich besonders belastenden Berufen einbringen. ({10}) Wer den Arbeitsalltag in den Betrieben kennt, weiß, daß manche Frühverrentung zu vermeiden wäre, wenn die Humanisierung des Arbeitslebens stärker vorangetrieben würde, wenn der Arbeitsschutz im Arbeitsleben wieder eine Bedeutung hätte, so daß gesundheitliche Beeinträchtigungen durch die Arbeitswelt weniger würden. Wir werden uns um die Probleme der Arbeitnehmer kümmern, die im Lebensalter um die 50 entstehen und einen vollen Einsatz im Arbeitsleben kaum noch ermöglichen, aber keine Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit begründen. Das Problem der zusätzlichen Finanzierung der Rentenversicherung durch einen Wertschöpfungsbeitrag ist für uns Sozialdemokraten ein Thema, das auf der Tagesordnung bleibt. Zu den unerledigten Punkten gehört außerdem die rentensteigernde Berücksichtigung von Pflegezeiten; auch dies muß noch geregelt werden. Die Einführung einer Grundsicherung für die Wechselfälle des Lebens, also nicht nur für das Alter, bleibt ebenfalls auf der Tagesordnung. Ich weise aber ausdrücklich darauf hin, daß die Grundsicherung keine Frage ist, die innerhalb der Rentenversicherung gelöst werden kann. Sie darf nicht zu Lasten der Beitragszahler gelöst werden. Für die SPD ist in der Rentenversicherung oberster Grundsatz nach wie vor die beitragsbezogene Rente. Die Grundsicherung soll insbesondere den Frauen eine eigenständige soziale Sicherung gewährleisten, der Altersarmut entgegenwirken. Ihre Anträge, meine Herren und Damen von den GRÜNEN, haben wir schon in den Ausschüssen behandelt. Sie weichen von dem Grundatz der Beitragsbezogenheit ab, Sie wollen ein völlig anderes Rentensystem. ({11}) Sie würden damit die bewährte Rentenversicherung zerstören, Sie verunsichern die Beitragszahler und die Rentner. Dazu reichen wir nicht die Hand. ({12})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Kollegin, darf ich Ihre Aufmerksamkeit einen Moment auf die leuchtende Lampe lenken?

Waltraud Steinhauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002238, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme sofort zum Schluß. - Wir wollen eine Weiterentwicklung der Rentenversicherung und nicht die Einführung einer ungesicherten Rentenregelung. Wir wollen die Festigung des Generationenvertrages. Das entspricht der gemeinsamen Verantwortung und damit der Solidarität. Ich fasse zusammen. Der Rentenkompromiß könnte, mit einem Tarifvertragsergebnis verglichen, so bezeichnet werden: Es wurde nicht alles erreicht, aber er bringt Verbesserungen für viele und eine Sicherung der Renten bis ins nächste Jahrhundert. Darauf können wir aufbauen und weiterentwickeln. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Professor Biedenkopf.

Prof. Dr. Kurt H. Biedenkopf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000173, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Kolb hat eben gesagt, wenn das Geburtenverhalten der heutigen Generation, der jungen Menschen, der Jahrgänge 1970 bis 1980 genauso sein wird wie das Geburtenverhalten der vorausgegangenen Jahrgänge, dann werden die Sozialpolitiker Anfang des nächsten Jahrhunderts ungeheure Probleme zu bewältigen haben. Ich melde mich am Ende dieser Debatte zu Wort, weil ich auf diesen Zeitraum zu sprechen kommen möchte. Frau Kollegin Würfel hat vorhin - sicher unbewußt - vom Rentensicherungsgesetz gesprochen. Ich will das nicht vertiefen. Nach meiner Überzeugung ist hier sehr wichtige und wertvolle Arbeit für die 90er Jahre geleistet worden. Ich hätte mich nicht zu Wort gemeldet, wenn nicht sowohl der Arbeitsminister wie Herr Kollege Günther, wie Herr Kollege Cronenberg gesagt hätten, daß dieses Gesetz Sicherheit bis weit in das nächste Jahrhundert, etwa bis zum Jahr 2030, gewähren soll. Deshalb halte ich es für notwendig, einige prinzipielle Gesichtspunkte zu dieser zeitlichen Dimension vorzutragen. Herr Kollege Cronenberg, das wird keine leichtfertige Kritik sein, vor der Sie das Gesetzeswerk in Schutz nehmen wollen. Vielmehr ist das, was ich hier zu sagen habe, durch eine große Sorge motiviert, die Sorge nämlich, daß es passieren könnte, daß wir in wenigen Jahren einen enormen zusätzlichen Vertrauensverlust in bezug auf das Alterssicherungssystem erfahren. Wenn Sie Umfragen unter den bis zu 35jährigen anschauen, stellen Sie fest, daß diese jungen Menschen, über deren Rente wir hier reden, bereits heute zu über 50 % große Vorbehalte gegen die Leistungsfähigkeit des Rentensystems in bezug auf ihr eigenes Alter haben, während sie in hohem Umfang bereit sind, ihre Verpflichtungen gegenüber ihren Eltern einzulösen. Diese Haltung ist nicht ohne Grund. Denn diese 35jährigen, Herr Kollege Kolb, verhalten sich ja gerade nicht so, wie sie sich verhalten müßten, um ihre eigene Alterssicherung zu sichern. Worauf in dieser Debatte bei allem Bedeutsamen, Wichtigem und Weiterweisendem, was gesagt wurde, nicht ausreichend hingewiesen wurde, ist das Zentralproblem jeder Alterssicherung. Jede Alterssicherung besteht aus zwei Elementen: der Altersfürsorge und der Altersvorsorge. Wir haben hier fast ausschließlich über die Altersfürsorge gesprochen. Es ist die Leistung, die wir durch Beiträge erbringen, durch Beiträge, mit denen wir die Alterseinkommen unserer Elterngeneration bezahlen und mit denen wir, wie Pater von Nell-Breuning in einer Rede 1980 formuliert hat, nichts anderes tun, als das zu erstatten, was die Generation vorher uns gegeben hat. Entgegen einer in fast 90 % der Bevölkerung verbreiteten Illusion garantieren die Beiträge nicht das künftige Alterseinkommen. Das künftige Alterseinkommen ist ausschließlich von den Vorsorgeleistungen der jeweiligen Erwerbsbevölkerung abhängig. ({0}) Die Vorsorgeleistungen: Das sind die Kinder und die Vermögensbildung. ({1}) Ohne diese beiden Leistungen hängen künftige Rentenansprüche als Erwartungen in der Luft. ({2}) Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, stellen wir uns einmal vor, auf den leeren Stühlen in diesem Plenarsaal säßen die Vertreter derer, die im Zeitraum ab 2010 die Einkommen erarbeiten müssen, aus denen dann die Renten finanziert werden. Wie würden sie auf unsere heutige Diskussion reagieren? Die Frage Altersfürsorge/Altersvorsorge stand bereits 1957 zur Debatte. Wilfried Schreiber hatte damals vorgeschlagen, aus den Beiträgen nicht nur die Alterseinkommen, sondern auch die Zuschüsse für das Kindergeld, also für Kinderleistungen, zu finanzieren. Adenauer und andere haben das damals abgelehnt - wie ich glaube: unter den damaligen Bedingungen zu Recht - als nicht bezahlbar, als nicht leistbar. Es sind aber alle zusammen davon ausgegangen, daß das gar nicht nötig sei, weil die Leute ohnehin Kinder hätten. ({3}) Das ist ein Irrtum gewesen. Dieser Irrtum veranlaßt uns heute, über eine große Rentenreform zu diskutieren. Die Altersfürsorge ist damals gänzlich neu und fortschrittlich gestaltet worden, das Problem der Altersvorsorge haben wir damals nicht gelöst. Die Frage ist: Welchen Beitrag leisten wir heute zum Thema Altersvorsorge? Das ist für mich die Schlüsselfrage. Alles was jetzt und bis in die 90er Jahre und bis zum Ende der 90er Jahre wirksam wird - da gibt es viel Fortschrittliches -, möchte ich hier nicht weiter berühren. Es wird gesagt, die durch die demographische Entwicklung verursachte Belastung werde gleichmäßig auf drei Schulterpaare verteilt. Ich kann das nicht akzeptieren. Das dritte Schulterpaar, der Bund oder der Staat, ist kein separates Schulterpaar, ({4}) es sind die Beitragszahler und die Rentner, ({5}) von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, nämlich von den Ausnahmen derer, die als Freiberufler oder als Unternehmer nicht versicherungspflichtig sind. Sonst sind es die gleichen Leute, und es werden im wesentlichen die Beitragszahler sein. Wenn aber diese kombinierte Last, höherer Bundeszuschuß, sprich höhere Steuerlast, plus Beitragslast, auf die Beitragszahler zukommt, werden sie eine Frage stellen - diese Frage müßten wir eigentlich heute beantworten - : Ist es ein Element der Gerechtigkeit und der Solidarität, von uns diese höhere Leistung zu verlangen? Wir könnten es unter dem Gesichtspunkt der Solidarität erwarten, wenn die unterbliebene Vorsorge eine Folge von Not gewesen wäre. Ich kann es nicht unter dem Gesichtspunkt der Solidarität verlangen, wenn die Vorsorge bewußt unterblieben ist, um in der Gegenwart zu genießen, was eigentlich der Zukunft gehört. ({6}) - Das paßt auch zur Umwelt. Denken Sie an die 100 Milliarden, die wir bis zum Jahrhundertende allein für das Kanalsystem ausgeben müssen! Ich spreche hier nur von dem demographischen Defizit. Wir haben zur Zeit nur zwei Drittel der Kinder - und ich sehe keinen Umbruch im Generationsverhalten - , die wir haben müßten, um eine demographische Stabilität zu sichern. Das bedeutet, daß die gegenwärtig erwerbstätigen Generationen, die Kinder haben können, im Jahr rund 50 Milliarden DM an Aufwendungen für Kinder sparen oder in der Zeit von 1970 bis zum Jahre 2000 rund 1 000 Milliarden DM. ({7}) Wenn dieses Geld nun in Form von Vermögensbildung oder auf andere Weise als Ersatz für Humaninvestition investiert würde, dann würde der Generationenvertrag eingehalten. Das geschieht aber nicht. Die Folgen dieser unterbliebenen Investitionen in Human- und Kapitalinvestitionen werden die nachkommenden Generationen zu tragen haben. Meine Enkel werden meine Kinder fragen: Was habt ihr eigentlich getan, um die Lasten auf unseren Schultern nicht höher als das werden zu lassen, was ihr euch früher selbst habt zumuten können? ({8}) - Oder wollen. Wenn wir heute diese höheren Belastungen zumuten würden, würden wir die größten politischen Schwierigkeiten bekommen. Was veranlaßt uns eigentlich zu der Annahme, daß die nachkommenden Generationen im Blick auf diese von mir beschriebenen Sachverhalte bereit sein werden, sehr viel höhere Belastungen auf sich zu nehmen und natürlich auch die Last mitzutragen, die das dritte Schulterpaar zu tragen hätte? Ich kann aus Gründen der fortgeschrittenen Zeit und weil die Debatte zu Ende gehen soll keine weiteren Ausführungen machen, mit einer Ausnahme, wenn Sie gestatten, Herr Präsident, die ich noch erwähnen möchte. Ich habe nicht ohne Sorge heute morgen in der Debatte, aber auch sonst in öffentlichen Äußerungen immer wieder gehört, die Übersiedler, die aus der DDR kämen, würden unsere Sozialsysteme entlasten. ({9}) - Es ist doch gleichgültig, wer es sagt. Man liest es in der Zeitung und überall. Ich weise es niemandem zu, Herr Kollege Dreßler. Ich sage es nur. Ich finde, das ist kein gutes Argument. Jeder junge Mensch, der aus der DDR kommt, läßt eine Verpflichtung aus dem Generationenvertrag in der DDR zurück. ({10}) Wir sollten das im Auge behalten. Auch Sie, Herr Kollege Cronenberg, haben das gesagt. Ich möchte das nur noch einmal unterstreichen. Wir sollten die Schwierigkeiten, die uns jetzt aus dieser Entwicklung entstehen, bei der Bevölkerung nicht dadurch auszugleichen versuchen, daß wir auf scheinbare ökonomische Vorteile hinweisen. ({11}) Tatsächlich werden hier in großem Umfange Verpflichtungen aus dem Generationenvertrag mitgebracht, die wir, wenn wir die Einheit, so wie wir sie hier im Zusammenhang mit dem Bericht zur Lage der Nation, der Beteiligten Nation, diskutiert haben, ernst nehmen, natürlich mitbedenken und mittragen müssen. Ich danke Ihnen. ({12})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, ein Minister hat das Recht, sich noch einmal zu Wort zu melden; aber das hat die Gefahr in sich, daß die Debatte noch einmal eröffnet wird.

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Ich möchte am Ende der Debatte doch noch einmal die Grundlagen unserer Alterssicherung festhalten. Erstens. Sie hat mit Fürsorge überhaupt nichts zu tun. Sie ist eine Sozialversicherung mit selbsterarbeiteten Ansprüchen. Für Fürsorge haben wir das Instrument der Sozialhilfe. Ich bitte, nicht Fürsorgeansprüche zu verwechseln mit durch eigene Arbeit erworbenen Ansprüchen. Zweitens. Soziale Sicherheit - das ist wichtig - basiert immer auf der Arbeit der jetzt Arbeitenden. Eine Sicherheit des ganzen deutschen Volkes können wir nie mit den Kapitaldeckungsverfahren organisieren; sonst müßte die gesamte deutsche Volkswirtschaft in das Eigentum der Rentenversicherung überführt werden. Drittens. Die große Herausforderung - und das ist eine Herausforderung an die gesamte Gesellschaft - ist: Eine Bevölkerung, die zurückgeht, gefährdet ihre soziale Sicherheit. Deshalb ist eine wichtige Antwort auf die Frage nach der Sicherheit der Alten eine Familienpolitik, die Kinder und Kinderfreundlichkeit unterstützt. ({0}) An Mütter und Väter. Ich bleibe dabei: Wir haben heute ein System geschaffen, das nicht nur bis zum Jahre 2005 reicht, sondern das mit seinen Regelmechanismen auf veränderte Bedingungen auch veränderte Antworten gibt. Insofern reicht das System, das wir heute anbieten, weit in das nächste Jahrhundert hinüber. Es ist nicht nur ein Angebot für die nächsten Tage und Jahre. Ich möchte deshalb die Gelegenheit nützen, noch einmal allen zu danken, die an dem Konsens mitgearbeitet haben. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Es liegt eine Wortmeldung des Abgeordneten Dreßler vor. Wir haben eine Wiedereröffnung der Debatte; aber der Präsident bemüht sich, sie zu Ende zu bringen.

Rudolf Dreßler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000420, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte für die SPD-Fraktion ausdrücklich unterstreichen, daß nicht nur heute, Herr Kollege Biedenkopf, sondern, wie Sie wissen und wie auch Ihr Freund Niegel weiß, auch in der Vergangenheit die Analyse der deutschen Rentenversicherung zwischen Ihnen und uns nahezu deckungsgleich ist. Das, was wir heute zu leisten versuchen, ist quantifiziert und berechnet bis zum Jahre 2010, also für einen Zeitraum, der, gemessen an der Rentenreform 1957 bis 1972 und von 1972 bis heute, sogar länger ist, und will erreichen, für ein Stück verlorengegangenen Vertrauens in die Sicherheit der Rentenversicherung im Generationengefüge geradezustehen. Ich nehme Ihre Darlegungen auch nicht zum erstenmal auf, wie Sie wissen, um uns alle einzuladen, schon in den 90er Jahren das zu erreichen, was ich versucht habe, nicht mit Pause vom Denken, sondern für das Denken, zu formulieren, nämlich dieser großen Herausforderung für die Zeit nach dem Jahre 2010 auf breiter Konsensbasis gerecht zu werden. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Die Abstimmungen zu den Tagesordnungspunkten 6 a bis 6 c werden zusammen mit den Abstimmungen zu den Tagesordnungspunkten 7 und 8 am Ende der Beratung von Tagesordnungspunkt 8 vorgenommen. Wenn ich es richtig kalkuliere, dürfte das etwa um 16.30 Uhr bis 16.45 Uhr sein.*) Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf: a) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Beamtenversorgungsgesetzes und sonstiger dienst- und versorgungsrechtlicher Vorschriften ({0}) - Drucksachen 11/5136, 11/5372 - aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({1}) - Drucksache 11/5537 - Berichterstatter: Abgeordnete Regenspurger Richter Such bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 11/5548 Berichterstatter: Abgeordnete Deres Kühbacher Frau Seiler-Albring Frau Vennegerts ({3}) *) Seite 13177D Vizepräsident Westphal b) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({4}) zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP Zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Unruh, Frau Beck-Oberdorf, Hoss und der Fraktion DIE GRÜNEN Zur Gleichbehandlung von Rentnern/innen, Beamten und Bundestagsabgeordneten bei der Reform der Alterssicherungssysteme - Drucksachen 11/4125, 11/4965, 11/5537 Berichterstatter: Abgeordnete Regenspurger Richter Such Im Ältestenrat, meine Damen und Herren, ist für die gemeinsame Beratung dieser Punkte eine Stunde vereinbart worden. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Fellner.

Hermann Fellner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich nicht zu lange damit aufhalten, das Verfahren zu kommentieren, mit dem wir die Novellierung der Beamtenversorgung zustande gebracht haben, nämlich in einem breiten Konsens. Das ist eine, wie ich meine, durchaus staatsmännische Leistung. Weniger staatsmännisch klingt es allerdings - und das ist in der vorangegangenen Debatte teilweise durchgeklungen - , wenn sich jetzt einzelne Redner von dem gefundenen Ergebnis distanzieren, indem sie die positiven Aspekte allein für sich reklamieren und für die negativen Begleiterscheinungen des Reformgesetzes dann jeweils die andere Seite verantwortlich machen. Ich möchte dazu nur feststellen, daß dieses Gesetz jeder verantworten und vertreten muß, der ihm zustimmt. Wir werden das tun, und wir stehen natürlich zu den getroffenen Regelungen. ({0}) Selbstverständlich ist diese Novelle nicht das Ende jeglicher Bemühungen um die Novellierung des Versorgungsrechts im öffentlichen Dienst. Wir stellen uns den verbleibenden Aufgaben und den neu auftauchenden Fragen. Und wir werden sie, wenn es dafür Mehrheiten gibt, auch lösen. Jeder ist dazu eingeladen, dort, wo noch Lösungsbedarf besteht, zu einer solchen Mehrheit beizutragen, z. B. bei der Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten, die uns ja gerade unsere Frauen innerhalb der CDU/CSU-Fraktion als Problem ganz besonders und sehr, sehr engagiert bewußt gemacht haben. ({1}) Meine Damen und Herren, selbstverständlich bleibt es dabei, daß es begleitend zu diesem Reformgesetz zu einer Überprüfung aller anderen, zum Teil aus öffentlichen Mitteln finanzierten Alterssicherungssysteme kommen muß. Immerhin aber sind mit Rente und Versorgung jetzt die beiden bedeutendsten Alterssicherungssysteme auf die Zukunft gerichtet neu geordnet. Ich möchte heute auch nicht versäumen, an die Tarifvertragsparteien im öffentlichen Dienst zu appellieren, daß baldmöglichst die bei der Beamtenversorgung getroffenen Regelungen in adäquater Form auch für die Zusatzversorgung der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst umgesetzt werden. ({2}) Es geht nicht an, daß die Beamten gegenüber den tarifvertraglich Beschäftigten im öffentlichen Dienst bei der Alterssicherung benachteiligt werden. ({3}) Meine Damen und Herren, in manchen Gesprächen mit Beamten und auch mit Vertretern der Verbände und der Gewerkschaften habe ich den Eindruck gewonnen, daß immer noch weitgehend Unkenntnis darüber herrscht, welche Gründe uns zu einer Novellierung des Beamtenversorgungsrechts gezwungen haben. Ausgangspunkt aller notwendigen Maßnahmen auf diesem Gebiet ist die seit Beginn der 70er Jahre dramatisch zurückgegangene Zahl der Geburten in der Bundesrepublik Deutschland. Die Geburtenrate liegt seit dieser Zeit fast konstant um ein Drittel unter dem Niveau, das zur Erhaltung des Bevölkerungsstandes notwendig wäre. Zunehmend wird nun hier - und das ist heute schon wiederholt angesprochen worden - das Argument aufgeworfen, daß der Zustrom von Aus- und Übersiedlern die demographische Entwicklung aufhalten oder gar umkehren könne, eine Novellierung des Beamtenversorgungsrechtes also aus diesem Grund nicht notwendig sei. Bitte, beachten Sie, daß seit 1970 rund 6 Millionen Kinder mehr hätten geboren werden müssen, um den Rückgang der Bevölkerung aufzuhalten. Selbst die deutschen Aus- und Übersiedler, die vornehmlich in jungen Jahren zu uns kommen, halten den Bevölkerungsrückgang nicht auf, sondern mildern das Problem nur zu einem kleinen Teil. Für das Jahr 1989 wurden bis heute ca. 300 000 Aussiedler und ca. 195 000 Übersiedler registriert. So relativ hoch diese Zahlen für sich allein betrachtet auch sein mögen, sie sagen weder etwas über das Anhalten des Zustroms noch über die Altersstruktur dieser Deutschen aus. Tatsache ist, daß zwar relativ wenig Ältere zu uns kommen, die Zahl der Kinder aber nicht so groß ist, daß wir alle Prognosen zur demographischen Entwicklung als überholt ansehen könnten. Die Folgen dieser negativen Entwicklung für die Zukunft unserer Alterssicherungssysteme sind unbestreitbar. Nur deshalb und weil sie die Notwendigkeit einer Anpassung erkannt hat, war wohl auch die SPD- Fraktion bereit, zusammen mit uns und der FDP-Fraktion Lösungen zu entwickeln, wie Renten und Beamtenversorgung krisenfest gemacht werden können. Die Novelle zum Beamtenversorgungsgesetz ist weder überflüssig noch eine bloße staatliche Sparmaßnahme. Die Novelle ist vielmehr das Ergebnis einer notwendigen Anpassung an die künftige Bevölkerungsentwicklung. Wir haben nie einen Zweifel daran gelassen, daß wir die Bedeutung des öffentlichen Dienstes fur unsere Gesellschaft kennen und schätzen. Deshalb haben wir uns bei der Umsetzung der notwendigen Maßnahmen ins Beamtenversorgungsgesetz von dem Grundsatz leiten lassen, die von unserer Verfassung geforderte Eigenständigkeit des Beamtenversorgungssystems weder direkt noch indirekt zu gefährden oder gefährden zu lassen. Jede Angleichung der Alterssicherungssysteme im Sinne einer fragwürdigen und vorgeschobenen Harmonisierung wird von uns abgelehnt. Denn alle Anstrengungen, hier eine Anpassung zu erreichen, haben letztlich nur ein Ziel, nämlich die Abschaffung des Berufsbeamtentums. ({4}) Einen Angriff auf die bewährte Struktur des Beamtenrechts werden CDU und CSU wie bisher mit aller Entschiedenheit abwehren. Bei den Verhandlungen im Vorfeld der Entstehung dieser Novelle haben wir durchgesetzt, daß allein mit systemkonformen Mitteln und unter voller Wahrung der Eigenständigkeit des Berufsbeamtentums das Alterssicherungssystem der Beamten an die Anforderungen der Zukunft angepaßt wird. Ich meine, daß diese Anpassung gelungen ist. Beamte und Versorgungsempfänger müssen weder Sonderopfer leisten, noch erhalten sie durch diese Novelle Sondervorteile. Insbesondere, meine ich, leistet das Änderungsgesetz einen im Vergleich mit der Rentenreform adäquaten Beitrag zur Kostensenkung. Der von den GRÜNEN gebetsmühlenhaft erhobene falsche Vorwurf, bei der Beamtenversorgung werde weniger eingespart als in der Rentenversicherung, wird auch durch mehrmaliges Wiederholen nicht richtig. Tatsache ist, daß entsprechend dem Verhältnis der künftigen Zahl der Rentner und der Zahl der Versorgungsempfänger die Einsparungen bei der Beamtenversorgung im Jahre 2010 sogar geringfügig höher sind. Während bei einer Zahl von 14,9 Millionen Rentnern ca. 2 400 DM pro Kopf eingespart werden, liegt dieser Betrag bei 1,8 Millionen Versorgungsempfängern bei ca. 2 450 DM pro Kopf. Wir haben sowohl den Beitrag der Versorgungsempfänger zu ihrer Alterssicherung als auch die Nettoanpassung der Beamtenversorgung verhindert. Die nordrhein-westfälische SPD hatte demgegenüber den Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion aufgefordert, sich dafür einzusetzen, den Grundsatz der Nettoanpassung auf die Beamtenversorgung zu übertragen. Die dadurch bewirkte Ankoppelung der Pensionen an die Renten hätte sowohl eine Aufgabe der Eigenständigkeit der Beamtenversorgung als auch eine einseitige Verminderung der Versorgung und der Besoldung der Beamten bewirkt. Obwohl dies teilweise immer wieder versucht wurde, kann eine solche Schlechterstellung der Beamten gegenüber den Rentnern nicht mehr als eine sozialpolitisch tragbare Maßnahme kaschiert werden. Die Koalitionsfraktionen sind auch nicht den Vorstößen gefolgt, die die Streckung und Linearisierung der Ruhegehaltsskala auf 45 Jahre ausdehnen wollten. Der Beamte wird künftig nach 40 Dienstjahren den Höchstsatz seiner Versorgung erreichen. Damit wird gewährleistet, daß bei normaler Laufbahn jeder Beamte nach wie vor 75 W. seiner ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge erhält. Das ist notwendige Folge der dem Beamten obliegenden Treuepflicht, aus welcher die besondere Fürsorgepflicht des öffentlichen Dienstherrn folgt. In diesem Zusammenhang haben wir unser besonderes Augenmerk auf diejenigen Beamten gerichtet, die kraft Gesetzes vorzeitig, in der Regel also mit 60 Jahren, in den Ruhestand treten müssen. Polizeibeamte, Feuerwehrleute und Beamte des Justizvollzugsdienstes - um nur einige zu nennen - hätten in vielen Fällen durch die Neuregelung der Ruhegehaltsskala nur bei einer idealtypischen Laufbahn die Höchstversorgung erreicht. Häufig ist es aber so, daß diese Beamten vor Eintritt in das Beamtenverhältnis einen anderen Beruf erlernen und ausüben und deshalb die Normalversorgung nicht mehr erhalten. Wer aber wegen der besonderen Anforderungen und Belastungen des Vollzugsdienstes eher pensioniert wird, darf dafür nicht auch noch die Nachteile einer Linearisierung in Kauf nehmen müssen. Auf Antrag der Koalitionsfraktionen konnte im Innenausschuß eine entscheidende Benachteiligung dieser Beamten verhindert werden. Im Innenausschuß bestand Einverständnis darüber, daß künftig im Ergebnis praktisch jede Ausbildung und Berufszeit bis zu fünf Jahren als ruhegehaltsfähige Dienstzeit berücksichtigt werden soll. Versorgungsrechtliche Nachteile wegen ihrer vorzeitigen Pensionierung müssen die Beamten des Vollzugsdienstes nun also nicht mehr befürchten. ({5}) - Lieber Herr Kollege Penner, ich habe wirklich versucht, ({6}) nicht im Wege des Rosinenpickens uns allein das zuzuschreiben, was an Gutem geschehen ist. Wir haben uns in einem, wie ich glaube, durchaus fruchtbaren Streit alle miteinander dazu durchgerungen, in unserer vollen Verantwortung das zu tun, was wegen der in der Rentenversicherung notwendigen Maßnahmen mit guten Gründen auch im Bereich des öffentlichen Dienstes zu geschehen hat. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluß kommen. Ich möchte mich gerade an dieser Stelle gegen die weitverbreitete Neiddiskussion, die in unserer Gesellschaft herrscht und die insbesondere unsere Staatsdiener trifft, zur Wehr setzen. ({7}) Ich glaube, das ist gerade deswegen notwendig, weil derzeit für jeden sichtbar Beamte die Übersiedler und Aussiedler betreuen, wofür ihnen in aller Form Dank zu sagen ist. ({8}) Ich glaube, sie haben sehr dazu beigetragen, daß diese schwierige Aufgabe der Aufnahme von Aus- und Übersiedlern bisher einigermaßen reibungslos erfüllt wurde. ({9}) Meine Damen und Herren, ich möchte mich zum Abschluß bei den Kollegen bedanken, die in sehr mühsamer und vielstündiger Arbeit an dieser Novelle mitgearbeitet haben. Ich glaube, die Hauptlast dieser Arbeit hat der Kollege Gerster getragen, der nicht nur die Koordinierung bewerkstelligen, sondern auch die inhaltliche Arbeit leisten mußte. Ich bedanke mich aber auch beim Koalitionspartner, der FDP, und natürlich auch bei den Kollegen der SPD. Ich meine, daß trotz aller Härte der Auseinandersetzung ein tragfähiger Kompromiß gefunden worden ist. Ich meine, daß man diesem Gesetz guten Gewissens zustimmen kann. Ich bedanke mich fürs Zuhören. ({10})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Bernrath.

Hans Gottfried Bernrath (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000161, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Zu Beginn der interfraktionellen Beratungen zum Rentenreformgesetz hat sich deutlich gezeigt, daß ungeachtet der unterschiedlichen Rechtssysteme auch die Beamtenversorgung, und zwar zunächst unter dem Gesichtspunkt der Sanierung, also der finanziellen Konsolidierung, in diese Reformbemühungen einbezogen werden sollte, gar einbezogen werden mußte. ({0}) Aus dieser Einsicht entwickelte sich die von der Koalition und der SPD getragene grundlegende Entschließung vom 10. März dieses Jahres. Ohne auf den Inhalt dieser Entschließung noch einmal einzugehen, möchte ich zur Klarstellung allerdings betonen: Eine adäquate Einbeziehung der Beamtenversorgung - das zeigte sich bald - konnte sich nicht allein auf eine Übertragung des Kostenvolumens beschränken. Eine zumindest mittelfristig wirkende Reform mußte notwendigerweise einen wenn auch vorsichtigen Einstieg in die Harmonisierung materieller Einzelregelungen bringen. Ein solches Vorgehen rechtfertigt sich in der grundsätzlichen Vergleichbarkeit der Ziele der Alterssicherung, ungeachtet ihrer unterschiedlichen Finanzierung über Beiträge und Zuschüsse aus Steuermitteln oder, wie bei dem Beamten, nach den Grundsätzen der Alimentation. Die Eigenständigkeit der verschiedenen Alterssicherungssysteme wurde und wird davon nicht berührt. Es mag sein, daß bei diesem Bemühen der Wille zur Gestaltung über das Sanieren hinaus, Herr Fellner, nicht gleichermaßen entwickelt war. Aber die Notwendigkeit eines solchen Vorgehens hat schließlich alle, auch Sie, überzeugt. ({1}) Weitere Schritte müssen allerdings folgen. Insofern ist auch der gelegentlich gehörte Vorwurf, die vorliegenden Änderungen im Beamtenversorgungsrecht seien mit heißer Nadel gestrickt, unberechtigt. Interfraktionell, in den Ausschüssen, in einer ausführlichen Sachverständigenanhörung wurden die notwendigen Regelungen vorbereitet und beraten. Dabei sind auch die zahlreichen schriftlichen Eingaben berücksichtigt worden. Dies läßt sich beispielsweise an Hand der Regelungen für den Polizei- und Justizvollzugsdienst und für die Feuerwehr belegen. Die jetzt zu beschließenden Regelungen in § 12 Abs. 2 stellen sicher - Herr Fellner hat darauf hingewiesen - , daß dieser Personenkreis, der in sehr unterschiedlichem Lebensalter in ein Beamtenverhältnis eintritt, auch in Zukunft das Höchstruhegehalt erreichen kann. ({2}) Dazu trägt auch eine Notiz, eine Klarstellung im Protokoll über die Beratungen des Innenausschusses bei. Die im vorliegenden Entwurf enthaltenen angepaßten Regelungen der Beamtenversorgung entsprechen, ohne daß ich diese Einzelregelungen jetzt erläutern will, dem Gebot der Gerechtigkeit; vielleicht mit einer Einschränkung: Die Berücksichtigung der Kindererziehungszeiten mit ihrer Wirkung im wesentlichen auf die Versorgung von Frauen ist objektiv unzureichend. Eine sachgerechte Lösung im Beamtenversorgungsrecht scheiterte in diesem ersten Anlauf aber daran, daß auch in der Rentenreform keine befriedigende Lösung zustande gebracht worden ist. Darum war es auch nicht möglich, hier etwas Paralleles, etwas Vergleichbares und Befriedigendes zu entwerfen. Ich gehe davon aus, daß wir uns damit zu einem geeigneten, späteren Zeitpunkt noch einmal auseinandersetzen werden. Dann aber sollten weitergehende Annäherungen in den Alterssicherungssystemen ins Auge gefaßt werden. ({3}) - Sie sind doch auch dafür, Herr Regenspurger. Ein Beispiel: Wir haben uns auf ein Konzept verständigt, das keine offen ausgewiesenen Beiträge der Beamten für ihre Altersversorgung enthält. Vielmehr soll nach dem jetzt vorliegenden Entwurf, den wir heute verabschieden, die geltende Bestimmung des § 14 des Bundesbesoldungsgesetzes dahin gehend angewandt werden, daß sich wachsende Abgabenbelastungen der Arbeitnehmer für die Alterssicherung auch, und zwar kollektiv durch entsprechende Abschläge, auf die Erhöhungsbeträge der Bruttobesoldung der Beamten auswirken. ({4}) - Wir gehen davon aus, daß das so verabredet ist für Jahre, in denen es höhere Beiträge für die Rentenversicherung gibt. Das wird auch durchgesetzt. ({5}) - Unsere Vorstellungen gingen und gehen in eine andere Richtung. Im übrigen: Ein eigener, offen ausgewiesener Beitrag der Beamten zur Altersversorgung wäre mit den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten verfassungsrechtlichen Grundsätzen durchaus im Einklang gewesen. Wie notwendig eine Harmonisierung der Alterssicherungssysteme auch hinsichtlich ihrer Finanzierung wird, zeigen einige statistische Gutachten, die ich in der ersten Lesung des Entwurfs bereits bemüht habe, aber heute noch einmal kurz in Erinnerung rufen möchte. ({6}) Das Prognos-Institut, das im Auftrage des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger ein Gutachten erstellte, geht davon aus, daß sich die Pensionsaufwendungen bis zum Jahre 2000 von 26,8 Milliarden DM im Jahr 1984 auf über 62 Milliarden DM mehr als verdoppeln werden. Für das Jahr 2015 rechnet Prognos je nach wirtschaftlicher Entwicklung mit 127 bis 141 Milliarden DM, für das Jahr 2030 mit 333 bis 396 Milliarden DM. Im Jahre 2040 müßten dann je nach wirtschaftlichen Annahmen zwischen 530 und 570 Milliarden DM für Pensionen ausgegeben werden. ({7}) Allerdings sagt dieser Anstieg der absoluten Zahlen noch wenig aus. Aussagekräftiger werden diese Zahlen im Vergleich. Der Anteil der öffentlichen Pensionen an den sozialen Leistungen der Gebietskörperschaften wird von rund 35 Milliarden DM im Jahr 1984 bis zum Jahre 2040 bei günstigsten Annahmen auf rund 68 Milliarden DM und bei ungünstigen Annahmen sogar auf 72 Milliarden DM steigen, d. h. der Anteil der Pensionen an den sozialen Leistungen der Gebietskörperschaften wird sich bis dahin mehr als verdoppeln. Am Beispiel Nordrhein-Westfalen sieht die Entwicklung nach Angaben der Landesregierung wie folgt aus: Die Gesamtzahl der Versorgungsempfänger wird von 94 900 auf über 311 000 im Jahre 2015 ansteigen. ({8}) - Sie, Ihre Vorgänger und Ihre Nachfolger. Aber im wesentlichen Sie, Herr Hirsch, so wie Sie ja überhaupt ein wenig inflationär, z. B. auch hinsichtlich der Sitze in Kommunalparlamenten, tätig waren. Allen Beteiligten dürfte klar sein, daß diese Entwicklung Konsequenzen in der Beamtenversorgung notwendig macht, um auch sie für die Zukunft zu sichern. Es geht allerdings keinesfalls nur darum, die Versorgungssysteme etwa aus Gerechtigkeitsgründen zu harmonisieren, wenngleich es natürlich auch darum geht. Allen Beteiligten dürfte klar sein, daß in der Beamtenversorgung nicht alles unverändert bleiben kann und auch nicht unverändert bleiben darf, Herr Fellner, wenn in anderen Alterssicherungssystemen neue erhebliche Belastungen auftreten, die von den Beitragszahlern und Rentnern oder auch von der Gesamtheit der Steuerzahler in irgendeiner Form finanziert werden müssen. Bereits Anfang der achtziger Jahre hat die Sachverständigenkommission Alterssicherungssysteme eine Beteiligung der Beamten an den Kostem ihrer Alterssicherung empfohlen. Grundsätzlich erklärte diese Kommission die Notwendigkeit, die Beamten schrittweise an der Finanzierung ihrer Alterssicherung zu beteiligen und entsprechende Gehaltsanteile der Beamten in ihren Bezügen offen auszuweisen. Dadurch sollte ein tragender Gedanke der Alterssicherung verwirklicht werden, nämlich die Beteiligung aller Erwerbstätigen an der Finanzierung ihrer Alterssicherung innerhalb des jeweiligen Systems und damit die ausgewogene Beteiligung insbesondere an den aus der demographischen Entwicklung resultierenden Belastungen. Eine Beteiligung der Beamten an ihrer Versorgung durch Gehaltsverzicht ist bisher nicht nachweisbar. Mit dem Gesetzentwurf und der ausdrücklich geforderten Anwendung des § 14 des Bundesbesoldungsgesetzes zur Beteiligung der Beamten etwa entsprechend der Abgabenbelastung der Arbeitnehmer wäre aber ein erster Schritt gemacht. Zumindest wird diese Vorschrift bewirken, daß Kostenanteile transparenter werden und damit eine Beteiligung der Beamten an der Finanzierung sichtbar wird. ({9}) Die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums lassen auch nach ihrer geschichtlichen Entwicklung eine solche Lösung zweifelsfrei zu. Besser wäre allerdings ein offen ausgewiesener individueller Beitrag eines jeden Beamten, ein Vorgehen, das dem Wesen der Beamtenversorgung und ihrer verfassungsrechtlichen Garantie keinesfalls im Wege stünde. Natürlich muß in einem solchen Fall sichergestellt werden, daß die Beiträge der Beamten zur Finanzierung ihrer Alterssicherung verwandt werden und nicht sachfremd etwa für notwendige Finanzierung in der Rentenversicherung, z. B. über den sogenannten Bundeszuschuß. Die Notwendigkeit einer auf dieses Ziel hin ausgerichteten Reform und Harmonisierung der Alterssicherungssysteme leugnen heißt allerdings auch, die tatsächlichen demographischen und politischen Entwicklungen nicht zur Kenntnis nehmen. Die demographische Entwicklung ist heute ausreichend dargestellt worden. Die politischen Zwänge, beispielsweise aus dem freizügigen Zugang auch zu den Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst innerhalb des europäischen Gemeinsamen Marktes, werden allerdings nach wie vor ignoriert, und dies, obwohl sich bereits mehr als 1 000 Ausländer als Beamte im öffentlichen Dienst befinden. Wir haben jetzt schon mindestens drei große unterschiedliche Versorgungssysteme: erstens die Rentenversicherung mit den nettoangepaßten Renten im gewerblichen Bereich - hier ist in der öffentlichen Diskussion die Wirkung, meine ich, der Betriebsrenten völlig außer Betracht geblieben -, ({10}) zweitens die Versorgung der Arbeiter und Angestellten im öffentlichen Dienst mit einer beitragsfreien Zusatzversicherung nach dem Maßstab der Beamtenversorgung und damit günstigen Nettoleistungen und drittens die Beamtenversorgung begrenzt auf steuerpflichtige 75 % der letzten Aktivenbezüge, allerdings mit jährlich 13-maliger Zahlung. Eine gerechte inhaltliche Näherung dieser Systeme wird schon durch die allein dem Beamtenrecht eigentümliche Tatsache erschwert, daß alle Einkommen, von der untersten Besoldungsgruppe A 2 bis zur höchstdotierten B 11, nach gleichen Maßstäben erfaßt werden. Dies führt in der Tat auf Dauer zu unerträglichen Versorgungsspannen. Darum erwarten wir, daß es nicht bei der augenblicklich vorbereiteten Reparatur der Versorgungsregelungen bleibt, nicht zuletzt weil es - ich denke noch einmal an die europäische Entwicklung - kaum möglich sein wird, beispielsweise europäische Anwartschaften auf Altersversorgung in unsere Systeme des öffentlichen Dienstes, der öffentlichen Versorgung, zu integrieren. Der Aufgabenwandel im öffentlichen Dienst - weniger Ordnungs-, mehr Leistungsverwaltung - und die Europäisierung öffentlicher Dienstleistungen lassen sich also mit den, auf unsere Zeit bezogen, in der Tat - ich wiederhole das - weit hergeholten Grundsätzen unseres Beamtenrechts nicht mehr bewältigen. Darum werden wir künftig auch und verstärkt fordern, daß erstens über Einstellung und Ausbildung der Beamtenanteil am Personal des öffentlichen Dienstes schrittweise so gesenkt wird, daß letztlich Beamte ausschließlich hoheitliche Tätigkeiten wahrnehmen, ({11}) und daß zweitens sich auch deren Dienstrecht im Folgebereich, also bei der Besoldung und Versorgung und der Sicherung im Krankheitsfall, nicht mehr von anderen Arbeitsverhältnissen unterscheidet und insoweit Tarifverträge mit autonomen gewerkschaftlichen Verhandlungsrechten Platz greifen. ({12}) Wir haben in den Beratungen sorgfältig darauf geachtet, daß die Eigenständigkeit der Zusatzversorgung beachtet wird, weil dafür die Tarifvertragsparteien zuständig sind, nicht der Gesetzgeber. Wir haben darauf geachtet, daß in der Entschließung des Bundestages vom 7. März 1989 und im Gesetzestext Aussagen getroffen wurden, die in dieser Hinsicht nicht über die Beschreibung der gegenwärtigen Rechtslage hinausgehen. Abschließend: Was wir im ersten Schritt erarbeitet haben, ist noch keine Reform und auch keine Harmonisierung. ({13}) Wir tragen aber nachhaltig dazu bei, daß die sich aus der demographischen Entwicklung ergebenden Kostensteigerungen begrenzt werden. Außerdem haben wir einige kleinere Schritte hin zu einer Harmonisierung der Alterssicherungssysteme getan. Im Ziel müssen wir aber dazu kommen, daß das verständliche Eigeninteresse eines jeden einzelnen auch im öffentlichen Dienst und das Gemeinwohl, das Gemeininteresse, wieder zur Deckung gebracht werden. Ich bedanke mich bei allen, die hier im Bundestag und im Innenausschuß mitgearbeitet haben, auch bei den Koalitionsfraktionen, bei den Ressorts und ganz besonders gern auch bei Herrn Ministerialdirigenten Jeske vom Landesfinanzministerium in Düsseldorf, der uns ebenfalls beraten hat. Ich sage ausdrücklich: Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stimmen dem vorliegenden Gesetzentwurf zu. Danke schön. ({14})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Richter.

