Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 6/20/1985

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Zusatzpunkt 2 zur Tagesordnung auf: Aktuelle Stunde Äußerungen des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister des Innern, Carl-Dieter Spranger, zu den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Meine Damen und Herren, die Fraktion der SPD hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem angegebenen Thema verlangt. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Glotz.

Prof. Dr. Peter Glotz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000692, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Fall Spranger - es ist ja wohl nicht der erste, sondern schon der dritte oder vierte - hat zwei Facetten. Die eine entsteht dadurch, daß der Parlamentarische Staatssekretär eines der Verfassungsministerien einzelne Journalisten herausgreift und vom hohen Kothurn des Amtssessels herunter abqualifiziert. ({0}) Die SPD stellt sich ausdrücklich vor die angegriffenen Journalisten, ({1}) und zwar völlig gleichgültig, ob sie Sie angreifen, uns angreifen oder irgend jemand anderen. Das spielt dabei überhaupt keine Rolle. ({2}) Es ist das Recht der Journalisten in einer freiheitlichen Gesellschaft, meine Damen und Herren, Sie zu kritisieren, uns zu kritisieren. Es ist unerträglich, daß sich ausgerechnet ein hoher Vertreter des Bundesinnenministers zum Oberzensor von Journalisten macht. ({3}) Ich teile - um ein Beispiel zu sagen - die Meinung von Franz Alt in vielen Punkten überhaupt nicht. Aber wenn Franz Alt und andere von den Sprangers angegriffen werden, dann werden Sozialdemokraten diese Journalisten immer verteidigen. ({4}) Ich möchte hinzufügen: Der Intendant des Senders Freies Berlin, Lothar Loewe, hat allerdings unrecht, meine Damen und Herren, wenn er sagt, die Kritik finde nur innerhalb der Kollegenschaft statt, oder wenn er sagt, das sei eine Angelegenheit der dafür zuständigen Instanzen der ARD. ({5}) Kritik ist nicht das Recht oder gar das Privileg irgendwelcher Instanzen, sondern wird in der freien Gesellschaft von allen Gruppierungen geübt und muß auch ausgeübt werden können. ({6}) Aber so viel Stil, daß die freie Kritik und Gegenkritik nicht von denen geübt werden sollte, denen die Instrumente der Pressegesetzgebung anvertraut sind, sollten Sie aufbringen, meine Damen und Herren. ({7}) Ich gehe einmal davon aus, daß das, was Spranger sagt, nicht von der Union insgesamt getragen wird. ({8}) Viele sind hoffentlich peinlich berührt. Aber Sie müssen aufhören, meine Damen und Herren, sensible Positionen, die zum Schutz der Verfassung geschaffen worden sind, wie beispielsweise im Innenministerium, mit Leuten zu besetzen, denen die Zustimmung von rechten Stammtischen wichtiger ist als Toleranz und Souveränität. ({9}) Damit bin ich beim zweiten Aspekt. Herr Spranger spricht von Fernsehnegativismus und Katastrophenmentalität. Da kann ich nur mit dem Chef10760 reporter des Bayerischen Rundfunks, Dagobert Lindlau, sagen: Installateure reparieren Wasserhähne, die tropfen; das Verlangen an die Installateure, sie mögen sich bitte auch um die nicht tropfenden Wasserhähne kümmern, ist Unsinn, meine Damen und Herren, schlichter Unsinn. ({10}) Lassen Sie mich - was wir viel zu selten tun - Ihnen zum Schluß deutsche Literatur zitieren. Das ist um diese frühe Morgenstunde auch notwendig. Erich Kästner schreibt: Und immer wieder schickt ihr mir Briefe, in denen ihr, dick unterstrichen, schreibt: „Herr Kästner, wo bleibt das Positive?" Ja, weiß der Teufel, wo das bleibt. Dann kommt in einer schönen fünften Strophe der Satz - und der ist sehr ernst -: Die Spezies Mensch ging aus dem Leime und mit ihr Haus und Staat und Welt. Ihr wünscht, daß ich's hübsch zusammenreime, und denkt, daß es dann zusammenhält? Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen nur sagen: Lesen Sie mehr Kästner und ziehen Sie diejenigen aus dem Verkehr, die das, was früher einmal das gesunde Volksempfinden geheißen hat, zum Maß eines freien Journalismus machen wollen. ({11})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Weirich.

Prof. Dieter Weirich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002456, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Glotz, eine Partei wie die SPD, die einer Jounalistengewerkschaft zujubelt, die ihre Mitglieder öffentlich auffordert, einseitig im Sinne der Friedensbewegung zu berichten, eine Partei wie die SPD, deren früherer Bundeskanzler und Bundesvorsitzender Journalisten öffentlich als Schreibtischtäter denunziert hat, eine Partei wie die SPD, die mit ihren Journalisten beim Ausradieren von Zeitungen manchesterkapitalistischer umgegangen ist als jeder Verleger, eine Partei wie die SPD, die jetzt genauso mit den Journalisten des abwärts und rückwärts gehenden „Vorwärts" umgehen wird, die hat sämtliche Ansprüche verwirkt, Anwalt von Presse- und Rundfunkfreiheit in diesem Lande zu sein. ({0}) In Medienfragen hat die Sozaldemokratische Partei Deutschlands, wie Tucholsky bereits festgestellt hat, die Sensibilität eines Gabelstaplers. Meine Damen und Herren, Meinungs- und Rundfunkfreiheit sind nicht nur eine Sache, die Intendanten, Verlegern und Redakteuren und SPDBundestagsabgeordneten zusteht, sondern sie steht auch CSU-Bundestagsabgeordneten und auch Herrn Spranger zu und übrigens dem gesamten deutschen Volk. Ich will zwei Vorbemerkungen machen. Es wäre gewiß dumm - ich gehöre nicht zu denen, die das tun -, Pauschalschelte gegenüber Journalisten in öffentlich-rechtlichen Anstalten zu üben. Es wäre noch törichter, wenn die Probleme, die die Union und die Regierungskoalition in der Selbstdarstellung manchmal haben, ausschließlich bei den Medien abgeladen würden. Aber es ist die Aufgabe eines jeden Demokraten, öffentlich auf jene gesellschaftspolitischen Missionare im Monopol aufmerksam zu machen, die zunehmend Agitationsjournalismus betreiben und nur von einseitiger Konfliktorientierung geleitet sind. ({1}) - Herr Dr. Vogel, wenn Sie wollen, daß Journalismus zur linken journalistischen Vogelweide denaturiert, dann müssen Sie das öffentlich sagen. ({2}) Diese Art von Zeigefingerjournalismus ist etwas, was die Union nicht will. Professor Steinbuch hat es kürzlich so gesagt: vom geistlichen Wort, das oft Parteipropaganda ist, über klassenkämpferische Lehrlingssendungen bis hin zu Fernsehkrimis, in denen meist der Unternehmer ein Schuft und der Chef ein Trottel ist. ({3}) Der bekannte Publizist Ludolf Hermann hat hinzugefügt: Wer heute auf dem Bildschirm einmal das Bild einer intakten Familie sehen will, muß schon Werbefernsehen einschalten. ({4}) Wir müssen uns - das ist die wichtigste Aufgabe - dringend auf das besinnen, was die Väter des Integrationsrundfunks wollten, nämlich daß der Rundfunk für alle da zu sein hat, daß es ein Integrationsrundfunk ist. ({5}) Das Mindestmaß an inhaltlicher Ausgewogenheit, Sachlichkeit und gegenseitiger Achtung, das vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich postuliert wurde, ist ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag an die Adresse aller Journalisten in den elektronischen Medien. Der Journalist steht daher in einem permanenten Spannungsverhältnis zwischen seinem gesellschaftlichen Auftrag auf der einen Seite ({6}) und seiner persönlichen Meinungsfreiheit auf der anderen Seite. ({7}) Viele haben sich auf sehr einfache Weise so entspannt: Die Freiheit, die eigene Meinung zu vertreten, wird achtlos zur Seite geschoben, und dabei beruft man sich stereotyp auf Art. 5 des Grundgesetzes. ({8}) dabei betone ich: Meinungs- und Informationsfreiheit gehören jedoch zu den menschlichen Grundrechten und stehen jedem Bürger in gleicher Weise zu. Sie genießen den besonderen Schutz der Verfassung. Herr Spranger hat zugegeben, polemisch den Finger in die Wunde gelegt zu haben. Aber ich füge hinzu, meine Damen und Herren: Ich bin entsetzt über die Larmoyanz gerade jener, die extrem ihre Meinungsfreiheit jeden Tag in Anspruch nehmen und dann diesen CSU-Abgeordneten in dieser Weise kritisieren. ({9}) Meine Damen und Herren, was wir brauchen, ist eine Debatte über ein neues journalistisches Selbstverständnis. Der frühere Sprecher von Willy Brandt und frühere Intendant des Senders Freies Berlin, Franz Barsig, hat gesagt: ({10}) Es wird oft vergessen, daß wir nicht Sprachrohr irgendwelcher Gruppen sind, sondern dem Ganzen zu dienen haben. ({11}) Ich füge hinzu: Diese Debatte über journalistisches Selbstverständnis sollten nicht in erster Linie die Politiker, sondern vor allem die Journalisten unter sich selbst führen. Das hat kürzlich auch ein prominenter Sozialdemokrat wie Herr Koschnick betont. Ich füge zum Schluß hinzu: Wir brauchen Wettbewerb. Wettbewerb wird eine Chance bedeuten für die Selbstheilung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Wettbewerb wird verstärkt zur Entautorisierung und Entideologisierung führen. Das Senden auf geschützten Plätzen ist dann vorbei. Es werden schlechte Zeiten für Missionare kommen und bessere Zeiten für die Liberalität. ({12})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Der Reiz der Zwischenrufe liegt auch insbesondere darin, daß man sie verstehen kann. Deswegen muß man sie dosiert und nicht in solcher Fülle vorbringen. ({0}) Der nächste Redner ist Herr Mann.

Norbert Mann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001417, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Bürgerinnen und Bürger, die ich gerne anspreche und auf die Sie sich, Herr Weirich, beziehen, sind noch nicht so zahlreich da. Als Prediger unter freiem Himmel statt als Oberzensor sollte sich der für das Hüten unserer Verfassung verantwortliche Kollege Spranger in Zukunft lieber betätigen, statt Franz Alt einen solchen Vorschlag zu machen. Die CS-Unierte Spranger-Attacke auf unseren öffentlich-rechtlichen Rundfunk liegt in ihrer unverfrorenen Plattheit voll auf der Stoiber-Geißler-Wellenlänge. Hier wird heute auch deutlich, Herr Spranger, daß Ihre Äußerung kein Zufall ist. Trotzdem, es wäre von Grund auf verkehrt, Ihnen mit Ihrer eigenen Mentalität zu begegnen. Nein, Herr Spranger, Maulkörbe taugen nichts in unserer freiheitlichen Demokratie. Sie haben sich dankenswerterweise ein weiteres Mal entmummt. ({0}) Zur Erinnerung erwähne ich den vielstrapazierten Art. 5 des Grundgesetzes. Ich zitiere nur Abs. 1 Satz 2 und 3: Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur - Herr Spranger: eine Zensur! - findet nicht statt. So weit unser Grundgesetz. Herr Staatssekretär, die heutige Aktuelle Stunde ist eine für Sie leider überfällige Nachhilfestunde in Sachen Pressefreiheit, Rundfunkfreiheit und Verfassungsrecht. ({1}) Wer Ihr Gespräch mit den „Stuttgarter Nachrichten" liest, erhält den Eindruck, ohne die bösen öffentlich-rechtlichen Medien sei unsere Welt in bester Ordnung, die Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen - ich nenne das Waldsterben, die Vergiftung von Luft, Boden und Wasser, die Gefährdung der Menschheit durch einen atomaren Holocaust -, entspringe den katastrophenkranken Hirnen eines kleinen Kreises rot- und grünfunkender oder allzu liberaler Redakteure und Korrespondenten. Angesagt ist nach Ihrer Auffassung offenbar Schwarzfunk. ({2}) Das haben Sie im übrigen - wenn ich einen kleinen Exkurs machen darf - systematisch viele Jahre lang betrieben, z. B. mit Ihrer WDR-Rotfunk10762 Kampagne. Ich möchte mir ersparen, Herrn Hofmann, der in der „Zeit" im Oktober 1983 über das Verhältnis des Kanzlers zu den Medien geschrieben hat, im einzelnen zu zitieren. Sie sollten es in einer ruhigen Stunde vielleicht einmal nachlesen. Nur einen Satz. Herr Hofmann schreibt: Noch immer, wenn Regierungen Schwächen zeigen, sind aber zunächst die Verkäufer der Politik als Sündenböcke angeprangert worden. ({3}) In diesen Tagen heißt für Sie „Schwarzfunk" natürlich „Sonnenschein", nämlich Sonnenschein für Schwarz-Schilling, d. h. Dank und Anerkennung für einen von unternehmerischer Verantwortung durchdrungenen Minister, ({4}) statt in dem Zusammenhang Fragen nach der Glaubwürdigkeit unserer Politiker zu stellen. Das ist sehr wohl notwendig, vielleicht notwendiger, als Rücktrittsforderungen zu erheben. Das müssen Sie in der Tat in Ihren eigenen Reihen ausmachen. ({5}) Was für Sie als Schwarzfunk angesagt ist - Herr Weirich, für Sie natürlich auch -, ist Freude über jede weitere in den Sand gesetzte Kabelmilliarde oder über geplante Milliardenprogramme für einen Krieg der Sterne statt kritischer Fragen, warum der öffentlichen Hand - hier auf Erden übrigens - die notwendigen Mittel für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit oder für dringende sozial- oder familienpolitische Maßnahmen fehlen. Angesagt ist also nach Ihrer Schwarzfunkmentalität die Verdrängung der Probleme und eine weitere Verschärfung der Gängelung kritischer Journalisten. Ich kann nur das wiederholen, was Herr Glotz am Anfang gesagt hat: Nicht daß wir uns vor jemand stellen, aber wir kämpfen für die Freiräume, wir kämpfen für die innere Pressefreiheit, für die Rundfunkfreiheit; egal, aus welcher Richtung Journalisten angegriffen werden. Das sollte man an dieser Stelle vielleicht noch einmal betonen. ({6}) Für Sie heißt es: Vorwärts, Ihr Löwenthals, Ihr Grubers, Ihr Fellers! Kurzweiliger Positivismus - da Sie von Negativismus sprechen - ist das Markenzeichen der Wende. Auf mit konsumerweiterndem Kabelfernsehen in die heile Adenauer-Welt der 50er Jahre! - So hätten Sie es gern. Ich will zum Schluß ganz kurz sagen, was meiner persönlichen Meinung nach angesagt ist, was auf der Tagesordnung steht: weder Positivismus noch Negativismus, sondern Realismus und vielleicht dann auch Optimismus. Letzterer allerdings muß auf problemorientiertem Handeln und nicht nur auf Ankündigungen gegründet sein. ({7})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Norbert Mann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001417, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Angesagt ist - das will ich ganz zum Schluß auch an die Adresse der SPD sagen - eine Demokratisierung unserer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, gerade in der Situation, in der wir uns im Moment mit privatem Kommerzfernsehen und -rundfunk befinden.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, sich an unsere Regeln zu halten.

Norbert Mann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001417, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem das Fernsehen farbig ist, brauchen wir ja nicht in schwarz-weiß zu reden. Ich glaube, man muß sagen: Niemand ist vor Kritik geschützt. Jeder darf kritisiert werden. Es gibt für niemanden einen Naturschutzpark. Das gilt besonders für diejenigen, die politischen Einfluß ausüben. Auch der Journalist übt politischen Einfluß aus. Oft will er das auch; manchmal tut er es tatsächlich. Trotzdem muß man sagen, Herr Kollege Spranger, daß Ihr Interview nicht gerade glücklich war, weil es einen elementaren, aber selbstverständlichen Satz nicht enthält, daß es nämlich weder die Absicht der Bundesregierung ist, inhaltliche Pressefreiheit zu beschränken, noch ihre Aufgabe, die satzungsgemäße Arbeit der Organe der Rundfunkanstalten zu beeinflussen und auf die Ausgewogenheit im Sinne der Rundfunkgesetze zu achten. Kritik an den Sendungen des Rundfunks, des Fernsehens, auch an Zeitungen hat es immer wieder gegeben und wird es immer wieder geben. Sie ist gelegentlich auch berechtigt. Es gibt Sendungen, die einen anöden, es gibt Zeitungen, die man abbestellt; das ist das gute Recht jedes Bürgers. Es ist zwar nicht die Aufgabe des Fernsehens - darin unterscheiden wir uns -, uns Nachrichten zu zeigen, die keine sind: die milchgebende Kuh, den arbeitenden Arbeiter, das spielende Kind oder die blühende Blume. ({0}) Aber jeder von uns kennt Bilder, die mit besonderer Intensität Hunger, Elend, Gewalt schildern. Sie machen diese Vorgänge nicht, aber schon die Auswahl dieser Nachrichten kann zu einem Mittel der Information werden, wenn ein Medium so intensiv ist, wie es das Fernsehen ist. Es ist aber auch nicht die Aufgabe des Fernsehens, die Welt schöner zu machen, als sie ist. ({1}) Die Welt ist nicht konfliktfrei. Nicht nur das gesendete Elend, auch die unterlassene Sendung kann eine Manipulation sein. ({2}) Nicht nur der Kommentar, sondern auch der unterlassene Kommentar kann ein Verstoß gegen Grundsätze der Ausgewogenheit sein. Es ist nicht die Aufgabe des Fernsehens, eine Art Volkshochschule oder eine Agitationsanstalt zu sein. Herr Nowottny hat das in seiner Antrittsrede hervorragend dargestellt, als er ausführte, in einer pluralistischen Gesellschaft sei es die Aufgabe des Mediums Fernsehen und Rundfunk, auch die Vielfalt der Meinungen in ihnen zum Ausdruck kommen zu lassen. Man müsse sie auch ertragen können. Unterschiedliche Meinungen und Kommentierungen müssen zur Meinungsbildung anregen, ohne sie ersetzen zu können. Herr Kollege Spranger, Sie haben Herrn Bednarz, Herrn Alt, Herrn Pleitgen, Herrn Lehmann, ARD und ZDF kritisiert. Warum haben Sie eigentlich nicht Herrn Löwenthal kritisiert? ({3}) Er gehört doch hervorragend in die Reihe angeblicher Manipulatoren. Ich sage Ihnen: alle in einer gemeinsamen Verschwörung mit dem Ziel, uns die Welt zu vermiesen, das ist ein zu phantastisches Bild, als daß man es als realistisch betrachten könnte. Was mir nicht paßt und was mir nicht gefällt, das ist der öffentliche Angriff auf einzelne Journalisten. ({4}) Wir müssen die Sorge haben, daß die Journalisten nicht die Schere in den Kopf bekommen, wie sie es nennen. Das betrifft die Sorge, nicht mehr frei von Einflüssen zu sein, die Frage zu stellen, ob sie es sich leisten können, bestimmte Meinungen zu äußern. ({5}) - Ach wo, nein, nein. Herr Duve, auch Sie überziehen das natürlich. Das Verfassungsgericht sagt - das muß man lesen - in zwei wirklich grundlegenden Entscheidungen: Das Grundrecht der Pressefreiheit ist für die freiheitlich-demokratische Grundordnung schlechthin konstituierend, ({6}) indem es den geistigen Kampf, die freie Auseinandersetzung der Ideen und Interessen gewährleistet, die für das Funktionieren dieser Staatsform lebensnotwendig ist. und wir sollten alles tun, dieses Bild der Pressefreiheit, die unsere freiheitliche Ordnung konstituiert, nicht zu gefährden, nicht in ein Zwielicht zu bringen. Sie, Herr Kollege Spranger, sind nicht irgendeiner von uns, wie man so sagt, einfachen kleinen Abgeordneten, ({7}) Sie sind ein Parlamentarischer Staatssekretär, der Vertreter des Ministers, der in diesem Bereich eine hohe Verantwortung hat und wahrnimmt. ({8}) Und ich meine, Sie wären nicht überfordert - ich habe den Eindruck, Sie haben sich vergaloppiert -, unserer Bitte Folge zu leisten, das mit einigen Sätzen in Ordnung zu bringen, es geradezustellen. ({9})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Nöbel.

Dr. Wilhelm Nöbel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001617, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! meine Damen und Herren! Herr Hirsch, das, was Sie hier vorgetragen haben, war fast so erfrischend wie in alten Zeiten. ({0}) Herr Kollege Weirich, Sie können zwar versuchen, diese Aktuelle Stunde umzufunktionieren, aber fest steht: Sie haben Wahlen verloren und das in einem Ausmaß, das Ihnen an den Nerv geht. Das ist der Punkt eins. Und nun sollen nicht Herr Kohl und die Leute, die er um sich hat, schuld an dem eigenen Niedergang sein, sondern die Herren, die hier bereits genannt worden sind: Klaus Richter, Lutz Lehmann, Klaus Bednarz, Fritz Pleitgen und Franz Alt. Das ist doch geradezu sagenhaft; abenteuerlich ist das. Zweitens wollen Sie die nächsten Wahlen gewinnen - mit Zuhilfenahme eines gebeutelten Fernsehens. ({1}) Das behaupte ich hier. - Und das wollten Sie immer schon, seit es die Union und seit es Fernsehen gibt. Das ist gar nichts Neues. ({2}) Schon am 27. Mai 1947 - da ging es noch um Hörfunk - hatte der Rundfunk- und Presseausschuß der CDU Nordrhein-Westfalen in einer Resolution an Konrad Adenauer gefordert - ich zitiere - den Ausbau des Kölner Senders als christlichabendländischen Sender im Gegensatz zu dem liberal-marxistischen Sender Hamburg. ({3}) Schließlich mußte 1961 das Bundesverfassungsgericht eingreifen, um Adenauer daran zu hindern, Fernsehen zum Regierungssprachrohr zu machen. Dann kam Herr Biedenkopf, der Semantiker, mit Frau Noelle-Neumann im Arm, 1976. Da war das Fernsehen schuld an der Niederlage. So ist das doch schon immer gewesen. Wir kennen Sie schon lange genug, meine Damen und Herren von der Union. Drittens ist es allerdings der Gipfel - das ist hier schon dargestellt worden -, daß ausgerechnet der Verfassungsminister - denn als solchen sehe ich Herrn Spranger in diesem Fall, nicht als CSU-Abgeordneten - diese Attacken startet, egal, ob es sich um Landesrundfunkanstalten handelt, wo er überhaupt nicht kompetent ist. ({4}) Damit hat er gar nichts zu tun. Weder Herr Zimmermann noch Herr Spranger sind hier zuständig. Herr Spranger handelt nach der Maxime: Was man tut, muß man gründlich machen, selbst eine Torheit. ({5}) Viertens. Wie unbedarft er an die Sache rangeht, zeigt z. B. folgendes Zitat aus den „Stuttgarter Nachrichten". ({6}) - Herr Reddemann, Sie kommen gleich noch dran. Da schaltet sich einer nach 15 Minuten aus, legt sich ins Bett und sagt: Sterben möchte ich. So Originalton Spranger. Ja, er weiß doch wohl, daß die Tagesschau ohnehin nach 15 Minuten beendet ist. Also hat er diesen Traueranfall doch wahrscheinlich nur deshalb, weil er den Wetterbericht gesehen hat. ({7}) An den Haaren herbeigezogen wird ein Rundfunksystem madig gemacht, das bei allem, was verbesserungsbedürftig ist, Weltspitze ist. Das sage ich, das sagen auch unsere ausländischen Kollegen. Überall wo man hinkommt, wird gesagt: Ihr habt ein gutes Fernsehen. Und Sie machen es madig. Nun klappt das mit dem Privatfernsehen doch nicht so, wie es die Strategen erwartet haben. Also: noch mehr Druck auf die Öffentlich-Rechtlichen. Als Herr Zimmermann seine Medienordnung der Zukunft vor ein paar Monaten ankündigte, waren es ausgerechnet CDU- und CSU-Politiker, die gleich herummotzten. Herr Stoiber hat gesagt: Ich kann dem Bund nur raten, nicht daran zu denken. - Albrecht schreibt an Kohl, es sei eine Belastung durch unnötigen Kompetenzkonflikt. - Wo sind sie heute, die Kollegen? Sie sagen nichts. Sie schweigen. Sie haben ein Durcheinander geschaffen, meine Damen und Herren von der Union, wie fast auf allen Gebieten, wo man etwas falsch machen kann. Ich bin kein Prophet. Denkbar ist aber, daß Sie am Ende die Gelackmeierten sind. Das sage ich Ihnen. Der Bundeskanzler müßte eigentlich bei diesem Vorgang sein Lieblingswort „unerträglich" einbringen. Denn das letzte Fernsehurteil des Bundesverfassungsgerichts hat bestätigt: Rundfunk darf nicht als Instrument der Meinungsbildung dem Staat, geschweige denn der Regierung ausgeliefert werden. ({8}) Und was das Allheilmittel Privatfernsehen angeht, zitiere ich die „Zeit" von der letzten Woche zu Satz 1: Auf die Gefahr, als humorlos zu gelten: Das ist nicht lustig, das ist traurig. Da kommt nicht Freude auf, sondern Mitleid für die Erscheinung auf dem Bildschirm, die auf verzweifelter Suche nach Fröhlichkeit und Lockerheit nur noch Krampf versprudelt. ({9})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Spranger.

Carl Dieter Spranger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002205, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mein Interview mit den „Stuttgarter Nachrichten" hat ganz offenbar Wellen geschlagen. Ich muß gestehen: Das habe ich beabsichtigt. Die Reaktion der SPD in diesem Hause zeigt ja, daß man hier ganz offensichtlich offene Wunden berührt hat, und zwar in einem Bereich, den Sie offenbar als Ihren Vorposten betrachten und deshalb mit allen Mitteln verteidigen wollen. ({0}) Was ist eigentlich geschehen? Ich habe in dem Interview einige Beispiele für eine tendenziöse, vergiftende und negativistische Berichterstattung im Rundfunk genannt. Ich habe den wachsenden Antiamerikanismus im Fernsehen und eine bevorzugte Randgruppenberichterstattung kritisiert. ({1}) Ich habe nicht pauschal kritisiert und verurteilt, sondern konkret Fakten und Namen genannt. Herr Hirsch, wenn ich das nicht getan hätte, hätte es wieder geheißen: Hier wird pauschal kritisiert. ({2}) Es wird jetzt gesagt, daß alles sei Zensur und nicht erlaubt. Dieser Vorwurf ist nicht nur absurd, er soll außerdem berechtigte Kritik als rechtswidrig diffamieren. ({3}) Zensur im Rechtssinn umfaßt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das Verbot, vor der Verbreitung von Informationen diese einer inhaltlichen Kontrolle durch den Staat zu unterwerfen. Ist aber die Information an die Öffentlichkeit gelangt ({4}) und vermag sie Wirkung auszuüben, dann gelten - so das Bundesverfassungsgericht, das sollten Sie nachlesen - die allgemeinen Regeln über die Meinungsfreiheit. Und das bedeutet: Die Meinungsfreiheit steht auch einem Politiker zu, nicht weniger als jedem anderen. ({5}) Ich gehe noch einen Schritt weiter. Warum hätte das Grundgesetz eigentlich Anlaß gehabt, Abgeordnete im Deutschen Bundestag ebenso wie in den Landesverfassungen in Art. 46 mit dem besonderen Schutz von Immunität und Indemnität auszustatSpranger ten, wenn es nicht davon ausgegangen wäre, daß es gerade Sache auch der Abgeordneten ist, als Wächter unserer freiheitlichen Demokratie auf Mißstände in der Öffentlichkeit hinzuweisen, sie zu bewerten ({6}) und der Bevölkerung aus der Sicht des Politikers Argumente für die Schau der Dinge zu geben? Diejenigen, Herr Duve, die einem Politiker einen Maulkorb umhängen wollen, ({7}) weil sie es nicht ertragen können, von ihm kritisiert und an die mit der Presse- und Rundfunkfreiheit einhergehenden besonderen Sorgfalts- und Wahrheitspflichten ({8}) - auch hier zitiere ich nur das Bundesverfassungsgericht - erinnert zu werden, müssen sich indessen noch an eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts am 13. April 1984 erinnern lassen. ({9}) Dort hat das höchste deutsche Verwaltungsgericht den Mitgliedern der Bundesregierung das Recht der politischen Meinungsäußerung als deren ureigenes verfassungsgemäßes Recht zuerkannt, zu dessen Rechtfertigung es eines Rückgriffs auf die Freiheiten des Art. 5 des Grundgesetzes gar nicht bedürfe. Erklärungen von Mitgliedern der Bundesregierung erfolgen hiernach in Ausübung einer kompetenzrechtlich fundierten und abgesicherten Organfunktion. ({10}) Wenn aber konkrete Anhaltspunkte bestehen - und dafür habe ich Beispiele genannt -, daß in einigen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ({11}) die Art und Weise der Berichterstattung ({12}) mit dem gesetzlichen und verfassungsrechtlich allein legitimierten Auftrag umfassender objektiver und wahrheitsgemäßer Information nicht mehr vereinbar ist, ({13}) dann halte ich es nicht nur für das Recht, sondern auch für die Pflicht des Politikers diese Gefahren beim Namen und auch Roß und Reiter zu nennen. Nichts anderes habe ich getan. ({14}) Erschreckend für mich und gefährlich für die Demokratie ist allerdings eine Politik, wie sie offensichtlich auch von der SPD vertreten wird, die das längst überholte Monopol der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten erhalten und sogar noch verstärken will, gleichzeitig bestimmten linken Funktionären dieser Anstalten das Recht einräumt, auf allen Gebieten und in jeder Form mit den starken Waffen der Medien persönliche Meinung ungehemmt zu verbreiten, ({15}) andererseits aber nicht dulden will, daß sich diese Meinungsmacher ihrerseits der öffentlichen Kritik stellen müssen. ({16}) Eine solche ungeteilte, unkontrollierte, von Kritik freigestellte Macht der elektronischen Medien wäre eine Mediokratie, die in unserer Demokratie unerträglich wäre. Meine Damen und Herren, das Recht auf Meinungsfreiheit und Kritik gilt auch für Fernsehzuschauer. Ich lasse mir mein Recht als Fernsehzuschauer und meine Pflicht als Abgeordneter auch zukünftig nicht absprechen, öffentlich Kritik zu erheben, wenn das verfassungsrechtliche Gebot zur umfassenden, objektiven und wahrheitsgemäßen Information in öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten verletzt wird. ({17})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer ({0}). ({1})

Harald B. Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001931, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Spranger, Sie haben den Vorgang durch Ihre Rede jetzt in einem unglaublichen Umfang verschlimmert. ({0}) Sie haben ausgeführt, es sei Ihre Absicht gewesen, Journalisten gezielt an den Pranger zu stellen. Sie haben erklärt, es sei Ihre Absicht gewesen, auf kritische Journalisten durch Druck einschüchternd zu wirken. ({1}) Sie haben hier deutlich gemacht, daß Sie sich in der langangelegten Strategie der CDU/CSU ganz bewußt als Speerspitze betätigt haben, um kritischen Journalismus in unserem Lande mundtot zu machen. Das verdient hier heute festgehalten zu werden. ({2}) Schäfer ({3}) Herr Spranger, Sie beklagen negative Nachrichten im deutschen Fernsehen. ({4}) Ich nehme einmal Ihr Interview. Da sagen Sie: „Die Berichterstattung der Rundfunk- und Fernsehanstalten ist vielfach negativ." Ich sage Ihnen: Wenn diese Bundesregierung mehr gegen die Arbeitslosigkeit tun würde, müßte weniger über Arbeitslosigkeit berichtet werden. Ich sage Ihnen: Wenn diese Bundesregierung nicht immer mehr Menschen an den Rand unserer Gesellschaft drücken würde, müßte weniger über die Randgruppenproblematik in unserer Gesellschaft berichtet werden. Nicht die Nachrichten sind negativ, sondern die gesellschaftspolitische Lage in der Bundesrepublik Deutschland ist in vielen Bereichen negativ. ({5}) Jeder Journalist, der diese Wirklichkeit verdrängen würde, würde seinem journalistischen Auftrag nicht gerecht werden. Nach der Methode „Haltet den Dieb!", Herr Kollege Spranger, versuchen Sie bewußt und gezielt, einen Ihnen genehmen, einen der Regierung genehmen Rundfunk in unserem Lande herbeizudrücken, herbeizupressen. Dies ist dann die Richtung des Staatsfunks, die niemand wollen kann, der es mit Art. 5 unseres Grundgesetzes ernst meint, meine Damen und Herren. ({6}) Es kann doch, Herr Kollege Spranger, wohl nicht Aufgabe der freien Presse und des freien Rundfunks sein, die Politik der Bundesregierung, die Politik von Parteien oder die Politik gesellschaftlicher Gruppierungen zu verkaufen. Sie, die Bundesregierung, hat dafür eine ganze Heerschar von Mitarbeitern und demnächst vielleicht sogar drei Regierungssprecher im Bundespresseamt zur Verfügung. Da können Sie Ihre Politik verkaufen. Es ist schon fast bitter, Herr Kollege Spranger, daß man es im Deutschen Bundestag unterstreichen muß - nach Ihrer Rede besteht dazu erneut Anlaß -: Die Demokratie steht und fällt mit der Presse- und Meinungsfreiheit. ({7}) Kritischer Journalismus ist unverzichtbar. Kritischer Journalismus, Herr Reddemann - das müßten Sie als ehemaliger Journalist wissen -, ({8}) ist für demokratische Politik unverzichtbar, auch wenn die Kritik der Journalisten uns Politikern manchmal nicht gefällt. Ich sage noch einmal: Wir Sozialdemokraten müssen deshalb die gezielten Ausfälle der Bundesregierung, von denen Sie, Herr Spranger, nur die Speerspitze sind, gegen ZDF und ARD aufs schärfste zurückweisen. Es geht nicht an, daß Amtsträger - Sie haben Ihre Äußerung als Parlamentarischer Staatssekretär im Verfassungsministerium gemacht - ihre Funktion mißbrauchen, um mißliebige Journalisten unter Druck zu setzen. Genau dies ist Ihre Absicht, genau dies haben Sie heute morgen hier vor diesem Pult erneut bestätigt. ({9}) Meine Damen und Herren, ich habe eigentlich gehofft, daß Sie, Herr Spranger, der Aufforderung des Kollegen Hirsch entsprechen, daß Sie von hier als sagen: Ich habe mich vergaloppiert, ich habe mich über Journalisten geärgert, wie wir es alle gelegentlich tun, aber mir tut es leid, was ich in den „Stuttgarter Nachrichten" von mir gegeben habe. ({10}) Herr Spranger, ich hatte es gehofft, aber in der Tat sind Sie sich treu geblieben: uneinsichtig, intolerant, ein rechter einäugiger Ideologe, der in Ihrer Person im Verfassungsministerium der Bundesrepublik Deutschland sitzt. ({11})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hirsch. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Spranger, ich freue mich, daß ich Gelegenheit habe, praktisch durch einen Zufall mit Ihnen in einen Dialog einzutreten. Sie haben als Abgeordneter, als Hörer, als Zuschauer im Fernsehen ein selbstverständliches Recht auf Kritik; niemand kann Ihnen das absprechen. ({0}) Sie haben auch recht, daß Kritik keine Zensur ist. Ihre Definition, daß die Zensur im vorhinein ausgeübt wird, ist völlig korrekt. Nur üben Sie doch nicht nur deswegen Kritik, damit Sie in der Zeitung stehen, sondern Sie üben Kritik, ({1}) um einen Einfluß, um Wirkung auszuüben und die Journalisten, die Sie kritisieren, dazu zu bewegen, ihre Entscheidungen eher an dem auszurichten was Sie für richtig halten. Das ist das, was die Journalisten beklagen und worüber man nachdenken muß, nämlich die berühmte „Schere im Kopf". Es geht also nicht um die Zensur, nicht um den Einfluß durch staatlichen Macht, sondern um die Ausübung von Einfluß durch öffentliche Schelte und Kritik. Nun räume ich Ihnen ein, daß es Redaktionen und Medien gibt, ({2}) die unser äußerstes Mißfallen erregen. ({3}) - Natürlich, selbstverständlich. Das bezieht sich auf Zeitungsredaktionen, und ich muß Ihnen auch sagen, das uns manches, was wir von Rundfunkanstalten gehört haben, ihr Verhalten in Wahlkämpfen, die Frage der Ausgewogenheit - nehmen wir den WDR oder den Hessischen Rundfunk -, ({4}) überhaupt nicht gepaßt hat, ({5}) was wir als eine bewußte Beeinflussung verstanden haben und auch so würdigen. ({6}) - Auch das darf man sagen. Das eigentliche Problem, das dahintersteht, ist die Frage des politischen Einflusses der Parteien auf die Medien, auch auf die Rundfunkanstalten, überhaupt, ({7}) und dieser Einfluß wird nicht nur durch eine solche öffentliche Kritik, eine öffentliche Kategorisierung - Rotfunk, Schwarzfunk oder dergleichen - sondern natürlich auch - das muß ich unseren Kollegen von der SPD sagen - durch massive Einflußnahme auf personelle Entscheidungen ausgeübt. ({8}) Er wird auch durch den Versuch ausgeübt, bestimmte Weichen durch die Beeinflussung personeller Entscheidungen zu stellen. ({9}) Auch das, meine Herrn Kollegen, ist, wenn Sie so wollen, ein Angriff auf die Pressefreiheit. ({10}) Nun kommt es im Grunde genommen darauf an, auch einmal die eigene Position, verehrter Herr Kollege Spranger, kristisch zu überprüfen. Wir haben alle die Erfahrungen gehabt, in welche Zustände wir kommen, wenn sich die Regierungen ihre Medien selber aussuchen können, wenn sie sich ihre Journalisten selber aussuchen können, wenn sie die Journalisten in gute und böse kategorisieren können, ({11}) in aufrechte und solche, die mit irgendwelchen Verschwörungen umgehen. Das ist genau der Punkt, warum wir so allergisch auf die Versuche reagieren müssen, auf redaktionelle Entscheidungen von staatlichen Positionen aus Einfluß zu nehmen. Sie haben sich hier zuerst auf die Formel zurückgezogen: „Ich habe doch als Hörer und als Abgeordneter das Recht zu kritisieren"; ({12}) Sie haben aber in einem Teil Ihrer Rede auch darauf hingewiesen, daß es für die Bundesregierung durchaus legitim ist, zu dieser Frage Stellung zu nehmen. Die Pressefreiheit und die Medienfreiheit beruhen in der Staatsferne ihrer Organe. ({13}) Das ist der Satz, an den Sie denken müssen, wenn Sie sich öffentlich äußern. ({14}) Ich glaube nicht, daß sich einer von uns hinstellen und in moderner Schizophrenie sagen kann: Dieses sage ich als Mensch und jenes sage ich als Staatssekretär. Auch der Kollege Spranger ist unteilbar und sollte es bleiben. ({15})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Broll.