Manfred Richter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001835, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Damit ich es nicht vergesse, will ich mit dem Dank anfangen. Auch ich bedanke mich bei allen, denen schon gedankt worden ist, und besonders danke ich dem Bundesinnenminister und den Mitarbeitern seines Hauses, die man bisher vergessen hat. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ein Erfolg der Koalitionsfraktionen von FDP und CDU/CSU und natürlich auch der SPD, daß wir hier gemeinsame Gesetzentwürfe vorgelegt haben, daß wir sie gemeinsam behandelt und beraten haben und daß wir sie jetzt gemeinsam beschließen werden. Der Weg dorthin aber war - das gilt jedenfalls für die Beamtenversorgung - steinig und schwierig. Wir haben viele Verhandlungsrunden in wechselnden Besetzungen gebraucht, und es gab immer neue Probleme. Sogar zunächst vereinbarte Kompromisse - ich erinnere an das Sommertheater wegen der Kindererziehungszeiten - ließen sich nicht halten. Nun gut, wir haben das Ganze überstanden. Das Ergebnis läßt sich sehen, und zwar nach beiden Seiten, hinsichtlich dessen, was wir vereinbart haben, und hinsichtlich dessen, was wir verhindert haben. Wir können drei Felder unterscheiden. Das erste enthält all das, was nicht kommt, besser gesagt: was durch die Koalitionsfraktionen und besonders durch die FDP verhindert worden ist. Das zweite Feld betrifft all das, was wir heute beschließen wollen. Das dritte Feld kann man mit den Begriffen „Unzufriedenheit" oder „offene Punkte" beschreiben. Beginnen wir mit dem ersten Bereich. Verhindert haben wir folgendes. Die von anderen immer wieder geforderte Vereinheitlichung des öffentlichen Dienstrechts wird es nicht geben, auch nicht durch die Hintertür der Novellierung des Beamtenversorgungsrechts. ({1}) Die Eigenständigkeit der Beamtenversorgung ist gewahrt, und auch die eigene Systematik des Beamtenversorgungsrechts bleibt erhalten. Die Linearisierung und die Streckung der Ruhegehaltsskala haben nicht die weite Bedeutung, die ihnen insoweit zugemessen wird. Zweitens. Es gibt keine offen ausgewiesenen Eigenbeiträge der Beamten zu ihrer Altersversorgung. Solche Art Nivellierung ist mit der FDP nicht zu machen. ({2}) Daß die Beamten mittelbar ohnehin schon einen Eigenbeitrag zu ihrer Versorgung leisten, ist hinlänglich bekannt; ich brauche das hier nicht zu wiederholen. ({3}) Als Ersatz wurde uns angesonnen, wenigstens einen Automatismus zu akzeptieren, was den Zusammenhang zwischen zukünftigen Erhöhungen der Beamtengehälter und der Beamtenversorgung und der Berücksichtigung von Beitragserhöhungen in der gesetzlichen Rentenversicherung angeht. Auch das ist verhindert worden. Vernünftig ist, was wir beschlossen haben, nämlich die Berücksichtigung der Beitragsentwicklung in der Rentenversicherung als eines von mehreren wirtschaftspolitischen Daten, die wir bei den regelmäßigen Anpassungen der Beamtenbesoldung und der Beamtenversorgung mit einbeziehen müssen. Als zweites Feld ist zu besprechen, was wir nun tatsächlich an Änderungen in der Beamtenversorgung machen wollen. Erstens. Am einschneidendsten ist die Streckung und Linearisierung der Ruhegehaltsskala auf 40 Jahre mit einem Steigerungssatz von jährlich 1,875 %. Dabei bleibt das Versorgungsniveau erhalten. Praktisch und nicht nur theoretisch wird bei normalem Laufbahnverlauf für jeden der Betroffenen das Höchstruhegehalt von 75 % erreichbar. Das gilt auch für Laufbahnen mit vorgezogenen gesetzlichen Altersgrenzen, z. B. bei Soldaten, Polizisten, Beamten des Justizvollzugsdienstes und der Feuerwehr, und zwar auch dann, wenn Beamtenbewerber mit längeren Ausbildungs- oder Berufsausübungszeiten in den Beamtendienst eintreten. Die Linearisierung und Streckung der Ruhegehaltsskala auf 40 Jahre war aus der Zielsetzung des Entwurfs, nämlich Kosten einzusparen, adäquat mit den Kosteneinsparungen in der Rentenreform, unumgänglich. Zweitens. Zu den Maßnahmen, die tatsächlich eine Kosteneinsparung bewirken werden, ist auch der Versorgungsabschlag für die Inanspruchnahme vorgezogener Altersgrenzen zu sehen. Hier haben wir den Vorschlag des Bundesrates aufgenommen und sichergestellt, daß die Inanspruchnahme der vorgezogenen Altersgrenzen mit langfristigen Übergangsregelungen flankiert wird, so daß in diesem Punkt die Beamtenschaft keine Schlechterstellung gegenüber den Versicherten in der gesetzlichen Rentenversicherung hinnehmen muß. Begleitet und im Hinblick auf den Verfassungsgrundsatz der Amtsangemessenheit der beamtenrechtlichen Alimentation gemildert wird die Strekkung und Linearisierung der Ruhegehaltsskala mit Verbesserung bei der Zurechnung bei vorzeitiger Versetzung in den Ruhestand. Drittens. Für Beamte, die vorzeitig in den Ruhestand treten, führen wir die Anrechnung von Erwerbseinkommen ein. Ich will nicht verhehlen, daß wir durchaus Bedenken insbesondere im Hinblick auf etwaige präjudizierende Wirkungen für zukünftige Fälle hatten. Wir können den Menschen draußen nicht predigen, ihre Altersversorgung auf mehrere Füße zu stellen, sie dann aber zu Sparzwecken auf anderweitige Einkünfte bzw. Einkunftsmöglichkeiten verweisen. ({4}) Gleichwohl ist im vorliegenden Rahmen die Anrechnung von Erwerbseinkommen vertretbar und richtig, weil die Anrechnung auf Erhöhungen des Ruhegehalts beschränkt wird, die aus sozialen Gründen gewährt werden. Das erdiente Ruhegehalt bleibt den Beamten ungeschmälert erhalten. Viertens. Ein wenig aus dem Blickfeld ist die Stärkung des Grundsatzes „Rehabilitation statt Versorgung" geraten. Fünftens. Voller Vertrauensschutz wird gewährleistet. Bestehende Versorgungsverhältnisse werden - mit Ausnahme der Frage der Anrechnung von Erwerbseinkommen aus neuen Arbeitsverhältnissen ab 1992 - nicht berührt. Ältere Beamte, die zehn Jahre vor ihrer gesetzlichen Altersgrenze stehen, werden nach altem Recht behandelt, wenn dies für sie günstiger ist. Für alle übrigen Beamten werden erdiente Versorgungsanwartschaften in vollem Umfang aufrechterhalten. Sechstens. Erreicht haben wir eine Parallelität der Verabschiedung der Änderungen der Beamtenversorgung mit der Reform der Rentenversicherung. ({5}) All diese Maßnahmen sind, verglichen mit dem heutigen Zustand, natürlich keine Wohltaten für die Beamtenschaft, sie sind aber unumgänglich. ({6}) Auch wenn ich mich oder andere wiederhole: Die demographische Entwicklung läßt uns - ebenso wie in der Rentenversicherung - keine andere Wahl als eine Begrenzung der Leistungen in der Beamtenversorgung. Nur das ist richtig verstandene Fürsorge und Vorsorge des Staates gegenüber seinen Beamten. ({7}) - Es reicht, wenn Sie mich mit „Herr Richter" anreden. ({8}) Nun zum heikelsten Teil, nämlich dem Feld, das ich mit „Unzufriedenheit" überschreibe. In dem Gesamtpaket sind natürlich Kompromisse enthalten. Ich will diese Kompromisse nicht kritisieren. Angesichts der verschiedenartigen Interessen, die verfolgt worden sind, ist das Schließen von Kompromissen unausweichlich. Das Ziel dieser Kompromisse, nämlich eine möglichst breite politische Basis der Rentenreform und der Novellierung der Beamtenversorgung zu erzielen, war die vielen Kompromisse schon wert. Aber einiges wird uns in Zukunft noch zu schaffen machen. Das erste ist die überdurchschnittliche Benachteiligung von Frauen; davon ist schon die Rede gewesen. ({9}) Die Linearisierung und Streckung der Ruhegehaltsskala wird allenfalls ansatzweise, keinesfalls aber im Gesamtniveau ausgeglichen. An der FDP hat es nicht gelegen, daß letztlich als Kompromiß herausgekommen ist, Kindererziehungszeiten wie in der Rentenversicherung mit einem einheitlichen Betrag zu berücksichtigen. ({10}) - Sehr richtig. Ein weiterer Punkt, der nicht zufriedenstellend gelöst scheint, der allerdings auch durch einen Kompromiß abgedeckt wird, ist die Situation der sogenannten nachgeheirateten Witwe. Der dritte Punkt, über den bei der FDP Unzufriedenheit herrscht, ist die Versorgungsregelung bei den kommunalen Wahlbeamten. Der Anreiz für Bewerber, sich dem politischen Amt eines kommunalen Wahlbeamten zuzuwenden, dürfte durch das Gesetz mehr als in anderen Bereichen beeinträchtigt werden. Der letzte offene Punkt, den ich in diesem Zusammenhang ansprechen will, ist die Frage der Übertragung der Änderungen der Beamtenversorgung auf den Tarifbereich, ich will sagen: Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst. Nach wie vor gehen wir davon aus, daß die Änderungen im Tarifbereich systembedingt sein werden. Wir werden nicht zulassen, daß durch unterschiedliche Regelungen der Alterseinkünfte innerhalb des öffentlichen Dienstes Neid und Mißgunst entstehen und Tendenzen zur Entbeamtung gestärkt werden. Mit dem heutigen Tag hört die Gesetzgebung nicht auf. Ebensowenig, wie die SPD davon lassen wird, nach Mitteln und Wegen zu suchen, das Fernziel eines einheitlichen öffentlichen Dienstrechts anzustreben, werden wir Freien Demokraten davon ablassen, dort Verbesserungen in der Beamtenpolitik anzustreben und Mehrheiten dafür zu suchen, wo sie uns im Interesse des Berufsbeamtentums, im Interesse unseres Staats- und Gemeinwesens, im Interesse unserer Gesellschaft notwendig erscheinen. Wir brauchen eine leistungsfähige Beamtenschaft, wir brauchen die Attraktivität des Berufsbeamtentums für die Gewinnung geeigneten und qualifizierten Nachwuchses. Denn für eine Berufsentscheidung für den öffentlichen Dienst ist auch die Versorgungsregelung ein maßgeblicher Gesichtspunkt. ({11})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Man kann, Herr Kollege Richter, nur hoffen, daß die Schnelligkeit ihres Redeflusses nicht im umgekehrten Verhältnis zur Möglichkeit des Verstehens bei den betroffenen Beamten steht. Herr Hoss ist der nächste Redner.

Prof. h. c. Willi Hoss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Problem der Beamtenversorgung ist ein Reizproblem, und zwar wegen gewisser Privilegien, aber auch deshalb, weil gemeint wird, man könnte auf den Sack schlagen und man träfe immer den Richtigen. Das Problem ist differenziert zu sehen. Wir GRÜNEN gehen davon aus, daß die heutige Vorlage wieder einmal das Grundproblem aufzeigt, daß nämlich bei der Gründung der Bundesrepublik, bei dem Neuanfang, die einmalige Chance vertan wurde, das überholte Berufsbeamtentum abzuschaffen. ({0}) Dieser Status war vor 200 Jahren ein Fortschritt, als es darum ging, die Beamten aus der persönlichen Abhängigkeit des einzelnen Landesherrn und seiner Willkür zu befreien. Aus privaten Dienern wurden so Staatsdiener. Das war ein gewisser Fortschritt. Mit der Entwicklung der Demokratie, spätestens mit dem Grundgesetz von 1949, ist dieser Beamtenstatus, der in Deutschland dem preußischen Obrigkeitsstaat entstammt, aber ein historisches Fossil, ({1}) das leider den Weg aus der Mottenkiste deutscher Geschichte in das Grundgesetz gefunden hat. Nicht Diener eines über der Gesellschaft stehenden Staates, sondern Dienerinnen und Diener einer demokratischen Gesellschaft sind heute gefordert. ({2}) Schon heute verstehen sich genügend Beamtinnen und Beamte so. Um so eher gilt es, den überkommenen Beamtenstatus, der von vielen der Betroffenen selber als Zwangsjacke empfunden wird, endlich zu beseitigen. Denn welchen Grund gibt es noch heute, eine besondere Treuepflicht in Über- und Unterordnung, ein Streikverbot, eine eigene Disziplinargerichtsbarkeit usw. aufrechtzuerhalten? Soll vielleicht das noch immer gültige oder nicht endgültig beseitigte Berufsverbot, das mit dem Beamtentum zu tun hat, Vorbild und Beispiel für diejenigen sein, die in diesen Tagen entweder aus der DDR hierherkommen oder in der DDR selber für demokratische Veränderungen kämpfen? ({3}) Warum muß der Schulunterricht von Lehrern als Beamten, sozusagen von Dienern des Staates geHoss macht werden? Warum können die Lehrer nicht mehr in Richtung auf die Eltern, in Richtung auf gemeinsames Arbeiten, in Richtung auf die Kinder orientiert arbeiten? Warum müssen Leistungen von Post und Bahn im Beamtenverhältnis abgewickelt werden? Vielleicht deswegen - damit komme ich auf die Differenzierung im Beamtenbereich - , weil die kleinen Post-und Bahnbeamten sonst nicht nur eine bessere Schichtregelung, bessere Arbeitszeitregelungen, bessere tarifliche und Arbeitskonditionen hätten, sondern insgesamt höhere Verdienste in Angleichung an die freie Wirtschaft bekommen müßten, was ein besonderes Problem ist. Wenn wir GRÜNEN die Einführung von eigenständigen Beiträgen in der Beamtenversorgung fordern, die wir in ein gemeinsames System der gesetzlichen Rentenversicherungen überführen wollen, dann muß auch über die Ungleichheit in der Entlohnung gesprochen werden, die heute zwischen Beamten und den Leuten in der gewerblichen Wirtschaft besteht. Wenn ein Mechaniker oder Techniker bei der Post oder Bahn als Beamter bedeutend weniger verdient als ein gleichartig Tätiger in der gewerblichen Wirtschaft, dann ist auch das etwas, was geklärt werden muß, bevor wir von ihnen die zusätzlichen Beiträge verlangen. Das ist ein Problem, das die Gewerkschaften und das auch die Beschäftigten selbst angeht. Wer das Beamtenrecht abschaffen will, wer den Beamtenstatus abschaffen will, der muß sich auch dieser Frage stellen. ({4}) Ich meine, daß es an der Zeit ist, das zu tun, weil das, was wir gegenwärtig, in diesen Tagen, in der DDR erleben, nämlich das Abschneiden von alten Zöpfen, von uns aus nicht dadurch kommentiert werden kann, daß wir uns zurücklehnen und genüßlich darauf schauen, was drüben passiert. Vielmehr müssen wir anfangen, auch hier bei uns alte Zöpfe abzuschneiden. ({5}) Dazu gehört u. a. das Beamtenrecht, der Beamtenstatus. Das ist wiederum ein Punkt, bei dem ich mich fragen muß, warum die SPD in einen solchen Konsens hineingeht ({6}) und nicht die Frage auf diesen Punkt zuspitzt. Sie gehen weiter auf alten Wegen, und Sie sind nicht bereit, einen neuen Weg zu beschreiten. - Ich denke, daß das so gesagt werden muß. Der vorliegende Gesetzentwurf bleibt im Beamtenrecht drin. Er hat keinen Ansatz zur Zusammenführung, schafft keine Grundlage für die Zusammenführung der verschiedenen Systeme, wobei wir zugestehen wollen, daß es vielleicht längerer Zeiträume bedarf, das zu ändern. Was wir kritisieren, ist, daß es sogar an der gleichgewichtigen Übertragung der Belastungen fehlt. Sie haben ein Spargesetz bei der Rentenversicherung gemacht, konnten dann wegen des Drucks in der Bevölkerung nicht umhin, auch die Beamten unter Druck zu nehmen, und haben auch hier eine Spargeschichte gemacht. Wir müssen aber feststellen, daß bei der Rentenversicherung bis zum Jahre 2000 insgesamt 8 % eingespart werden und daß bei der Beamtenversorgung 4 % eingespart werden. ({7}) Zweiter Punkt ist, daß auch innerhalb des Beamtensystems Differenzierungen vorgenommen werden, die zuungunsten der Beamten ablaufen, die im unteren Bereich sind, und zugunsten der Beamten, die oben sind. Ich kann anführen, daß z. B. Frauen, die sich wegen der Kindererziehung für längere Zeit beurlauben lassen, durch die neuen Regelungen, durch die Linearisierung, Nachteile erfahren gegenüber denen, die im oberen Bereich sind. ({8}) - Ich kann darauf jetzt nicht eingehen. Ich meine auch, daß es im Hinblick auf die Probleme, die über die EG entstehen - da kommen ja auf das Beamtentum Forderungen zu, die in Konflikt geraten mit dem, was in Richtung der Schaffung des europäischen Binnenmarktes vor sich geht -, an der Zeit ist, Überlegungen anzustellen. Was Sie machen, ist: Sie konservieren den Bestand der Beamten, und Sie sind nicht in der Lage, mit diesem vorgelegten Entwurf Schritte zu tun, die davon wegführen. Deswegen raten wir zur Zustimmung zu unseren Anträgen ({9}) und lehnen das von der Regierungskoalition und der SPD vorgelegte Gesetzeswerk in zweiter und dritter Lesung ab. ({10})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Heistermann.

Dieter Heistermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000854, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Richter, eine Vorbemerkung: Sie haben so schnell gesprochen, daß man den Eindruck hatte, Sie, der Sie so viele Staatssekretäre und Minister in den eigenen Reihen haben, wollten darüber hinwegtäuschen, daß man denen nicht zumuten könnte, eigene Beiträge zur Rentenversicherung oder Alterssicherung zu zahlen. Aber das nur als Vorbemerkung. ({0}) Die SPD-Fraktion stimmt dem Entwurf zur Änderung des Beamtenversorgungsgesetzes und sonstiger dienst- und versorgungsrechtlicher Vorschriften zu. Die demographische Entwicklung in der Bundesrepublik hat eine Reform der Alterssicherungssysteme er13168 forderlich gemacht. Dazu müssen alle Bürger, also auch Beamte und Soldaten, einen angemessenen Beitrag leisten. Deshalb mußte für alle Beteiligten klar sein, daß Veränderungen im Beamtenversorgungsrecht auch Änderungen im Soldatenversorgungsrecht nach sich ziehen würden. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat ihre Zustimmung zur Rentenreform stets davon abhängig gemacht, daß auch die Beamten- und Soldatenversorgung mit in diese Reform einbezogen werden. Es wäre sozial unverträglich, nur einer Gruppe der Gesellschaft Belastungen aufzuerlegen. Diese Solidarität ist unverzichtbare Grundlage sozialdemokratischer Politik. Alles in allem wollen wir für die Soldaten jene Normalität, wie sie auch für andere gesellschaftliche Gruppen gilt. Deshalb möchte ich im Plenum des Deutschen Bundestages betonen, daß die Altersversorgung der Soldaten eine Sache, die unausgewogene Altersstruktur und das sogenannte Attraktivitätsprogramm der Bundeswehr eine andere Sache ist.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Penner?

Dieter Heistermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000854, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich gestatte sie.

Dr. Willfried Penner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Heistermann, Sie sprechen ja mit Recht an, daß unsere Bemühungen auch Auswirkungen auf die Soldatenversorgung haben. Ich frage Sie: Können Sie mir bei der Suche nach dem Bundesverteidigungsminister hier im Plenum behilflich sein? ({0})

Dieter Heistermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000854, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das kann ich leider nicht, Kollege Penner, aber es ist vielleicht bezeichnend, wie dieser Minister die Interessen seiner Soldaten wahrnimmt. ({0}) Ich möchte noch einmal betonen, daß das Attraktivitätsprogramm der Bundeswehr eine andere Sache ist. Hier war und bleibt eine saubere Trennung nötig. Nur dann können wir der Notwendigkeit der Reform der Alterssicherungssysteme und den Interessen der Soldaten gleichermaßen gerecht werden. Ich denke, dies wurde beachtet. Auch die Soldatenversorgung wird also unter Wahrung ihres eigenständigen Charakters und der sie prägenden Strukturelemente an die sich ändernden Rahmenbedingungen angepaßt. Wie sollte es auch anders sein? Die zentrale Botschaft dieses Gesetzes lautet: Die Soldaten gehen grundsätzlich auch weiterhin mit 75 % ihrer ruhegehaltsfähigen Bezüge in Pension. Alle Berufssoldaten leisten ihren Beitrag zur Gesamtreform auf sehr unterschiedliche Weise. Was wird nun konkret geändert? Erstens. Die allgemeine Altersgrenze für Soldaten wird auf 61 Jahre angehoben. Bei der besonderen Altersgrenze ist eine Anhebung um ein Jahr vorgesehen. Ausgenommen bleiben die Berufsunteroffiziere. Hier bleibt es bei der Altersgrenze von 53 Jahren. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage.

Dieter Heistermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000854, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, ich möchte die angekündigten drei Punkte im Zusammenhang erläutern. Danach bin ich gerne bereit, dem Kollegen Nolting eine Antwort auf seine Frage zu geben. Gleiches gilt für die Piloten der Strahlflugzeuge BO 41, die wegen der Besonderheiten ihres Dienstes von der Anhebung um ein Jahr ausgenommen sind. Zweitens. Nach der neuen Rentenformel erreichen nur Soldaten, die mit dem 60. Lebensjahr in Pension gehen, eine Dienstzeit von 40 Jahren. Dies sind Oberste und Generäle. Nur diese Soldaten können sich ihren vollen Pensionsanspruch selbst erdienen, alle übrigen nicht.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Nolting zu einer Zwischenfrage. Der Abgeordnete stimmt zu.

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Heistermann, da Sie sich schon so vollmundig für die Belange der Soldaten aussprechen und bedauern, daß der Verteidigungsminister heute nicht hier ist, frage ich Sie: Können Sie mir dann einmal sagen, warum keine Verteidigungspolitiker der SPD-Fraktion anwesend sind? ({0})

Dieter Heistermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000854, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Nolting, ich darf Ihnen zunächst einmal sagen, daß ich dem Verteidigungsausschuß angehöre. Dann darf ich Ihnen den Kollegen Leonhart und all die stellvertretenden Mitglieder der SPD im Verteidigungsausschuß, die hier anwesend sind, nennen. An Ihrer Stelle würde ich einmal gucken, wie viele Verteidigungspolitiker von der CDU, Ihrem Koalitionspartner, hier anwesend sind. Dann werden Sie feststellen, daß kein einziger hier ist. Vielleicht dient das der Aufklärung. ({0}) Für die Soldaten, die ihre volle Pension auf Grund der besonderen Altersgrenze nicht selbst erdienen können, leistet der Staat sogenannte Erhöhungszuschläge. Die Höhe der Zuschläge hängt davon ab, wie viele Dienstjahre der einzelne Soldat tatsächlich geleistet hat. Sie stellen aber sicher, daß jeder Soldat, der ausscheidet, den Höchstsatz von 75 % erreicht. Die Zuverdienstregelung ist der am häufigsten kritisierte Punkt, denn bisher konnten Pensionäre außerhalb des öffentlichen Dienstes unbegrenzt hinzuverdienen. Dies wird künftig eingeschränkt. Jeder Pensionär kann nach dem 1. Januar 1992 ohne Abzüge so viel hinzuverdienen, daß er einschließlich seines Ruhegehaltes bis zu 120 % seiner ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge erreicht. Überschreiten die Gesamtbezüge, Ruhegehalt und Erwerbseinkommen, diese 120 %, so werden von dem Gesamtverdienst nicht erdiente Zuschläge, z. B. der sogenannte Erhöhungszuschlag, abgezogen. Ich komme zum Schluß: Die gefundenen Lösungen sind natürlich, wie nicht anders zu erwarten, Kompromisse. Sie helfen aber mit, eine adäquate Kostensenkung der Versorgungshaushalte zu bewirken. Dies war - neben anderen - eine der Aufgaben, die zu erfüllen war. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Bundesminister des Innern.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Federführend für diesen Gesetzentwurf ist der Bundesminister des Innern. ({0}) Und die Soldaten der Bundeswehr wissen, daß sie sich im Zusammenhang mit diesem Gesetz nicht nur auf den Verteidigungsminister, auf die antragstellenden Fraktionen, sondern auch auf den Bundesminister des Innern verlassen können. ({1}) Die zweite Bemerkung, die ich gern machen möchte, ist: Herr Kollege Hoss, Sie haben den makabren Geschmack aufgebracht, das, was sich in der DDR vollzieht, in einen Zusammenhang mit der Reform der Beamtenversorgung zu bringen. Dies kann hier nun wirklich nicht unwidersprochen stehenbleiben. ({2}) Ich sage Ihnen: Diejenigen, die jetzt zu uns kommen, sind froh, daß es hier einen öffentlichen Dienst gibt, der dem Rechtsstaat, dem freiheitlichen Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland verpflichtet ist. ({3}) Ich sage Ihnen weiter - wir haben vor etwa zwei Stunden hier darüber gesprochen -, daß unsere Beamten im Bundesgrenzschutz, bei der Bundeswehr und in vielen anderen Verwaltungen gerade auch in der Fürsorge für die Übersiedler, die zu uns kommen, Vorbildliches leisten, mit einem Einsatz rund um die Uhr. ({4}) Gerade sie unterstreichen die Notwendigkeit eines funktionsfähigen Berufsbeamtentums. Ich finde ziemlich empörend, daß Sie hier einen solchen Zusammenhang herstellen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hoss?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Nein, ich möchte nicht, vielen Dank. ({0}) Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich würde gern noch wenige Bemerkungen zu dem Gesetzentwurf machen: Ich bin besonders dankbar, daß es in den Beratungen gelungen ist, für die Beamten mit besonderen Altersgrenzen, für die Polizeibeamten und die Feuerwehr, eine Regelung zu finden, die sicherstellt, daß alle Beamten mit einem normalen Laufbahnverlauf den Höchstruhegehaltssatz erreichen können. Ich möchte dies noch einmal ausdrücklich unterstreichen und mich bei den Fraktionen der Koalition und der SPD dafür bedanken. Es war ja kein leichtes Unternehmen, eine Reform der Beamtenversorgung parallel zu einer Reform der Rente vorzunehmen - und dies mit dem Ziel, eine adäquate Einsparung zu erreichen. Dabei ist völlig klar, daß wir die langfristige Sicherung aller unserer Alterssicherungssysteme angesichts der Veränderung des Altersaufbaus unserer Bevölkerung gewährleisten müssen. Aber wie schwierig diese Parallelität angesichts der großen Unterschiedlichkeit der Systeme war, das haben wir in diesen Wochen und Monaten miteinander erlebt. Ich mache diese Bemerkung deswegen, weil ich mich bei den Fraktionen von CDU/CSU, FDP und SPD bedanken möchte, daß es in intensiven Gesprächen möglich war, eine Lösung zu erreichen, die, denke ich, den Belangen unseres Berufsbeamtentums Rechnung trägt und die zu adäquaten Einsparungen führt, ohne auf der anderen Seite einer ungerechtfertigten Neiddiskussion Raum zu geben. Ich möchte mich am Schluß der Beratungen bei allen Beteiligten dafür ausdrücklich herzlich bedanken. Ich glaube, das war im Interesse der Funktionsfähigkeit unseres öffentlichen Dienstes. Wir haben - und auch die Bemerkung möchte ich machen - bei der Anrechnung von Kindererziehungszeiten eine befriedigende Regelung nicht erreichen können. ({1}) Ich glaube, darüber sind wir uns alle einig. Das Problem war im Grunde: Was vergleichen wir, was ist der Vergleichsgegenstand? Vergleichen wir Beamte, die Kindererziehungszeiten in Anspruch nehmen, mit solchen, die keine Kindererziehungszeiten in Anspruch nehmen? Oder vergleichen wir Beamte, die Kindererziehungszeiten in Anspruch nehmen, mit solchen, die außerhalb der Beamtenversorgung Kindererziehungszeiten in Anspruch nehmen? In diesem Dilemma haben wir eine vollständig befriedigende Regelung - das wollen wir offen sagen - nicht erreicht. Und ich denke, es sollte auch nach Verabschiedung des Gesetzes unserer gemeinsamen Anstrengungen wert sein, bessere Lösungen für die Vereinbarkeit der Tätigkeit in der Familie und im Beruf für die Zukunft zu finden. Ich möchte dies an dieser Stelle ausdrücklich sagen. ({2}) Ich möchte gerne, Herr Präsident, meine Damen und Herren, noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen, daß durch die Übergangsregelungen für dieses Gesetz sichergestellt ist, daß alle Versorgungsempfänger von den Neuregelungen überhaupt nicht betroffen sind. Alle, die beim Inkrafttreten des Gesetzes Beamte sind und vor dem 1. Januar 2002 die für sie maßgebliche gesetzliche Altersgrenze erreichen, werden ebenfalls von den Neuregelungen dieses Gesetzes überhaupt nicht betroffen. Im übrigen wird für alle im Dienst befindlichen Beamten der Ruhegehaltssatz, den sie bei Inkraftsetzen des Gesetzes individuell erreicht haben, auch für die Zukunft erhalten bleiben. Auch dies ist wichtig, damit hier keine Verunsicherung geschaffen wird und damit jeder weiß, ob er überhaupt von den Neuregelungen - und inwieweit allenfalls - betroffen sein kann. Ich füge hinzu, daß wir im Laufe der Beratungen in diesem Hohen Hause auch für das Inkrafttreten des Versorgungsabschlages eine Regelung gefunden haben, die durch eine stufenweise Einführung ebenfalls Linderungen schafft. Alles in allem, Herr Präsident, meine Damen und Herren, denke ich, daß wir eine Regelung gefunden haben, mit der die Altersversorgung der Beamten auch in Zukunft den Anforderungen, die wir an unsere Beamten stellen müssen, gerecht wird, und daß wir auf der anderen Seite das notwendige Einsparvolumen erreicht haben, um das Altersversorgungssystem angesichts der Veränderungen im Altersaufbau unserer Bevölkerung auch für die Zukunft finanzierbar zu halten und um auch die Adäquanz zu dem, was wir in der Rentenreform heute in diesem Hause diskutieren und im Anschluß daran verabschieden werden, zu erreichen. Ich bedanke mich noch einmal bei allen, die an diesem, wie ich glaube, insgesamt guten Ergebnis mitgewirkt haben. ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter Gerster ({0}) - er war eben noch hier - , den Ausdruck „Dummschwätzer", den Sie auf einen Abgeordneten bezogen, verwendet haben, möchte ich als unparlamentarisch zurückweisen. Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen des Tagesordnungspunktes 7. ({1}) - Bitte, darf ich fragen, was Sie von mir möchten? ({2}) - Frau Unruh, hier ist keine Wortmeldung eingegangen. - Es ist sicher richtig, daß Sie ein Recht auf Ihre Redezeit haben. Das werde ich Ihnen nicht bestreiten. Ich kann nur feststellen: mir hat keine Wortmeldung vorgelegen. Ich gebe Ihnen fünf Minuten Redezeit. Es wäre mir lieber gewesen, wenn Sie sich vorher gemeldet hätten; dann hätte man das ordnungsgemäß einordnen können. Aber das war jetzt nicht der Fall. Die Abgeordneten haben das Recht sich zu Wort zu melden. Dafür gibt es - wie Sie wissen - ein ordentliches Verfahren. ({3}) Aber bitte schön, Frau Kollegin. Sie haben für fünf Minuten das Wort.

Gertrud Unruh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002358, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Verzeihen Sie bitte, ich habe meine Redezeit vorgestern beantragt, und mir sind für vorhin zehn Minuten, für jetzt fünf und für nachher drei Minuten zugesagt worden. Meine Redezeit ist sogar auf der Tafel ausgewiesen worden. Also, mich trifft keine Schuld. Ich wollte mich hier nicht vordrängen. Ich bitte, dies nun auch nicht auf meine Redezeit anzurechnen. Das finde ich nämlich auch nicht gut. ({0}) Verehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Volksvertreter und Volksvertreterinnen! Ich habe grundsätzlich nichts dagegen, wenn auch kleine Beamte 3 500 DM Pension bekommen; damit wir uns einmal über eine Richtschnur mit Auswirkung klar werden. Aber dies bitte auch mit eigener Einzahlung. ({1}) Ich habe die Rentenhöhen studiert: Ich finde keinen Rentnermann, der 45 Jahre treu und brav gearbeitet hat, der dann auch 3 500 DM Rente erreichen könnte. Sie haben versäumt, ins Kalkül zu ziehen, daß man z. B. bei den Rentnern die 25 besten Verdienstjahre als Grundlage für die Rentenberechnung hätte nehmen können. Was Sie als „dummes Geschwätz" bezeichnen, sieht die Bevölkerung draußen natürlich ganz anders. ({2}) Sie werden überhaupt nicht umhinkommen, die Beamten zu veranlassen, ihren eigenen Solidarbeitrag wie die Rentner zu bezahlen. Die Rentner berenten sich selbst. Dasselbe könnte man von den Beamten auch verlangen. Da denken die kleinen Beamten ganz anders als Sie. Nur um Pensionen über 3 500 DM geht es. Vorsorglich, weil die Obersten die 40 Jahre Dienstzeit nicht erreichen könnten, würde für die höheren Chargen zusätzlich eine Mindestpension von 3 000 DM verabschiedet. Wissen Sie denn, daß die Mindestpension der Beamten von 1 670 DM überhaupt nur 60 % der Rentner erreichen? Was wagen Sie als Volksvertreter, überhaupt vorzuschlagen? ({3}) Wissen Sie überhaupt, daß jährlich 120 000 Arbeiter und Angestellte im wesentlichen in Verfahren wegen Berufskrankheiten vor den Sozialgerichten abgewiesen werden? Auch sie haben nicht die Möglichkeit der Beamten, als arbeitsunfähig, berufsunfähig, oder erwerbsunfähig ihre Familien im gehabten „Besitzstand" zu ernähren. Es fiel das Wort „Betriebsrente à la öffentlicher Dienst". Es wäre wunderbar, wenn wir das erreichen würden. Genau das wollen wir: eine Zusatzrente à la öffentlicher Dienst, obendrauf. Jetzt kommt ein Punkt, den ich vorhin schon einmal angesprochen habe: Sie können diese zusätzliche Säule für alle mit 2 mal 100 DM im Monat erreichen. Sie, Sie christliche Grundwertemänner, sind so phantasielos, daß Sie die einen unkündbar halten und andere ständig kündbar stellen. Im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung mußte ich gestern hören, daß 46 % aller Beschäftigungsverhältnisse nur ein Jahr dauern. Überlegen Sie sich einmal, was Sie für ein Gewissen mit sich herumtragen müssen! Wenn Gerechtigkeit erforderlich ist, dann hätten Sie bei der Reform eigentlich etwas anderes tun müssen. ({4}) Von 1984 bis 1992 - meine Herren, jetzt hören Sie mir doch einmal zu; Sie sind doch der Sprecher für die Schwerbehinderten! ({5}) werden 20 Milliarden DM eingespart. ({6}) - Das wissen Sie nicht? Weil Sie es nie, nie haben zur Kenntnis nehmen wollen. Bei den Rentnern werden in der Niveauabgleichung 20 Milliarden DM eingespart. Sie reden vom Neidkomplex. Schämen Sie sich als Volksvertreter eigentlich nicht? Ich erwarte von Ihnen, daß dieser Neid aus unserem Volk einfach weg muß. ({7}) - Was soll das denn? Mit Ihren Privilegien? Wer hätte die denn nicht gern? Womit haben Sie sie sich denn verdient? ({8}) Nur weil jemand oberster Beamter geworden ist, nur weil Sie Abgeordneter geworden sind? ({9}) Nein, so kann man doch nicht für eine Beruhigung nach draußen plädieren. ({10}) Sie sind doch schuld, daß letztlich die Republikaner diesen Stellenwert bei der Polizei usw. bekommen. Warum denn eigentlich!?

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Kollegin, ich sehe mich gezwungen, die Unruh jetzt zu beenden. ({0})

Gertrud Unruh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002358, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Ja, ist ja gut. Da steht schon null und minus.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Kollegin, sehen Sie bitte einmal rechts auf die Lampe.

Gertrud Unruh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002358, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Ja, ich weiß das. Seien Sie bei Ihren Genossen auch einmal so! ({0}) Ich füge mich, es ist alles klar. Aber Sie haben noch den Genuß von drei Minuten, die ich hiermit anmelde. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich schließe die Aussprache. Die Abstimmungen zu den Tagesordnungspunkten 7 a und 7 b werden zusammen mit den Abstimmungen zu den Tagesordnungspunkten 6 und 8 am Ende der Beratung des Tagesordnungspunkts 8 vorgenommen. Darauf hatten wir uns geeinigt. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 8 auf: a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes - Drucksache 11/5303 - aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({0}) - Drucksache 11/5498 -Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Rüttgers Wiefelspütz bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 11/5500 Berichterstatter: Abgeordnete Borchert Frau Seiler-Albring Esters Frau Vennegerts ({2}) b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Elften Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes, eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes und eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes - Drucksache 11/5408; Artikel 4 aus Drucksachen 11/5136, 11/5372 - Vizepräsident Westphal aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({3}) - Drucksache 11/5499 - Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Rüttgers Wiefelspütz bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 11/5501 Berichterstatter: Abgeordnete Borchert Frau Seiler-Albring Esters Frau Vennegerts ({5}) c) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({6}) zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP Zur Änderung des Abgeordnetengesetzes zu dem Antrag des Abgeordneten Häfner und der Fraktion DIE GRÜNEN Zur Änderung des Abgeordnetengesetzes: Altersversorgung der Abgeordneten des Deutschen Bundestages zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Unruh und der Fraktion DIE GRÜNEN Sterbegeld für Abgeordnete zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Unruh, Frau Trenz und der Fraktion DIE GRÜNEN Anrechnung der Rente auf die Altersentschädigung für Mitglieder des Deutschen Bundestages - Drucksachen 11/5304, 11/5338, 11/3109, 11/1597, 11/5499 Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Rüttgers Wiefelspütz Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für eine gemeinsame Beratung dieser Punkte 45 Minuten vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Rüttgers.

Dr. Jürgen Rüttgers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001899, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 6. Oktober habe ich an dieser Stelle hervorgehoben, daß wir uns mit den vorgelegten Gesetzentwürfen der Diskussion in der Öffentlichkeit - ich meine: selbstbewußt - werden stellen können. Ich glaube, das hat sich in den letzten Wochen bestätigt. Wir haben eine Strukturreform der Abgeordnetenversorgung vorgelegt, mit der wir erstens die Kosten senken, mit der wir zweitens die Konsequenzen aus der Rentenreform, der Gesundheitsreform und aus der Reform der Beamtenversorgung ziehen und mit der wir drittens für eine Überprüfung des jetzigen Versorgungssystems eintreten. Dieses Parlament hat notwendige und schwierige Hausaufgaben erledigt. Die Strukturreform der Abgeordnetenversorgung ist durch folgende Neuregelungen gekennzeichnet: Ein Anspruch auf Altersentschädigung wird erst nach einer Mitgliedschaft von acht Jahren erworben. Die Steigerungsrate der Altersversorgung wird um 1 % gesenkt. Abgeordnete erreichen die Höchstversorgung künftig erst nach 18 Jahren. Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung werden angerechnet. Das Sterbegeld für Abgeordnete wird ersatzlos gestrichen. Das gilt auch für Bundesminister und Parlamentarische Staatssekretäre. Aus dieser Grundsatzentscheidung folgt, daß im Todesfall eines Abgeordneten kein Zuschuß zu Aufwendungen für Bestattungskosten geleistet wird. Gleiches gilt für die Bundesminister und die Parlamentarischen Staatssekretäre. Entscheidend kommt es darauf an, daß die Hinterbliebenen eines Abgeordneten die Verpflichtungen aus seiner Tätigkeit im Bundestag abwickeln können. Dafür wird es ein abgestuftes Überbrückungsgeld für Hinterbliebene geben. - Wir regen bei der Präsidentin des Deutschen Bundestages an, zu einer Überprüfung der für die Mitglieder des Deutschen Bundestages bestehenden materiellen Regelungen und Bestimmungen den Rat unabhängiger, fachkundiger und erfahrener Persönlichkeiten aus allen gesellschaftlichen Gruppen einzuholen. Diesen Antrag haben wir am 6. Oktober als zweiten Teil des gemeinsamen Antrags von CDU/ CSU, SPD und FDP zur Änderung des Abgeordnetengesetzes behandelt. Naturgemäß konnte er nicht Gegenstand des Gesetzgebungsverfahrens werden. Ich meine jedoch, er ist nicht weniger wichtig als die eigentlichen Gesetzesänderungen. Wir eröffnen damit nämlich der Präsidentin dieses Hauses die Möglichkeit, Fachwissen und Sachverstand aus allen gesellschaftlichen Gruppierungen zur Klärung schwieriger Fragen zu gewinnen. ({0}) Wir alle gehen davon aus - das ist fast schon Bestandteil eines jeden Vortrags, der hier einer Besuchergruppe gehalten wird - , daß Parlamentarier aus allen gesellschaftlichen Bereichen kommen sollen. Denn wenn sich das gesellschaftliche Spektrum der Abgeordneten immer weiter verengt, müßte die den Abgeordneten auferlegte Vertretung des ganzen Volkes immer mehr zu einer grundgesetzlichen Fiktion werden. Jeder von uns weiß, daß sich schon heute die Frage stellt, ob jede Mitbürgerin, ob jeder Mitbürger ein Bundestagsmandat überhaupt annehmen kann. Nach den Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts ist Bundestagsabgeordneter ein Beruf, sogar eine Vollzeitbeschäftigung. Allerdings hat das Gericht nicht von einem lebenslangen Abgeordneten gesprochen. Ich glaube nicht, daß unser Problem im Rahmen dieser Regelungsmaterie die Höhe der Diäten ist. Unser Problem ist, wieweit unter den heute gegebenen Umständen ein Wechsel vom Beruf in den Bundestag und vor allem vom Bundestag zurück in den Beruf überhaupt noch möglich ist. Ich will hier heute nicht länger über den Unterschied zwischen Beruf und Berufung philosophieren. Jedenfals muß nach meiner Ansicht die Abgeordnetentätigkeit eine Aufgabe sein, die den Vertretern aller Berufsgruppen und aller gesellschaftlichen Gruppierungen nicht nur theoretisch offensteht. In erster Linie scheint mir klärungsbedürftig zu sein, welche Regelungen erforderlich sind, um für den Deutschen Bundestag qualifizierte Abgeordnete zu gewinnen. Die Frage darf also nicht dahin gehen, wie derjenige, der dem Bundestag angehört, angesichts der bekannten problematischen Auswirkungen des Mandats auf den Beruf wirtschaftlich in seiner Existenz gesichert werden kann. Kernproblem ist vielmehr, welche Regelungen erforderlich sind, damit der Wechsel aus dem Beruf in das Mandat und zurück diese wirtschaftlichen Probleme erst gar nicht aufwerfen kann. Wir haben uns die Entscheidungen hinsichtlich der jetzt konkret vorgelegten Änderungsentwürfe mit ihren einschneidenden Änderungen nicht leichtgemacht. Dies ergeben auch die Beratungen des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, für den ich hier als Berichterstatter mit spreche. Sie ersehen schon aus der Zusammenstellung im Bericht des Ausschusses, daß die dort vorgelegten Gesetzentwürfe noch einmal gründlich geprüft worden sind. Der Ausschuß schlägt Ihnen die Annahme der Gesetzentwürfe vor. Ebenfalls befürwortet er die Annahme der Ziffer II des Antrags der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP vom 3. Oktober 1989 zur Änderung des Abgeordnetengesetzes. Ich glaube, die Vorschläge werden sich in der Zukunft bewähren. Sie belegen - das ist sehr, sehr wichtig - , daß die Abgeordneten die Konsequenzen aus den gesellschaftlichen Entwicklungen auch für sich persönlich ziehen, und zugleich sind sie ein Beweis für unsere Fähigkeit, sich den Herausforderungen zu stellen. Meine Damen und Herren, wir machen die richtigen und notwendigen Gesetze eben nicht nur, wenn sie von der Bundesregierung vorformuliert werden. Es geht auch umgekehrt. Vielen Dank. ({1})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wiefelspütz.

Dr. Dieter Wiefelspütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002506, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei dem Gegenstand dieser Debatte dürfen wir des besonderen öffentlichen Interesses sicher sein. ({0}) Wir wollen am Ende dieser Debatte die Versorgung der Bundestagsabgeordneten ändern und gleichzeitig auf der Grundlage der Empfehlung der Präsidentin die monatliche Entschädigung und die Kostenpauschale der Abgeordneten um 2,3 % anheben. Wir reden und beschließen heute nachmittag in eigener Sache. Daß die Abgeordneten ihre Einkünfte und ihre Rente selber regeln, löst in der Öffentlichkeit immer wieder Befremden aus. ({1}) Wer kann sich schließlich sein Gehalt, seine Spesen und seine Rente selber bewilligen? Indes wird häufig übersehen: Wenn es uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, gelänge, diese Aufgabe auf verfassungsmäßige Weise auf andere zu übertragen, so mancher von uns, quer durch alle Fraktionen, wäre erleichtert. ({2}) Wer immer kritisiert, daß die Mitglieder des Bundestages in eigener Sache entscheiden, dem kann ein Blick in unser Grundgesetz vielleicht helfen. Dort steht in Art. 48 Abs. 3 Satz 1: Die Abgeordneten haben Anspruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung. Satz 3 dieser Vorschrift lautet: Das Nähere regelt ein Bundesgesetz. Das heißt im Klartext: Der Bundestag muß in eigener Sache, und zwar durch Gesetz, entscheiden. Das Grundgesetz verbietet es, die verbindliche Entscheidung über die Entschädigung der Abgeordneten aus dem Bundestag heraus zu verlagern. Man kann mir entgegenhalten: Bei allem Respekt vor der Verfassung, die Verfassung kann man doch ändern. Das will zwar niemand in diesem Punkte, aber es wäre immerhin möglich. Wen sollten wir mit der Regelung des Einkommens der Abgeordneten beauftragen? So oft ich diese Frage Kritikern gestellt habe, eine auch nur halbwegs überzeugende Antwort habe ich nie erhalten. Ein Zustand wird beklagt, allein wo ist die Lösung des Problems? Gibt es denn vielleicht, alle Kritik erwägend und von kleineren Verbesserungsmöglichkeiten absehend, von denen noch die Rede sein wird, kein besseres Verfahren, das in der Praxis überzeugender wäre, als das gegenwärtige? Vielleicht ist das für den einen oder anderen eine erstaunliche Frage. Ist es nicht, so frage ich, geradezu eine List der Vernunft, daß wir in eigener Sache entscheiden müssen? Was immer wir im Plenarsaal des Deutschen Bundestages tun, wir tun es öffentlich. Die Entschädigung für Abgeordnete und die versorgungsrechtlichen Regelungen für Abgeordnete sind nicht unsere Privatsache, sondern eine öffentliche Sache. Öffentliche Anteilnahme, Kritik und Kontrolle sind dem Bundestag nicht lästig, sondern erwünscht. Ich wünsche mir vor allem, daß sich möglichst viele Bürgerinnen und Bürger - allerdings auf der Grundlage zutreffender Sachinformationen - eine Meinung darüber bilden, ob Abgeordnete des Bundestages ein angemessenes Einkommen, eine angemessene Altersversorgung erhalten. Meine Erfahrung ist: Wenn die Bürgerinnen und Bürger offen, freimütig, den Schleier falschverstandener Diskretion meidend, über die Einkünfte und Versorgung der Abgeordneten informiert werden, ist die Zustimmung zu den Regelungen des Abgeordnetengesetzes größer, als viele vermuten. ({3}) Gültig, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind nach wie vor die überzeugenden Sätze aus einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juni 1975 ({4}): In einer parlamentarischen Demokratie läßt es sich nicht vermeiden, daß das Parlament in eigener Sache entscheidet, wenn es um die Festsetzung der Höhe und um die nähere Ausgestaltung der mit dem Abgeordnetenstatus verbundenen finanziellen Regelungen geht. Gerade in einem solchen Fall verlangt das demokratische und rechtsstaatliche Prinzip, daß der gesamte Willensbildungsprozeß für den Bürger durchschaubar ist und das Ergebnis vor den Augen der Öffentlichkeit beschlossen wird. Denn das ist die einzig wirksame Kontrolle. Die parlamentarische Demokratie basiert auf dem Vertrauen des Volkes; Vertrauen ohne Transparenz, die erlaubt zu verfolgen, was politisch geschieht, ist nicht möglich. Die List der Vernunft, in eigener Sache entscheiden zu müssen, hat maßgeblich dazu beigetragen, wie ich glaube, daß der Bundestag über Entschädigung und Versorgung von Abgeordneten bislang maßvoll entschieden hat. Das Abgeordnetengesetz für die Mitglieder des Bundestages stammt aus dem Jahre 1977. Seit dieser Zeit hat dieses Haus die Renten um 66 erhöht. Die Tariflöhne von 1977 bis 1988 sind um durchschnittlich 54 % gestiegen. Den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, den Rentnerinnen und Rentnern stehen selbstverständlich jeder Prozentpunkt und jede Mark Lohn- oder Rentenerhöhung zu. Die Abgeordneten des Bundestages haben seit 1977 ihre Bezüge um 20 % erhöht. Dies beweist, daß der Bundestag in eigener Sache auf dem Teppich geblieben ist, Augenmaß bewiesen hat. Wenn wir heute die Entschädigung und die Kostenpauschale um 2,3 % erhöhen, dann ist das angesichts der tariflichen Entwicklungen dieses Jahres ebenfalls maßvoll. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Präsidentin des Deutschen Bundestages erstattet gemäß § 30 des Abgeordnetengesetzes dem Bundestag jährlich bis zum 31. Mai einen Bericht über die Angemessenheit der Entschädigung der Abgeordneten und legt zugleich einen Vorschlag zur Anpassung der Entschädigung vor. Der Bericht der Präsidentin vom 1. Juni 1989 enthält den Hinweis, daß die Fraktionen prüfen wollen, ob sich auch Änderungen im Recht der Abgeordneten auf Grund der vergleichbaren Veränderungen im Rahmen der Gesundheitsreform und der Rentenreform und der daraufhin noch vorzunehmenden Änderungen der entsprechenden Regelungen für Beamte ergeben. Das Rentenreformgesetz, über das heute so intensiv geredet wurde, mutet allen Betroffenen Opfer zu, damit die Renten auf Dauer sicher bleiben. Auch die Änderung der Beamtenversorgung wird von den Betroffenen als schmerzhaft empfunden. Für die SPD-Bundestagsfraktion stand von Anfang an fest: Wenn Opfer zugemutet werden, dann, bitte schön, muß das sozial ausgewogen geschehen, und allen - ich betone: allen - sind Opfer zuzumuten, selbstverständlich auch den Mitgliedern des Bundestages. Alles andere würde das Ansehen dieses Hauses nachhaltig beschädigen. Folgende Änderungen des Abgeordnetengesetzes wollen wir beschließen: Altersentschädigung erst nach einer Mitgliedschaft von acht Jahren, Absenkung der Steigerungsrate um 1 %, Erreichen der Höchstversorgung nach 18 Jahren, kein Zuschuß zu Aufwendungen im Todesfall für Bestattungskosten für Abgeordnete, abgestuftes Überbrückungsgeld für Hinterbliebene eines verstorbenen Abgeordneten in Anlehnung an tarifrechtliche Regelungen, Anrechnung von Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Ich füge hinzu: Die Anrechnung von Versorgungsbezügen von Beamten, Ministern, Parlamentarischen Staatssekretären erfolgt schon jetzt nach geltendem Recht. Es hat zu den hier vorgestellten Änderungen des Abgeordnetengesetzes unterschiedliche Meinungen in der Öffentlichkeit und kontroverse Diskussionen in den Fraktionen dieses Hauses gegeben. Kritisiert wurde und wird vor allem, daß in Zukunft die Höchstversorgung nicht nach 16 Jahren, sondern erst nach 18 Jahren erreicht wird. ({5}) Hier ist uns vorgeworfen worden, die Änderung begünstige die, so wörtlich, „Sesselkleberei" von Abgeordneten. ({6}) Diese Kritik ist nur vordergründig beachtlich. Sie hält einer praktischen Prüfung nicht stand. Nur eine Minderheit von Abgeordneten ist 16, 17, 18 Jahre oder länger Mitglied des Bundestages. Dies wird auch so bleiben. Im Regelfall ist ein Abgeordneter drei Legislaturperioden lang Mitglied des Bundestages, exakt für einen Zeitraum von 11,5 Jahren. Das ist der Durchschnittswert. Es geht bei uns menschlich zu. Wie sollte das anders sein? Sicher würde mancher von uns gerne länger als zwölf Jahre Abgeordneter sein. Auf unsere Wünsche kommt es aber nicht an. ({7}) Über unsere Kandidatur entscheiden die Parteien. Ob wir Abgeordnete werden, entscheiden ausschließlich die Wählerinnen und Wähler. Unser Arbeitsplatz wird alle vier Jahre neu ausgeschrieben - mit ungewissem Ausgang. ({8}) Ein weiteres Stichwort: Sterbegeld für Abgeordnete, für die Öffentlichkeit, aber auch für viele von uns ein Reizwort. Zukünftig gibt es kein Sterbegeld für Abgeordnete. Die neu eingeführten Überbrückungsgelder sind gegenüber der Sterbegeldregelung um 50 % bzw. 25 % gekürzt worden. Durch eine mißverständliche Formulierung in § 24 des Abgeordnetengesetzes und durch eine fehlerhafte Information der Öffentlichkeit ist der falsche, ich betone: der falsche Eindruck entstanden, der Bundestag habe durch das mit Mehrheit verabschiedete Gesundheits-Reformgesetz das Sterbegeld für alle Krankenversicherten gekürzt, die Sterbegeldregelung der Abgeordneten aber unberührt gelassen. Wenn das so wäre, wäre es in der Tat ein Skandal. Tatsache aber ist: Soweit Abgeordnete krankenversichert sind, gilt selbstverständlich die Sterbegeldkürzung des Gesundheits-Reformgesetzes auch für sie. Aus der Beihilfe, auf die die meisten Abgeordneten Anspruch haben, haben die Angehörigen von verstorbenen Abgeordneten noch nie Sterbegeld erhalten, weil stets die Einkommensgrenze für die Gewährung der Leistungen überschritten wurde. ({9}) Mißverständlicherweise heißt im Abgeordnetengesetz eine Leistung „Sterbegeld", die mit dem Sterbegeld, das von der Krankenkasse gezahlt wird, nichts, aber auch gar nichts zu tun hat. ({10}) Das Sterbegeld des Abgeordnetengesetzes ist nichts anderes als das Überbrückungsgeld, das es, in unterschiedlicher Ausgestaltung, in nahezu 90 % aller tarifvertraglich geregelten Beschäftigungsverhältnisse gibt. ({11}) Auch im Beamtenrecht gibt es eine entsprechende Regelung. Man könnte, liebe Kolleginnen und Kollegen, ins Grübeln kommen, wenn man daran denkt, was eine mißverständliche Gesetzesüberschrift anrichten kann. ({12}) Ich denke, mit den Änderungen des Abgeordnetengesetzes erfüllen wir den Auftrag, den wir an uns selbst gerichtet haben. Durch die Absenkung der Steigerungsrate um 1 % wird ein Abgeordneter, der nach drei Legislaturperioden aus dem Bundestag ausscheidet - ich betone nochmals: das ist der typische Regelfall -, eine um 7,3 % gekürzte Altersentschädigung erhalten. Diese Kürzung, denke ich, kann sich sehen lassen. In Zukunft wird es eine Altersentschädigung für Abgeordnete erst dann geben, wenn sie acht Jahre lang Mitglied des Bundestages waren. Bislang genügten sechs Jahre. Es ist uns entgegengehalten worden, dies benachteilige besonders Abgeordnete der GRÜNEN. Dieser Vorwurf ist unbegründet. Wer am Ende dieser Legislaturperiode, also im Dezember 1990, sechs Jahre lang Mitglied des Bundestages sein wird, erhält aus Gründen des Vertrauensschutzes vom 65. Lebensjahr an ebenfalls die Altersentschädigung nach dem Abgeordnetengesetz. Unsere Bemühungen um Transparenz der Meinungs- und Entscheidungsbildung wollen wir weiter fördern, indem wir die Präsidentin des Deutschen Bundestages bitten, den Rat unabhängiger Sachverständiger bei künftigen Regelungen für Abgeordnete einzuholen. ({13}) Wir versprechen uns davon einen Beitrag zur Versachlichung der öffentlichen Diskussion und der Diskussion im Deutschen Bundestag. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({14})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoyer.

Dr. Werner Hoyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000967, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich bei meinen beiden Vorrednern, insbesondere bei Ihnen, Herr Kollege Wiefelspütz, für die sehr fundierte Sachdarstellung und -aufklärung ausdrücklich bedanken. ({0}) Das wird uns einige Minuten meiner Rede ersparen. Ich stimme dem, was Sie gesagt haben, voll zu. ({1}) Wenn es nach der Auffassung oder nach den Anträgen der GRÜNEN, die ich hier gelesen habe, ginge, dann dürfte es bei dieser Debatte nur darum gehen, das nachzuvollziehen, was wir vorhin im Zusammenhang mit der Rentenreform und gerade eben im Zusammenhang mit der Beamtenversorgung beraten haben und nachher beschließen werden. Nur ginge dies an der Wirklichkeit und an der Rechtslage weit vorbei. Denn die Rechtslage besagt, daß der Abgeordnete kein Beamter oder Angestellter des öffentlichen Dienstes ist. ({2}) Der Abgeordnete ist ein Träger des freien Mandats und Vertreter des ganzen Volkes und als solcher Inhaber eines öffentlichen Amtes. Deswegen ist die Abgeordnetenentschädigung auch kein Beamtengehalt oder Arbeitslohn, und seine Alterssicherung ist ebensowenig eine Rentenversicherung wie eine Beamtenversorgung. Mitglieder des Bundestages haben - Herr Wiefelspütz hat es ausführlich dargestellt - keinen Arbeitsvertrag mit dem Deutschen Bundestag. Insbesondere sind sie nicht auf Lebenszeit berufen. Deswegen muß unsere Entschädigung auch anders strukturiert sein als Löhne oder Gehälter für Arbeitnehmer oder Bezüge für Beamte. Deswegen sieht auch unsere Alterssicherung anders aus als die Rentenversicherung oder die Beamtenversorgung. Ich bin sogar der Ansicht, meine Damen und Herren, schon die bisherige Rechtslage wird diesem von mir grob skizzierten Unterschied nur sehr bedingt gerecht. Wir haben uns in der Vergangenheit wahrscheinlich doch schon zu sehr auf die Schiene der Analogie zum öffentlichen Dienstrecht ziehen lassen. Wahrscheinlich sind dadurch falsche Weichenstellungen vorgenommen worden. Das ist vergossene Milch. Darüber müssen wir uns aber heute auseinandersetzen. Ich bin froh, daß es gelungen ist, die freiwillige Pflichtversicherung auf Antrag von der Rentenanrechnung auszunehmen. Das ist ausgesprochen sachgerecht. Hier ist im letzten Moment, wie ich denke, ein systematischer Fehler herausgenommen worden. Zu den Aufwendungen im Todesfall und den Bestattungskosten ist das Notwendige gesagt worden. Ich schenke mir eine Wiederholung. Ich möchte noch darauf hinweisen, daß wir die entsprechende Regelung für die Hinterbliebenen von Bundesministern und Parlamentarischen Staatssekretären jetzt in den Gesetzestext eingebaut haben. Allerdings, meine Damen und Herren: Da wir nichts Besseres, sondern etwas anderes als Beamte oder Angestellte des öffentlichen Dienstes sind, müssen wir auch in die wirtschaftliche Entwicklung unserer Gesellschaft eingebettet sein. Deswegen beschließen wir zugleich über die Änderung, d. h. Anhebung der Grundentschädigung und der Kostenpauschale. Ich will das, was in dem Bericht der Präsidentin vom 1. Juni und in der Debatte gesagt wurde, nicht wiederholen. Der Vorschlag der Präsidentin ist im Vergleich zu der Entwicklung in anderen Bereichen und besonders im Hinblick auf die Diätenerhöhung mancher Landesparlamente außerordentlich maßvoll. Was sagt denn das Verfassungsgericht zur Entschädigung für Abgeordnete? Es sagt: Die Alimentation ist so zu bemessen, daß sie auch für den, der - aus welchen Gründen auch immer - kein Einkommen aus einem Beruf hat, aber auch für den, der infolge des Mandats Berufseinkommen ganz oder teilweise verliert, eine Lebensführung gestattet, die der Bedeutung des Amtes angemessen ist. Soweit das Verfassungsgericht. Ich zweifle, ob wir angesichts der früheren längeren Pause tatsächlich Abgeordnetenentschädigungen in einer Höhe gewähren, die den Verlust an Berufseinkommen in allen Fällen wenigstens ungefähr ausgleichen. Wer die soziologische Zusammensetzung dieses Hohen Hauses ständig in Sonntagsreden bedauert und beklagt, muß sich zu einer angemessenen Entschädigung und Versorgung der Abgeordneten bekennen. ({3}) Wer engagierte, interessierte und auch für uns interessante Kolleginnen und Kollegen in noch größerer Zahl in diesem Hause wünscht, wird um eine angemessene Versorgung und Entlohnung dieser Kolleginnen und Kollegen nicht herumkommen und sich, Herr Wiefelspütz, in der Tat gegenüber dem Wähler dafür verantworten. Ich bedanke mich. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Beck-Oberdorf.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktion DIE GRÜNEN läßt ihre Haltung zu dem hier vorliegenden Gesetzentwurf, bei dem es um die Erhöhung von Diäten, Kostenpauschalen und die Altersversorgung der Abgeordneten geht, sehr bewußt nicht von ihrem Geschäftsführer, sondern von einer Sozialpolitikerin vortragen, ({0}) von einer Sozialpolitikerin deswegen, weil Sie heute mit breiter Mehrheit einem Rentenreformgesetz zugestimmt haben, welches Millionen von Betroffenen empfindliche Einschränkungen abverlangt und viele ältere Menschen nicht einmal mit dem Existenzminimum versorgt. Am gleichen Tag nun legen Sie hier ein Gesetz vor - und das ist wirklich pikant - , welches neben der Erhöhung der Diäten, die mein Kollege Häfner in der ersten Lesung hinreichend kritisiert hat, auch die Altersversorgung der Abgeordneten regelt. Heute hätte hier das Selbstverständlichste von der Welt passieren müssen: Das, was für Millionen Rentenempfänger und -empfängerinnen recht ist, sollte für die Abgeordneten nur billig sein. ({1}) Eine Reform der Abgeordnetenversorgung hätte verlangt, daß wir uns einreihen in die Versorgung, die die anderen Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik auch haben - nicht mehr und nicht weniger. Wir GRÜNEN schlagen mit unserem Antrag vor, daß die Abgeordneten vom ersten Tag ihres Mandats an in den von ihnen mitgebrachten Alterssicherungssystemen bleiben. ({2}) Abgeordnete sind auf Zeit gewählt. Wir kommen aus Berufen und sollten in ein Berufsleben zurückkehren. Deswegen wäre das Verbleiben im mitgebrachten System die einleuchtendste und auch korrekte Lösung. Diese Lösung hätte außerdem den Vorteil, daß alle Beschlüsse, die von diesem Haus in bezug auf die Alterssicherungssysteme gefaßt werden - genau wie heute morgen - , gleichzeitig auch für und gegen uns wirken würden. Das kann ich mir nur heilsam vorstellen. ({3}) Statt dessen schaffen sich die Abgeordneten ein eigenes Versorgungssystem und gestalten dieses beamtenähnlich aus. Diese Tatsache spricht allerdings für sich. Aber diese Regelung ist falsch und demokratiefeindlich, denn Abgeordnete sollen keine Beamtinnen und Beamten sein und es auch nicht werden. Sie sollten jedenfalls nicht durch ihre parlamentarische Funktion dazu werden. Wir sind auf Zeit gewählt und sollen unabhängig sein. Wir sollen gerade nicht an unseren Sesseln kleben, weil erst nach acht Jahren die exklusive Versorgung greift oder nach 18 Jahren der Höchstanspruch erworben ist. Wir GRÜNEN kritisieren außerdem, daß das sogenannte Sterbegeld nicht etwa abgeschafft - wie mit der Gesundheitsreform für den größten Teil der Bevölkerung geschehen - , sondern in ein Überbrückungsgeld für Hinterbliebene umgewandelt worden ist, ({4}) und daß die Anrechnung von anderweitigen Rentenbezügen auf die Altersentschädigungen von Abgeordneten so trickreich gestaltet worden ist, daß sie faktisch nicht zum Tragen kommt. ({5}) Meine Damen und Herren, ich sage es noch einmal: Mit dem heute hier beschlossenen Rentenreformgesetz haben Sie Millionen von Menschen einschneidende Einschränkungen verordnet. Es ist Schlichtweg unverfroren und kann nur zur Politikverdrossenheit der Bevölkerung beitragen, wenn Sie hier im gleichen Atemzug für die Abgeordneten eine andere, weit bessere Lösung beschließen wollen. Ich möchte Ihnen zum Schluß kurz etwas aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zitieren, die ja nun wahrlich kein grünes Kampfblatt ist. Dort schreibt Herr Kannengießer, auch Experte für Rentenfragen: „Was Du nicht willst, das man Dir tu', das füg' auch keinem anderen zu." Dies wäre den Abgeordneten ins Stammbuch zu schreiben. Ich kann diesen Worten nichts hinzufügen. ({6})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Unruh.

Gertrud Unruh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002358, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Werter Herr Präsident! Werte Volksvertreterinnen und Volksvertreter! Ich kann der Erhöhung der Abgeordnetendiäten nur zustimmen, wenn Sie bereit sind, gleichzeitig auch, gemessen an der Bemessungsgrenze von 6 100 DM, entsprechende Abführungen für unser Alterssystem zu leisten. Ich bewundere die Geduld der leitenden Angestellten, für die die Bemessungsgrenze von 6 100 DM gilt - demnächst 6 300 DM - und die sich wie die Lämmer von Ihnen zur Schlachtbank führen lassen. Diese kriegen nämlich nicht 75 % des letzten Einkommens, und sie kriegen schon lange nicht das, was Sie sich jetzt nach acht Jahren verpassen. Das ist mehr, als ein Rentner überhaupt bekommen kann, der 45 Jahre beschäftigt war. Und das nach acht Jahren bzw. sechs Jahren! Dann nehmen Sie bitte noch zur Kenntnis, daß überhaupt nur 31,6 % der Angestellten und Arbeiter die 45 Erwerbsjahre erreichen. Auch dem wurde keine Rechnung getragen. Sie züchten in unserem Land einen Generationenhaß, im wesentlichen veranlaßt von der FDP. Es ist für mich untragbar, wenn ich das höre. Das soll sich dann liberal schimpfen. Das ist ja wohl mehr als ungewöhnlich, Herr Mischnik. ({0}) - Herr Mischnik, wenn ich Sie so reden höre und mir vor Augen halte, was die Liberalen alles gewollt haben und wo Sie versagt haben: ({1}) Das tut schon weh. Ich war einmal eine Sozialliberale. Aber was sind Sie heute? Pfui Deibel! Das kann ich nicht verstehen. ({2}) Was die Betriebsrente angeht, -

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Frau Abgeordnete Unruh, Frau Unruh ({0}): Ja, sofort. ({1}) - Ich kann ja gar nicht sprechen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

- ich habe die Absicht, Sie einen Augenblick zu unterbrechen. Solche Ausdrücke, die Sie gebraucht haben - ich will sie nicht wiederholen - , sollten Sie als Parlamentarierin auch nicht im Zusammenhang mit einer für Sie kontroversen und kritischen Abstimmung verwenden.

Gertrud Unruh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002358, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Was heißt das denn? ({0}) Meine Redezeit steht auf Null.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ja, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Gertrud Unruh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002358, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Aber gucken Sie sich die Betriebsrenten an.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das war ein Versuch am falschen Objekt. ({0}) Meine Damen und Herren, ich darf um etwas Ruhe bitten. Wenn in diesem kleinen Raum, in diesem Aushilfsplenarsaal 500 Abgeordnete versammelt sind, ist natürlich die notwendige Ruhe nur dann einigermaßen gewährleistet, wenn Sie sich nicht unterhalten. Nur dann ist es möglich, daß der Geräuschpegel niedriger ist als die Stimme des amtierenden Präsidenten. Ich schließe die Aussprache. Die Abstimmung findet nach der Durchführung der namentlichen Abstimmungen statt. Meine Damen und Herren, wir kommen dann zur Abstimmung zu den Tagesordnungspunkten 6 bis 8, und zwar zunächst zur Einzelberatung und Abstim- Vizepräsident Stücklen mung über den Entwurf des Rentenreformgesetzes 1992. Herr Abgeordneter Eimer hat darum gebeten, zu diesen Abstimmungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung eine Erklärung abgeben zu können. Die Abgeordneten Soell, Duve und Weisskirchen haben schriftlich ebenfalls nach § 31 unserer Geschäftsordnung eine persönliche Erklärung abgegeben; sie haben sie jedoch zu Protokoll gegeben. *) Der Abgeordnete Eimer hat das Wort.

Norbert Eimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000458, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann der Rentenreform nicht zustimmen. Diese Ablehnung gründet sich nicht auf die eingegangenen Kompromisse, die zwischen den Fraktionen geschlossen wurden. Die Ablehnung gründet sich auf einen Punkt, bei dem sich alle Fraktionen im Grundsatz einig waren. Die vorgesehene Ausweitung der Kindererziehungszeiten sieht eine Stichtagsregelung vor. Das heißt, Frauen erhalten für jede Geburt nach 1992 die vorgesehenen Leistungen. Für Geburten davor gehen die Frauen leer aus. Dies ist die gleiche Ungerechtigkeit und Willkür wie bei der ursprünglichen Ausklammerung der sogenannten Trümmerfrauen bei der Anerkennung des ersten Erziehungsjahres. ({0}) Diese Ungerechtigkeit tritt auf, ganz gleich welche Jahreszahl als Stichtag gewählt wird. Die Kosten für dieses Gesetz entstehen erst um das Jahr 2020. Denn eine 30jährige Mutter, die 1992 ein Kind bekommt, geht erst im Jahre 2022 in das Rentenalter, eine 20jährige sogar erst im Jahre 2032. Das heißt, die Probleme der Finanzierung werden auf die Generation unserer Enkel verlagert. Von den Politikern, die dieses Gesetz heute beschließen wollen, wird kaum jemand noch im Bundestag sein; die meisten von uns werden nicht mehr leben. Wenn das Gesetz aber für Mütter, die heute in Rente gehen, nicht finanzierbar ist, woher wollen wir dann wissen, daß es in 30 Jahren finanzierbar sein wird? ({1}) In einem Brief an Arbeitsminister Blüm habe ich einen Vorschlag gemacht, der alle Mütter einbeziehen könnte, also gerechter wäre, und schon heute finanzierbar ist. Die Kosten für ein Jahr Erziehungszeit sind etwa so hoch wie 2,5 bis 3 % Rentenerhöhung. Wenn man jedes Jahr einen Monat in der Rentenversicherung für alle Mütter, also auch für die, die heute schon Rente beziehen, mehr anrechnet, so muß in jedem Jahr die Rentenerhöhung um ca. 0,2 % niedriger ausfallen, als es sonst der Fall sein könnte. Das bedeutet zwar zu Beginn dieser Lösung nur sehr wenig mehr für die Renten der Ehepaare mit Kindern, aber mit steigender Tendenz und ohne die Ungerechtigkeit der heute vorgesehenen Stichtagsregelung. Zur gleichen Zeit, wie jetzt vorgesehen, hätten *) Anlage 2 dann alle Mütter insgesamt zwei Jahre Erziehungszeiten mehr als heute, also drei Jahre. Der etwas geringere Anstieg der Renten der Kinderlosen ist auch im vorgesehenen System, das heute verabschiedet werden soll, wegen der renteninternen Lösung unausgesprochen vorgesehen. Dies ist gerecht, wenn man beachtet, daß Ehepaare mit Kindern heute dreifach benachteiligt sind. Erstens. Sie haben in der Regel während des Erwerbslebens nur ein Einkommen für drei und mehr Personen; Kinderlose haben dagegen zwei Einkommen für zwei Personen. Zweitens. Sie haben in der Regel nur eine Rente für zwei Personen; Kinderlose haben dagegen zwei Renten für zwei Personen. Drittens. Wenn jemand ein Pflegefall wird und in ein Heim muß, werden dessen Kinder zur Finanzierung herangezogen; bei Kinderlosen zahlt dies die Sozialhilfe; es zahlen also die Kinder der anderen. Ich bin überzeugt, daß dieses Gesetz korrigiert werden muß, damit die beiden Ungerechtigkeiten, nämlich Stichtagsregelung und Finanzierung nach dem Prinzip „nach uns die Sintflut" , beseitigt werden. Je schneller dies geschieht, um so besser. In 30 Jahren werden sich unsere Nachfolger vor unüberwindbaren Schwierigkeiten sehen. Vielen Dank. ({2})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, wir kommen nun zur Abstimmung. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf Drucksache 11/5490, nach Kenntnisnahme der Unterrichtungen durch die Bundesregierung die Bleichlautenden Gesetzentwürfe der Fraktionen der CDU/CSU, FDP und SPD - ({0}) - Meine Damen und Herren, ich kann nur durchdringen, wenn tatsächlich nicht gesprochen wird; und das gilt für alle, bitte. Ich wiederhole: Es handelt sich um die Gesetzentwürfe der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP sowie der Bundesregierung auf den Drucksachen 11/4124 und 11/4452 in der Ausschußfassung. Wie heute morgen schon mitgeteilt, liegen hierzu sieben Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN vor, über die zum Teil namentlich abgestimmt werden soll. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll zunächst über die Änderungsanträge abgestimmt werden, und dabei behandeln wir erst die Änderungsanträge, über die namentlich abgestimmt wird. So ist es von den Geschäftsführern vereinbart worden, und ich sehe, daß das Haus damit einverstanden ist. Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5538 auf und eröffne die beantragte namentliche Abstimmung. Meine Damen und Herren, darf ich die Frage stellen, ob alle Mitglieder des Hauses, die sich an der Abstimmung beteiligen wollen, ihre Stimme abgegeVizepräsident Stücklen ben haben? - Haben auch die Geschäftsführer den Eindruck, daß alle Kolleginnen und Kollegen abgestimmt haben? - Wenn keine gegenteilige Meinung vertreten wird, schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführer, die Urnen zur Auszählung zu bringen und die leeren Urnen sofort zurückzubringen, denn wir wollen gleich mit der zweiten namentlichen Abstimmung beginnen. Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5539 zur Abstimmung auf. Auch hier ist namentliche Abstimmung beantragt. Das Verfahren ist bekannt. Ich eröffne die namentliche Abstimmung. Meine Damen und Herren, ich frage die Mitglieder des Hauses, ob alle an der Abstimmung teilgenommen haben, die teilzunehmen die Absicht haben. - Wünscht noch jemand, sich an der Abstimmung zu beteiligen? - Damit schließe ich die Abstimmung. Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen. Meine Damen und Herren, ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5543 zur Abstimmung auf. Hier ist ebenfalls namentliche Abstimmung beantragt. Ich eröffne die namentliche Abstimmung. Meine Damen und Herren, darf ich fragen, ob ein Mitglied des Hauses noch die Absicht hat, sich an der Abstimmung zu beteiligen? - Haben alle Mitglieder des Hauses, die es wünschen, an der Abstimmung teilgenommen? - Ich schließe die namentliche Abstimmung und bitte, mit der Auszählung zu beginnen. Bevor ich den nächsten Änderungsantrag zur Abstimmung aufrufe, teile ich mit, daß die Frau Abgeordnete Schmidt ({1}) eine Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung zu Protokoll gegeben hat.*) Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5544 auf. Auch hier ist namentliche Abstimmung beantragt. Ich eröffne die namentliche Abstimmung. Meine Damen und Herren, zu Ihrer Information: Mit diesen vier namentlichen Abstimmungen zu den Änderungsanträgen ist der erste Teil der namentlichen Abstimmungen abgeschlossen. Ich mache Sie aber darauf aufmerksam, daß im Laufe des heutigen Abends, etwa gegen 20 Uhr, mindestens eine weitere namentliche Abstimmung stattfinden wird. Meine Damen und Herren, wieder die gleiche Frage: Haben sich alle Mitglieder des Hauses, die abzustimmen wünschen, an der Abstimmung beteiligt? - Ich sehe keinen Widerspruch mehr. Ich darf damit diese letzte namentliche Abstimmung zu den aufgerufenen Änderungsanträgen schließen. Ich bitte, daß mit der Auszählung begonnen wird.**) Meine Damen und Herren, wir kommen nun zu den Abstimmungen, die per Akklamation vorgenommen werden. Nachdem sich der Raum wieder etwas ge- *) Anlage 3 **) Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen ({2}) leert hat, bitte ich, zumindest die Plätze einzunehmen. Schließen Sie bitte die Türen! - Danke. Meine Damen und Herren, wir kommen nun zu den Änderungsanträgen über die nicht namentlich abgestimmt wird. Ich rufe zunächst den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5540 auf. Wer für diesen Antrag stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Eine Einhaltung. Mit großer Mehrheit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt. Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5541 auf. Wer für diesen Änderungsantrag ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltung. Mit großer Mehrheit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt. Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5542 auf. Wer für diesen Änderungsantrag ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltung. ({3}) - Entschuldigung. - Bitte noch einmal: Enthaltungen? - Zwei Enthaltungen. Mit großer Mehrheit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt. Mit der Beratung können wir erst fortfahren, wenn die Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen vorliegen. Das wird in wenigen Minuten der Fall sein. Ich bitte Sie, noch im Saal zu bleiben, weil dann über den Gesetzentwurf als Ganzes abgestimmt wird. Einen Augenblick müssen wir also noch warten, bis wir fortfahren können. Es lohnt sich nicht, andere Tagesordnungspunkte vorzuziehen; denn die Abstimmungsergebnisse werden in wenigen Minuten vorliegen. ({4}) - Meine Damen und Herren, die Parlamentarischen Geschäftsführer, die unverzichtbaren Stützen jedes amtierenden Präsidenten, haben natürlich wieder ökonomisch sinnvolle Vorschläge gemacht. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf zur Änderung des Beamtenversorgungsgesetzes und sonstiger dienst- und versorgungsrechtlicher Vorschriften. Ich rufe die Art. 1 bis 20, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Eine Enthaltung. Mit großer Mehrheit sind diese aufgerufenen Artikel angenommen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Zwei Enthaltungen. Damit ist dieser Gesetzentwurf in dritter Lesung mit großer Mehrheit angenommen. ({5}) Vizepräsident Stücklen Wir kommen nun zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 11/5537. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP auf Drucksache 11/4125 sowie den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/4965 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung des Ausschusses? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei drei Enthaltungen mit großer Mehrheit angenommen. Wir kommen nunmehr zur Einzelberatung und Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/ CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurf eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Abgeordneten- und eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes. Hierzu liegt eine persönliche Erklärung des Herrn Abgeordneten Lutz vor, die zu Protokoll gegeben werden soll. Es wird so verfahren.*) Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich rufe die Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Zwei Enthaltungen. ({6}) Die aufgerufenen Artikel sind also mit großer Mehrheit angenommen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? ({7}) Zwei Enthaltungen. Damit ist dieser Gesetzentwurf in dritter Beratung mit großer Mehrheit angenommen. Wir kommen nunmehr zur Einzelberatung und Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/ CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurf eines Elften Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes, eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes und eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes. Der Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung empfiehlt auf Drucksache 11/5499 unter Nr. 1, den Gesetzentwurf auf Drucksache 11/5408 in Verbindung mit Art. 4 des Gesetzentwurfs auf Drucksache 11/5136 sowie Art. 4 des Gesetzentwurfs auf Drucksache 11/5372 in der Ausschußfassung anzunehmen. Ich rufe die Art. 1 bis 6, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer diesen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzei- *) Anlage 4 chen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltung. Damit sind diese Vorschriften mit großer Mehrheit angenommen. Wir treten nun in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Zwei Enthaltungen. Damit ist dieser Gesetzentwurf in dritter Lesung mit großer Mehrheit angenommen. Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 8 c. Der Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung schlägt in der soeben behandelten Beschlußempfehlung auf Drucksache 11/5499 weiterhin vor, die Nr. II des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP auf Drucksache 11/5304 zur Änderung des Abgeordnetengesetzes anzunehmen. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Eine Enthaltung, zwei Enthaltungen. - Also, wir sind hier nicht auf einer Versteigerung. ({8}) Gut, zwei Enthaltungen. Damit ist diese Beschlußempfehlung mit Mehrheit angenommen. Der Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung empfiehlt schließlich, die Nr. I des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP auf Drucksache 11/5304 sowie die Anträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/1597, 11/3109 und 11/5338 für erledigt zu erklären. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Damit ist die Beschlußempfehlung mit großer Mehrheit angenommen. Haben wir die Ergebnisse noch nicht? - Dann treten wir in die Fragestunde ein, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({9}) - Moment! Es wird noch das Gesamtergebnis der namentlichen Abstimmung bekanntgegeben, die Schlußabstimmung muß noch erfolgen. Aber jetzt haben wir nur zwei Fragen von einem Abgeordneten; die wollen wir ({10}) noch behandeln. Ich rufe also Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde - Drucksache 11/5528 Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Staatsminister Schäfer steht uns zur Beantwortung zur Verfügung. Ich rufe die Frage 13 des Herrn Abgeordneten Dr. Hirsch auf: Vizepräsident Stücklen Wann genau wird die Bundesregierung das Ratifizierungsverfahren zu den Zusatzabkommen zum Genfer Protokoll einleiten? Bitte sehr. ({11})

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Herr Kollege, wie Bundeskanzler Kohl am vergangenen Samstag vor der 39. - ({0}) - Das lag nicht an mir, Herr Kollege, sondern wohl an der Akustik im Saal. - Wie der Bundeskanzler am vergangenen Samstag vor der 39. Bundesversammlung des Deutschen Roten Kreuzes bestätigt hat, wird die Bundesregierung alle erforderlichen Maßnahmen treffen, damit die Zusatzprotokolle von 1977 zu den Genfer Rot-Kreuz-Abkommen von 1949 bald ratifiziert werden. ({1})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Bitte, Herr Abgeordneter.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatsminister, da wir das Katastrophenschutz-Ergänzungsgesetz morgen im Ausschuß abschließend beraten und es in der nächsten Woche im Plenum behandeln wollen und die Zusatzprotokolle in diesem Zusammenhang von großer Bedeutung sind: Können Sie uns unter diesem Gesichtspunkt nicht etwas exakter mitteilen, wann die Ratifizierung eingeleitet wird: ob das noch in diesem Jahr geschieht oder wann das geschehen wird?

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Nach meinen Informationen, Herr Kollege, wird es noch in diesem Jahr eingeleitet werden. Sie wissen, daß dazu auch eine Sitzung des Bundessicherheitsrates erforderlich ist. Jedenfalls sind die Vorbereitungen dazu getroffen. Die Ausschüsse haben gestern, wenn ich es recht sehe, zugestimmt.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatsminister, können Sie uns mitteilen, wo noch irgendwelche Hemmnisse liegen könnten? Ist es allein die ausstehende Sitzung des Bundessicherheitsrates, oder gibt es irgendwelche inhaltliche Bedenken der Bundesregierung gegen die Ratifizierung?

Not found (Gast)

Soweit mir bekannt ist, Herr Kollege, gibt es seitens der Bundesregierung keinerlei inhaltliche Bedenken mehr.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Keine weiteren Zusatzfragen. Dann rufe ich die Frage 14 des Herrn Abgeordneten Dr. Hirsch auf: Ist es zutreffend, daß die Sowjetunion das Zusatzprotokoll ohne die sogenannte atomare Vorbehaltsklausel ratifiziert hat, und welche Folgerungen zieht die Bundesregierung daraus?

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Herr Kollege, die Sowjetunion hat bei Hinterlegung ihrer Ratifikationsurkunde keine Vorbehalte oder klarstellende Erklärungen abgegeben. Die Bundesregierung begrüßt insbesondere, daß die Sowjetunion keinerlei Gegenerklärung zu der von Belgien, Italien, den Niederlanden und Spanien bei deren Ratifikation abgegebenen sogenannten Nuklearerklärung hinterlegt hat. Bei dieser handelt es sich um eine klarstellende Erklärung, wie Sie wissen, wonach die vom 1. Zusatzprotokoll eingeführten Bestimmungen über den Einsatz von Waffen in der Absicht aufgestellt worden sind, ausschließlich auf konventionelle Waffen Anwendung zu finden - dies unbeschadet sonstiger für andere Waffenarten anwendbarer Regeln des Völkerrechts.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine Zusatzfrage, bitte.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatsminister, der Hinweis auf die „sonstigen anzuwendenden völkerrechtlichen Regeln des Kriegsrechts" ist ja etwas vage. Können Sie uns sagen, ob denn die Erklärung eines atomaren Vorbehaltes notwendig ist, wenn die Sowjetunion ihrerseits auf einen solchen Vorbehalt verzichtet? Warum sollen wir einen Vorbehalt erklären, wenn die andere Seite es nicht tut?

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Herr Kollege, im allgemeinen gehen wir bei solchen politischen Entscheidungen eher von einer Absprache in unserem Bündnis als vom Verhalten der Sowjetunion aus. Aber ich muß Ihnen sagen, daß die Sowjetunion schon bei den Beratungen - ich habe das eben schon angedeutet - klargemacht hat, daß auch sie davon ausgeht, daß es sich hier ausschließlich um den Anwendungsbereich konventioneller Waffen handelt. Da sie keine Gegenerklärung abgegeben hat, steht sie nicht im Widerspruch zu uns, auch wenn sie selbst auf eine Nuklearerklärung verzichtet. Es gibt also hier keinen Gegensatz. Wir handeln wie fast alle anderen NATO-Staaten auch.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage, bitte.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatsminister, das ist in sich noch nicht ganz verständlich. ({0}) - Ja, das ist nun einmal leider so. - Wenn die Erklärung nur eine klarstellende, also keine inhaltliche Funktion hat: Ist es denn dann nicht so, daß das Beharren auf einer solchen ausdrücklichen Klarstellung dennoch den Eindruck erwecken muß, als ob die eine Seite im Falle eines atomaren Krieges die Interessen ihrer Zivilbevölkerung weniger berücksichtigen will als die anderen Partner dieses Vertrages, die eine solche Vorbehaltserklärung nicht abgeben?

Not found (Gast)

Herr Kollege, das ist für mich nicht ganz nachvollziehbar, so wie Sie den Inhalt meiner Antwort als nicht ganz klar bezeichnet haben. Ich kann dazu nur sagen: Es gab ja bei den langjährigen Debatten über die Frage der Ratifizierung dieser wichtigen Genfer Protokolle natürlich auch Versuche, im nachhinein diese Protokolle so auszulegen, als hätten sie den atomaren Bereich mit einbezogen, was bei den Beratungen nicht der Fall war. Aus diesem Grunde haben sich eine ganze Reihe von NATO-Staaten dazu entschlossen, den entsprechenden Nuklearvorbehalt bei ihren Ratifizierungsmaßnahmen ausdrücklich mit einzubeziehen, um jedwede Fehlinterpretation auszuschließen. Wir folgen auch nach Absprache im Bündnis eigentlich nur dem Beispiel anderer NATO-Staaten, ohne daß sich materiell dadurch etwas verändert. Wir begrüßen, daß die Sowjetunion ratifiziert hat - wenn auch erst in diesem Jahr. Aber sie hat nie einen Zweifel daran gelassen, daß sie den Vertrag so versteht. Sie gibt keine Erklärung ab, aber sie ist auf Grund der damaligen Äußerungen während der Konferenz in Genf inhaltlich der gleichen Auffassung wie wir. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kittelmann.

Peter Kittelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001106, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister teilen Sie meinen Eindruck, daß bei Ihrer Beantwortung eine gewisse Zurückhaltung spürbar war und daß diese darauf beruht, daß Sie mit dem Ergebnis, das dort erzielt worden ist, selbst nicht so zufrieden sind, und liegt das daran, daß das Auswärtige Amt bei der Verhandlung nicht die im Sinne von Herrn Kollegen Hirsch erwünschte Intention hatte?

Not found (Gast)

Herr Kollege, ich bin überrascht, daß Sie mir bei meiner Antwort Zurückhaltung - sozusagen eine psychologische Wirkung - unterstellen. Davon kann überhaupt keine Rede sein. Ich habe sachlich auf die Fragen von Herrn Hirsch geantwortet. Ich habe gestern im Auswärtigen Ausschuß die Position des Auswärtigen Amtes deutlich dargelegt, und Sie wissen selbst ganz genau - wie alle anderen Fraktionen dieses Hauses - , warum es so lange gedauert hat, bis es zu dieser Ratifizierung kommt. Aber wir sind jetzt über den Berg, und ich wüßte nicht, welche Fragen hier jetzt noch zusätzlich geäußert werden müßten. Wir sind dabei, die Protokolle zu ratifizieren, und ich glaube, wir handeln damit im Einklang mit der überwiegenden Mehrheit dieses Hauses.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Oostergetelo.

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, wenn ich Sie richtig verstanden habe, hat der Vorbehalt keine Funktion. Können Sie mir sagen, welche NATO-Länder auf diesen Vorbehalt verzichten? Sie haben gesagt, die meisten würden nicht verzichten.