Werner Broll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000271, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was ist eigentlich Ungeheuerliches passiert? Ein Politiker, ein Kollege von uns hat einige Sendungen und die Verfasser dieser Sendungen kritisiert. ({0}) Er hat dabei auf Sendungen hingewiesen, die nach Beschlüssen teils von Gerichten, teils von Rundfunkräten selbst als gegen die Satzungen dieser Anstalten oder mindestens gegen die Sendeordnungen dieser Anstalten eindeutig verstoßend qualifiziert worden waren. ({1}) Dabei hat Herr Spranger endlich das gesagt - Gott sei Dank, möchte ich sagen -, was Millionen Mitbürger genauso empfinden. ({2}) Nur, diese Millionen von Mitbürgern haben gar keine Chance, sich zu äußern, geschweige denn Einfluß auszuüben. Die Briefe, die sie in die Redaktionen schicken, verschwinden im Papierkorb und werden dumm beantwortet. ({3}) Und wenn man nach Monitor-Sendungen sich ans Telefon hängt und anruft, dann sieht man ja als Zuschauer selbst, wie man in arroganter schnöselhafter Weise abgebügelt werden kann, in einer Weise, die keineswegs elegant, keineswegs wissend und gut orientiert wirkt. Da muß ein Politiker auch einmal seine Meinung äußern dürfen, und er tut es in Broll voller Verantwortung für die, die er hinter sich weiß. ({4}) Natürlich hat ein Großteil der Journalisten in diesen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten das nicht gern gesehen. „Unzulässig" nennt ein Intendant eine solche Kritik. Was ist das für Vorstellung, meine Damen und Herren! ({5}) Der Paragraph über Gotteslästerung ist abgeschafft, ({6}) aber die Ayatollahs in Rundfunkanstalten zu kritisieren, das soll verboten sein; das ist ein Angriff auf ein Heiligtum! ({7}) Das sind doch groteske Vorstellungen. Daß die SPD jetzt meint, sie müsse sich vor diese Richtungen im Rundfunk, vor diese Gruppe von Journalisten stellen, Journalisten übrigens, die von ihren Kollegen, von denen ich auch sehr viele kenne, genauso krisitiert werden, die auch unter dem Meinungsdruck innerhalb der Anstalten leiden - nicht nur unter dem Druck, der aus den Anstalten hinausgeht -, ({8}) und daß die SPD meint, ein Gut verteidigen zu müssen, das gar nicht gefährdet ist, kann man natürlich verstehen. Wissen Sie, da, wo der freie Wille von Empfängern von Nachrichten oder Meinungsverbreitungen entscheidet, bei den Presseorganen, da sind Sie ja total gescheitert. Gucken Sei sich die wirtschaftlichen Mißerfolge der Ihnen gehörenden oder Ihnen nahestehenden Zeitungen an. Die sind alle am Boden. Da ist es offensichtlich zu langweilig, zu einseitig, zu blaß und zu belanglos zugegangen. ({9}) Aber es war ein SPD-Parteitag, wenn ich mich recht erinnere, auf dem ein Gewerkschaftler bejubelt wurde, der in zynischer Weise verkündigte, er und seine Gewerkschaft verstünden es, bestimmte Presseorgane von Artikeln zu säubern, die die Meinung so darstellten, wie es eben dieser Gewerkschaft nicht paßt. Das ist auf einem Ihrer Parteitage bejubelt worden. ({10}) Passen Sie auf, meine lieben Kollegen von der SPD; ({11}) ich frage mich, nachdem gestern oder vorgestern einer Ihrer Kollegen mit dem Herrn Axen von der SED eine gemeinsame Pressekonferenz gegeben hat, ({12}) ob nicht bald - und ich sehe es schon fast bildhaft vor mir - ein anderer Kollege mit dem Herrn von Schnitzler eine gemeinsame Pressekonferenz gibt! ({13}) Hier geht es bei Ihnen ganz offensichtlich nicht um Meinungsfreiheit; Sie verteidigen nicht die Meinungsfreiheit, die Vielfalt der Meinungen in unserem Lande, sondern die Meinungsfreiheit eines Monopols. ({14}) Monopole wollen immer Freiheit, aber nur für sich! ({15}) Meine Damen und Herren, wir sind glücklich über jede vernünftige Kritik, wenn sie scharf und geistvoll ist. Und je höher ein Mann steht, lieber Freund Carl-Dieter Spranger, ({16}) desto mehr ist Kritik angebracht; das ist sozusagen im Gehalt inbegriffen. Was wir aber nicht wünschen, was wir nicht verantworten können - gerade in öffentlich-rechtlichen Anstalten nicht; aber wir nehmen keinen Einfluß, wir sind ja, von Wortbeiträgen dieser Art abgesehen, machtlos -, ({17}) ist, daß Journalisten jeden Morgen die hessischen Rahmenrichtlinien essen, sie nicht verdauen ({18}) und dann meinen, mit dem Bild dieser spießbürgerlichen Revoluzzergesinnung die Welt revolutionieren oder reformieren zu sollen. ({19}) Es war j a, wenn ich mich recht erinnere, Herr Merseburger, der gesagt hat, es sei die Aufgabe der Journalisten, die Systeme zu verändern. ({20}) - Nein, das hat der Herr Merseburger gesagt! Es mag sein, daß er Ihnen nahesteht; ich weiß es nicht. ({21}) Mit anderen Worten, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir fordern die SPD auf, endlich nicht mehr Monopole zu verteidigen, denen sie naBroil besteht oder die ihr nahestehen. Meine Damen und Herren, setzen Sie sich mit uns für wirkliche Freiheit ein, ({22}) für Vielfalt der Meinungen, und zwar aller, die Meinungen haben, nicht nur derer, die Ihre Meinung vertreten. ({23})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Duve. ({0})

Freimut Duve (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000425, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Journalisteneinschüchterung war immer von einem Gipfel von Heuchelei begleitet. Was Sie, Herr Broll, hier eben gemacht haben und was Herr Weirich hier heute morgen vorgeführt hat, ist die pure Heuchelei. Sie haben versucht, die Anstalten mit Hilfe von Herrn Radunskis Generalschlachtplan sturmreif zu schießen; ({0}) Sie haben Ihre Journalisten plaziert; Sie gehen mit diesen Anstalten um, als wären es Abteilungen des Innenministeriums; ({1}) Sie gängeln die Journalisten - und dann singen Sie hier das Lied von der Meinungsfreiheit des Herrn Staatssekretärs. ({2}) Herr Staatssekretär Spranger, niemals würden Sie die Mitarbeiter Ihres Ministeriums öffentlich so geißeln, wie Sie die Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks an den „Spranger" stellen. ({3}) Sie hätten sich nie getraut, einzelne Kohl-kritische Journalisten aus den Printmedien, etwa aus der „FAZ" oder aus der „Bild-Zeitung", so anzugreifen. Zur Perfidie kommt also auch noch die Feigheit! Aus dem Vertreter des Innenministers spricht die verhängnisvolle reaktionäre Erblast aus Kaisers Zeiten: ({4}) die Medien unter Druck setzen, sie zugleich mit den eigenen Leuten besetzen und dann die wenigen, die man noch nicht hat austauschen können, dem gesunden Volksempfinden in den Rachen schmeißen! Öffentlich-rechtlicher Rundfunk muß so weit wie irgend möglich vom Staat entfernt sein. Meine Damen und Herren, ich bitte alle Funk- und Fernsehjournalisten, die der Union nahestehen, die ihre Mitglieder sind: Distanzieren Sie sich öffentlich von diesem Anschlag auf den professionellen Journalismus, auf Ihren eigenen Beruf! ({5}) Sprangers Rammstoß signalisiert nur die Spitze eines lebensgefährlichen Eisberges in den Medien. Machen Sie deutlich - ich spreche weiter die unionszugehörigen Journalisten an -, daß Sie mit Sprangers Staatsjournalismus nichts gemein haben! ({6}) Journalisten können eine unheilvolle Welt nicht heilen, Herr Spranger. Gescheiterte Politik und gescheiterte Politiker können nicht die Journalisten für ihre eigenen Fehler verantwortlich machen. Wer Satellitenfernsehen will, der muß auch weltweiten kritischen Journalismus, freien Journalismus, aushalten können. Die Nachrichtenchefs der großen Sender rühmen sich ja ihrer Nähe zu Strauß und Kohl. Trotzdem gibt es diese Angriffe auf ihre Arbeit. Herr Spranger, wer anderen einen Gruber gräbt, fällt selbst hinein - wie Sie hier heute morgen. ({7}) Diese Schizophrenie hat doch Methode. Die deutsche Reaktion hat von „linker Meinungsmache" schon gesprochen, als Flugblätter die ersten Boten republikanischen Geistes waren. ({8}) Heute muß jeder einzelne kritische Journalist, der seinen Beruf noch ernst nimmt, dazu herhalten, die täglich versuchte Nötigung in den Anstalten, ({9}) die täglich versuchte Nötigung des Journalismus zu verschleiern. Vom linken Funk reden und rechten Staatsfunk organisieren, das ist das demagogische Entree für den Durchbruch des Privatfunks, wo Politiker - siehe Bayern - gleich selbst zu den Anteilscheinen greifen. Ich bitte die Chefs von „Tagesschau" und „Heute", ich bitte die Intendanten, sich endlich dieser tödlichen Umklammerung ({10}) - j a, Sie lachen - des christlich garnierten gesunden Volksempfindens zu erwehren. ({11}) Hier wird ein ganzer, für die Demokratie überlebenswichtiger Berufsstand, der sich mühsam aus der Lähmung durch die Nazis befreit hatte, im Innersten beschädigt. ({12}): Sehr richtig! - Zuruf von der CDU/CSU: Das hat Radio Bremen aufgeschrieben!) Wenn ich das Interview genau lese, dann hat sich der Vertreter des Innenministers, gemessen an Art. 5 des Grundgesetzes, in den „Stuttgarter Nach10770 richten" dargestellt wie ein Verfassungsfeind im öffentlichen Dienst. ({13})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter Duve, der Ausdruck „Heuchelei" wird nach alter Gepflogenheit dieses Hauses als nicht parlamentarisch angesehen. Ich bitte Sie, sich künftig daran zu halten. ({0}) Das Wort hat der Abgeordnete Lowack.

Ortwin Lowack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001379, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich verstehe das ganze Geschrei der Genossen überhaupt nicht. ({0}) Mir ist die Art, wie man hier von SPD-Seite, von parlamentarischer Seite versucht, sich Journalisten an den Hals zu werfen, peinlich. Wenn Kritik an einem partiell miesen Programm einer öffentlichrechtlichen Anstalt ein Angriff auf die Rundfunk- und Pressefreiheit ist, dann können wir als Politiker einpacken, auch Sie werte Kollegen von der SPD. ARD, ZDF und einzelne Redakteure sind mit ihrer Programmgestaltung keine heiligen Kühe; sie sind keine Kühe, und sie sind auch nicht heilig. Das wissen Sie ganz genau. Und warum soll man Namen wie Bednarz, Richter, Lehmann, Alt und Pleitgen nicht nennen? Die Anstalten rechnen sich zu den Medien. Tatsächlich, verehrte Kollegen, sind die Medien längst ein Teil einer eigenen Gewalt geworden, die mit den Politikern bewußt um die Seelen der Menschen kämpft, wie ein Journalist es ausgedrückt hat. Man kann es auch anders sagen - wie mir gegenüber ein Journalist seine Rolle einmal verständlich gemacht hat -: Wir brauchen euch Politiker nur, um euch vorzuführen. Der amerikanische Medienpapst Tony Schwartz hat es in seinem Buch „Media, the Second God" - „Die Medien, der zweite Gott" - so dargestellt: Die Medien, mehr noch als eine politische Partei, informieren und formen heute unsere politischen Auffassungen und unser politisches Verhalten. Und er hat im Hinblick auf die amerikanischen Verhältnisse noch hinzugefügt: Und so sind heute die größeren politischen Einflußgeber nicht mehr die Demokratische oder Republikanische Partei; den größeren politischen Einfluß haben ABC, CBS und NBC. Sie sind die Organisationen, die Wähler an Politiker und Kandidaten binden. - Verehrte Kollegen, das wollen wir mit unseren öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gerade nicht. ({1}) - Ich habe gesagt: „unseren". ({2}) Bei uns schaut es trotzdem schon längst nicht mehr viel anders aus. Es kommt hinzu, daß der öffentlich-rechtliche Status und Zwangsbeiträge für eine Mentalität sorgen, die die persönliche Aversion oder Zuneigung eines Journalisten kaum noch einer Kontrolle unterwirft. Wenn Sie, verehrte Kollegen, von einem Anschlag auf die Freiheit des Journalismus sprechen, dann darf ich hier festhalten: Diese Freiheit wird von niemandem, zuallerletzt etwa von Unionsseite in Frage gestellt. ({3}) Die Rundfunk- und Pressefreiheit sind durch das Grundgesetz und seine Mechanismen geschützt. Im Zweifel entscheidet das Bundesverfassungsgericht. Des besonderen Schutzes durch die SPD bedarf dieses Recht nicht. ({4}) Bei den im öffentlich-rechtlich organisierten Rundfunk beschäftigten Journalisten gibt es allerdings eine selbstverständliche Einschränkung, weil diese Rundfunkanstalten per Gesetz eingerichtet werden: Erstens. Nicht der einzelne Redakteur ist Inhaber des Rechtes der Rundfunkfreiheit; er ist nach der Rechtsprechung nur Funktionshelfer des Intendanten. Zweitens. Der Rundfunkbeitrag muß nach den gesetzlich festgelegten Grundsätzen einer vollständigen, wahren und unvoreingenommenen Berichterstattung entsprechen. Oder wie es das Bundesverfassungsgericht ausgedrückt hat: Das Rundfunkprogramm muß einem Mindestmaß von inhaltlicher Ausgewogenheit, Sachlichkeit und gegenseitiger Achtung entsprechen. Insoweit, verehrte Kollegen von der SPD, erschreckt mich eigentlich, daß niemand auf den Inhalt der Kritik des Kollegen Spranger eingegangen ist. Sie sind alle nur an der Decke geblieben. Sie haben versucht, Kritik zu verhindern, ohne sich mit dieser Kritik inhaltlich überhaupt zu befassen. Man erachtet schon die Kritik als solche als Majestätsbeleidigung und läuft dagegen Sturm. Majestäten gibt es in dieser Demokratie nicht. Das gilt für die Abgeordneten und genauso für die Journalisten. ({5}) Was hat denn der Kollege Spranger so Fürchterliches gesagt, daß man Spranger an den Pranger stellen will? Er hat gesagt, daß nur über Konflikte, Elend und Not, nur über Probleme in den Nachrichtensendungen informiert wird. Das ist doch richtig. Jeder Journalist kennt den Grundsatz: Bad news are good news. Danach wird verfahren. Daß das leider einer der gefährlichsten Grundsätze der Moderne geworden ist - schlimmer als alles andere, was wir teilweise kennen -, muß im politischen Raum doch auch einmal erörtert werden. Wer soll denn das kritisieren, wenn nicht der Politiker? Niemand kann mit der Vorstellungskraft der Menschen mehr tun, mehr jonglieren als das Fernsehen. Es erreicht den Menschen in einer entspannten Atmosphäre, in der er für Vorstellungen, die geweckt werden, besonders zugänglich ist. Hier sind die, die es besser wissen, aufgerufen, mit der notwendigen Kritik zu kommen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Diskussion mit unseren Journalisten hat erst begonnen. Ich wäre dankbar, wenn wir in dieser Diskussion zu dem Ergebnis kommen, daß sich die derivative Gewalt „Medien" auch mit der originären Gewalt „Gesetzgeber" in einer fairen Form auseinandersetzen muß, daß sie sich aber nicht der Kritik entziehen darf. Letzteres aber war Ihr Anliegen. Das vertreten- wir nicht. ({6})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat Herr Abgeordneter Reddemann.

Dr. h. c. Gerhard Reddemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001790, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Das war's also! Da war eine Aktuelle Stunde angekündigt, und es wurde behauptet, man wollte die Rundfunkfreiheit verteidigen, man wollte sich für die journalistische Freiheit einsetzen. In Wirklichkeit haben die verehrten Herren Kollegen von der SPD neben dem üblichen Schuß Demagogie, den man ihnen durchaus zutrauen darf, nichts weiter versucht, als das Monopol ihrer politischen Freunde in den Fernseh- und Rundfunkanstalten zu verteidigen. ({0}) Herr Kollege Duve, ich wäre Ihnen dankbar gewesen, wenn Sie auf derselben Barrikade für den Journalismus gestanden hätten, als Ihr Parteivorsitzender in seiner damaligen Eigenschaft als Bundeskanzler Journalisten, die er nicht mochte, öffentlich als Schreibtischtäter bezeichnete, und zwar zur selben Zeit, als alle Welt Adolf Eichmann als einen Schreibtischtäter hinstellen mußte. Ich wäre Ihnen dankbar gewesen, wenn Sie auf der Barrikade für den Journalismus gestanden hätten, als die damalige Regierung Brandt mit Hilfe des inzwischen abgeschafften Maulkorbparagraphen die Staatsanwälte in verschiedene Redaktionen schickte, deren politischer Inhalt der damaligen Bundesregierung nicht paßte. Damals aber hatten Sie, Herr Kollege Duve, die berühmte klammheimliche Freude daran, weil es ja gegen Journalisten ging, die Ihnen nicht nahestanden. Meine Damen, meine Herren, ich bin ein bißchen verwundert über das, was ich hier höre, und darüber, wie die Rundfunkfreiheit hier von zwei Parteien verteidigt wird, die derzeit doch alles versuchen, um einen freien Rundfunk zu unterdrücken. ({1}) - Herr Kollege Vogel, ich rede auch noch zu Herrn Hirsch. Ich kann nicht auf einmal über die ganze Menagerie sprechen. Herr Kollege Vogel, um auch Sie direkt anzusprechen: ich hätte gehofft, daß auch Sie mit dabeigewesen wären, als es darum ging, die Freiheit des Rundfunks und die Freiheit des Rundfunkhörers überall durchzusetzen. Statt dessen versuchen Sie und Ihre Partei und die verehrten Damen und Herren von den GRÜNEN doch alles, um das Oligopol der öffentlich-rechtlichen Anstalten zu verteidigen, und zwar genau deswegen, weil Sie wissen, daß es Ihnen gelungen ist, in diesen Anstalten entscheidende Funktionen zu besetzen, daß es Ihnen gelungen ist, in diesen Anstalten den Ton anzugeben, ({2}) und weil Sie befürchten, daß bei einer Auflockerung der Rundfunkgesellschaft die Möglichkeit bestünde, daß auch solche Leute an das Mikrophon und vor die Kamera kommen, die Ihnen nicht passen. Es ist ein alter Trick, Herr Kollege Duve - Sie haben ihn wieder einmal mit großer Lautstärke vorgeführt -, die eigenen Bastionen, die Sie gewonnen haben, als die Bastionen der Rundfunk- und Fernsehfreiheit und der Pressefreiheit schlechthin hinzustellen und jede Kritik an solchen Bastionen mit einer Kritik an der Freiheit der Presse und der Freiheit des Rundfunks gleichzusetzen. In Wirklichkeit, Herr Kollege Duve - das ist das Entscheidende; ich wiederhole dies noch einmal -, haben Sie doch nur den Versuch gemacht, eine Tabuzone um Ihre Freunde zu errichten, damit niemand Ihre Freunde genauso - oder sagen wir vorsichtshalber: ähnlich - behandelt wie diese Freunde andere. Nur, Herr Kollege Duve, das, was mich am meisten heute an Ihnen erschreckt hat, war diese offene Aufforderung an die Mehrheit in den Anstalten, nun Druck auszuüben auf jene journalistischen Kollegen, die nicht deren Meinung sind; denn das, was Sie hier verlangten - das sich nämlich christlich-demokratische oder liberale Journalisten von ihren eigenen Freunden distanzieren, ({3}) damit Sie ein neues propagandistisches Argument haben -, war doch nichts weiter als der Versuch, nicht eine Schere im Kopf zu erzeugen, sondern Menschen unter Druck zu setzen, die eine andere Meinung haben als Sie. ({4}) Ich hätte fast gesagt: Herr Duve, geben Sie Meinungsfreiheit für freie Journalisten in den Fernsehanstalten; wenn ich nicht wüßte, daß Gott sei Dank der sozialistische Maulkorb nicht ohne weiteres in den Anstalten umgehängt werden kann. ({5}) - Ich freue mich, Herr Kollege Mann, daß Sie sogar Franz Alt kennen. Ich kenne ihn seit vielen Jahren. Ich diskutiere mit großer Freude mit ihm, während nach dem, was ich heute von Ihnen gehört habe, die Frage, ob man mit Ihnen überhaupt diskutieren kann, zu stellen ist. ({6}) Meine Damen, meine Herren, lassen Sie uns eines in aller Ruhe hier sagen: Ein Abgeordneter, ein Parlamentarischer Staatssekretär, ein Minister, ein Bundeskanzler oder wer immer besitzt nach dem Grundgesetz dasselbe Recht auf Meinungsfreiheit wie jemand, der einen öffentlich-rechtlich abgepol10772 sterten, pensionsberechtigenden Vertrag in einer Rundfunk- und Fernsehanstalt hat. ({7}) Wer versucht, einen Andersdenkenden - gleichgültig auf welchem Gebiet er tätig ist - an der Ausübung seiner Meinungsfreiheit zu hindern, der hilft nicht der Freiheit des Journalisten, sondern engt sie ein. ({8})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet. Bevor wir in der Tagesordnung fortfahren, darf ich einige Mitteilungen verlesen. Zunächst darf ich mitteilen, daß am 16. Juni 1985 der Abgeordnete Dr. Schmidt ({0}) seinen 71. Geburtstag gefeiert hat, ({1}) daß heute unser verehrter Kollege und ehemaliger Präsident des Deutschen Bundestages Herr Dr. Barzel seinen Geburtstag feiert. Ich darf beiden Kollegen die besten Wünsche des Hauses übermitteln. ({2}) Meine Damen und Herren, für den am 16. Juni 1985 verstorbenen Kollegen Dr. Mertes ({3}) hat Abgeordneter Heribert Scharrenbroich am 19. Juni 1985 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße den neuen Kollegen und wünsche gute Zusammenarbeit. ({4}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll Punkt 9 der Tagesordnung - Entwurf eines Volkszählungsgesetzes 1986 - abgesetzt werden. Darüber hinaus ist interfraktionell vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um weitere fünf Punkte zu erweitern. Diese Punkte sind in der Liste „Zusatzpunkte zur verbundenen Tagesordnung", die Ihnen vorliegt, unter Nr. 3 bis 7 aufgeführt: 3. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({5}) Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages - Drucksache 10/3485 Berichterstatter: Abgeordneter Wolfgramm ({6}) 4. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({7}) Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages - Drucksache 10/3486 Berichterstatter: Abgeordneter Louven 5. Beratung den Antrags der Abgeordneten Kleinert ({8}), Dr. Müller ({9}). Suhr und der Fraktion DIE GRÜNEN Ökologischer Nachtragshaushalt - Drucksache 10/3497 - 6. Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung ({10}) - Drucksache 10/2608 - a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({11}) - Drucksache 10/3518 - Berichterstatter: Abgeordnete Günther Heyenn Frau Dr. Adam-Schwaetzer Bueb b) Bericht des Haushaltsausschusses ({12}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 10/3526 Berichterstatter: Abgeordnete Sieler Dr. Friedmann Frau Seiber-Albring Dr. Müller ({13}) ({14}) 7. Beratung des Antrags des Abgeordneten Bueb und der Fraktion DIE GRÜNEN Grundrente statt Altersarmut - Drucksache 10/3496 Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich rufe die Zusatzpunkte 3 und 4 auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({15}) Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages - Drucksache 10/3485 Berichterstatter: Abgeordneter Wolfgramm ({16}) Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({17}) Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages - Drucksache 10/3486 - Berichterstatter: Abgeordneter Louven Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wer diesen Beschlußempfehlungen auf den Drucksachen 10/3485 und 10/3486 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei zwei Gegenstimmen und einer Enthaltung ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 2 a bis 2 e auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinfachung wohnungsrechtlicher Vorschriften ({18}) - Drucksache 10/2913 Präsident Dr. Jenninger Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({19}) - Drucksache 10/3478 Berichterstatter: Abgeordnete Schmitt ({20}) Link ({21}) ({22}) b) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Abbau der Fehlsubventionierung im Wohnungswesen und weiterer wohnungsrechtlicher Bestimmungen ({23}) - Drucksache 10/3203 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({24}) - Drucksache 10/3476 Berichterstatter: Abgeordnete Link ({25}) Schmitt ({26}) ({27}) c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Wohngeldgesetzes - Drucksache 10/3162 - aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({28}) - Drucksache 10/3475 - Berichterstatter: Abgeordnete Frau Weyel Frau Rönsch bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({29}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 10/3516 Berichterstatter: Abgeordnete Echternach Nehm Kleinert ({30}) ({31}) d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({32}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Wohngeld- und Mietenbericht 1985 - Drucksachen 10/3222, 10/3475 - Berichterstatter: Abgeordnete Frau Weyel Frau Rönsch e) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Waltemathe, Müntefering, Conradi, Lohmann ({33}), Meininghaus, Menzel, Polkehn, Reschke, Schmitt ({34}), Dr. Sperling, Frau Weyel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung von Wohngeldleistungen ({35}) Drucksache 10/2140 - aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({36}) - Drucksache 10/3215 - Berichterstatter: Abgeordnete Frau Rönsch Waltemathe bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({37}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 10/3263 Berichterstatter: Abgeordnete Echternach Nehm ({38}) Hierzu liegen von der Fraktion der SPD Änderungsanträge auf den Drucksachen 10/3499, 10/3501 und 10/3502 sowie ein Entschließungsantrag auf Drucksache 10/3500 und von der Fraktion DIE GRÜNEN ein Änderungsantrag auf Drucksache 10/3512 vor. Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 2 a bis 2 e und eine Aussprache von zwei Stunden vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. - Das Wort hat Herr Abgeordneter Schmitt ({39}).

Rudi Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002032, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Menschenwürdiges Wohnen für alle Bürger ist für uns Sozialdemokraten Ziel und Aufgabe des sozialen Wohnungsbaus. Deshalb muß der soziale Wohnungsbau auch weiterhin eine Aufgabe für Bund, Länder und Gemeinden bleiben, und deshalb darf sich der Bund aus seiner Mitverantwortung für den Wohnungs- und Städtebau nicht zurückziehen; weder mit der Begründung, die Länder könnten das vor Ort alles besser regeln, noch mit dem Hinweis, das Wohngeld habe j a als soziales Netz für einkommensschwache Mieter die Wohnvoraussetzungen gesichert, und ansonsten könne man das Wohnungs- und Mietwesen dem freien Spiel, so wie es der Minister sagt, der sogenannten sozialen Wohnungsmarktwirtschaft überlassen. Für uns Sozialdemokraten muß der soziale Wohnungsbau weiterhin der Wohnungsversorgung breiter Schichten des Volkes dienen. Deshalb ist für uns eine ausreichende Zahl von Sozialwohnungen auch Schmitt ({0}) für die Zukunft unverzichtbar. Die sogenannten Erfolgsmeldungen des Bundesbauministers, der davon spricht, daß die Wohnungsprobleme nahezu gelöst seien, gehen daran vorbei, daß die Mieten in den letzten Jahren stärker gestiegen sind als die Realeinkommen, daß die Mietsteigerungen über der allgemeinen Steigerung der Lebenshaltungskosten liegen und daß vor allem in den Städten, meine Damen und Herren, viele Familien auf Grund der Arbeitslosigkeit die Mieten auch mit Hilfe des Wohngeldes nicht mehr aufbringen können. Angesichts dieser Situation ist für uns die Sicherung preiswerten Wohnens für breite Schichten die erste Aufgabe der Wohnungspolitik. Dies bedeutet nicht, daß der Neubau von Sozialwohnungen die Priorität wie in den vergangenen Jahrzehnten haben muß, wobei festzuhalten ist, daß natürlich vor allem in den Bedarfsschwerpunkten auch sozialer Wohnungsbau auch in der Zukunft notwendig und geboten ist. Für uns kommt es darauf an, daß vor allem der Bestand an Sozialwohnungen, die Sicherung der Sozialbindung in den Mietpreisen und in der Belegung mit Sozialmietern und nicht zuletzt die Modernisierung und die Energieeinsparung für den Mieter mit dem kleinen Geldbeutel immer wichtiger werden. Deshalb fordern wir, daß die Rückflüsse aus dem sozialen Wohnungsbau auch der Bestandspflege durch Modernisierung und Energieeinsparung zugute kommen. Von den Bundesmitteln in Höhe von 1,066 Milliarden DM im Jahre 1985 zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus kommen allein 715 Millionen DM aus Rückflüssen. Diese Rückflüsse werden überwiegend von Sozialmietern aufgebracht, und zwar über ihre Kostenmiete. Für uns ist es nicht vertretbar, daß diese Mieter über diese ihre Leistungen ab 1986 allein die Eigentumsförderung im sozialen Wohnungsbau mitfinanzieren sollen. ({1}) Damit keine Mißverständnisse entstehen: Wir Sozialdemokraten sehen in der Eigentumsförderung über Darlehen im sozialen Wohnungsbau und über die steuerliche Förderung des Eigentums wesentliche Elemente sozialdemokratischer Wohnungspolitik. Deshalb haben wir bei den Ausschußberatungen auch die Erhöhung der Familiendarlehen und insbesondere die Berücksichtigung des ersten Kindes beantragt und begrüßen die Zustimmung der Koalition hierzu. Deshalb wollen wir mit unserem Konzept der steuerlichen Förderung des Eigenheimbaus vor allem denen Hilfe gewähren, die die Hilfe brauchen. Sie aber, meine Damen und Herren von der Koalition - das zieht sich wie ein schwarzgelber Faden durch die Politik der Wende - fördern die, die da haben, und geben denen, die da haben, noch mehr. ({2}) Wir wollen Eigentum für viele, Sie fördern im Ergebnis Vermögensbildung für wenige. ({3}) Allein der letzte Bericht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung vom 23. Mai 1985 kommt zu der Feststellung: „Steuerliche Verluste im Wohnungsbau nehmen rasch zu." Das heißt im Klartext, daß 1985 die Steuerentlastung bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung bereits 20 Milliarden bis 25 Milliarden DM betragen soll. Aber für den sozialen Wohnungsbau stehen an Bundesmitteln nur 1 Milliarde DM zur Verfügung. Dies zeigt alles und begründet meine Feststellung. Sie geben - Sie verschleiern dies zwar - in Ihrer Wohnungspolitik in der Tat eindeutig Vermögensbildung und Steuerentlastung den Vorrang vor der Wohnungsversorgung für breite Schichten. Wer aber für den sozialen Wohnungsbau für breite Schichten ist, der muß auch die Einkommensgrenzen für die Wohnberechtigung der allgemeinen Einkommensentwicklung anpassen. Wir beantragen deswegen die Anhebung der Einkommensgrenzen in § 25 Abs. 2 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes um 20 % und möchten damit den Kreis der Wohnberechtigten wieder auf den Stand von 1980 bringen. Damals waren 46 % aller Haushalte im sozialen Wohnungsbau wohnberechtigt, heute sind es noch 36 %. Die Bundesregierung hat in ihrer Stellungnahme zum Bundesratsvorschlag eine Einkommensanpassung seinerzeit absolut verneint. Wäre es nach dem Bauminister gegangen, so wären nur noch Wohngeldempfänger im sozialen Wohnungsbau wohnberechtigt. Aber wir haben den Eindruck, daß Herr Strauß, der ja erklärt hat, daß sich seine Konzeption über die Fehlbelegungsabgabe nun durchgesetzt hat, Ihre Einsichtsfähigkeit gefördert hat. Sie haben wenigstens Freibeträge für Erwerbstätige eingesetzt. Aber dies ist für uns unzureichend, halbherzig und zu wenig. Wenn man sich die Einkommensverhältnisse ansieht, dann wird nach unserem Vorschlag ein Alleinstehender bis 2 264 DM brutto wohnberechtigt im sozialen Wohnungsbau sein, und ein Ehepaar kann nach unserem Vorschlag monatlich bis 3175 DM verdienen; in diesem Rahmen bewegt sich die Wohnberechtigung. Nach unserer Auffassung sollten wenigstens ein Facharbeiter und eine Verkäuferin die Chance haben, eine Sozialwohnung zu beziehen; denn gerade für diese Gruppen mit Einkommen zwischen 2 000 und 3 000 DM brutto monatlich - dies ist ja die Mehrzahl der Arbeitnehmerfamilien in der Bundesrepublik - ist es nur sehr, sehr schwer möglich - vor allem in den Städten -, eine Wohnung auf dem freien Markt zu finden. Die Miete wird ja nicht - dies wird oft übersehen - vom Brutto-, sondern vom Nettoeinkommen gezahlt. Gerade Sie, die Koalition, haben j a seit 1983 die Abgabenlast der Arbeitnehmer drastisch erhöht ({4}) Schmitt ({5}) und damit auch den Spielraum für Mietleistungen erheblich eingeschränkt. ({6}) Wer für den sozialen Wohnungsbau, seine rechtliche Absicherung und öffentliche Finanzierung ist, der muß natürlich auch für die Treffsicherheit öffentlicher Mittel sorgen und Fehlsubventionen abbauen. Der Mietvorteil, den Mieter haben, die die Einkommensgrenzen im sozialen Wohnungsbau weit überschreiten, ist seit Jahren ein Ärgernis, wobei man sagen kann, daß der Neid als Bruder der Gerechtigkeit manchmal Pate bei dieser Kritik gestanden hat. Wir haben nicht geklagt oder angeklagt, sondern 1981 eine Regierungsvorlage zum Abbau der Fehlsubventionierung unterstützt. Der dann im Vermittlungsausschuß zustande gekommene Kompromiß hat uns nicht überzeugt, aber er war besser als das weitere Beklagen eines von allen kritisierten Zustandes. Das sollten wir auch heute noch festhalten: Die Fehlbelegungsabgabe hat sich in den Ländern Berlin, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Bayern bewährt und bis jetzt ihre verfassungsrechtliche Nagelprobe - ich muß sagen: zur Überraschung vieler - überstanden. Es ist festzuhalten, daß die Zahl der Fehlbeleger im sozialen Wohnungsbau wesentlich geringer ist, als die Kritiker in der öffenlichen Diskussion behauptet haben. Sie liegt im Schnitt zwischen 10 % und 20%. Zwei Drittel aller Abgabepflichtigen liegen 50% über der Einkommensgrenze und zahlen damit die höchste Abgabe von 2 DM pro Quadratmeter und Monat. Auch dies ist eine Bestätigung unserer Überlegungen: Die Verwaltungskosten sind gering. Im Schnitt liegen sie bei 10% und - man höre und staune - in München sogar bei nur 4 %. ({7}) - Herr Oberbürgermeister, das ist Ihre Verwaltung, die das in dieser Weise vorbereitet und geschaffen hat. Die Stadt ist ja jetzt auch wieder in sozialdemokratischer Verantwortung. Das Aufkommen aus der Fehlbelegungsabgabe ist hoch. Allein 1984 kamen in den vier Ländern - meine Damen und Herren, das ist ja kein unwesentlicher Betrag - 500 Millionen DM für den sozialen Wohnungsbau auf. Setzen Sie das einmal ins Verhältnis zu dem, was der Bund jährlich für den sozialen Wohnungsbau leistet. Aber ein Ärgernis für die Betroffenen bleibt die von der CDU/CSU damals durchgesetzte Einwohnergrenze von 300 000. Betroffene können schlecht einsehen, daß Mieter mit hohen Mietvorteilen nur deshalb keine Abgabe leisten, weil sie in einer kleineren Stadt wohnen. Die kritische Würdigung der Erfahrungen aus drei Jahren Fehlbelegungsabgabe führt uns dazu, die Bundesregierung zu beauftragen, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der den Ländern nicht nur die Entscheidung überträgt, ob sie eine Fehlbelegungsabgabe einführen - das können sie zur Zeit schon -, sondern auch in welcher Weise sie diese Fehlbelegungsabgabe einführen. Unser Entschließungsantrag bleibt bei dem bundeseinheitlichen Rahmen und gibt den Ländern die Möglichkeit, zu entscheiden, wo und in welcher Weise sie eine Fehlbelegungsabgabe erheben wollen. In jedem Falle - das ist für uns der entscheidende Punkt - fällt die umstrittene Einwohnergrenze von 300 000 und damit zugleich auch die rechtlich problematische Abgrenzung der Wirtschaftsräume, die dazu gehören. Rechtsbereinigung ist von Zeit zu Zeit notwendig und findet auch unsere Zustimmung. Aber die Ablage von vergilbten Gesetzesseiten ist keine Antwort auf die Wohnungssorgen unserer Mieter und die Probleme der Wohnungswirtschaft. Für uns ist die Sicherung preiswerten Wohnens vorrangiges Ziel unserer Wohnungspolitik. Diesem Ziel kommen die beiden Gesetzentwürfe des Bundestages und des Bundesrates nicht näher. Die bei der Ausschußberatung erreichten Verbesserungen sind für uns nicht ausreichend. Unsere zukunftsweisenden Anträge haben Sie abgelehnt. Wir stimmen deshalb dem von Ihnen vorgelegten Wohnrechtsvereinfachungsgesetz und dem AFWoÄnderungsgesetz nicht zu. Wir werden uns vorbehalten, zum Thema preiswertes Wohnen für unsere Mitbürger geeignete Alternativvorschläge zur Diskussion zu stellen und öffentlich mit den Mietern und mit Vertretern der Wohnungswirtschaft zu diskutieren. ({8})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Kansy.

Dr. - Ing. Dietmar Kansy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen! Meine Herren! Der Wohnungsmarkt und die Bauwirtschaft - das hängt sehr eng zusammen - befinden sich, Herr Kollege Schmitt, zur Zeit tatsächlich in einer vielschichtigen Umbruchsituation. Kein Fachmann wird das bestreiten. Der gemeinsame Nenner aller anstehenden Probleme läßt sich jedoch einfacher beschreiben als mit den Ladenhütern, die Sie, Herr Kollege Schmitt, wieder hervorgezaubert haben. ({0}) Die Nachkriegszeit ist auch in diesem Bereich endgültig vorbei. Das Land ist wiederaufgebaut. Wir haben - im Weltmaßstab gesehen - eine hervorragende Infrastruktur. Die bittere Wohnungsnot nach Krieg und Vertreibung von 12 Millionen Menschen aus Ost- und Mitteldeutschland ist mehr als beseitigt. Wir haben mehr Wohnungen als Haushalte. Wohnfläche und Komfort unserer Wohnungen sind - auch international betrachtet - sehr hoch. Für uns Politiker, insbesondere wenn wir uns mit Wohnungsbau und Baufragen beschäftigen, stellt sich vor diesem Hintergrund natürlich die Frage: Hat sich der politische Handlungsbedarf in diesem Politikbereich erschöpft, und wenn nein, sind die Kompetenzen noch richtig angesiedelt, oder/und ist der Einsatz der öffentlichen Mittel noch treffsicher und gerechtfertigt? Meine Damen und Herren, die Novellierung von drei Gesetzen, die die Koalition heute einbringt, ist nur der Einstieg in eine generelle Diskussion, ein Einstieg jedoch, Herr Schmitt, der zur Sache kommt, ein Einstieg, meine Damen und Herren von der SPD, der sich den Problemen der Zeit stellt, kurzum: ein Einstieg, der sich von Ihrer Sprücheklopferei und der Rede von Herrn Schmitt eben wohltuend unterscheidet. ({1}) - Meine Damen und Herren, ich wundere mich über den Mut, die Ergebnisse Ihrer Wohnungsbaupolitik der letzten 13 Jahre, die jedermann in Betonburgen an Stadträndern, an nicht mehr bezahlbaren Sozialwohnungen, an leerstehenden Sozialwohnungen usw. besichtigen kann, hier auch noch als Modell für das nächste Jahrzehnt zu empfehlen. ({2}) Kostenwirksame Anträge haben Sie zuhauf gestellt, allein beim Wohngeld mit einem Volumen von 200 Millionen DM. Sie haben die Einkommensgrenzen wieder anheben wollen - wo heute schon dreimal so viele Leute das berühmte Papier haben, das sie berechtigt, eine Sozialwohnung zu bekommen, als wir Sozialwohnungen haben. Alles, alles Ihre alten Modelle, Herr Schmitt. Nichts Neues. Und wenn Sie hier Sozialneid schüren, indem Sie sagen, die Rückflüsse aus den Mieten der Sozialwohnungen sollten jetzt überwiegend den Leuten zugute kommen, die ein Eigenheim wollten: Meine Damen und Herren, 70 oder 80% und mehr der in Eigenheimen lebenden Menschen sind Arbeitnehmer, die mit ihren Steuergeldern das Geld aufbringen, mit dem wir auch Sozialwohnungen für Leute gebaut haben, die das mit eigenem Geld nicht können. Lassen Sie mich deswegen mit einigen Worten in unsere drei Gesetzentwürfe einführen. Da ist zunächst der Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Wohngeldgesetzes. Dazu wird im Rahmen dieser Debatte die Kollegin Rönsch detailliert Stellung nehmen. Die politische Zielsetzung ist für uns von grundsätzlicher Bedeutung. Die CDU/ CSU betrachtet, im Gegensatz zu Ihren Ausführungen, Herr Schmitt, das Wohnen weiterhin als einen elementaren Bestandteil des menschenwürdigen Daseins. Und Mitbürgern, deren Einkommen nicht ausreicht, eine angemessene Wohnung zu mieten oder zu kaufen, hilft die Gemeinschaft der Bürger durch ihre Steuergelder in einer Höhe, die in Ihren Zeiten noch nicht erreicht worden ist. 3,2 Milliarden DM - die Zahlen sind bekannt - werden künftig jährlich dafür zur Verfügung stehen, 900 Millionen DM mehr als gegenwärtig. ({3}) - Und wir entscheiden eben nicht, meine sehr verehrte Kollegin, über das Geld der Partei A oder der Partei B und auch nicht über das Geld des Ministers X oder des Ministers Y, wir entscheiden über das Geld von Steuerzahlern, die neben ihren Steuern auch noch ihr eigenes Wohnen zu finanzieren haben. ({4}) - Deswegen, Herr Waltemathe, verschlägt einem glatt die Sprache, was man neuerdings aus dem Bereich der SPD lesen kann. Da haben wir z. B. den Abgeordneten Gerhard Jahn. ({5}) Der ist in der vorzüglichen Situation, wie er es gerade braucht, wechselnd aufzutreten, mal als parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, mal, wenn es wieder in den Kram paßt, als Mieterbundpräsident. ({6}) Der hat also kürzlich in einem bekannten Nobelhotel in Norddeutschland folgendes erklärt - ich zitiere -: Nur 0,9 Milliarden DM mehr Wohngeld für die Armen, 25 Milliarden Steuervorteile für die Reichen. ({7}) Ich stelle mir, nachdem der kühne Fliegenträger aus Stuttgart auch noch Beifall geklatscht hat, die Frage, was man an dieser Angelegenheit eigentlich mehr bedauern muß, die Dummheit oder die Dreistigkeit dieser Aussage. Wahrscheinlich beides zusammen. Das kann man nur noch schlicht dummdreist nennen. Da werden z. B. die Milliardenkosten der Unterstützung von Millionen Häuslebauern über den § 7 b schamlos gegen Wohngeldempfänger ausgespielt, die eventuell sogar selber noch, wenn sie statt Wohngeld Lastenzuschuß bekommen, beide Vergünstigungen gleichzeitig in Anspruch nehmen. Meine Damen und Herren von der SPD, Sozialhetze steht ja heute bei Ihnen hoch im Kurs ({8}) in jeder Debatte. Ich habe den Verdacht: Nachdem Ihre Kriegsgefahrkampagnen der letzten Jahre glücklicherweise mangels Kriegsgefahr zusammengebrochen sind, versuchen Sie jetzt, auf diesem Bereich unnötig neue Unruhe zu schüren. ({9}) Ich fasse zusammen: Für die CDU/CSU ist dieser Gesetzentwurf also mehr als nur eine soziale Tat. Er ist das in Paragraphen gegossene Bekenntnis zur Subsidiarität, zum Vorrang der Eigenverantwortlichkeit, zur Treffsicherheit der eingesetzten Mitttel. ({10}) Der zweite Gesetzentwurf, meine Kollegen, den wir einbringen, ist ein Gesetzentwurf zur Vereinfachung wohnungsrechtlicher Vorschriften. In der ersten Lesung erklärte der Kollege Werner von der Fraktion DIE GRÜNEN dazu: Der Bundesbauminister nascht mit diesem Vereinfachungsgesetz an seinem eigenen Kuchen ({11}) - da denkt man automatisch an Ernie, nicht wahr an seinem Jahrhundertwerk, an seinem Baugesetzbuch. Da sitzt eine Partei im Deutschen Bundestag, alles besser wissend als die anderen Fraktionen zusammen, und kann noch nicht mal Bauplanungsrecht vom Wohnungsrecht unterscheiden. ({12}) „Simple Einfalt" kann man dazu nur sagen! Der Kollege Link wird für unsere Fraktion in dieser Debatte die einzelnen Anliegen erläutern. Die Zielrichtung ist klar. Das Recht des sozialen Wohnungsbaus ist unübersichtlich geworden. Eine ganze Reihe von Rechtsvorschriften werden nicht mehr angewendet oder bedürfen der Anpassung an die tatsächlichen Verhältnisse. Wir haben diesen Gesetzentwurf in langer Detailarbeit sorgfältig beraten. Wir haben viele Verbände dazu gehört. Das Ergebnis, Herr Minister: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt diesen Ihren Gesetzentwurf ausdrücklich als einen großen Schritt auf dem Weg zur Verwaltungsvereinfachung im Bau- und Wohnungsrecht, ({13}) aber nur als einen Schritt. Das Baugesetzbuch bleibt davon unberührt. Es ist und bleibt unser Wille, dieses Baugesetzbuch in dieser Wahlperiode zu verabschieden. ({14}) Wenn wir zur Zeit im Zeitplan intern etwas zurück sind, dann deswegen, weil die Bundesländer, unabhängig davon, ob rot oder schwarz regiert, Herr Conradi, einige Einwände gegen den Teil erhoben haben, der die Städtebauförderung betrifft. Da muß noch abgeglichen werden. Wir erwarten aber als CDU/CSU-Bundestagsfraktion von der Bundesregierung und von den Bundesländern, daß dies nicht dazu führt, das Baugesetzbuch zu verzögern oder gar in dieser Wahlperiode zu verhindern. ({15}) Wir gehen davon aus, daß das Baugesetzbuch nach wie vor das Bundesbaugesetz, das Städtebauförderungsgesetz und das Modernisierungs- und Energieeinsparungsgesetz aufhebt. Wir bekommen also eine Zusammenfassung des gesamten Bauplanungsrechts, Herr Kollege Werner von der Fraktion DIE GRÜNEN, in einem Gesetzeswerk. Um unkompetente Kommentatoren zu warnen: Wichtig ist hier das Wort Planungsrecht. Nicht alle Probleme, die Bauherren haben, nicht jede unnötige Verzögerung, nicht jeder überflüssige Paragraph sind im Kompetenzbereich des Bundes angesiedelt. Aber wenn Länder im Bauordnungsrecht, wenn Gemeinden bei der Gestaltung ihrer Satzungen und der Aufstellung ihrer Flächennutzungsund Bebauungspläne, wenn Aufsichtsbehörden, die diese Gemeinden beaufsichtigen, mit Augenmaß unsere Gesetze auslegen, wenn Verwaltungsrichter sich nicht mit Gesetzgebern oder Stadtplanern verwechseln, wenn Normgeber in den Verbänden Zurückhaltung üben, dann, meine ich, werden wir das angestrebte Ziel, möglichst viel Baufreiheit zu schaffen, tatsächlich erreichen. ({16}) Der dritte Gesetzentwurf, den wir heute beraten, ist vom Bundesrat eingebracht. Es ist der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Abbau der Fehlsubventionierung im Wohnungswesen und weiterer wohnungsrechtlicher Bestimmungen. Auch hier wird der Kollege Link im Detail erläutern, wo wir dem Bundesrat gefolgt sind, wo nicht, und wenn nicht, warum nicht. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, eine kurze, generelle Bemerkung an die Adresse der Bundesländer zu machen. Die Bundesländer haben einen Ad-hoc-Ausschuß „Abbau der Mischfinanzierung in der Wohnungs- und Städtebauförderung" eingesetzt, der seine Auffassungen zur Übertragung von Gesetzeskompetenzen auf die Länder kürzlich zu Papier gebracht hat. Auch hier gibt es interessanterweise keinen Unterschied zwischen CDU/CSU- und SPD-regierten Ländern. Ziel dieses Konzeptes ist es nach Aussage der Verfasser, die Eigenständigkeit und Eigenverantwortlichkeit der Länder zu stärken und Doppelverwaltung zu beseitigen. Als gute Föderalisten, die wir wohl alle sind, haben wir dafür sicherlich Verständnis. Aber schaut man sich den angestrebten Umfang an, dann müssen seitens des Deutschen Bundestages einige kräftige Fragezeichen gesetzt werden. Wenn, wie vorgeschlagen, das II. Wohnungsbaugesetz, das Wohnungsbindungsgesetz, das Modernisierungs- und Energieeinspargesetz, das wir ins Baugesetzbuch überführen wollen, das Gesetz zum Abbau der Fehlsubventionierung, die II. Berechnungsverordnung, die Neubaumietenverordnung, die Ablösungsverordnung und anderes mehr entfallen sollen, dann ist das meines Erachtens mehr als Abbau von Doppelverwaltung. Hier wird schlicht die Frage aufgeworfen, ob es künftig noch eine bundesweite Bestandspolitik geben soll oder nicht. Es stellt sich die Frage, ob es für den Bürger wirklich eine Vereinfachung ist, wenn wesentliche wohnungsbaupolitische Fragen in jedem Bundesland anders gehandhabt werden, wenn z. B. am nördlichen Stadtrand von Hamburg, der in Schleswig-Holstein liegt, etwas anderes gilt als am südlichen Stadtrand von Hamburg, der in Niedersachsen liegt, und in der Hansestadt selber etwas Drittes gilt. Lange Rede kurzer Sinn: Wir als Bundesparlament werden uns jedenfalls noch sehr massiv in diese Debatte einschalten müssen, bevor die Sache weitergeht. Zusammengefaßt: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt die von der Bundesregierung bzw. vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwürfe. Sie hat einige Änderungen vorgenommen, die diese Gesetzentwürfe nach unserer Meinung noch verbessern. Es ist sicher, Herr Minister Dr. Schneider, daß die Bundesregierung mit diesen Gesetzentwürfen auf dem richtigen Weg zu einer zeitnahen Wohnungsbaupolitik ist. ({17})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Weyel.

Gudrun Weyel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dies ist zwar eine etwas merkwürdige Debattenanordnung, aber das soll uns nicht stören. - Herr Kansy, Sie haben Kritik daran geübt, daß wir die Vorlagen der Bundesregierung nicht nur loben. ({0}) Nun, das Wohngeld ist nach dem Wohngeld- und Mietenbericht inzwischen ein wichtiger Bestandteil der sozialen Absicherung. Es wird in dem Bericht auch ausdrücklich als Teil der sozialen Leistungen der Solidargemeinschaft erwähnt. Das Wohngeld kann seine Aufgaben nach diesem Bericht auf Dauer aber nur dann erfüllen, wenn die Wohngeldempfänger - bei gleichbleibenden persönlichen Voraussetzungen - von einer gewissen Stetigkeit der gewährten Entlastung ausgehen können. Genau dies bezwecken die Anträge, die wir zum Wohngeldgesetz eingebracht haben. Sie haben von der Erhöhung des Wohngelds um insgesamt 900 Millionen DM mit großer Begeisterung gesprochen. Sie haben aber nicht erwähnt, daß Sie, seitdem Sie die Regierung stellen, das Wohngeld insgesamt zunächst einmal beträchtlich gekürzt haben. Die verschobenen Rentenerhöhungen, die heraufgesetzten Krankenversicherungsbeiträge der Rentner, das gesenkte Arbeitslosengeld, der Wegfall von BAföG, die Verminderung der Vergünstigungen für Schwerbehinderte haben bei vielen Gruppen der Bevölkerung, die auf das Wohngeld angewiesen sind, zu beträchtlichen finanziellen Einbußen geführt. ({1}) Das war auch der Grund, weshalb die SPD-Fraktion ein Wohngeldsicherungsgesetz eingebracht hatte, weil wir der Meinung waren, diese sehr verspätete Anpassung seit 1980, d. h. in einem Abstand von fünf Jahren, hat dazu geführt, daß beträchtliche Defizite in den Wohngeldleistungen für die Betroffenen aufgetreten sind. ({2}) Sie sprechen zunächst mal pauschal von der Gesamtsumme, ({3}) aber folgendes ist im Wohngeld- und Mietenbericht interessant: die Abnahme der Wohngeldleistung für Erwerbstätige um 12 %. Das heißt, genau die Gruppe von den Wohngeldempfängern, die Herr Kansy soeben als Steuerzahler angesprochen hat, hat u. a. dadurch beträchtlich abgenommen, daß die Freibeträge bei der Feststellung des Einkommens zu einem großen Teil gestrichen oder sehr gesenkt worden sind. Praktisch ist dieses Wohngeld nicht mehr eine Ergänzung für den wenig verdienenden Erwerbstätigen, sondern das Wohngeld wird nach und nach zu einem Instrument der Ergänzung sozialer Hilfen für Arbeitslose, denn da beträgt der Anstieg der Zahl der Wohngeldempfänger 17 %. Diese Zahl bezieht sich auf die vergangenen Jahre und nicht auf dieses Jahr. Das werden in diesem Jahr noch mehr. Ebenso verzeichnen wir bei den Sozialhilfeempfängern einen ziemlich starken Anstieg. Das bedeutet, daß gerade die Forderung, die im Wohngeld- und Mietenbericht noch einmal ausdrücklich erwähnt ist, nämlich die Stetigkeit der gewährten Entlastung auch für den Erwerbstätigen, aber wenig verdienenden, nicht mehr erfüllt wird, sondern mancher muß erst arbeitslos werden, um wieder in den Genuß von Wohngeld zu kommen. Nichtsdestoweniger wird die SPD-Fraktion trotz all der Mängel, die unserer Meinung nach diese Novellierung enthält, letztendlich dem Gesetz als Ganzem zustimmen; denn diese Anpassung des Wohngeldes ist mehr als überfällig, und deswegen kann man nicht dagegen stimmen. Die Einzelheiten dieses Gesetzes finden allerdings nicht unsere Zustimmung. ({4}) Wir haben in verschiedenen Bereichen Anträge gestellt, um Freibeträge bei der Ermittlung des Familieneinkommens wieder einzuführen. Da geht es einmal um die Alleinerziehenden, denen wir diese Freibeträge wieder ohne Einschränkung geben wollen. Man muß sich fragen, ob für einen Alleinerziehenden das Kind zwischen 12 und 16 Jahren vom Finanziellen her nicht sogar eine größere Belastung als das Kind unter 12 Jahren ist. Deswegen ist nicht zu verstehen, warum Sie für diese Altersgruppe von Kindern Alleinstehender den besonderen Freibetrag nicht gewähren wollen. ({5}) Wir möchten den Kinderfreibetrag wieder auf die alte Höhe angehoben. haben. Sie gehen immer davon aus, daß vor allem Familien mit Kindern geholfen werden soll. Das wollen wir auch, und zwar durch Anhebung des Freibetrages für Kinder, die in der Familie leben. Ebensó wollten wir den Schwerbehinderten durch eine geringfügige Anhebung helfen. Interessant ist auch die Diskussion um die Freibeträge für ältere Familienmitglieder, die in der Familie leben. Wir sind uns darüber einig, daß es für die älteren Menschen besser ist, in der Familie zu leben, als ins Heim abgeschoben zu werden. Aber wenn Sie schon so etwas tun, warum machen Sie das dann nicht komplett? Warum beschränken Sie das auf Verwandte in gerader Linie? Es ist schön, wenn eine Tochter ihre Mutter oder Großmutter pflegt, aber warum sollte eigentlich nicht auch der Nichte die Möglichkeit gegeben werden, ihre verwitwete alte Tante bei sich aufzunehmen und auch dieses dann bei der Berechnung der Freibeträge anerkannt zu bekommen? ({6}) Wo liegt da eigentlich der Unterschied? Wir haben das Gefühl, hier werden gleiche Tatbestände mit ungleichen Mitteln behandelt. Ebenso haben wir sehr bewußt danach verlangt, die Bagatellgrenze aufzuheben. Wenn jemand ein kleines Einkommen hat, dann sind auch zehn Mark im Monat und, zusammengefaßt z. B. für ein halbes Jahr, 60 Mark für ihn eine Menge Geld, mit dem er unter Umständen eine Anschaffung machen kann, die er sich aus seinem normalen Einkommen nicht leisten kann. Eine zentrale Forderung der Sozialdemokraten betrifft den Zeitpunkt des Inkrafttretens. Überall verbreiten Sie: am 1. 1. 1986 tritt dieses Wohngeldänderungsgesetz in Kraft. ({7}) - Richtig, nur erwecken Sie wie in vielen anderen Fällen bei den Betroffenen falsche Vorstellungen; denn derjenige, der zur Zeit Wohngeld empfängt, geht natürlich davon aus, daß am 1. 1. 1986 sein Wohngeld erhöht wird. Dies ist aber gar nicht der Fall. Wir halten das nicht für richtig. Die Anhörung der Sachverständigen und der Praktiker in den Städten hat deutlich ergeben, daß es technisch überhaupt kein Problem ist, zeitgerecht auch die derzeitigen Wohngeldempfänger einzubeziehen. Deswegen haben wir diesen Antrag auch noch einmal eingebracht. ({8}) - Ja, aber Sie täuschen doch die Bevölkerung, wenn Sie davon ausgehen, das Wohngeld wird um einen Betrag von 900 Millionen DM jährlich erhöht, aber für das Jahr 1986 sparen Sie erst einmal 200 Millionen DM oder wieviel Sie da geschätzt haben; das ist doch verkehrt. ({9}) Erst im Laufe der Zeit kommt das heraus. Man muß also die Leute beraten und deutlich sagen: Wenn ihr jetzt Anträge stellt, stellt sie bitte nicht für länger als sechs Monate, damit ihr nach dem 1. Januar einen neuen Antrag stellen könnt; das ist das Problem. ({10}) - Wir können ja klüger werden. ({11}) Sie reden so viel von Entbürokratisierung, aber hier, wo es um konkrete Schritte geht, haben Sie wieder nicht mitgezogen. Die Anhörung hat ergeben, daß alle Praktiker davon ausgehen, daß eine Verlängerung des Regelbewilligungszeitraumes eine nützliche Sache zur Verwaltungsvereinfachung wäre und bei den Gemeinden auch zur Kostensenkung führen würde. Wir wissen, daß ein großer Teil der Antragsteller - zur Zeit liegt er bei 54 % - Rentner und Pensionäre sind. Bei denen ist eine Änderung im Einkommen überhaupt nicht zu erwarten, es sei denn, daß Sie bei der nächsten Rentenanpassung plötzlich um 10 % erhöhen. Aber das steht nicht zu erwarten. Also frage ich Sie: Was hindert Sie daran, bei der Wohngeldbewilligung für diese Gruppe grundsätzlich auf zwei Jahre zu gehen? Dann sparen Sie eine Menge Verwaltung und eine Menge Verunsicherung der Leute, die sich fragen: Warum muß ich eigentlich schon wieder einen neuen Antrag stellen? ({12}) Über die Frage der Pauschalierung bei Sozialhilfeempfängern wird sich der Kollege Conradi noch einmal äußern. Wir haben es begrüßt, daß die Feststellung der Höchstbetragsgrenzen an Stelle der bisherigen Gemeindegrößenklassen das Mietniveau zugrundelegt. Wir hoffen, daß es zu einer gerechteren und praxisnäheren Anpassung kommt, müssen aber natürlich davon ausgehen, daß diese neue Einteilung sich zunächst einmal in der Praxis bewähren muß. Wir gehen davon aus, daß sich der nächste Mietenbericht sehr eingehend damit befaßt. Aus den Erfahrungen der sehr verspäteten Anpassung heraus halten wir es für nötig, daß regelmäßig sowohl die Beträge des Mietniveaus als auch die der Lohnentwicklung überprüft werden. Deshalb kommt unser Antrag, ins Gesetz hineinzuschreiben, daß diese Prüfung alle zwei Jahre erfolgt. Wir haben ja gesehen: ein längerer Zeitraum verschiebt hier die Verhältnisse. Löhne, Mieten und sonstige Lebenshaltungskosten verschieben sich nicht immer im gleichen Rhythmus, sondern haben eine sehr unterschiedliche Schwankung. Deswegen halten wir eine solche Anpassung für richtig. Es bleibt festzustellen, daß die Anträge, die die SPD-Fraktion im Ausschuß gestellt hat, im wesentlichen den Forderungen und Anregungen der gehörten Sachverständigen entsprechen. Von daher gesehen sind gar nicht irgendwelche absurden ideologischen Fragen angesprochen, sondern die Fragen, die sich aus der Praxis ergeben und deren Beantwortung von den Praktikern als notwendig erkannt wird. Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, haben heute noch einmal Gelegenheit, sich zu überlegen, ob nicht vielleicht doch der eine oder der andere unserer Anträge ganz sinnvoll ist und eigentlich Unterstützung verdient. ({13})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Grünbeck.

Josef Grünbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000737, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu Beginn der heutigen Debatte über das Wohnungsrechtsvereinfachungsgesetz 1984, das Gesetz über den Abbau der Fehlsubventionierung im Wohnungswesen, das Gesetz zur Änderung des Wohngeldgesetzes und den Wohngeld- und Mietenbericht 1985 der Bundesregierung muß man eines feststellen: Die Sitzungen im Ausschuß haben deutlich gezeigt, daß in der Wohnungspolitik im Augenblick auf der politischen Ebene sehr schwer Entscheidungen zu treffen sind, weil uns zuverlässige Daten fehlen. ({0}) Ich habe in der Fachwelt allseits volle Zustimmung und Unterstützung bei der Forderung an die Rechts- und Innenpolitiker dieses Hohen Hauses erhalten, die Volkszählung nicht auf die lange Bank zu schieben, denn gerade in der Wohnungswirtschaft werden Milliarden D-Mark verplant und disponiert, ohne daß eine absolute Treffsicherheit gewährleistet ist, weil uns einfach die zuverlässigen Daten fehlen. ({1}) Wir alle sind uns darüber im klaren, daß gerade in der Wohnungspolitik entscheidende Strukturveränderungen anstehen oder schon eingetreten sind, und gerade deshalb ist es notwendig, daß wir durch zuverlässiges Datenmaterial entsprechende Arbeits- und Entscheidungsgrundlagen erhalten. ({2}) Ich darf das wiederholen, was ich bei der ersten Lesung und im Ausschuß zu den heute zu beratenden Gesetzesvorlagen erklärt habe: Die Wohnungspolitik der Nachkriegszeit ist zu Ende. Es müssen neue Perspektiven nicht nur für den Neubau, sondern auch für die Bestandspflege, insbesondere für die Modernisierung und die Sanierung, gefunden werden. Die FDP drängt darauf, daß künftig in der öffentlichen Diskussion und natürlich auch in der Gesetzgebung das Thema „Wohnungsbau als solcher" und das Thema „Wohnungssozialpolitik" getrennt behandelt werden. Wer gezielt Mittel einsetzen will und Erfolge erwartet, der muß die Objektförderung neu betrachten. Die Wohnungseigentumsförderung - ganz gleich, ob bei Eigenheim oder bei Eigentumswohnung - hat für uns nach wie vor hohe Priorität, zumal der Markt noch einen erheblichen Bedarf aufweist. Beim sozialen Mietwohnungsbau gibt es nur noch in Ballungsräumen Versorgungslücken, die auf regionaler Entscheidungsebene geschlossen werden sollen. Deshalb war die Bundesregierung richtig beraten, die Kompetenzen und die Mittel für den sozialen Mietwohnungsbau den Ländern zu übertragen. ({3}) - Es war richtig, die Mittel zu übertragen! In diesem Zusammenhang verweise ich nochmals auf unsere Forderung nach einer Liberalisierung, eine Forderung, die ja durch den Sachverständigenrat eindeutig belegt wurde. ({4}) Ich darf die wichtigste Passage aus dem Gutachten nochmals zitieren: Während die Marktmiete inflationsbedingt steigt, bleibt die Kostenmiete - ausschließlich Instandhaltungskosten und Bewirtschaftungskosten - nominal konstant. Für den Neubau ergibt das Berechnungsverfahren hohe Kostenmieten, die in den ersten Jahren teilweise an das Dreifache der Marktmiete heranreichen. Die Wohnungen können nur dann an Sozialmieter vermietet werden, wenn die sogenannte Kostenmiete durch entsprechende Subventionen verbilligt wird. Hierfür gewährleistete Aufwendungsbeihilfen reichen oft nicht einmal aus, die Kostenmiete zu halten. Insbesondere bei älteren Beständen zeigt sich, daß die Kostenmieten deutlich hinter den Marktmieten zurückgeblieben sind. Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies erfordert, daß wir die richtigen Perspektiven für eine Weiterentwicklung in der sozialen Mietwohnungspolitik aufzeigen. Wenn man sich dabei überlegt, daß etwa 50 Milliarden DM an öffentlichen Mitteln im sozialen Mietwohnungsbau ausgeliehen sind und daß bei einer vorzeitigen Rückzahlung beispielsweise von nur 5% pro Jahr eine erhebliche Finanzmasse zur Verfügung stehen würde, dann könnte man die Leistungen des Wohngeldgesetzes verstärken und zielgerecht den wirklich sozial Bedürftigen helfen und die Veranstaltung des Gießkannenprinzips bei den Subventionen im sozialen Mietwohnungsbau beenden. ({5}) Es ergibt gerade auch in der gemeinnützigen Wohnungsbauwirtschaft Überlegungen, durchaus marktgerechte und unternehmerische Konzepte zu entwickeln, wenn wir ihnen die entsprechenden Rahmenbedingungen vorgeben. Diese Chance zu mehr Marktwirtschaft in der Wohnungswirtschaft sollten wir nutzen. Zu den vorliegenden Gesetzen im einzelnen darf ich namens der FDP-Fraktion noch einige Bemerkungen machen. Wir begrüßen natürlich das Wohnungsrechtsvereinfachungsgesetz, zumal die Zielrichtung unseren liberalen Vorstellungen entspricht. Es werden Rechtsvorschriften durch die Aufhebung der gesetzlichen Bindungen bei Eigenheimen vereinfacht, wenn die öffentlichen Mittel zurückgegeben sind. Meine Damen und Herren, man muß sich heute doch einmal fragen, warum sozialdemokratischen Wohnungsbauministern nicht früher diese Idee gekommen ist. Das kann meines Erachtens nur durch ideologisch verklemmte Einstellung zum Eigentum selbst erklärt werden. Wenn ein Bürger unseres Landes sein Eigenheim bezahlt hat und dann dennoch über sein Eigentum nicht verfügen kann, so ist das für Liberale nur schwer verständlich. Wir begrüßen die Absicht der Bundesregierung, weitere Vorschriften abzuschaffen und zu vereinfachen. Wann immer von Entbürokratisierung in diesem Hohen Hause die Rede ist, ist die Unterstützung der FDP-Fraktion sichergestellt. ({6}) - Seien Sie nicht so ungeduldig; ich komme noch dazu. Ich möchte Ihre Ausführungen, Herr Dr. Kansy, zum Baurecht ausdrücklich unterstreichen und begrüßen. Ich hätte nur die Bitte - und richte den Appell auch an die freie Wirtschaft -, beim Ausbau bürokratischer Instrumente etwas Zurückhaltung zu üben. Meine Damen und Herren, ich habe dieser Tage den DIN-Bericht 1984 bekommen. Wenn Sie einmal genau nachlesen, was da an neuen Vorschriften entstanden ist - und das ist ja ein Selbstverwaltungsorgan der deutschen Wirtschaft -, ({7}) dann sehen Sie, daß im Augenblick für das Baurecht etwa 1 600 DIN-Vorschriften gelten, 250 Vorschriften für einen Tante-Emma-Laden und 460 DIN-Vorschriften für einen Heizungs- und Sanitär-installateur. Wenn ich das so sehe, dann möchte ich manchmal die Wirtschaft bitten, sich nicht über die Bürokratie zu beklagen, sondern auch selbst einmal zur Entbürokratisierung Beiträge zu leisten. ({8}) Bei den Überlegungen zur weiteren Vereinfachung von gesetzlichen Vorschriften unter Berücksichtigung des Strukturwandels in der Wohnungswirtschaft möchte ich noch einmal die Möglichkeit der Umwandlung von Mietwohnungen in Wohnungseigentum erwähnen. Es zeigt sich, daß es immer mehr Mieter gibt, die an einer solchen Umwandlung interessiert sind, weil sie sich in der jetzigen Wohnung wohlfühlen und sich, sobald sie Eigentümer geworden sind, noch wohler fühlen. Das sollte uns eigentlich ermuntern, der Umwandlung das Wort zu reden. Dabei legen wir Freien Demokraten allerdings auch Wert darauf, daß die Entscheidungsfreiheit des Vermieters und des Mieters erhalten bleibt. Wir sollten auch die gesellschaftspolitische Bedeutung der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen nicht übersehen. Es hat sich bei sorgfältiger Handhabung gezeigt, daß es zu einer gesunden Mischung der Bestände kommt, wobei insbesondere Monostrukturen und Gettos vermieden werden können. Die FDP-Fraktion wird schließlich auch dem Gesetz zum Abbau von Fehlsubventionen im Wohnungswesen zustimmen, wobei wir es insbesondere begrüßen, daß eine alte FDP-Forderung erfüllt wird und in diesem Bereich mehr Kompetenzen an die Länder gehen. Herr Kollege Schmitt, Sie haben heute beklagt, daß die Fehlbelegungsabgabe für bestimmte Einkommenschichten zu hoch sei. Da muß ich Ihnen natürlich die Frage stellen: Mit welchem Recht haben wir eigentlich mit höchsten Subventionen den sozialen Mietwohnungsbau mit der Zielsetzung gefördert, sozial Schwachen einen angemessenen Wohnraum zu verschaffen, wenn sehr gut verdienende Leute in diesen Wohnungen geblieben sind, obwohl sich ihre Einkommensverhältnisse heute verdoppelt und zum Teil vervielfacht haben. Ich bin der Meinung, gerade die SPD muß, wenn sie die soziale Gerechtigkeit glaubwürdig vertreten will, die Höhe der Fehlbelegungsabgabe rechtfertigen.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmitt ({0}).

Josef Grünbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000737, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wenn Sie mir das nicht auf die Redezeit anrechnen, Herr Präsident.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Nein, das rechne ich Ihnen nicht an. - Bitte sehr.

Rudi Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002032, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Grünbeck, haben Sie nicht zur Kenntnis genommen, daß ich gesagt habe: Wir Sozialdemokraten sind für den Abbau von ungerechtfertigten Mietvorteilen und haben uns aus diesem Grunde seinerzeit für die Fehlbelegungsabgabe ausgesprochen, daß ich also nicht etwa das gesagt habe, was Sie hier zitieren?

Josef Grünbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000737, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe sehr gut zugehört, wie ich das bei Ihnen generell tue, Herr Kollege. ({0}) Sie haben nahezu wörtlich erklärt, daß 2 DM Fehlbelegungsabgabe bei den heutigen Einkommensgrenzen, die Sie für zu niedrig halten, schon zuviel wären. Ich bin der Auffassung - darauf komme ich noch zu sprechen -, daß die Einkommensgrenzen schon hoch genug sind, denn es nützt uns überhaupt nichts, wenn wir die Einkommensgrenzen, wie es auch mein bayerischer Landesvater wollte, wesentlich erhöhen, dadurch die Zahl der Anspruchsberechtigten erhöhen, ihnen aber nicht mehr Mietwohnungen preiswert zur Verfügung stellen können. Das widerspricht sich doch selbst.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmitt?

Josef Grünbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000737, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Immer unter der Voraussetzung, daß das nicht auf die Redezeit angerechnet wird.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Diese Voraussetzung ist immer gesichert.

Rudi Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002032, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Grünbeck, würden Sie noch einmal zur Kenntnis nehmen, daß ich die Treffsicherheit der Fehlbelegungsabgabe gerade damit begründet habe, daß zwei Drittel der Abgabepflichtigen die Einkommensgrenzen um 50 % überschreiten und insofern zu Recht eine solche Abgabe leisten? ({0})

Josef Grünbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000737, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bin Ihnen für diese Ergänzung dankbar. Ich wage aber zu bezweifeln, daß die Beibehaltung der Einwohnergrenze von 300 000 - darüber bin ich mit Ihnen auch einig - richtig ist. Ich weiß nicht, ob wir bei dieser formalen Grenze bleiben sollen. Wir stimmen überhaupt nur deshalb zu, weil dies wenigstens eine Einschränkung hinsichtlich einer Ausweitung der Fehlbelegungsabgabe ist. Meine Damen und Herren, insgesamt sollten wir uns in unserem Ausschuß und hier im Hohen Hause einig sein, daß die Fehlbelegungsabgabe das Problem nicht löst, sondern daß - auf die Dauer gesehen - nur eine Liberalisierung eine wirklich marktgerechte und sozial gerechte Lösung sein wird. Wir sollten hier nicht Gesetze beschließen, die zu Rechtsstreitigkeiten führen, wie sie jetzt im Falle Köln/Bonn gegeben sind. Wir sind auch sehr zufrieden damit, daß die Einkommensgrenzen nicht weiter angehoben wurden, weil sonst der Kreis der Anspruchsberechtigten erweitert worden wäre. Dies veranlaßt mich, noch hinzuzufügen, daß wir auch dann nicht weit auseinander sind, wenn ich sage, daß wir auch das Problem noch einmal prüfen müssen, ob die rückfließenden Beträge nicht für die Modernisierung und die Sanierung verwendet werden könnten, zumal dies natürlich auch ein Beitrag zur Aufrechterhaltung unserer städtebaulichen Substanz, insbesondere in den Altbaugebieten, wäre. Das unter Punkt 2 c der Tagesordnung aufgeführte Gesetz ist das Sechste Gesetz zur Änderung des Wohngeldgesetzes. Meine Damen und Herren, ich wiederhole es noch einmal: Das Wohngeld erweist sich immer mehr als ein Instrument der sozialen Abfederung, das man gezielt für die wirklich Bedürftigen einsetzen kann. Ich habe jetzt eigentlich eine gute Antwort auf Ihre Argumente - so steht es in meiner Rede -: Im Sinne einer wohlverstandenen sozialen Familienpolitik ordnen wir der Weiterentwicklung des Wohngeldes eine große Bedeutung zu. ({0}) Die Anhebung der Gesamtmittel durch die Bundesregierung ist in Anbetracht der Bemühungen um die Haushaltskonsolidierung beachtlich. Man muß einfach darauf hinweisen, daß die jetzige Bundesregierung bei einer niedrigen Inflationsrate von knapp über 2 % den Wohngeldempfängern und damit den Mietern mehr hilft, als es je ein sozialdemokratischer Wohnungsbauminister bei einer Inflationsrate von 7 oder 8 % und Wohngeldsteigerungen auf einem wesentlich niedrigeren Niveau getan hat. Das muß man doch in einen unmittelbaren Zusammenhang bringen. ({1}) Allerdings wiederholen wir Freien Demokraten die Forderung nach einer Entbürokratisierung durch die Pauschalierung der Wohngeldleistungen insbesondere bei den Sozialhilfeempfängern. Meine Damen und Herren, wir haben 1,2 Millionen Sozialhilfeempfänger, von denen kaum jemand die schwierigen Berechnungsmethoden für das Wohngeld kennt. Sie sind völlig auf die Beamten angewiesen, bei denen sie um Hilfe vorsprechen. Wenn wir die Akzeptanz des Bürgers, was die Weiterentwicklung unserer Demokratie angeht, anstreben, dann dürfen wir einfach keine Gelegenheit auslassen, um hier Regelungen zu treffen, die der Bürger auch versteht und bei denen er seine eigenen Ansprüche überprüfen kann. Den Beamten bei den Wohnungsämtern würden wir Hilfe leisten, wenn wir ihre Arbeit durch die Pauschalierung des Wohngeldes bei den Sozialhilfeempfängern erleichtern und ihnen damit auch den Umgang mit den Bürgern freundlicher gestalten. ({2}) Wir reden viel über Entbürokratisierung. Dies verpflichtet uns auch, bei jeder sich bietenden Gelegenheit in Sachen Entbürokratisierung zu handeln. ({3}) Wir werden der Beschlußempfehlung zustimmen, und zwar mit der ausdrücklichen Bitte, die Pauschalierung auch noch mit einzubeziehen und zu überprüfen.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müntefering?

Franz Müntefering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001570, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Kann ich nach Ihrem glühenden Bekenntnis zu der Neuregelung für die wohngeldberechtigten Sozialhilfeempfänger davon ausgehen, daß Sie gleich in der zweiten Lesung unserem Antrag zustimmen, der genau dieses zum Ziel hat?

Josef Grünbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000737, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Müntefering, Sie wissen ganz genau, daß ich mich in der Ausschußsitzung bei Ihrem Antrag der Stimme enthalten habe. Bei dem Entschließungsantrag der Union habe ich mit dem ausdrücklichen Vermerk zugestimmt, daß wir auch die Pauschalierung in den Prüfungsauftrag mit aufnehmen. ({0}) Mir wäre Ihr scheinheiliger Antrag nicht wert, das gute Verhältnis mit der CDU/CSU zu trüben. ({1}) Zum Wohngeld- und Mietenbericht 1985 der Bundesregierung darf man noch folgendes feststellen: Erstens. Es zeigt sich immer deutlicher - ich muß das wiederholen -, daß das Wohngeld nicht nur das flexiblere Instrument zur sozialen Abfederung der Bedürftigen ist, sondern daß es auch eine kräftige und viel bessere Hilfe ist als alle Gießkannenprogramme im sozialen Mietwohnungsbau, die dann durch allerlei Instrumente - ob Fehlbelegungsabgabe, Nachsubvention oder Kappungsmanöver - wieder korrigiert werden müssen. Zweitens. Der Wohngeldbericht weist deutlich aus, daß breite Schichten der Bevölkerung, insbesondere der sozial schwächeren Bevölkerung, eine wirksame Hilfe erhalten. Insgesamt sind die Wohngeldausgaben von Bund und Ländern auf etwa 2,5 Milliarden DM gestiegen; sie werden vorwiegend von Mieterhaushalten in Anspruch genommen. Nur 1 % aller Mittel werden von Eigentümerhaushalten in Anspruch genommen. Drittens. Ab 1986 stehen nunmehr zusätzlich 900 Millionen DM für das Wohngeld zur Verfügung. ({2}) Damit steigt das Gesamtaufkommen auf weit über 3 Milliarden DM. Wenn man dazu die jetzigen Inflationsraten und die früheren Inflationsraten berücksichtigt, dann darf man noch einmal auf die großartigen Leistungen dieser Bundesregierung hinweisen. ({3}) Viertens. Es ist für uns erfreulich, feststellen zu können, daß sich im Berichtszeitraum 1983/84 der Mietanstieg deutlich verlangsamt hat. 1983 waren es im Bundesdurchschnitt noch 5,4 %; 1984 sind es noch 3,8 % Mietsteigerungsrate. Auch bei den Altbauwohnungen gingen die Mietsteigerungen im Berichtszeitraum von 6,2 auf 4,5% zurück. ({4}) Die geringsten Steigerungen sind im frei finanzierten Wohnungsbau zu verzeichnen. Nach den neuesten Daten werden sie dort nur noch mit 2,5% ausgewiesen, was im Grunde genommen nichts anderes als einen angemessenen Inflationsausgleich bedeutet. Meine Damen und Herren, es müßten sich eigentlich alle Politiker beschämt zurückziehen, die über Wochen und Monate unsere vielen Bürger verängstigt und verunsichert haben. Ich frage mich: Was sind das eigentlich für Sozialpolitiker, die mit dem Instrument der Angst - auch unter Inkaufnahme von Unwahrheiten - die Bürger unseres Landes verunsichern? Wir Freien Demokraten werden diesen politischen Fehlleistungen entschlossen entgegentreten und keine Gelegenheit auslassen, unsere Bürger auf diese Entwicklungen hinzuweisen. ({5}) Abschließend darf ich noch einmal im Namen der FDP-Fraktion unsere Zustimmung zu den vorliegenden Gesetzen signalisieren. Ich darf aber auch noch einmal mit aller Deutlichkeit wiederholen: Erstens. Die Volkszählung brauchen wir dringend. Zweitens. Die Instrumente der Liberalisierung -

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist jetzt abgelaufen. Ich bitte um Nachsicht; ich bitte zum Schluß zu kommen.

Josef Grünbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000737, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Gestatten Sie noch einen Satz, Herr Präsident.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Bitte sehr.

Josef Grünbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000737, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Zweitens. Die Instrumente der Liberalisierung sind am ehesten geeignet, marktwirtschaftliche und sozial gerechte Entwicklungen in die Wege zu leiten. Für das Wohneigentum besteht nach wie vor Bedarf. Die Entbürokratisierung aller Instrumente in der Wohnungspolitik muß auf der Tagesordnung bleiben. Herr Bundesminister, wir sichern Ihnen in allen Belangen der Wohnungspolitik unsere volle Unterstützung zu. ({0})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Rönsch.

Hannelore Rönsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001870, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Herren! Meine Damen! Es ist für uns schon ganz erstaunlich, mit welch stolzgeschwellter Brust die SPD hier ihre Leistungen im Mietwohnungsbau darstellt. Mittlerweile ist doch selbst dem letzten klargeworden, daß das alles nur Potemkinsche Dörfer waren, die in den 70er Jahren gebaut worden sind und bei denen jetzt die Fassaden abbröckeln. Der Kollege aus Wiesbaden, der in seiner Amtszeit als Oberbürgermeister dort ({0}) ebenfalls solche Siedlungen gebaut hat, weiß ganz genau, wovon ich spreche. Jetzt müssen wir mit Städtebauförderungsmitteln und mit Sanierungsmitteln wieder all das reparieren, was in dieser Zeit passiert ist. ({1}) Frau Kollegin Weyel, Sie sind natürlich in der Kontinuität der Opposition geblieben, haben auch hier wieder kostenwirksame Anträge eingebracht und haben sich wieder in einer Schwarzmalerei ergangen, die Ihnen, meine Herren und Damen von der Opposition, eigentlich nicht zusteht. Wer 13 Jahre lang rote Zahlen gemalt hat, der darf natürlich hier solche Töne nicht anschlagen. ({2}) Sie selbst haben den Bürgern permanent schleichend in die Tasche gegriffen und schreien jetzt in einer Tour laut „Haltet den Dieb!". So macht man keine Politik. ({3}) Ich will Ihnen sagen, was wir tun werden, wobei wir mit großer Zufriedenheit feststellen können, daß dem Bürger geholfen wird. Wir werden heute die sechste Wohngeldnovelle abschließend beraten. Wir sind stolz darauf, daß es uns gelungen ist, diese Wohngeldnovelle zu fabrizieren, da es doch gar nicht so einfach war bei der Schuldenlast, die Sie uns hinterlassen haben. ({4}) - Wir werden, Frau Kollegin Weyel, keine Schulden machen, weil wir Ihre kostenträchtigen Anträge ablehnen werden. ({5}) Die CDU/CSU-Fraktion betrachtet das Wohngeld als eine der wichtigsten Komponenten der Wohnungspolitik. Jedem wird durch die Zahlung von Wohngeld ermöglicht, die für ihn angemessene Wohnung zu finden. Das Wohngeld ist treffsicher, flexibel, und das Problem der sogenannten Fehlbelegung gibt es beim Wohngeld nicht. Auch die Fami10784 lien mit geringem Einkommen können sich frei auf dem Wohnungsmarkt umsehen und ihrer Familiengröße entsprechend Wohnraum anmieten. ({6}) - Frau Kollegin Weyel, wir haben lange im Ausschuß darüber beraten und auch unsere Argumente vorgetragen. Wir sind sicher, daß mit dieser Wohngeldnovelle, nach der das Wohngeld ein Ausmaß annimmt, das Sie in Ihrer Amtszeit nie erreicht haben, dem Mieter die Möglichkeit gegeben wird, sich frei auf dem Wohnungsmarkt umzusehen. ({7}) 3,2 Milliarden DM stehen jetzt für Wohngeldzahlungen zur Verfügung. Herr Conradi, haben Sie jemals eine solche Zahl im Haushalt während Ihrer Regierungszeit gehabt? - Nie! ({8}) - Ich verstehe durchaus Ihre Aufregung. Es ist sehr aufregend, wenn der Mieter soviel Wohngeld bekommt. ({9})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Conradi?