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Herr Kollege, Sie wissen, daß bislang nicht alle NATO-Länder die beiden Zusatzprotokolle ratifiziert haben. Die Vereinigten Staaten beispielsweise werden eines der beiden Zusatzprotokolle nicht ratifizieren, aber aus ganz anderen Gründen, nämlich weil ein gewisser Zusammenhang mit der Interpretation von „Terrorismus" besteht. Aber das ist eine Angelegenheit, die uns hier nicht berührt. Ich habe gesagt: fast alle NATO-Staaten. Soweit mir bekannt ist, sind es von neun sechs, die diese Nuklearerklärung abgegeben haben; es sind drei, die sie nicht abgegeben haben. Ich muß aber noch einmal nachsehen; das liegt mir jetzt nicht vor.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Soell.

Prof. Dr. Hartmut Soell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002186, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, daß ein Teil der Völkerrechtler, die an der Ausarbeitung dieser Zusatzprotokolle beteiligt gewesen sind, der Meinung sind, daß diese Protokolle natürlich auch das Thema der nuklearen Waffen und deren Wirkungen betreffen?

Not found (Gast)

Herr Kollege, es mag sein, daß einzelne Völkerrechtler im nachhinein oder auch während der Konferenz solche Auffassungen vertreten haben. Sie stehen aber im Widerspruch zu der Auffassung der Staaten, die an dieser Konferenz beteiligt sind, und auch im Widerspruch zu der Auffassung der Staaten des Warschauer Pakts.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Keine weiteren Zusatzfragen. Die Fragen 15 und 16 des Abgeordneten Dr. Emmerlich sind vom Fragesteller zurückgezogen. Damit ist die Fragestunde beendet. Meine Damen und Herren, ich komme nun zur Bekanntgabe der von den Schriftführern ermittelten Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen. Die Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 11/5538 hat folgendes Ergebnis. Abgegebene Stimmen 369, davon ungültig keine. Mit Ja haben gestimmt 45, mit Nein 316, Enthaltungen 8. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen 368; davon ja: 45 nein: 316 enthalten: 7 Ja SPD Frau Kastner Kolbow Lambinus Leidinger Lutz Nehm Dr. Schöfberger Sieler ({0}) Frau Dr. Skarpelis-Sperk Stiegler DIE GRÜNEN Frau Beck-Oberdorf Frau Beer Brauer Dr. Briefs Dr. Daniels ({1}) Eich Frau Flinner Frau Frieß Frau Garbe Frau Hensel Frau Hillerich Hoss Frau Kelly Kleinert ({2}) Frau Kottwitz Kreuzeder Dr. Lippelt ({3}) Dr. Mechtersheimer Meneses Vogl Frau Nickels Frau Oesterle-Schwerin Frau Saibold Frau Schilling Frau Schmidt ({4}) Frau Schoppe Vizepräsident Stücklen Stratmann Such Frau Teubner Frau Trenz Weiss ({5}) Wetzel Frau Wollny Fraktionslos Frau Unruh Nein CDU/CSU Dr. Abelein Bauer Dr. Becker ({6}) Dr. Biedenkopf Biehle Dr. Blank Dr. Blens Dr. Blüm Böhm ({7}) Börnsen ({8}) Breuer Buschbom Carstensen ({9}) Clemens Dr. Czaja Frau Dempwolf Dörflinger Doss Dr. Dregger Echternach Ehrbar Eylmann Dr. Faltlhauser Feilcke Dr. Fell Frau Fischer Fischer ({10}) Francke ({11}) Dr. Friedrich Ganz ({12}) Geis Dr. von Geldern Gerstein Gerster ({13}) Glos Günther Dr. Häfele Hames Frau Hasselfeldt Haungs Hauser ({14}) Hauser ({15}) Hedrich Helmrich Herkenrath Hinrichs Hinsken Höpfinger Hörster Dr. Hoffacker Frau Hoffmann ({16}) Frau Hürland-Büning Graf Huyn Dr. Hüsch Jäger Dr. Jahn ({17}) Dr. Jenninger Dr. Jobst Jung ({18}) Kalisch Dr.-Ing. Kansy Dr. Kappes Dr. Köhler ({19}) Kolb Kossendey Kraus Krey Dr. Kronenberg Dr. Kunz ({20}) Lamers Dr. Lammert Dr. Langner Lattmann Dr. Laufs Lenzer Link ({21}) Link ({22}) Louven Maaß Magin Dr. Mahlo Marschewski Dr. Meyer zu Bentrup Michels Dr. Möller Nelle Neumann ({23}) Dr. Olderog Oswald Pesch Petersen Pfeffermann Dr. Pinger Dr. Pohlmeier Dr. Probst Rauen Rawe Reddemann Regenspurger Repnik Frau Rönsch ({24}) Frau Roitzsch ({25}) Frau Rost ({26}) Rühe Ruf Sauer ({27}) Sauer ({28}) Sauter ({29}) Frau Schätzle Scharrenbroich Schartz ({30}) Schemken Scheu Schmidbauer Frau Schmidt ({31}) Dr. Schneider ({32}) Freiherr von Schorlemer Schreiber Schulhoff Dr. Schulte ({33}) Schwarz Dr. Schwörer Seehofer Seesing Spilker Dr. Sprung Dr. Stark ({34}) Dr. Stoltenberg Straßmeir Frau Dr. Süssmuth Susset Tillmann Dr. Uelhoff Dr. Unland Frau Verhülsdonk Vogel ({35}) Vogt ({36}) Dr. Voigt ({37}) Dr. Vondran Dr. Waffenschmidt Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warrikoff Dr. von Wartenberg Weirich Werner ({38}) Wilz Wimmer ({39}) Frau Dr. Wisniewski Dr. Wittmann Würzbach Dr. Wulff Zeitlmann Zierer Zink SPD Frau Adler Andres Antretter Bachmaier Bahr Frau Becker-Inglau Bernrath Dr. Böhme ({40}) Börnsen ({41}) Brandt Brück Dr. von Bülow Frau Bulmahn Catenhusen Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser Duve Dr. Ehrenberg Erler Frau Faße Fischer ({42}) Frau Ganseforth Gansel Dr. Gautier Gilges Frau Dr. Götte Graf Großmann Grunenberg Dr. Haack Haack ({43}) Frau Dr. Hartenstein Hasenfratz Dr. Hauchler Heistermann Heyenn Dr. Holtz Horn Ibrügger Jahn ({44}) Dr. Jens Kastning Kiehm Kirschner Kißlinger Dr. Klejdzinski Koltzsch Koschnick Kretkowski Dr. Kübler Kuhlwein Leonhart Frau Matthäus-Maier Menzel Dr. Mertens ({45}) Meyer Müntefering Nagel Frau Dr. Niehuis Dr. Niese Niggemeier Dr. Nöbel Frau Odendahl Oostergetelo Opel Dr. Osswald Paterna Pauli Dr. Penner Peter ({46}) Dr. Pick Porzner Rappe ({47}) Frau Renger Reschke Reuter Rixe Dr. Scheer Scherrer Schluckebier Frau Schmidt ({48}) Schmidt ({49}) Schreiner Frau Schulte ({50}) Seidenthal Frau Seuster Sielaff Singer Dr. Sperling Stahl ({51}) Frau Steinhauer Frau Terborg Urbaniak Vahlberg Voigt ({52}) Vosen Wartenberg ({53}) Weiermann Frau Weiler Weisskirchen ({54}) Westphal Frau Wieczorek-Zeul Wiefelspütz von der Wiesche Wischnewski Dr. de With Wittich Zeitler Zumkley FDP Frau Dr. Adam-Schwaetzer Baum Cronenberg ({55}) Eimer ({56}) Dr. Feldmann Frau Folz-Steinacker Funke Gallus Gattermann Gries Grüner Frau Dr. Hamm-Brücher Heinrich Dr. Hitschler Vizepräsident Stücklen Hoppe Dr.-Ing. Laermann Dr. Graf Lambsdorff Lüder Mischnick Neuhausen Nolting Rind Ronneburger Schäfer ({57}) Frau Dr. Segall Dr. Solms Dr. Thomae Timm Zywietz Enthalten SPD Amling Bamberg Bindig Büchler ({58}) Müller ({59}) Dr. Wernitz Wimmer ({60}) Damit ist dieser Änderungsantrag mit großer Mehrheit abgelehnt. Ich gebe das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 11/5539 bekannt. Abgegebene Stimmen 363, ungültig keine, mit Ja 51, mit Nein 306, Enthaltungen 6. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen 363; davon ja: 51 nein: 306 enthalten: 6 Ja SPD Frau Bulmahn Frau Fuchs ({61}) Frau Ganseforth Frau Dr. Götte Frau Dr. Hartenstein Frau Kastner Frau Dr. Niehuis Frau Odendahl Frau Schmidt ({62}) Dr. Schöfberger Frau Dr. Skarpelis-Sperk Stiegler Frau Wieczorek-Zeul FDP Frau Dr. Hamm-Brücher Frau Würfel DIE GRÜNEN Frau Beck-Oberdorf Frau Beer Brauer Dr. Briefs Dr. Daniels ({63}) Eich Frau Flinner Frau Frieß Frau Garbe Frau Hensel Frau Hillerich Hoss Frau Kelly Kleinert ({64}) Frau Kottwitz Kreuzeder Dr. Lippelt ({65}) Dr. Mechtersheimer Meneses Vogl Frau Nickels Frau Oesterle-Schwerin Frau Saibold Frau Schilling Frau Schmidt ({66}) Frau Schoppe Stratmann Such Frau Teubner Frau Trenz Frau Dr. Vollmer Weiss ({67}) Wetzel Frau Wollny Fraktionslos Frau Unruh Nein CDU/CSU Dr. Abelein Bauer Dr. Becker ({68}) Dr. Biedenkopf Biehle Dr. Blank Dr. Blens Dr. Blüm Böhm ({69}) Börnsen ({70}) Breuer Buschbom Carstensen ({71}) Clemens Dr. Czaja Frau Dempwolf Dörflinger Doss Echternach Ehrbar Eylmann Dr. Faltlhauser Feilcke Dr. Fell Fellner Frau Fischer Fischer ({72}) Francke ({73}) Dr. Friedrich Ganz ({74}) Geis Dr. von Geldern Gerstein Gerster ({75}) Glos Günther Dr. Häfele Harries Frau Hasselfeldt Haungs Hauser ({76}) Hauser ({77}) Helmrich Herkenrath Hinrichs Hinsken Höpfinger Hörster Dr. Hoffacker Frau Hoffmann ({78}) Frau Hürland-Büning Graf Huyn Dr. Hüsch Jäger Dr. Jahn ({79}) Dr. Jenninger Dr. Jobst Jung ({80}) Kalisch Dr.-Ing. Kansy Dr. Kappes Dr. Köhler ({81}) Kolb Kossendey Kraus Krey Dr. Kronenberg Dr. Kunz ({82}) Lamers Dr. Lammert Dr. Langner Lattmann Dr. Laufs Lenzer Link ({83}) Link ({84}) Louven Maaß Magin Dr. Mahlo Marschewski Dr. Meyer zu Bentrup Michels Dr. Möller Nelle Neumann ({85}) Dr. Olderog Oswald Pesch Petersen Pfeffermann Dr. Pinger Dr. Pohlmeier Dr. Probst Rauen Rawe Reddemann Regenspurger Repnik Frau Rönsch ({86}) Frau Roitzsch ({87}) Frau Rost ({88}) Rühe Ruf Sauer ({89}) Sauer ({90}) Sauter ({91}) Frau Schätzle Scharrenbroich Schartz ({92}) Schemken Schmidbauer Frau Schmidt ({93}) Dr. Schneider ({94}) Freiherr von Schorlemer Schreiber Schulhoff Dr. Schulte ({95}) Schwarz Dr. Schwörer Seehofer Seesing Dr. Stark ({96}) Dr. Stoltenberg Straßmeir Frau Dr. Süssmuth Tillmann Dr. Uelhoff Uldall Dr. Unland Frau Verhülsdonk Vogel ({97}) Vogt ({98}) Dr. Voigt ({99}) Dr. Vondran Dr. Waffenschmidt Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warrikoff Dr. von Wartenberg Weirich Werner ({100}) Frau Will-Feld Wilz Wimmer ({101}) Frau Dr. Wisniewski Dr. Wittmann Würzbach Dr. Wulff Vizepräsident Stücklen Zeitlmann Zierer Zink Nein SPD Frau Adler Amling Andres Antretter Bachmaier Bahr Frau Becker-Inglau Bernrath Bindig Dr. Böhme ({102}) Börnsen ({103}) Brandt Brück Büchler ({104}) Dr. von Bülow Catenhusen Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser Egert Dr. Ehrenberg Erler Frau Faße Fischer ({105}) Gansel Dr. Gautier Gilges Graf Großmann Grunenberg Dr. Haack Haack ({106}) Hasenfratz Dr. Hauchler Heistermann Dr. Holtz Horn Huonker Ibrügger Jahn ({107}) Dr. Jens Kastning Kiehm Kirschner Kißlinger Dr. Klejdzinski Kolbow Koltzsch Koschnick Kretkowski Dr. Kübler Kuhlwein Lambinus Leidinger Leonhart Lutz Menzel Dr. Mertens ({108}) Meyer Nagel Dr. Niese Niggemeier Dr. Nöbel Opel Dr. Osswald Paterna Pauli Dr. Penner Peter ({109}) Dr. Pick Porzner Rappe ({110}) Reimann Frau Renger Reschke Reuter Rixe Dr. Scheer Scherrer Schluckebier Schmidt ({111}) Schreiner Frau Schulte ({112}) Seidenthal Frau Seuster Singer Dr. Sperling Stahl ({113}) Frau Terborg Urbaniak Voigt ({114}) Vosen Wartenberg ({115}) Weiermann Frau Weiler Weisskirchen ({116}) Dr. Wernitz Frau Weyel Wiefelspütz von der Wiesche Wischnewski Dr. de With Wittich Zeitler Zumkley FDP Baum Cronenberg ({117}) Eimer ({118}) Dr. Feldmann Frau Folz-Steinacker Funke Gallus Gattermann Gries Grüner Dr. Hirsch Dr. Hitschler Hoppe Kleinert ({119}) Dr.-Ing. Laermann Dr. Graf Lambsdorff Lüder Neuhausen Nolting Rind Ronneburger Schäfer ({120}) Frau Dr. Segall Dr. Solms Dr. Thomae Timm Zywietz Enthalten SPD Bamberg Duve Müller ({121}) Vahlberg Wimmer ({122}) FDP Frau Dr. Adam-Schwaetzer Dieser Änderungsantrag ist ebenfalls mit großer Mehrheit abgelehnt. Die namentliche Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 11/5543 hat folgendes Ergebnis erbracht. Abgegebene Stimmen 351, ungültig keine, mit Ja 35, mit Nein 314, Enthaltungen 2. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen 349; davon ja: 35 nein: 312 enthalten: 2 Ja DIE GRÜNEN Frau Beer Brauer Dr. Briefs Dr. Daniels ({123}) Eich Frau Flinner Frau Frieß Frau Garbe Frau Hensel Frau Hillerich Hoss Frau Kelly Kleinert ({124}) Frau Kottwitz Kreuzeder Dr. Lippelt ({125}) Dr. Mechtersheimer Meneses Vogl Frau Nickels Frau Oesterle-Schwerin Frau Saibold Frau Schilling Frau Schmidt ({126}) Frau Schoppe Stratmann Such Frau Teubner Frau Trenz Frau Dr. Vollmer Weiss ({127}) Wetzel Frau Wollny Fraktionslos Frau Unruh Nein CDU/CSU Dr. Abelein Dr. Becker ({128}) Biehle Dr. Blank Dr. Blens Dr. Blüm Böhm ({129}) Börnsen ({130}) Breuer Buschbom Carstensen ({131}) Clemens Dr. Czaja Frau Dempwolf Dörflinger Doss Echternach Ehrbar Dr. Faltlhauser Dr. Fell Frau Fischer Fischer ({132}) Francke ({133}) Dr. Friedrich Ganz ({134}) Geis Gerstein Gerster ({135}) Glos Günther Dr. Häfele Hames Haungs Hauser ({136}) Hauser ({137}) Hedrich Helmrich Herkenrath Hinrichs Hinsken Höpfinger Hörster Dr. Hoffacker Frau Hoffmann ({138}) Frau Hürland-Büning Graf Huyn Dr. Hüsch Vizepräsident Stücklen Jäger Dr. Jahn ({139}) Dr. Jobst Jung ({140}) Kalisch Dr.-Ing. Kansy Dr. Kappes Kittelmann Dr. Köhler ({141}) Kolb Kossendey Kraus Krey Dr. Kronenberg Dr. Kunz ({142}) Lamers Dr. Lammert Dr. Langner Lattmann Dr. Laufs Lenzer Link ({143}) Link ({144}) Louven Maaß Dr. Mahlo Dr. Meyer zu Bentrup Michels Dr. Möller Nelle Neumann ({145}) Dr. Olderog Oswald Pesch Pfeffermann Dr. Pinger Dr. Pohlmeier Dr. Probst Rauen Rawe Reddemann Regenspurger Repnik Frau Rönsch ({146}) Frau Roitzsch ({147}) Rühe Ruf Sauer ({148}) Sauer ({149}) Sauter ({150}) Frau Schätzle Scharrenbroich Schartz ({151}) Schemken Scheu Schmidbauer Frau Schmidt ({152}) Dr. Schneider ({153}) Freiherr von Schorlemer Schreiber Schulhoff Dr. Schulte ({154}) Schwarz Dr. Schwörer Seehofer Seesing Dr. Sprung Dr. Stoltenberg Straßmeir Stücklen Susset Tillmann Dr. Uelhoff Uldall Dr. Unland Frau Verhülsdonk Vogel ({155}) Vogt ({156}) Dr. Voigt ({157}) Dr. Vondran Dr. Waffenschmidt Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warrikoff Dr. von Wartenberg Weirich Werner ({158}) Wilz Wimmer ({159}) Frau Dr. Wisniewski Dr. Wittmann Würzbach Dr. Wulff Zeitlmann Zierer Zink SPD Frau Adler Amling Antretter Bachmaier Bahr Bamberg Frau Becker-Inglau Bernrath Bindig Dr. Böhme ({160}) Börnsen ({161}) Brandt Brück Büchler ({162}) Dr. von Billow Frau Bulmahn Catenhusen Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser Duve Dr. Ehrenberg Erler Frau Faße Fischer ({163}) Frau Ganseforth Gansel Dr. Gautier Gilges Frau Dr. Götte Graf Großmann Grunenberg Dr. Haack Haack ({164}) Frau Dr. Hartenstein Hasenfratz Dr. Hauchler Heyenn Dr. Holtz Horn Huonker Ibrügger Jahn ({165}) Dr. Jens Frau Kastner Kastning Kiehm Kirschner Kißlinger Kolbow Koltzsch Koschnick Kretkowski Dr. Kübler Kuhlwein Lambinus Leidinger Leonhart Lutz Frau Matthäus-Maier Menzel Dr. Mertens ({166}) Meyer Müller ({167}) Müntefering Nagel Frau Dr. Niehuis Dr. Niese Niggemeier Dr. Nöbel Frau Odendahl Oostergetelo Dr. Osswald Paterna Pauli Dr. Penner Peter ({168}) Dr. Pick Poß Rappe ({169}) Reimann Frau Renger Reschke Reuter Rixe Dr. Scheer Scherrer Schluckebier Frau Schmidt ({170}) Schmidt ({171}) Dr. Schöfberger Schreiner Frau Schulte ({172}) Seidenthal Frau Seuster Singer Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell Dr. Sperling Stahl ({173}) Stiegler Frau Terborg Urbaniak Vahlberg Voigt ({174}) Vosen Wartenberg ({175}) Weiermann Frau Weiler Dr. Wernitz Westphal Frau Weyel Frau Wieczorek-Zeul Wiefelspütz von der Wiesche Wimmer ({176}) Wischnewski Dr. de With Wittich Zumkley FDP Frau Dr. Adam-Schwaetzer Baum Cronenberg ({177}) Eimer ({178}) Dr. Feldmann Frau Folz-Steinacker Funke Gallus Gattermann Gries Grüner Dr. Hirsch Dr. Hitschler Hoppe Dr.-Ing. Laermann Dr. Graf Lambsdorff Mischnick Neuhausen Nolting Rind Ronneburger Schäfer ({179}) Frau Seiler-Albring Dr. Solms Dr. Thomae Timm Frau Würfel Zywietz Enthaltungen SPD Frau Fuchs ({180}) Weisskirchen ({181}) Damit ist auch dieser Änderungsantrag abgelehnt. Ich komme zum Ergebnis der Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 11/5544. Abgegebene Stimmen 368, ungültig keine, mit Ja haben gestimmt 35, mit Nein 331, Enthaltungen 2. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen 365; davon ja: 35 nein: 329 enthalten: 1 Vizepräsident Stücklen Ja DIE GRÜNEN Frau Beer Brauer Dr. Briefs Dr. Daniels ({182}) Eich Frau Flinner Frau Frieß Frau Garbe Frau Hensel Frau Hillerich Hüser Frau Kelly Kleinert ({183}) Frau Kottwitz Dr. Lippelt ({184}) Dr. Mechtersheimer Meneses Vogl Frau Nickels Frau Oesterle-Schwerin Frau Saibold Frau Schilling Frau Schmidt ({185}) Frau Schoppe Stratmann Such Frau Teubner Frau Trenz Weiss ({186}) Wetzel Frau Wollny Fraktionslos Frau Unruh Nein CDU/CSU Dr. Abelein Bauer Dr. Becker ({187}) Dr. Biedenkopf Biehle Dr. Blank Dr. Blens Böhm ({188}) Börnsen ({189}) Bohl Breuer Buschbom Carstensen ({190}) Clemens Dr. Czaja Frau Dempwolf Dörflinger Doss Echternach Ehrbar Eylmann Dr. Faltlhauser Feilcke Dr. Fell Frau Fischer Fischer ({191}) Francke ({192}) Dr. Friedrich Ganz ({193}) Geis Dr. von Geldern Gerstein Gerster ({194}) Glos Günther Dr. Häfele Hames Haungs Hauser ({195}) Hauser ({196}) Hedrich Heimrich Herkenrath Hinrichs Hinsken Höpfinger Hörster Dr. Hoffacker Frau Hoffmann ({197}) Frau Hürland-Büning Graf Huyn Dr. Hüsch Jäger Dr. Jahn ({198}) Dr. Jenninger Dr. Jobst Jung ({199}) Kalisch Dr.-Ing. Kansy Dr. Kappes Kittelmann Dr. Köhler ({200}) Kolb Kossendey Kraus Krey Dr. Kronenberg Dr. Kunz ({201}) Lamers Dr. Lammert Dr. Langner Lattmann Dr. Laufs Lenzer Link ({202}) Link ({203}) Louven Maaß Magin Dr. Mahlo Marschewski Dr. Meyer zu Bentrup Michels Dr. Möller Nelle Neumann ({204}) Dr. Olderog Oswald Pesch Petersen Pfeffermann Dr. Pinger Dr. Pohlmeier Dr. Probst Rauen Rawe Reddemann Regenspurger Repnik Frau Rönsch ({205}) Frau Roitzsch ({206}) Frau Rost ({207}) Rühe Ruf Sauer ({208}) Sauer ({209}) Sauter ({210}) Frau Schätzle Scharrenbroich Schartz ({211}) Schemken Scheu Schmidbauer Frau Schmidt ({212}) Dr. Schneider ({213}) Freiherr von Schorlemer Schreiber Schulhoff Dr. Schulte ({214}) Schwarz Dr. Schwörer Seehofer Seesing Dr. Sprung Dr. Starck ({215}) Dr. Stoltenberg Straßmeir Stücklen Frau Dr. Süssmuth Tillmann Dr. Uelhoff Uldall Dr. Unland Frau Verhülsdonk Vogel ({216}) Vogt ({217}) Dr. Voigt ({218}) Dr. Vondran Dr. Waffenschmidt Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warrikoff Dr. von Wartenberg Weirich Werner ({219}) Wilz Wimmer ({220}) Frau Dr. Wisniewski Dr. Wittmann Würzbach Dr. Wulff Zeitlmann Zierer Zink SPD Frau Adler Amling Andres Antretter Bachmaier Bahr Bamberg Frau Becker-Inglau Bernrath Bindig Dr. Böhme ({221}) Börnsen ({222}) Brandt Brück Büchler ({223}) Dr. von Bülow Catenhusen Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser Duve Dr. Ehrenberg Erler Frau Faße Fischer ({224}) Frau Ganseforth Gansel Dr. Gautier Gilges Graf Großmann Grunenberg Dr. Haack Haack ({225}) Frau Dr. Hartenstein Hasenfratz Dr. Hauchler Heyenn Dr. Holtz Horn Huonker Ibrügger Jahn ({226}) Dr. Jens Frau Kastner Kastning Kiehm Kirschner Kißlinger Dr. Klejdzinski Kolbow Koltzsch Koschnick Kretkowski Dr. Kübler Kuhlwein Lambinus Leidinger Leonhart Lutz Frau Matthäus-Maier Menzel Dr. Mertens ({227}) Meyer Müller ({228}) Müntefering Nagel Frau Dr. Niehuis Dr. Niese Niggemeier Dr. Nöbel Frau Odendahl Oostergetelo Dr. Osswald Paterna Pauli Dr. Penner Peter ({229}) Dr. Pick Porzner Poß Rappe ({230}) Reimann Frau Renger Reschke Reuter Rixe Dr. Scheer Scherrer Schluckebier Schmidt ({231}) Dr. Schöfberger Schreiner Frau Schulte ({232}) Seidenthal Frau Seuster Singer Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell Dr. Sperling Stahl ({233}) Stiegler Frau Terborg Urbaniak Vahlberg Dr. Vogel Voigt ({234}) Vizepräsident Stücklen Vosen Wartenberg ({235}) Weiermann Frau Weiler Weisskirchen ({236}) Dr. Wernitz Frau Weyel Frau Wieczorek-Zeul Wiefelspütz von der Wiesche Wimmer ({237}) Wischnewski Dr. de With Wittich Zeitler Zumkley FDP Frau Dr. Adam-Schwaetzer Baum Cronenberg ({238}) Eimer ({239}) Dr. Feldmann Frau Folz-Steinacker Funke Gallus Gattermann Gries Grüner Heinrich Dr. Hitschler Hoppe Kleinert ({240}) Dr.-Ing. Laermann Dr. Graf Lambsdorff Lüder Mischnick Neuhausen Richter Ronneburger Schäfer ({241}) Frau Dr. Segall Dr. Solms Dr. Thomae Timm Frau Würfel Zywietz Enthaltungen SPD Frau Fuchs ({242}) Dieser Änderungsantrag ist ebenfalls abgelehnt. Die Änderungsanträge sind damit alle abgelehnt. Ich rufe deshalb den Gesetzentwurf auf Drucksache 11/5490 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Reihe von Enthaltungen aus der Fraktion der SPD ist dieser Gesetzentwurf mit Mehrheit angenommen. ({243}) Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Hierzu liegt eine schriftliche Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung der Abgeordneten Stiegler, Amling und weitere Mitglieder der Fraktion der SPD *) und eine weitere Erklärung des Herrn Abgeordneten Soell **) vor. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei einer Reihe von Enthaltungen aus der Fraktion der SPD ist dieser Gesetzentwurf in der dritten Lesung mit großer Mehrheit angenommen. Uns bleibt noch, über die drei Entschließungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/5545, 11/5546 und 11/5547 abzustimmen. *) Anlage 5 **) Anlage 2 Wer dem Entschließungsantrag der GRÜNEN auf Drucksache 11/5545 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Mit großer Mehrheit ist dieser Entschließungsantrag abgelehnt. Wer für den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5546 stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Keine Enthaltungen. Mit großer Mehrheit ist dieser Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN abgelehnt. Auch zur Abstimmung über den Entschließungsantrag auf Drucksache 11/5547 hat Frau Abgeordnete Schmidt ({244}) eine Erklärung nach § 31 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung zu Protokoll gegeben.' ) Wer für den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5547 stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Mit großer Mehrheit ist dieser Entschließungsantrag abgelehnt. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 6 b, und zwar zunächst zur Abstimmung über Nr. 1 der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung auf Drucksache 11/5490. Der Ausschuß empfiehlt hier zum einen, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/1401 abzulehnen. Wer diesem Vorschlag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Damit ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Ablehnung mit großer Mehrheit angenommen. Der Ausschuß empfiehlt darüber hinaus unter Nr. 1, einen weiteren Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/4964 abzulehnen. Wer für diese Ablehnung ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Mit großer Mehrheit ist dem Vorschlag entsprochen worden, den Antrag abzulehnen. Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/4957 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? Gibt es andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Es ist so beschlossen. Ich rufe den Zusatz-Tagesordnungspunkt 5 auf: Aktuelle Stunde Die Fraktion der CDU/CSU hat gemäß unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem Thema „Schätzung der EG-Getreideernte durch die EG- Kommission" verlangt. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eigen. Meine Damen und Herren, wer an der Aktuellen Stunde teilzunehmen wünscht, den bitte ich, Platz zu nehmen.

Karl Eigen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000455, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben uns entschlos- *) Anlage 3 sen, zu dem Beschluß der Kommission über die Feststellung der Erntemenge für das Wirtschaftsjahr 1989/90 eine Aktuelle Stunde zu beantragen, weil wir es für richtig erachten, daß dieser ungeheuerliche Vorgang in Brüssel unserer Öffentlichkeit dargestellt wird und die Kommission erfährt, welche Meinung dieses Hohe Haus über diese unerhörte Provokation der betroffenen Getreidebauern hat. ({0}) Die Auswirkung dieses Beschlusses, die Erntemenge auf 160,5 Millionen Tonnen festzulegen, ist nämlich, daß damit von seiten der Kommission sichergestellt ist, daß für die Ernte 1990 im Wirtschaftsjahr 1990/91 die Marktordnungspreise für Getreide um 3 % sinken. Das ist insofern besonders verwerflich, als die Stabilisatoren-Beschlüsse vom Februar 1988 von der Kommission und den Mitgliedsländern der Europäischen Gemeinschaft in keiner Weise erfüllt worden sind. Damals wurde ja, gerade von der Bundesregierung vorgeschlagen, bei dem Gipfel ein Stabilisatoren-Gesetz verabschiedet, in dem festgelegt wurde, daß fünferlei von der Kommission durchzuführen ist: erstens die Garantieschwelle von 160 Millionen Tonnen Getreide und 4,5 Millionen Tonnen Raps, zweitens die Flächenstillegung überall in Europa, drittens die Rückführung der Getreidesubstitutenimporte, viertens die Mehrverfütterung von Getreide und fünftens verstärkte Förderung bei nachwachsenden Rohstoffen. Wie kann man das erste in dieser Weise bei der so geringen Differenz zu 160 Millionen Tonnen exekutieren, wenn man die Punkte zwei, drei, vier und fünf nicht nur nicht erfüllt hat, sondern in wesentlichen Bereichen überhaupt nicht mit einer vernünftigen Politik begonnen hat? ({1}) Dies ist in Wirklichkeit nichts anderes als die gnadenlose Fortsetzung der Preissenkungspolitik der Kommission. Sie will mit Gewalt die Getreidepreise weiter heruntersetzen und damit Millionen von Landwirten in der Europäischen Gemeinschaft in ihrer Existenz empfindlich treffen. Wie anders kann man sich sonst vorstellen, daß die Getreidepreise in den letzten Jahren von 50 DM auf 35 DM gesenkt worden sind? Jetzt sollen sie noch weiter gesenkt werden. Ich frage: Wohin will die Kommission eigentlich, wie weit will sie es mit der Landwirtschaft eigentlich treiben? Wir wollen hier unseren leidenschaftlichen Widerstand entgegensetzen. Man muß sich vor allen Dingen mal vorstellen, daß bei einer Statistik mindestens eine Fehlerquote von 2 bis 5 To vorhanden ist. Wie soll man dann mit 160,5 Millionen Tonnen den Menschen draußen glaubhaft machen, daß dies eine ernsthafte Schätzung ist, die einer wissenschaftlichen Nachprüfung standhält? Ich habe, als wir damals am 18. erfuhren, daß die Kommission einen solchen Beschluß fassen will, Telegramme geschickt an die Kommission, an den Präsidenten Delors, an MacSharry, Schmidhuber und Bangemann, um dieses Unglück zu verhindern, weil ich der Meinung bin, daß hiermit viel politisches Porzellan in der Europäischen Gemeinschaft jedenfalls bei denjenigen Bürgern zerschlagen worden ist, die diese Problematik etwas angeht. Das Parlament der Europäischen Gemeinschaft hätte beinahe den richtigen Beschluß gefaßt, alle Mitverantwortungsabgaben aufzuheben. Leider bekamen wir im Europäischen Parlament nicht die Mehrheit, weil die deutschen Sozialdemokraten im Europäischen Parlament gegen diesen Beschluß der Abschaffung der Mitverantwortungsabgabe gestimmt haben. ({2}) - Daß sie da Beifall spenden, zeigt, daß Sie darüber entweder nicht Bescheid wissen, daß es nur ein Jux von Ihnen ist, oder daß Sie den Bauern in Europa wirklich empfindlichen Schaden zufügen wollen. Jedenfalls gibt es Möglichkeiten, das Unglück noch zu verhindern. ({3}) Erstens kann man eine weitere Erntefeststellung von 159 Millionen Tonnen durchführen, zweitens bei den Preiverhandlungen für das Wirtschaftsjahr 1990/91 den Getreide- und Rapspreis um 6 % anheben, drittens den Ankaufspreis für Getreide und Raps von 94 auf 100 % anheben, und viertens kann man über die Abschaffung der Mitverantwortungsabgabe bei Getreide und bei Milch noch etwas helfen. Unsere Bauern draußen sollten wissen - deswegen haben wir hier auch eine Aktuelle Stunde gemacht -, daß der Bundeskanzler, daß Bundesminister Kiechle und daß auch sein Staatssekretär Kittel alles tun werden, um in den Beratungen des Rates diese Dinge wieder so zu verändern, ({4}) daß die Bauern wieder Vertrauen in die europäische Politik fassen können und dieses Unglück damit ungeschehen gemacht wird. Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Oostergetelo.

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion hat diese Aktuelle Stunde beantragt. Thema ist „Schätzung der EG-Getreideernte durch die EG- Kommission" . ({0}) Richtig ist: Voreilig ist dieses Ergebnis der Getreideernte festgesetzt. Bei der Überschreitung der EG- Garantieschwelle von nur 500 000 Tonnen oder gerade 0,3 % wird den Getreidebauern wieder eine Senkung der Interventionspreise um 3 % zugemutet. Dies kommt einer regelrechten Strafaktion gleich. Wenn man auch noch die Senkung der Reports dazurechnet, bedeutet das bei Getreidebauern Einkommensverluste von 10 %. Schlimmer noch, Herr Kol13190 lege: Die Getreidebauern, die gerade noch mit plus/ minus Null über die Runden kommen, verlieren dadurch ihr ganzes Einkommen, denn die letzten Mark oder die letzten Prozente beim Preis machen den Verdienst aus. Das ist die Auswirkung, und insofern geht es um existentielle Fragen; daran kann es keinen Zweifel geben. So und auch anders hat der Minister formuliert. Nicht nur er ist durch die Lande gezogen und hat, so wie es eben der Kollege Eigen getan hat, die EG-Kommission dafür beschimpft. Nun ist die Frage: Ist das der richtige Adressat? Erinnern wir uns! Im Februar 1988 wurde beim Europäischen Rat unter deutscher Präsidentschaft das Konzept der sogenannten Stabilisatoren verabschiedet. Ich kritisiere das nicht, ich stelle nur fest, der Bundeskanzler und der Bundesminister haben daran mitgestrickt, auch an der Ausgestaltung, und haben den Erfolg gefeiert. Lesen Sie einmal nach, Herr Eigen, was für Lobeshymnen Sie nach diesem Gipfel losgelassen haben. Nun wollen Sie die EG dafür prügeln. ({1}) Zu diesem Konzept gehört auch die automatische Senkung der Interventionspreise um 3 %, wenn die Garantiemenge von 160 Millionen Tonnen überschritten wird. Was den Getreidebauern zugemutet wird, war Ihr Wille, daß diese Automatik bei bestimmten Bedingungen eintritt. Diese Strafaktion hat nicht die EG-Kommission gestartet, sie ist vom Bundeskanzler und, ich nehme an, auch vom Herrn Bundesminister Kiechle im Februar 1988 mitbeschlossen worden. Ich habe den Eindruck, Ihre Kritik soll vom eigenen Unvermögen ablenken, indem Sie die EG-Kommission beschimpfen. Das wird nicht gelingen. Sicher kann man darüber streiten, ob es richtig ist, die Erntefestsetzung jetzt vorzunehmen oder im Februar 1990. Ich persönlich neige zum Februar, weil es dann nicht mehr kritisiert werden kann. Aber Sie hätten doch damals diesen Zeitraum festlegen können. Warum haben Sie das nicht getan? Sie erinnern sich genau, welche Eile Sie bei der Änderung des Gesetzes zur Durchführung der Gemeinsamen Marktordnung im September dieses Jahres während der Haushaltsberatung hatten: eine Woche Beratung, zweite und dritte Lesung, durchgepeitscht und verabschiedet. Sie forderten eine schnelle Erntefestsetzung, weil Sie hofften, auf weniger als 160 Millionen Tonnen zu kommen, um den gebeutelten Marktfruchtbetrieben zu helfen. Das wollten Sie einfahren. Nun ist es danebengegangen wie so vieles in der Getreidepolitik Ihrer Regierung. Meine Kollegen werden dazu Stellung nehmen, was das Fehlen der Begleitmaßnahmen und was die Ausgestaltung angeht. Im übrigen bin ich der Meinung, die Getreideproblematik wird auch nicht über den Heilsweg der Flächenstillegung oder durch nationale Quoten, die man vernünftigerweise fordern kann, aber nicht durchsetzt, gemeistert. Hier, denke ich, wäre EG-weit „rein in den Futtertrog" - darüber sollten wir uns gemeinsam unterhalten - vielleicht die bessere Lösung. Wenn wir nun gemeinsam beklagen, daß die von der Bundesregierung mitbeschlossenen enormen Einkommensrückgänge bei den Getreidebauern stattfinden, aber die Bundesregierung sich weigert, die von ihr mitbeschlossene vorübergehende Einkommensübertragung speziell für diese Betriebe einzuführen, dann wirft diese Diskussion doch die Frage auf, ob die Bundesregierung diesen Betrieben wirklich helfen will durch eine EG-gestützte Direktübertragung. Warum wollen Sie sie nicht? ist die Frage. Nur darum nicht, weil es dort eine Einkommensobergrenze gibt und weil es nur die bekommen würden, die es zum Überleben bitter nötig haben? Handeln Sie doch! Sie könnten es. Sie haben es mitbeschlossen; aber Sie können nicht die EG-Kommission prügeln für eigenes Fehlverhalten. ({2})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bredehorn.

Günther Bredehorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000256, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Schätzung der EG-Getreideernte durch die EG-Kommission auf 160,5 Millionen Tonnen wird von den betroffenen Landwirten als willkürlich und unseriös empfunden und ist wirtschaftlich und politisch unvernünftig. Die Ernteschätzung auf 160,5 Millionen Tonnen bedeutet, daß die Garantiemenge von 160 Millionen Tonnen gerade um 0,3 % überschritten ist. Das bedeutet aber auch, daß im nächsten Jahr automatisch eine Getreidepreissenkung um 3 % und damit eine erneute Einkommenseinbuße für unsere Landwirte um 10 bis 12 % zu befürchten ist. Dabei stehen unsere leistungsfähigen Marktfrucht-betriebe schon seit Jahren unter Preisdruck. Die Einkommen sind dramatisch zurückgegangen. So fiel z. B. der Weizenpreis gebenüber 1983 um 27 %. Liebe Kolleginnen und Kollegen, stellen Sie sich mal vor, das wäre in der übrigen Wirtschaft der Fall, was dort los wäre! Unsere Landwirte müssen damit fertigwerden. Die Einkommen in den Marktfruchtbetrieben gingen in den letzten Jahren drastisch zurück, so 1987 minus 6 %, 1988 minus 18 %, und für 1989 müssen wir mit einem erneuten Rückgang der Einkommen um 8 bis 10 % rechnen. Das bedeutet, daß viele Betriebe in Existenznot geraten und die fort arbeitenden Menschen keine Zukunft mehr sehen. Vor diesem Hintergrund ist der jetzige Beschluß der EG-Kommission unverantwortlich. Man muß sich nämlich fragen, ob die Kommission bei der Schätzung der Garantiemenge - das sind 0,3 mehr als 160 Millionen t - die statistische Fehlerquote von plus/minus 2 %, die in solchen Schätzungen liegt - das Ernteergebnis wird erst im nächsten Frühjahr vorliegen - , überhaupt berücksichtigt hat oder ob sie diese Entscheidung ganz gezielt getroffen hat, um letztendlich ihre Preisdruckpolitik fortzusetzen. Die unter deutscher Präsidentschaft im Februar 1988 durchgesetzten sogenannten Stabilisatoren-Beschlüsse sollten ja diese negative Entwicklung verhindern - deshalb haben wir das auch begrüßt und unterstützt - , indem durch verschiedene flankierende Maßnahmen die Getreidemenge zurückgeführt und dem Markt angepaßt werden sollte. Dieses Stabilisatorenkonzept ist meines Erachtens nach wie vor richBredehorn tig. Nur muß die Kommission nun endlich auch die entlastenden Maßnahmen verwirklichen. ({0}) Bisher sind die Landwirte nämlich nur belastet worden, während Flächenstillegungen und Extensivierung in Europa nur halbherzig angepackt wurden. Von daher, glaube ich, Herr Kollege Oostergetelo, kann man nicht dem Bundeskanzler und dem Bundesminister einen Vorwurf machen, die dieses Konzept zur Verhinderung des Schlimmsten damals durchgesetzt haben. Eine Förderung nachwachsender Rohstoffe, die auch im Hinblick auf die wachsenden Klimaprobleme notwendig ist, wurde bisher eben nicht verwirklicht. Es wurde innerhalb der EG, innerhalb der Kommission, nur geredet. Auch unternimmt die Kommission bisher nichts, um den Zustrom von Substituten in die EG zu beschränken oder diese wenigstens in die Getreidemarktordnung einzubinden. Noch fördert sie die Umlenkung von überschüssigem Getreide in den Futtertrog. Eine solche Politik der EG-Kommission führt zur Existenzvernichtung vieler Betriebe, vieler Bauern. ({1}) Dieses werden und dürfen wir nicht hinnehmen. Deshalb fordere ich die EG-Kommission namens meiner Fraktion auf, endlich die Flächenstillegung und Extensivierung in allen Ländern der EG verbindlich durchzuführen. Wenn das schon in diesem Jahr gelaufen wäre, wäre diese Garantiemenge unterschritten worden, hätten wir das Dilemma gar nicht. Wir brauchen endlich konkrete Maßnahmen zur Erhöhung der Getreideverfütterung. Die Substitutenfrage muß gelöst werden. Und es müssen neue Absatzmöglichkeiten für landwirtschaftliche Rohstoffe außerhalb des Ernährungssektors erschlossen werden. Die drastischen Einkommenseinbußen unserer Getreidebauern in den letzten fünf Jahren müssen bei der nächsten Agrarpreisrunde berücksichtigt werden. Hier muß ein gewisser Ausgleich geschaffen werden. Wir werden unserem Minister daher den Rücken stärken, damit er es schafft. Es muß endlich gelingen, ein Marktgleichgewicht im Getreidesektor zu erreichen, um damit die Existenz und das Einkommen unserer Ackerbaubetriebe auch in Zukunft zu sichern. ({2})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Kreuzeder.

Matthias Kreuzeder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001213, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Regierungspartei beantragt eine Aktuelle Stunde, um einen angeblichen Skandal der EG- Kommission aufzudecken, und gleichzeitig versucht sie, ihren heldenhaften Einsatz für die deutschen Getreidebauern öffentlich breitzuschlagen. Es ist in höchstem Maße scheinheilig, sich über die vorläufige Ernteschätzung der Kommission aufzuregen; denn die politische und rechtliche Handhabe für diese Schätzung wurde von Ihnen und Ihren Vertretern geschaffen und der Kommission aufgetragen. ({0}) - Der Bauernverband hat das unterstützt. Sie können sich noch erinnern? ({1}) Deswegen ist die Aktuelle Stunde eine Verarschung, eine große Hinterfotzigkeit gegenüber den betroffenen Bauern, um sich nicht selbst zu entlarven.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Kreuzeder, wenn sich der Präsident einschaltet, müssen Sie ihm schon die Möglichkeit dazu geben. Ich bin selbstverständlich gerne bereit, unseren bayerischen Dialekt hier ins Hochdeutsche zu übersetzen. Aber bisher wurde alles verstanden, manches sogar zu kräftig verstanden. ({0}) Auch wenn das bei uns in Franken und in Altbayern natürlich keine Beleidigung oder unangenehme Umgangssprache ist, sollten Sie sich ihrer entwöhnen, damit - es sind zuwenig Bayern da ({1}) die Damen und Herren, die hier verblieben sind, Sie nicht falsch verstehen. - Sie haben mich jetzt richtig verstanden? ({2}) Bitte schön. - Herr Kreuzeder, ich habe gestoppt.

Matthias Kreuzeder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001213, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Zeit wird mir ja nicht abgezogen. Die Mengenschätzung ist zentraler Bestandteil der von Ihnen beschlossenen Agrarpreisstabilisatoren. Allen war vor der Einführung der Stabilisatoren schon klar, daß dieses Instrument zu direkten und automatischen Preissenkungen führt und daß sie keine Maßnahmen zur Überschußreduzierung sind. Sie wollen die Preissenkung. Überproduktion ist ja erlaubt. Die Kommission ist nur das ausführende Organ. Bestimmt haben wir - besser gesagt: Sie, nicht ich. ({0}) Sie haben die Bedingungen so gesetzt, daß die Kommission nicht eine einzige Möglichkeit hat, anders zu handeln. Sie waren es, die diese Kriterien festgelegt haben, der Herr Kanzler, der Herr Landwirtschaftsminister. Das heißt, Sie als Parlament haben die Möglichkeit der Preisgestaltung und der Diskussion darüber bewußt aus der Hand gegeben, natürlich mit dem Ziel, die Schuld für die Preissenkung auf die Kommission abzuwälzen. Daß die Stabilisatorenregelung die Erzeugerpreise beim Getreide durch Überschreiten der Referenzmenge jedes Jahr automatisch senkt, ist Ziel der Maßnahme und war Ihnen schon vorher klar. Deshalb haben Sie die Diskussion auf die Flächenstillegung umgelenkt. Sie wollen uns jetzt immer noch weismachen, daß Flächenstillegung Überschußproduktion von Getreide und Preissenkung verhindert. Wollen Sie nicht endlich der Meinung aller Experten folgen, daß das nicht möglich ist? ({1}) Denn einer 1%igen Verringerung der Produktion durch Stillegung steht eine jährlich 2- bis 3%ige Steigerung entgegen. Das Geschenk der Streichung der Zusatzmitverantwortungsabgabe ist reine Kosmetik, nutzt nur dem Landhandel, nicht mehr. Wir Bauern mußten jedoch seit 1983 Preiseinbußen von 27 % hinnehmen. Die bevorstehende Entwicklung wird weitere Einkommenseinbußen von 12 % für Getreidebauern bringen. Wo war Ihre Beantragung einer Aktuellen Stunde für die Milchkontingentierung, für den Härtefall? Wo war sie da? ({2}) Wo war Ihre Beantragung einer Aktuellen Stunde bei der Förderschwelle? ({3}) Sie müssen endlich über sich selbst zu Gericht sitzen, dann wird sich in der Landwirtschaft vielleicht etwas verbessern. ({4}) Wir haben Ihnen genug Vorschläge gemacht, damit etwas besser wird. ({5})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Susset.

Egon Susset (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Opposition kritisiert die Beschlüsse des Europäischen Rates. ({0}) Ich bin der Meinung, das, was im Februar 1988 beim Europäischen Rat durch den Bundeskanzler und unseren Bundeslandwirtschaftsminister durchgesetzt wurde, wäre als Gesamtpaket und als Gesamtkonzept durchaus eine Möglichkeit, auch auf dem Getreidemarkt eine vernünftige Situation herzustellen. Was war die Alternative dazu? Die Alternative dazu waren die Beschlüsse von Kopenhagen, wo es um 155 Millionen Tonnen Getreide ging und für jedes Prozent, das darüber hinaus produziert wird, um einen Preisabschlag von 1 %. Das hieße, wir wären heute wahrscheinlich bei einem Preisabschlag seit Februar 1988 von 20 % bis 25 %. Wenn hier die Milchquote angesprochen wird: Meine Damen und Herren, die Gesamtlage der Landwirtschaft hat sich doch verbessert - das werden die Zahlen des grünen Berichts beweisen - , weil sich die Anstrengungen um Stabilität auf den Märkten auf dem Milch- und auf dem Getreidesektor gelohnt haben. ({1}) Große Probleme bereitet uns gegenwärtig der Getreidebereich. Für das kommende Jahr ist auf Grund der Schätzung der EG automatisch eine Senkung des Preises um 3 % vorprogrammiert. Die geschätzten 0,3 % mehr bewirken diese Preissenkung und natürlich auch einen Einkommensverlust von über 10 %. Die hier praktizierte Allmacht der Kommission kann ich nur als selbstherrliches Vorgehen der Brüsseler Behörde zu Lasten der europäischen Getreideerzeuger bezeichnen. Wir wissen doch, daß jede Schätzung mit Unsicherheiten behaftet ist. Die Ernteschätzung von Mitte Oktober 1989 hat eine statistische Fehlerquote von 2, 3 %. Dies unterstreicht, daß es der Kommission darauf ankam, eine Preissenkung für das nächste Wirtschaftsjahr festzuschreiben. Fest steht doch, daß die Produktionsschwelle von 160 Millionen Tonnen unterschritten worden wäre, wenn andere Mitgliedstaaten in gleicher Weise wie die Bundesrepublik Deutschland für eine effektive Durchführung der Flächenstillegung gesorgt hätten. ({2}) In diesem Sinne, meine Damen und Herren, hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion gemeinsam mit der FDP in einem Entschließungsantrag zum Agrarbericht 1989 die Bundesregierung aufgefordert, darauf hinzuwirken, daß alle EG-Mitgliedstaaten umgehend einen gleichgewichtigen Beitrag zur Mengenrückführung durch Flächenstillegung, Extensivierung und Umstellung leisten und im Umfang ihrer Beteiligung von der Mitverantwortungsabgabe befreit werden. Das haben wir bei der Agrardebatte hier als Entschließungsantrag eingebracht. ({3}) Die Bundesregierung hat diesen Auftrag in der letzten Ausschußsitzung noch einmal zur Kenntnis genommen. Deshalb fordern wir heute die Bundesregierung auf, bei den Preisverhandlungen im kommenden Jahr darauf hinzuwirken, daß die von der EG-Kommission provozierte Preissenkung um 3 % mindestens den Wegfall der Mitverantwortungsabgabe in voller Höhe bewirkt. Das ist das, was wir anläßlich der Debatte zum Agrarbericht beschlossen haben. Dazu stehen wir. Zu unserem Weg der Mengenrückführung und Preisstabilisierung ist keine vertretbare Alternative in Sicht. Daher müssen wir diesen Weg konsequent fortsetzen. Dazu gehört, das in der Praxis eingeführte Konzept der unmittelbaren Mengenbegrenzung auf EG-Ebene mit Nachdruck zu vertreten. Dazu gehört auch - dazu fordern wir die Bundesregierung heute noch einmal auf - , durch hartnäckigen Einsatz in Brüssel für baldige und effiziente EG-Maßnahmen zur Steigerung der Getreideverfütterung und zur Nutzung des Produktionspotentials für nachwachsende Rohstoffe zu sorgen. Dies ist der einzige erfolgverspreSusset chende Weg, um die Preissenkungsstrategie der EG-Kommission zu stoppen. Deshalb haben wir heute diese Aktuelle Stunde veranlaßt, um der Bundesregierung den Rücken zu stärken, wenn es darum geht, in Brüssel bei den Preisverhandlungen auch auf dem Getreidesektor für die Landwirtschaft zumutbare Preise durchzusetzen. Ich danke schön. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sielaff.

Horst Sielaff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002172, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir Sozialdemokraten teilen ja die Sorgen über die Zukunft der Landwirtschaft. Schönfärberei - Herr Susset, da geben wir Ihnen völlig recht - ist fehl am Platze. Im Grunde zeigt auch die Beantragung dieser Aktuellen Stunde, daß die Schönfärberei in bezug auf die Zukunft der Landwirtschaft nicht angebracht ist. Die Problematik, mit der wir uns heute befassen, ist ernst. Ich meine damit allerdings nicht das von Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, sehr eingeschränkte und eingeengte Thema der Ernteschätzung für Getreide durch die EG-Kommission. Ich meine vielmehr die Lage auf den Getreidemärkten insgesamt, die meines Erachtens nicht so eng begrenzt behandelt werden kann, wie wir es heute auf Ihren Antrag hin tun. Die vordergründige Aufgeregtheit der Regierungskoalition erinnert doch sehr an zurückliegende Zeiten, an Zeiten, in denen der Agrarrat in Brüssel oder Luxemburg in endlos dauernden Tag- und Nachtsitzungen um Agrarpreise rang und dabei weniger die Situation auf den jeweiligen Agrarmärkten im Auge hatte und am Ende oft, zu oft, auch falsche Signale gesetzt hat. Das Ergebnis kennen wir alle: von Jahr zu Jahr steigende Überschüsse, nicht mehr zu verantwortende Ausgaben für Lagerhaltung und Überschußverwertung und - trotz all dieser Aufwendungen - fallende Erzeugerpreise und abnehmende Einkommen in unseren bäuerlichen Familienbetrieben. Ich möchte auch in Erinnerung rufen: Die Ausgaben der Überschußfinanzierung in der EG übersteigen heute schon bei weitem die Ausgaben der europäischen Entwicklungshilfe insgesamt. Nicht von ungefähr hat die überfällige Reform der Agrarpolitik im vergangenen Jahr die entsprechende, wie ich meine, negative Ausgestaltung erfahren und ein ständiges Herumhantieren bei marginal eintretenden Änderungen im Marktgeschehen wesentlich erschwert. Wie ist die Situation denn heute auf dem Getreidemarkt in der EG? Der Selbstversorgungsgrad lag 1988/89 bei knapp 120 %. Die Marktausgaben betrugen 1988 immer noch gut 10 Milliarden DM. Obwohl die Anbaufläche für Getreide in der EG abnahm, stieg die Produktion erheblich. Der technische Fortschritt im Anbau von Getreide war und ist weiterhin enorm. Dem Produktionsanstieg stand kein entsprechender Verbrauchsanstieg gegenüber. Im Gegenteil: Zeitweise nahm der Verbrauch ab, oder er blieb gleich. Die Ursachen hierfür sind bekannt, insbesondere die starke Zunahme von Substituten in der Verfütterung. Der Weltmarkt erfuhr durch Trockenheit in den USA und Mißernten in der Sowjetunion vorübergehend eine Entlastung. Mittelfristig ist jedoch mit Produktionsausweitungen in den traditionellen Agrarexportländern zu rechnen, so daß mögliche Überschüsse in der EG wiederum nur mit enormen Kosten einer Verwertung zugeführt werden können. Wir sollten auch nicht vergessen, daß niedrigere Getreidepreise nicht in jedem Fall und für jeden bäuerlichen Familienbetrieb ein Unglück sind. ({0}) Gerade bei der bei uns gegebenen Struktur profitieren hiervon flächenärmere, mit dem Schwerpunkt der Veredelung versehene bäuerliche Familienbetriebe. Davon gibt es bei uns viele, Herr Eigen, jedenfalls mehr, als es reine Marktfruchtbetriebe gibt. Insgesamt, so meine ich, ist die Situation auf dem Getreidemarkt nicht rosig. Wir sind weit entfernt vom Ziel, ein Marktgleichgewicht erreicht zu haben. Wir haben also keinen Grund, vom einmal eingeschlagenen Weg der Konsolidierung der Märkte abzugehen. Was wir brauchen, sind gezielt auf diese Situation abgestellte flankierende Maßnahmen. Darauf werden meine Fraktionskollegen noch eingehen. Diese Maßnahmen müssen dazu beitragen, in Bedrängnis geratenen bäuerlichen Familienbetrieben zu helfen. Das, was auf diesem Gebiet bisher geschehen ist, ist insgesamt, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, völlig unzureichend. ({1})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Heinrich.

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Ich meine, Herr Kollege Oostergetelo, nicht die Politik der Bundesregierung steht heute in dieser Aktuellen Stunde im Mittelpunkt der kritischen Betrachtung, sondern die Argarpolitik, die in Brüssel verantwortet wird. ({0}) Der einzige Fehler, den die Bundesregierung meiner Meinung nach vielleicht gemacht hat, war, daß sie der Kommission zu sehr vertraut hat, daß sie sich nämlich an dieses Paket halten würde, was sie nicht getan hat. ({1}) Deshalb haben Sie, Herr Kollege, nur die halbe Wahrheit gesagt. Ich stehe nach wie vor hinter dieser Agrarpolitik, d. h. nicht Preissenkung, sondern Reduzierung der Menge. Genau diese Maßnahmen brauchen wir, um den Getreidemarkt in Ordnung zu bringen. ({2}) Das Instrument der Stabilisatoren, richtig angewandt, kann dabei durchaus behilflich sein. Damit können auch in der Argumentation im GATT unsere Interessen entsprechend vertreten werden. Ich betone aber: richtig angewandt. Gerade das vermisse ich bei der EG-Kommission. Abgesehen davon, daß es schon unzulässig sein muß, nur auf der Basis von Schätzungen so weitreichende finanzielle Konsequenzen zu ziehen - vor allem wenn die Schätzungen dabei so knapp an der finanzwirksamen Grenze verlaufen - , sind der Kommission auch in einigen anderen Punkten schwere Vorwürfe zu machen. Ich habe zu monieren: Die Kornmission hat trotz deutschem Drängen viel zu lange die mengenbegrenzenden Maßnahmen wie Extensivierung, Flächenstillegung sträflich vernachlässigt. Schon viel früher hätte das Flächenstillegungsprogramm attraktiver gemacht werden müssen; ({3}) denn es war doch längst abzusehen, daß die Beteiligung der EG-Staaten bei weitern nicht ausreichen würde. Was brachten denn die Pläne? Mehr Getreide in den Futtertrog? Fehlanzeige! ({4}) Was brachten sie denn für das überaus wichtige Zukunftsthema nachwachsende Rohstoffe? Auch hier nur Fehlanzeige. Und bei der Substitutenregelung - auch mein Vorgänger hat es gesagt - wiederum Fehlanzeige. Die Kommission ist kein Gestalter der Politik, die ihr aufgetragen wurde, sondern allenfalls ein mittelmäßiger Verwalter, sonst würde gerade das Thema nachwachsende Rohstoffe anders angepackt. Die Landwirtschaft ist nicht nur für die Ernährungsproduktion unabdingbar, sondern es wird auch entscheidend auf die Landwirtschaft und damit verbunden auf die Nutzbarmachung der Photosynthese ankommen, wie sich unsere Umweltprobleme lösen lassen. ({5}) Ich erinnere nur an das CO2, und ich erinnere an den Schwefel. Warum treibt die Kommission diese Überlegungen nicht voran, damit wir in Zukunft eine intelligentere Technik nutzen können, anstatt nur unsere fossilen Bodenschätze zu verfeuern? Um nochmals auf die Flächenstillegung zurückzukommen: Wir werden sehr genau aufpassen, wie sich unsere EG-Nachbarn an diesem Programm beteiligen. Sollte es auch in Zukunft nur sehr unzureichend angenommen werden, bin ich persönlich dafür, daß diejenigen Staaten eine Mitverantwortungsabgabe bezahlen sollen, die sich nicht ausreichend daran beteiligen, und daß die anderen freigestellt werden. Denn das wäre dann Mitverantwortung im wahrsten Sinne des Wortes. Meine Kollegen von der Opposition, wenn Sie so tun, als wenn Sie zwar inhaltlich mit dem, was wir hier vertreten, mitziehen könnten, wenn Sie auf der anderen Seite aber die Schuld der Bundesregierung zuweisen, dann müssen Sie sich im klaren darüber sein, daß Sie nur die eine Seite der Medaille betrachten und die andere völlig ignorieren. ({6}) Das ist nicht ordentlich. Danke schön. ({7})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Herr Abgeordneter Kreuzeder.

Matthias Kreuzeder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001213, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ist eine gute Gelegenheit, einmal über andere Dinge zu sprechen. Wir sollten uns einmal darüber unterhalten, wieso der Bauer und die Bäuerin von einem Brötchen, das verkauft wird, nur noch einen Pfennig haben. Außerdem sind wir zur Zeit dabei, Symptome und nicht die Ursachen der Misere in der Agrarpolitik zu bekämpfen. Ich denke mir, es ist durchaus wichtig, den Stand der Bäuerinnen und Bauern - zur Zeit ist er in unserer Gesellschaft viel zu niedrig angesehen - und ihren Beruf in Parlamenten zu verteidigen. Sie bilden nämlich die Grundlage für eine demokratische Gesellschaft und für eine demokratische Ordnung. Sie besitzen ihre eigene Produktionsgrundlage; sie sind in der Lage, selbst zu bestimmen, wann, wo und was sie produzieren wollen; sie sind dezentral vorhanden und durch Aufsichtsräte und Großkonzerne noch nicht manipulierbar, zumindest einige von ihnen. Ich meine, das sollte uns zu denken geben. Wenn es keine bäuerliche Landschaft mehr gibt, gibt es in meinen Augen auch keine Demokratie mehr. Nur eine dezentrale, selbstbestimmte Gesellschaft, die auch in ihrer Arbeitswelt entscheiden kann, was sie will, ist die Voraussetzung für Demokratie. Deswegen bin ich z. B. in Bonn im Parlament, um aus diesen Gründen die Landwirtschaft zu verteidigen. Da fehlt es bei Ihnen über alle Maßen. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Michels.

Meinolf Michels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001502, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir leben in einer Welt gravierender Unterversorgung in weiten Teilen dieser Welt, auch mitten in Europa. Zur gleichen Zeit steigen unsere Schwierigkeiten auf Grund stetiger Überproduktion. Gäbe es eine alle zufriedenstellende Regelung, brauchten wir uns nicht zum wiederholten Male der Getreidepreissituation zuzuwenden. Tatsächlich und unwiderlegbar sind die Einkommen der getreideanbauenden Betriebe während der letzten Jahre um 25 % zurückgegangen. Die Kommission in Brüssel hat ihre große Chance vertan, die Fehlermarge bei der Ermittlung der EG-Getreideerntemenge für die Bauern zu nutzen. Zu den jetzt gültigen und sich aus dem Schätzungsergebnis ableitenden Preisen kann bei uns mit wirtschaftlichem Erfolg Getreide nicht mehr angebaut werden. Das, was in Brüssel eingespart wird, geht eindeutig zu Lasten der getreideanbauenden Landwirtschaft. Wie lange soll das noch gehen? Was wäre, wenn wir nicht über Vorräte in den Mengen, wie wir sie kennen, verfügen würden? Könnten wir dann Polen und anderen helfen? Wenn sich der Getreideanbau nicht mehr lohnt, bleibt eben nur noch die Flächenstillegung. Ist die EG bereit und in der Lage, den Fonds für Flächenstillegung entsprechend auszubauen? Hat die EG Voraussetzungen für lohnende Alternativen entwickelt? Hat sich die Kommission einmal gefragt, was ist, wenn die Bauern bei derart schlechten Bedingungen den Anbau von Getreide zu einem entsprechenden Anteil einstellen? Kann die Kommission dafür die Verantwortung noch weiter übernehmen? Meine Damen und Herren, die Preisschraube ist überdreht. Während der vergangenen zwei Jahre hat die Kommission keine annehmbare Regelung vorgelegt, um mehr Getreide in den Futtertrog zu bringen. Eine Streichung der Mitverantwortungsabgabe 1 und 2 für Futtergetreide würde unbürokratisch weit mehr Getreide direkt in den Futtertrog lenken. Es tut mir leid, Herr Oostergetelo, daß die sozialistische Fraktion im Europaparlament einem Antrag auf Streichung der MVA nicht zugestimmt hat. ({0}) Ich kann der Kommission auch nicht den Vorwurf ersparen, es sich beim Getreidemarkt einfach zu leicht gemacht zu haben. Die Beibehaltung der bisherigen Strategie halte ich für absolut falsch. Tatsache ist: Die Preise sind von Jahr zu Jahr gefallen, und die Qualitätsanforderungen sind gestiegen. Tatsache ist: Die Reports sind halbiert; gleichzeitig gehen die Zinsen herauf. Die Kommission muß umschalten; wenn nicht, dann sollte der Ministerrat sie dazu bringen. Wirkungsvolle Hilfe lassen erwarten: erstens eine europaweite Flächenstillegung zu absolut gleichen Bedingungen; zweitens, wie schon gesagt, der Verzicht auf die MVA 1 und 2 für Futtergetreide; drittens beherzter Ausbau von alternativen Möglichkeiten für den Nichtnahrungsmittelbedarf; ({1}) viertens wirkungsvolle stufenweise Rückführung der Substituteinfuhr. Meine Damen und Herren, was wir auf diesem Felde unterlassen oder nicht erreichen, wächst unseren Kindern als Hypothek und den Menschen in der EG als unverantwortliches Risiko entgegen. - Ich bedanke mich. ({2})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Weyel. ({0})

Gudrun Weyel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Eigen, Ihre freundlichen Worte höre ich wohl, aber sie werden mich nicht davon abhalten, zu sagen, was nicht ganz richtig ist. Wir sind uns also darüber einig, daß zur Verbesserung der Situation der Landwirtschaft Überproduktion abgebaut werden muß. ({0}) Die Frage ist, welches die Mittel dazu sein sollen. Nun hat uns der Herr Susset das Gesamtkonzept gepriesen, und der Herr Heinrich hat uns erklärt, daß das alles sehr gut ist und daß es nur in der Anwendung nicht richtig gemacht wird. Auch haben wir gehört, wer alles schuld ist, ({1}) nämlich auf der einen Seite die EG-Kommission und auf der anderen Seite die sozialistische Fraktion im Europäischen Parlament. ({2}) Nur die Bundesregierung hat mit dem Ganzen überhaupt nichts zu tun gehabt! Da frage ich mich, wofür der Herr Kiechle eigentlich immer nach Brüssel fährt. Was macht er da eigentlich? ({3}) Ich habe immer geglaubt, der Herr Kiechle geht, wenn er nach Brüssel fährt, zum Ministerrat und kämpft im Ministerrat für die deutsche Landwirtschaft. ({4}) Aber offensichtlich ist das noch keinem von Ihnen aufgefallen, und dann kann es wohl nicht ganz stimmen. Ich weiß also nicht, was da los ist. Klar ist jedenfalls eines: Bei der derzeitigen Regelung hinsichtlich der Getreidemenge und der Garantieschwelle hat der einzelne Landwirt in dem Moment, in dem er die Entscheidung treffen muß, nämlich wenn er aussät, überhaupt keine Möglichkeit, einen ordentlichen Überlick über den gesamteuropäischen Bereich zu bekommen, ja, er hat noch nicht einmal einen Überblick über die deutsche Situation. Das heißt, er muß eine betriebliche Entscheidung treffen, ohne zu wissen, wie sie im Zusammenhang mit dem Ganzen steht. ({5}) Das ist ein Fehler des Konzepts, das zwar eine gesamteuropäische Garantieschwelle festlegt, die Länder und Regionen aber nicht berücksichtigt. Da muß man dann halt etwas ändern, wenn man das will. Ihre Entschließungsanträge, Herr Susset, sind ja sehr gut; aber nun muß daraus auch einmal etwas entstehen. ({6}) Wir wünschen Ihnen durchaus, daß Ihr Minister im nächsten Jahr etwas mehr Erfolg hat. Ärgerlich ist zweifellos die geringe Differenz bei der Mengenüberschreitung, und dies auch noch bei einer Schätzung; das ist klar. Aber jede Grenze, die gesetzt wird, bringt solche ärgerlichen Dinge. Das gilt für Termine, bei denen manchmal nur ein Tag überschritten wird, und das gilt für Mengen, die nur geringfügig überschritten sind und bei denen sich gerade für die Betriebe, die bezüglich der Rentabilität in einer Grenzsituation sind, ein viel stärkerer Abschlag als diese 3 % aus dem ergibt, was ihnen übrigbleibt. Das muß man klar und deutlich sagen. Zu dem von Ihnen genannten Gesamtkonzept - darüber reden wir ja eigentlich - gehört als wesentlicher Bestandteil die Flächenstillegung. Damit wollten Sie auch die Reduzierung der Produktion in diesem Bereich erreichen. ({7}) - Ja, auch die anderen drei Punkte. Ich will jetzt aber einmal über die Flächenstillegung reden - wenn Sie das erlauben - , wie das auch einer meiner Vorredner getan hat. ({8}) Diese Politik der Flächenstillegung ist letzten Endes gescheitert; denn wir haben ja festgestellt, daß sich in der Bundesrepublik sehr viele Bauern daran gehalten haben, aber nicht in anderen Ländern. Deshalb ist der Erfolg, daß die festgelegte Garantiemenge nicht unterschritten, sondern überschritten worden ist. ({9}) - Nein. Das hat natürlich etwas damit zu tun, daß andere EG-Länder nicht in gleichem Maße wie wir Flächen stillgelegt haben. Natürlich hat das damit zu tun. Deswegen hätten wir das vorneweg ein bißchen deutlicher regeln müssen. Da nutzt auch der Aufruf nichts; da muß man einfach etwas machen und zu Vereinbarungen kommen. ({10}) Abgesehen davon ist die Flächenstillegung auch aus ökologischen Gründen problematisch, ({11}) weil sie die gleichmäßige Entlastung der Flächen nicht bringt. Frau Flinner, wir haben uns seinerzeit für die Extensivierung und nicht für die Flächenstillegung ausgesprochen. ({12}) Ich möchte noch auf eines hinweisen: Wir haben bei der Regierung mehrfach nachgefragt, wie denn die Auswirkungen sind und welche Zahlen da existieren. Sie haben uns immer noch keine konkreten Zahlen genannt. Wir haben mehrfach nachgefragt. Unsere konkreten Fragen wurden bisher nicht beantwortet. Wir werden weiterhin nicht nachlassen, danach zu fragen, um festzustellen, daß auch Sie an diesem ganzen Dilemma durchaus beteiligt sind. ({13})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. von Geldern.

Dr. Wolfgang Geldern (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000656

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben in der europäischen Agrarpolitik vor sechs, sieben Jahren eine Situation vorgefunden, die durch den drohenden Zusammenbruch der Marktordnungen mangels weiterer Finanzierbarkeit und durch einen massiven Druck auf die Erzeugerpreise durch die Marktverhältnisse in der Überschußsituation bei allen für uns wichtigen Marktprodukten gekennzeichnet war. Seit dem wissen wir, daß es zwei grundsätzliche Ansatzpunkte gibt, diese Situation zugunsten der Landwirtschaft, aber auch zugunsten einer weiteren Finanzierbarkeit der europäischen Agrarpolitik zu lösen. Es gibt nämlich einmal den Ansatz, Preisdruck auszuüben, dem sich die EG-Kommission über weite Strecken ganz ausdrücklich verschrieben hat. Man kann das im Getreidememorandum, aber auch schon im Grünbuch nachlesen. Es gibt den anderen Ansatz, den die Bundesregierung von Anfang an favorisiert und für den sie sich konsequent eingesetzt hat, nämlich die Rückführung der Produktion an der Quelle, die Reduzierung der Mengenproduktion. Wir haben dies bei der Neuordnung der Milchmarktregelungen, bei der Garantiemengenregelung Milch, erfolgreich durchgesetzt. Wir haben dies ferner bei der Rindfleischmarktordnung erfolgreich durchgesetzt. Wir haben heute nach, zugegeben, schwierigen Jahren eine Situation der Umstellung auf eine neue Lage, wo wir mit Befriedigung feststellen können, daß die landwirtschaftlichen Einkommen in den Bereichen des Futterbaus und der Veredelung - das sind die für uns wirtschaftlich wichtigsten Bereiche - deutliche, weit über die Vorherschätzungen hinausgehende Einkommenszuwächse aufweisen. Wir haben nach wie vor große Sorgen und Schwierigkeiten in dem Bereich, der heute zu Recht zur Diskussion gestellt ist: im Getreidebereich. Hier haben wir denselben Ansatz verfolgt, nämlich der Landwirtschaft eine Reduzierung der Mengenproduktion zu ermöglichen. Wir haben diesen Ansatz auf dem dann gescheiterten Gipfel in Kopenhagen vorgetragen, als die Kommission wiederum ausschließlich auf ihr Preisdruckkonzept gesetzt hat, unterstützt von einigen Mitgliedsländern. Wir haben ihn schließlich im Februar 1988 durchgesetzt, indem damals nicht nur die Preisdruckvorstellungen der Kommission schon durch die Erhöhung der Garantiemenge und durch die Umstellung der Konsequenzen aus einer Überschreitung der Garantiemenge vom ursprünglichen Konzept der Kommission auf das, was dann tatsächlich beschlossen wurde, massiv reduziert worden sind, sondern indem auch die mengenreduzierenden Elemente gleichwertig und gleichgewichtig von den zwölf Regierungschefs der Gemeinschaft einstimmig beschlossen worden sind. Wir haben heute zu beklagen - ich schließe mich den Klagen an, die sich auf die Ernteschätzung der Kommission bezogen haben -, daß die Kommission den einen Teil der Beschlüsse vom Februar 1988 ohne jede Sensibilität, ohne jede Rücksichtnahme auf die Einkommenssituation der Landwirtschaft exekutiert und sich dabei auch noch den Vorwurf gefallen lassen muß, daß sie von unsicheren Zahlen ausgeht. Meine Damen und Herren, wir haben Erfahrungswerte aus den letzten acht Jahren, wie sich die Ernteschätzungen zum endgültig festgestellten Ernteergebnis verhalten haben. Wir sehen über diese acht Jahre für den Zeitraum bis August eine durchschnittliche Abweichung von 4 % . Selbst im Dezember sehen wir noch eine durchschnittliche Abweichung von 0,7 %. Wenn dann bereits im Oktober - wie jetzt geschehen - eine Überschreitung der entscheidenden Marke von 160 Millionen t von nur 0,3 % durch die EG-Kommission festgestellt wird, dann heißt das, das bewegt sich voll im Rahmen der Fehlermarge. Das hat beim Interventionspreis eine Preissenkung von 3 % zu Lasten der landwirtschaftlichen Einkommen zu Folge. Das kritisieren wir, meine ich, miteinander zu Recht. Das ist eine Provokation für die Landwirte in der Europäischen Gemeinschaft, seitens der EG-Kommission. Der zweite wichtige Grund, weshalb ich nicht anstehe, für die Bundesregierung diese getroffene Entscheidung der EG-Kommission für kritikwürdig zu erklären ist, daß wir im Bereich der anderen Paketteile, die gleichwertig und gleichgewichtig im Februar 1988 auf den Weg gebracht worden sind, eindeutige Handlungs- und Umsetzungsdefizite sehen. Das kann man nicht für alle Punkte gleichermaßen sagen, aber es ist kritikwürdig, daß bis zur Stunde noch kein Vorschlag der EG-Kommission für eine vermehrte Nutzung nachwachsender, von der Landwirtschaft produzierter Rohstoffe im industriellen Bereich vorliegt; an diesem Vorschlag fehlt es bis heute. Das ist eineinhalb Jahre nach dem Beschluß der Regierungschefs vom Februar 1988 nicht zu verstehen. Weiterhin: Die Kommission hat zwar zur Mehrverfütterung von Getreide im Mischfutter einen Vorschlag vorgelegt, aber nach der Ablehnung dieses Vorschlags von einer großen Mehrheit im Agrarrat ist sie nicht in der Lage gewesen, einen neuen Vorschlag vorzulegen. Schließlich hat die Kommission nicht rechtzeitig darauf gedrängt, daß einmal durch ihren Eigenanteil bei der Finanzierung, aber auch durch entsprechende Ausgestaltung in den nationalen Parlamenten das Flächenstillegungsangebot so gestaltet wird, daß es EG-weit in gleicher Weise angenommen wird. Wir wissen, daß wir mehr als andere stillgelegt haben. Wir wissen auch - das ist für diese Aktuelle Stunde wichtig - , daß wir, wenn wir alle den gleichen Anteil erbracht hätten, über eine Getreideerntefeststellung, die über 160 Millionen t hinausgeht, heute nicht zu reden brauchten. Es ist wichtig, daß jetzt die Konsequenz aus dieser nicht zufriedenstellenden Situation gezogen wird und daß der Druck auch von seiten der Kommission auch mit rechtlichen Mitteln verstärkt wird. Wir müssen dahin kommen, daß Extensivierungsmaßnahmen und Maßnahmen der Flächenstillegung EG-weit in der gleiche Weise durchgeführt werden. Ich nenne noch die Produktionsaufgaberente, die wir ebenfalls bei uns eingeführt haben. Ich erwähne auch, daß wir bis heute natürlich noch kein Ergebnis der GATT-Verhandlungen haben können, daß der Auftrag, das Mandat an die Kommission eindeutig lautet, den Außenschutz für die Einfuhr von Getreidesubstituten zu verbessern. Aber wenn das nicht erfüllt ist, ist es um so kritikwürdiger und unsensibler, bei 160,5 Millionen t eine Exekution vorzunehmen, in dem Wissen, welche Wirkung das für den Interventionspreis - das heißt in der Überschußsituation immer gleichzeitig auch: für den tatsächlichen Marktpreis und für den Erzeugerpreis - hat. Welche Konsequenzen können und müssen wir aus dieser Erfahrung, die wir jetzt mit der Kommission gemacht haben, ziehen? Die erste habe ich schon angesprochen. Wir müssen allen politischen Druck darauf legen, daß die Defizite bei der Umsetzung des Pakets vom Februar 1988 abgebaut werden, d. h. daß alle Teile, von der Flächenstillegung bis zum GATT- Mandat, von der Extensivierung bis zur Erhöhung des Getreideanteils im Mischfutter und schließlich auch das Programm nachwachsende Rohstoffe, jetzt auf den Weg gebracht und EG-weit umgesetzt werden. Zweiter Punkt - dies haben wir in der Zeit seit dem 18. Oktober mehrfach, auch öffentlich, angekündigt; so werden wir verfahren - : Wir sehen in dieser Entscheidung der Kommission eine Belastung für die Preisrunde. Wir werden natürlich in den vor uns liegenden Verhandlungen auf diese Belastung zu sprechen kommen. Das ist bereits im Agrarrat verbal geschehen. Es wird aber auch in Form von konkreten vor uns liegenden Entscheidungen für die anstehenden Beschlüsse, soweit sie Auswirkungen auf den Getreidesektor haben, geschehen und geschehen müssen. Dies heute anzukündigen halte ich für notwendig, um der getreideanbauenden Landwirtschaft eine Perspektive zu geben. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Wimmer ({0}).

Hermann Wimmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002522, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Beim bisherigen Ablauf der Aktuellen Stunde ist gelegentlich der Eindruck entstanden, auch durch die Kritik aus den Reihen der Koalition und auch des Herrn Staatssekretärs an dem Verhalten des EG-Ministerrats, an dem Verhalten der Kommission, als wäre die Aktuelle Stunde von der Opposition beantragt worden. Nein, diese Aktuelle Stunde wurde von der Regierungskoalition beantragt. Sie können Ihr Fehlverhalten in der Agrarpolitik in den letzten Jahren auch durch diese Aktuelle Stunde nicht beschönigen. ({0}) Es wäre jetzt ein leichtes für die Opposition, Punkte zu sammeln, indem sie auch auf Kommission und Ministerrat losschlägt. Wir tun das nicht. Wimmer ({1}) Ich bin der festen Überzeugung, daß Bremsautomatiken für Preise und Mengen leider erforderlich sind, und zwar wegen der Versäumnisse der Agrarpolitik der letzten Jahre, wenn nicht der letzten Jahrzehnte. Woran es fehlt, ist nach meiner Auffassung die Einbindung dieser markt- und preispolitischen Maßnahmen in ein stimmiges Gesamtkonzept, das der Landwirtschaft einen klaren Weg in die Zukunft weist. ({2}) Heute ist angesprochen worden - auf diesen einen Punkt möchte ich nur mit einem Satz eingehen -, bei Milch habe sich eine Stabilisierung von Menge und Preis ergeben. Das mag richtig sein. Vergessen Sie aber nicht, wieviel tausend Landwirte aufgegeben haben! ({3}) Ein Gesamtkonzept, in dem Markt- und Preispolitik, Strukturpolitik, Umweltpolitik und auch Agrarsozialpolitik aufeinander abgestimmt sind, als passende Bausteine eines Ganzen, gibt es für Sie nicht. Statt dessen bietet diese Koalition einen schlecht sortierten Krämerladen mit einer sehr schlechten Bilanz an. ({4}) Ein Beispiel: Nahezu zwei Jahre nach Verabschiedung des Stabilisationsgesetzes und -konzepts - das ist ein schwieriges Wort ({5}) sind die im Grundsatz beschlossenen vorübergehenden Einkommensbeihilfen immer noch nicht in Sicht. Im Gegenteil: Gestern hat die Bundesregierung in diesem Hause auf die Frage meines Kollegen Oostergetelo erstmals zugegeben, daß sie diese Hilfen bundesweit gar nicht einführen will. ({6}) Sie schieben den Schwarzen Peter den Ländern zu, die wiederum verweisen auf den Bund. Eine billige Übung! Mit der Sie sich nicht aus der Verantwortung herausstehlen können. ({7}) Mit diesen vorübergehenden Einkommenshilfen sollen Anpassungen solcher bäuerlicher Betriebe unterstützt werden, die diese Anpassungen aus eigener Kraft nicht mehr vollziehen können; dies trifft auf eine wachsende Zahl von Betrieben zu. ({8}) - Herr Eigen, sicherlich nicht auf Sie und nicht auf andere Kollegen im Hause, aber auf viele Landwirte wird das zutreffen. Es ist auch keine Hilfe, jetzt von einer Ausdehnung der benachteiligten Gebiete zu sprechen. Wenn Futterbaubetriebe eine Ausgleichszulage erhalten, so haben die Marktfruchtbaubetriebe ohne Grünland davon nichts. Zudem liegen diese in Schwierigkeiten gekommenen Marktfruchtbetriebe ganz überwiegend in nicht benachteiligten Gebieten. Für viele wird das Aus kommen, wenn die Bundesregierung aus ideologischer Verblendung mögliche Hilfe verweigert. ({9}) Statt dessen erheben Sie lieber ein Kriegsgeschrei gegen die Kommission und gegen Brüssel. Ich möchte in diesem Zusammenhang einige Sätze zur Agrarsozialpolitik, die auch zu einem Gesamtkonzept der Agrarpolitik gehört und die auch dazu beitragen könnte, bedrängten Betrieben zu helfen, sagen. Auch hier haben Sie bewiesen, daß Sie völlig unfähig sind, mehrfach gefaßte Reformbeschlüsse zu verwirklichen. Selbst die kleinsten Schritte wie die Verwirklichung des vierten agrarsozialen Ergänzungsgesetzes werden nicht unternommen. Jetzt heißt es, wenigstens die inzwischen berühmten 300 Millionen DM aus dem Beitragsentlastungsgesetz sollten in die Altershilfe eingegliedert werden, wie das der Minister Kiechle im Ministerrat versprochen hat. Aber dieses „Reförmchen" unter Ausklammerung der Krankenkasse hat einen gewaltigen Haken: Sie wird dazu führen, daß mehr als 10 000 einkommensschwache landwirtschaftliche Familien nicht weniger, sondern mehr für ihre soziale Sicherung zahlen müssen. Bis zu 2 000 DM Zuschuß je Betrieb und Jahr nach dem Beitragsentlastungsgesetz fallen weg. Dieses Geld können die Familien nicht über eine Ermäßigung der Beiträge zur Alterskasse zurückerhalten, selbst wenn die Monatsbeiträge null DM betrügen. ({10}) Statt dessen wollen Sie mit diesen 300 Millionen DM auch die Beiträge für Großverdiener ermäßigen. Das ist ein sozialpolitischer Kopfstand. ({11}) Auch hier, Herr Kollege Susset, spielen Sie den Schwarzen Peter, wenn Sie sich vornehm zurücklehnen und die Selbstverwaltung der landwirtschaftlichen Sozialversicherung bitten, es zu korrigieren. Die Selbstverwaltung kann keine Entlastung der kleineren Betriebe vornehmen. Hier ist eine tatkräftige Regierung gefragt. ({12}) Daher appelliere ich nochmals an die Bundesregierung: Führen Sie keine Schaukämpfe gegen die EG- Kommission, sondern kehren Sie vor Ihrem eigenen Hoftor, und bringen Sie damit endlich die notwendigen Maßnahmen auf den Weg. ({13})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Kroll-Schlüter.