Hannelore Rönsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001870, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Bitte sehr.

Peter Conradi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000335, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin Rönsch, erinnern Sie sich daran, daß Sie bei der fünften Wohngeldnovelle erst einmal den Wohngeldempfängern 100 Millionen DM gekürzt haben?

Hannelore Rönsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001870, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Conradi, unser Erinnerungsvermögen ist ausgezeichnet. Wir erinnern uns natürlich auch noch daran, was wir an Haushaltsschulden übernommen haben, als wir im Herbst 1982 die Regierung antraten. ({0}) Deshalb mußten wir das tun. ({1}) Wie in allen anderen Bereichen ist das natürlich der Opposition nicht genug, was wir machen. Das sehen wir gerade hier wieder. Da soll z. B. der Regelbewilligungszeitraum auf 24 Monate ausgedehnt werden; Kosten: 70 Millionen DM. ({2}) - Der Regelbewilligungszeitraum, Frau Kollegin Weyel. - Die laufenden Bewilligungen sollen zum 1. Januar 1986 automatisch auf die neue Rechtslage umgestellt werden; Kosten: „nur" 200 Millionen DM. ({3}) Die Bagatellgrenze von derzeit 20 DM soll gestrichen werden; Kosten: 15 Millionen DM. Der von einigen Bundesländern zur Senkung der Miete gezahlte Härteausgleich soll ausgeklammert werden; Kosten: 6 bis 9 Millionen DM. Dieser Forderungskatalog - das wissen Sie, meine Herren und Damen von der Opposition am besten - könnte beliebig fortgesetzt werden. Mehrkosten im Rahmen von 300 Millionen DM sind im Nu zu erreichen. Es ist verständlich, daß außerhalb jeder Verantwortung gefordert werden kann. Das ist das gute Recht der Opposition. ({4}) Nur: Diese Opposition sollte sich noch an ihre „Erfolge" - bemerken Sie bitte die Gänsefüßchen - der Regierungs- und Schuldenpolitik der letzten 13 Jahre erinnern. Die SPD hat sich in der Zwischenzeit an den Umgang mit den roten Zahlen gewöhnt wie ein Süchtiger an Rauschgift. Sie versucht nun, auch unsere Bundesregierung mit diesen Forderungen auf den alten unheilvollen Weg der immer höheren Verschuldung zu treiben und die Sucht der Oppositionsfraktion auf uns zu übertragen. Sie können versichert sein: Wir werden uns als resistent dagegen erweisen.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Menzel?

Hannelore Rönsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001870, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Menzel, bitte schön.

Heinz Menzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001475, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin Rönsch, sind Sie sich darüber im klaren, daß diese Anträge nur einen Bruchteil von dem ausmachen, was Sie als Zwangsanleihe an die Hochverdienenden zurückgezahlt haben?

Hannelore Rönsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001870, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Menzel, ich gehöre auch noch einem anderen Ausschuß an und erlebe auch da permanent die Flut der kostenträchtigen Anträge. Es sollte doch die höchste Aufgabe der Volksvertreter und der Politik im allgemeinen sein, Schulden zu vermeiden. Wir verstehen uns darin, daß wir Schulden vermeiden wollen. Wir werden diese Anträge wie auch die Anträge in den anderen Ausschüssen ablehnen, weil bei uns die Konsolidierung Priorität hat. ({0}) Schließlich hat die SPD-Fraktion noch beantragt, daß den Empfängern von Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz das Wohngeld nach Pauschalbeträgen gewährt wird. ({1}) - Sehr vernünftig. - Dieser Wunsch resultiert aus einem Bundesverfassungsgerichtsurteil, Herr Kollege Schmitt, aus dem Jahre 1969; durch das sollten die Sozialhilfeempfänger Anspruch auf Wohngeld haben. Bei der dritten und der vierten Wohngeldnovelle 1973 und 1977 - man höre sich nur einmal die Jahreszahlen an! - sind entsprechende Lösungsversuche an dem vereinten Widerstand der Ministerien Jugend, Familie und Gesundheit, Inneres und Finanzen sowie der kommunalen Spitzenverbände gescheitert. Und wer hatte damals die Regierungsverantwortung? Die ehemalige Regierung sowie Ihre Fraktion hätten also in der Vergangenheit genug Zeit gehabt, hier ein Lösungsmodell zu erarbeiten. Passiert ist überhaupt nichts. Jetzt versuchen Sie, sich mit Ihrem Antrag über die Probleme, die bestehen, hinwegzumogeln. Auch wir sind der Meinung, daß die Gewährung von Wohngeld an Sozialhilfeempfänger in der derzeitigen Form für die Verwaltung und natürlich vor allem für den Anspruchsberechtigten unbefriedigend ist. Auch wir betrachten eine Gesetzesänderung als unbedingt notwendig. Wir hätten es begrüßt, wenn es in den vergangenen 13 Jahren auch hier schon eine Lösung gegeben hätte. Wir werden deshalb das von der SPD in 13 Jahren nicht bewältigte Problem der Wohngeldzahlung in Angriff nehmen. Wir haben unsere Bundesregierung aufgefordert, bis zum 30. Juni 1986 einen Gesetzentwurf vorzulegen, der Regelungen für ein vereinfachtes Verfahren bei der Zahlung von Wohngeld an Sozialhilfeempfänger enthält. ({2}) - Ja, aber Sie haben Ihre Regierung nie unter Druck gesetzt. Wir tun das mit unserer. ({3}) Es sollen dabei Lösungsmöglichkeiten im Rahmen des Bundessozialhilfegesetzes und des Bundesversorgungsgesetzes bedacht werden. Wir wollen zum jetzigen Zeitpunkt allerdings davon absehen, selbst Regelungen vorzuschlagen, damit das Inkrafttreten der Wohngeldnovelle am 1. Januar 1986 nicht in Frage gestellt wird. Wir wollen für den einzelnen Haushalt spürbare Verbesserungen der Wohngeldleistungen erreichen und sicherstellen, daß familiengerechtes Wohnen auch finanzierbar bleibt. Wir setzen deshalb folgende Schwerpunkte. Die Höchstbeträge für die beim Wohngeld berücksichtigungsfähige Miete bzw. Belastung werden durchschnittlich um 20 % erhöht.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mann?

Hannelore Rönsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001870, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich.

Norbert Mann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001417, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Kollegin, ich finde es sehr richtig, daß Sie die Probleme auch auf größere Zeiträume, auf 13 Jahre bezogen behandeln. Aber ich möchte als wohnungspolitischer Laie doch -

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Bitte, Herr Abgeordneter, eine Frage stellen.

Norbert Mann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001417, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- - eine Frage stellen, Herr Präsident. Meinen Sie nicht, daß, wenn Sie davon sprechen, daß das Schuldenmachen nicht richtig sei, es richtig wäre, bei den Mieten und bei dem Problem anzusetzen, daß Wohnung und Grund und Boden keine Ware sind wie jede andere? Meinen Sie nicht, daß da der Kern des Problems liegt und daß das nicht dadurch zu lösen ist, hier nur an dem Symptom Wohngeld zu arbeiten? ({0})

Hannelore Rönsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001870, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Mir ist das Stichwort schon gegeben worden. Ich hätte es leider auch gebraucht. Da wir bei der wohnungspolitischen Brisanz von den GRÜNEN bisher eigentlich wenig gehört haben: Vielleicht hören Sie einmal gemeinsam ein bißchen in die Materie hinein. Wir haben auch bei Beratungen an anderer Stelle relativ wenig über Ihre Zielvorstellungen gehört. Was kam, war ausgesprochen utopisch, und das konnte einen eigentlich nur so ein bißchen zum Schmunzeln verleiten. Was wir mit dem Wohngeld wollen - fragen Sie doch einmal Ihren Kollegen, der ab und zu in den Ausschußberatungen anwesend ist! -, ist, sicherzustellen, daß sich auf dem Wohnungsmarkt jeder nach einer seiner Familiengröße angemessene Wohnung umsehen kann. ({0}) - Die Mieten - auch für dieses Stichwort bin ich dankbar. Sie haben j a sicher auch in den Wohngeld- und Mietenbericht wenigstens einmal hineingeschnuppert. ({1}) - Man müßte es doch annehmen. Als Laie auf diesem Gebiet sieht man doch als Abgeordneter auch einmal da hinein. Sehen Sie sich einmal die dort beschriebene Mietenentwicklung an! Sie ist ausgesprochen erfreulich. An dieser Stelle bedaure ich wieder einmal, daß der Herr Kollege Jahn nicht da ist. Den könnten Sie als Mieterbundpräsident vielleicht einmal danach fragen. Er will es zwar nicht so richtig wahrhaben, aber er müßte die Zahlen, die veröffentlicht sind, ja nun bestätigen. Meine Herren, meine Damen, jetzt möchte ich doch noch einmal darauf zurückkommen, wo wir die Prioritäten setzen. Auch die Einkommensgrenzen werden um mehr als 20 % angehoben, damit auch der Vier-Personen-Haushalt mit einem Bruttoeinkommen von monatlich über 4 000 DM noch Wohngeld beziehen kann. Wie im Wohngeld- und Mietenbericht 1983 gefordert, werden die zuschußfähigen Höchstbeträge für Mieten und Belastungen nicht mehr nach Gemeindegröße-Klassen, sondern nach dem regionalen Mietenniveau gestaffelt. Die alte Regierung hatte insbesondere die Mieter solcher kleinen Gemeinden benachteiligt, deren Mietenniveau durch angrenzende Ballungszentren beeinflußt wird. Durch die Zuordnung der einzelnen Gemeinden in eine der fünf Mietenniveau-Klassen wird daher die Treffsicherheit von Wohngeldzahlungen für den einzelnen Mieter wesentlich gesteigert. Von ganz besonderer Bedeutung ist für uns die Einführung des neuen Familienfreibetrages. Danach wird bei der Ermittlung des Jahreseinkommens von Familienmitgliedern, die das 62. Lebensjahr vollendet haben, ein Freibetrag von 2 400 DM gewährt, solange sie mit Verwandten oder Verschwägerten in gerader absteigender Linie, von denen einer das 25. Lebensjahr vollendet hat, einen Familienhaushalt führen. Auch Pflegeeltern und Pflegekinder gelten als Verwandte in gerader Linie. Jetzt sollen auch noch die Tante und die Nichte aufgenommen werden. Das ist natürlich auch wieder - wie alle Anträge von der SPD - ein Faß ohne Boden. ({2}) Ein weiterer Familienfreibetrag für im Haushalt lebende mitverdienende Kinder wird wieder eingeführt. Bei der Ermittlung des Jahreseinkommens eines zum Haushalt rechnenden Kindes werden dessen Einnahmen bis zu einem Betrag von 1 200 DM abgesetzt, wenn das Kind das 16. und noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat. Mit diesen Maßnahmen wollen wir eine Politik der Stärkung der Familie fortführen. Wir sind ganz sicher, daß wir auf dem richtigen Weg sind. Sie, meine Herren, meine Damen von der SPD, haben beantragt, die neuen Bestimmungen schon zum 1. Januar 1986 für alle wirksam werden zu lassen. Durch Ihr sogenanntes Wohngeldsicherungsgesetz wollen Sie außerdem nach dem 30. Juni auslaufende Bewilligungen bis zum 1. Januar 1986 einfriere n. Wir werden dem nicht zustimmen können, nicht nur wegen der 200 Millionen DM, sondern auch deshalb, weil neue Ungerechtigkeiten die Folge wären. ({3}) - Sie haben das während Ihrer Regierungszeit immer so praktiziert, wie wir es auch handhaben wollen.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist leider abgelaufen. Ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.

Hannelore Rönsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001870, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ein letzter Satz. - Wir empfehlen Ihnen deshalb, unserer Beschlußempfehlung zum Wohngeld- und Mietenbericht und auch unserer Wohngeldnovelle zuzustimmen, ({0}) weil es einfach vernünftiger ist. ({1})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat Herr Abgeordneter Werner ({0}). ({1})

Gerd Peter Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002482, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vorab bitte ich, eine Berichtigung in unserem Änderungsantrag zur sechsten Wohngeldnovelle vorzunehmen. Der Antrag liegt Ihnen auf Drucksache 10/3512 vor. Unter Ziffer 1 wird oder von uns beantragte Ergänzungstext wie folgt geändert: Die drei Worte „entsprechend dem Mietindex" werden gestrichen. Unsere Stellungnahme zur sechsten Wohngeldnovelle ist geteilt. Einerseits begrüßen wir einige vorgesehene Verbesserungen wie etwa die Einführung der erhöhten Mietobergrenzen. Dadurch werden besser als bisher die modernisierungsbedingten Mietsteigerungen im Altbaubestand erfaßt. Weiterhin begrüßen wir, daß die Erhöhung der Wohngeldleistungen insgesamt den Reallohnabbau der letzten Jahre zumindest teilweise kompensiert, der durch die gestiegenen Mieten noch beschleunigt wurde. Darüber hinaus bewerten wir auch die neuen Mietniveauklassen positiv, da diese neue Form besser den unterschiedlichen Wohnungsmarktsituationen gerecht wird. Problematisch bleibt - das wurde hier schon angesprochen - die Behandlung von Umlandgemeinden in der Nähe von Ballungsgebieten. ({0}) Die GRÜNEN können der sechsten Wohngeldnovelle in der vorliegenden Form jedoch nicht uneingeschränkt zustimmen. Sie hat aus unserer Sicht drei schwerwiegende Mängel, denen wir mit unserem vorliegenden Änderungsantrag auf Drucksache 10/3512 Rechnung tragen. Erstens. Die vorliegende Wohngeldnovelle enthält keine Verpflichtung, die Wohngeldleistungen der Lohn- und Mietentwicklung regelmäßig anzupassen; daher Ziffer 1 unseres Antrages. Zweitens. Die verschlechterte Verteilungsposition bleibt bei den Rentnern und Erwerbslosen trotz erhöhter Zahlungen beibehalten, weil die Verschlechterungen, die das 2. Haushaltsstrukturgesetz 1982 gebracht hat, nicht zurückgenommen wurden. Daher fordern wir in Ziffer 2 unseres Antrages die Anhebung des Pauschalsatzes in § 17 des Wohngeldgesetzes von 12,5 v. H. auf 17,5 v. H. Drittens. Die erhöhten Wohngeldleistungen sollen den Anspruchsberechtigten erst schrittweise im Jahre 1986 zugute kommen. Deshalb Ziffer 3 unseres Änderungsantrages, mit dem wir die vollständige Anpassung an die neuen Sätze ab 1. Januar 1986 fordern. Sollte die Mehrheit in diesem Haus unseren Änderungsanträgen zustimmen, so würden wir der sechsten Wohngeldnovelle zustimmen können. Anderenfalls werden wir uns enthalten. Zum Wohngeld- und Mietenbericht 1985 - Punkt 2 d der Tagesordnung - müssen wir feststellen: Der darin gewählte statistische Index erfaßt keine modernisierungsbedingten Mietsteigerungen und verfälscht damit das Bild. Auch die Mietnebenkosten sind hier nicht erfaßt. Auch sollte nicht ständig Statistik mit reinen Prozentzahlen betrieben werden. Wenn Sie, als Beispiel, ein paar Jahre lang alljährlich eine Mietsteigerung um denselben DMBetrag haben, so ergibt das zwar eine gewaltig erhöhte Miete, aber in Prozentzahlen ausgedrückt Werner ({1}) verzeichnen Sie dann einen verlangsamten Anstieg oder die berühmten „sinkenden Zuwachsraten". So kann man mit Statistik umgehen. Der Vorlage unter 2 b der Tagesordnung können wir nicht zustimmen. Dem Wohngeldsicherungsgesetz der SPD unter Tagesordnungspunkt 2 e stimmen wir zu, wie schon bei der wohnungspolitischen Debatte im April hier ausgeführt. Wir lehnen daher die Beschlußempfehlung des Ausschusses dazu ab. Nun zu Punkt 2 a der Tagesordnung, dem Entwurf eines Wohnungsrechtsvereinfachungsgesetzes: Unter dem Deckmantel der Vereinfachung wird hier in Wahrheit eine weitere Bresche in den sozialen Wohnungsbau geschlagen. Angesteuert wird eine Abschmelzung des Bestandes an Sozialwohnungen. Der jetzige Bestand muß jedoch als sozialpolitischer Schutz unbedingt erhalten bleiben, ({2}) aber auch als finanzpolitische Substanz für künftige Überlegungen mit dem Ziel eines gebundenen Wohnungsvermögens. ({3}) - Das ist etwas, was z. B. der Spekulationsabwehr dienen soll. ({4}) - Sie können die GRÜNEN hier nicht als Häusleenteigner hinstellen. Es geht wirklich um Verhinderung von Spekulationsgewinnen. Aber da sind wir natürlich bei Ihnen an der falschen Adresse. Bundesrat und Bundesregierung wollen den sozialen Wohnungsbau zum Auffangbecken für Randständige, für die Opfer der Marktwirtschaft machen. Die Einkommensgrenzen werden nur ungenügend angepaßt, womit versucht wird, den Kreis der Anspruchsberechtigten auf das soziale Minimum einzuengen, fast möchte man sagen: auf das christlich-soziale Minimum, Herr Minister. Bei Inkrafttreten dieses Gesetz werden sofort zirka 450 000 Sozialwohnungen, für die die Finanzierung bereits vorzeitig zurückgezahlt ist, aus der Mietpreis- und Belegungsbindung herausfallen. Am 22. Mai hat die CDU im Ausschuß ausgesagt, daß 4 % aller vermieteten Sozialwohnungen von der Bindungsauflösung betroffen seien. Da wir bekanntlich 4 Millionen Sozialwohnungen haben, sind das 160 000 Wohnungen. Die angebliche Verwaltungsvereinfachung, das schöne Wort vom Schließen von 500 000 Akten in den Ämtern, entpuppt sich in Wahrheit vor allem als Enteignung von Mieterrechten bei rund einem Drittel, also etwa 160 000 vermieteten und nicht eigengenutzten Eigentumswohnungen. Dies bedeutet vor allem Korrektur der Mieten nach oben - bei einem recht großen Teil dieser 160 000 Wohnungen. Diese soziale Katastrophe - so möchte ich das mal nennen - verbirgt sich - nur so als ein Beispiel - hinter dem Art. 2 Nr. 5 des sogenannten und angeblichen Vereinfachungsgesetzes. Einfach an der Angelegenheit ist eine Verlagerung, nämlich zu mehr und höheren Anträgen bei den Wohngeldstellen. Es geht praktisch von einer Ämtertür zur nächsten. Ein anderer Punkt: Das Zusammenziehen von Eltern und Kindern wird erleichtert und gefördert durch höhere Freibeträge im Wohngeldgesetz, auch bei der Eigentumsförderung, § 45 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes. - Mehr Familie, nun gut. Aber die Kehrseite ist: Altenpflege wird hier wieder zur Privatangelegenheit, und das heißt in unserer Gesellschaft in aller Regel: zur Mehrbelastung von Frauen. ({5}) In der Logik dieser Politik würde es nach unserer Befürchtung auch liegen, wenn später Rentenkürzungen unter dem Verweis auf jetzige Eigentumsförderung vorgenommen würden. Angesichts der heutigen Massenerwerbslosigkeit schafft das Vereinfachungsgesetz noch eine andere merkwürdige Konstellation: einerseits Förderung des Eigentums und andererseits Erleichterung der Bindungsaufhebung bei Zwangsversteigerungen, wahrlich eine weitsichtige Vereinfachung! In unserer Stellungnahme an dieser Stelle am 25. April habe ich ausgeführt, daß der soziale Wohnungsbau bis auf eine Art Endmoräne abgeschmolzen werden soll. Dieses Szenario verdichtet sich für uns durch folgende Einzelaspekte: Erstens. Die bisherige Zielvorgabe „Eine Person erhält einen Raum" wird aus dem Zweiten Wohnungsbaugesetz gestrichen; § 39 Abs. 3. Zweitens. Die Mindestwohnflächen werden gestrichen; § 39 Abs. 5. Drittens. Die Norm für die Wohnungen von Alleinstehenden wird gestrichen; § 14. Viertens. Zwei Aussagen aus der Begründung des Gesetzentwurfs. Auf Seite 13 der Drucksache 10/2913 wird sinngemäß ausgesagt: Die festgelegten Flächengrenzen sind nicht grundsätzlich auszuschöpfen; sie sind Höchstgrenzen und haben vor allem Bedeutung für den steuerlich begünstigten Wohnungsbau, d. h. für die Eigentumsförderung. Hinzu kommt die Aussage am Ende desselben Absatzes: Die Festlegung von Mindestgrößen widerspricht den Bestrebungen nach kosten- und flächensparendem Bauen. Diese Punkte zusammengenommen ergeben für uns die Vision des sozialen Wohnungsbaus der Zukunft, nämlich Schlichtwohnungsbau als Auffangbecken für Randständige, aus der Marktwirtschaft Herausgefallene. Wir lehnen dieses Vereinfachungsgesetz ab. Abschließend zu den Änderungsanträgen und dem Entschließungsantrag der SPD-Fraktion. Wir stimmen all diesen Anträgen zu. Werner ({6}) Vielen Dank. ({7})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Link.

Helmut Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001347, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die detaillierte Sachberatung des Wohnungsrechtsvereinfachungsgesetzes im zuständigen Ausschuß hat in überzeugender Weise die Entbürokratisierungsnovelle der Bundesregierung bestätigt. Endlich einmal sind die Vereinfachung von Gesetzen und die Reduzierung von Vorschriften politisch bewußt gewollt und auch durchgesetzt worden. Die Entrümpelung und Vereinfachung mit dem klaren Ziel der Entbürokratisierung wird mit dem Wohnungsrechtsvereinfachungsgesetz eindeutig erreicht. ({0}) Alte Zöpfe sind abgeschnitten und drastisch ist vereinfacht worden. Herr Kollege Werner, Sie haben etwas völlig im falschen Hals, wenn Sie die Mindestanforderungen für den sozialen Wohnungsbau, die hier gestrichen werden, in dieser Weise darstellen. In die Bauordnungsrechtsverordnungen der Länder sind alle diese Bestimmungen längst eingegangen. So klein wie nach den Mindestanforderungen, um die es hier geht, wird heute überhaupt keine Wohnung mehr gebaut. Das sind Wohnungen aus den 50er Jahren mit 50, 60 qm. Sie müssen das mal nachlesen. Dann können Sie Ihren Standpunkt korrigieren. Es werden zwei komplette Gesetze, sechs Regelungsermächtigungen, fünfzig Einzelbestimmungen und zwei Rechtsverordnungen völlig aufgehoben und über siebzig Paragraphen vereinfacht und geändert. Damit können bei den zuständigen Ämtern sofort 500 000 Akten geschlossen werden. Die Entrümpelungsmaßnahmen sind durch intensive Gespräche mit den Ländern, den kommunalen Spitzenverbänden und den Verbänden der Wohnungswirtschaft vorbereitet worden. Sie werden einhellig begrüßt. Nun einige Beispiele aus dem Vereinfachungsgesetz. Für Eigenheime und Eigentumswohnungen, bei denen die öffentlichen Mittel längst zurückgezahlt sind und die nahezu ausschließlich vom Eigentümer und seinen Familienangehörigen selber genutzt werden, gelten immer noch acht Jahre lang nach Ablösung der öffentlichen Mittel die Mietpreis- und die Belegungsbindung. Es handelt sich um etwa 500 000 Eigenheime und Eigentumswohnungen der Jahrgänge 1955 bis 1962. Bereits 1981/82 haben 430 000 Eigentümer die öffentlichen Mittel für diese Eigenheime zurückgezahlt, und zwar auf Grund der damals beschlossenen Höherverzinsung dieser öffentlichen Mittel. Obwohl sie die Eigenheime selber nutzen, gelten noch immer die Mietpreis- und Belegungsbindungen. Deshalb muß die Verwaltung 500 000 Akten ständig bearbeiten und hin und her schieben. Das ist bürokratischer und gesetzlicher Unsinn. ({1}) Denn für die geringe Zahl von Mietern müssen 500 000 Akten ständig zur Verfügung gehalten und überprüft werden. ({2}) Wir haben zur Zeit, Herr Kollege, die beste Wohnungsversorgung in der Bundesrepublik Deutschland, die es je gab. ({3}) Auf 26 Millionen Wohnungen kommen 25 Millionen Haushalte. ({4}) Der statistische Durchschnitt bei der Versorgung mit Wohnraum sind 34 Quadratmeter pro Person. Das ist hinsichtlich des Versorgungsgrades international absolute Spitze. ({5}) Steigende Leerstände, auch bei den gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften, ausgeglichene Wohnungsmärkte und sinkende Bevölkerungszahlen kennzeichnen die Lage. Es gibt keine Wohnungsprobleme in der Fläche mehr. Sie sind allerhöchstens noch punktuell, in einigen Ballungsräumen zu finden. Hinzu kommen stabile Mieten mit den geringsten Mietanhebungen der letzten Jahrzehnte ({6}) - dann lesen Sie doch einmal den Mietenbericht - und eine drastische Wohngelderhöhung um 900 Millionen DM. Das ist eine 40%ige Erhöhung der gesamten Mittel im Rahmen des Wohngeldes. ({7}) Davon profitieren insbesondere die Bezieher geringer Einkommen und die Rentner. ({8}) Es ist nicht zu verantworten, daß zahllose Beamte in dieser Lage 500 000 Akten bis 1989 hin- und herschieben und etwas prüfen sollen, was nicht mehr vorhanden oder nicht mehr prüfenswert ist.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Weyel?

Helmut Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001347, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. - Im übrigen würden die Jahrgänge 1952 bis 1962 durch die Rückzahlungen Ende 1989 automatisch aus allen Bindungen entlassen. Ein weiterer politischer Schwerpunkt dieses Gesetzes sind familienpolitische Maßnahmen, indem der Zuzug von Eltern zu ihren Kindern im öffentlich geförderten Familienheim durch Vereinfachung und durch Erleichterungen ermöglicht wird. Seither wurde Eltern, die mit ihrem Einkommen über der Fördergrenze des sozialen Wohnungsbaues liegen, der Zuzug ins Familienheim ihrer Deutscher Bundestag - l0. Wahlperiode Link ({0}) Kinder durch Gesetz verweigert; das war Ihre Politik. Diese familienfeindliche Regelung verhinderte familiäre Gemeinsamkeit und Betreuung und erzwang die Trennung von jung und alt im eigenen Haus. Sie trieb alte Menschen in Alten- und Pflegeheime und trennte nicht nur die Familie, sondern belastete außerdem den Staat, die Gemeinden und die Versichertengemeinschaft finanziell zusätzlich. ({1}) Dieser soziale Widersinn ist durch Aufhebung der Einkommensbegrenzung und durch Streichung des prüfungsaufwendigen Genehmigungsverfahrens endlich beseitigt worden. Darüber hinaus durfte ein Bauherr bei Verwendung von Familienzusatzdarlehen seine Eltern nur dann aufnehmen, wenn das Einkommen der Eltern nicht mehr als 5 000 DM jährlich betrug. Diese Einkommensgrenze ist aufgehoben worden. Mit Beseitigung, Streichung dieser familienf eind-lichen Regelungen fördert die Bundesregierung das familiäre Zusammenleben im eigenen Familienheim einschließlich der Pflegebetreuung und entlastet den Staat, die Gemeinden und die Versichertengemeinschaft damit von finanziellen Lasten. Ein weiterer Punkt der Entbürokratisierung und Entrümpelung ist die Aufhebung aller detaillierten Standardregelungen im Wohnungsbauförderungsrecht. Alle Mindestanforderungen für den sozialen Wohnungsbau, die längst überholt sind, weil sie heute als selbstverständlich gelten und außerdem im Bauordnungsrecht der Länder generell geregelt sind, wurden aufgehoben. Die Streichung dieser Vorschriften bringt sowohl den Bauherren als auch den Prüfbehörden Zeitersparnis und Erleichterung im Genehmigungsverfahren. Ein anderer Schwerpunkt des Gesetzes ist die ersatzlose Streichung aller Vorschriften zur sogenannten Wohnbesitzwohnung, ein Meisterstück verfehlter sozialdemokratischer Wohnungsbaupolitik, eine sozialdemokratische Ruine am Wohnungsmarkt. ({2}) - Sie haben völlig recht. Das ist sogar mehr als ein alter Hut, nämlich baupolitischer Unsinn, den Sie verzapft haben. ({3}) Ihre ideologische Konzeption, der darin enthaltene sachliche und politische Irrtum und die damit verbundenen falschen Hoffnungen sind gesetzgeberisch nun endgültig begraben. Das Gesetz betreffend den Wohnbesitzbrief war ein Gesetz zugunsten der Neuen Heimat, ({4}) ein sozialdemokratisches Filzokratiegesetz. ({5}) Denn es sollte - das war das Ziel dieses Gesetzes - dem in Schwierigkeiten befindlichen Gewerkschaftskonzern eine neue Finanzquelle auf Kosten der sozial Schwachen erschließen. ({6}) Die Arbeitnehmer sollten zahlen, und die Neue Heimat hätte kassiert. Wie sagen Sie so schön: Umverteilung von unten nach oben - das wäre das Ergebnis Ihrer Politik gewesen. Vereinfacht dargestellt hatte der sozial Schwache einen Baukostenzuschuß von 15% der Baukosten zugunsten des Eigentümers, nämlich der Neuen Heimat, aufzubringen. Dafür erhielt er ein Dauerwohnrecht, das er in jeder Sozialwohnung sowieso hat. Insgesamt wurden seit 1976 ganze 323 Wohnbesitzwohnungen gebaut. Heute gibt es keine einzige mehr, denn alle sind inzwischen als Eigentumswohnungen verkauft und umgewandelt worden. ({7}) Die Arbeitnehmer haben der SPD mit ihrer Bauernfängerei zugunsten der Neuen Heimat eine klare Absage erteilt. Das ist das Ergebnis. ({8}) Der Wohnungsmarkt und die Bürger haben die Beerdigung erster Klasse längst selbst besorgt, der Gesetzgeber beseitigt heute in der dritten Lesung nur noch den gesetzlich angeordneten sozialdemokratischen Unsinn und Irrglauben. ({9}) Alle im Gesetz vorgesehenen Vereinfachungen und Streichungen führen zu einer erheblichen Minderung des Verwaltungsaufwandes und sind ein wesentlicher Beitrag zur Entbürokratisierung. ({10}) Die CDU-Fraktion dankt Ihnen, Herr Minister, ({11}) für diesen mutigen und klaren Schritt zur Eindämmung der bürokratischen Überschwemmung aus dem letzten Jahrzehnt und unterstützt Sie nachhaltig bei dieser Aufgabe. Im Zusammenhang mit dieser Debatte wird auch gleichzeitig über die vom Bundesrat, insbesondere die vom Land Berlin eingebrachte Initiative zum Thema Fehlbelegungsabgabe entschieden. ({12}) Die Fehlbelegungsabgabe wird lediglich in vier von elf Ländern erhoben, nämlich in Berlin, Nordrhein-Westfalen, Bremen und Bayern. Die Fehlbelegungsabgabe stammt konzeptionell von der SPD, wird aber nicht von allen SPD-regierten Ländern erhoben. Zwei SPD-regierte Länder weigern sich bis zur Stunde, die von ihnen 1981 und 1982 selbst initiierte Link ({13}) Fehlbelegungsabgabe einzuführen, nämlich Hessen und Hamburg, ein bemerkenswerter Vorgang. ({14}) Der entspannte Wohnungsmarkt einerseits und die zum Teil teureren Sozialwohnungen gegenüber dem Wohnungsbestand andererseits lassen die Fehlbelegungsabgabe wie eine Sondersteuer für die, die in einem dieser vier Bundesländer in Sozialwohnungen wohnen, erscheinen. ({15}) - Keine Zwischenfrage. ({16}) Wenn wir jetzt schon deshalb Reparaturarbeiten vornehmen müssen, um Mieter in Sozialwohnungen vor unsozialen Härten zu schützen, dann zeigt dies wieder, was sozialdemokratische Gesetze in Wahrheit wert sind und wohin sie führen. ({17}) - Nicht ohne Grund, Herr Kollege Conradi, hat die gemeinnützige Wohnungswirtschaft die Aufhebung und die Streichung der Fehlbelegungsabgabe beantragt. Wir haben als Koalition die Anregung der Länder aufgegriffen und ihre Kompetenz bei der Erhebung der Abgabe erweitert. Die betroffenen Länder können nun selbst über die Höhe der Abgabe und ihre differenzierte Ausgestaltung frei entscheiden. ({18}) Darüber hinaus hat die SPD beantragt, die Einkommensgrenzen für den sozialen Wohnungsbau um 20 % zu erhöhen, was im sachlichen Widerspruch zur Fehlbelegungsabgabe steht; denn entsprechend geringer wären die Einnahmen aus der Fehlbelegungsabgabe, und das Verhältnis von Verwaltungsaufwand und Ertrag würde sich deutlich verschlechtern. ({19}) Wir haben zur Zeit 26 Millionen Wohnungen bei 25 Millionen Haushalten.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie Ihre Redezeit deutlich überschritten haben, bei aller Großzügigkeit.

Helmut Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001347, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme sofort zum Schluß. Wir haben wachsende Leerstände im sozialen Wohnungsbau, und auf Grund der Einkommensgrenze haben wir 10,5 Millionen Anspruchsberechtigte gegenüber 4,5 Millionen Sozialwohnungen. ({0}) Eine Ausweitung durch Erhöhung der Einkommensgrenzen ist widersinnig und erhöht nur den Anspruchsgrad. Der Antrag der SPD geht an der Wirklichkeit der Wohnungswirtschaft völlig vorbei. Eine Ausweitung ist deshalb überflüssig und auch im Kern unsozial; denn er vergrößert die Gefahr, daß bei der Wohnungsvergabe der Besserverdienende dem wirklich Bedürftigen vorgezogen wird. Schönen Dank. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Herr Minister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Schneider. ({0})

Dr. Oscar Schneider (Minister:in)

Politiker ID: 11002048

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit ihren drei Vorlagen zeigt die Bundesregierung die Schwerpunkte ihrer wohnungspolitischen Arbeit auf. Das Wohnungsrechtsvereinfachungsgesetz ist ein wichtiger Beitrag zu den Gesamtüberlegungen der Bundesregierung, Bürokratie abzubauen, Verwaltungshemmnisse zu beseitigen und den Freiheitsraum der einzelnen Bürger und der Wirtschaft zu erweitern. Ich erinnere an das Baugesetzbuch, das die rechtlichen Grundlagen des Städtebaus in einem einheitlichen und übersichtlichen Gesetzeswerk zusammenfassen wird. ({0}) Der Referentenentwurf liegt vor, ({1}) er befindet sich in der Ressortabstimmung. ({2}) - Wir verfahren nach Gesetz und Recht und werden rechtzeitig, wie angekündigt, den Kabinettsbeschluß im Herbst 1985 fassen. Beim Baunebenrecht - es gibt allein über 200 Gesetze und Verordnungen des Bundes, die Anforderungen an Gebäude und an die städtebauliche Planung enthalten - trägt eine gute Bund-LänderZusammenarbeit erste Früchte. Eine Fachgruppe hat dieser Tage in einem ersten Schritt 80 Vereinfachungsvorschläge zu 40 Gesetzen und Verordnungen des Bundes mit baunebenrechtlichen Bestimmungen vorgelegt, die jetzt ebenfalls in die Ressortabstimmung gehen. Bei den technischen Baunormen bewährt sich die Übereinkunft, die wir auf der Konferenz über technische Normen im Dezember letzten Jahres mit allen an der Normensetzung beteiligten Stellen in Form von 30 Empfehlungen erzielt haben. Erstmals wird methodisch und systematisch am Abbau überflüssiger Normen gearbeitet und das Entstehen überflüssiger Gesetze, Vorschriften und Normen verhindert. Die Zahl neuer Baunormen geht drastisch zurück. Im öffentlichen Vergabewesen sind wir dabei, das Richtlinienwerk zur Durchführung der Bauaufgaben des Bundes zu vereinfachen und gleichzeitig freiberuflich tätige Architekten und Ingenieure stärker als bisher zu beteiligen. Dieses Maßnahmenbündel wird das Bauen zwar auch in der Zukunft nicht konfliktfrei machen, denn in einer wissenschaftlich-technischen Welt, in einer Welt, die beherrscht ist vom Prinzip der funktionalen Rationalität, kann man auf solche Normen und Regelwerke natürlich nicht völlig verzichten. Wenn wir die öffentlichen Interessen und die sich daraus ergebenden Anforderungen an das Bauen auf ihren tatsächlichen Kerngehalt zurückführen, sie klarer und übersichtlicher formulieren und praxisnäher gestalten, bedeutet es im Endergebnis weniger umfangreiche und damit kürzere Genehmigungsverfahren, größere Rechtssicherheit, mehr Baufreiheit, aber auch mehr Verantwortung unserer Architekten und Ingenieure, auch der, die im freien Beruf tätig sind. Als einen Beitrag zur Vereinfachung des Wohnungsrechtes werte ich auch die vom Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau beschlossene Änderung des sogenannten Fehlbelegungsgesetzes. Danach können die Länder künftig ihren besonderen Verhältnissen entsprechend selbst das Verfahren und die materiell-rechtliche Ausgestaltung über die Erhebung der Fehlbelegungsabgabe regeln. ({3}) - Dies entspricht unserem Verständnis von einem kooperativen Föderalismus. Der Bund hat nur einige Rahmeneckdaten gesetzt, und dazu gehört auch die Einwohnergrenze von 300 000. ({4}) Dem Auftrag des Grundgesetzes entsprechend sollte der Bund nur dort die Länder binden, wo das zur Sicherung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse erforderlich ist. ({5}) Die Novelle zum Wohngeldgesetz ist eine sozialpolitisch herausragende Leistung, die vor allem Familien mit Kindern, aber auch den Rentnern gezielt helfen wird. Erstmals wird das Zusammenleben mehrerer Generationen gezielt gefördert. ({6}) Noch keine Bundesregierung hat vorher die für das Wohngeld zur Verfügung stehenden Mittel in dem Umfang erhöht, wie es jetzt geschehen soll. ({7}) Die Erhöhung des Wohngeldes um 900 Millionen DM wird bei voller Wirksamkeit die Wohngeldleistung 1987 erstmals auf über 3 Milliarden DM ansteigen lassen. ({8}) In der zwanzigjährigen Geschichte des Wohngeldgesetzes hat es dies bisher nicht gegeben. ({9}) Angesichts der Notwendigkeit zu weiterer Konsolidierung der Haushalte von Bund und Ländern kann diese soziale Tat nicht hoch genug eingeschätzt werden. Hier wird wieder, wenn seitens des Mieterbundes und anderer dagegen polemisiert wird, ({10}) wider besseres Wissen - wie gewohnt - Unzufriedenheit geschürt. Es ist leicht, zusätzliche Leistungsverbesserungen beim Wohngeld zu fordern. Wer Forderungen erhebt, ohne zugleich Deckungsvorschläge zu machen, macht es sich zu leicht und redet nur einer verantwortungslosen Ausgabenpolitik das Wort. ({11}) Allein der Antrag, allen Wohngeldbeziehern unmittelbar nach dem 1. Januar 1986 neue Wohngeldbescheide zu erteilen, ({12}) würde - das wissen Sie doch - einen Mehrbetrag von 400 Millionen DM erfordern. ({13}) Mehraufwendungen in ähnlicher Größenordnung würden sich ergeben, wenn der von der Fraktion der SPD eingebrachte Entwurf eines Wohngeldsicherungsgesetzes zum Tragen käme. Er muß schon aus diesem Grunde abgelehnt werden. Darüber hinaus ergäbe sich dadurch unvermeidbar ein nicht zu bewältigender Verwaltungsaufwand. ({14}) Mit einem Wort: Dieser Gesetzentwurf ist untauglich. Die Opposition macht es sich auch zu einfach, wenn sie vorschlägt, durch eine zusätzliche Verordnungsermächtigung die außerordentlich schwierige Frage einer vereinfachten Gewährung von Wohngeld an Bezieher von Leistungen der Sozialhilfe zu klären. Die von der SPD geführten Regierungen hatten von 1969 bis 1982 j a reichlich Gelegenheit, erforderliche gesetzliche Regelungen zu treffen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Weyel?