Hermann Kroll-Schlüter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001223, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die agrarpolitische Entwicklung in den 60er und 70er Jahren ({0}) hat zu Ergebnissen geführt, die aus damaliger Sicht sehr verständlich, auch erstrebenswert waren, die sich aber im Rahmen der europäischen Entwicklung zu Problemen entwickelt haben, die zu Beginn der 80er Jahre als besonders schwerwiegende Probleme vor der neuen Regierung standen. Man wird doch sicherlich sagen können, daß auch der Bundesminister Kiechle in besonderer Weise tatkräftig und konkret darangegangen ist, die Probleme zu lösen. ({1}) Auf jeden Fall gibt es bis heute kein überzeugendes Alternativkonzept dazu. Wir haben nie davon gehört. Wir haben von einzelnen kleinen Alternativschritten gehört, aber ein alternatives Gesamtkonzept dazu hat es Ihrerseits nicht gegeben. ({2}) Die Ergebnisse unserer Agrarpolitik, wie sie sich im Moment darstellen, sind durchaus positiv zu bewerten. ({3}) Es gibt tatsächlich eine Ordnung des Milchmarktes. Es gibt einen stabilen bis erhöhten Milchpreis. Andere Agrarpreise sind in diesem Jahr beachtlich gestiegen. Die Schweinepreise sind im Vergleich zum vergangenen Jahr bis zu 30 % gestiegen. Das heißt, die Maßnahmen zur Ordnung der Märkte haben sich durchaus positiv ausgewirkt. ({4}) - Ich möchte das Wort gerne aufnehmen. Eine mehr marktwirtschaftliche Ordnung war infolge dieser Entwicklung und dieser großen Probleme nicht möglich. ({5}) - Aber wünschenswert. - Das Ziel der Ordnung der Märkte ist ja, mehr Marktordnung zu ermöglichen. ({6}) - Nein, eben nicht. Indem ich zu dem eigentlichen Thema der Aktuellen Stunde zurückkehre, ({7}) sage ich: Die deutschen Bauern zeigen sich seit mehr als drei Jahrzehnten von der besten europäischen Seite. Die deutsche Landwirtschaft war und ist bereit, notwendige Kompromisse im Interesse der Sache mitzutragen. Schwerwiegende Wettbewerbsnachteile hat sie geduldig ertragen. Die deutsche Landwirtschaft braucht also keine Belehrung darüber, daß das große Werk der europäischen Integration seinen Preis hat. Aber der politische und auch der wirtschaftliche Preis muß plausibel begründet, der Sache dienlich sein. Bei der Art und Weise der Getreidepreisfestsetzung kann davon nicht die Rede sein. Warum nicht? Wenn die Garantieschwelle um 0,3 % überschritten wird, mit der Folge einer 3%igen Preissenkung und eines mehr als 10%igen Einkommensverlustes, dann sind solche Maßnahmen nicht geeignet, das Vertrauen der Bauern in die Solidität der Politik zu begründen. ({8}) Das ist der schwierige Punkt, den es hier in Angriff zu nehmen gilt. Eine fragwürdige Schätzung mit einem fragwürdigen Ergebnis schafft Mißtrauen, Ärger und Enttäuschung. Und die Politisierung der Zusatzmitverantwortungsabgabe führt zu Unruhe. Der Sinn kann nicht mehr vermittelt werden. ({9}) Deswegen: Diese Zusatzmitverantwortungsabgabe muß weg! Die Ordnung des Getreidemarktes kann auch über einen unsinnigen Preisdruck nicht hergestellt werden. Was richtig und wichtig wäre, ist bereits gesagt worden: Flächenstillegung, Extensivierung, die Nutzung nachwachsender Rohstoffe, die Erhöhung der Getreideverfütterung, Eindämmung der Importflut an Futtermitteln. In diesem Zusammenhang muß auch einmal darauf hingewiesen werden, daß diese Schätzung sicherlich auch etwas mit der von der EG-Kommission gewünschten Position in den GATT-Verhandlungen zu tun hat, die - so wie sie sie anstrebt - aus ihrer Sicht wünschenswert sein muß, aber aus unserer Sicht eben nicht zu begrüßen wäre. Ich möchte auch darauf hinweisen, meine Damen und Herren, daß in diesem Augenblick, in dem wir von großen Getreideproduktionen in der EG sprechen, gleichzeitig davon die Rede war, daß die Amerikaner ihre Getreideproduktion ausweiten, den Export stark subventionieren. Gleichzeitig war von der FAO zu lesen, daß die Nahrungsmittelhilfe mit Getreide auf ein besorgniserregend niedriges Niveau gesunken sei. Das heißt: Auch diesen größeren Zusammenhang einmal herzustellen sollte Anlaß dieser Aktuellen Stunde sein und auch bei nächster Gelegenheit noch einmal aufgegriffen werden. Dieser Zusammenhang ist eine Erörterung wert. Vielen Dank, daß Sie mir zugehört haben. ({10})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

So, meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Aktuellen Stunde zum Thema „Schätzung der EG-Getreideernte durch die EG-Kommission". Ich kann nunmehr den Tagesordnungspunkt 9 aufrufen: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung und Vereinfachung der Vereinsbesteuerung ({0}) - Drucksachen 11/4176, 11/4305 - Vizepräsident Cronenberg aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({1}) - Drucksache 11/5582 - Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Grünewald Opel bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 11/5607 Berichterstatter: Abgeordnete Roth ({3}) Dr. Weng ({4}) Dr. Diederich ({5}) Frau Vennegerts ({6}) b) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Gemeinnützigkeitsrechts - Drucksache 11/390 Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({7}) - Drucksache 11/5582 Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Grünewald Rind ({8}) c) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Büchler ({9}), Dr. Apel, Dr. Spöri, Börnsen ({10}), Dr. Hauchler, Huonker, Kastning, Frau Matthäus-Maier, Dr. Mertens ({11}), Oesinghaus, Poß, Reschke, Westphal, Dr. Wieczorek, Frau Adler, Amling, Andres, Antretter, Frau Becker-Inglau, Bernrath, Frau Blunck, Brück, Büchner ({12}), Frau Bulmahn, Conradi, Daubertshäuser, Dreßler, Egert, Ewen, Fischer ({13}), Frau Fuchs ({14}), Gansel, Gilges, Frau Dr. Götte, Grunenberg, Dr. Haack, Frau Hämmerle, Frau Dr. Hartenstein, Heimann, Heistermann, Heyenn, Hiller ({15}), Dr. Holtz, Horn, Ibrügger, Jaunich, Dr. Jens, Jung ({16}), Jungmann, Kirschner, Kißlinger, Dr. Klejdzinski, Kolbow, Koltzsch, Koschnick, Kretkowski, Kuhlwein, Lambinus, Leidinger, Leonhart, Lohmann ({17}), Lutz, Frau Dr. Martiny, Menzel, Dr. Mitzscherling, Müller ({18}), Müller ({19}), Müntefering, Nehm, Dr. Niese, Oostergetelo, Dr. Penner, Peter ({20}), Pfuhl, Porzner, Reimann, Reuschenbach, Reuter, Rixe, Dr. Scheer, Schmidt ({21}), Schmidt ({22}), Dr. Schmude, Dr. Schöfberger, Schreiner, Schröer ({23}), Seidenthal, Frau Seuster, Sieler ({24}), Sielaff, Dr. Soell, Stahl ({25}), Steiner, Frau Steinhauer, Stiegler, Stobbe, Frau Terborg, Frau Dr. Timm, Urbaniak, Vahlberg, Verheugen, Voigt ({26}), von der Wiesche, Walther, Wartenberg ({27}), Weiermann, Frau Weiler, Weisskirchen ({28}), Dr. Wernitz, Würtz, Zumkley, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Gemeinnützigkeitsrechts - Drucksache 11/1334 Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({29}) - Drucksache 11/5582 Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Grünewald Opel ({30}) d) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({31}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Apel, Dr. Penner, Büchner ({32}), Dr. Spöri, Klein ({33}), Amling, Frau Becker-Inglau, Dr. Hauchler, Huonker, Kastning, Lambinus, Lohmann ({34}), Frau Matthäus-Maier, Dr. Mertens ({35}), Dr. Nöbel, Oesinghaus, Porzner, Poß, Frau Renger, Reschke, Schmidt ({36}), Frau Steinhauer, Dr. Struck, Westphal, Wieczorek ({37}), Wimmer ({38}), Bamberg, Bernrath, Dr. Böhme ({39}), Brück, Dr. Emmerlich, Graf, Großmann, Frau Hämmerle, Heistermann, Kuhlwein, Müller ({40}), Müntefering, Frau Odendahl, Paterna, Peter ({41}), Rixe, Schäfer ({42}), Wartenberg ({43}), Weisskirchen ({44}), Dr. Wernitz, Frau Weyel, Würtz, Zander, Schanz, Dreßler, Toetemeyer Ibrügger, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Steuerliche Erleichterungen für die gemeinnützigen Sportvereine und andere gemeinnützige Vereine - Drucksachen 11/124, 11/5582 Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Grünewald Rind Meine Damen und Herren, zum Vereinsförderungsgesetz liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion der SPD vor, und zwar auf den Drucksachen 11/5592 und 11/5593, sowie vier Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN, und zwar auf den Drucksachen 11/5596 bis 11/5599. Im übrigen informiere ich das Haus darüber, daß die SPD-Fraktion verlangt hat, über den Antrag auf Drucksache 11/5593 namentlich abzustimmen. Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Debattenzeit von 90 Minuten vor. Ich frage, ob das Haus damit einverstanden ist. - Das ist offensichtlich der Fall. Ich muß außerdem noch darauf aufmerksam machen, daß es einen Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN gibt. Er liegt Ihnen auf Drucksache 11/5600 vor. Wir können mit der Ausprache beginnen. Zunächst hat das Wort der Abgeordnete Dr. Grünewald. ({45}) Vizepräsident Cronenberg - Aber Herr Abgeordneter Koschnick, nicht vorher! Wir wollen doch wenigstens einmal abwarten.

Dr. Joachim Grünewald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000739, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrter Herr Kollege Koschnick, ich hoffe nicht, daß wir dieses Schicksal teilen. - Verehrter Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit der ersten Lesung des Vereinsförderungsgesetzes am 16. März in diesem Hause haben wir uns in wirklich sehr mühevoller Kleinarbeit angeschickt, ein wenig Licht in die Dunkelfelder des ebenso undankbaren wie unstimmigen Gemeinnützigkeits- und Spendenabzugsrechts zu bringen. Unsere Bemühungen waren ganz überwiegend von breiter Zustimmung, aber auch von unerfüllbaren, teilweise sogar unanständigen Wünschen begleitet. Das Ergebnis ist ein wohlausgewogener Kompromiß, der den gemeinnützigen Vereinen und Stiftungen, insbesondere den altruistisch-mildtätigen Vereinen und Organisationen, eine gute Zukunft sichert. Dabei sei nicht verschwiegen - leider ist Herr Kollege Gattermann noch nicht da - , daß wir nicht alle systematischen Unebenheiten des steuerlichen Gemeinnützigkeitsrechts und nicht jede der zahllosen Grenz- und Zweifelsfragen bereinigen konnten. Die Hauptziele aber, die - jedenfalls von meiner Fraktion - mit diesem gesellschaftspolitisch so bedeutsamen Gesetz verbunden waren, haben wir erreicht: Erstens. Das Gesetz kann, wie von der Bundesregierung versprochen und allen anderslautenden, teilweise sehr hämischen Vorhersagen zum Trotz zeitgleich mit dem Steuer-Reformgesetz zum 1. Januar nächsten Jahres in Kraft treten. Dies ist mit Sicht auf die über zehnjährige Vorgeschichte und das umfängliche Gutachten der unabhängigen Sachverständigenkommission, die sich übrigens nachweislich eines Minderheitenvotums auch nicht auf eine einheitliche hatte verständigen können, keineswegs eine Selbstverständigkeit. Nach jahrelangem Verdruß, nach Zweifeln und Unsicherheiten kennen die gemeinnützigen Körperschaften nun endlich die sichere Geschäftsgrundlage, auf der sie zukünftig ihre verdienstvolle, für die Allgemeinheit unverzichtbare Arbeit leisten und fortsetzen können. ({0}) Zweitens. Das ehrenamtliche und uneigennützliche Engagement so vieler Bürger, die jahraus, jahrein in selbstloser Weise Verantwortung tragen, oder sich gar in tätiger Nächstenliebe üben, findet durch dieses Gesetz seine verdiente Anerkennung. Dabei ist besonders hervorzuheben, daß wir unterwegs der Beratungen über den Regierungsentwurf hinaus den Spendenabzugsrahmen für mildtätige Zwecke von derzeit 5 auf 10 % verdoppelt und für die nebenberufliche Pflege alter, kranker und behinderter Menschen einen steuerfreien Aufwendungspauschbetrag von 2 400 DM eingeführt haben. Durch diese fiskalisch keineswegs unbedeutsamen Maßnahmen wird deutlich, daß für die CDU/CSU-Fraktion der wirklich uneigennützige Dienst am Nächsten auch zukünftig absoluten Vorrang haben wird. Der schon im Vorfeld der Gesetzesverabschiedung gegen uns erhobene Vorwurf einer Verschiebung der Werterelationen - weg von der altruistischen Mildtätigkeit und hin zur bloßen Freizeitgestaltung - wird damit ad absurdum gef ührt. ({1}) Drittens. Durch ein ganzes Bündel von Vereinfachungsmaßnahmen ist sichergestellt, daß zukünftig über 90 % aller unserer gemeinnützigen Vereine ihre Überschüsse aus wirtschaftlichen Betätigungen überhaupt nicht mehr zu ermitteln, steuerlich zuzuordnen und - was noch viel wichtiger ist - zu versteuern brauchen. ({2}) Dies ist fürwahr eine große Wohltat für nahezu alle Vereine und ihre geplagten, in aller Regel steuerrechtlich unkundigen Vorstände. Die frohe Botschaft lautet: Schluß mit allem Prüfungs- und Nachforschungsaufwand sowie Ende der Sorgen um vereinsrechtliche und in Extremfällen sogar strafrechtliche Konsequenzen! Kurzum: mehr Freude an der Vereinsarbeit! ({3}) Diese vereinfachenden, entbürokratisierenden Maßnahmen sind: Festlegung einer Zweckbetriebsgrenze von 60 000 DM mit Einführung eines Wahlrechts nach geltendem Recht; Einführung einer auf die Einnahmen bezogenen Gewichtigkeitsgrenze von ebenfalls 60 000 DM; Umwandlung und Erhöhung der geltenden Freigrenzen bei der Körperschafts- und Gewerbesteuer zu Freibeträgen - also: zu echten Freibeträgen - von jeweils 7 500 DM; Zulassung einer pauschalierten Umsatzvorsteuer von 7 %; Gewährung einer Verrechnungsmöglichkeit von Verlusten und Gewinnen aus verschiedenen wirtschaftlichen Betätigungen - um nur die wichtigsten zu nennen. ({4}) Viertens. Die Spendenfreudigkeit der Mitbürger, deren Geldvermögen sich dank der guten Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung gerade in den letzten Jahren um ein Vielfaches erhöht hat, soll durch die Einführung eines Vertrauensschutzes für den gutgläubigen Spender gefördert und zusätzlich aktiviert werden. Dieser sehr grundsätzlichen Systemveränderung, angeregt übrigens von der Sachverständigenkommission, vom Bundesrat - im Bundesrat unter aktiver Mitwirkung des Landes Nordrhein-Westfalen und auch Bremens; lieber Kollege Opel, nicht von uns ist diese Bestimmung, wie es da heute in einer Presseerklärung von Ihnen heißt, in die Diskussion gebracht worden -, ({5}) liegt die Überlegung zugrunde, daß es unbillig und darüber hinaus für die Spendenbereitschaft äußerst abträglich ist, wenn der gutgläubige Spender bei seiner Bestimmbarkeit entzogener zweckentfremdeter Verwendung seiner Spenden durch den Spendenempfänger unter Umständen erst viele, viele Jahre nach der Spendenhergabe seine spendenbedingte Steuerersparnis rückwirkend wieder verliert. Mit dieser übrigens auch der Vereinfachung dienenden Regelung muß selbstverständlich auf Seiten des unredlichen Spendenempfängers ein Haftungstatbestand korrespondieren, weil allein in seiner Sphäre das Fehlverhalten zu verantworten ist. Er muß deshalb zukünftig mit 40 v. H. des zugewendeten und zweckentfremdeten Betrages pauschal nachhaften. Diese gerechte und, wie ich meine, jedem Rechtslaien einsichtige, dem Grundsatz von Treu und Glauben entlehnte Neuregelung war in den Beratungen bis zuletzt äußerst umstritten; nicht aus grundsätzlichen Erwägungen, sondern wegen der vielleicht verständlichen Besorgnis einiger Kollegen, sie könne mit Sicht auf die noch rechtsanhängigen Parteispendenverfahren in der Öffentlichkeit mißverstanden werden. Solche Besorgnisse, meine Damen und Herren, aber sind nach gewissenhafter Prüfung nun wirklich völlig unbegründet. Denn die beabsichtigte Regelung über den Vertrauensschutz beinhaltet nichts anderes als das, was nach geltendem Strafrecht schon heute gilt: Wer nämlich eine Bestätigung über Spenden oder Mitgliedsbeiträge der Finanzbehörde vorlegt und dadurch eine niedrigere Steuerfestsetzung bewirkt, begeht keine vorsätzliche Steuerhinterziehung, wenn er auf die Richtigkeit der Bestätigung vertraut hat. War die Bestätigung unrichtig, liegt eine vorsätzliche Steuerhinterziehung jedoch nur dann vor, wenn die Spendenbescheinigung durch unerlaubte Mittel oder falsche Angaben erwirkt wurde. Gleiches gilt, wenn dem Steuerpflichtigen die Unrichtigkeit der Bestätigung bekannt war. War ihm die Unrichtigkeit der Spendenbescheinigung infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt, so liegt eine leichtfertige Steuerverkürzung, also eine Ordnungswidrigkeit, vor. Die strafrechtliche Rechtslage wird folglich durch die allein steuerverfahrensrechtliche Vertrauensschutzgewährung überhaupt nicht berührt. Die Aufnahme dieser Bestimmung in das Gesetz kann deshalb auch keinerlei Auswirkungen auf noch nicht eingeleitete oder rechtsanhängige Strafverfahren haben; einmal ganz abgesehen davon, daß der Bundesfinanzhof schon in der Vergangenheit in Einzelfällen einen solchen Vertrauensschutz gewährt hat.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Dr. Grünewald, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Poß?

Dr. Joachim Grünewald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000739, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Außerhalb der Redezeit ja. Bitte schön.

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Grünewald, wie erklären Sie angesichts Ihrer Schilderung dann das von Ihnen verwandte Wort von dem „Kuppelprodukt", das Sie z. B. im „Handelsblatt" erwähnt haben?

Dr. Joachim Grünewald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000739, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich glaube, Sie haben den Artikel nicht richtig gelesen. Ich habe lediglich gesagt, daß wir übereinstimmend den Vertrauensschutz wegen der Spendenfreudigkeit für unverzichtbar halten und das nur wegen der grundsätzlichen steuerlichen Systemveränderung als zufälliges Kuppelprodukt auch auf Spenden wirkt. Das hatten wir bei allen Vorgesprächen überhaupt nicht im Auge gehabt. ({0}) - Parteispenden. - Insofern ist der Artikel absolut richtig. ({1}) - Bitte.

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber Sie schließen doch nicht aus, daß die Regelung, die getroffen wird, Auswirkungen auf die Spendenfreudigkeit auch bei Parteispenden haben wird?

Dr. Joachim Grünewald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000739, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich schließe aus, daß diese neue Regelung - das habe ich gerade juristisch, wie ich hoffe, exakt zu begründen versucht - Auswirkungen auf noch nicht eingeleitete oder noch rechtsanhängige Parteispendenverfahren hat. Ich füge hinzu: Wenn wir sie nicht einführen, nachdem wir das Thema so problematisiert haben, dann ist das der Spendenfreudigkeit der Bürger auch für die mildtätigen, gemeinnützigen, kulturellen und alle anderen Vereine im höchsten Maße abträglich. ({0}) Diese strafrechtliche Rechtslage wird folglich durch den allein steuerverfahrensrechtlichen Vertrauensschutz, wie soeben gesagt, überhaupt nicht berührt. Bei dieser klaren, inzwischen - zu Ihrer Beruhigung - auch rechtsgutachtlich gestützten Auffassung ({1}) - lieber Herr Opel, ich habe Ihnen doch daraus vorgelesen; Sie können das gern bei mir holen ({2}) sowie insbesondere unter Berücksichtigung der stundenlangen interfraktionellen, im wesentlichen einvernehmlichen Vorgespräche mutet der Änderungsantrag der SPD - um es einmal ganz vorsichtig zu formulieren - ein wenig seltsam an. ({3}) Von einer „Amnestie durch die Hintertür", wie die „Stuttgarter Zeitung" vor wenigen Tagen dieses zweifellos sensible Thema meinte problematisieren zu müssen, kann wirklich keine Rede sein. Und die Konsequenz, meine Damen und Herren von der SPD, die Gutglaubens-Regelung, jetzt gleich erst durch eine namentliche Abstimmung zu Fall bringen zu wollen, um anschließend - wie ich gerade gehört habe - dem Gesetz in toto zuzustimmen, verstehe, wer mag; ich jedenfalls verstehe sie nicht. Dem steht - um wieder juristisch zu sprechen - der Mangel der Ernstlichkeit auf der Stirn geschrieben. ({4}) Fünftens. Auch einer uferlosen Ausdehnung der Gemeinnützigkeit und der Spendenabzugsfähigkeit, die von vielen Seiten und auch vom Bundesrat sehr zu Recht befürchtet worden war, wird durch eine restriktive Aufzählung der Förderzwecke vorgebeugt. Denn auch nach unserer Auffassung darf nicht jede organisierte Freizeitbetätigung, und sei sie noch so sinnvoll, zu Lasten des nicht grenzenlos vermehrbaren SpenDr. Grünewald denkuchens eine steuerliche Subventionierung erfahren. Schon gar nicht ist es unser Ziel, daß, wer Steuern sparen will, sein Familienleben in den Verein verlegen muß, wie es Professor Isensee in der „FAZ" vom 28. Oktober so ironisch-bitter ausgedrückt hat. ({5}) Sechstens. Schlußendlich ist auch die gebotene Wettbewerbsneutralität gewahrt, Herr Feldmann. ({6}) Auch dies war neben den vielen Detailfragen ein sehr gewichtiger Aspekt in unseren Beratungen. ({7}) Die an der allgemeinen Steuerpflicht orientierten Besteuerungsgrenzen von jeweils 60 000 DM - darüber besteht inzwischen Einvernehmen auch mit dem DEHOGA -, die Herausnahme der „geselligen Veranstaltungen" aus den Zweckbetrieben und das Verbot der Zellteilung zum Zweck der mehrfachen Inanspruchnahme von Steuervergünstigungen schließen eine Wettbewerbsstörung der steuerpflichtigen gewerblichen Unternehmen, vor allem der Gaststätten, durch die steuerbefreiten oder steuerbegünstigten gemeinnützigen Köperschaften mit ihren wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben aus. Frau Präsidentin! ({8}) - Herr Präsident! Entschuldigen Sie bitte, lieber Herr Präsident! ({9}) - Ich habe auf Frau Steinhauer geschaut. - Herr Präsident, meine Damen und Herren, das Gesetz ist alles in allem viel besser als noch - ich betone: noch - sein Ruf. Übrigens, erste Zustimmung hat es gegeben. Ich habe soeben vom Präsidenten des Deutschen Roten Kreuzes einen Brief der Anerkennung - rundherum - bekommen. ({10}) Nur, wie so oft bei unserem Tun: Die ganz überwiegende Mehrheit der Zufriedenen schweigt, und die in ihren Erwartungen enttäuschte Minderheit artikuliert sich laut. ({11}) - Die Steuerpraktiker, lieber Herr Gattermann, draußen im Land zollen uns laut Beifall, und die Steuertheoretiker an Universitäten und auch in der Finanzverwaltung schelten uns derb. ({12}) Wir sollten Lob und Tadel gelassen ertragen, Bedenken zurückstellen und das Gesetz nun endlich, endlich auf den Weg bringen. Unsere ehrenamtlich und uneigennützig tätigen Mitbürger, die sich gerade in diesen Wochen und Monaten um die Versorgung, Unterbringung und Eingliederung der Über- und Aussiedler liebevoll kümmern, die alte, kranke und behinderte Menschen pflegen, und auch die, die unser blühendes Vereinsleben tragen, sie alle haben dieses Gesetz verdient. ({13}) Und nicht auf uns, meine Damen und Herren von der SPD, sondern allein auf sie kommt es an. Herzlichen Dank. ({14})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Opel.

Dipl. - Ing. Manfred Opel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001652, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man den ursprünglichen Entwurf der Bundesregierung zum Vereinsförderungsgesetz neben die jetzt zur Abstimmung stehende Fassung legt, Herr Kollege Dr. Grünewald, dann trifft das zu, was Sie gesagt haben, daß man erkennt, welche Wandlungen der ursprüngliche Entwurf im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens durchgemacht hat. Über 80 % sind nämlich neu. Viele der ursprünglichen Schwächen konnten gemeinsam ausgemerzt oder doch zumindest gemildert werden. Damit bin ich gleich bei einem wesentlichen Punkt: Die Kritik in der Öffentlichkeit richtete sich im wesentlichen gegen die alte Fassung - das haben Sie richtig dargestellt - des Finanzministers. Deshalb hoffe ich, daß die neue Fassung des Parlaments eine günstigere Aufnahme finden kann, obwohl sicherlich noch sehr viele Wünsche offenbleiben. Um es ungeschminkt zu sagen: Am schwierigsten war die Abgrenzung der zu fördernden Vereinszwecke. Doch ich stelle mit Befriedigung fest, daß alle Wünsche der Sozialdemokratischen Partei, wie sie seit Jahren von der SPD-Fraktion gefordert wurden, mit einer einzigen Ausnahme in diesem Gesetz im wesentlichen erfüllt werden konnten. ({0}) - Das können Sie selbst beantworten, Herr Kollege. Oder ist das so schwer? ({1}) Was diese Ausnahme angeht, so handelt es sich um die längst überfällige Anhebung der Übungsleiterpauschale. Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, werden draußen im Land den Sportvereinen Rede und Antwort stehen müssen, ({2}) weshalb Sie ihnen diese geringe Entlastung versagen, obwohl Sie anderen, z. B. den Spitzenverdienern, mit vollen Händen das geben, was diese zum Leben überhaupt nicht brauchen. ({3}) An dieser Stelle muß ich ein klares Wort zu den verschiedenen Anträge der GRÜNEN sagen, Herr Hüser. ({4}) - Beruhigen Sie sich, das kommt gleich noch. Im Finanzausschuß legten die GRÜNEN einen Entschließungsantrag vor, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, eine Neufassung des Vereinsförderungsgesetzes vorzulegen, die im wesentlichen dem Gutachten der unabhängigen Sachverständigenkommission folgt.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Opel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Grünewald?

Dipl. - Ing. Manfred Opel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001652, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, wenn es nicht auf die Zeit angerechnet wird.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das rechne ich nicht auf Ihre Redezeit an. Bitte sehr.

Dr. Joachim Grünewald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000739, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Opel, ich muß noch einmal auf Ihren vorletzten Satz zurückkommen: Stimmen Sie mir zu, daß derjenige, der schon heute einen Aufwand von über 2 400 DM hat, diesen Aufwand heute und auch zukünftig geltend machen kann? Wissen Sie zweitens auch, daß die gemeinnützig Mildtätigen, auf die wir diese Aufwendungspauschale ausgedehnt haben, eine Erhöhung aus gutem Grunde ausdrücklich nicht wünschten?

Dipl. - Ing. Manfred Opel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001652, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Dr. Grünewald, der zweite Fall ist korrekt dargestellt. Auf der anderen Seite ging es hier um die Übungsleiterpauschale. Die Übungsleiterpauschale ist seit Jahren gleichgeblieben, und dies ist angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung gegenüber den Sportvereinen schlicht und einfach ungerecht. Unsere Sportvereine müssen eine höhere Übungsleiterpauschale haben, damit sie ihre Übungsleiter, die sie heute nicht mehr bekommen, endlich wieder bekommen können. Wir wollen, daß sie auf 3 600 DM angehoben wird. ({0}) Ich will fortfahren. Diese Vorlage der GRÜNEN im Finanzausschuß würde dazu führen, daß fast alle Vereine, die wir mit diesem Gesetz fördern, in Zukunft nicht mehr gemeinnützig wären und auch keine steuerbegünstigten Spenden mehr entgegennehmen könnten. Im Klartext heißt dies, daß bis auf die altruistisch tätigen Vereine praktisch alle voll der Steuerpflicht unterliegen würden. ({1}) - Sie würden voll - Herr Hüser, das wissen Sie auch - der Steuerpflicht unterliegen. Dies müssen die Menschen draußen im Lande und insbesondere in den Vereinen wissen, denn hier zeigt sich ganz deutlich, Herr Hüser, die vereinsfeindliche Grundhaltung der GRÜNEN. ({2}) Auf die vielen Briefe, die wir von den verschiedensten Vereinen bekamen, müssen die GRÜNEN, wenn sie ehrlich wären, jeweils antworten, daß sie für diese keinerlei Förderungsmöglichkeiten sehen. Nun haben uns die GRÜNEN hier Entschließungsanträge vorgelegt, Herr Hüser, die genau das Gegenteil beinhalten. Sie wollen die Gemeinnützigkeit und die Spendenabzugsfähigkeit in erheblichem und darüber hinaus steuersystematisch äußerst bedenklichem Maße ausweiten. Ich, Herr Hüser, nenne dieses Vorgehen inkonsequent. Dabei verkenne ich nicht, daß hinter den heute vorliegenden Anträgen der GRÜNEN gute Absichten stecken. Doch was nützt es einer Rentnerin, wenn ihr für unentgeltlichen Pflegedienst in Sozialstationen, Pflegeheimen oder Krankenhäusern ein Steuerabzug in Höhe von 5 DM pro Stunde bis zu einem Höchstbetrag von 1 200 DM oder 2 400 DM pro Jahr eingeräumt würde, da sie ohnehin keine Steuern zahlt? Man kann nicht auf der einen Seite den Kinderfreibetrag bekämpfen und auf der anderen Seite einen neuen Freibetrag einführen wollen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß diese Maßnahme unstrittig für einen sehr guten Zweck gedacht ist. Wir Sozialdemokraten bevorzugen die Lösung dieses Problems mit Hilfe eines Pflegegesetzes. Da können Sie ja dann zustimmen, Herr Hüser. Dies ist der richtige Weg. Deswegen werden wir diesen auch mit Nachdruck verfolgen. Besonders erfreulich ist es, daß es uns gelungen ist - gemeinsam, Herr Dr. Grünewald, räume ich ein -, eine steuerfreie Aufwandspauschale in Höhe der Übungsleiterpauschale solchen Mitbürgerinnen und Mitbürgern zuzugestehen, die nebenberuflich die Pflege alter, kranker und behinderter Menschen übernommen haben. Damit findet eine wichtige soziale Tätigkeit auch eine angemessene Würdigung in unserem Steuerrecht. Anmerken möchte ich allerdings, daß wir dabei unsere steuersystematischen Bedenken zunächst zurückgestellt haben. Diese Anerkennung sollte nämlich nach meiner Grundüberzeugung unabhängig von der Höhe des zu versteuernden Einkommens gewährt werden. Ich kann mit Befriedigung ebenfalls feststellen, daß es uns Sozialdemokraten gelungen ist, unseren Antrag vom 25. November 1987, wonach Pflanzen- und Kleintierzucht in den Förderungskatalog aufgenommen werden sollten, jetzt endlich durchzusetzen. Weiter sind in der neuen Nr. 4 des § 52 Abs. 2 der Abgabenordnung verschiedene Förderungszwecke aufgeführt, über deren systematische Einreihung man sicherlich streiten kann. Dies - das darf ich hier ganz offen bekennen - war auch unter den Berichterstattern unstrittig. Aus diesem Grunde haben wir im Finanzausschuß die Bundesregierung gebeten, eine erläuternde Stellungnahme über andere förderungsfähige Vereinszwecke abzugeben. Die Stellungnahme der Bundesregierung findet sich in Kurzform auch in dem zugeOpel hörigen Bericht der Berichterstatter wieder. Dort kann man sie nachlesen. Es ist völlig unstrittig, daß § 52 Abs. 2 in seinen vier Ziffern nur beispielhaft die Förderungszwecke aufführt. Dies wird damit begründet, daß dieser Förderungskatalog festschreibt, was „insbesondere" anzuerkennen ist. Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung erklärt, daß Vereinszwecke wie Modellschiffbau, Briefmarkensammeln, Münzsammeln, Amateurfilmen und Amateurfotografieren in Zukunft ebenfalls als gemeinnützig anerkannt werden können, sofern die allgemeinen Voraussetzungen für die Gemeinnützigkeit erfüllt sind. Diese Voraussetzungen sind in Abs. 1 des § 52 der Abgabenordnung aufgeführt. Insofern gibt das Gesetz - das möchte ich nochmals ausdrücklich betonen - lediglich eine beispielhafte Aufzählung der gemeinnützigen Zwecke wieder. Dies sage ich insbesondere an die Adresse der vielen Vereine draußen im Land, die uns geschrieben haben und die in vielen Fällen zu Recht die Anerkennung ihrer Gemeinnützigkeit eingefordert haben. ({3}) - Genauso. Deswegen habe ich, Herr Kollege, dem Finanzminister einen Brief geschrieben, und er hat mir bestätigt, daß die Philatelisten in den Förderungskatalog aufgenommen sind; das freut mich ganz besonders. ({4}) - Also, daß sie als gemeinnützig anerkannt werden können, um das nochmals zu sagen, ({5}) und dies bedeutet schlicht und einfach, daß es in der Regel der Fall ist; es müßte die Ausnahme nachgewiesen werden; da haben Sie, Herr Kollege, völlig recht. Da es leider nicht möglich war, den Beispielskatalog im Vereinsförderungsgesetz erschöpfend zu gestalten, und weil wir uns bewußt darauf geeinigt haben, den besonderen Katalog in Nr. 4 des Abs. 2 des § 52 der Abgabenordnung zu begrenzen, war eine erschöpfende Aufzählung der möglichen gemeinnützigen Zwecke ohnehin nicht durchsetzbar. Einschränkend ist allerdings zu bemerken, daß bei den im Gesetz nicht aufgeführten Förderzwecken die Vermutung der Gemeinnützigkeit nicht von vornherein gelten kann, sondern gegenüber den Finanzbehörden nachgewiesen werden muß. Herr Staatssekretär, hier appelliere ich an den Finanzminister, die möglichen Förderzwecke auf dem Erlaßwege so umfassend zu definieren und aufzuzählen, daß es tatsächlich gelingt, zu einer Vereinfachung in der Anerkennung vor Ort zu kommen. Was wir alle vermeiden müssen, ist eine Flut von Prozessen um die Anerkennung der Förderungswürdigkeit von gemeinnützigen Vereinen, und hier gehört, Herr Kollege Tillmann, die Philatelie dazu. Ich kann mir darüber hinaus nicht vorstellen, daß man beispielsweise den Karneval fördert, aber nicht die Volksbühnen, auch nicht, daß man den Hundesport fördert, aber nicht z. B. die Freikörperkultur. Dieses wäre systematisch sonst alles außerhalb der Reihe. ({6}) - Da kann ich Ihnen gerne eine Antwort geben. Wenn Sie in Nr. 4 des Abs. 2 des § 52 sehen, dann werden Sie mir auch die Frage beantworten müssen, was z. B. der Modellflugzeugbau mit dem Hundesport zu tun hat. Das wäre die gleiche Gegenfrage. ({7}) Ich komme zu einem anderen Themenbereich: Für uns Sozialdemokraten ist es selbstverständlich, daß die Förderung der Soldaten- und Reservistenbetreuung in jedem Fall ausschließen muß, daß auch Vereinigungen von früheren Mitgliedern der Waffen-SS und die HIAG oder vergleichbare Vereinigungen als gemeinnützig anerkannt werden. ({8}) Wir bekräftigen nochmals, daß es für uns vollkommen undenkbar ist, daß Vereine, die sich auf die nationalsozialistische Bewegung beziehen, als gemeinnützig anerkannt werden können. Nur, Herr Kollege Rind, ist es wichtig, daß es nicht irgendwo im Papier versteckt steht, sondern daß es hier im Bundestag gesagt wird. ({9}) Die Gemeinnützigkeit des Siedlungs- und Eigenheimwesens soll nach unserer Auffassung auch im Wege von Verwaltungsregelungen sichergestellt werden, insbesondere auch, weil die Vereine inzwischen wichtige Aufgaben bei der Aufnahme und Unterbringung von Aussiedlern und Übersiedlern übernommen haben. ({10}) Wir Sozialdemokraten hielten es für erforderlich, die bisherige Umsatzsteuerbefreiungsvorschrift für die Umsätze von Theatern, Orchestern, Chören und Museen sowie anderen auf die Vermittlungsleistungen von gemeinnützigen Besucherorganisationen wie z. B. von Volksbühnen auszudehnen. Deshalb wollen wir gemeinnützige Theater-Besucherorganisationen, die darauf gerichtet sind, ihren Mitgliedern den Besuch kultureller Veranstaltungen zu ermöglichen, von der Umsatzsteuer befreien. ({11}) Die Bundesregierung hat dargelegt, daß es den Theaterbesucherorganisationen einerseits unbenommen bleibe, den eigenen Organisationsaufwand auf nicht der Umsatzbesteuerung unterliegende Mitgliederbeiträge umzulegen. Andererseits befänden sich die Besucherorganisationen im Wettbewerb mit den gewerblichen Vorverkaufsstellen, wenn sie ebenso wie diese Provisionen für die Vermittlung von Eintrittskarten für den Besuch der steuerbefreiten Theater und ähnlichen erhielten. Diese Vermittlungsleistungen seien daher nach ihrer Ansicht grundsätzlich umsatz13206 steuerpflichtig. Schließlich hat die Bundesregierung erklärt, daß für die Besucherorganisationen in der großen Mehrzahl der Fälle wegen der sogenannten Kleinunternehmerregelung Umsatzsteuer ohnehin nicht zu erheben sei. Wir sind im Ausschuß übereingekommen, die Bundesregierung aufzufordern, baldmöglichst im Verwaltungswege eine zufriedenstellende Lösung im Sinne einer größtmöglichen Förderung der von den Besucherorganisationen vorgetragenen Problematik herbeizuführen. Ich sage hier eines aber deutlich: Sollte dies nicht gelingen, behalten wir uns vor, eine gesetzgeberische Regelung zu initiieren. Für Bildungseinrichtungen wurde klargestellt, daß sie ihre Gemeinnützigkeit nicht verlieren, wenn sie neben ihrer eigentlichen Tätigkeit ihre Tagungsstätten auch anderen gemeinnützigen Einrichtungen oder in gewissem Umfang sonstigen Nutzern zur Verfügung stellen. Es ist sicherlich leicht einzusehen, daß bei den Tagungsstätten sogenannte Fremdbelegungen nicht in beliebigem Umfang gemeinnützig sein können. Hier würden die Grundsätze des Gemeinnützigkeitsrechtes und insbesondere das Gebot der Selbstlosigkeit verletzt. Es ist jedoch erforderlich, daß der Finanzminister den Bildungsstätten und Tagungsstätten entsprechende Richtlinien an die Hand gibt, Herr Staatssekretär, die in Zukunft Handlungssicherheit bei ihren Planungen garantieren. Für uns Sozialdemokraten ist es selbstverständlich, daß wir die Bildungsarbeit soweit nur irgend möglich unterstützen. Dazu gehört natürlich auch, daß die Bildungsstätten wirtschaftlich effektiv arbeiten können. Deshalb muß es möglich sein, daß die Bildungsstätten in gewissem Umfang Fremdbelegungen oder Gastveranstaltungen anderer Träger aufnehmen können, ohne daß dadurch ihr Gemeinnützigkeitsstatus in Frage gestellt wird. Wir alle sind von einer Flut von Briefen überschwemmt worden, die uns den Abbau der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Lebensformen abverlangten. Offensichtlich gab es insbesondere in den südlichen Bundesländern bei der Anerkennung der Gemeinnützigkeit erhebliche Schwierigkeiten. Dazu ist festzustellen, daß die Abwehr von Diskriminierungen aller Art schon nach geltendem Recht zu den begünstigten Zwecken im Sinne des Vereinsförderungsgesetzes gilt. Ich bitte, Herr Staatssekretär, den Finanzminister dringend, die ungleiche Handhabung der Anerkennungspraxis von verschiedenen Finanzämtern durch geeignete Verwaltungsmaßnahmen auszuräumen. Es ist nach unserer Auffassung unstrittig, daß die Betreuung AIDS-Infizierter oder der Abbau der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Lebensformen sowie ähnliche Vereinszwecke grundsätzlich für eine Anerkennung der Gemeinnützigkeit in Betracht kommen. Ich sage dem Finanzminister ganz ausdrücklich, daß das ein besonderes Anliegen der Sozialdemokraten ist. Hinzufügen möchte ich noch, daß für uns selbstverständlich der Umweltschutz, der Naturschutz und im weitesten Sinne alle Vereine, die sich dem Schutz der Schöpfung verschrieben haben, vom Grundsatz her für eine Anerkennung ihrer Gemeinnützigkeit in Betracht kommen. Wir haben uns aber auch intensiv mit der besonderen Förderungswürdigkeit mildtätiger Zwecke beschäftigt. Hier sehen wir in Übereinstimmung mit dem Sachverständigengutachten den Schwerpunkt der Vereinsförderung. Deswegen haben wir auch der Erhöhung der Abzugsfähigkeit für mildtätige Spenden von 5 % auf 10 % des Gesamtbetrages der Einkünfte ausdrücklich zugestimmt. Wichtig ist für uns vor allen Dingen, daß es einer durchgreifenden, grundlegenden und umfassenden Reform des Spendenabzugsrechtes bedarf. Diesem Anliegen ist der gesamte Finanzausschuß einmütig beigetreten. Die Bundesregierung ist jetzt aufgefordert, dieser Willensbekundung zu entsprechen und in den nächsten Monaten entsprechende Vorschläge zu unterbreiten. Die seit Jahren geforderte Reform und Vereinfachung des Spendenabzugsrechtes, das heute in vielen Gesetzes-, Verordnungs- und Verwaltungsvorschriften zersplittert ist und das in Teilen sogar für verfassungswidrig gehalten wird, ist längst überfällig. An dieser Stelle möchte ich mich bei den Mitberichterstattern und vornehmlich beim Kollegen Dr. Grünewald für die vertrauensvolle Zusammenarbeit während der Ausschußberatungen über dieses schwierige und komplizierte Gesetz bedanken. ({12}) Leider hat es eine spät nachgeschobene Regelung gegeben, wie sie sich jetzt im Art. 3 des Gesetzentwurfes befindet, die die ansonsten harmonische Arbeit gestört hat. Ich spreche von der sogenannten Vertrauensschutzregelung für gutgläubige Spender. Im Finanzausschuß hatten wir am 4. Oktober in Berlin vereinbart, daß die Koalitionsfraktionen ihre Absicht, eine Vertrauensschutzregelung für Spenden in das Vereinsförderungsgesetz einzubringen, zurückziehen würden, wenn die SPD-Fraktion diese Regelung nicht oder nur zu einem Teil mitzutragen bereit sei. ({13}) In der Sitzung des Finanzausschusses am 25. Oktober habe ich im Namen meiner Fraktion erklärt, daß die SPD einer solchen Regelung zumindest jetzt nicht zustimmen könne. Dennoch haben sich die Koalitionsfraktionen - absprachewidrig - entschlossen, die Regelung nicht aus dem Gesetzentwurf herauszunehmen. Wir haben im Finanzausschuß zudem ein weiteres faires Angebot gemacht. Wir haben angeregt, daß vom Ausschuß beim Bundesminister der Justiz ein Gutachten über mögliche strafrechtliche Implikationen der neuen Vertrauensschutzregelung eingeholt wird, bevor sie beschlossen werden kann. Dieses Gutachten liegt zumindest uns, Herr Dr. Grünewald, nicht vor. ({14}) Deshalb gilt nach wie vor das Wort der Bundesregierung im Finanzausschuß, nämlich daß eine begünstigende Beeinflussung der Parteispendenprozesse durch die neue Vertrauensschutzregelung für gutOpel gläubige Spender nicht ausgeschlossen werden kann. Allein diese Aussage, meine Damen und Herren, reicht aus - das müßte für jedermann in diesem Hause gelten - , um dieser Neuregelung auf gar keinen Fall zuzustimmen. ({15}) Damit stellt sich automatisch die Frage, warum die Koalitionsfraktionen jetzt mit soviel Energie eine solche Regelung ins Gesetz einführen wollen. Besonders schwer wiegt die Tatsache, daß sich die Bundesregierung in der Drucksache 11/4305 auch schriftlich gegen die Vertrauensschutzregelung ausgesprochen hat. Das können sie dort nachlesen. ({16}) Hier heißt es: Andererseits könnte die Regelung auch bewußt mißbraucht werden. Das ist die Aussage der Bundesregierung. Es ist nicht die Aussage der SPD. ({17})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, wir haben zwei Wünsche zu einer Zwischenfrage. Ich weiß nicht, ob Sie bereit sind, diese zwei Fragen zuzulassen.

Dipl. - Ing. Manfred Opel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001652, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn es nicht angerechnet wird, Herr Präsident.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nein. Aber ich bitte, sich mit Rücksicht darauf, daß wir schon anderthalb Stunden im Rückstand sind, kurz zu fassen. - Herr Abgeordneter Uldall.

Gunnar Uldall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß die jetzt vorgelegte Regelung vom Freistaat Bayern wohl initiiert, im Bundesrat aber auf Wunsch des Landes Nordrhein-Westfalen geändert worden ist, so daß sich die Ausführungen, die Sie jetzt vorgetragen haben, alle gegen das SPD-regierte Nordrhein-Westfalen und gegen die übrigen SPD-Staaten wenden, die im Bundesrat ebenfalls zugestimmt haben?

Dipl. - Ing. Manfred Opel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001652, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich gebe zu, Herr Kollege, daß diese Regelung so geschickt abgefaßt war, daß auf den ersten Blick überhaupt nicht erkennbar war, was sich dahinter verbirgt. ({0}) Wir haben uns bei Juristen sachkundig gemacht, die mit Parteispendenaffären zu tun haben. Diese haben uns klar gesagt, daß zwei Sachen eindeutig sind, nämlich daß erstens nicht ausgeschlossen werden kann, daß die Regelung rückwirkend wirkt, und daß zweitens damit bewußt Mißbrauch gemacht werden kann. Damit ist die Regelung für uns unannehmbar, Herr Kollege. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Auch Ihre Frage wird zugelassen, bitte sehr, Frau Abgeordnete.

Waltrud Will-Feld (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002515, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, könnten Sie mir erstens bestätigen, daß der gutgläubige Spender durchaus nichts mit den Parteien zu tun hat, daß zweitens die zweckentfremdete Verwendung von Spenden bei uns insofern eine Einschränkung erfahren hat, als nunmehr diejenigen - auch bei den Parteien - persönlich in Anspruch genommen werden, die die Spenden zweckentfremden?

Dipl. - Ing. Manfred Opel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001652, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Zum zweiten Teil zuerst, Frau Kollegin: Selbstverständlich ist es so, daß Sie im Durchgriffsverfahren die Vereine in Anspruch nehmen. Dies bedeutet aber im Gegensatz zu dem, was Herr Dr. Grünewald hier gesagt hat, daß Sie in Zukunft kaum mehr jemanden in einen Vereinsvorstand bekommen werden, der im Durchgriffsverfahren für alle Spenden verantwortlich ist. ({0}) - Das ist nicht nur mein Argument, das ist auch das Argument der Bundesregierung. Das können Sie in der Drucksache, die ich vorgestellt habe, ganz eindeutig nachlesen. Nun zu dem Punkt, daß es eine unterschiedliche Gutgläubigkeit bei gemeinnützigen Vereinen und bei Parteien gibt: Frau Kollegin, Sie wissen ganz genau, daß das nicht der Fall ist. Die Parteispenden sind grundsätzlich ebenso wie alle anderen Spenden zu behandeln, gleichgültig, wer begünstigt ist. Genau das ist der Punkt. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Der Abgeordnete Huonker möchte gern noch eine Zwischenfrage stellen.

Gunter Huonker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000981, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, können Sie im Anschluß an das Frage- und Antwortspiel bestätigen, daß die Mißbrauchsmöglichkeit u. a. darin liegen kann, daß ein Spender mit hohem Einkommen einschließlich Kirchensteuer gut 60 % Steuern sparen kann, während diese pauschalierte Steuerregelung vorsieht, daß der Verein nur 40 % zahlt, hier also ein Unterschied von 20 % besteht, so daß nicht abgestritten werden kann, daß diese Regelung eine Einladung ist, einen Mißbrauch zu versuchen?

Dipl. - Ing. Manfred Opel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001652, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, die Frage muß ich mit Ja beantworten, aber deswegen, weil die Bundesregierung das gesagt hat. Das können Sie in der Stellungnahme der Bundesregierung zum Vorschlag des Bundesrats nachlesen. Diesen Bundesratsvorschlag haben Sie hier gerade vorgestellt. Das bedeutet: Sie nehmen den Regreßpflichtigen nur mit 40 % in Anspruch, wobei Sie ihn in Wirklich13208 keit, um gerecht zu sein, mit 60 % in Anspruch nehmen müßten. Diese Ungerechtigkeit hat die Bundesregierung damals zu Recht getadelt. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich lasse jetzt noch eine Frage zu - Herr Abgeordneter Opel, ich mache Sie vorher darauf aufmerksam -; dann fange ich an, das mit Ihrer Redezeit zu verrechnen, weil das jetzt wirklich unzulässig lange dauert.

Dipl. - Ing. Manfred Opel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001652, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin nicht verantwortlich dafür zu machen, Herr Präsident.

Waltrud Will-Feld (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002515, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Würden Sie bestätigen, daß hier zum erstenmal auch von seiten Ihrer Fraktion gesagt worden ist, daß es 60%ige Belastungen gibt? ({0})

Dipl. - Ing. Manfred Opel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001652, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es wurde gefragt, ob das beispielsweise der Fall sein kann, Frau Kollegin. Sie wissen ja selbst, daß es akkumulierende Steuern gibt. Dieses Beispiel des Herrn Kollegen bedeutet nur, daß es so sein kann, weil ja keiner weiß, wie diese Bundesregierung wegen ihrer Schuldenpolitik in Zukunft die Steuern erhöhen wird. ({0}) Am 7. November meldete der Deutsche Depeschen-Dienst, daß nach Mitteilung des Geschäftsführers des Bundesverbands Mittelständische Wirtschaft die Parteispendenaffäre nun offenbar auch den wirtschaftlichen Mittelstand erfaßt habe. Baden-Württembergs Ministerpräsident Lothar Späth habe ein Schreiben unterzeichnet, in dem bestimmten Personen bescheinigt worden sei, daß sie Mitarbeiter des Landesschatzmeisters der Union seien und damit berechtigt seien, die Firmen im Namen der CDU um einen Beitrag zur Finanzierung der Parteiarbeit zu bitten. Nach der Ansicht des Geschäftsführers des Bundesverbands Mittelständische Wirtschaft sollen diese Schreiben vor Gericht als sogenannte „Anscheinsvollmachten" angesehen werden. Dabei sei davon auszugehen, daß sich die Spendenzahler angesichts der Unterschrift des Ministerpräsidenten in einem - so wörtlich - „entschuldbaren Verbotsirrtum" befunden hätten. Daher, so der Geschäftsführer, seien in den meisten Fällen Freisprüche angebracht. Sehen Sie, meine Damen und Herren, dies ist genau der Punkt, um den es dabei geht. Die jetzt ins Vereinförderungsgesetz von der Regierungskoalition gegen den ausdrücklichen Willen der Bundesregierung aufgenommene Vertrauensschutzregelung besagt doch, daß ein Spender den Spendenabzug bzw. den Steuervorteil unter gewissen Voraussetzungen behalten darf, auch wenn die Spende nicht für die in der Spendenbestätigung angegebenen steuerbegünstigten Zwecke gegeben wird. ({1}) Hier ist es doch so: Klarheit schafft einzig unser Antrag. Sie sind aufgefordert, diesem Antrag zuzustimmen, um in der Öffentlichkeit dem schlimmen Verdacht zu begegnen, hier solle eine Parteispendenamnestie durch die Hintertür durchgeführt werden. ({2}) Angesichts der vielen Fälle, in denen in der Vergangenheit die Koalitionsparteien immer wieder versucht haben, auf den verschiedensten Wegen eine Amnestie für Parteispender zu erreichen, schrillt hier die Alarmglocke bei uns besonders laut. ({3}) Sie haben an einen fröhlichen Freizeitzug mit Namen Vereinsförderungsgesetz einen Waggon mit Giftmüll angekoppelt. Uns kommt es darauf an, diesen wieder abzukoppeln und das Vereinsförderungsgesetz eindeutig von Ballast zu befreien. Ich danke Ihnen. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Rind.

Hermann Rind (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde mich erst einmal den sachlichen Themen zuwenden. ({0}) Aber, Herr Kollege Opel, ich werde auch noch auf das Ende Ihres Beitrags eingehen. Am Anfang des Vereinsförderungsgesetzes war das Gutachten der unabhängigen Sachverständigenkommission. ({1}) Am Ende dieses Gesetzgebungsvorhabens kann man feststellen: Eine ganze Reihe von Erkenntnissen der Sachverständigenkommission sind im Gesetzentwurf enthalten. ({2}) Das sage ich deswegen, weil uns so viele Kritiker vorgeworfen haben, wir hätten das Sachverständigengutachten überhaupt nicht beachtet. Richtig ist: In einem entscheidenden Punkt sind wir der Kommission nicht gefolgt. Das ist der Punkt gewesen, der da hieß: Einschränkung der gemeinnützigen und spendenbegünstigten Zwecke im Freizeitbereich, insbesondere die Aberkennung der Spendenbegünstigung für den Sport. Wir haben bei unseren Beratungen auch festgestellt - das wußten wir natürlich auch schon vorher, aber es wurde uns wieder ganz deutlich - , daß die Abgrenzung zwischen gemeinnützigen Zwecken und der Freizeitbetätigung sehr schwierig ist. Einigkeit bestand jedoch über die Fraktionsgrenzen hinweg, daß der Sport insgesamt mehr gemeinnützige EleRind mente zum Inhalt hat als Aktivitäten im reinen Freizeitbereich. Deswegen konnten und wollten wir dem Gutachten der Sachverständigenkommission in diesem entscheidenden Punkt nicht folgen. ({3}) Damit verbunden war aber auch gleichzeitig die Frage, ob und inwieweit wir dem Petitum des Bundesrates folgen und den Kreis der gemeinnützigen Vereine ausdehnen wollten. Wir haben uns bei der Erweiterung des Katalogs von den bereits in der Abgabenordnung genannten begünstigten Zwecken des Umwelt-, des Naturschutzes, der Wissenschaft und Forschung, der Förderung von Kunst und Kultur leiten lassen. Das ist geschehen, um zumindest eine gewisse Rechtssicherheit herzustellen. Ich betone: gewisse, weil ich weiß, daß es in dem Bereich nie eine absolute Rechtssicherheit gibt und geben wird. Ich gebe gerne zu, daß diese Kataloglösung nicht voll befriedigend ist. Sie macht aber auch deutlich, wie schwierig die Abgrenzung zwischen Freizeitbetätigung und gemeinnützigen Zwecken ist. Ich sage: Wem bessere Lösungen zu dieser schwierigen Abgrenzungsproblematik einfallen, der möge sie vortragen. Ich habe keinen gehört, nur immer Kritik. ({4}) Ein weiterer Zielkonflikt war der Wettbewerb zwischen gemeinnützigen Vereinen und der Wirtschaft, insbesondere in kleinen und mittleren Betrieben in der Gastronomie. Einerseits wollten wir den ehrenamtlichen Vereinsvorständen erhebliche Schwierigkeiten bei der Anwendung des in ihrem Bereich besonders komplizierten Steuerrechts abnehmen. Andererseits wollten wir keine Wettbewerbsverzerrungen durch Vereinsgastronomie zu Lasten derer hervorrufen, die aus einem oft nur kleinen Gewerbe ihren Lebensunterhalt bestreiten und Steuern zahlen müssen. ({5}) - Das ist die Frage, Herr Kollege Feldmann. Mit der Grenze von 60 000 DM einschließlich Umsatzsteuer - ich betone das, weil das ein sehr wichtiger Punkt ist; da geht schon einmal eine ganze Menge an Umsatzsteuer weg, die abzuführen ist - für wirtschaftliche Geschäftsbetriebe und gesellige Veranstaltungen - übersehen Sie nicht, daß wir die ständigen wirtschaftlichen Geschäftsbetriebe und die Vereinsfeste, sprich: geselligen Veranstaltungen zusammen genommen haben - haben wir, glaube ich, eine Grenze gefunden, die den Wettbewerbsanforderungen gerecht wird. Ich sage dies vor allem vor dem Hintergrund, daß die meisten Vereine bis zu dieser Grenze schon bisher keine Körperschaft- und Gewerbesteuer bezahlt haben. Eine Verschlechterung für das Gewerbe, insbesondere für das Gastgewerbe, gegenüber dem ja jahrzehntelang bestehenden jetzigen Zustand ergibt sich daher aus dieser Neuregelung nach meiner Überzeugung nicht. ({6}) Die weitere Umsatzgrenze von 60 000 DM einschließlich Umsatzsteuer ist auf Einnahmen aus rein sportlichen Veranstaltungen beschränkt. Wir haben hier ganz bewußt den Verkauf von Speisen und Getränken und die Werbung für solche Veranstaltungen da herausgenommen und den wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben zugeordnet. ({7}) Damit ist sichergestellt, daß in den Bereichen, in denen Wettbewerb mit der gewerblichen Wirtschaft besteht, keine Aushöhlung des Willens des Gesetzgebers durch Verlagerung innerhalb der Vereine und bei den Vereinen möglich ist. Hinzu kommt, daß wir einem weiteren möglichen Mißbrauch durch die sogenannte Zellteilung, d. h. die mißbräuchliche Vereinsaufspaltung in selbständige Untergliederungen, durch klare gesetzliche Regelungen einen Riegel vorgeschoben haben. ({8}) Auf der anderen Seite steht, daß wir das Ziel erreicht haben, das da hieß: Entbürokratisierung und Entlastung von schwierigen steuerrechtlichen Aufgaben für ehrenamtliche Vereinsvorstände. 90 % unserer Vereine werden in Zukunft nur noch im Zusammenhang mit der Umsatzsteuer mit dem Finanzamt zu tun haben. Bei Einhaltung der Umsatzgrenzen von 60 000 DM werden sie keine Jahresabschlüsse, keine Körperschaftsteuer- und keine Gewerbesteuererklärungen mehr abgeben müssen, sondern lediglich Umsatzsteuererklärungen. Dazu reichen die schon nach dem Vereinsrecht vorgeschriebenen Einnahmen- und Ausgabenaufzeichnungen vollständig aus. Ich bin mir bei dieser Aussage der kritischen Beurteilung in den Fachverbänden, insbesondere dem DEHOGA, sowie in Teilen der Fraktionen, insbesondere meiner Bundestagsfraktion, sehr wohl bewußt. Da ich aber bisher niemanden gehört habe, der in dem Konflikt zwischen allseits erwünschter Steuervereinfachung für die Vereine einerseits und der Wettbewerbsproblematik andererseits bessere und für beide Seiten akzeptable Vorschläge gemacht hätte, ({9}) bitte ich die Kritiker doch einmal um folgendes: Laßt uns die Auswirkungen dieses neuen Gesetzes auf den Wettbewerb beobachten. Wenn sich entgegen meinen Erwartungen Wettbewerbsverschiebungen gegenüber dem jetzigen Zustand ergeben sollten, dann ist meine Fraktion für Änderungen offen, und ich vermute die anderen Fraktionen ebenfalls. ({10}) Auch die Erhöhung des Freibetrages bei der Körperschaftsteuer und die Umwandlung der Freigrenze bei der Gewerbesteuer in einen Freibetrag und die Erhöhung dieser beiden Beträge von 5 000 auf 7 500 DM ist unter Wettbewerbsgesichtspunkten vertretbar. Sie bedeutet für die Vereine, die die 60 000 DM- Grenze überschreiten, eine steuerliche Verbesserung, die der Entwicklung seit der Festsetzung der 5 000- DM-Grenze bei den Gewinnen, bei den Einkommen, Rechnung trägt, und ist insofern vertretbar und gerechtfertigt. Einer Forderung des Sports und einem Antrag der SPD können, konnten und wollen wir nicht entsprechen. Es ist die Erhöhung der Übungsleiterpauschale von 2 400 auf 3 600 DM jährlich. Ich bekenne mich dazu, daß ich gegen die Erhöhung der Übungsleiterpauschale bin. Dieser Betrag, Herr Kollege Opel, von 2 400 DM soll keine zusätzlichen Nebeneinkommen ermöglichen, wie dies in Ihrer Rede durchschien. Es sollen Aufwendungen pauschal abgegolten werden, die der betroffene Personenkreis bei seiner ehrenamtlichen Tätigkeit hat. Man will ihm mit dieser Pauschale nur den Einzelnachweis ersparen. ({11}) Unter diesem Gesichtspunkt ist auch eine Erhöhung aus rechtssystematischen Gründen nicht vertretbar. Wenn man steuerfreie Nebeneinnahmen begründen will, dann soll man dies ehrlich sagen. Dann allerdings, Herr Kollege Opel, würde man ein Faß aufmachen, das niemand mehr schließen könnte. Wir wollen dies nicht. Deswegen bleiben wir bei der Übungsleiterpauschale von 2 400 DM. ({12}) - Ich habe im Wahlkampf und vor Vereinen, überall, nie etwas anderes vertreten. ({13}) Wichtig war für uns von der FDP aber, daß der Kreis der Begünstigten um die Personen erweitert wird, die ehrenamtlich im Bereich der Pflege Alter, Kranker und Behinderter tätig sind. Wir hoffen, daß diese Regelung ein Anreiz ist, sich in der ambulanten Pflege bei mildtätigen Einrichtungen und ähnlichen Organisationen verstärkt zu engagieren. In dieselbe Richtung zielt auch die Erhöhung der Abzugsmöglichkeit von Spenden für mildtätige Zwecke von 5 auf 10 des Gesamtbetrages der Einkünfte. Die Anträge der GRÜNEN, Herr Kollege Hüser, Steuerermäßigungen bei unentgeltlicher Pflegeleistung und Aufwandsspenden ohne Erstattungsanspruch für den mildtätigen Bereich zu gewähren, folgen wir aus steuersystematischen Gründen nicht. Wohin kämen wir im Steuerrecht, wenn wir fiktive Zahlungen bei der Steuerfestsetzung berücksichtigen würden? Auch hier würden wir ein unübersehbares Faß für Gestaltungsmöglichkeiten und Mißbrauchsmöglichkeiten öffnen. ({14}) Nun noch zum Thema „Vertrauensschutz des gutgläubigen Spenders" : Ich lege Wert auf die Feststellung - und damit wird schon vieles von dem zurechtgerückt, was Sie, Herr Kollege Opel, hier gesagt haben - , daß wir nur den gutgläubigen Spender schützen, der in keiner Weise durch unlautere Mittel oder falsche Angaben bei der Spendenbestätigung mitgewirkt hat und dem auch die Unrichtigkeit der Bestätigung nicht bekannt war oder auch infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt sein konnte. Es werden also wirklich nur ehrliche Spender, deren Geld vom Spendenempfänger zweckentfremdet wurde, geschützt. Dies ist der Punkt, an dem Ihre maßlos überzogene Kritik sofort widerlegbar ist; ({15}) denn der gutgläubige Spender ist auch nicht in Parteispendenverfahren verwickelt. In Parteispendenverfahren geht es immer darum, ob er wußte, mitwußte oder grob fahrlässig nicht wußte, ({16}) ob er bei steuerlichen Manipulationen mitwirkte. Deswegen kann es nach unserer Überzeugung auch keine Rückwirkung auf laufende Strafverfahren geben. Dies hat auch die gutachtliche Stellungnahme des Bundesministeriums der Finanzen, auf die Kollege Grünewald schon verwiesen hat, in Abstimmung mit dem Bundesministerium der Justiz klar zum Ausdruck gebracht. Deswegen verstehe ich Ihre maßlos überzogene Kritik nicht. Hier geht es wieder einmal darum, ein Geschäft zu betreiben, ({17}) an dem letztendlich alle Parteien - und damit auch die SPD - leiden werden. Ich bedaure diese Entwicklung sehr. ({18})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Rind, Sie gestatten eine Zwischenfrage des Abgeordneten Opel? - Bitte schön, Herr Abgeordneter Opel.

Dipl. - Ing. Manfred Opel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001652, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Rind, angesichts der mehrfachen Versuche, die gerade auch aus Ihrer Partei kommen, Parteispendenamnestien durchzusetzen, frage ich Sie: Würden Sie mir einräumen, daß die Bundesregierung im Finanzausschuß nicht ausgeschlossen hat, daß rückwirkende Wirkungen auch von dieser Regelung ausgehen können? ({0})

Hermann Rind (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Opel, zunächst weise ich den Vorwurf zurück, daß meine Fraktion Amnestieregelungen für Parteispender einzuführen versucht habe oder einzuführen versuche. Dies ist sachlich nicht richtig. Aus Zeitgründen kann ich darauf nicht näher eingehen. Zu Ihrer konkreten Frage kann ich Ihnen aber ganz deutlich sagen, daß wir ja mit der Formulierung, wie sie jetzt im Vereinsförderungsgesetz steht, mit der Formulierung, die ich gerade zitiert habe, die Bedenken ausgeräumt haben und daß das Bundesministerium der Finanzen dies gutachtlich erklärt und festgestellt und mit dem Bundesminister der Justiz abgestimmt hat. Damit sind diese Einwendungen in bezug auf die Formulierung, wie sie nun vorliegt, gegenstandslos. Die Anregung aus dem Bundesrat, hier global etwas für den Vertrauensschutz zu tun, hätte die Möglichkeit eröffnen können, daß Rückwirkungen auf laufende Strafverfahren gegeben sind. Das aber, was jetzt mit dieser starken Einschränkung auf den gutRind gläubigen Spender Gesetz wird, eröffnet solche Möglichkeiten nicht. ({0}) Meine Damen und Herren, der Kollege Grünewald hat schon darauf hingewiesen, aber ich will es hier trotzdem noch einmal verstärkend betonen: Wir haben uns zu diesem Schritt, den gutgläubigen Spender zu schützen, auf Anregung des Bundeslandes Bayern, verstärkt noch durch das Bundesland Nordrhein-Westfalen, insbesondere deshalb entschlossen, weil ohne diese Regelung bei Zigtausenden von Einrichtungen auf Grund der öffentlichen Diskussion dieses Themas das Spendenaufkommen in Zukunft gefährdet wäre. Die öffentliche Diskussion dieses Themas könnte unübersehbaren Schaden in Form sinkenden Spendenaufkommens bei allen Vereinen und Einrichtungen zur Folge haben, wenn wir nun den Vertrauensschutz nicht in das Gesetz übernähmen. ({1}) Dazu, Herr Opel, ist noch folgendes zu sagen. Ihre umfangreiche Presseerklärung hat polemische Töne, und das nehme ich Ihnen nicht übel, denn es soll ja keine abgewogene Erklärung sein; aber auf einen Punkt muß ich Sie nun doch hinweisen. Wenn Sie zunächst schreiben „auf Antrag der Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und FDP", dann ist das nicht richtig. Sie wissen genau, woher die Anregung kam, nicht von uns, nicht von der Bundesregierung, sondern aus dem Bundesrat. ({2}) Das ist der erste Punkt. ({3}) - Aber Sie kennen doch den Werdegang. Wenn Sie Ihre Presseerklärung ehrlich abgefaßt hätten, dann hätten Sie geschrieben: Die Anregung der Bundesländer Bayern und Nordrhein-Westfalen haben die Koalitionsfraktionen übernommen. Dann hätten Sie die Wahrheit gesagt. ({4}) Die nächste Anmerkung ist: Sie schreiben: „Damit droht eine neue Parteispendenaffäre. " Sie haben dies hier auch ausgeführt. So etwas von maßloser Überziehung ist gar nicht denkbar; denn selbst den Fall, den Sie annehmen, würde nicht eine neue Parteispendenaffäre bedeuten, sondern würde nur bedeuten - ich bestreite, daß es so ist - , daß es in anhängigen Strafverfahren mildernde Umstände für Angeklagte geben könnte. ({5}) - Oder nicht eröffnete. Aber das ist doch keine neue Parteispendenaffäre. ({6}) Diese maßlose Überziehung brandmarkt das, was Sie hier vorhaben, als üble Polemik. ({7}) Es tut mir leid, daß dies mit dieser Dissonanz in dem sonst oft einigen Verfahren an dieser Stelle geendet hat. ({8}) Ein großer Wurf, meine Damen und Herren, und frei von steuersystematischen Bedenken ist dieses Gesetz nicht. Ich glaube aber, daß wir aus einer gesetzlichen Regelung nur schwer zugänglichen Materie etwas Brauchbares gemacht haben: etwas Brauchbares für die Ehrenamtlichen in allen gemeinnützigen Vereinen und insbesondere im Sport sowie erhebliche Verbesserungen für den mildtätigen Bereich und den Pflegebereich. Dies sind so wichtige Elemente, daß wir diesem Gesetz am Ende gerne zustimmen. Vielen Dank. ({9})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Hüser.

Uwe Hüser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000978, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Rind, wenn Sie selber gerade sagen, daß das steuersystematisch gar nicht so ganz astrein ist, dann können Sie mir auch nicht vorwerfen, daß unsere Vorschläge steuerunsystematisch sind. Dann müssen Sie schon auf einer Linie bleiben. ({0}) - Die Inkonsequenz war aber zuerst auf seiner Seite. Zu Ihnen, Herr Opel. Wenn Sie jetzt meinen Ausführungen lauschen, dann werden Sie feststellen, daß Sie einige unserer Anträge oder Begründungen verkehrt wiedergegeben haben. Wenn wir uns vorstellen, daß irgendein x-beliebiger Karnevalverein einer rheinischen Stadt irgendwann, vielleicht jetzt oder Anfang nächsten Jahres, nach Rio fliegt, um einen intensiven Erfahrungsaustausch verschiedener Arten der internationalen Brauchtumspflege zu studieren, oder daß der Pflanzenschutzverein nach Neuseeland fliegt, um seltene Samenkörner, die es lohnt, auch hier zu züchten, zu suchen, und daß diese Reisekosten als Spenden abzugsfähig sind, dann müssen wir feststellen, daß diese grotesken Vorstellungen nächstes Jahr zur Realität werden können, ({1}) wenn dieser Gesetzentwurf zur Vereinsförderung im Bundestag angenommen werden wird. Der vorliegende Antrag von der CDU/CSU und FDP, dem auch die SPD nach alledem, was wir hier gehört haben, zustimmen wird, führt unseres Erachtens zu einer nicht vertretbaren Ausweitung der steuerlich geförderten Gemeinnützigkeit. Dies lehnen die GRÜNEN ab. Der Gesetzentwurf geht auf den Bericht der unabhängigen Sachverständigenkommission zurück, die mit viel Sachverstand relativ unabhängig von Lobbyinteressen einige Jahre daran gearbeitet hat. Die steuerliche Subventionierung weiter Bereiche des organisierten Freizeitsports und der Freizeitbetätigung steht aber in eindeutigem Widerspruch zu dem Gutachten, das nach dem Grundsatz „Gemeinnützigkeit setzt Selbstlosigkeit voraus" nur solchen Vereinen die Spendenbegünstigung zugestehen will, die ausschließlich selbstlos sind. Der Gesetzentwurf ist unseres Erachtens eher das Ergebnis der Durchschlagskraft, über die die Freizeitvereinelobby bei gewichtigen Politikern verfügt. Bei allem Verständnis für sinnvolle Freizeitbetätigung: Wir denken - auch, Herr Grünewald, wenn Sie dies vorhin anders dargestellt haben - , daß hier der Kernbereich der Gemeinnützigkeit, zu dem Mildtätigkeit, Wohlfahrtspflege, Jugend- und Altenhilfe gehören, nicht mehr gesehen wird. Die Verschiebung der Werterelation in den Prioritäten der hier verantwortlichen Parteien ist doch schon recht beängstigend. Ich möchte dies an zwei Stellungnahmen zu verdeutlichen versuchen, die, so denke ich, dies sehr eindrucksvoll wiedergeben, und zwar erstens: Die steuerliche Begünstigung von Spenden ist auf das rechtfertigungsfähige Maß der gemeinwohlfördernden Zwecke im Dienste für den Nächsten und die Allgemeinheit zu reduzieren, vor allem unter Ausschluß der Förderung vereinsmäßig organisierter privater Freizeitaktivität. Das zweite Zitat: Solange einkommensteuerrechtlich das physische Existenzminimum durch einen realistischen Grundfreibetrag berücksichtigt wird, solange auch keine realistischen Kinderfreibeträge eingeführt werden sollen, ist es nicht konsequent, Aufwendungen oder Zuwendungen für die Freizeitbetätigung und die sportliche Betätigung zum Abzug zuzulassen. Dem ist, denke ich, nichts hinzuzufügen. Das erste Zitat stammt aus einer Erklärung des Juristentages 1988 in Mainz. Das zweite Zitat ist von der Sachverständigen-Kommission. Ähnlich hat sich auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme geäußert. Ich befürchte jedoch, daß dies keine Auswirkungen auf seine Entscheidung hat. Bedenkt man, daß ein gut verdienender Familienvater oder eine Mutter für den Kaninchenzüchterverein mehr Geld steuerwirksam geltend machen kann als für Familie und Vorsorge, so erhält das Schlagwort - auch wenn es etwas hart klingen mag, auch wenn wir durchaus sehen, daß einige Vergünstigungen im mildtätigen Bereich erreicht worden sind - „Kaninchen statt Kinder" eine traurige Rechtfertigung. ({2}) Letztlich ist auch zu befürchten, daß das Spendenaufkommen zugunsten der caritativen Verbände und Vereine sinken wird, weil die Spendenströme - das haben wir ausführlich in den Ausschüssen und bei der Anhörung diskutiert - eher in Richtung persönlicher Freizeitgestaltung fließen werden, da wir nur einen bestimmten Spendenkuchen zur Verfügung haben. So hat die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege in der Anhörung im Finanzausschuß betont, daß das Spendenaufkommen für Wohlfahrtszwecke voraussichtlich merklich zurückgehen werde und daß dies mit einer Kürzung der Bundeszuwendungen für zentrale Aufgaben der Spitzenverbände der freien Wohlfahrt und mit der Kürzung der Zuschüsse für ABM-Kräfte um durchschnittlich 20 % zusammentrifft. Weitere Entlassungen und Schließungen bei freien Trägern wären dann kaum zu vermeiden, und eine Austrocknung sozialpolitisch notwendiger Maßnahmen wäre unvermeidlich die Folge. Um Unterstellungen direkt vorzubeugen: Natürlich sind auch wir der Meinung, daß in Freizeitvereinen gerade auch im Hinblick auf eine immer mehr zunehmende Freizeitgesellschaft sinnvolle Arbeit geleistet wird, gerade auch im Sport; das steht auch für uns außer Frage. Wir halten es jedoch für den verkehrten Weg, dies ohne jegliche Differenzierung pauschal staatlich zu fördern. Dort, wo förderungswürdige Arbeit geleistet wird, z. B. bei der Integration von Ausländerinnen und Ausländern in die Gesellschaft durch die Sportvereine und in vielen anderen Bereichen, sollte unseres Erachtens der Staat direkte Zuwendungen und Leistungen geben. Dies ist treffsicherer, effizienter, politisch durchsichtig und auch von den Parlamenten kontrollierbar. DIE GRÜNEN legen hier einen Entschließungsantrag vor - er ist von meinem Vorredner schon erwähnt worden - , der unsere Kritik an dem Gesetzentwurf darlegt und die Bundesregierung auffordert, einen neuen Entwurf vorzulegen, welcher sich an den Vorschlägen der Sachverständigenkommission orientiert. In den Beratungen in den letzten Wochen und Monaten haben eigentlich alle Sachverständigen und in den Gesprächen nebenbei auch viele Politiker aus allen Fraktionen mehr oder weniger zugegeben, daß der von der Kommission vorgeschlagene Weg der richtige ist. Die Vielzahl der Vereine im Wahlkreis und im Lande lassen diese Einsicht aber wohl nicht in politisches Handeln umschlagen. Dies ist, denke ich, bedauerlich. Ich möchte an einem Punkt versuchen, Ihre Fehleinschätzung darzulegen, Herr Grünewald, daß Sie denken, Sie hätten hier einen abschließenden Katalog verabschiedet. Die Reduzierung der einzelnen Bereiche, die Sie im Ausschuß angenommen haben, bedeutet noch lange nicht, daß dies abschließend ist. Ein Punkt alleine reicht nicht. Wie Sie wissen, ist in der Abgabenordnung allein schon durch das Wort „insbesondere" ganz klar dargelegt, daß es sich hier nur um eine aufzählende, aber keine abschließende Abhandlung handelt. ({3}) Ich weiß nicht, wie die Finanzämter den Unterschied zum Modellflug, Briefmarkensammeln oder Skat definieren wollen. Ich denke, hier kann von Vereinfachung keine Rede sein. Vielmehr befürchte ich, daß sich die Gerichte damit befassen müssen. Wenn dies nicht der Fall sein sollte und wenn - wie Herr Opel es gesagt hat - dies dann über Verordnungen ausgeweitet wird, dann haben wir keine Einschränkung, sondern eine ganz massive Ausweitung. ({4}) Ich will nicht unerwähnt lassen, daß es in den Beratungen an dem vorliegenden Gesetzentwurf einige Verbesserungen gegeben hat, denen auch wir im Ausschuß zugestimmt haben und denen wir, wenn wir in die Einzelabstimmung kommen, auch hier zustimmen werden. Das betrifft die Ausweitung der Bereiche, für die die Übungsleiterpauschale gilt, den Spendenhöchstsatz für mildtätige Bereiche, den Bereich der Zweckbetriebe und noch einige andere Punkte. Ich will auf einige Punkte eingehen, die im Ausschuß keine Mehrheit gefunden haben und die wir hier nochmals beantragen wollen: Erstens geht es um die Anerkennung unentgeltlicher Pflegedienstleistungen. Auch mit der Ausdehnung der sogenannten Übungsleiterpauschale auf die nebenberufliche Pflege alter, kranker oder behinderter Menschen reicht dies nicht aus. Angesichts des drohenden Pflegenotstands, der sich für die 90er Jahre abzeichnet, sollten auch unentgeltlich erbrachte Pflegedienstleistungen, die kostensparend auf verantwortungsvollen Pflegeposten erbracht werden, nicht nur in Regierungserklärungen und Sonntagsreden gelobt, sondern wenigstens in einem bescheidenen Umfang steuerlich anerkannt werden, wenn der Staat sie weder erbringen kann oder will noch bezahlen könnte. Dazu schlagen wir konkret eine Änderung des § 34 des Einkommensteuergesetzes vor, die diese unentgeltliche Pflegedienstleistung, die in Sozialstationen und Pflegeheimen oder Krankenhäusern erbracht wird, anerkennt. Ich gebe Ihnen auch darin recht, Herr Opel, daß dies natürlich nicht ausreicht und daß wir hier noch andere Maßnahmen in der sozialen Absicherung brauchen, auch entsprechende Mindestsicherungen im Pflegebereich. Dann muß ich noch - die Zeit ist kurz - auf einen zweiten Punkt eingehen. Es geht um die Absicht, daß Aufwendungen für Vereine steuerlich nur dann absetzbar sein sollen, wenn der Spender durch Vertrag oder durch die Satzung einen Erstattungsanspruch hat. Ich denke, daß dies so nicht gerechtfertigt ist. Der Gesetzentwurf, der hier vorliegt, will die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs aushebeln, der eben einen solchen Erstattungsanspruch nicht für notwendig hält. Selbst wenn der Regierungsentwurf bei wohlhabenden Freizeit- und Sportvereinen insoweit vielleicht durchaus Sinn gäbe, so kann doch einem mildtätigen Verein, der die Hilfe des Aufwendungsspenders in Anspruch nimmt, nicht angelastet werden, daß er die Mittel für solche Erstattungsansprüche nicht hat. Eine entsprechende Änderung haben wir hierzu vorgelegt. Drittens geht es um den Tatbestand, daß bislang nur Parteispenden mit einer pauschalen Steuerermäßigung von 50 % bedacht werden. Dies wollen wir auch auf die anderen Bereiche ausweiten. Wir haben noch einen Antrag eingebracht, auf den ich jetzt, weil meine Redezeit gleich abgelaufen ist, nur noch kurz eingehen kann. ({5}) Herr Opel, Sie haben gesagt, daß es inkonsequent sei, wenn wir einerseits einen Entschließungsantrag einbringen, um die Gemeinnützigkeit so zu regeln, wie es in dem Gutachten dargelegt ist, und auf der anderen Seite konkretisierende Maßnahmen in diesen Gesetzentwurf hineinbringen. Ich denke nicht, daß dies inkonsequent ist. Wir haben nicht beantragt, den Katalog auszuweiten. Ich verweise hier durchaus auf die Ausführungen, die wir gemacht haben. Im Blick z. B. auf Schwulen- und Lesbenvereine - das kann ich nur voll unterstützen - wollen wir diese konkretisierenden Maßnahmen. Wenn dieser Gesetzentwurf nun schon angenommen wird, dann wollen wir wenigstens den Versuch unternehmen, daß diese Konkretisierung erfolgt, damit diese ungleiche Behandlung nicht auftaucht. ({6}) Was den Passus mit dem Gutglaubensschutz für Parteispenden betrifft, so sollte schon die Möglichkeit, allein die Tatsache, daß es möglich sein könnte - es ist gar nicht notwendig, daß es eintritt - , daß diese Regelung rückwirkenden Charakter bekommt, uns gebieten, dies wieder aus dem Gesetz herauszunehmen. Deshalb werden wir diesem Antrag zustimmen. ({7})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Spilker.

Dr. h. c. Karl Heinz Spilker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002200, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich zu meinem Thema komme, möchte ich Ihnen eine Meldung vorlesen, die ich im Moment erhalten habe. ({0}) - Ich kannte sie nicht. - Ab sofort können DDR- Bürger direkt über alle Grenzstellen zwischen der DDR und der Bundesrepublik ausreisen. ({1}) Ich dachte, daß es mir ausnahmsweise gestattet ist, das fernab vom Thema mitzuteilen. ({2}) - Ich danke dir sehr. Meine verehrten Damen und Herren, zum Thema. Der bisherige Verlauf der Debatte veranlaßt mich, noch einmal die Entwicklung zu beleuchten, die diese Gesetzentwürfe im Laufe von zehn Jahren genommen haben. Wir haben zehn Jahre benötigt, um ein so wichtiges Gesetz heute zum Abschluß zu bringen. Es begann 1979, als die CDU/CSU-Fraktion zum erstenmal einen Antrag zur steuerlichen Behandlung gemeinnütziger Vereine einbrachte. Es setzte sich 1985 fort, als die sozialdemokratische Fraktion nahezu den gleichen Antrag vorlegte. Es gibt aber doch einen Unterschied: Unser Antrag wurde in Ihrer Regierungszeit leider nicht behandelt. Der Finanzminister hatte etwas dagegen, andere sicherlich auch. Tatsache ist: Wir kamen mit unserem Antrag nicht durch. Wir waren in der Opposition. ({3}) - Herr Huonker, ich weiß, Sie waren an führender Stelle. Ich danke Ihnen für die Bestätigung. Nun konnte Ihr Gesetzentwurf ja auch nicht gerade in den nächsten 14 Tagen behandelt und beschlossen werden. Aber er wurde behandelt. Die Bundesregierung hat einen Entwurf vorgelegt, und wir stehen heute gemeinsam vor der Entscheidung über diesen Entwurf und Ihre Entwürfe ebenfalls. ({4}) Lassen Sie mich Ihnen aber auch den Grund sagen - denn ich trage ja ein bißchen Verantwortung dafür; ich bekenne mich zu dieser Verantwortung - , warum das eben auch noch einmal vier Jahre gedauert hat. Ich selbst habe im Jahre 1985 - ich glaube, es war im September - den Antrag gestellt, die Bundesregierung möge eine Sachverständigenkommission berufen, um die Frage der Gemeinnützigkeit noch einmal eingehend zu überprüfen. Mein Freund Jörg Häfele hat mir dabei geholfen; er war damals Staatssekretär im Finanzministerium. Ich meinte damals, das dauere ein halbes Jahr. Es wurden leider drei Jahre. Wir hatten einen Todesfall. Es starb der amtierende Vorsitzende der Kommission. Danach war noch ein Todesfall zu beklagen. Andere Schwierigkeiten kamen hinzu. Kurzum, es dauerte lange. Mea culpa oder meine Verantwortung, was Sie wollen. Es war gut gemeint. Wir standen - das hat die Kommission hinterher ja auch nachgewiesen - beim Gemeinnützigkeitsrecht vor einem Wirrwarr. Wir wußten ja selber nicht mehr, was Rechtens war oder nicht. Ich denke noch an die Debatten, die in erster Linie im Sportausschuß bereits 1979 begannen. Ich erinnere an die Namen: an den Vorsitzenden, an Wolfgang Mischnick, an Freund Büchner, an Friedl Schirmer und wie sie alle hießen; ich möchte hier nicht alle aufzählen. Mein Freund Nelle hat sich dann dieser Sache angenommen. Bei Ihnen war es der Freund und Kollege Klein, dem ich von dieser Stelle übrigens gute Besserung wünschen möchte. ({5}) Jede Debatte in diesem Rahmen hatte immer einen fairen Verlauf. Wir haben als Kollegen oft hart gestritten, aber immer mit Niveau; das möchte ich einmal sagen. Ausgerechnet ein Kollege, den ich besonders schätze - das ist der Kollege Opel - , hat mir heute gar keinen Gefallen getan, indem er diese Diskussion in einen Urwald verlagerte mit Behauptungen und Unterstellungen, die mit Buchstaben und Geist der vorliegenden Gesetzgebung in überhaupt keinem Zusammenhang stehen. ({6}) Das tut mit wirklich leid. ({7}) - Herr Kollege Opel, das tut mir wirklich leid, und zwar aus dem Grunde, weil hier wieder ein Thema auf den Tisch kommt, was hier nicht hergehört. Ich kenne ja diesen, fast hätte ich gesagt: Verfolgungswahn wegen der Parteispenden. Ich, der ich viel Erfahrung auf diesem Gebiet habe, gebe Ihnen einen guten Rat: Unterhalten Sie sich darüber zunächst einmal mit Ihrem Schatzmeister, und bestellen Sie ihm einen schönen Gruß von mir. ({8}) - Ich bin ja noch gar nicht fertig. - Wenn Sie noch mehr Bedarf haben, etwas von vielen Unterhaltungen, an denen auch ich teilgenommen habe, zu erfahren, dann werde ich Ihnen etwas erzählen, daß Ihnen Hören und Sehen vergeht. Das sage ich Ihnen. Dann werden Sie sich wundern. Ich ärgere mich darüber, weil wir gemeinsam etwas vorbereiten und dann auch beschließen wollen und Sie dann im letzten Augenblick mit einem Antrag kommen, der hier wieder Zweifel nicht nur über die gemeinsame Arbeit - das meine ich gar nicht einmal -, sondern auch Zweifel darüber aufkommen läßt, daß wir gewillt sind, gemeinsam etwas für die 250 000 Vereine in der Bundesrepublik zu tun. ({9}) Das ist das, was mich ärgert. ({10}) - Herr Opel, ich frage mich, warum man nun mit einer Einschränkung kommt, die, wie gesagt - das habe ich soeben betont -, mit diesem Gesetz überhaupt nichts zu tun hat. Wir haben bei den Beratungen seit mehr als einem Jahr immer wieder betont: Wir wollen diesen Entwurf in Ruhe ordentlich durchberaten. Wir haben aber versprochen, daß er mit der dritten Stufe der Steuerreform zum 1. Januar 1990 in Kraft gesetzt werden kann. ({11}) Das haben wir eingehalten. Das ist der kleine Unterschied, Herr Huonker. Wir wollen uns glücklich schätzen, daß es so ist, und damit will ich das Thema auch beenden. Auf jeden Fall freue ich mich, daß wir das erreicht haben - mein Freund Tillmann wird darauf noch zurückkommen - , und andere sollten sich mit mir freuen, vor allen Dingen diejenigen, die über all die Jahre von der ersten Stunde an an diesem Gesetz mitgearbeitet haben. Diese jahrelange Diskussion, zunächst einmal um eine aufgabengerechte Bewertung des Sports, hat ja auch ein Gutes gehabt, weil wir nämlich das Gesetz seit 1979 und auch 1985 immer mehr erweitern konnSpilker ten, so daß wir heute nicht mehr nur über Sportvereine reden, sondern - weit darüber hinaus - über, wie ich soeben gesagt habe, rund 250 000 Vereine, denen wir mit unseren Maßnahmen, mit unseren Vorschlägen, mit unseren Beschlüssen nicht nur steuerliche Erleichterungen bringen wollen, sondern die wir in ihrer Arbeit auch entlasten wollen. Wir wollen den ehrenamtlich Tätigen helfen, daß sie sich um die gemeinnützigen Arbeiten des Vereins kümmern können und nicht mit Buchhaltungsarbeiten usw. ihre Zeit aufzehren, für die sie sich ja eigentlich nicht zur Verfügung gestellt haben. Man hört oft etwas über den Kern dieses Gesetzes - das ist von Ihnen und von meinen Freund Grünewald erwähnt worden - : Der Kernpunkt ist für mich, daß 90 % dieser von mir genannten Vereine mit dem Finanzamt in der Bundesrepublik Deutschland nichts mehr zu tun haben. Das ist für mich der Kernpunkt. ({12}) Das heißt, daß wir den Vereinen, die für die gesellschaftliche Struktur dieser Bundesrepublik so viel tun, die Möglichkeiten zur Verfügung stellen, die sie sich verdient haben. - Herr Präsident, Sie sind heute ganz besonders schnell; hier leuchtet es schon wieder.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Der Präsident ist nicht schnell, Herr Abgeordneter Spilker. Die Uhr läuft ganz normal.

Dr. h. c. Karl Heinz Spilker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002200, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe ja immer wieder dieselben Schwierigkeiten mit Ihnen, aber ich höre dann auch auf. ({0}) - Nein, ich beschwere mich auch nicht; das ist eine Feststellung. Das kann morgen Sie und übermorgen meine Freunde genauso treffen. ({1}) Das ist ja nichts Besonderes. Aber, Herr Opel, ich muß noch auf eine Bemerkung von Ihnen und Herrn Büchner zurückkommen, die Sie in den letzten Wochen gemacht haben. Es geht um die Übungsleiterpauschale, um Ihren Wunsch, diese von 2 400 DM auf 3 600 DM zu erhöhen. Das haben wir ja schon einmal versucht, aber da waren Sie nicht dieser Meinung. Das liegt natürlich schon lange zurück. ({2}) Jetzt darf ich Ihnen einmal - zumindest als Jurist und nicht als Fachanwalt für Steuerrecht - etwas sagen: Es ist doch jedem unbenommen, wenn er mehr Ausgaben hat, diese nachzuweisen und abzusetzen, so daß also dieser Streit fast ein theoretischer ist. ({3}) - Ich sage doch: Es ist ein theoretischer Streit. Aber ich meine, daß der, der es nicht braucht, es auch nicht beanspruchen sollte. ({4}) Dabei sollten wir es zunächst einmal belassen. Meine Fraktion, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, stimmt dem vorliegenden Gesetzentwurf auf jeden Fall zu. ({5}) Er bringt - das ist unbestritten - den meisten Vereinen in der Bundesrepublik Deutschland die langersehnte Klarstellung, die Entlastung und Vereinfachung für ihre wertvolle und allen dienende gemeinnützige Arbeit. Ich danke Ihnen sehr. ({6})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt ({0}).