Dr. Oscar Schneider (Minister:in)

Politiker ID: 11002048

Bitte schön, Frau Kollegin.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte, Frau Abgeordnete!

Gudrun Weyel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, ist Ihnen nicht mitgeteilt worden, daß bei der Anhörung die Praktiker gerade gesagt haben, es gäbe innerhalb der Verwaltung überhaupt kein Problem, wenn man das Wohngeld für alle per 1. Januar 1986 anpaßte? ({0})

Dr. Oscar Schneider (Minister:in)

Politiker ID: 11002048

Frau Kollegin, mir ist das mitgeteilt worden, und ich pflege auch Protokolle zu lesen. Dieses Problem ist mir natürlich aufs beste vertraut, aber ich habe Ihnen ja auch gesagt, aus welchen Gründen dies nicht möglich ist. Im übrigen: Was wir hier fortführen, ist geltendes Recht, ist eingespielte Praxis, ist Übung, die in früheren Zeiten von keinem SPD-Mitglied jemals angefochten wurde. ({0}) Was das vorher angesprochene Problem, Wohngeldleistungen und Sozialhilfe verwaltungseinheitlich zu erfassen, angeht, so ist das Thema für uns nicht vom Tisch. Wir werden bis Mitte 1986 eine allseits abgestimmte, seriöse Lösung vorschlagen. Meine Damen und Herren, mit der vorliegenden Novelle werden die wohnungspolitischen Gewichte zugunsten des Wohngeldes verschoben. Das Wohngeld ist unerläßlich für eine wirtschaftliche Absicherung angemessenen familiengerechten Wohnens. Es ist wesentlicher Bestandteil der sozialen Wohnungsmarktwirtschaft. Herr Kollege Schmitt, Sie haben sich darüber beklagt, daß die pauschalen Abzugsvolumina nicht ausreichend angehoben würden, und haben auch auf Familien mit mehreren Kindern abgehoben. Ist es keine fühlbare, ja, drastische Anhebung des pauschalen Abzugsvolumens, wenn beispielsweise ein Ehepaar mit drei Kindern eine Steigerung um knapp 12 000 DM von 50 700 auf 62 000 DM erfährt? Die aktuelle Diskussion um die Entwicklung der Wohnungsmieten erinnert an den Versuch der Opposition, Stimmung gegen die 1983 in Kraft getretenen Mietrechtsänderungen zu machen und die Mieter mit Polemik und Halbwahrheiten zu verunsichern. Wer heute mit dem Slogan „Wann werden die Mieter wieder rechtlos?" - als Frage auf dem Deutschen Mietertag in Timmendorfer Strand gestellt - die Mieter in Angst versetzt, betreibt Demagogie und verfälscht die Tatsachen. ({1}) Ich habe erklärt, daß ich mich als Anwalt der Mieter verstehe und daß ich dafür eintrete und mit meinen Freunden dafür kämpfe, daß faire Rahmenbedingungen im Verhältnis Mieter/Vermieter geschaffen werden. ({2}) Die Erfolge des wohnungspolitischen Sofortprogramms haben ebenso wie die Änderungen des Mietrechts dazu beigetragen, daß wir heute für den Mieter eine so günstige wirtschaftliche und rechtliche Rahmenlage haben, die es nie gegeben hat. Der Mieter ist heute ein gleichberechtigter Vertragspartner am Wohnungsmarkt. Wir haben im Jahre 1984 400 000 Wohnungen neu gebaut und damit erreicht, daß sich der Wohnungsmarkt - abgesehen von wenigen großstädtischen Ballungsgebieten - entspannt hat und der Vermietermarkt zu einem Mietermarkt geworden ist. Niemand denkt daran, den sozialen Rechtsschutz der Mieter in Frage zu stellen oder gar die Mieter rechtlos zu machen. Es ist zu billig, uns so etwas zu unterstellen. Das ist ein törichtes Schlagwort. Die jüngste Wohnungsmarktentwicklung unterstreicht die Richtigkeit des Satzes: Ein hohes Angebot ist der beste Mieterschutz. Sie zeigt gleichzeitig, daß mehr Vertragsfreiheit auch mehr soziale Sicherheit bedeutet. Die günstige Wohnungsmarktentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland hat ihre Wirkung auf die Mietenentwicklung nicht verfehlt. Dafür sprechen die Fakten des Mietenberichts 1985. Sie werden durch die aktuellen Meldungen des Statistischen Bundesamtes zur Mietenentwicklung nachdrücklich bestätigt und sogar noch verstärkt. Der Mietenanstieg hat sich weiter verlangsamt. Der Mietenindex hatte 1984 die geringste Steigerungsrate seit fünf Jahren. Der Gesamtindex verringerte sich von 5,1 % im Jahre 1982 bzw. 5,4 % im Jahre 1983 auf 3,8 % im Jahre 1984. Im Mai dieses Jahres betrug der Anstieg sogar nur noch 3,5%, eine Steigerungsrate, die zuletzt im August 1979, also vor fast sechs Jahren, erreicht worden war. Der Mietenanstieg bei frei finanzierten Wohnungen lag mit 3,2 % im Jahre 1984 deutlich unter dem Anstieg der Vorjahre, und bis zum Mai 1985 hat sich der Anstieg sogar auf 2,2 % verringert. Das ist die niedrigste Steigerungsrate seit Einführung der amtlichen Mietenstatistik. ({3}) Meine Damen und Herren von der SPD, was hätten Sie gesagt, wenn Ihnen dieser Erfolg gelungen wäre? ({4}) Dieses Ergebnis ist vor allem durch die konsequente Wirtschafts-, Haushalts- und Finanzpolitik dieser Bundesregierung erreicht worden. Wir betreiben keine Interventionspolitik, sondern eine erfolgreiche soziale Wohnungsmarktpolitik. Die soziale Verteilungsgerechtigkeit wird durch die Wohnungswirtschaft weit besser erreicht als durch staatliche Eingriffe, zusätzliche Auflagen oder Einschränkungen jedweder Art. Vor zehn Tagen war in der „Süddeutschen Zeitung" zu lesen: „Die Mietpreise bröckeln ab." ({5}) Diese Schlagzeile beschreibt jedoch nicht den soviel kritisierten statistischen Durchschnitt, sondern allein die Situation am Münchner Mietwohnungsmarkt. Der Artikel widerlegt die immer wieder vorgetragene These, Großstadtmieten seien überproportional und ausnahmslos gestiegen. Auch in München - einem nach wie vor sicher immer noch teuren Pflaster - verschiebt sich das Preisniveau bei Erst- und Neuvermietungen teurer Wohnungen nach unten. Diesen Nachweis hat jetzt ein Münchner Wirtschaftsforschungsinstitut erbracht. Eine auf aktuellem Zahlenmaterial beruhende Studie kommt zu dem Schluß, daß die Marktmieten in München tendenziell billiger werden. Die Bundesregierung übersieht natürlich nicht, daß sich auch hinter günstigen Durchschnittszahlen immer wieder einzelne Notfälle verbergen und daß es in Engpaßsituationen an bevorzugten Wohnstandorten auch deutliche Mietsteigerungen gibt. Der Anteil dieser Fälle und das Ausmaß der Mieterhöhungen werden aber von den veränderten Marktbedingungen immer mehr eingeengt. Richtig ist auch, daß die Mieten im sozialen Wohnungsbau überdurchschnittlich gestiegen sind. Nachdem die Mietsteigerung im Jahre 1984 3,9% betrug, liegt sie im Mai dieses Jahres bei 4,7 %. Aber, meine Damen und Herren, was sind das für Wohnungen, deren Mieten ansteigen? Das sind doch die sozialen Mietwohnungen, die in der Zeit der SPD-geführten Regierung zwischen 1969 und 1983 erbaut worden sind. ({6}) Das sind die unseriös finanzierten sozialen Mietwohnungen, für die die Länder jetzt in hohem Umfange Nachfinanzierungsmittel aufbringen müssen. Der Bund kann sich aus verfassungsrechtlichen Gründen an dieser Nachfinanzierung allerdings nicht beteiligen. ({7}) Diese Ursachen sind Ihnen bekannt. Der Mietenbericht 1985 beweist, daß sich die Situation der Mieter tatsächlich verbessert und eben nicht verschlechtert hat. Der Mietenbericht 1985 liefert keine Schönfärberei. Er beschreibt Fakten. Immer mehr Mieter machen die Erfahrung, daß sie nicht jedes Angebot annehmen müssen, daß die Marktmieten kaum noch steigen und daß viele Vermieter zu Zugeständnissen bereit sind. Leerstehende Wohnungen in der Nachbarschaft und eine Flut von Vermietungsanzeigen in den Lokalzeitungen sind der sichtbare Ausdruck für die verbesserte Situation der Mieter. Dies zeigt die Richtigkeit und den Erfolg unserer Politik. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend noch einige Bemerkungen zur aktuellen Lage der Bauwirtschaft anfügen. Im Gegensatz zur günstigen gesamtwirtschaftlichen Entwicklung haben wir Schwierigkeiten am Baumarkt. Die Bauwirtschaft befindet sich mitten in einem außerordentlich schwierigen strukturellen Anpassungsprozeß. Die Wohnungsbaunachfrage ist unter dem Einfluß der in ihrem Ausmaß überraschenden Normalisierung des Wohnungsmarktgeschehens kräftig zurückgegangen. Meine Damen und Herren, Sie wissen, daß wir seit 1972 pro Jahr weit weniger Geburten als Sterbefälle haben, daß unsere Bevölkerung zurückgeht und daß wir durchgehend ausgeglichene Wohnungsmärkte haben. Auf die großartige Bauleistung nach dem Zweiten Weltkrieg können wir alle miteinander stolz sein, Bund, Länder und Gemeinden und die privaten Kapitalanleger, nicht zuletzt die freie unternehmerische Wohnungswirtschaft und die gemeinnützige Wohnungswirtschaft. ({8}) Der dadurch entstandene Ausfall an Baunachfrage kann nicht in vollem Umfang durch Verstärkung der öffentlichen Bauinvestitionen ausgeglichen werden. Es wäre doch sinnlos, Mietwohnungen zu bauen, die dann leerstehen. Sie wissen doch selber, wie die Lage ist. Allein im Rheinland hat im Bereich der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft die Zahl der leerstehenden Wohnungen innerhalb eines Jahres um fast 50 % zugenommen. Das wissen Sie doch. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung läßt die Bauwirtschaft nicht allein. Wir haben eine Reihe von Verbesserungen beschlossen. Wir haben die Städtebauförderungsmittel seit 1982 um 50 % angehoben. Ich erinnere an die zinsgünstigen Kredite im Rahmen des ERP-Wirtschaftsplans sowie an das fünfjährige Umweltschutzprogramm der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Ich erinnere an die Mittel in Milliardenhöhe für den Straßenbau, für Nahverkehrssysteme, den Streckenausbau der Bundesbahn und die Investitionen der Bundespost im Bereich der Breitbandverkabelung. Schließlich möchte ich auch noch daran erinnern, daß im Wohnungsbau für neu erstelltes selbstgenutztes Wohneigentum noch immer der erweiterte Schuldzinsenabzug neben der steuerlichen Entlastung nach § 7 b des Einkommensteuergesetzes gilt. Mittelfristig wird auch die Verstärkung der Wohnkaufkraft durch die Wohngeldnovelle zu einer verstärkten Nachfrage nach Bauleistungen führen. Die Bundesregierung wird zusätzlich zu diesen schon heute wirksamen Maßnahmen weitere bauwirksame Initiativen ergreifen. Ich will den Entscheidungen des Kabinetts nicht vorgreifen. Sie dürfen aber erwarten, daß das Bundeskabinett am 1. Juli 1985 Maßnahmen beschließen wird, die nicht am Bedarf vorbeigehen, Maßnahmen, die nicht eine Restaurierung überkommener Strukturen bedeuten, sondern die zukunftsorientiert, wirtschaftlich vernünftig, sozial ausgewogen und gesamtwirtschaftlich harmonisiert sind. ({9}) - Gnädige Frau, Frau Kollegin, Ihrer Neugierde kann abgeholfen werden. ({10}) Warten Sie bis zum 1. Juli; Sie werden dann das erneut bestätigt finden, wofür ich hier einstehe. Die Wohnungspolitik ist bei dieser Bundesregierung in den besten Händen, und die Bauwirtschaft kann auf die Bundesregierung vertrauen. ({11})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müntefering.

Franz Müntefering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001570, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister, das, was Sie hier zum Schluß angeführt haben, hört sich neu an. Es ist neu, weil am 12. Mai in Nordrhein-Westfalen ein Ereignis stattgefunden hat, das diese Bundesregierung aufgerüttelt hat. Plötzlich haben Sie alle miteinander erkannt: Das Thema der Arbeitslosigkeit ist wohl doch das wichtigste. Wir müssen wohl doch etwas tun. Die Bauwirtschaft spielt wohl doch eine Rolle. ({0}) Wir begrüßen es sehr, daß Sie sich jetzt aufmachen und zumindest zu prüfen versuchen, was denn wohl getan werden kann. Herr Minister, wir werden als Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau am Mittwochvormittag in der nächsten Woche auf Antrag der SPD-Fraktion eine Anhörung durchführen, zu der die Fachverbände, die Gewerkschaften, die Bauindustrie und die kommunalen Spitzenverbände eingeladen sind. Ich gehe davon aus, daß Sie auch teilnehmen, Herr Minister, damit Sie sich noch einmal darüber informieren können, was denn von den Beteiligten für Erwartungen an Sie gerichtet werden und wie vor allen Dingen die Umsetzbarkeit dessen ist, was Sie bisher in Aussicht genommen haben. Dann äußern Sie sich bitte schön auch zu unseren Vorschlägen, Mittel für die Modernisierung einzusetzen. Äußern Sie sich zu unseren Vorschlägen, die Gemeinden stärker in den Stand zu versetzen zu investieren, nachdem Sie sie einige Jahre geknebelt haben. ({1}) Äußern Sie sich zu unseren Vorschlägen im Zusammenhang mit dem Programm „Arbeit und Umwelt" Maßnahmen im Hoch- und Tiefbau voranzubringen, die sofort aufgegriffen werden können und die dann auch zu Arbeitsplätzen führen. Wir werden in der nächsten Woche darüber weiter diskutieren. Wir freuen uns, daß der 12. Mai Ihnen ein bißchen auf den Weg geholfen hat. ({2}) Zur Gesetzgebung zum Wohngeld, bei der Sie sich so selbstzufrieden auf die Schultern geklopft haben. Das Ganze begann 1983 damit, daß Sie das Wohngeld für Alleinerziehende, für Behinderte und für Familien gekürzt haben. 100 oder 200 Millionen DM waren es damals. Dann wurde ein Wort nicht eingehalten. Herr Minister, Sie haben angekündigt, daß das Wohngeld zum 1. Januar 1985 erhöht werde. Das hat nicht stattgefunden. Dann hat die SPDFraktion eine Notbremsung versucht, nämlich ein Wohngeldsicherungsgesetz durchzusetzen, das bewirken sollte, daß zumindest 1985 der Bestand an Wohngeld gesichert bliebe. Auch da haben Sie abgelehnt. Jetzt kommt dieses Gesetz. Dieses Gesetz tritt nicht zum 1. Januar 1986 mit voller Wirkung in Kraft, sondern erst 1987. Es wird noch mancher Wohngeldberechtigte enttäuscht sein, der jetzt oder in den nächsten Monaten Wohngeld bekommt und der zum 1. Januar 1986 eben nicht mehr bekommt, sondern aufgefordert wird, nach zwölf Monaten einen neuen Antrag zu stellen. Dieses Gesetz lehnt es ab, daß Wohngeld auch unter 20 DM monatlich ausgezahlt wird. Man wird einer Witwe mit einer mageren Hinterbliebenenrente kaum vermitteln können, daß ihr Wohngeldanspruch von 18 DM pro Monat - 216 DM im Jahr - so geringfügig ist, daß man diese Summe gar nicht mehr auszahlt. Ich bin dafür, daß diese Bagatellgrenze fällt. ({3}) Die Kürzungen bei Alleinerziehenden und Behinderten werden nicht zurückgenommen. Der Bewilligungszeitraum wird gegen den Rat aller Praktiker, die der Ausschuß angehört hat, nicht verlängert. Sankt Bürokratius läßt grüßen. Sie halten sich doch soviel darauf zugute, daß Sie etwas für Entbürokratisierung tun. Das wäre ein Punkt gewesen, wo etwas hätte geschehen können. Alles in allem: Das Gesetz ist ein typischer Schneider: nach jahrelangen Ankündigungen verspätet ein mageres Gesetz mit vielen Schwachstellen. ({4}) Dabei verschweigt der Minister geflissentlich, daß die Einkommenszuwächse bestenfalls halb so hoch sind wie die Mietsteigerungen. Sie verstecken sich hinter bundesdurchschnittlich niedrigen Mietsteigerungen, Herr Minister. Was nutzt es, wenn die Mietsteigerungsraten in der Tat erfreulich niedrig sind, die verfügbaren Einkommen der betroffenen Leute, die da zahlen müssen, aber noch viel geringer gestiegen oder sogar abgefallen sind? Das ist doch das Problem, in dem die Menschen heute stekken. ({5}) Die Obdachlosigkeit nimmt zu. Zwangsversteigerungen nehmen zu. Oft müssen die Kommunen die Wohnkosten tragen, um Familien den Weg in die Behelfsunterkünfte zu ersparen. Über all das redet die Regierung nicht. Vor allen Dingen tut sie dagegen nichts. Herr Minister, ich will auf einen Punkt kommen, der zu Beginn Ihrer Rede deutlich wurde. Sie haben gesagt: Wir legen hiermit die Schwerpunkte unserer Wohnungspolitik vor. Wenn das, was diese Gesetze heute sind, der Schwerpunkt Ihrer Wohnungspolitik ist, Herr Minister, dann kann ich nur sagen: Gute Nacht. Das wäre weiß Gott ein bißchen wenig. Deshalb bleibt unsere Kritik. Deshalb bleiben unMüntefering sere Fragen und Forderungen. Herr Minister, tun Sie etwas für die Sicherung preiswerten Wohnens! Sorgen Sie dafür, daß die Belegungs- und Preisbindungen im alten preiswerten Bestand erhalten bleiben und nicht Zug um Zug und bald massenhaft auslaufen! Sorgen Sie dafür, Herr Minister, daß nicht mit Übermodernisierung und der Umwandlung, verbunden mit dem Verkauf an Dritte, Menschen aus ihrer angestammten preiswerten Wohnung verdrängt werden! Hören Sie auf, Herr Minister, sich hinter bundesdurchschnittlichen Zahlen zu verstecken. Dem Mieter in Köln, in München oder in Hamburg nützt es nichts, wenn die Mieten im Bundesdurchschnitt um 3% steigen, seine aber um 10 %, 15% oder 20 %. ({6}) Tun Sie endlich etwas dafür, daß Zweckentfremdung von Wohnungen unterbunden wird! Unterstützen Sie Mieterinitiativen, Selbsthilfegruppen und kleine Genossenschaften, die sich mit dem Ziel der gemeinschaftlichen Verwaltung ihrer Wohnungen bilden! Erhöhen Sie die Einkommensgrenzen im sozialen Wohnungsbau! Zur Zeit sind noch etwa ein Drittel der Haushalte im sozialen Wohnungsbau wohn- und förderungsberechtigt. Wenn heute die Anhebung der Einkommensgrenze unterbleibt, werden wir erleben, daß der soziale Wohnungsbau bald eine Restgröße wird. Aber vielleicht wollen Sie das ja auch. Aber dann machen Sie das bitte schön nicht heimlich über die Einkommensgrenzen, die nicht erhöht werden, sondern dann kommen Sie her und sagen klipp und klar: Wir wollen den sozialen Wohnungsbau klein machen. Die Koalition will für die Grundbedürfnisse des Wohnens die Gesetze des Marktes gelten lassen, und jeder muß sehen, wie er klarkommt. Dann wissen wir alle, woran wir sind. ({7}) Ein letztes Wort, Herr Minister, zur Fehlsubventionsabgabe. Sie haben gesagt: Wir geben den Ländern Freiraum, je nach ihrer spezifischen Situation die Modalitäten der Durchführung festzulegen. Sie verschweigen dabei - Sie sind auch auf die Zwischenrufe nicht eingegangen -, daß Sie daran festhalten, daß dieses Gesetz nur in Städten mit 300 000 und mehr Einwohnern und in den unmittelbar angrenzenden Wirtschaftsräumen Gültigkeit haben soll. Das führt zu der verrückten Situation, daß im solitären Verdichtungsbereich Münster in Nordrhein-Westfalen, mit etwas weniger als 300 000 Einwohnern, die Fehlsubventionsabgabe nicht erhoben werden kann, wohl aber in den vergleichsweise kleinen Randgemeinden des Ruhrgebiets wie Iserlohn und Unna. Ich sage Ihnen noch einmal: Als das Gesetz zustande kam, haben die Sozialdemokraten dafür plädiert, daß die Grenze bei 100 000 Einwohnern gesetzt wird. Das wäre ein vernünftiges Maß gewesen. Dann gab es den Kompromiß, der auf 200 000 Einwohner ging. Dann ist in einer „Nacht-und-NebelAktion" die Grenze von 300 000 Einwohnern festgelegt worden. Wenn Sie sich weigern, diese Grenze abzuschaffen, muß ich Ihnen sagen: Das ist blanke Willkür und dient einzig und allein dazu, das Land Nordrhein-Westfalen in Zugzwang zu bringen und diesem Land, das die Fehlsubventionsabgabe nutzen will, diese Möglichkeit zu nehmen. Ich sage Ihnen ganz klar: Wir empfehlen dem Land Nordrhein-Westfalen, ganz auf die Fehlsubventionsabgabe zu verzichten, wenn die Bundesregierung nicht bereit ist, die Grenze von 300 000 Einwohnern abzuschaffen, so daß die Fehlsubventionsabgabe gerecht über das ganze Land erhoben werden kann. Das Festhalten an der 300 000-Grenze ist sozialer Unsinn. Herzlichen Dank. ({8})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Conradi.

Peter Conradi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000335, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will Ihnen eine traurige Geschichte erzählen und damit Ihr Herz rühren und Ihren Kopf gewinnen. Ich hoffe, daß Sie dann unserem Änderungsantrag auf Drucksache 10/3501 zustimmen. Es ist die traurige Geschichte vom Wohngeld und von der Sozialhilfe. ({0}) - Jetzt hören Sie doch erst einmal zu, und entscheiden Sie dann, wie Sie abstimmen wollen. Eine Bonner Bürgerin geht zum Sozialamt nach Beuel. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Entschuldigen Sie bitte, Herr Abgeordneter. Darf ich den Versuch unternehmen, auch für diese Geschichte die notwendige Ruhe im Hause herzustellen. ({0}) Ich bitte das Haus ernsthaft, die notwendige Ruhe herzustellen.

Peter Conradi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000335, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke schön. Eine Bonner Bürgerin geht zum Sozialamt nach Beuel und beantragt Sozialhilfe. Sie bekommt dort einen Antrag von vier Seiten in die Hand gedrückt, mit vielen Fragen und Nachweisen, die sie liefern muß. Am Schluß fragt sie der Beamte: „Haben Sie denn Wohngeld beantragt? Nach dem Verfassungsgerichtsurteil von 1969 haben Sie als Sozialhilfeempfängerin Anspruch auf Wohngeld." Die Frau sagt: „Nein." Sie freut sich, daß sie noch etwas bekommen soll. Sie geht über den Rhein in das schöne Stadthaus der Stadt Bonn und beantragt dort beim Wohnungsamt Wohngeld. Der Antrag ist sieben Seiten lang. Sie muß viele Nachweise liefern. ({0}) Die Frau wundert sich, daß das ganz unterschiedlich ist: beim Sozialhilfeantrag muß sie ihr Nettogehalt der letzten sechs Monate angeben, beim Wohngeld ihr Bruttogehalt der letzten 12 Monate; die Vermieterbescheinigungen sind doppelt einzureichen, und die Kinderbescheinigungen sind unterschiedlich. ({1}) Aber die Frau macht das, denn sie hofft ja, am Schluß Wohngeld zu bekommen. Schließlich stellt das Wohnungsamt nach gründlicher Überprüfung des Antrages fest: Die Frau hat zwar einen Wohngeldanspruch von beispielsweise 160 DM, aber diese 160 DM zahlt das Wohnungsamt direkt an das Sozialamt. Sonst würde sich nämlich ihr Einkommen um 160 DM erhöhen und die Sozialhilfe, die nachrangig ist - so sagen die Kollegen von der Sozialpolitik -, vermindern. Das heißt, mit der Erhöhung ihres Einkommens vermindert sich ihr Sozialhilfeanspruch. Sie bekommt die 160 DM Wohngeld, für die sie bei den Behörden soviel hat arbeiten müssen, überhaupt nicht; die gehen direkt an das Sozialamt.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Kansy?

Peter Conradi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000335, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gern.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter.

Dr. - Ing. Dietmar Kansy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Conradi, darf ich Sie fragen, nachdem Sie ja fürchterliche Dinge aus dem Land Nordrhein-Westfalen erzählen - es erläßt ja die Verwaltungsvorschriften dazu -, ob Sie nicht zur Kenntnis genommen haben, daß der federführende Ausschuß, dem Sie angehören, genau das aufgegriffen hat und von der Bundesregierung verlangt, nämlich bis zum 30. Juni nächsten Jahres einen Gesetzentwurf vorzulegen, der genau das abstellt, was Sie so laut beklagen?

Peter Conradi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000335, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, ich werde Ihnen gleich darauf antworten. Was ich hier geschildert habe, bedeutet einen großen Verwaltungsaufwand. 1,8 Millionen Wohngeldempfänger sind Sozialhilfeempfänger. Wenn Sie die Bearbeitungskosten pro Antrag mit nur 50 DM ansetzen, dann kommen Verwaltungskosten von jährlich rund 100 Millionen DM heraus, die die Gemeinden und die Kreise bezahlen müssen. Die schreien nun auch schon seit Jahren. ({0}) - Frau Rönsch, wenn Sie mich darauf aufmerksam machen wollen, sage ich das lieber gleich selber: Wir Sozialdemokraten haben dieses Problem auch nicht gelöst. Seit über zehn Jahren beschweren sich die Gemeinden und wollen, daß ihnen dieser völlig unnütze Verwaltungsaufwand endlich abgenommen wird.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Erübrigt sich damit Ihre Zwischenfrage, Frau Abgeordnete? - Nein. Herr Abgeordneter, Sie gestatten?

Peter Conradi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000335, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Natürlich!

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte sehr, Frau Abgeordnete.

Hannelore Rönsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001870, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Conradi, ich wollte fragen, ob Sie die Trauer mit uns teilen, daß es Ihnen in den 13 Jahren nicht gelungen ist, und ob Sie auch die Freude mit uns teilen, daß wir das Ganze jetzt in Angriff genommen haben und unserer Regierung erstmals einen Termin gesetzt haben, damit dieses Märchen - wie Sie es selbst genannt haben - endlich der Vergangenheit angehört? ({0})

Peter Conradi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000335, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, Sie irren leider. Wir haben nicht erstmals einen Termin gesetzt; bereits im Jahre 1980 hat der Bundestag die Bundesregierung einstimmig beauftragt, dieses Problem bei der nächsten Wohngeldnovelle zu lösen. Bei den Wohn-geldnovellen 1982 und 1985 hat die Regierung das nicht gelöst. Ich könnte Ihnen vorlesen, was uns die Bundesregierung - da sind die sozialdemokratischen Bauminister genauso betroffen - über zehn Jahre gesagt hat: Das Problem sei sehr schwierig, man müsse es prüfen, die Datenbasis sei nicht ausreichend. Einmal hat uns ein sozialdemokratischer Bauminister ein Gesetz noch im selben Jahr versprochen; das kam dann auch nicht. Als wir jetzt im Ausschuß die Sache angegangen sind, haben die Wohnungsbürokraten in der ARGE Bau - der Arbeitsgemeinschaft der Wohnungsbauminister - gesagt, man könne das Problem doch nicht im „Hauruckverfahren" lösen, das brauche „eingehende Vorarbeiten". Das heißt, nach zehnjähriger Untätigkeit sagen uns die Bauminister: Hauruckverfahren! Dies ist ein Problem des Transfers vom Bund und den Ländern an die Gemeinden. Wenn es in einem Industrieunternehmen in diesem Land ein solches innerbetriebliches Transferproblem gäbe, das jedes Jahr 100 Millionen DM an unnützem Verwaltungsaufwand verursachte, dann würde diese Geschichte dort innerhalb von drei Monaten abgestellt. Da würde nicht zehn Jahre daran herumgefummelt, sonst würde der Abteilungsleiter fliegen. Nur, die Ministerialbeamten können nicht fliegen, deshalb haben sie auch keine Angst vor dem Fliegen. ({0}) - Nein, die haben keine Angst vorm Fliegen. Deshalb sage ich Ihnen, Frau Kollegin Rönsch: Ihre Hoffnung, in einem Jahr würde die Bundesregierung dazu etwas Brauchbares vorlegen, ist unberechtigt. Da gehe ich jede Wette ein. ({1}) Vor allem auch, weil Ihr Antrag das Ganze im Rahmen des Bundessozialhilfegesetzes lösen will. Sie wissen selber, daß da die Fragen der Nachrangigkeit und des vom Verfassungsgericht festgelegten Wohngeldanspruchs auftauchen. Wer einen Antrag so formuliert, der will in Wirklichkeit nichts ändern. Unser Änderungsvorschlag ist einfach: Das Wohngeld für Sozialhilfeempfänger wird in Pauschbeträgen gewährt. Die Regierung soll diese Pauschbeträge auf dem Verordnungswege festsetzen. Dann kommt die Frau nur noch zum Sozialamt, und das Sozialamt stellt fest: Dies ist eine Sozialhilfeempfängerin, und schreibt dem Wohnungsamt: Die Frau ist bei uns, der Haushalt ist so groß, fertig, die Pauschale wird überwiesen. Da werden Millionen an Verwaltungskosten eingespart. Wir sollten das hier jetzt so beschließen; denn die Wohnungsbaubürokratien haben uns zehn Jahre lang gezeigt, daß sie es nicht beenden wollen. Nur wir als Parlament, wenn wir uns ernst nehmen, können dies mit einer klaren gesetzlichen Vorschrift ändern. Wenn eine Folgeänderung im BSHG notwendig sein sollte, dann wird die Regierung sie hier rechtzeitig vorschlagen. Wir reden alle gerne von Entbürokratisierung. Sie - vor allem die Kollegen von der FDP - reden gerne von „weniger Staat". Hier hätten Sie die Möglichkeit, Entbürokratisierung einmal nicht zu Lasten der Betroffenen, sondern zugunsten der Betroffenen zu betreiben. Ich versichere Ihnen: Es geht hier nicht um die Vertrauensfrage des Kanzlers, es geht auch nicht um eine Kritik an der Bundesregierung. Wir kritisieren hier alle Wohnungsbauminister, die das nicht geschafft haben. Es geht darum, daß dieses Parlament gegenüber der Bürokratie sagt: Wir wollen das, und verdammt noch mal, ihr macht das dann! ({2}) Deswegen sage ich: Stimmen Sie unserem Änderungsantrag jetzt zu. Dann wird diese unendlich traurige Geschichte vom Wohngeld und der Sozialhilfe ein glückliches Ende finden. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Da mir weitere Wortmeldungen nicht vorliegen, schließe ich die Aussprache. Wir kommen zuerst zur Einzelberatung und Abstimmung über Tagesordnungspunkt 2 a, den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Wohnungsrechtsvereinfachungsgesetzes 1984 auf Drucksache 10/2913. Ich rufe Art. 1 in der Ausschußfassung auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/3499 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt. Wer Art. 1 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist die aufgerufene Vorschrift in der Ausschußfassung angenommen. Ich rufe die Art. 2 bis 17, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Mit großer Mehrheit angenommen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist das Gesetz angenommen. Wir kommen nun zur Einzelberatung und Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 2 b, den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Abbau der Fehlsubventionierung im Wohnungswesen und weiterer wohnungsrechtlicher Bestimmungen auf Drucksache 10/3203. Ich rufe die Art. 1 bis 5, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit sind die aufgerufenen Vorschriften angenommen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen damit zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. ({0}) - Den Entschließungsantrag der SPD stelle ich noch zur Abstimmung. Wir befinden uns in der Abstimmung. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist das Gesetz insgesamt angenommen. Nun, Herr Abgeordneter Müntefering, kommen wir zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/3500. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt. Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 2 c, den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Wohngeldgesetzes auf Drucksache 10/3162. Ich rufe Art. 1 in der Ausschußfassung auf. Hierzu werden auf Drucksache 10/3501 unter den Ziffern 1 bis 4 von der Fraktion der SPD und auf Drucksache 10/3512 unter den Ziffern 1 und 2 von der Fraktion DIE GRÜNEN verschiedene Änderungen des Art. 1 beantragt. Ich lasse darüber getrennt abstimmen. Wer den Ziffern 1 bis 4 des Änderungsantrages der SPD auf Drucksache 10/3501 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Vizepräsident Cronenberg Änderungsantrag auf Drucksache 10/3501 abgelehnt. Wer den Ziffern 1 und 2 des Änderungsantrages der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3512 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt. Wer dem Art. 1 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit sind die aufgerufenen Vorschriften in der Ausschußfassung angenommen. Ich rufe Art. 2 und 3 in der Ausschußfassung auf. Wer den Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Mit großer Mehrheit sind die aufgerufenen Vorschriften angenommen. Ich rufe Art. 4 in der Ausschußfassung auf. Hierzu liegen auf Drucksache 10/3501 unter Ziffer 5 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD und auf Drucksache 10/3512 unter Ziffer 3 ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN vor. Ich lasse auch hierüber getrennt abstimmen. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/3501 unter Ziffer 5 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Änderungsantrag auf Drucksache 10/3501 unter Ziffer 5 abgelehnt. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3512 unter Ziffer 3 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt. Wer Art. 4 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich nunmehr um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind damit in der Ausschußfassung angenommen. Es bleibt noch über Einleitung und Überschrift abzustimmen. Wer denen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Wir treten in die dritte Beratung ein. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltungen der anwesenden GRÜNEN-Abgeordneten ist der Gesetzentwurf somit angenommen. Zu diesem Tagesordnungspunkt ist noch über eine Beschlußempfehlung des Ausschusses abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt Ihnen auf Drucksache 10/3475 unter Nr. 2 die Annahme einer Entschließung. Wer dieser Entschließung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist die aufgerufene Entschließung angenommen. Wir kommen zu den Abstimmungen zu Punkt 2 d der Tagesordnung. Es geht um die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zum Wohngeld- und Mietenbericht 1985. Diese Beschlußempfehlung finden Sie unter Nr. 3 auf Drucksache 10/3475. Die Fraktion der SPD hat hierzu auf Drucksache 10/3502 einen Änderungsantrag vorgelegt. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Damit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf Drucksache 10/3475 unter Nr. 3 zuzustimmen wünscht, den bitte ich nunmehr um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist diese Beschlußempfehlung angenommen. Wir kommen nunmehr zur Einzelberatung und Abstimmung des Punktes 2 e der Tagesordnung, des von den Abgeordneten Waltemathe, Müntefering, Conradi und weiteren Abgeordneten der SPD eingebrachten Entwurfs eines Wohngeldsicherungsgesetzes auf Drucksache 10/2140. Der Ausschuß empfiehlt Ihnen mit Mehrheit, diesen Gesetzentwurf abzulehnen. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung abgelehnt. Nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung erübrigt sich damit die dritte Beratung. Meine Damen und Herren, am Ende dieses Tagesordnungspunktes möchte ich Ihnen sagen, daß die Abgeordneten Dr. Faltlhauser, Klein, Kraus, Dr. Riedl und Dr. Wittmann eine Erklärung entsprechend § 31 unserer Geschäftsordnung abzugeben wünschen. Der Abgeordnete Dr. Faltlhauser wird diese Erklärung für die genannten Abgeordneten abgeben. Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.

Prof. Dr. Kurt Faltlhauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000517, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die Münchener CSU-Abgeordneten, die der Präsident eben aufgeführt hat, darf ich zur Abstimmung über den Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Wohngeldgesetzes folgende Erklärung abgeben. Die fünf Münchener CSU-Abgeordneten begrüßen diesen Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Wohngeldgesetzes ausdrücklich und haben ihm auch zugestimmt. Insbesondere die strukturellen Verbesserungen die in der Neuregelung der Höchstbeträge für die zuschußfähige Miete und Belastung gemäß § 8 des Wohngeldgesetzes liegen, gewährleisten auch für die Zukunft, daß das Wohngeld ein auf die individuellen Verhältnisse der einzelnen Haushalte abgestelltes Instrument der sozialen Absicherung einer marktwirtschaftlichen Wohnungspolitik bleibt und in dieser Funktion verbessert wird. Es wird damit mehr WohngeldgerechDr. Faltlhauser tigkeit gesichert, weil die Höchstbeträge nicht mehr nach starren Gemeindegrößenklassen gestaffelt sind, sondern an das tatsächliche örtliche Mietniveau angelehnt werden. Eine noch größere Wohngeldgerechtigkeit hätte unseres Erachtens jedoch mit der Einführung einer sechsten Mietenstufe oder mit der Anhebung der fünften Stufe von 15 % über dem Bundesdurchschnitt auf einen höheren Prozentsatz erreicht werden können. Beachtet man, daß es Gemeinden in der Bundesrepublik gibt - das sagen wir aus der leidvollen Erfahrung der Landeshauptstadt München -, deren Mietenniveau den Bundesdurchschnitt um bis fast 40 % übersteigt, dann wird die von der Bundesregierung vorgeschlagene Abstufung der Höchstbeträge diesen hohen Wohnbelastungen nicht voll gerecht. Diesen Anforderungen an eine stärkere Differenzierung trug auch der Antrag des Freistaats Bayern vom 20. März 1985 beim Bundesrat - Bundesratsdrucksache 98/3/85 - Rechnung. Die dagegen angeführten raumordnungspolitische Bedenken, daß mit Einführung der sechsten Mietenstufe attraktive Ballungsräume noch attraktiver gemacht würden - wir erkennen dieses Argument durchaus an -, hätten hinter dem Gesichtspunkt der größtmöglichen Wohngeldgerechtigkeit zurückstehen sollen. Wir empfehlen daher entsprechend der Empfehlung des zuständigen Ausschusses in seiner Beschlußempfehlung zum Entwurf des Sechsten Gesetzes zur Änderung des Wohngeldgesetzes, die Fragen der Einführung einer sechsten Mietenniveauklasse durch empirische Beobachtung nachhaltig weiter zu prüfen. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich rufe die Punkte 3 a bis 3 f der Tagesordnung auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Waschmittelgesetzes - Drucksache 10/1434 Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({0}) - Drucksache 10/3491 Berichterstatter: Abgeordnete Boroffka Duve ({1}) b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({2}) zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN Änderung der Verordnung über die Abbaubarkeit anionischer und nichtionischer grenzflächenaktiver Stoffe in Wasch- und Reinigungsmitteln - Drucksachen 10/1436, 10/3491 - Berichterstatter: Abgeordnete Boroffka Duve c) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN Wasser- und Bodenverbände - Drucksache 10/3038 - d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über notwendige Maßnahmen zur Vermeidung von Gewässerbelastungen durch schwer abbaubare und sonstige kritische Stoffe - Drucksache 10/2833 - e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({3}) zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN Änderung der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Wasser - Drucksachen 10/2201, 10/3030 - Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Lippold f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({4}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Zweite Fortschreibung des Berichtes der Bundesregierung über Maßnahmen zur Verhinderung von Tankerunfällen und zur Bekämpfung von Ölverschmutzungen der Meere und Küsten vom 19. Dezember 1980 ({5}) - Drucksachen 10/2690, 10/3298 Berichterstatter: Abgeordneter Bohlsen Es handelt sich um verschiedene Vorlagen zur Umweltpolitik. Der Ältestenrat hat eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 f und einen Beitrag bis zu 10 Minuten je Fraktion vereinbart. Widerspruch gegen diesen Vorschlag erhebt sich nicht. Das Wort zur Berichterstattung wird offensichtlich nicht gewünscht. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Hönes.