Wilhelm Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002022, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Sportkameradinnen und Sportkameraden, möchte ich an dieser Stelle zu Beginn vielleicht doch auch einmal sagen dürfen, denn es ist tatsächlich so, daß der Herr Kollege Spilker mit Recht darauf hingewiesen hat, daß die Initiative für dieses Vereinsförderungsgesetz im wesentlichen aus der Sportorganisation herrührt und sie von den Parteien jeweils im Wechsel - je nachdem, ob sie in der Opposition oder der Regierungskoalition gewesen sind - aufgegriffen worden ist. Aber, Herr Kollege Spilker, Sie haben bei Ihrer Darstellung des zeitlichen Ablaufes einige kleine, aber doch wesentliche Punkte vergessen. An eines möchte ich doch erinnern: Zu Beginn dieser Legislaturperiode ist der hier vorliegende und auch zu beratende Antrag der SPD erschienen, der sich ganz ausdrücklich noch einmal auf diese Dinge bezieht. Deswegen ist letzten Endes doch das auf den Weg gebracht worden, was wir hier diskutieren. Ich will hinzufügen: Nach meiner Einschätzung ist nur Euphorie nicht angebracht. Das Gesetz ist zwar ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu einer sportfreundlicheren Gesellschaft. Aber es ist doch so, daß wir in den letzten Jahren alle das Gefühl hatten - und ich bin dankbar dafür, daß wir so etwas wie eine Sportkoalition in diesem Hause wieder haben herstellen können - : Wir müssen die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Vereinen auf diese Weise wieder unterstützen, mehr als das bisher der Fall war, und sie aus diesem Steuerdschungel befreien, der sie in ihrer Vereinsarbeit - in ihrer ehrenamtlichen allemal - behindert hat. Die Aussagen reichten hin bis zu derjenigen, daß ein Schatzmeister in einem Verein schon die Steuerberaterprüfung haben müsse, um mit den Dingen zurechtzukommen, die ihm auf diesem Sektor im Verein immer wieder begegnen. ({0}) Wir kennen alle die Fälle, in denen Vereinsvorstände kriminalisiert worden sind, weil sie mit den Steuervorschriften nicht zurechtgekommen waren. Schmidt ({1}) Ich erinnere ganz deutlich daran - das will ich noch einmal mit Nachdruck sagen - , daß es der Sport selbst gewesen ist, der es geschafft hat, uns, die Politiker, auf Trab zu bringen und uns Politikern zu sagen, was denn dringendst notwendig ist. Ich denke, dahinter brauchen wir uns auch nicht zu verstecken, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, denn es ist doch nichts Schändliches, sich als Unternehmen hinter die größte Menschenorganisation in unserem Lande zu stellen und mit ihnen gemeinsam zu handeln. 22 Millionen Menschen in 70 000 Vereinen - dies ist durchaus auch unsere Initiative wert. Wir stehen dazu und sind stolz darauf, daß wir das gemeinsam geschafft haben. ({2}) Ich will auch mit Deutlichkeit an die Grundlagen des DSB erinnern, die dieser erarbeitet hat: insbesondere das Steuermemorandum von 1983 und der Forderungskatalog von 1987. Zahlreiche Sportkonferenzen der Parteien, die sich immer gerade dem Sport verbunden gefühlt haben - FDP, CDU/CSU und SPD - haben bestätigt, daß es dringend notwendig war, hier etwas zu tun. Es ist so, daß wir auch bei den Finanzpolitikern mehr und mehr den Rückhalt für diese Aufgabe finden konnten. Übrigens nicht zuletzt deswegen waren wir in der SPD-Fraktion ganz besonders stolz darauf, daß auch die SPD-Finanzpolitiker zu Anfang dieser Legislaturperiode unsere Initiative unterstützt haben. Ich will aber auf einen Faktor eingehen, der uns alle, glaube ich, in dem Bemühen, nun Licht in diesen Dschungel zu bringen, sehr stark gestört hat, nämlich das Gemeinnützigkeitsgutachten. Wir haben ja dazu eine Sonderdebatte hier im Hause gehabt. Wenn sich nun die GRÜNEN mit ihren Aussagen und Anträgen heute vorbehaltslos auf die Intentionen und Aussagen dieses Gutachtens stützen, dann muß ich sagen, haben sie in den vergangenen 12 Monaten bei diesem Thema überhaupt nichts dazugelernt. Ich will hinzufügen, daß wir alle gemeinsam gerade auf dieser Basis - nämlich in der Einigkeit darüber, daß der Sport und auch viele andere gemeinnützige Betätigungen beileibe nicht nur eigennützige Freizeitbeschäftigungen sind, wie es in diesem Gutachten formuliert war - sehr stark vorangekommen sind. Gerade deswegen ist es gut, daß wir auf Grund dieses Gutachtens einmal klarmachen konnten, wie viele Werte sich gerade in der sportlichen Tätigkeit verbergen, manchmal tatsächlich zu sehr verbergen und zuwenig an die Öffentlichkeit getragen werden. Das ist nicht nur die Bildung gerade auch für junge Menschen, das ist nicht nur die immer wieder ihnen zuwachsende soziale Aufgabe. Ich erinnere daran, daß wir alle gemeinsam den Sport darauf hingewiesen haben, er möge sich bitte auch der Aufgabe der Integration der Aus- und Übersiedler zuwenden. Wo waren wir, die wie in dieser Zeit als Politiker viele Maßnahmen und Möglichkeiten angedeutet haben? Wir wußten die Rezepte noch nicht, wir haben erst einmal wieder den Sport mit angeschoben. Er hat sich dieser Aufgabe gestellt und tut dies zunehmend. ({3}) So gesehen, meine Damen und Herren, ist der Sport ein Faktor von Lebensqualität, ein Faktor von Zukunftssicherung. Dies haben gerade die kommunalen Spitzenverbände in diesen Tagen noch einmal festgestellt; ich will dies gern an dieser Stelle zitieren. Natürlich hat der Sport in unserer wachsenden Freizeitgesellschaft, die immer mehr professionalisiert und kommerzialisiert wird, eine ganze Reihe von Problemen zu überwinden. Ich denke, er hat dazu mit seinem Kongreß „Menschen und Sport 2000" jedenfalls im Ansatz einen Versuch unternommen, etwas zu leisten. Leider ist dies nicht - bisher jedenfalls - in dem Maße geschehen, wie das für die Sache notwendig wäre. Darum brauchen wir nach wie vor Sportförderung und -unterstützung. Dieses Vereinsförderungsgesetz ist ein wichtiges Element. Die SPD findet sich darin jedenfalls durchaus und sehr deutlich wieder. Ich will hinzufügen, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß es die Vereinsarbeit und die Arbeit der Ehrenamtlichen ist, die hierbei im Vordergrund steht und die bei der Bewertung von Steuererleichterungen denn auch immer wieder ganz besonders bedacht werden muß. Gerade deswegen ist es gut, daß die neuen Freigrenzen, die Gewichtigkeitsgrenzen, eingeführt worden sind und damit für den Großteil der Sportvereine - ich möchte jetzt keine Prozentzahl nennen; die genannte Zahl mag durchaus stimmen, aber ich will mich dem enthalten - an dieser Stelle tatsächlich wesentliche Erleichterungen im Verhältnis zum Finanzamt eintreten. Aber, Kollege Spilker, etwas muß man doch berichtigen; das will ich in aller Deutlichkeit tun. Wir entledigen die Vereine damit nicht einer Aufzeichungspflicht. Sie müssen nach wie vor so etwas wie eine Buchhaltung führen. ({4}) - Es klang vorhin etwas anders. Ich sage das hier in aller Deutlichkeit, damit wir nicht irgendwann einmal der Leichtfertigkeit gescholten werden. ({5}) Sie haben mit dem Finanzamt schon etwas zu tun, nämlich dann, wenn das Finanzamt kommt und die Nachweise auf den Tisch haben möchte. Ich will das mit aller Deutlichkeit sagen. ({6}) Ich will auf einige wenige Punkte kommen, bei denen wir das Gefühl haben, es hätte mehr getan werden können. Sie verstehen auch, glaube ich, daß ich dies relativ moderat tue, weil wir uns in dem Vereinsförderungsgesetz - ausgenommen sei hier das Sperrfeuer, das durch den Vertrauensschutzparagraphen jetzt noch eingetreten ist - doch sehr intensiv wiederfinden. Diese Debatte ist eigentlich völlig unnötig, weil dieses Gesetz an dieser Stelle mit einer solchen Vorschrift nicht hätte befrachtet werden müssen. ({7}) Schmidt ({8}) - Bitte immer erst ausreden lassen, Herr Grünewald. - Weil dieser Paragraph an dieser Stelle völlig unnötig ist, meine ich, daß wir sagen können: Der Sport hat dieses U-Boot-Verfahren eigentlich gar nicht verdient und die übrigen gemeinnützigen Vereine auch nicht. ({9}) Wir hätten uns das für eine Auseinandersetzung an anderer Stelle aufsparen sollen und müssen. Wir haben doch vorhin darauf hingewiesen - Sie selbst in Ihrem Beitrag auch - , daß das Spendenverfahren noch einmal überdacht und neu geregelt werden muß. Warum hätten Sie sich diese Vorschrift nicht noch für dieses Verfahren aufheben können, frage ich Sie an dieser Stelle. ({10}) Ich will an dieser Stelle in aller Kürze, aber auch mit allem Nachdruck noch einmal an die Mängel des Gesetzes erinnern, die uns auch die Sportorganisationen in aller Deutlichkeit, Kollege Tillmann, immer wieder geschildert haben. Es ist die Frage: Wo ist denn die - eine solche Regelung wäre sehr leicht unterzubringen gewesen - Möglichkeit für die Sportvereine verblieben, nun auch die Ausrüstungsgegenstände steuerfrei entgegenzunehmen? Das wäre sehr leicht und einfach zu regeln gewesen und hätte niemandem geschadet. Das ist aber herausgelassen worden. Ich will auch kurz auf die Bindungsfrist hinweisen. Warum zwingt man die Vereine, die gemeinnützig sind, zu dieser kurzen Bindungsfrist? Sie müssen sich ständig wieder hin- und herbewegen. Ich will hinzufügen, daß wir, jedenfalls vorübergehend, im Sportausschuß gemeinsam auch einmal daran gedacht haben, daß die Nettoumsätze der Steuerbefreiung unterliegen. Ich denke, das wäre eine sehr angemessene Lösung gewesen, auch wenn sie sich am Ende nicht durchgesetzt hat. Zur Frage der Übungsleiterpauschale will ich darauf hinweisen, daß wir auch hier im Prinzip einer Meinung waren, daß Sie sie nur nicht umgesetzt haben, jedenfalls nicht im Sportausschuß. Die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und FDP konnten dies nicht mittragen. Wir haben dies deswegen nicht in den gemeinsamen Antrag des Sportausschusses aufnehmen können, den wir dem federführenden Finanzausschuß zugeleitet haben. Aber ich weise darauf hin: Sie zwingen damit die Übungsleiter und die jetzt hinzukommenden Pflegehelfer auf eine zusätzliche Schiene der Bürokratie, die sie nicht verdient haben. Darum sind wir so sehr bestrebt, dies heute mit unserem Extra-Antrag durchzusetzen. Ich sage als letztes: Als schwierigste Frage - im Sinne einer Maßnahme, die gegen die Förderung des Leistungssports gesprochen hat - hat sich die Frage herausgestellt: Wie bewerten wir § 67 a? Es geht dabei um die freigestellten Sportler aus den Großvereinen, die als Leistungssportler für Training und Wettkampf nicht mehr in dieser Weise befreit werden können? Wir machen gerade an dieser Stelle einen Rückzug von der Leistungssportförderung. Sie wissen dies. Ich kann das nur kritisieren. Ich hoffe, daß wir gerade die Bewegung in Richtung Olympia-Stützpunkte und Leistungssportförderung auf diese Weise nicht untergraben und nachhaltig gefährden. Wir müssen hierüber noch einmal sprechen. Ich bitte gerade an dieser Stelle den Finanzminister oder den hier anwesenden Staatssekretär, sich dieser Thematik noch einmal mit allem Nachdruck zuzuwenden, weil wir hier allergrößte Gefahren für die Sportförderung im Leistungssport bundesweit sehen. Wir werden dem Gesetz insgesamt zustimmen, bitten Sie aber, unseren beiden Änderungsanträgen ebenfalls zuzustimmen. Ich danke Ihnen. ({11})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Tillmann.

Ferdinand Tillmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002326, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angesichts der sensationellen, wichtigen Meldung, die uns Herr Kollege Spilker soeben hier bekanntgemacht hat, mag es dem einen oder anderen Zuhörer dieser Debatte als kleinkariert erscheinen, daß wir uns hier weiter, als ob nichts geschehen sei, über Pauschalen in einer Größenordnung von 2 400 oder 3 600 DM streiten und weiter über die Förderung des Sports reden. ({0}) Aber erstens ist dies eine sehr wichtige und erfreuliche Nachricht auch für alle Bürgerinnen und Bürger in beiden Teilen Deutschlands, die sich dem Sport verbunden fühlen und die miteinander Sport treiben wollen. ({1}) Diese Nachricht gibt uns die Hoffnung, daß dies in Zukunft ohne größere Komplikationen möglich sein wird und wir dieser unsäglichen Gespräche über den Sportkalender in Zukunft nicht mehr bedürfen. ({2}) Zweitens handelt es sich bei dem Gesetz, das wir jetzt beraten, nach meiner Auffassung um ein sehr wichtiges Gesetz, das ein Beitrag auch zum Glaubwürdigkeitsgehalt der Politik ganz allgemein, aber auch ein wichtiger Beitrag zum Glaubwürdigkeitsgehalt der Politik dieser Koalition und dieser Bundesregierung ist. Hier wird nämlich wieder einmal deutlich, daß wir Versprochenes einhalten. Wir haben das, was Bundeskanzler Kohl in der Regierungserklärung 1987 angekündigt hat, jetzt umgesetzt. Ehrenamtliche Funktionäre in rund 250 000 Vereinen, die mit sehr, sehr viel Idealismus arbeiten, können aufatmen. Nach dem 1. Januar 1990 wird ihre Diskriminierung, die durch Überforderungen wegen Bürokratisierung, wegen unzumutbarer Besteuerungsvorschriften hervorgerufen wurde, nicht mehr vorhanden sein; sie wird dann der Vergangenheit angehören. Der unentbehrliche Dienst dieser ehrenamtlichen Mitarbeiter der Vereine wird dann entscheidend erleichtert werden. Da ich selten die Gelegenheit habe, im Rahmen einer Debatte über den Sport, wie sie diese ja auch ist, vor einer solchen gefüllten Arena zu sprechen, erlaube ich mir, noch ein paar Sätze zu der großen Bedeutung unserer gemeinnützigen Vereine zu sagen. Die Vereine haben wirklich einen gerechtfertigten Anspruch auf die Schaffung dieser vernünftigen Rahmenbedingungen, die wir mit diesem Vereinsförderungsgesetz jetzt schaffen. Die Vereine in der Bundesrepublik Deutschland sind unverzichtbarer Bestandteil unserer demokratischen Kultur. Sie sind das Fundament unserer freiheitlichen Gesellschaftsstruktur. Sie sind auch eine permanente flächendeckende Bürgerinitiative - eine Bürgerinitative für soziales Engagement, für Jugendbildung und Erziehung, für Kultur in Stadt und Land, für den Natur- und Umweltschutz, für die Erhaltung von Brauchtum, für das Geschichtsbewußtsein und natürlich auch, was die Sportvereine angeht, speziell für Gesundheitsbewußtsein und die Erhaltung der Gesundheit. Sie leisten ihre Aufgaben natürlich nicht professionell, nicht hauptamtlich, ihre Mitglieder sind nebenamtlich und ehrenamtlich tätig, und das bedeutet natürlich zwangsläufig, daß dies in der Freizeit geschehen muß und nicht während der Arbeitszeit, in der es nicht geschehen kann. Es ist daher unbillig und unseriös, wenn nicht unbedingt ganz kompetente Kritiker - zu denen gehört auch Herr Kollege Hüser, den ich jetzt nicht sehe, und die Fraktion der GRÜNEN - sehr oberflächlich dieses Gesetz jetzt deswegen ablehnen, weil sie glauben, hier sei einfach privates Hobby oder private Freizeitgestaltung mit dem Gemeinnützigkeitsstatus versehen worden. Das ist nicht der Fall. Aus der Tatsache, daß die Vereine ihre sozialen Aufgaben in der Freizeit wahrnehmen, darf nicht der Fehlschluß gezogen werden, als handele es sich bei dieser Tätigkeit um privates Hobby oder reines Freizeitvergnügen. Meine Damen und Herren, es gibt keine ordnungspolitisch begründeten Ansätze, dieses Gesetz anzugreifen oder gar abzulehnen. Es ist schon ausgeführt worden: Wettbewerbsverfälschungen, Mißbrauch sind durch die Beratungen im Finanzausschuß weitgehend ausgeschlossen worden. Detailfragen, die noch offengeblieben sind, können im Verwaltungsverfahren, z. B. zu § 67 a Abgabenordnung, noch geklärt werden. Was die Erhöhung der Übungsleiterpauschale angeht, ist hier von meinen Vorrednern schon alles gesagt worden. ({3}) Kurzum, meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses Gesetz verdient eigentlich die Zustimmung aller Mitglieder dieses Parlaments. Dieses Gesetz ist notwendig, richtig und wichtig, es ist vernünftig und zukunftsweisend. Wir stimmen diesem Gesetzentwurf mit großer Überzeugung zu. Vielen Dank. ({4})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Voss.

Dr. Friedrich Voss (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002396

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Tillmann, ich stimme Ihrer Eingangsbemerkung ausdrücklich zu, aber wir müssen unsere Pflicht tun, und daher müssen wir über das Thema, das uns gestellt ist, hier reden. Das vorliegende Gesetz enthält zahlreiche Vorschläge, die den ehrenamtlichen und uneigennützigen Einsatz der Bürger im Vereinsleben spürbar erleichtern. Es bringt vor allem eine durchgreifende Verwaltungsvereinfachung. Herr Kollege Schmidt, ich bin sicher, daß Sie uns dieses Gesetz nicht zugetraut haben. Wenn auch nicht alle Blütenträume und alle Wünsche, die von seiten des Sports an dieses Gesetz gestellt worden sind, erfüllt werden konnten, so ist es dennoch ein sehr deutlicher Fortschritt. Rund 90 % der gemeinnützigen Vereine müssen ihre Überschüsse aus wirtschaftlichen Betätigungen nicht mehr ermitteln und nicht mehr versteuern. ({0}) Im einzelnen werden ab 1. Januar 1990 folgende Regelungen wirksam: Erstens. Eine wirtschaftliche Betätigung gemeinnütziger Körperschaften ist unterhalb der Besteuerungsgrenze von 60 000 DM im Jahr steuerfrei. Körperschaft- und Gewerbesteuer werden also nur erhoben, wenn die Einnahmen aus wirtschaftlicher Betätigung insgesamt diese Besteuerungsgrenze überschreiten. Dies wird für die große Mehrzahl der kleinen und mittleren Vereine nicht eintreten, so daß vor allem ihnen diese Vereinfachung zugute kommt. Diese Besteuerungsgrenze ist auch wettbewerbsverträglich. Sie ist zudem so ausgestaltet, daß gesellige Veranstaltungen künftig nicht mehr wie begünstigte Zweckbetriebe behandelt werden. Zusätzlich sind bei den parlamentarischen Beratungen Regelungen eingeführt worden, die eine mißbräuchliche Ausnutzung ausschließen. Zweitens. Die Freigrenzen bei der Körpschaft- und Gewerbesteuer sind in Freibeträge umgewandelt und auf jeweils 7 500 DM im Jahr angehoben worden. Drittens. Überschüsse und Verluste aus verschiedenen steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben dürfen künftig miteinander verrechnet werden. Viertens. Gemeinnützige Vereine, deren steuerpflichtiger Umsatz im Vorjahr nicht höher als 60 000 DM war, können die Vorsteuer pauschal mit 7 vom Hundert der Einnahmen abziehen. Die Vereine ersparen sich also, wenn sie von dieser Regelung Gebrauch machen, die Zuordnung ihrer Vorsteuern zu den steuerpflichtigen und den steuerfreien Umsätzen. Wird der Durchschnittssatz in Anspruch genommen, ist der Verein an diese Entscheidung allerdings fünf Jahre lang gebunden. Fünftens. Für sportliche Veranstaltungen ist eine Zweckbetriebsgrenze von 60 000 DM Einnahmen im Jahr eingeführt worden, bis zu der die sportlichen Veranstaltungen ohne weitere Voraussetzungen als begünstigte Zweckbetriebe anzusehen sind. Sechstens. Kulturelle Einrichtungen und Veranstaltungen werden stets als steuerbegünstige Zweckbetriebe behandelt. Damit müssen künftig nicht mehr der genaue Überschuß der Veranstaltungen jährlich ermittelt, Rücklagen zutreffend gebildet und aufgelöst werden. Siebtens. Sinnvolle Freizeitbetätigungen sind zusätzlich als gemeinnützig anerkannt worden. Die neue Regelung sieht über die bereits im geltenden Recht genannten Zwecke hinaus weitere Tätigkeiten vor, die ausdrücklich in den § 52 Abs. 2 AO einbezogen worden sind. Aus dieser zusätzlichen Erwähnung im Gesetzestext kann jedoch, meine Damen und Herren, nicht geschlossen werden, daß schon bisher als gemeinnützig anerkannte Zwecke in Zukunft nicht mehr gemeinnützig sein sollen, nur weil sie im ergänzenden Gesetzestext nicht ausdrücklich benannt sind. Durch die Aufzählung neuer gemeinnütziger Zwecke ist also insoweit keine Änderung und keine Korrektur erfolgt. Achtens. Bei Personen, die nebenberuflich im Pflegedienst arbeiten, werden künftig Vergütungen aus dieser Tätigkeit bis zur Höhe von insgesamt 2 400 DM im Jahr als steuerfreie Aufwandsentschädigung behandelt. Neuntens. Die bisherige Höchstgrenze für den Abzug von Spenden zur Förderung mildtätiger Zwecke, die 5 % betrug, wird auf 10 vom Hundert des Gesamtbetrags der Einkünfte eines Spenders verdoppelt. Zehntens. Künftig wird der gutgläubige Spender in seinem Vertrauen auf zweckentsprechende Verwendung seiner Spende besser geschützt. Hier, Herr Kollege Opel, darf ich, da Sie eben gesagt haben, daß Sie das Gutachten nicht kennen, Ihnen ausdrücklich den entsprechenden Satz sagen. Hier heißt es: Diese Neuregelung hat auf die Beurteilung der strafrechtlich zu beurteilenden Sachverhalte keinen Einfluß. - Das, was wir hier gemacht haben, ist also durchaus in Ordnung. ({1}) Die Bundesregierung, meine Damen und Herren, ist der Ansicht, daß das vorrangige Ziel dieses Gesetzentwurfes ist, die Arbeit in den Vereinen zu vereinfachen und zu verbessern. Dies wird der Vereinsarbeit und allen unseren Bürgern in den Vereinen zugute kommen. Ich danke daher an dieser Stelle all denjenigen, die an diesem Gesetz mitgearbeitet haben, insbesondere den Berichterstattern, und bitte Sie um Ihre Zustimmung. Danke schön. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Aussprache, meine sehr verehrten Damen und Herren. Wir kommen nun zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Vereinsförderungsgesetzes; das sind die Drucksachen 11/4176 und 11/4305 sowie 11/5582. Zu den Artikeln 3 und 7 des Gesetzes liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5593 vor, zu dem die Fraktion der SPD namentliche Abstimmung verlangt. Meine Damen und Herren, da sich dieser Änderungsantrag auf unterschiedliche Punkte bezieht, schlage ich vor, über diesen Antrag zuerst abzustimmen. - Das Haus ist damit einverstanden. Dann stelle ich damit den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5593 zur namentlichen Abstimmung. Das Verfahren ist Ihnen bekannt. Ich eröffne die namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, Ihren Platz einzunehmen. Wenn die Zahl der Schriftführer nicht ausreicht, bitte ich, ein weiteres Mitglied von jeweils der anderen Fraktion hinzuzunehmen. Meine Damen und Herren, gehen Sie nicht aus dem Haus. Nach dieser namentlichen Abstimmung werden viele Einzelabstimmungen stattfinden. Ich bitte die Geschäftsführer dafür zu sorgen, daß die Mitglieder ihrer Fraktionen anwesend sind. Meine Damen und Herren, kann ich davon ausgehen, daß alle Stimmkarten abgegeben worden sind? - Ich schließe die Abstimmung. Leider können die Abstimmungen über die anderen Artikel und Paragraphen und die Schlußabstimmung erst erfolgen, wenn diese namentliche Abstimmung ausgezählt ist. Ich bitte dafür um Ihr Verständnis. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte noch einmal darum bitten, in der nächsten Stunde nicht aus dem Haus zu gehen. Sie kennen die Ereignisse, die sich durch die Öffnung der Grenzen ergeben haben. Es ist möglich, daß dazu noch Ausführungen gemacht werden. ({0}) Meine Damen und Herren, ich gebe zuerst das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5593 zur zweiten Beratung des Entwurfs eines Vereinsförderungsgesetzes bekannt. Abgegebene Stimmen: 311; davon sind alle Stimmen gültig. Mit ja haben gestimmt 134, mit Nein haben gestimmt 174. Drei Mitglieder des Hauses haben sich enthalten. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen 309; davon ja: 134 nein: 173 enthalten: 2 Ja SPD Frau Adler Amling Antretter Bachmaier Bahr Bamberg Frau Becker-Inglau Bernrath Bindig Dr. Böhme ({1}) Börnsen ({2}) Brandt Dr. von Bülow Frau Bulmahn Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser Duve Erler Frau Faße Fischer ({3}) Frau Ganseforth Gansel Dr. Gautier Gilges Frau Dr. Götte Graf Vizepräsidentin Renger Grunenberg Dr. Haack Frau Hämmerle Frau Dr. Hartenstein Hasenfratz Heistermann Dr. Holtz Jahn ({4}) Dr. Jens Frau Kastner Kastning Kiehm Kißlinger Dr. Klejdzinski Koltzsch Koschnick Kretkowski Dr. Kübler Kuhlwein Lambinus Leonhart Lutz Meyer Müller ({5}) Müntefering Nagel Frau Dr. Niehuis Dr. Niese Niggemeier Frau Odendahl Oesinghaus Oostergetelo Opel Dr. Osswald Paterna Pauli Dr. Penner Peter ({6}) Pfuhl Dr. Pick Porzner Reimann Frau Renger Reschke Reuter Rixe Roth Dr. Scheer Scherrer Schmidt ({7}) Dr. Schöfberger Schreiner Schröer ({8}) Frau Schulte ({9}) Seidenthal Frau Seuster Sielaff Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell Dr. Sperling Frau Steinhauer Stiegler Frau Terborg Urbaniak Vahlberg Wartenberg ({10}) Dr. Wernitz Westphal Frau Wieczorek-Zeul Wiefelspütz von der Wiesche Wimmer ({11}) Wischnewski Dr. de With Wittich Zumkley DIE GRÜNEN Frau Beer Brauer Dr. Briefs Dr. Daniels ({12}) Eich Frau Flinner Frau Frieß Frau Garbe Frau Hensel Frau Hillerich Frau Kelly Kleinert ({13}) Frau Kottwitz Dr. Mechtersheimer Meneses Vogl Frau Nickels Frau Oesterle-Schwerin Frau Saibold Frau Schilling Frau Schmidt ({14}) Stratmann Such Frau Teubner Frau Trenz Weiss ({15}) Frau Wollny Nein CDU/CSU Dr. Abelein Bauer Bayha Dr. Becker ({16}) Biehle Dr. Blank Dr. Blens Böhm ({17}) Börnsen ({18}) Breuer Buschbom Carstensen ({19}) Clemens Dr. Czaja Dörflinger Doss Echternach Ehrbar Eylmann Dr. Faltlhauser Feilcke Dr. Fell Frau Fischer Fischer ({20}) Dr. Friedrich Ganz ({21}) Geis Gerstein Gerster ({22}) Glos Dr. Göhner Dr. Grünewald Günther Dr. Häfele Hames Haungs Hauser ({23}) Hedrich Helmrich Hinrichs Hinsken Höpfinger Hörster Dr. Hoffacker Frau Hoffmann ({24}) Frau Hürland-Büning Graf Huyn Dr. Hüsch Jäger Dr. Jahn ({25}) Dr. Jobst Jung ({26}) Kalisch Dr.-Ing. Kansy Dr. Kappes Kittelmann Dr. Köhler ({27}) Kolb Kossendey Kraus Dr. Kronenberg Dr. Kunz ({28}) Lamers Lattmann Dr. Laufs Lenzer Link ({29}) Link ({30}) Louven Maaß Magin Dr. Mahlo Marschewski Dr. Meyer zu Bentrup Dr. Möller Nelle Dr. Olderog Oswald Pesch Petersen Pfeffermann Dr. Pohlmeier Dr. Probst Rauen Rawe Reddemann Regenspurger Repnik Frau Rönsch ({31}) Frau Rost ({32}) Dr. Rüttgers Ruf Sauer ({33}) Sauer ({34}) Sauter ({35}) Frau Schätzle Scharrenbroich Schemken Scheu Schmidbauer Frau Schmidt ({36}) Dr. Schneider ({37}) Freiherr von Schorlemer Schulhoff Dr. Schulte ({38}) Schwarz Dr. Schwörer Seehofer Seesing Spranger Dr. Sprung Dr. Stark ({39}) Frau Dr. Süssmuth Tillmann Dr. Uelhoff Dr. Unland Frau Verhülsdonk Vogel ({40}) Vogt ({41}) Dr. Voigt ({42}) Dr. Waffenschmidt Dr. Warrikoff Werner ({43}) Frau Will-Feld Frau Dr. Wisniewski Dr. Wittmann Dr. Wulff Zeitlmann Zierer Zink FDP Frau Dr. Adam-Schwaetzer Baum Cronenberg ({44}) Eimer ({45}) Dr. Feldmann Frau Folz-Steinacker Funke Gallus Gries Grüner Frau Dr. Hamm-Brücher Heinrich Dr. Hitschler Hoppe Dr.-Ing. Laermann Neuhausen Nolting Rind Ronneburger Frau Dr. Segall Dr. Solms Dr. Thomae Timm Frau Würfel Zywietz Enthalten FDP Dr. Graf Lambsdorff Fraktionslos Frau Unruh Der Antrag ist abgelehnt. Nach dem Wunsch der Fraktionsvorsitzenden möchte ich Ihnen mitteilen, daß die Sitzung für eine Viertelstunde unterbrochen wird. Ich unterbreche die Sitzung bis 20.40 Uhr. Vizepräsidentin Renger Die Sitzung ist unterbrochen. ({46}) Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Das Wort zu einer Erklärung der Bundesregierung hat der Bundesminister Seiters.

Dr. Rudolf Seiters (Minister:in)

Politiker ID: 11002156

Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte eine kurze Erklärung der Bundesregierung abgeben und vorweg sagen, daß dies Tage und Wochen sind, die die Gefühle der Menschen hier und im anderen Teil Deutschlands zutiefst bewegen. Ich habe gerade mit dem Bundeskanzler telefoniert. Lassen Sie mich folgendes sagen: Die vorläufige Freigabe von Besuchsreisen und Ausreisen aus der DDR ist ein Schritt von überragender Bedeutung. Damit wird praktisch erstmals Freizügigkeit für die Deutschen in der DDR hergestellt. ({0}) Mauer und Grenze in Deutschland werden damit durchlässiger. Die Bundesregierung hofft, daß diese Entscheidung der DDR-Führung einen Schritt in Richtung auf eine echte Liberalisierung in der DDR darstellt. Das Ziel muß bleiben - ich denke, das ist unsere gemeinsame Auffassung; ich sage dies bewußt an dieser Stelle - , die Verhältnisse im anderen Teil Deutschlands so zu entwickeln, daß die Menschen, die dort ihre Heimat haben, für sich die Perspektive auf eine lebenswerte Zukunft sehen. ({1}) Vor diesem Hintergrund will ich noch einmal an die Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom gestrigen Tage erinnern - ich erinnere sehr bewußt daran; ich weiß, daß auch die anderen Fraktionen des Deutschen Bundestages diese Aussage unterstützen, und sie hat gerade in der jetzigen Stunde ihr Gewicht -: Ich erkläre gegenüber der neuen DDR-Regierung meine Bereitschaft, einen Weg des Wandels zu stützen, wenn sie zu Reformen bereit ist. Kosmetische Korrekturen genügen nicht. Wir wollen nicht unhaltbar gewordene Zustände stabilisieren. Aber wir sind zu umfassender Hilfe bereit, wenn eine grundlegende Reform der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der DDR verbindlich festgelegt wird. Die SED muß auf ihr Machtmonopol verzichten, muß unabhängige Parteien zulassen und freie Wahlen verbindlich zusagen. ({2}) Unter dieser Voraussetzung - ich wiederhole dies ebenfalls sehr nachdrücklich bin ich auch bereit, über eine völlig neue Dimension unserer wirtschaftlichen Hilfe zu sprechen. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, es sind historische Prozesse, die wir erleben, in Ungarn, in Polen, aber jetzt auch in der DDR. Darüber müssen wir uns auch in der eigenen Bevölkerung im klaren sein. Die Chancen und Perspektiven, die sich hier auf friedliche Weise eröffnen, erfordern ein ganz hohes Maß an Solidarität, Solidarität, die jetzt in der Bundesrepublik in einer außergewöhnlichen Weise gefragt ist und von der ich überzeugt bin, daß sie auch praktiziert wird. Wir, die frei gewählten Abgeordneten des Deutschen Bundestages, sollten gemeinsam an unsere Bevölkerung appellieren, diese Solidarität in einer historischen Stunde auch unter Beweis zu stellen. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Vogel.

Dr. Hans Jochen Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002379, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir begrüßen die Entscheidung, die von der DDR-Führung heute getroffen worden ist. Die Einzelheiten bedürfen noch der Prüfung, aber schon jetzt steht fest: Diese Entscheidung bedeutet, daß die Mauer nach 28 Jahren ihre Funktion verloren hat. ({0}) Sie werden verstehen, daß sich mein Blick in diesem Augenblick auf Willy Brandt richtet, den Regierenden Bürgermeister von Berlin an dem Tage, an dem 13. August 1961, an dem dieses inhumane Bauwerk entstanden ist. ({1}) Die Entscheidung bedeutet weiter, daß wir der Freizügigkeit in Deutschland ein wesentliches Stück näher gekommen sind. Sie bedeutet aber auch, daß die neuen Männer in Ost-Berlin ihren Ankündigungen und Worten offenbar Taten folgen lassen. Das verstärkt unsere Erwartung und unsere Hoffnung, daß auch die anderen Forderungen, insbesondere die Forderung nach freien Wahlen in der DDR, bald erfüllt werden. ({2}) Die Einrichtung eines runden Tisches, wie er in Polen und in Ungarn den Übergang zu mehr Freiheit und Demokratie ermöglichen wird, ist jetzt auch dort die Hoffnung der Menschen. Das Ende der Mauer, das sich damit abzeichnet, ist ein bewegendes Ereignis. Wir sollten in diesem Moment unserer Entschlossenheit Ausdruck geben, Auseinandersetzungen, die sonst geführt werden müssen, zurückzustellen und gemeinsam eine große Anstrengung zu unternehmen, damit die Menschen, die in der DDR zu Hause sind, dort zu Hause bleiben können und sich für die Veränderung ihrer Situation einsetzen und engagieren. ({3}) Der bewegende Appell von Christa Wolf vom gestrigen Abend hat damit eine konstruktive Antwort gefunden. Wir respektieren auch die Entscheidung derer, die zu uns kommen. Sie machen von einem verbrieften Grundrecht Gebrauch. Aber wir bitten sie, zu überle13222 gen, ob jetzt nicht die Hoffnung für die Zukunft in der DDR stärker geworden ist. ({4})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordneter Dr. Dregger.

Dr. Alfred Dregger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000418, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mein erstes Wort im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion möchte ich an die Deutschen in der DDR richten. Wir haben gestern in der Debatte zur Lage der Nation Ihre Bestrebungen diskutiert. Wir haben unseren Respekt und unsere Bewunderung darüber zum Ausdruck gebracht, wie Sie in Ihren Städten, insbesondere bei der großen Veranstaltung in Ost-Berlin, Ihren Willen zum Frieden und zur Freiheit zum Ausdruck gebracht haben. ({0}) Ich habe gesagt: Wir alle können stolz darauf sein, einem Volk anzugehören, das seinen Willen zur Freiheit und zum Frieden so zum Ausdruck gebracht hat wie die Deutschen in Ost-Berlin, in Leipzig und anderswo. ({1}) Ich habe hinzugefügt: Auch technisch und ökonomisch stehen Sie uns in nichts nach. Wenn Sie nur frei sind und Ihre Fähigkeiten entfalten können, dann werden Sie auch auf diesem Gebiet sehr bald zu uns aufgeschlossen haben. Meine Damen und Herren, das zweite Wort möchte ich an die Deutschen in der Bundesrepublik Deutschland richten. Daß wir 40 Jahre in Frieden und Freiheit leben konnten, ist nicht unser Verdienst, und daß unsere Landsleute in der DDR unter den Verhältnissen leben mußten, die nicht nur Freizügigkeit ausschlossen, lag nicht an ihnen. Wir sind jetzt in der Tat - da schließe ich mich Bundesminister Seiters und dem Kollegen Vogel - zur Solidarität verpflichtet. ({2}) Freizügigkeit bedeutet ja nicht nur, daß jetzt Menschen aus der DDR zu uns kommen, sondern daß auch wir in die DDR gehen können und daß jeder seinen Wohnsitz und seinen Aufenthaltsort frei wählen kann. Die Schwierigkeiten sind solche des Übergangs. Deswegen möchte ich dem Bundeskanzler, der in einer wichtigen Aufgabe in Warschau ist, dafür danken, daß er, bevor diese Entwicklung eintrat, noch vor seiner Reise nach Warschau, erklärt hat: Wenn in der DDR die Menschenrechte, die Freiheit und die Demokratie verwirklicht werden, wenn grundlegende Veränderungen stattfinden, dann wird unsere Hilfe auch eine neue Dimension erhalten. Ich möchte das im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstreichen. Darauf kann man sich verlassen. Ich hoffe, daß jetzt das eintritt, wofür die Demonstranten in der DDR auf die Straße gegangen sind: Frieden, Freiheit, Demokratie und Menschenrechte. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Lippelt.

Dr. Helmut Lippelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001352, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir erleben heute in der Tat eines der einschneidendsten Ereignisse, an die ich mich erinnern kann, obwohl ich auch nicht mehr so jung bin. Wir empfinden, daß die Geschichte einen so schnellen Gang nimmt, daß schon die Debatte von gestern heute unter ganz anderen Aspekten geführt werden würde. Wir freuen uns, und wir begrüßen alle, daß die Mauer gefallen ist - denn das bedeutet dies -; denn der unwürdige Weg über Drittländer ist jetzt überflüssig geworden. ({0}) Ich denke, daß wir dies alles - und das ist gesagt worden - der großen, gewaltfreien Bewegung verdanken, in der sich die Gesellschaft, die Bevölkerung der DDR in einem Akt der Selbstbefreiung zu Demokratie und zu neuen Formen ihres Lebens, ihres politischen Lebens entwickelt und gefunden hat. Dennoch ist es nur ein erster Schritt auf dem Wege zu einem europäischen Rechtsstaat; weitere Schritte werden folgen, weitere müssen folgen. Es wird ein Wahlgesetz, es werden freie Wahlen, es wird die Teilnahme aller Gruppierungen, die sich gebildet haben und die jetzt auf die Straße gegangen sind, gewährleistet werden müssen. Ich denke, man sollte in diesem Moment auch sagen, daß die Bundesregierung aufgefordert ist, in einem großzügigen Akt von Unterstützung derer, die die Bundesrepublik jetzt kennenlernen wollen, dieses Kennenlernen zu ermöglichen und damit aus dem, was aus Angst, daß sich die Verhältnisse noch einmal ändern könnten, Aussiedlung geworden ist, jetzt Besuch zu machen. ({1}) Denn es kann ja nicht so sein, daß weiterhin Bürger der DDR vor freien Wahlen davonlaufen. Wo menschliche Begegnung jetzt in breitem Maße möglich wird, wo Politik menschliche Begegnung wird, müssen Zeichen gesetzt werden, Zeichen, mit denen eine Ära der Konfrontation zu einer Ära der Kooperation wird. Deshalb würde ich mir wünschen - ich weiß, daß das angesichts der Schwierigkeiten, unter denen sich Politik auch in Strukturen vollzieht, vielleicht ein sehr großer Wunsch ist -, daß wir bei der Verabschiedung unseres nächsten Haushalts noch Zeichen der Reduzierung unseres Rüstungs-, unseres Militärhaushalts finden. ({2}) Denn wir brauchen jetzt finanzielle Ressourcen zu ganz anderen Zwecken, zu ganz anderer Politik. Dr. Lippelt ({3}) Und ein allerletztes Wort: Ich denke, daß heute in der Nacht noch, aber morgen ganz gewiß das Fest der Freizügigkeit in Berlin stattfinden wird. Ich glaube, daß Berlin besondere Möglichkeiten der Begrüßung derer haben muß, die jetzt Freizügigkeit genießen können. Auch daran sollten wir denken, ohne daß wir hier in dieser Stunde, in dieser Minute ins Detail gehen müssen. ({4})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick.

Wolfgang Mischnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001512, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Mut und die Entschlossenheit der Menschen in der DDR haben sich gelohnt. Sie haben Erfolg gehabt. Wir wünschen ihnen weiter Glück bei dieser Entschlossenheit, bei diesem Mut, auf dem Weg zu mehr Reformen weiterzugehen. ({0}) Es hat sich gezeigt, daß die Hoffnung, daß mit Veränderungen personeller Art auch Reformen in Gang gesetzt werden, die den Namen „Reform" verdienen, berechtigt war. Ich hoffe, daß diese vorläufige Regelung zu einer endgültigen Regelung der Reisen - nicht nur aus der DDR hierher, sondern auch aus der Bundesrepublik Deutschland in die DDR, allerdings mit einer freizügigeren Regelung - wird. ({1}) Wer die ersten, unter Besatzungsverhältnissen durchgeführten relativ freien Wahlen im September 1946 und im Oktober 1946 miterlebt hat, wer den 17. Juni 1953 miterlebt hat, den 13. August 1961 politisch aktiv miterlebt hat, den erfüllt heute eine große Hoffnung, eine Befriedigung darüber, daß wir gemeinsam den Glauben an die gemeinsame Nation nie verloren und daß die Menschen in der DDR heute den Glauben an sich selbst gefunden haben. ({2}) Unsere Bewährungsprobe steht uns noch bevor. Erweisen wir uns alle dieser Bewährungsprobe würdig! Kleinkariertes Aufrechnen von Lasten oder Belastungen sind dieser historischen Stunde nicht gerecht. ({3}) Werden wir uns bei unseren Arbeiten in den Gemeinden, in den Landtagen und bei uns hier bewußt, daß das, was jetzt geschehen ist, für uns auch eine große Verpflichtung darstellt! Freie Wahlen bleiben das Ziel. Sie werden die Voraussetzung schaffen, daß die Bereitschaft, zu Hause zu bleiben - ich darf das so sagen -, größer werden wird. Sie so bald als möglich durchzuführen, ob mit der Volkskammerwahl oder mit einer Wiederholung der beanstandeten Kommunalwahl beginnend - dies ist die Entscheidung, die die DDR zu fällen hat. Aber die freien Wahlen sind der Beweis für diejenigen, die heute noch im Zweifel sind, daß sie wirklich zu Hause bleiben können, weil es sich lohnt, zu Hause zu bleiben. Alle diejenigen, die jetzt noch schwanken, bitte ich herzlich: Bleibt daheim! ({4})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, es fällt schwer, jetzt einfach wieder in die Tagesordnung einzutreten. ({0}) - Nein, ich glaube nicht, daß wir Schluß machen werden. ({1}) Die Frage war, ob diese angefangene Beratung noch zu Ende geführt werden kann. Meine Damen und Herren, es kommen von allen Seiten unterschiedliche Meinungen herauf. Ich bin der Meinung - und ich sehe an Ihren Gesichtern, daß Sie mir zustimmen -, daß dieser Tag es eigentlich erfordert, nicht in diesen Beratungen fortzufahren. ({2}) - Herr Jahn möchte zur Geschäftsordnung sprechen.

Gerhard Jahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001012, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, nach diesem Teil unserer heutigen Sitzung ist die Rückkehr zur Tagesordnung, wie wir sie ursprünglich vorgesehen hatten, nicht gut vorstellbar. ({0}) Ich beantrage, die nicht behandelten Punkte abzusetzen und die heutige Sitzung zu schließen. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Haus ist damit einverstanden. Meine Damen und Herren, mit diesem großen Ereignis ist dieser Sitzungstag heute geschlossen. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein, sobald ich den Termin weiß. Ich kann ihn heute nicht sagen. Die Sitzung ist geschlossen.