Hannegret Hönes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000924, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren von der Koalition! Sie kennen für alles einen Preis. Nur bei dem Wert so mancher Dinge hapert es mit Ihrer Vorstellungskraft. Sie werden sicher unsere parlamentarischen Initiativen zu Gewässerschutz heute mehrheitlich ablehnen. Sie werden uns vorhalten, unsere Vorschläge würden viel zu viele Kosten verursachen. Nun, wer im Spätsommer 1982 seinen Urlaub an der deutschen Nordseeküste verbrachte, konnte die Vorboten eines ökologischen Desasters erleben. Durch die Sonneneinstrahlung kam es auf See zu einer gigantischen Algenvermehrung. Der auffrischende Wind führte zu starkem Wellengang. Die Wellen zerschlugen die Algen. Es entstanden übelriechende Schaumberge und Schlickberge, die sich an den Stränden der Seebäder weiträumig türmten. ({0}) Wissen Sie, daß dieser Dreck mit dem sprichwörtlichem weißesten Weiß unseres Lebens, mit der Waschmittelflut in den deutschen Haushalten unmittelbar zusammenhängt? Wenn Sie es wissen: Warum haben Sie nicht gehandelt? Ich verzichte hier aus Zeitgründen auf die naturwissenschaftlichen Details dieser Diskussion. Jeder von Ihnen kann sie lesen. Es ist in Gutachten über Gutachten, nicht zuletzt im Sachverständigen-Gutachten „Umweltprobleme der Nordsee" dargelegt. Die Erkenntnisse über die Gefährdung unserer Gewässer durch Wasch- und Reinigungsmittel waren für uns Motiv genug, einen Gesetzesentwurf zur Änderung des Waschmittelgesetzes und der diesbezüglichen Tensidverordnung im Deutschen Bundestag einzubringen. Das ist mittlerweile über ein Jahr her. Die Preisfetischisten und Wirtschaftslobbyisten unter Ihnen - Sie sollten nicht vorschnell den Raum verlassen! ({1}) sehen nun die Waschmittelindustrie in Gefahr. Nur, welchen Wert hat diese Industrie bzw. eine Firma, die angesichts der beschriebenen ökologischen Probleme sogenannte Waschverstärkertücher auf den Markt bringt, um dem bundesdeutschen Waschwahn ein weiteres bedenkliches Mittel draufzusatteln? Wie weit darf der betriebliche Egoismus nach Ihren Maßstäben eigentlich gehen? Ich möchte zwei unserer wesentlichen Forderungen hier nun ganz kurz und knapp vortragen. Erstens. Die geltenden Regelungen des Waschmittelgesetzes werden über die reine Textilreinigung hinaus auch auf alle Haushaltsreiniger und Haushaltschemikalien ausgedehnt. Zweitens. Phosphate, die für viele ökologische Schadwirkungen der Waschmittel verantwortlich sind, dürfen nicht mehr verwendet, ({2}) aber auch nicht durch andere bedenkliche Ersatzstoffe ausgetauscht werden. Nun werden Sie fragen: Ja, ist denn die Gefährdung der Meere und Binnengewässer durch Waschmittelinhaltsstoffe wissenschaftlich hinreichend gesichert? Mein Gott, können Sie denn nicht aus Ihren eigenen Fehlern lernen! Ich will es Ihnen noch einmal erklären. Bei länger andauernder Belastungen von Ökosystemen geht der akuten Phase, in der das System zusammenbricht, in der Regel eine chronische Störungsphase voraus. In dieser Phase verliert ein Ökosystem wie ein Wald, ein See, ein Meer langsam an Vitalität, wird geschwächt und erkrankt. Beobachten konnten wir dies in jüngster Zeit an der Entwicklung der nordeuropäischen und alpenländischen Wälder. Bei diesen ist die chronische Phase der Schwächung - wir können hier etwa mit zwei Jahrzehnten rechnen - durch düngende Nitrateinträge lange überdeckt worden. In dieser Zeit war auch keine Verringerung der Jahresringbreiten als Anzeige der Produktion von Biomasse zu erkennen. Der Umschlag in die akute Phase mit Wachstumsstillstand und Tod, nun deutlich meßbar in den Jahresringabständen, erfolgt dann sehr schnell, innerhalb von drei bis vier Jahren. Dies haben wir in den Jahren 1982 bis 1984 alle miterleben müssen. Wir - und mit uns viele Umweltschützer - befürchten, daß die akute, irreversible Störungsphase auch im Wattenmeer und in der Nordsee relativ kurz- oder doch mittelfristig bevorsteht. Nun, meine Damen und Herren, was machen Sie, wenn wir mit unseren Befürchtungen recht haben? ({3}) Wollen Sie dann eine Kläranlage für die Nordsee bzw. Ostsee bauen lassen, oder wollen Sie zur künstlichen Beatmung des Patienten greifen? Aus dem Haus von Herrn Minister Zimmermann ({4}) haben wir anläßlich der dramatischen Waldschäden gehört, daß man zukünftig nicht mehr warten könne, bis abschließende wissenschaftliche Klarheit herrsche. Es sei einmal dahingestellt, ob es bei so komplexen Ökosystemen wie den Küstenmeeren diese Klarheit überhaupt je geben wird. Wir müssen auf der Basis von Indizien und Verdachtsmomenten handeln, und solche sind heute hinreichend vorhanden. Meine Damen und Herren, ich fordere Sie daher auf, unseren Gesetzesanträgen zuzustimmen. Die hieraus folgenden - zugegeben: einschneidenden - Maßnahmen sind doch ihren Preis im wahrsten Sinne des Wortes wert. ({5}) Inzwischen ist die Bundesregierung auch im Bereich der Haushaltschemie unter Druck geraten. Der Innenminister selbst will nun das Waschmittelgesetz verschärfen. Ein offenes Wort an Herrn Minister Zimmermann auch von unserer Seite: ({6}) Auch wenn wir für unsere Anträge heute keine Mehrheit finden, dann ist unser Gesetz damit noch lange nicht vom Tisch; das können wir Ihnen versprechen. Herr Zimmermann muß noch dieses Jahr Farbe bekennen, er muß seine Karten auf den Tisch legen. Vorher wird die Waschmittelindustrie natürlich versuchen - man nennt dies vornehm AnhöFrau Hönes rung der beteiligten Kreise -, sein Ministerium einzuseifen; da sind wir uns sicher. ({7}) Zu den weiteren Anträgen, die Sie heute ablehnen werden, möchte ich aus Zeitgründen nur einige kurze Anmerkungen machen: Die Fraktion DIE GRÜNEN findet es unerträglich, daß nach wie vor Gesetze in Kraft sind, die die Handschrift der Generalmobilmachung im Dritten Reich tragen. ({8}) Kein Wunder also, daß die Wasser- und Bodenverbände, um die es geht, in unserem Gesetzesantrag alles andere mehr berücksichtigen als Naturschutz und Ökologie. Nehmen Sie z. B. den Aggerverband, der nur wenige Kilometer von hier entfernt, im Bergischen Land, sein sprichwörtliches Unwesen treibt. Eines der letzten wertvollen Naturtäler, das Naafbachtal, soll geflutet werden, angeblich deshalb, um den Durst der Ballungszentren Köln und Bonn zukünftig stillen zu können. Den Aggerverband interessieren die Befürchtungen der Naturschützer natürlich nicht. Er hat seine nationalsozialistische Rechtsdeckung und will Wasser verkaufen. Ich fordere Sie noch einmal auf, meine Damen und Herren: Schließen Sie sich unseren Forderungen nach einer Demokratisierung und Ökologisierung des Wassers- und Bodenverbandsrechts an. ({9}) Um derartig naturzerstörerische wasserwirtschaftliche Großprojekte zukünftig auch faktisch überflüssig zu machen, muß sorgsam und sparsam mit Trinkwasser umgegangen werden. Unsere Forderungen zielten sowohl auf die Industrie als auch auf den Bürger. Mittels der heute beantragten Novellierung der Allgemeinen Versorgungsbedingungen Wasser lassen sich verstärkt Impulse zum sparsamen Umgang mit Trinkwasser geben. Mittlerweile sieht auch die Bundesregierung die Notwendigkeit zur Sparsamkeit. Dieser Gedanke tauchte kürzlich im Grundsatzparagraphen der fünften Novelle des Wasserhaushaltsgesetzes auf, wo er allerdings kaum Wirkung hat. Wir wollen ein Gesetz, das Wirkung zeigt, vor allem bei den großen Wasserversorgungsunternehmen, die den Wasserverbrauch in die Höhe treiben möchten, Unternehmen wie beispielsweise der Gelsenwasser-Konzern, die mittels undurchsichtiger Preiskalkulation und via Anschluß- und Benutzungszwang Profite in Gelsenkirchen erwirtschaftet haben. ({10}) Nur wer den Wasserverbrauch messen kann, wird Sparmaßnahmen durchführen. Kein Wunder also: Die Wasserwerke fürchten die Wasseruhr wie der Teufel das Weihwasser. ({11}) In unserem Land sind viele Leute bereit, zu sparen, um die Natur zu retten. Sie sind aber nicht bereit, für die Wasserverschwendung ihrer Nachbarn mitzubezahlen. Dies müssen sie aber weiter tun, wenn Sie unseren Antrag zur Novellierung der AVB Wasser ablehnen. Vielen Dank. ({12})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Göhner.

Dr. Reinhard Göhner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000697, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dieser Kurzdebatte werden gleich sechs verschiedene Anträge und Berichte zu völlig verschiedenen Sachverhalten behandelt. Nun gebe ich zu, das ist eigentlich nicht schlimm; denn die meisten dieser Anträge, zumindest die, die auch hier gerade von der Vorrednerin erwähnt worden sind, laufen dem bereits vollzogenen Handeln hinterher. Das gilt für Waschmittel, das gilt für AVB Wasser, das gilt für den Meeresschutz. ({0}) Der Bericht der Bundesregierung zur Bekämpfung gefährlicher Stoffe im Wasser, der uns vorgelegt worden ist, ist, glaube ich, allerdings eine Reihe von Bemerkungen wert, zumal wir auch einige Gesetzesvorhaben zu diesem Thema zu beraten haben. Ich möchte deshalb zu diesem unter dem Gesichtspunkt des Gewässerschutzes zweifellos wichtigen Bereich einige Grundüberlegungen vortragen. Der Gewässerschutz ist eigentlich sozusagen der kleinste gemeinsame Nenner dieses Sammelsuriums von Tagesordnungspunkten, das wir hier zu beraten haben. Der Gewässerschutz ist zweifellos ein wichtiger Teil unserer gesamten Umweltpolitik. Wasser, Boden und Luft sind unsere lebensnotwendigen Umweltgüter, die in einem unauflösbaren Zusammenhang des Naturkreislaufes stehen. Nach wichtigen Maßnahmen im Bereich der Luftreinhaltung, die wir durchgeführt haben oder bei deren Durchführung wir sind, nach den vorbereiteten Maßnahmen des Bodenschutzes, muß es nun auch unsere Aufgabe sein, im Gewässerschutz die Prinzipien einer vorsorgenden Umweltpolitik zu verwirklichen. ({1}) Nicht Gewässerbelastungen verdünnen wie in vergangenen Tagen, sondern von vornherein vermeiden ist die Devise. ({2}) Das ist zugleich der Tenor des vorliegenden Berichtes der Bundesregierung über die notwendigen Maßnahmen zur Vermeidung von Gewässerbelastungen durch schwer abbaubare und sonstige kritische Stoffe. Die Belastung der Gewässer durch die gefährlichen Stoffe, die in der EG-Verordnung, der Gewässerschutzverordnung festgehalten sind, ist das Hauptproblem. Die Bundesregierung bereitet zwei Gesetzgebungsvorhaben vor, mit denen wir in diesem Bereich Wirksamkeit erzielen werden. Zum einen ist die Novellierung des Abwasserabgabengesetzes mit dem Ziel der Einbeziehung weiterer Schwermetalle in Vorbereitung, und zum zweiten haben wir im Bundesrat bereits in der letzten Woche die vorliegende Novellierung des Wasserhaushaltsgesetzes behandelt, die die CDU-Bundestagsfraktion außerordentlich begrüßt, weil wir damit gerade im Bereich der Bekämpfung gefährlicher Stoffe einen erheblichen Fortschritt erzielen können. Das rechtliche Instrumentarium zur Bekämpfung gefährlicher Stoffe muß verbessert werden. Die derzeitigen Regelungen reichen nicht aus, um die von dem Einleiten solcher gefährlichen Stoffe ausgehenden Gefahren hinreichend zu bekämpfen. Aber wir müssen auch darauf hinweisen, daß wir von den Ländern den Vollzug des bestehenden Rechtes erwarten müssen. Die bisher generell für das Einleiten von Abwasser in Gewässer vorgeschriebenen Anforderungen nach den sogenannten allgemeinen anerkannten Regeln der Technik erfordern zwar nur solche Maßnahmen, die sich bei der Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Fachleute bereits durchgesetzt haben, aber wir müssen wenigstens erwarten, daß dies dann auch durchgesetzt wird. Das ist eine Frage des Vollzugs, nicht des Bundes. Wir wollen, daß in Zukunft nach dem Vorsorgeprinzip auch im Gewässerschutz vor der Einleitung solcher gefährlicher Stoffe in die Gewässer Vermeidungsmaßnahmen nach dem Stand der Technik zu treffen sind. Die Einführung dieses ja im Luftbereich im Bundes-Immissionsschutzgesetz bewährten Anforderungsniveaus wird auch im Gewässerschutz dazu führen, daß besonders fortschrittliche Verfahren, Einrichtungen, Betriebsweisen, die nach dem Stand der Technik bereits möglich sind, zur Anwendung kommen werden. Das ist das Herzstück dieser wichtigen Novellierung des Wasserhaushaltsgesetzes. Zu den gefährlichen Stoffen, deren Einleitung wir, soweit es nach dem Stand der Technik möglich ist, vermeiden wollen, gehören vor allem die Schwermetalle Quecksilber, Cadmium und Zinn sowie entsprechende organische Verbindungen und Stoffe, deren kanzerogene Wirkung im Wasser oder mindestens durch das Wasser erwiesen ist. Aber auch hier müssen wir darauf hinweisen: der Bund hat hier nur Rahmenkompetenz. Die Länder müssen sowohl ausführende Regelungen im Bereich ihrer Landeswassergesetze erlassen als auch vor allem den Vollzug sicherstellen. Es wäre traumtänzerisch, hier zu vergessen, daß der Vollzug dabei große Schwierigkeiten bereitet. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß weniger Federstriche des Gesetzgebers hier in Bonn als vielmehr praktische Maßnahmen vor Ort einen Gewässerschutz gewährleisten müssen. Wir wollen mit der Novellierung des Wasserhaushaltsgesetzes auch die EG-Gewässerschutzrichtlinie in nationales Recht umsetzen. Das betrifft insbesondere die Indirekteinleiter. Das sind die Mehrheit der Einleiter in die Gewässer. Das ist damit ein Bereich, in dem wir durch schärfere Anforderungen für diesen Bereich der indirekten Einleiter eine Gesetzeslücke schließen. Auch das bedeutet, daß die Bundesländer gefordert worden sind. Sie müssen sicherstellen, daß bei der Einleitung gefährlicher Stoffe in Abwasseranlagen, insbesondere in öffentliche Kanalisationen, grundsätzlich ebenfalls der Stand der Technik eingehalten wird. Mit dieser Regelung werden wir eine wichtige Lücke im Wasserrecht schließen. Die Durchführung einer solchen Indirekteinleiterregelung kann zu einer erheblichen Verminderung vor allem von Schwermetallbelastungen führen und damit übrigens auch ein Problem im Bereich Klärschlamm mindern, weil auch dort eine entsprechende Minderung von Schwermetallbelastungen die Folge wäre. Zugleich streben wir eine neue Regelung an, wonach solche Anforderungen bei Indirekteinleitern, die also zunächst in die Kanalisation einleiten, auch bereits unmittelbar an der Quelle des Schadstoffes gestellt werden können. Vermeidungsmaßnahmen sollten also nicht erst am Ort der Einleitung in das Gewässer gestellt werden können, sondern bereits vorher, an der Quelle der Entstehung. Das entspricht dem Vorsorgeprinzip auch im Gewässerschutz. Meine Damen und Herren, die Vermeidung einer Umweltbelastung an der Quelle muß vor deren Minderung gehen, und die Minderung an der Quelle muß vor der Reparatur eingetretener Schäden erfolgen. Die Gewässerschutzpolitik früherer Jahrzehnte hat sich dagegen wie in fast allen Bereichen der Umweltpolitik als Reparaturbetrieb verstanden. Zunächst hieß es, eingetretene Belastungen zu beheben. Im Gewässerschutz hieß das vor allem Verteilung, Verdünnung und Wasseraufbereitung. Dann hieß Gewässerschutzpolitik und muß Gewässerschutzpolitik zum Teil auch heute noch heißen: Minderung von Emissionen an der Quelle. Aber die Gewässerschutzpolitik der Zukunft muß bedeuten, Verfahren nach dem Stand der Technik zu entwikkeln, und dies müssen wir auch durch entsprechende Forschungsvorhaben fördern, um unerwünschte Emissionen gar nicht entstehen lassen zu können. Langfristiges Ziel in diesem Sinne muß es sein, die Wasserwirtschaft als Teil ökologischer Stoffwirtschaft zu verstehen, die die Stoffe so weit wie möglich in beherrschbaren Kreisläufen hält. Der demnächst hier zu beratende Entwurf des Wasserhaushaltsgesetzes verfolgt dieses Ziel. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß der Vollzug einer solchen Politik sicher ein langer und schwieriger Weg sein wird. Er stellt schließlich die Umkehrung früherer Gewässerschutzpolitik dar. Wir begrüßen, daß die Bundesregierung diesen Entwurf mit den in Vorbereitung befindlichen Gesetzen - Wasserhaushaltsgesetz und Abwasserabgabengesetz - ausdrücklich beschreitet. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, auf der Ehrentribüne haben die VizepräsidenVizepräsident Cronenberg tin Frau Fatoumata Ka und eine Delegation der Nationalversammlung Senegals Platz genommen. ({0}) Ich habe die Ehre, Sie, Frau Präsidentin, im Deutschen Bundestag zu begrüßen. Der Deutsche Bundestag freut sich über die Gelegenheit zu einem Meinungsaustausch mit dem Parlament Senegals. Wir wünschen Ihnen erfolgreiche Gespräche und einen angenehmen Aufenthalt in Deutschland. Unser besonderer Dank gilt Ihrem Besuch in Berlin. ({1}) Das Wort hat der Abgeordnete Kiehm.

Günter Kiehm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001092, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte in das Klagelied des Kollegen Göhner einstimmen: Die Summierung von Tagesordnungspunkten mit wenig zusammenhängendem Inhalt führt zumindest zu einem: dazu, daß die Chance, aneinander vorbeizureden, groß ist. Bei aller Schwierigkeit, Tagesordnungspunkte zusammenzubringen, wäre ich dankbar, wenn im Zuge einer vernünftigen Parlamentsreform auch daran einmal gedacht würde. ({0}) Nun zum Thema Waschmittelgesetz. Im Gegensatz zur Regierungskoalition, die sich lediglich dazu durchringen konnte, die Regierung zu bitten, sich weiterhin für eine Verbesserung der Anforderungen einzusetzen, sind wir der Meinung, daß an die Regierung die Aufforderung ergehen muß, die Novellierung des Waschmittelgesetzes voranzutreiben, und zwar so schnell es geht.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Hönes?

Günter Kiehm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001092, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Hannegret Hönes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000924, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, Sie haben zu Recht beklagt, daß heute sehr viele Gesetzesnovellierungen zusammengefaßt wurden. Wäre es nicht ein Vorschlag, nicht auf die bevorstehende Parlamentsreform zu warten? Sie könnten Ihre Kollegen im Ältestenrat ja vielleicht schon jetzt bitten, für eine vernünftigere Tagesordnung zu sorgen. Daran wäre auch uns sehr gelegen. ({0})

Günter Kiehm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001092, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin sicher, daß sich die Geschäftsführer aller Fraktionen darum kümmern; aber ich leugne gar nicht, daß es immense Schwierigkeiten gibt. Wenn wir etwas tun wollen, müssen wir es gemeinsam tun. Der Appell an eine Fraktion reicht da bei weitem nicht. ({0}) Meine Damen und Herren, wegen der fehlenden Eindringlichkeit, die ich angesprochen habe, haben wir bei aller Übereinstimmung in Einzelfragen der Entschließung letztlich nicht folgen können. Sagen will ich auch, daß es Übereinstimmung in Einzelfragen beim Gesetzentwurf der GRÜNEN zur Änderung des Waschmittelgesetzes gegeben hat, aber mindestens in zwei Punkten konnte Kritik nicht ausgeräumt werden, erstens in der Frage, ob Ersatzstoffe zur Verfügung stehen, deren Umweltverträglichkeit gewährleistet werden kann, zweitens bei dem Problem, ob die im Gesetzentwurf vorgesehene Frist realistisch ist. Wenn Gesetzgebung sozusagen auf saubere Exekution und nicht auf politische Demonstration gerichtet ist, muß auch das berücksichtigt werden. Bei der Beratung des Gesetzes ist ein Gesichtspunkt aufgetaucht, der im Innenaússchuß schon häufig eine Rolle spielte, nämlich der, daß es an der - an sich möglichen - Beschaffung von Informationen mangelt. Wir haben z. B. die Forderung erhoben, mit dem Hauptausschuß Detergenzien in einen Meinungsaustausch einzutreten, um offengebliebene Fragen zu diskutieren. Aber die Regierungskoalition hat die Sache sozusagen zur eilbedürftigen Sache gemacht und auf weitere Auseinandersetzungen verzichtet. ({1}) Dadurch haben wir zu verzeichnen, daß nicht mehr die Sachgerechtigkeit im Vordergrund steht, sondern offenbar der Blick auf den Terminkalender. Die Regierungskoalition hat in den Beratungen zum Ausdruck gebracht, daß freiwillige Vereinbarungen mit der Industrie, die sich - so sagt sie - in der Vergangenheit bewährt haben, angestrebt werden sollen. Meine Damen und Herren, dieser Form der Auseinandersetzung zwischen Branchen- und Unternehmensinteressen auf der einen Seite und dem Staat als Wahrer des Gesamtinteresses auf der anderen Seite soll nicht widersprochen werden. Wir sind allerdings der Meinung, daß das Instrument der Vereinbarung dann und nur dann Platz greifen kann, wenn die Drohung mit einschneidendem Ordnungsrecht glaubhaft gemacht werden kann. ({2}) Das heißt, der Hinweis auf freiwillige Absprachen ersetzt nicht die präzise Positionsbestimmung durch den Staat, sondern diese ist geradezu Voraussetzung für das Funktionieren solcher Absprachen. ({3}) Insbesondere dann, wenn die Unternehmen nicht vorwiegend auf Zeitgewinn und Abwiegelung setzen, sondern eine Politik der Vermeidung von Umweltschäden durch Produkt- und Produktionsveränderungen anstreben, kann eine solche Vereinbarung Bedeutung haben. Die Erfahrung hat gezeigt, daß dann, wenn chemische Substanzen in den Verdacht der Umwelt- und Gesundheitsschädlichkeit geraten, eine hektische Eile bei den Betriebsleitungen einsetzt. Wir Sozialdemokraten favorisieren eine Politik, die in Absprache mit Betriebsleitungen und nach Diskussion mit Betriebsräten eine Entwicklung einleiten soll, in Produktionsalternativen zu denken, und zwar rechtzeitig, um schon erkennbare Umweltschäden auszuschließen. Wir werden im Zuge der Diskussion um das Wasserhaushaltsgesetz unsere Position präzisieren. Ich darf noch einen Einschub machen. Der Verzicht auf gesetzliche Regelungen und das Abwandern in Vereinbarungen heißt auch, daß dieses Parlament darauf verzichtet, selber ordnungspolitische Entscheidungen zu treffen. Ich gebe zu bedenken, ob nicht zumindest in diesen Fällen ähnlich wie bei EG-Richtlinien und Technischen Anleitungen eine Befassung des zuständigen Ausschusses herbeigeführt werden sollte, damit unter der Schwelle der Gesetzgebung die Meinungsbildung und die Beratung der Regierung ermöglicht werden können. Wir haben unkonventionelle Lösungen gefunden und ich wäre dankbar, wenn wir diese auch hier finden würden. Nun einige wenige Worte zum Bericht der Bundesregierung. Als Ziel staatlichen Handelns wird genannt, die öffentliche Wasserversorgung sicherzustellen. Wir sind der Meinung, daß bei der Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes deutlich werden muß, daß die Sicherung der Naturhaushalte Ziel der Wassernutzung und des Gewässerschutzes sein muß. Hierbei wird dann auch die Sicherung der Trinkwasserversorgung eine Rolle spielen. Aus dieser Zielformulierung wird es im Hinblick auf Instrumente Konsequenzen geben müssen. So muß das Wasserhaushaltsgesetz ganz sicher dem Vorrang der natürlichen Gewässergestaltung und womöglich der Renaturierung von Gewässern und ihrer Uferzonen ausreichend Rechnung tragen. Hierbei kann - das will ich einräumen - eine vernünftige Ausgestaltung des Rechts der Wasser- und Bodenverbände ebenso hilfreich sein wie die Beteiligung der Naturschutzverbände bei Ausbau- und Unterhaltungsmaßnahmen. Der Bericht spricht dann von der Wirkung der Instrumente, insbesondere der Ablösung der ,,allgemein anerkannten Regeln der Technik" durch den „Stand der Technik". Wir begrüßen diesen Ansatz, wollen aber schon hier deutlich machen, daß das nicht dazu führen darf, wie es im Bericht heißt, daß diese neu definierten Anforderungen am Ort des Anfalls einsetzen können, sondern dazu führen muß, daß die Anforderungen dort einsetzen müssen. Nur so ist eine vorsorgende Politik möglich. ({4}) Gerade im Wasserbereich muß dem Vorsorgeprinzip Wirkung verschafft werden. Wichtig ist es, Wasserverunreinigung gar nicht auftreten zu lassen und Schadstoffe an ihrem Entstehungsort zurückzuhalten. Setzt sich diese Politik nicht durch, wird sehr schnell aus einem Gewässerschutz, aus einer Abwasserbeseitigungspolitik ein besonderes Problem für die Abfallwirtschaft entstehen. So, wie der Bericht davon spricht, daß beispielsweise die Ruflieferung von Baggergut auf Sonderdeponien zu Kosten in Milliardenhöhe führen wird, kann man davon ausgehen, daß auch die Ansammlung von gefährlichen Stoffen in Klärschlämmen mit der Notwendigkeit der Ablagerung auf speziellen Deponien zu Kosten in Milliardenhöhe führen wird. Da nach den bisherigen Erfahrungen nicht einmal ausgeschlossen werden kann, daß über die Versickerung dieser gefährlichen Stoffe wieder eine Schädigung des Grundwassers eintritt, haben wir hier einen Teufelskreis, der durchbrochen werden muß. ({5}) Ich hoffe, daß es uns gelingt, im Zuge der Beratung des Wasserhaushaltsgesetzes und des Abwasserabgabengesetzes eine Position einzunehmen, die tatsächlichen Fortschritt bietet. ({6})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Baum.

Gerhart Rudolf Baum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000111, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir führen eine nützliche Debatte. Die letzten Beiträge haben gezeigt, daß wir in der Vorbereitung der Beratung wichtiger Gesetzesvorhaben der . Bundesregierung sind: Wasserhaushaltsgesetz, Abwasserabgabengesetz und Waschmittelgesetz. Diese Vorhaben stehen in der Kontinuität früherer Anstrengungen. Zur Dramatisierung, Frau Kollegin Hönes, ist kein Anlaß. Ich habe Ihnen schon an anderer Stelle gesagt: Die Dramatisierung, die Sie im Verfolg Ihrer Politik seit über zwei Jahren hier im Bundestag betreiben, trägt zur Lösung der tatsächlichen Probleme wirklich wenig bei. ({0}) Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. Warum sagen Sie nicht, daß es um den Rhein heute sehr viel besser steht als vor einigen Jahren? Warum sagen Sie nicht auch das Positive? Warum unterschlagen Sie, daß unendliche Anstrengungen unternommen worden sind - von den Rheinanliegern, von den Gemeinden wie von den Industrieanliegern, von der Wissenschaft, von den Bürokratien in Bund und Ländern? Der Rhein ist viel besser als sein Ruf. Warum verschweigen Sie das, was von allen Beteiligten wirklich geleistet worden ist? ({1}) Wir haben einen steigenden Sauerstoffgehalt und sinkende Anteile von Nitraten, Phosphaten, Detergenzien und Schwermetallen im Rhein. Bei allem, was noch zu tun ist - das will ich j a gar nicht verkennen -, gehört zu einer gerechten Bewertung der Lage die Darstellung dessen, was erreicht worden ist. ({2}) Wir haben seit 1970 auf nationaler wie auf europäischer Ebene eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen - nach dem Vorsorge-, dem Verursacher- und dem Kooperationsprinzip -, um den Gewässerschutz zu intensivieren.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Hönes?

Gerhart Rudolf Baum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000111, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, Herr Präsident, gern.

Hannegret Hönes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000924, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, würden Sie mir zustimmen - ({0}) - Das war ein freudscher Versprecher. Würden Sie mir trotzdem zustimmen, daß der Anteil der chlorierten Kohlenwasserstoffe im Rhein ständig steigt, oder ist auch er im Sinken begriffen?

Gerhart Rudolf Baum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000111, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Er ist nicht dramatisch im Steigen begriffen. Es handelt sich dabei, wie ich zugebe, um einen sehr schwerwiegenden Problemstoff, um den ich mir Sorgen mache. Der Anteil steigt aber nicht besorgniserregend an. Wohl aber ist er in besorgniserregender Konzentration im Rheinwasser vorhanden. ({0}) - Nein, ich habe andere Informationen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Abgeordnete, Sie haben das Recht, eine Zwischenfrage zu stellen. Hier sollte aber kein Dialog eröffnet werden. Ich bitte Sie, das ein wenig zu beachten.

Gerhart Rudolf Baum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000111, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine Antwort fällt unabhängig davon aus, wie ich angeredet werde, Frau Kollegin. Es ändert nichts an der generellen Einschätzung der Lage. Meine Damen und Herren, auch die europäische Gewässerschutzpolitik war relativ erfolgreich. Im übrigen ist auf dem europäischen Feld am meisten im Bereich des Gewässerschutzes geschehen. Unter den verschiedenen Medien hat der Gewässerschutz - trotz aller Schwierigkeiten - in der Europäischen Gemeinschaft einen besonderen Anwalt gehabt, was sich unmittelbar auf die nationale Gesetzgebung auswirkte. Das rechtliche Instrumentarium hat auf breiter Ebene positive Wirkungen gehabt. Eine hohe Investitionsbereitschaft ist geweckt worden. Im Umweltprogramm von 1971 hatten wir uns das Ziel gesetzt, bis 1985 das Abwasser von 90 % aller Einwohner in öffentlichen Kanalisationen zu sammeln und vollbiologisch zu reinigen. Meine Damen und Herren, dieses Ziel ist weitgehend erreicht. Die Phosphathöchstmengenverordnung hat bewirkt, daß die Gewässerbelastung durch Waschmittelphosphate von etwa 70 000 t im Jahr 1975 auf 42 000 t im Jahre 1983 zurückgegangen ist. Das Haushaltsabwasser hatte 1975 eine Phosphatbelastung von etwa 4,9 g pro Einwohner und Tag. Diese Belastung ist auf 3,2 g zurückgegangen. 1,9 g sind unvermeidlich, denn sie stammen aus Fäkalien. Wir haben also zunächst einmal eine relativ positive Bilanz. Es ist aber nicht zu verkennen: Waschmittel und andere Chemikalien tragen auch heute noch zur Überdüngung vieler Gewässer bei. Deshalb werden wir weiter handeln. Nun einige Worte zum Waschmittelgesetz. Das 1975 in Kraft getretene Waschmittelgesetz hat mit seinem Zwang zur Umstellung auf umweltfreundliche Produkte der Industrie einen wichtigen Beitrag geleistet. Dieses Gesetz muß jetzt novelliert werden. Ich halte den Vorschlag, den Sie gemacht haben, Frau Kollegin Hönes - Sie vermuten das zu Recht -, für nicht realisierbar. Sie haben hier ja von allen Fraktionen gehört, daß wir im Bereich des Realisierbaren bleiben müssen. Regelungen, die wir hier treffen, dürfen nicht etwas bewirken, was umweltpolitisch bedenklich wäre. Die Zusammenhänge mit dem Klärschlammaufkommen sind hier aufgezeigt worden. Die Frage der umweltfreundlichen Ersatzstoffe muß diskutiert werden: Welche gibt es denn? Diese Probleme sind noch nicht gelöst. Wir unterstützen die Pläne des Bundesinnenministers bei der Novellierung des Gesetzes über Wasch- und Reinigungsmittel und wollen, daß folgende Gesichtspunkte beachtet werden. Es müssen die technischen Einrichtungen einbezogen werden, in denen Wasch- und Reinigungsmittel zur Anwendung gelangen. Es müssen die Wäscheweichspüler einbezogen werden. Die Bemühungen sind fortzusetzen, geeignete umweltfreundliche Ersatzlösungen zu finden, um auf Phosphorverbindungen in Wasch- und Reinigungsmitteln möglichst verzichten zu können. ({0}) Es ist eine verbesserte Information durch Ausweisung der Umweltverträglichkeit und der Dosierungsempfehlung zu erreichen. Es werden - da hat Herr Zimmermann recht, wenn er das kürzlich in einer Rede gesagt hat - noch zu viele Chemikalien im Haushalt verbraucht. Jemand hat einmal gesagt: Wir brauchen eine chemische Abrüstung im Haushalt. Es ist notwendig, die Mittel umweltverträglicher auszugestalten. Es müssen auch Anwendungsbeschränkungen bis hin zum Verzicht in den Haushalten stärker zum Tragen kommen. Es ist auch ein Problem, daß es viele Reinigungsmittel gibt, die auf alle Verschmutzungsfälle angelegt sind. Wir brauchen also eine stärkere Spezialisierung. Das Problem des Umweltschutzes ist nicht nur eine Frage der Gesetzgebung, sondern eine Konsequenz von millionenfachen Entscheidungen pro Tag. Jeder von uns entscheidet über die Qualität der Umwelt mit, indem er sich fragt: Muß das jetzt gewaschen werden? Muß das so gewaschen werden? Muß eine Waschmaschine in Betrieb gesetzt werden, obwohl sie nicht ganz voll ist? Müssen Pflanzenbehandlungsmittel angewendet werden? Diesen täglichen Entscheidungen, die aus dem Bewußtsein der Bevölkerung entstehen, müssen wir Rahmenbedingungen geben. Wir müssen auf die positive Einstellung unserer Mitbürger zugehen. Wir müssen den Leuten helfen, diese positive Einstellung in vielen Entscheidungen des Alltags zu praktizieren. Das führt dann zu einer Reduzierung der Umweltbelastung. Jedenfalls ist das ein ganz we10806 sentlicher Beitrag, den der einzelne Bürger leisten kann und auch leisten will. ({1}) Das Wasserhaushaltsgesetz ist zu novellieren. Die Bundesregierung hat dazu einen Vorschlag vorgelegt. Wir sind der Meinung, daß wir weitere Begrenzungen für besonders wassergefährdende Stoffe brauchen, also für Organohalogene und Schwermetalle. Wir brauchen Einleitungsbegrenzungen nach dem Stand der Technik. Diese Begrenzungen müsen sowohl für die Einleitung in ein Gewässer als auch für die Einleitung in die öffentliche Kanalisation gelten, da eine Entfernung aus dem Abwasser - da stimme ich allen Vorrednern zu - nur an der Quelle möglich ist. Wir brauchen Strategien zur Vermeidung der Einleitung, und zwar an der Quelle. Eine weitere Anreicherung von Nitraten im Grundwasser ist zu vermeiden. Jede Beeinträchtigung der Grundwasserqualität und jede Gefährdung des Grundwasserbestandes sind zu unterbinden. Grundwasser mit Trinkwasserqualität sollte möglichst nicht für Zwecke verwendet werden, für die Brauchwasser genutzt werden kann. ({2}) Jede Wasserentnahme muß auf die Mengen beschränkt werden, die sich im langjährigen Mittel neu bilden und zur Erhaltung des jeweiligen Ökosystems nicht benötigt werden. Das heißt, der Schutz des Ökosystems ist das vorrangige Ziel. Für alle Fließgewässer, so meinen wir, muß mindestens die Güteklasse 2 erreicht werden. Die Einbringung von schwer abbaubaren und toxischen Stoffen ist zu unterbinden. Die Änderung der natürlichen Temperatur von Gewässern ist auf das ökologisch vertretbare Maß zu beschränken. Novellierung des Abwasserabgabengesetzes. Wir brauchen neue Bestimmungen der Abwasserschädlichkeit unter Einbeziehung der chlorierten Kohlenwasserstoffe. Wir haben neue wissenschaftliche Erkenntnisse, neue Meßverfahren, die wir umsetzen müssen. Wir brauchen eine bundeseinheitliche Festlegung der Verfahren zur Bestimmung der Schadstoffkonzentration und der Fischgiftigkeit. Wir müssen den Wegfall der Abgabe bei erheblicher Unterschreitung der Mindestanforderungen für das Einleiten von Abwasser prüfen. Wir müssen die Fracht- und Konzentrationsschwellenwerte für die Erhebung der Abgabe neu festlegen. Starkverschmutzungszuschläge oder ökonomische Anreize für Indirekteinleiter müssen wir in die Wege leiten. Ziel muß es sein, eine TA Wasser zu erarbeiten und die Entfernung der Schadstoffe möglichst an der Quelle zu erreichen. Es wird also gehandelt, meine Damen und Herren. Ich verstehe diese Debatte als Vorbereitung auf die wichtigen Entscheidungen, die wir in dieser Legislaturperiode treffen sollten, über das Wasser-h aushaltsgesetz, das Abwasserabgabengesetz, das sich gegen alle Kritik bewährt hat, und das Waschmittelgesetz. Wir werden unseren Beitrag dazu leisten. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zuerst zur Einzelberatung und Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 3 a, über den von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Waschmittelgesetzes auf Drucksache 10/1434. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/3491 unter Nr. 1, diesen Gesetzentwurf abzulehnen. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit sind die aufgerufenen Vorschriften abgelehnt. Eine Beratung - dritte Lesung - erübrigt sich nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung. Es ist noch über eine weitere Beschlußempfehlung des Ausschusses abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/3491 unter Nr. 2 die Annahme einer Entschließung. Wer dieser Entschließung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist diese Entschließung angenommen. Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 3 b. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/3491 unter Nr. 1, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/1436 abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung des Innenausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses angenommen. Zu den Tagesordnungspunkten 3 c und 3 d schlägt der Ältestenrat die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 10/3038 und 10/2833 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen. Wir stimmen nunmehr über den Tagesordnungspunkt 3 e ab. Der Ausschuß für Wirtschaft empfiehlt auf Drucksache 10/3030, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/2201 abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses angenommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 3 f. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 10/3298 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses angenommen. Vizepräsident Cronenberg Meine Damen und Herren, die Beschlußempfehlung und der Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu Tagesordnungspunkt 4 konnten erst gestern verteilt werden. Ich gehe davon aus, daß von der Frist für den Beginn der Beratungen gemäß § 81 Abs. 1 der Geschäftsordnung abgewichen werden soll. - Ich sehe, das Haus ist damit einverstanden. Dann ist mit der erforderlichen Mehrheit so beschlossen. Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Gewährung einer Vergütung für die Aufgabe der Milcherzeugung für den Markt - Drucksache 10/3454 - a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({0}) - Drucksache 10/3508 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Schmidt ({1}) b) Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 10/3517 Berichterstatter: Abgeordnete Schmitz ({3}) Frau Zutt Dr. Müller ({4}) ({5}) Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Ich eröffne damit die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete von Schorlemer.

Reinhard Schorlemer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Verabschiedung des Milchaufgabenvergütungsgesetzes - ein furchtbarer Titel - gibt mir zunächst die Gelegenheit, dem abwesenden Minister Ignaz Kiechle namens der CDU/CSU-Fraktion sehr herzlich zu danken für seinen Einsatz, den er in Brüssel gerade für die deutschen Milchbauern geleistet hat. ({0}) - Verehrte Kollegen von der SPD, Richtpreiserhöhungen, Senkung des Zahlungsziels und Verringerung der Mitverantwortungsabgabe bedeuten eine Anhebung des Erzeugerpreisniveaus um 3 %. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen. ({1}) - Nein, nein, verehrter Herr Altvorsitzender. Das ist die Tatsache. Es ist in Brüssel erreicht worden, daß uns die Abgabe für die Überlieferungen die finanzielle Grundlage für dieses Gesetz gibt. Weiter kann der Bundesminister den Ländern jetzt eine Ermessensmenge zur Verfügung stellen, die in Brüssel unserer nationalen Quote hinzugefügt worden ist. Dadurch können die Länder weitere Härtefälle regeln. Auch der Saldenausgleich zwischen Über- und Unterlieferung, durch den im vergangenen Jahr alle zusätzlich anerkannten Härtefälle bedient werden konnten, kann in diesem Jahr fortgesetzt werden. ({2}) Diese Regelungen, verehrter Herr Kollege Oostergetelo, konnten in Brüssel auch nur dadurch erreicht werden, daß die Mengenbegrenzung gewirkt hat. ({3}) Daher ist auch die Anhebung der Erzeugerpreise nur bei dieser die Menge regelnden Form durchsetzbar. Mengenbegrenzung durch Mitverantwortung oder generelle Preissenkung hätten die Preisanhebung nicht möglich gemacht. Im EG-Haushalt wurden dadurch zwischen 4 Milliarden und 6,4 Milliarden DM eingespart. Dieses Gesetz gibt uns zwei Schlüssel in die Hand. Einmal findet die 1 %ige Kürzung für alle Milchbauern nicht statt, weil weitere Herauskaufaktionen, die mit dem Geld der Überlieferungen der Milchbauern finanziert worden sind, durchgeführt werden können. Zum anderen gibt dieses Gesetz den Ländern die Möglichkeit, selber Landesmilchprogramme durchzuführen. Dadurch können dann auch weitere Härtefälle gelöst werden. Wir alle kennen sie ja, sie bedrücken uns hier alle. ({4}) Sie geben auch den Jungbauern Perspektive. Schon jetzt ist bekannt, daß Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein diesen Weg gehen werden. Gerade die Ministerpräsidenten Albrecht und Barschel haben sich sehr für diese Möglichkeit eingesetzt, um in ihren Ländern weiter zu helfen. ({5}) Ich gehe auch davon aus, daß weitere Bundesländer dem folgen werden. Dies ist auch deshalb besser, weil die Strukturen in der Bundesrepublik völlig unterschiedlich sind und somit die Bundesländer sehr viel mehr vor Ort und dafür sehr viel sachgerechter entscheiden können. Ich möchte in diesem Zusammenhang auch die Molkereien bitten, diesen Gesetzentwurf positiv zu begleiten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere Nachbarn, die Österreicher, haben die Quotenregelung vor Jahren eingeführt. Sie haben inzwischen den sechsten oder siebenten Novellierungsentwurf. Ich gehe auch davon aus, daß dies nicht die letzte Phase ist, in der wir uns mit dieser Materie im Bun10808 destag beschäftigen müssen. Wir haben im Gesetz deshalb auch der Regierung die Möglichkeit gegeben, durch Verordnungen Aktualisierungen vorzunehmen. ({6}) Wir haben diesen Weg in der EG gewählt, um in der EG und bei uns den Milchüberschuß zu bremsen. Absolute Gerechtigkeit werden wir dabei niemals erreichen können, sonst hätten wir nämlich für jeden der 320 000 Milchbauern eine eigene Milchlösung schaffen müssen. Wir werden auch in Zukunft hier weiterarbeiten müssen. Die jüngsten Ergebnisse von Brüssel und dieses Gesetz geben weitere Hilfe, Entlastung und auch Perspektive. Den Milchbauern sage ich: Wir werden ihnen auch in Zukunft helfen. ({7})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Pfuhl.

Albert Pfuhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001711, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr verehrter Herr Kollege Schorlemer, der polnische Satiriker Lec hat einmal gesagt: Aus einer Sackgasse gibt es leider keinen sicheren Rückweg. So scheint mir auch Ihre Äußerung heute an dieser Stelle gewesen zu sein. Wir beraten heute also das Erste Änderungsgesetz zum Milchrentengesetz. Wie im letzten Jahr wird auch das Änderungsgesetz wieder einmal im Schnellverfahren durchgepeitscht. ({0}) Das liegt an sich nicht im Interesse der Sache. Gesetze sollten nicht mit heißer Nadel genäht werden. Aber die Bundesregierung hat mit der Milchkontingentierung die Planwirtschaft eingeführt, nur, über vernünftige Zeitplanung ist sie bisher nicht einig geworden. ({1}) Ich habe auch nicht die Absicht, hier auf den Bundeslandwirtschaftsminister einzudreschen. Das ist ja von Ihrer Seite schon zur Genüge erfolgt und wird auch in Zukunft zu erwarten sein. Die Kronzeugen dafür sitzen hier vor mir. Herr Kollege Eigen, ich denke nur an Ihre Äußerung zur Milchkontingentierung in der Öffentlichkeit. Die Voraussagen über die Folgen der Milchkontingentierung sind von der Wirklichkeit weit übertroffen worden. Der Milchmarkt ist in Unordnung, und er wird auch in Zukunft in Unordnung bleiben. Tausende von Härtefällen sind ungelöst. Bei den Betroffenen ist - wie bisher - Zorn vorhanden. Überall im Lande geht weiterhin die Existenzangst bei den kleinen Milchbauern um. ({2}) - Sie wahrscheinlich nicht, Herr Kollege; das weiß ich. - „Ungereimtheit und Unzulänglichkeit ohne viel Sachverstand", schrieb der Chefredakteur des „Hessenbauern" vor einigen Tagen. Die Gerichte stöhnen unter einer Flut von Klagen. Die Molkereiwirtschaft muß die Zeche für politische Fehlentscheidungen zahlen. Auch hier ist die Verärgerung sehr groß. Das ist kaum noch zu überbieten. Wer einmal in die Genossenschaftsversammlungen geht und sich anhört, was dort läuft, der weiß, wovon ich rede. ({3}) Die Regierung treibt mit ihrer Politik einen Keil zwischen die Erzeuger und die Genossenschaften. ({4}) Sie macht die Fehler, die andere vor Ort ausbaden müssen. Meine Damen und Herren, leider müssen wir mit dieser Milchkontingentierung leben. ({5}) - Es gibt andere, bessere Wege, aber Sie wollten sie j a nicht einschlagen. Sie sind j a, wie gesagt, in diese Sackgasse hineingeschlittert. Nun müssen wir sehen, wie wir aus ihr herauskommen. Aber wir müssen damit leben. Wie das so ist: Auch bei ungewollten Kindern darf man nicht so tun, als gäbe es sie nicht.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Eigen?

Albert Pfuhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001711, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sofern es mir nicht auf meine fünf Minuten angerechnet wird.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Es wird nicht angerechnet.

Karl Eigen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000455, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Pfuhl, müssen Sie nicht doch zugeben - Sie schildern hier ein so düsteres Bild -, daß diese Gesetzgebung gerade zur Verbesserung der Situation der Bauern und zur Verbesserung des Verhältnisses zwischen den Bauern und der Molkereigenossenschaft beitragen soll? Wir wollen das ja verbessern! Deswegen stehen wir j a hier!

Albert Pfuhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001711, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrter Herr Kollege Eigen, die Zeit verbietet mir, das zu zitieren, was Sie in der Vergangenheit zu diesem Thema gesagt haben. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Oostergetelo?

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Agrarfachleute der Union schon vor einem Jahr erklärt haben, die damalige Milchregelung sei eine optimale Lösung? Ich frage Sie: Weshalb bedarf sie dann einer Nachbesserung?

Albert Pfuhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001711, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, ich stimme Ihnen zu. ({0}) - Genau dies wurde in der Vergangenheit erklärt. Nur: Die Tatsache, daß wir heute schon eine erste Novelle vorgelegt bekommen - und zwar von den Fraktionen, im Schnellverfahren -, beweist, wie brüchig diese Äußerung damals war. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten von Hammerstein. - Damit zum Schluß aber die Zeit, die Sie für die Beantwortung der Fragen benötigen, nicht länger ist als Ihre Redezeit, bitte ich Sie, sich eine gewisse Mäßigung aufzuerlegen. - Bitte sehr. von Hammerstein ({0}): Herr Kollege Pfuhl, Sie können sich vielleicht daran erinnern, daß der Deutsche Bauernverband Ihnen 1978 Vorschläge unterbreitet hat, wie man mit diesem Problem fertig werden könnte. Sie haben diese Vorschläge damals nicht akzeptiert. 1978 haben wir schon Probleme bei der Milch gehabt. Warum sind Sie nicht darauf eingegangen?

Albert Pfuhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001711, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege von Hammerstein, würden Sie diese Frage bitte hinterher den Freien Demokraten stellen, denn der Landwirtschaftsminister zu dieser Zeit war Freier Demokrat. ({0}) Ich bin aber der Meinung, daß wir in dieser verfahrenen Situation unsere Pflicht zu tun haben. Wir sind bereit, unseren Beitrag auch dazu zu leisten, damit den Betroffenen nicht noch größerer Schaden zugefügt wird. ({1}) Rechthaberei hilft auch nicht, vor allem denjenigen nicht, die in Not sind. Deshalb werden wir dem Gesetz zustimmen. Ohne das Herauskaufen von Milch, ohne finanzielle Anreize für Landwirte, ihre Milcherzeugung aufzugeben, würden die Härten noch größer. Deswegen befürworten wir insbesondere auch, die Bundesländer zu ermächtigen, ihrerseits schadensbegrenzend tätig zu werden. Wir appellieren auch an den Bundeslandwirtschaftsminister, den Ländern einen möglichst großen Gestaltungsspielraum zu geben. Jedes Land hat seine besondere Struktur, seine besonderen Probleme. Jedes Land muß die Möglichkeit haben, etwas Sinnvolles für die betroffenen Menschen und die Erhaltung von Natur und Landschaft zu tun. ({2}) Bayern und Baden-Württemberg - ich will diejenigen, die von dort kommen, nicht scharf ansehen - haben ja bisher Maßnahmen der Länder abgelehnt, weil sie die Last der Bundespolitik des Herrn Kiechle nicht mittragen wollen. ({3}) -- Hessen hat ja in Brüssel schon ein Förderprogramm vorgelegt, allerdings wurde es von der Bundesregierung nur halbherzig unterstützt. ({4}) Zur Zeit lehnen diese beiden Länder also Maßnahmen ab. Das hilft den betroffenen Landwirten aber gar nicht. Ich garantiere Ihnen - ich nehme an dieser Stelle jede Wette entgegen -, daß sich auch diese beiden Länder eines Besseren besinnen werden, auch wenn sie CSU- oder CDU-regiert werden. ({5}) - Natürlich wurde gestern erklärt, daß sie ein solches Programm nicht beabsichtigen. ({6}) - Also! Ich stelle eines fest: Wenn die Länder dies nicht täten, wären die Landwirte in diesen Ländern die Betroffenen und Betrogenen. ({7}) Der vorliegende Gesetzentwurf schafft Erleichterungen, aber er löst die Probleme nicht. Über den Milchbauern schwebt weiterhin das Damoklesschwert von Kürzungen. Wir werden uns im nächsten Jahr - Herr von Schorlemer hat es angekündigt - wieder darüber unterhalten müssen. Aber vielleicht, meine Herren von der Gegenseite im Agrarausschuß, können Sie einmal Ihren zugeknöpften Finanzminister darauf hinweisen, daß er es ist, der hier seinen Beitrag durch die Bereitstellung zusätzlicher Haushaltsmittel zu leisten hat. ({8}) Wenn die der Bundesrepublik zugeteilte Milchquote eingehalten werden soll, müssen noch einige 100 000 t Milch in der Zukunft herausgekauft werden. Der Herr Kiechle benötigt noch etwa 300 Millionen DM, um ein annäherndes Gleichgewicht zu erreichen. ({9}) Und wer sagt Ihnen, meine Damen und Herren, daß die Bauern Ihnen auch zukünftig den Gefallen hoher Unterlieferungen in dieser Form tun werden? Wer garantiert Ihnen und dem Finanzminister, daß in der Zukunft noch genügend Manövriermasse besteht? Wir sind mit der Agrarpolitik dieser Regierung nicht einverstanden. Wir befinden uns in guter Gesellschaft. Wer vor einigen Wochen die ,,Wirtschaftswoche" und darin den Artikel von Herrn Engels gelesen hat, weiß, wovon ich rede. ({10}) Auch bei diesem Gesetz haben wir erhebliche Bauchschmerzen. Die Risiken sind unwägbar, und die Unsicherheit ist zu groß. Trotzdem geben wir die Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf, weil wir nicht wollen, daß die Menschen in der Landwirtschaft unter der Politik dieser Regierung noch mehr zu leiden haben; ({11}) denn Wegweiser, meine sehr verehrten Damen und Herren, machen einen Leidensweg nicht leichter. Herzlichen Dank. ({12})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Bredehorn.

Günther Bredehorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000256, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der heute hier zu verabschiedende Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Gewährung einer Vergütung für die Aufgabe der Milcherzeugung, sozusagen eine Fortsetzung der Milchrentenaktion, ist vor dem Hintergrund der EG-weiten Milchüberschüsse zu sehen, die wir in den Griff bekommen müssen. Für die FDP-Fraktion begrüße ich diesen Gesetzentwurf. Wir werden ihm zustimmen, gibt er uns doch die Möglichkeit, die vom EG-Ministerrat bereits beschlossene erneute Kürzung der Milchgarantiemenge um 11)/0 - das sind für die deutschen Milcherzeuger rund 240 000 Tonnen - aufzufangen. Herr Kollege Pfuhl, ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie zum Schluß Ihrer Rede Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf signalisiert haben. Das freut mich; denn bei der ersten Maßnahme dieser Art, der Milchrentenaktion, wo wir jeweils 100 Millionen DM pro Jahr, insgesamt 1 Milliarde DM, zur Verfügung stellen, hat die SPD den Gesetzentwurf im Deutschen Bundestag abgelehnt. Ich begrüße, daß Sie jetzt im Interesse der Bauern mit den Regierungsparteien mitziehen. ({0}) Die Unruhe, die die von der FDP nicht gewollte Einführung der Milchkontingentierung unter die Milchbauern gebracht hat, ist nach wie vor groß. Zu schwerwiegend wirken die administrativen Eingriffe in das einzelbetriebliche Geschehen, zu einschneidend sind die Konsequenzen für die Milcherzeuger, die sich bis dato als selbständige freie Unternehmer fühlen konnten. Die bäuerliche Unruhe würde sich sicher noch verstärken, wenn wir jetzt eine nochmalige einzelbetriebliche Kürzung von 1 % vornehmen müßten ({1}) und damit rund 350 000 Betrieben einen neuen Quotenbescheid schicken müßten. Die jetzige Milchrentenaktion bietet die Möglichkeit, dem uns von Brüssel auferlegten Kürzungszwang nachzukommen, ohne eine nochmalige Belastung aller Milcherzeuger vornehmen zu müssen. Trotz meiner generellen, Ihnen allen bekannten Kritik an einer Milchkontingentierung als eines planwirtschaftlichen Fremdelements sehe ich in einer freiwilligen Herauskaufaktion den richtigen Ansatz, um notwendige Produktionskürzungen zu realisieren, aber auch wieder mehr Flexibilität für den Milchmarkt zu erreichen. Jeder Landwirt kann dabei selbst entscheiden, ob er das Angebot akzeptiert oder nicht. Und er wird dieses Angebot nur annehmen, wenn er für seinen Betrieb eine Alternative hat. Das vorliegende Milchaufgabevergütungsgesetz bietet dem Landwirt eine interessante Wahlmöglichkeit, nämlich sich die Vergütung in einem Betrag auszahlen oder über fünf bzw. zehn Jahre verrenten zu lassen. Nun stellt sich natürlich die Frage, ob unser Angebot für den Milcherzeuger so attraktiv ist, daß er darauf eingeht. Dies ist nämlich die Voraussetzung, um neue Kürzungen zu vermeiden. Für die Aktion stehen uns ca. 140 bis 150 Millionen DM zur Verfügung. Gegenüber den nichtlandwirtschaftlichen Kollegen - die ich allerdings heute mittag im Plenum nicht sehe -, aber besonders gegenüber der Öffentlichkeit betone ich noch einmal, daß es sich hierbei nicht um Haushaltsmittel, sondern um bäuerliches Geld handelt, nämlich um den Betrag, den die Landwirte für zu viel produzierte Milch bezahlen mußten. Ich erkenne ausdrücklich an, daß es unserem Bundesminister gelungen ist, in zähen Verhandlungen zu erreichen, daß diese Gelder nicht nach Brüssel abgeführt werden müssen, sondern dazu verwendet werden, zusätzliche Milchmengen aufzukaufen und stillzulegen. ({2}) Der Gesetzentwurf ermöglicht es aber auch den einzelnen Bundesländern, Referenzmengen aufzukaufen, um sie im Rahmen der Strukturverbesserung bei der Lösung von Problemfällen einzusetzen. Ansonsten gelten dieselben Konditionen wie beim Bundesprogramm. Zur Zeit sind es nur die nördlichen Bundesländer, die ihren Willen zu eigenen Aktionen manifestiert haben und teilweise schon in der Realisierungsphase sind.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, der Abgeordnete Oostergetelo möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen. Sie gestatten das?

Günther Bredehorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000256, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte sehr.

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, wenn Sie es so sehr loben, daß wir die Gelder, die sogenannte Superabgabe, nicht abführen müssen, sind Sie dann bereit, zuzugeben, daß die deutschen Bauern die einzigen waren, die die Superabgabe abgeführt haben, und sind Sie bereit, auch zuzugeben, daß diese Maßnahme eine Hilfsaktion für die Aktionen ist, die Sie und wir negativ bewertet haben?

Günther Bredehorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000256, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sicher haben besonders die deutschen Landwirte die Superabgabe abgeführt. Auf der anderen Seite wurden hier j a die größten Überschüsse produziert. Daher kann man trotz alBredehorn ler Kritik an der augenblicklichen EG-Haltung sagen: Hier war die deutsche Landwirtschaft EGfreundlich, hat sich also an das Gesetz gehalten. Trotzdem ist es ein großer Erfolg, daß wir diese Mittel jetzt einsetzen können, um zusätzliche Mengen stillzulegen. ({0}) Ich hoffe sehr und fordere für meine Fraktion, daß die Überlegungen der EG-Kommission, ihrerseits EG-weit Milchmengen herauszukaufen, um sie stillzulegen, ab 1986 in die Tat umgesetzt werden. Das ist dringend notwendig. Denn trotz Milchkontingentierung - die unsere deutschen Landwirte mit einem Einnahmeausfall von 1,2 bis 1,4 Milliarden DM im vorigen Wirtschaftsjahr schwer traf - sind die Überschußprobleme ja keineswegs gelöst. Wir sind ja leider - kann man nur sagen - wieder Millionäre. In den Kühlhäusern lagert heutzutage wieder über 1 Millionen t Butter. Deshalb müssen Milchrentenprogramme oder Herauskaufaktionen als wichtige Instrumente der Milchmarktpolitik in den nächsten Jahren fortgeführt werden. Es geht dabei nicht nur um eine Stillegung von Quoten, sondern wir brauchen auch Mengen, um damit in Existenznot geratenen Betrieben zu helfen und um jungen Landwirten wieder eine Zukunftschance in ihrem Beruf zu geben. Auch in Zukunft muß in der Milchwirtschaft ein gewisser Strukturwandel möglich sein, damit sich gesunde, leistungsfähige bäuerliche Betriebe entwickeln können. Wir müssen in der Milchpolitik dazu kommen, daß wir langfristig die Kontingentierung beenden und die Marktwirtschaft wieder mehr zu ihrem Recht kommt. Danke schön. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Werner ({0}).

Helmut Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002483, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind der Meinung, daß die Quotenregelung und die Milchrente als Maßnahmen zur Begrenzung der Überschüsse ein miserabel vorbereitetes, völlig ungerechtes und in den Auswirkungen auf die deutschen Bauern katastrophales Gesetz gewesen ist. ({0}) Wir sind nach wie vor der Meinung, daß durch die Einführung eines Staffelpreissystems und über ein an die Grünlandfläche gebundenes Milchlieferungsrecht der Abbau der Überschüsse besser zu regeln ist. Für Milchbauern, deren Kuhzahl im Bereich des Bundesdurchschnitts, also bei 15 Kühen, liegt, reicht der heutige Preis je Liter Milch im allgemeinen nicht aus, um damit ihren Arbeitsaufwand bezahlt zu bekommen. Sie arbeiten ohne Lohn und leben von der Substanz. ({1}) Durch diese so schön klingende freiwillige Milchrente wird kein einziger Betrieb gesund. Das Prinzip „Wachsen oder weichen" wird verstärkt. Neu an dieser Auflage der Milchrente ist, daß sich der Bauer, der seine letzten Kühe auf immer abgibt, diese Rente auch auf einmal - dann allerdings statt 1 000 DM nur 700 DM für 1 000 Kilogramm Anlieferungsrecht je Jahr - auszahlen lassen kann. Manch hochverschuldeter Betrieb wird diesen Strohhalm ergreifen. Neu ist auch, daß ein Teilverkauf der bisherigen Quote möglich sein soll. Auch dies werden wohl nur Betriebe machen, die vor Schulden wirklich nicht mehr ein noch aus wissen. Sie sägen sich im wahrsten Sinne des Wortes den Ast ab, auf dem sie sitzen. Es scheint für die Regierung auch mehr ein Alibi zu sein. Man will sich nicht sagen lassen: Die Rente verdrängt nur die Kleinen vom Markt. Wenn der Bund jetzt Referenzmengen aufkauft, um damit eine weitere Kürzung aller Quoten um 1 % zu vermeiden, also davon keine Milchmengen für die sogenannten Härtefälle verwenden will, so müssen wir dies aus der Erfahrung des letzten Jahres heraus fast begrüßen. Denn die Zuteilung zusätzlicher Quoten nach dem Prinzip „Wer hat, dem wird auch noch gegeben" hat Neid und Wut in die Dörfer gebracht. ({2}) Der Prozeß, die Milchviehhaltung aufzugeben, läuft seit mehr als 30 Jahren. Mangel an Arbeitsplätzen, Spezialisierung und Abschlachtprämien haben die Kühe auf der Hälfte der Höfe verdrängt. Die Betriebe, die heute noch melken, sind alle auf die Einnahme aus dem Milchbereich angewiesen und bewirtschaften auch fast alle absolute Grünlandflächen. Der Bauer, der seine Kühe heute abgibt, gibt praktisch seinen Hof ab; das muß doch gesehen werden. Er kann lediglich noch die Milchrente verleben. Wenn wir also am Jahresende vielleicht die stolze Meldung hören, die Milchrente sei vom deutschen Bauern positiv angenommen worden, die vorhandenen Mittel seien bereits fast ausgeschöpft, so ist damit doch gleichzeitig die traurige Feststellung verbunden: Vielen Bauern in diesem Lande geht es so schlecht, daß sie ihre Kühe zu Geld machen müssen. Damit haben sie das Aus für ihren Hof besiegelt. Schließlich stellt sich die Frage: Wie wirkt sich die Neuauflage der Milchrente in benachteiligten Gebieten mit hohem Grünlandanteil aus? Wenn das Angebot hier aus der Not heraus verstärkt angenommen wird, die Nachbarn die Flächen aber nicht übernehmen, nicht übernehmen können, weil Milch auf der Fläche nicht erzeugt werden darf, so ist hier Werner ({3}) eine weitere landwirtschaftliche Bewirtschaftung nur schwer möglich. ({4}) Die Fraktion DIE GRÜNEN wird diesen Gesetzentwurf ablehnen. Unsere Lösungsansätze für eine Reduzierung der Gesamtquote der Bundesrepublik würden sich erstens an Bestandsobergrenzen und zweitens an der von der Futterfläche abhängigen Milchanlieferungsrechten ausrichten. Bei Einführung von Bestandsobergrenzen mit 60 Kühen und Nachzucht - das fordern nicht nur die GRÜNEN, sondern auch der bayerische und der baden-württembergische Bauernverband - könnte die doppelte Milchmenge vom Markt genommen werden, nämlich 2 %. ({5}) - 2 % könnten so vom Markt genommen werden. ({6}) - Nein, das wären 2 %; das können Sie nachlesen. - Wird bei einer Anlieferung von mehr als 300 000 Kilogramm Milch die Abgabe erhoben, dann würden Bestände von 60 Kühen die Obergrenze sein. Von und mit 60 Kühen kann ein Betrieb leben. Niedersachsen sieht als zweiten Schritt vor, daß Betriebe auch Quoten kaufen können. Damit ist einer weiteren Konzentration auch in der Milchviehhaltung natürlich Tür und Tor geöffnet. Unsere Lösungsansätze und Hilfen für finanziell am Rand stehende Betriebe - und das sind die Milchrentenanwärter - zielen nicht auf den Verkauf ihres wichtigsten Betriebsmittels, nämlich der Kühe. Vielmehr muß ihnen durch ein Staffelpreissystem und Entschuldungsprogramme geholfen werden. Schönen Dank. ({7})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Da mir weitere Wortmeldungen nicht vorliegen, schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift mit den vom Ausschuß empfohlenen Änderungen auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit sind die aufgerufenen Vorschriften mit großer Mehrheit angenommen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist das Gesetz angenommen. Meine Damen und Herren, wir treten in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14 Uhr mit der Fragestunde fortgesetzt. Die Sitzung ist unterbrochen. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die unterbrochene Sitzung wieder. Wir kommen zu Punkt 1 der Tagesordnung: Fragestunde - Drucksache 10/3487 Aufgerufen ist der Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung der Fragen steht Staatsminister Möllemann zur Verfügung. Zuerst kommt die Frage 5 der Abgeordneten Frau Eid: Welche Schritte hat die Bundesregierung unternommen, um gemäß der Resolution des Europäischen Parlamentes ({0}) die sofortige Freilassung von Nelson Mandela und all der anderen politischen Gefangenen des rassistischen Südafrikaregimes zu erreichen?

Not found (Gast)

Frau Kollegin, schon seit längerem ist die Bundesregierung sowohl bilateral als auch multilateral im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit bemüht, die südafrikanische Regierung zur Freilassung politischer Gefangener zu bewegen. Daher hat sich die Bundesregierung bei zahlreichen Gelegenheiten auf hoher politischer Ebene für die Freilassung aller politischen Gefangenen in Südafrika eingesetzt. Die Bundesregierung hat dabei gerade das Schicksal von Nelson Mandela als exemplarischen Fall aufgegriffen. Sie hat in verschiedenen Demarchen an die südafrikanische Regierung appelliert, Nelson Mandela freizulassen. Sie wird in ihrem aktiven Bemühen um eine Freilassung Nelson Mandelas auch nicht nachlassen. Bisher ist dieses Ziel nicht erreicht.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage, Frau Eid.

Ursula Eid-Simon (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000454, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Hat die Bundesregierung auch aktuell Schritte unternommen, um Südafrika zur Einstellung des politischen Schauprozesses gegen die Führung der Oppositionsbewegung Vereinigte Demokratische Front zu bewegen?

Not found (Gast)

Ich sagte bereits, daß wir uns für die Freilassung der politischen Gefangenen eingesetzt haben und einsetzen, insbesondere, wie es in Ihrer Frage heißt, für die Freilassung Nelson Mandelas. Auf Gerichtsverfahren in der Republik Südafrika haben wir naturgemäß keinen Einfluß. Allerdings bemühen wir uns darum, im Rahmen unseres Einsatzes für die Verbesserung der Menschenrechtslage in diesem Land auch dafür zu sorgen, daß Angeklagte in diesem Land ein faires Verfahren erhalten.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Weitere Zusatzfrage, Frau Eid?

Ursula Eid-Simon (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000454, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, ich hätte noch eine. - Haben Sie z. B. auch im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit Schritte unternommen?

Not found (Gast)

Ja. Die jeweilige EG-Präsidentschaft hat sich bereits mehrfach - auch wir haben es getan, als wir die Präsidentschaft hatten - für die Freilassung von Gefangenen eingesetzt. Wir haben z. B. während des Besuchs des Ministerpräsidenten Botha und des Außenministers Botha im Jahre 1984 Listen mit Namen politischer Gefangener übergeben und um deren Freilassung gebeten. Es hat gelegentlich die Freilassung von Beschuldigten gegeben wie z. B. schwarzer Gewerkschafter. Allerdings wäre es, glaube ich, nicht korrekt, wenn ich behaupten würde, daß man im Einzelfall belegen kann, wodurch diese Freilassung herbeigeführt worden ist. Das liegt in der Natur der Sache.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich rufe die Frage 6 der Frau Abgeordneten Eid auf: Gedenkt die Bundesregierung, ähnliche gesetzgeberische Schritte zu unternehmen wie die schwedische Regierung, die neue Investitionen in Südafrika und Namibia von schwedischen Firmen und deren Tochtergesellschaften sowie Kredite an den südafrikanischen Staat bzw. staatliche Einrichtungen, Leasingvereinbarungen und Technologietransfers verbietet?

Not found (Gast)

Frau Kollegin, wie im West-Ost-Verhältnis hält die Bundesregierung einseitige Eingriffe auch in den deutsch-südafrikanischen Handelsverkehr nicht für geeignet, die innenpolitische Entwicklung in Südafrika im Sinne rascher, friedlicher Veränderungen zu beeinflussen. Die Bundesregierung vertraut vielmehr auf die Wirkung eines ständigen kritischen Dialogs. Sie prüft in laufenden Kontakten mit ihren EG-Partnern, z. B. auch durch Unterredungen in der EPZ, ob es andere geeignete Maßnahmen gibt, um im Rahmen dieses kritischen Dialogs auf friedliche Überwindung der Apartheid hinzuwirken. Wir hatten ja gerade, wenn ich das hinzufügen darf, vor wenigen Tagen hier im Parlament eine Debatte über dieses Thema, wo es um die Frage eines Wirtschaftsboykotts gegen Südafrika auf der Grundlage eines Antrags Ihrer Fraktion ging. Ich habe anläßlich dieser Debatte für die Bundesregierung dargestellt und wiederhole es: für die Bundesregierung sind Maßnahmen eines Wirtschaftsboykotts, ganz gleich, ob sie sich etwa auf der Grundlage bestimmter Forderungen gegen Staaten des Ostblocks oder Nicaragua oder Südafrika richten sollen, keine geeigneten Maßnahmen unserer Politik.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage, Frau Eid.

Ursula Eid-Simon (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000454, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wie beurteilen Sie dann die Tatsache, daß das US-amerikanische House of Representatives Sanktionen - z. B. ein Verbot neuer Investitionen, den Importstopp für Krügerrand, ein Verbot des Exports von Computertechnologien und keine Gewährung von Krediten für Südafrika - verabschiedet hat?

Not found (Gast)

Wir haben diese Beschlüsse des Parlaments zur Kenntnis genommen. Die amerikanische Regierung wird sich zu den Beschlüssen ihres Parlaments sicherlich auch noch äußern. Aber ich glaube, daß - wie auch in anderen Fällen, auch in solchen, die von Ihnen entsprechend interpretiert worden sind - der Beschluß eines amerikanischen Parlaments nicht notwendigerweise und zwangsläufig vom Deutschen Bundestag nachvollzogen werden muß.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine weitere Zusatzfrage, Frau Eid.

Ursula Eid-Simon (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000454, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ist Ihnen die Tatsache bekannt, daß die französische Regierung ein Verbot von Investitionen in Südafrika angekündigt hat?

Not found (Gast)

Es ist noch keine verbindliche Ankündigung, sondern in der französischen Regierung wird das erwogen, wobei der Zeitrahmen, für den es erwogen wird, nämlich frühestens in etwa 18 Monaten, berücksichtigt werden sollte. Bislang jedenfalls gibt es auch von seiten der französischen Regierung in der EPZ keinen Vorschlag, daß sich die Politik der Europäischen Gemeinschaft auf eine solche Vorgehensweise orientieren sollte. Aber ich erwähnte bereits - und möchte das unterstreichen, damit hier kein Mißverständnis entsteht -: Wir halten dafür, daß die Politik der Republik Südafrika, die auf Rassendiskriminierung zielt, überwunden werden muß, weil wir gerade auf der Grundlage unserer eigenen Geschichte und im Blick auf die Ereignisse und Diskussionen der letzten Wochen Rassendiskriminierung für eine der ausgeprägtesten Formen von Menschenrechtsverletzung halten. Deswegen setzen wir uns für die Überwindung dieses Systems ein. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Verheugen.

Günter Verheugen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, da der amerikanische Kongreß die amerikanische Administration aufgefordert hat, mit den verbündeten Regierungen über ähnliche Maßnahmen zu verhandeln bzw. Druck auszuüben, damit die verbündeten Regierungen ähnliche Maßnahmen beschließen, möchte ich gerne wissen, ob die amerikanische Regierung in diesem Sinne schon Kontakt mit der Bundesregierung aufgenommen hat.

Not found (Gast)

Nein, erstens nicht in der Sache, und zweitens weiß die amerikanische Regierung, daß die Bundesregierung für Druck nicht empfänglich ist. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich rufe Frage 7 des Abgeordneten Bahr auf: Vizepräsident Westphal Wie beurteilt die Bundesregierung das Verhalten der Kernwaffenstaaten angesichts ihrer in Artikel VI des Nichtverbreitungsvertrags festgelegten Verpflichtung zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung von Kernwaffen?

Not found (Gast)

Herr Kollege Bahr, Art. VI des Nichtverbreitungsvertrages verpflichtet die Vertragsstaaten - ich zitiere wörtlich -, in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft und zur nuklearen Abrüstung sowie über einen Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle. Durch Art. VI dieses Vertrages wird also den Kernwaffenstaaten, die Signatarstaaten des Vertrages sind, eine Verhandlungspflicht auferlegt. In den Verhandlungen, die die USA und die Sowjetunion entsprechend Art. VI geführt haben, wurde eine Einigung über den ABM-Vertrag und das SALT-I-Interimsabkommen erreicht; ferner ist auf die SALT-II-, die START- und die INF-Verhandlungen hinzuweisen. Die USA haben erst kürzlich erklärt, daß sie die SALT-Begrenzungen bei entsprechendem sowjetischen Verhalten über das Auslaufen von SALT II hinaus weiter beachten werden. Die Bundesregierung hatte darauf gedrängt - nicht Druck ausgeübt, sondern gedrängt - und hat mit Genugtuung zur Kenntnis genommen, daß die amerikanische Regierung diese Ankündigung gemacht hat. Bislang sind die Ergebnisse der Verhandlungen über nukleare Abrüstung und Rüstungskontrolle zwar hinter den an Art. VI geknüpften Erwartungen zurückgeblieben - dies ist festzustellen -; die Bundesregierung sieht aber in der Wiederaufnahme des Rüstungskontrolldialogs der Großmächte eine ermutigende Entwicklung. Die beiden Großmächte haben es in der gemeinsamen Erklärung vom 8. Januar 1985 als Ziele der Genfer Verhandlungen bezeichnet, erstens wirksame Übereinkünfte herbeizuführen, die die Nuklearwaffen interkontinentaler und mittlerer Reichweite reduzieren und begrenzen, zweitens einen Rüstungswettlauf im Weltall zu verhindern und ihn auf der Erde zu beenden und drittens die strategische Stabilität zu festigen. Die Bundesregierung unterstützt uneingeschränkt diese Verhandlungsziele.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage, Herr Bahr.

Prof. Egon Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000080, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, darf ich aus Ihren Ausführungen entnehmen, daß die Bundesregierung die Verpflichtungen aus Art. VI für ausreichend erfüllt ansieht?

Not found (Gast)

Das Bemühen ist zweifellos vorhanden, das hier im Vertrag verlangt wird, „in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen". Das mit Art. VI angestrebte Ziel ist bisher nicht ausreichend erfüllt. Dies ist wohl festzustellen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine weitere Zusatzfrage.

Prof. Egon Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000080, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wird die Bundesregierung daraus für die zweite Überprüfungskonferenz eine Konsequenz für ihren politischen Standpunkt ziehen und die Nuklearmächte drängen, das, was die Bundesregierung als ungenügend empfindet, mit zu erfüllen?

Not found (Gast)

Die Bundesregierung wird bei dieser Konferenz - wie im übrigen auch bei anderen Gelegenheiten - jeden, den sie in diesem Zusammenhang erreichen kann - das sind insbesondere die Unterzeichnerstaaten -, drängen, diesen Zielen näherzukommen. Wir haben das beispielsweise getan, indem wir bei der letzten NATO-Konferenz in Portugal darauf gedrängt haben, daß SALT II auch nach dem Endtermin weiterbefolgt wird, und indem wir hier deutlich machen, daß die drei von mir genannten Hauptziele, wie sie in der Erklärung vom 8. Januar ihren Niederschlag gefunden haben, umgesetzt werden müssen, damit das Wettrüsten auf der Erde beendet wird und es zu konkreten Reduzierungen kommt. - Ja, das werden wir machen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Voigt ({0}).

Karsten D. Voigt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, Sie haben soeben in Ihrer Antwort an den Kollegen Bahr davon gesprochen, daß die beiden sich, indem sie verhandeln, um etwas bemühen. Wenn ich den Art. VI richtig lese, handelt es sich dort nicht um eine Verpflichtung, sich um Abrüstung zu bemühen, sondern um eine Verpflichtung zur Abrüstung von Kernwaffen. Stimmen Sie nicht mit mir darin überein, daß insofern die Nuklearwaffenstaaten ihrer Vertragsverpflichtung bisher nicht gerecht geworden sind und daß sich dies mit Andauern des Zustandes einem Vertragsbruch nähert?

Not found (Gast)

Nein, ich kann Ihnen in diesem Punkt nicht folgen. Denn die vertragliche Verpflichtung lautet - ich zitiere sie noch einmal wörtlich -: Sie verpflichten sich, in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen - ich unterstelle, daß die beiden die Verhandlungen bisher in redlicher Absicht geführt haben über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens. Ich meine, daß der ABM-Vertrag und SALT I wie SALT II tatsächlich auch schon wirksame Maßnahmen waren. Aber ich stimme dem ursprünglichen Fragesteller - ich unterstreiche das erneut - darin zu, daß das befriedigende Ziel, das in Aussicht genommen worden ist, noch nicht erreicht worden ist. Einen Vertragsbruch aber vermag ich im Verhalten der verhandelnden Staaten nicht zu erkennen. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schulte ({0}).

Manfred Schulte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002101, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister Möllemann, wird sich die Bundesregierung bei der kommenden Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag für eine nukleare Abrüstungskonferenz aller Kernwaffenstaaten einsetzen?

Not found (Gast)

Ich glaube, Herr Kollege Schulte, daß es besser ist, wenn sich die Bundesregierung bei dieser Konferenz für das einsetzt, was auf ihr auch tatsächlich bewerkstelligt werden kann. An dieser Konferenz werden sich ja zunächst einmal die Unterzeichnerstaaten dieses Abkommens beteiligen. Sie wissen, daß bisher noch nicht einmal alle Nuklearmächte dieses Abkommen unterzeichnet haben, auch wenn beispielsweise Frankreich erklärt hat, sich entsprechend dem Vertrag zu verhalten. Ich glaube nicht, daß es sinnvoll wäre, wenn der Kreis der dort Versammelten Beschlüsse für solche fassen würde, die dort nicht versammelt sein werden. Das würde nichts bewirken.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Verheugen.

Günter Verheugen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, Sie haben uns berichtet, wie die Sowjetunion und die USA ihre Verhandlungsverpflichtungen aus Art. VI des Vertrages erfüllt haben. Nun gibt es aber eine dritte Atommacht, die den Vertrag unterzeichnet und ratifiziert hat. Können Sie auch darüber etwas sagen, wie Großbritannien seine Verhandlungsverpflichtungen erfüllt hat?

Not found (Gast)

Großbritannien hat im Rahmen der Bündniskonsultationen mit besonderem Nachdruck die dort ausgearbeiteten Positionen zur Rüstungskontrolle und Abrüstung unterstützt und hat sich auf diese Art und Weise bemüht, seinen Verpflichtungen gerecht zu werden.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jungmann.

Horst Jungmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001047, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Welche Initiativen hat die Bundesregierung ergriffen, Herr Staatsminister, um die beiden Nuklearmächte, die nicht Mitglied des Vertrages sind, zu Abrüstungsverhandlungen zu bringen, und wie ist es aus der Sicht der Bundesregierung zu beurteilen, daß Großbritannien seine eigenen Potentiale bisher nicht in Verhandlungen eingebracht hat?

Not found (Gast)

Zu Ihrer ersten Zusatzfrage, Herr Kollege Jungmann, möchte ich sagen, daß die Bundesregierungen, die wir beide mit unterschiedlichem Interesse und unterschiedlicher Begeisterung begleitet haben, stets bemüht waren, darauf hinzuwirken, daß möglichst alle Staaten, die den Vertrag noch nicht unterzeichnet haben, ihn unterzeichnen, darunter natürlich auch solche und erst recht solche, die selbst Nuklearmächte sind. Sie wissen sicherlich auch - z. B. über die Sozialistische Internationale -, daß es nicht ganz leicht ist, die französische Regierung für unseren Standpunkt zu gewinnen. Möglicherweise können wir aber alle das in unseren Kräften Stehende tun, um dies zu verändern. Es ist bei allen verschiedenen Möglichkeiten darüber gesprochen worden, aber derzeit zeichnet sich keine Änderung der Haltung dieser beiden Staaten in dieser Frage ab. Was nun Großbritannien angeht, so ist es, wie ich glaube, klug, wenn wir uns im Augenblick in der Diskussion nicht auf Nebenschauplätze abdrängen lassen. Im Augenblick ist es das Beste, wenn wir mit allem Nachdruck das Bemühen der beiden Großmächte in Genf unterstützen, in den verschiedenen Bereichen, auf den verschiedenen Ebenen tatsächlich zu spürbaren Reduzierungen ihrer Arsenale zu kommen. Es ist anzunehmen, daß dann auch die mittleren Mächte, die kleineren Nuklearmächte, wie sie anläßlich der Diskussion um den Doppelbeschluß erklärt haben, bereit sein werden, ihre Potentiale in internationale Verhandlungen einzubeziehen. Sie kennen die Hinweise der chinesischen, der französischen wie auch der britischen Seite, daß es, da ihr Anteil am Nuklearwaffenpotential zusammen nur etwa 2% betrage, wirklich notwendig sei, daß zunächst die beiden Großmächte, die über 98% verfügen, zu spürbaren und wirksamen Vereinbarungen kommen, und daß danach auch sie bereit seien, ihrerseits ihre Potentiale einzubeziehen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Scheer.

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, ich möchte an die Frage meines Kollegen Schulte anknüpfen. Halten Sie es nicht für - um es vorsichtig auszudrücken - etwas zu bedeckt, daß die Bundesregierung angesichts dessen, daß sich, wenn es um die Abrüstungsverpflichtungen bzw. -erwartungen im Blick auf die Nuklearmächte geht, Premierminister von verbündeten Staaten - etwa der seinerzeitige kanadische Premierminister oder der italienische Ministerpräsident - für eine Konferenz der fünf Nuklearmächte einsetzen, um ihrerseits Voraussetzungen für ihre Bereitschaft zu nuklearer Abrüstung zu erörtern, meinungslos bleibt?

Not found (Gast)

Ich kann Ihrer Behauptung nicht zustimmen, daß die Bundesregierung in dieser Frage meinungslos sei. ({0}) Ich habe die Meinung der Bundesregierung hier soeben vorgetragen. Wir haben zur Kenntnis nehmen müssen, und zwar die frühere Bundesregierung wie die jetzige - ich wiederhole das -, wie der französische und der britische Standpunkt in dieser Frage ist. Es bringt doch nichts, wenn wir uns jetzt mit dieser Frage vorrangig beschäftigen - im Wissen darum, daß beide Partner sich diesem Konzept nicht anschließen wollen. Es bringt doch nichts, wenn wir im Wissen darum diese Debatte führen, statt mit aller Kraft darauf hinzuwirken, daß diejenigen, die am Verhandlungstisch sitzen und über 98 % des Potentials verfügen, auch wirklich zu Vereinbarungen kommen und sie umsetzen, zumal diejenigen, die hiermit angesprochen sind, auch schon Vereinbarungen miteinander getroffen haben.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Lamers.

Karl Lamers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001273, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, glaubt die Bundesregierung, daß eine solche Konferenz aller Kernwaffenstaaten dem auch von den sozialdemokratischen Kollegen mit Nachdruck verfolgten Ziel einer sicherheitspolitischen Zusammenarbeit mit Frankreich besonders dienlich wäre?

Not found (Gast)

Wie ich gerade sagte, wird zum jetzigen Zeitpunkt eine einvernehmliche Position dieser Art mit der französischen Regierung nicht erreichbar sein. Vermutlich würde ein Bemühen darum deswegen im Moment auch nicht gerade sehr förderlich sein. Aber - ich wiederhole - es gibt Erklärungen aus allen drei hier in Rede stehenden Staaten, daß sie sich für ein späteres Stadium des Rüstungskontrollprozesses sehr wohl vorstellen können, daß dann, wenn es zwischen den beiden Großmächten spürbare Reduzierungen gibt, auch Beteiligungen ihrerseits und Vereinbarungen ihrerseits möglich sind.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich rufe die Frage 8 des Abgeordneten Bahr auf: Welche Staaten sind nach Kenntnis der Bundesregierung bereits heute im Besitz von Kernwaffen, und welche Staaten verfügen über die notwendige Technologie, um Kernwaffen in relativ kurzer Zeit herstellen zu können?

Not found (Gast)

Herr Kollege Bahr, außer den in Art. IX Abs. 3 des Vertrages festgeschriebenen fünf Kernwaffenstaaten hat seit 1979 nur Indien eine nukleare Explosion verursacht. Ob Indien oder andere Staaten im Besitz von Kernwaffen sind, entzieht sich der Kenntnis der Bundesregierung. Die Frage, welche Staaten über die notwendigen Technologien verfügen, um Kernwaffen in relativ kurzer Zeit herstellen zu können - wie es in Ihrer Frage heißt -, kann von der Bundesregierung nicht beantwortet werden, da sie nicht über die Kenntnis verfügt, welche Technologien notwendig sind, um Kernwaffen in relativ kurzer Zeit herstellen zu können. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Bahr.

Prof. Egon Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000080, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ist die Bundesregierung bereit, sich durch die allgemein zugängliche Literatur zu diesem Punkt kundig zu machen?

Not found (Gast)

Herr Kollege, dazu ist die Bundesregierung deswegen nicht bereit, weil wir kein Kernwaffenstaat werden wollen. Wir nehmen die Verpflichtung aus dem Vertrag ganz ernst. Deswegen wollen wir uns die Kenntnisse gar nicht erst aneignen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Weitere Zusatzfrage, Herr Bahr.

Prof. Egon Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000080, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, Sie werden mir doch zugeben, daß ich mit meiner Frage nicht unterstellt habe, daß die Bundesregierung ein Kernwaffenstaat werden wollte. Trotzdem könnte man Kenntnisse benutzen oder gebrauchen, um die Lage anderer Staaten beurteilen zu können. Meine Frage lautet deshalb: Will sich die Bundesregierung denn nicht wenigstens klug machen?

Not found (Gast)

Über das bisher gegebene Maß hinaus, sicher. Nur: Die Publikationen, auf die Sie abheben, sind uns bekannt. Aber da wir nicht eigene Forschung in diesem Bereich in Auftrag geben - aus naheliegenden Gründen -, können wir über den Richtigkeitsgehalt dieser Publikationen von Regierungsseite her keine Mitteilung machen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Voigt ({0}).

Karsten D. Voigt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, wenn ich das richtig verstehe, berechtigt dieses Abkommen die Bundesregierung nicht nur, sondern verpflichtet sie geradezu, sich die nötige Information darüber zu beschaffen, ob das Abkommen eingehalten wird oder durch bestimmte technologische Entwicklungen und Kenntnisse in bestimmten Ländern gefährdet wird. Ist es nicht so, daß sie sich dann entweder durch eigene Information oder durch Information bei Bündnispartnern die Kenntnisse verschaffen muß, die ihr die Einhaltung des Vertrages durch alle vertragsunterzeichnenden Staaten und durch andere gewährleistet erscheinen lassen?

Not found (Gast)

Zuallererst verpflichtet das Abkommen uns als Unterzeichner, daß wir uns daran halten. Das steht außer Streit. ({0}) Das ist sehr wichtig, finde ich, weil es von verschiedener Seite immer wieder Andeutungen gibt, als hielten wir uns nicht daran oder beabsichtigten uns nicht daran zu halten. Zweitens. Es verpflichtet uns politisch - wir fühlen uns jedenfalls verpflichtet -, dafür einzutreten, daß es nicht nur von den Unterzeichnerstaaten eingehalten wird, sondern daß auch die, die es noch nicht unterzeichnet haben, ihm beitreten. Das versuchen wir mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln auch zu tun. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Jungmann.

Horst Jungmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001047, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, stimmen Sie mit mir überein, daß man, wenn man nicht über die Kenntnis der Herstellung von Atomwaffen verfügt, auch nicht die Kenntnis über die Wirkung dieser Waffen haben kann, und wie bringen Sie diese Übereinstimmung, wenn sie da sein sollte, mit der Tatsache in Einklang, daß bei der Bundeswehr über die Wirkung von atomaren Waffen geforscht wird, um die Bundeswehrsoldaten gegen die Wirkung dieser Waffen zu schützen?

Not found (Gast)

Herr Kollege, der zweite Teil Ihrer Frage ist deswegen nicht zu beantworten, weil der erste Teil eine falsche Annahme beinhaltet. Man muß nicht notwendigerweise die Kenntnis über die Entstehung eines bestimmten Mechanismus haben, um seine Wirkungsweise zu kennen. Das kann ich Ihnen in vielen Lebensbereichen sehr plastisch darstellen. Das will ich aber hier nicht tun.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Verheugen.

Günter Verheugen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wie kann die Bundesregierung eigentlich sicherstellen, wenn sie nicht weiß, welche Komponenten zur Herstellung von Atomwaffen benötigt werden, daß bei dem ja doch recht umfangreichen Export von hochentwickelter Nukleartechnologie aus der Bundesrepublik Deutschland nicht solche Komponenten dabei sind, die die Bestimmungen des Atomwaffensperrvertrages verletzen würden?

Not found (Gast)

Was den Export im Bereich der zivilen Nutzung der Kernenergie angeht, Herr Kollege Verheugen, halten wir uns strikt erstens an die Bestimmungen des Vertrages, zweitens an die Auflagen, deren Einhaltung von der Internationalen Atomenergiebehörde überwacht wird, und drittens, an die Londoner Vereinbarungen. Es hat sich gezeigt, daß die Einhaltung dieses Netzes von Bestimmungen und Vereinbarungen eine sehr wirksame Maßnahme der Nichtverbreitungspolitik ist.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage, Frau Kelly.

Petra Karin Kelly (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Möllemann, ich möchte Sie fragen, ob die Bundesregierung nicht der Meinung ist, daß sie mit ihrer zivilen nuklearen Exportpolitik wirklich erheblich mit dazu beigetragen hat, daß Länder wie Indien - Atombombenexplosion 1974 -, Pakistan - soeben wurde jemand in Freiburg zu acht Monaten verurteilt -, Brasilien und Südafrika befähigt wurden bzw. werden, Nuklearwaffen herzustellen, oder daß sie diese schon hergestellt haben.

Not found (Gast)

Nein, die Bundesregierung ist dieser Meinung dezidiert nicht und hat dies auch bereits in verschiedenen Debatten hier dargelegt. Ich kann auch in Ihrer Frage kein Argument erkennen, das die von uns zu diesem Thema mehrfach dargelegten Argumente ausräumen könnte.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich rufe die Frage 9 des Abgeordneten Verheugen auf: Wie beurteilt die Bundesregierung die Ergebnisse der Politik der Nichtverbreitung von Kernwaffen entsprechend den Zielen des Nichtverbreitungsvertrags seit der letzten Überprüfungskonferenz?

Not found (Gast)

Herr Kollege Verheugen, die Ziele des Nichtverbreitungsvertrages sind seit 1980 von allen Parteien des Vertrages ausweislich der jährlichen Berichte über die Anwendung von Sicherungsmaßnahmen durch die IAEO, die von mir soeben erwähnte Internationale Atomenergiebehörde, erfüllt worden. Darüber hinaus gelang es, zahlreiche neue Staaten zum Beitritt zu diesem Vertrag zu bewegen. An diesen Bemühungen hatte die Bundesregierung aktiven Anteil. Sie wird diese Bemühungen auch fortsetzen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage, Herr Verheugen.

Günter Verheugen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, ich würde gern wissen, wie die Bundesregierung die bei einigen Teilnehmerstaaten des Atomwaffensperrvertrages wachsende Kritik an den Ergebnissen des Vertrages beurteilt. Ich möchte hier insbesondere die Stellungnahmen aus Peru, Venezuela und Jugoslawien erwähnen.

Not found (Gast)

Die Frage ist so allgemein gehalten, daß sie schwer zu beantworten ist. Wenn Sie aber den Teil der Kritik meinen, der sich darauf bezieht, daß die Absichtserklärungen, von denen wir in den ersten Fragen sprachen, noch nicht zu einem hinreichenden Ergebnis geführt haben, dann ist zu sagen: Die Bundesregierung nimmt diese Kritik sehr ernst und drängt deswegen darauf, daß diese Absichtserklärungen umgesetzt werden.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Weitere Zusatzfrage, Herr Verheugen.

Günter Verheugen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sieht die Bundesregierung die Gefahr, daß die wachsende Frustration bei den Nichtkernwaffenstaaten, die Teilnehmer des Vertrages sind, dazu führen könnte, daß der ja in zehn Jahren auslaufende Vertrag nicht verlängert wird?

Not found (Gast)

Wenn nach diesen zehn Jahren die Situation, von der wir vorhin sprachen, nicht verbessert werden kann, werden sich nach dem, was wir bisher beobachten, sicherlich einige Staaten diese Frage stellen. Deswegen wäre es gut, wenn es Fortschritte in den verschiedenen Bereichen gäbe. Ich möchte aber auf etwas anderes hinweisen. Bei Gesprächen beispielsweise mit Vertretern der mexikanischen Regierung, die sich ja ebenfalls an dieser Debatte beteiligt, habe ich darauf hingewiesen - dieser Gesichtspunkt gerät gelegentlich bei Nichtkernwaffenstaaten und solchen, die keinem der beiden Bündnissysteme angehören, außer Betracht -, daß dabei allzu leicht die tatsächlich friedensbewahrende Wirkung der Kernwaffen im Verhältnis zwischen Ost und West im Rahmen der bestehenden Strategie, etwa des westlichen Bündnisses, zu gering geschätzt wird und daß das manchmal gerade in solchen Regionen geschieht, in denen es zwar keine Kernwaffen, aber dauernd Krieg gibt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich rufe die Frage 10 des Abgeordneten Verheugen auf: Welche konkreten Vorschläge zur Verbesserung des Systems der Nichtverbreitung von Kernwaffen wird die Bundesregierung auf der im Herbst beginnenden 3. Überprüfungskonferenz zum Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen vorlegen?

Not found (Gast)

Herr Kollege Verheugen, das internationale nichtverbreitungspolitische System besteht aus zahlreichen Bausteinen, von denen der Nichtverbreitungsvertrag sicherlich der wesentlichste ist. Auf der 3. Überprüfungskonferenz wird im Interesse des Vertrages nach Kenntnis der Bundesregierung keine Partei eine Änderung des Nichtverbreitungsvertrages vorschlagen. Vielmehr wird auf dem Gebiet der friedlichen Nutzung der Kernenergie die Verbesserung der Wirksamkeit und der Leistungsfähigkeit der Sicherungsmaßnahmen der IAEO im Vordergrund stehen. An dieser Aufgabe arbeitet die Bundesregierung aktiv mit. Die Einbringung eigener Initiativen behält sich die Bundesregierung nach Maßgabe der jeweiligen Verhandlungssituation vor. Eine Vorankündigung etwaiger Verhandlungsschritte ist allerdings nicht beabsichtigt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage, Herr Verheugen.

Günter Verheugen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Darf ich dann fragen, Herr Staatsminister, ob es über das Vorgehen auf der 3. Überprüfungskonferenz eine Abstimmung und eine gemeinsame Linie der westlichen Bündnispartner gibt?

Not found (Gast)

Es liegt in der Natur der Sache, daß es innerhalb der westlichen Staatengemeinschaft zwar Erörterungen über dieses Thema gibt, aber daß angesichts allein der Tatsache, daß nicht einmal alle Mitglieder der westlichen Staatengemeinschaft Unterzeichnerstaaten sind, eine gemeinsame Linie nicht so leicht zu definieren ist.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Keine weitere Zusatzfrage von Herrn Verheugen. Dann kommt Frau Kelly mit einer Zusatzfrage.

Petra Karin Kelly (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Möllemann, hat die Bundesregierung vor, die Forderung nach Streichung der Förderfunktion IAEO in Wien im Atombereich zu erheben, d. h. die IAEO endlich zu einer reinen Kontrollorganisation aufzubauen?

Not found (Gast)

Nein, das hat die Bundesregierung nicht vor.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage, Herr Voigt.

Karsten D. Voigt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, beabsichtigt die Bundesregierung, auf der Konferenz ihre Kritik an dem Verhalten der Nuklearwaffenstaaten wegen ihrer mangelnden Fortschritte bei der nuklearen Abrüstung öffentlich vorzutragen und deutlich zu machen und eventuell Kriterien zu benennen, an denen man messen kann, ob sie ihren Vertragsverpflichtungen gerecht werden?

Not found (Gast)

Die Bundesregierung wird das, was ich vorhin hier vorgetragen habe, nämlich ihre Erwartungen im Blick vor allen Dingen auf die Genfer Verhandlungen - wenn wir jetzt von diesem Teil des Vertrages sprechen -, deutlich artikulieren. Allerdings wird das niemanden überraschen, da sie das bereits in bilateralen Gesprächen immer wieder getan hat. Ich erwähnte bereits mehrere Gelegenheiten, zuletzt die NATOKonferenz in Lissabon, aber auch die Gespräche mit der Sowjetunion.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage, Herr Bahr.

Prof. Egon Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000080, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie haben dem Kollegen Verheugen mit Recht gesagt, daß es schwierig ist, sich mit den Verbündeten abzustimmen, da nicht alle Verbündeten Mitglieder des Nonproliferationsvertrages sind. Liegt es nicht viel näher, daß die Bundesregierung ihre Position mit allen Staaten abstimmt, die sich in gleicher Situation befinden, d. h. den Nichtbesitzerstaaten? Beabsichtigt die Bundesregierung derartiges?

Not found (Gast)

Herr Kollege Bahr, auch dies ist keine einheitliche Kategorie. Unter den Nichtkernwaffenstaaten sind solche, die dem Vertrag beigetreten sind, und solche, die das dezidiert nicht tun. Es wird sehr schwer sein, zwischen denen eine gemeinsame Position herzustellen. Wenn ich Ihnen aufzähle, welche Nichtkernwaffenstaaten dem Vertrag nicht beigetreten sind - Sie kennen j a die Liste - und aus welcher Begründung heraus, so liegt doch auf der Hand, daß eine Definition einer gemeinsamen Position mit ihnen noch viel schwerer sein wird. Übrigens hat seinerzeit die entsprechende Vorbereitungskonferenz genau das gezeigt. Man muß nun nicht ein Verhaltensmuster, das sich als Fehlschlag erwiesen hat, nachahmen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage, Abgeordneter Jungmann.

Horst Jungmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001047, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung denn wenigstens bereit, eine gemeinsame Abstimmung unter den Staaten, die dem Vertrag beigetreten sind, zu versuchen, oder glauben Sie, daß hier die Schwierigkeiten genauso unüberwindlich sind wie bei der Absicht, mit allen Staaten eine Übereinstimmung zu erreichen?

Not found (Gast)

Die Staaten, die dem Vertrag beigetreten sind, sind solche, die über Kernwaffen verfügen, und solche, die nicht über Kernwaffen verfügen. Die Nichtkernwaffenstaaten werden ganz sicher, wiewohl sie eine sehr unterschiedliche Einstellung zur Funktion von Kernwaffen und Friedenssicherungssystemen haben, in einem übereinstimmen, nämlich daß die Erklärung der beiden Außenminister Shultz und Gromyko vom 8. Januar eine sehr konstruktive ist und umgesetzt werden sollte, und darauf drängen. Dazu wird es, glaube ich, nicht einer Vorbereitungsbesprechung bedürfen. Was aber die zwischenzeitliche Legitimation von Kernwaffen in einem sicherheitspolitischen Konzept angeht, liegt es doch nahe, daß etwa die NATOMitgliedsländer auf Grund ihrer konkret betriebenen Politik eine andere Argumentation vertreten als solche Staaten, die in ihren Verteidigungssystemen keine Kernwaffen verfügbar haben.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich rufe die Frage 11 des Abgeordneten Dr. Scheer auf: Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß sich entgegen der Zielsetzung des Nichtverbreitungsvertrags inzwischen weltweit ein zweiter Kernenergiemarkt entwickelt hat, der das Vertragswerk mehr und mehr auszuhöhlen droht?

Not found (Gast)

Herr Kollege Scheer, der „zweite Kernenergiemarkt", den Sie befürchten, besteht noch nicht. Die Bundesregierung teilt aber Ihre Sorge, daß die Schwellenländer, die zunehmend eigene Nukleargüter herstellen werden, einen solchen Parallelmarkt begründen könnten, wenn ihnen nicht die Hand zu einer gleichberechtigten und fairen Zusammenarbeit bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie gereicht wird. Es ist die Politik der Bundesregierung, eine solche Zusammenarbeit auch mit den Staaten, die sich zur Unterschrift unter den Nichtverbreitungsvertrag noch nicht bereit finden können, zu fördern, um diese Staaten in das bestehende internationale nichtverbreitungspolitische Regime einzubinden. Die Bundesregierung hat bereits Erfolge damit gehabt. So sind in die Abkommen Argentiniens und Brasiliens mit der Volksrepublik China Bestimmungen aufgenommen worden, die eine Unterstellung gelieferter Nukleargüter unter die Sicherungsmaßnahmen der IAEO vorsehen. Dies war für Argentinien und Brasilien notwendig geworden, weil die Abkommen, die die Bundesrepublik Deutschland mit diesen Staaten geschlossen hat, eine andere Lösung nicht zuließen. Insoweit können wir zu unserer Befriedigung feststellen, daß es auch einen Proliferationseffekt der Nichtverbreitungspolitik gibt, wenn sie verantwortungsbewußt und kooperativ gehandhabt wird. Eine Politik der Verweigerung dagegen könnte die Wirkung haben, die Sie zu Recht befürchten.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage, Herr Dr. Scheer.

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, welche Differenzierung trifft die Bundesregierung in diesem Zusammenhang zwischen normalen Kernreaktoren auf der einen Seite und sensitiven Anlagen auf der anderen Seite, also Urananreicherungsanlagen oder Wiederaufarbeitungsanlagen, bei denen waffengrädiges Material mit anfällt, bei ihrer Exportpolitik im Rahmen des NPT?

Not found (Gast)

Für sensitives Material, das Sie hier ansprechen, wird von uns überhaupt keine Genehmigung erteilt. Im übrigen werden Genehmigungen für Gegenstände in dem hier in Rede stehenden Bereich nach den entsprechenden Listen, die vorhanden sind, erteilt. Ich hätte bereits vorhin darauf hinweisen sollen, als der Kollege Verheugen nach unserer Fähigkeit fragte, die Genehmigungen zu erteilen, wenn wir bestimmte Erkenntnisse nicht hätten.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Weitere Zusatzfrage, Dr. Scheer.

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Der Herr Staatsminister hat meine Frage soeben leider nicht richtig verstanden, aber ich kann sie deswegen bedauerlicherweise nicht wiederholen. - Ich komme zu einer anderen Zusatzfrage. Sie bezieht sich darauf, daß von 1978 bis 1980 eine internationale Konferenz - INFCE genannt - stattfand, bei der Modelle internationaler Brennstoffkreislaufzentren erörtert worden sind, um auf diesem Wege eine bessere Kontrollmöglichkeit in bezug auf den Brennstoffkreislauf zu erhalten. Wie steht die Bundesregierung zu solchen Vorschlägen?

Not found (Gast)

Ich glaube, daß diese Frage in einer speziellen Variante noch einmal bei den schriftlich eingereichten Fragen erscheint. Dort geht es um die Möglichkeit der Schaffung einer zentralen Stelle, an der Plutonium sozusagen zwischengelagert werden könnte. In gewisser Weise hebt ja auch Ihre Frage auf eine ähnliche Möglichkeit ab. Es gibt - verbunden mit solchen Vorschlägen - eine Fülle von Fragen, ({0}) beispielsweise der Zuständigkeit für solche Zentren und der regionalen Ansiedlung solcher Zentren. Daraus wird deutlich, daß die Probleme, die durch solche Vorschläge aufgeworfen werden, den möglichen Nutzen solcher Vorschläge eher übersteigen. Deswegen haben wir sie nicht weiter verfolgt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage, Frau Kelly.

Petra Karin Kelly (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Möllemann, wie rechtfertigt die Bundesregierung die 11%ige Beteiligung der RWE an dem französischen Großbrüter SuperPhenix, der Plutonium für die Force de Frappe liefern soll? Wie Sie vielleicht wissen, werden 11 % der Erstausstattung mit Plutonium von den RWE geliefert. Wie rechtfertigen Sie das?

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Das Plutonium, das von uns geliefert wird, erhalten wir von Frankreich zurück. Von uns geliefertes Plutonium wird für diese Zwecke nicht verwendet.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich rufe die Frage 12 des Abgeordneten Dr. Scheer auf: Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß ein wesentliches Ziel des Nichtverbreitungsvertrags, nämlich die atomare Abrüstung, nicht erreicht worden ist, sondern daß sich die Zahl der Atomwaffen tatsächlich seit Abschluß des Vertrages dramatisch erhöht hat?

Not found (Gast)

Herr Kollege, die Nichtkernwaffenstaaten haben ihren Beitritt zum Nichtverbreitungsvertrag mit der Erwartung verknüpft, daß die nuklearen Arsenale der Kernwaffenstaaten des Vertrages reduziert werden. Diese Erwartung hat ihren Niederschlag in Art. VI gefunden, der die Kernwaffenstaaten zu Verhandlungen über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft und zur nuklearen Abrüstung verpflichtet. Die Bundesregierung schätzt das insoweit bislang Erreichte nicht als gering ein. ABM-Vertrag und Salt-I-Interimsabkommen sind wichtige Schritte auf dem Weg zur nuklearen Rüstungskontrolle. Salt II ist zwar nicht formell in Kraft getreten, hat aber durch die Erklärung beider Großmächte, seine Begrenzungen einzuhalten, Bedeutung für die Rüstungskontrolle erlangt. Die Bundesregierung wertet auch die Wiederaufnahme der Genfer Verhandlungen, auch im Hinblick auf Art. VI des Vertrages, als ermutigendes Zeichen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage, Herr Dr. Scheer.

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, da es bei der Bewertung der Bereitschaft zur atomaren Abrüstung natürlich auf die Zielsetzungen der einzelnen Staaten ankommt: Wie steht die Bundesregierung zu Überlegungen, einer europäischen Atomstreitmacht und damit einer Erweiterung einer atomaren Aufrüstungskurve, die neuerdings wieder teilweise Platz gegriffen haben?

Not found (Gast)

Die Bundesregierung hält diese Überlegung für falsch. Wir sind nicht der Auffassung, daß es einer weiteren nuklearen Großmacht bedarf. Wir glauben, daß die Aufgabenverteilung im Bündnis, wie sie festgelegt ist, vernünftig und plausibel ist, dies aus sicherheitspolitischen Gesichtspunkten, aber auch aus rüstungskontrollpolitischen Gesichtspunkten.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Scheer.

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Kann ich - unter Bezugnahme auf Ihre Antwort - dann davon ausgehen, daß die Bedenken, die es noch 1974 bei der Ratifizierung im Deutschen Bundestag bei Teilen des Hauses, nicht der Bundesregierung, gegen den NPT gab, bei den jetzt die Bundesregierung tragenden Parteien nicht mehr vorhanden sind?

Not found (Gast)

Ich kann beim besten Willen nicht sagen, Herr Kollege Scheer, ob Kollegen, die damals in der Debatte entsprechende Bedenken vorgetragen haben, diese Bedenken heute noch haben; ich kann Ihnen nur mitteilen, daß die Bundesregierung zu diesem Vertrag steht, zu unserer Mitgliedschaft in diesem Vertrag, und daß die Bundesregierung nicht das Konzept verfolgt, zusätzlich zu den Kernwaffenstaaten, etwa in Form einer europäischen Nuklearstreitmacht, eine neue Kernwaffenkomponente zu schaffen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage, Herr Voigt ({0}).

Karsten D. Voigt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, nachdem nicht nur die NATO zur Staatsraison geworden ist, sondern, wie ich Ihren Antworten entnehme, unbeschadet aller vorliegenden Tatsachen der Optimismus zur Regierungsraison, möchte ich Sie fragen, ob Sie mir irgendwelche konkrete Punkte - es brauchen nur drei, vier oder fünf zu sein - nennen können, wo im Sinne des Vertrages Frieden mit immer weniger Waffen im nuklearen Bereich geschaffen worden ist.

Not found (Gast)

Zunächst einmal, Herr Kollege Voigt, kann ich darauf hinweisen, daß jedenfalls bislang in dem Bereich, der für uns von besonderer Bedeutung ist, Zentraleuropa, Frieden geschaffen und gehalten wurde, auch gestützt auf Nuklearwaffen. Aber ich wiederhole, daß neben den positiven Aspekten - Sie sagten, drei würden Ihnen reichen: ABM-Vertrag Salt-I-Interimsabkommen, Salt-Il-Vertrag -, durchaus noch die Notwendigkeit besteht, im Blick auf die Zahl der vorhandenen Kernwaffen zu spürbaren Reduzierungen und zu wirksamer Abrüstung zu kommen. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Jetzt kommt die Abgeordnete Frau Kelly mit einer Zusatzfrage an die Reihe.

Petra Karin Kelly (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Möllemann, unterstützen Sie Pläne des abrüstungspolitischen Sprechers der CDU/CSU, Todenhöfer, für eine, wie er es nennt, integrierte europäische Nuklearmacht, mit den in Europa stationierten US-Atomwaffen als einem Eckpfeiler und den französischen und britischen Atomwaffen als zweitem Eckpfeiler, der davon spricht, daß die Bundesrepublik in der Zusammenarbeit einer europäischen Union nicht mehr diskriminiert werden dürfe?

Not found (Gast)

Also es ist nicht Aufgabe der Bundesregierung, Überlegungen und Pläne einzelner Abgeordneter zu unterstützen, sondern es ist Aufgabe der Bundesregierung, dem Parlament die eigene Politik deutlich zu machen. ({0}) - Herr Kollege, das kann zwei Gründe haben. Aber ich habe vorhin deutlich gesagt, daß die Bundesregierung nicht vorhat, für den Aufbau einer europäischen Nuklearstreitmacht einzutreten. Wir empfinden im übrigen die Tatsache, daß wir nicht Nuklearmacht sind, nicht als diskriminierend.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Verheugen.

Günter Verheugen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, können Sie Ihre Aussage, daß Atomwaffen eine friedenssichernde Funktion haben auch angesichts des Trends im Bau neuer Atomwaffen aufrechterhalten, der allein in den Vereinigten Staaten darin besteht, daß der Bestand an atomaren Sprengsätzen in den nächsten fünf Jahren um 13 % auf insgesamt 29 000 Stück steigen wird?

Not found (Gast)

Ich glaube nicht, daß ich den Satz, daß die Kernwaffen als Bestandteil unseres Verteidigungskonzepts bislang den Frieden mit bewahrt haben, absolut gesetzt habe. Ich meine, daß ich durch die verschiedenen Aussagen vorhin deutlich gemacht habe, daß zu unserem friedensund sicherheitspolitischen Konzept unverändert die Bemühung gehört, die Zahl der zur Friedenssicherung notwendigen Kernwaffen drastisch zu reduzieren, also auf das Maß zu reduzieren, das unabdingbar notwendig ist. Ich glaube, daß in der Tat die Auffassung gerechtfertigt ist, daß beide Großmächte guten Grund haben, zu verifizierbaren Vereinbarungen zu kommen, die das vorhandene Potential an nuklearen Sprengköpfen drastisch reduzieren. Ich habe das mit der nachdrücklichen Unterstützung der Vereinbarung vom 8. Januar zum Ausdruck gebracht.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Jungmann, Sie haben den Wunsch nach einer Zusatzfrage.

Horst Jungmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001047, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Kann ich aus Ihrer Antwort schließen, Herr Staatsminister, daß Sie der Auffassung sind, das viel zu viele Atomwaffen vorhanden sind und daß die von Ihnen angesprochene friedenssichernde Funktion mit sehr viel weniger Nuklearwaffen erreicht werden könnte; und steht die Bundesregierung noch in der Kontinuität der Politik, die der Bundeskanzler Helmut Schmidt am 14. Juni vor der zweiten Sondergeneralversammlung bei den Vereinten Nationen vertreten hat, indem er gesagt hat - ich zitiere -: Es wächst also die Ungeduld der Menschen und nicht nur der jungen Menschen, die Ungeduld mit Regierungen, die nur zu reden scheinen, während sie gleichzeitig immer neue todbringende Waffen entwickeln, produzieren und in Stellung bringen lassen. Es wächst die Ungeduld mit politischen Verantwortlichen, die zulassen, daß immer mehr Ressourcen dem Kampf gegen Hunger und Armut entzogen und statt dessen in die Rüstung gesteckt werden.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Staatsminister, wenn Sie zwei von den drei unterteilten Fragen beantworten, tun Sie dem Genüge, was die Geschäftsordnung sagt.

Not found (Gast)

Herr Kollege Jungmann, über die Kontinuität gegenüber der Politik von Helmut Schmidt im Bereich der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik ließe sich hier trefflich diskutieren. Ich glaube, daß dabei Angehörige der jetzigen Bundesregierung relativ wenige Probleme hätten, andere aber vielleicht relativ viele Probleme hätten, übrigens insbesondere beim Blick auf Beschlüsse in diesem Haus zum Thema Kernwaffen, etwa Mittelstreckensysteme. Aber unabhängig davon wiederhole ich, daß die Bundesregierung der Meinung ist, daß die Ankündigung der beiden Außenminister Shultz und Gromyko umgesetzt werden soll, die ja als Ziel eine spürbare Reduzierung der Kernwaffen enthält. Wenn es zu einer solchen spürbaren Reduzierung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle - wie es der Vertrag übrigens in Art. VI vorsieht - kommt, wird das von uns begrüßt. Darauf arbeiten wir hin.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich rufe die Frage 13 des Abgeordneten Horn auf: Ist die Bundesregierung bereit, sich auf der 3. Genfer Überprüfungskonferenz zum Nichtverbreitungsvertrag für eine umfassende internationale Aufsicht über waffenfähige Kernbrennstoffe einzusetzen und insbesondere ein international verwaltetes Zwischenlager für aktuell nicht benötigtes Plutonium zu fordern?

Not found (Gast)

Herr Kollege Horn, die internationale Aufsicht über waffenfähige Kernbrennstoffe ist bisher nur in den Nichtkernwaffenstaaten, die entsprechende Abkommen mit der IAEO haben, sichergestellt. Dies gilt besonders für die Staaten, die Parteien des Nichtverbreitungsvertrags sind, also auch für die Bundesrepublik Deutschland. Die Bundesrepublik Deutschland ist darüber hinaus als Mitglied von EURATOM noch den besonderen Kontrollen der Gemeinschaft unterstellt. Die Bundesregierung wird sich auch in Zukunft dafür einsetzen, daß die Staaten, die nicht Parteien des Nichtverbreitungsvertrages sind, die gleichen Kontrollverpflichtungen annehmen, wie sie von den Nichtkernwaffenstaaten, die dem Vertrag angehören, übernommen worden sind. Vier Kernwaffenstaaten haben im übrigen Anlagen ihres Kernbrennstoffkreislaufes der IAEO zu Kontollzwecken freiwillig unterstellt, was einer langjährigen Forderung der Bundesregierung entspricht. Diese hat sich im übrigen dafür ausgesprochen, daß alle Kernwaffenstaaten Sicherungsmaßnahmen akzeptieren. Die Bundesregierung hat sich für ein System zur internationalen Lagerung von überschüssigem Plutonium eingesetzt, sofern dies nichtdiskriminierend und universell wäre und die friedliche Nutzung des Plutoniums nicht einschränkte oder behinderte. Eine internationale Expertengruppe hat im Rahmen der IAEO einen entsprechenden Bericht ausgearbeitet und dem Gouverneursrat der Organisation vorgelegt. Zur Zeit werden Überlegungen über die Fortsetzung der Beratungen angestrebt. Dies ist die Linie, auf der sich die Bundesrepublik anläßlich der 3. Überprüfungskonferenz bewegen wird, wobei zu beachten ist, daß Nichtparteien des Vertrags an der Konferenz auch nicht teilnehmen werden.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Horn.

Erwin Horn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000958, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, welche konkreten Konzepte haben Sie denn hier - außer diesen sehr allgemeinen Erklärungen - entwickelt, um das, was Sie als Vorstellung haben, auch durchsetzen zu können?

Not found (Gast)

Herr Kollege, die Überlegungen, die ich vorgetragen habe, waren sehr konkret. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Horn.

Erwin Horn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000958, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Können Sie mir sagen, mit welchen Staaten Sie in dieser Hinsicht bisher zu konkreten Absprachen hinsichtlich der Durchsetzung auf der 3. Überprüfungskonferenz gekommen sind?

Not found (Gast)

Vor allen Dingen mit den uns befreundeten Staaten.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Voigt.

Karsten D. Voigt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, Sie haben vorhin gesagt, daß das Plutonium, das wir an Frankreich liefern, nicht identisch ist mit dem, das dieses Land für die Herstellung von Atomwaffen benutzt, und daß wir unseres wieder zurückerhalten. Da sich Frankreich keiner internationalen Aufsicht unterwirft, möchte ich Sie fragen: Wie verifizieren Sie, daß das Plutonium, das wir dorthin geben, nicht für die Herstellung von Waffen benutzt wird?

Not found (Gast)

Wir sind sicher, daß das, was ich hier vorgetragen habe, zutrifft. ({0}) Wir haben entsprechende Konditionen vereinbart.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage, Herr Jungmann.

Horst Jungmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001047, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, können Sie die befreundeten Staaten konkret nennen, mit denen Übereinkunft besteht, die Punkte, die Sie vorhin genannt haben, in die 3. Überprüfungskonferenz einzubringen? Da Sie auf eine Frage, die schon etwas länger zurückliegt, geantwortet haben, es sei sehr schwierig, auch mit uns verbündeten und befreundeten Staaten zu Absprachen zu kommen, wundert es mich, daß Sie hier so schnell zu Absprachen gekommen sind. ({0})

Not found (Gast)

Also, Herr Kollege Jungmann, wenn in einem bestimmten Punkt ein Einvernehmen nicht erzielbar ist, beispielsweise ein Einvernehmen, was die Unterzeichnung des Vertrages angeht, mit Frankreich und China nicht erzielbar ist, dann bedeutet das ja nicht notwendigerweise, daß Einvernehmen im Blick auf eine sehr technische Einzelfrage oder im Blick auf die Anwendung anderer Vereinbarungen nicht erzielbar ist. Das gilt auch für die Strategie auf der künftigen Konferenz. Wir haben uns - Sie haben in Ihrer Frage ja danach gefragt, mit welchen Staaten wir uns verständigt haben und diese Linie verfolgen - in dieser Frage - in dieser Frage! - praktisch mit allen Staaten der Europäischen Gemeinschaft einigen können.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich rufe die Frage 14 des Abgeordneten Horn auf: In welcher Weise berücksichtigt die Bundesregierung bei der wissenschaftlich-technischen und ökonomischen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Kernenergie mit anderen Staaten die Frage, ob die Partnerstaaten dem Atomwaffensperrvertrag beigetreten sind oder nicht?

Not found (Gast)

Herr Kollege Horn, die Bundesregierung berücksichtigt in der wissenschaftlich-technischen und bei der wirtschaftlichen Zusammenarbeit bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie, ob das Empfängerland Partei des Nichtverbreitungsvertrages ist. Sie sieht darin jedoch nicht das einzige Kriterium und schließt deshalb die Zusammenarbeit mit Nichtparteien, insbesondere solchen, die ein Abkommen über Sicherungsmaßnahmen mit der IAEO abgeschlossen haben, nicht aus, sondern macht diese vom Einzelfall abhängig; ich habe das vorhin in einem anderen Zusammenhang schon dargestellt. Dabei berücksichtigt sie insbesondere, ob durch die Zusammenarbeit den Zielen der Nichtverbreitung besser gedient ist als durch Verweigerung. Selbstverständlich werden bei jeder Zusammenarbeit die nationalen ausfuhrrechtlichen Bestimmungen, die nationalen Selbstbindungen sowie die etablierten internationalen Regeln vollinhaltlich berücksichtigt; auch die habe ich vorhin aufgezählt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage, Herr Horn.

Erwin Horn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000958, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir konkrete Beispiele nennen würden, in welcher Weise Sie bei Partnerstaaten in der von Ihnen beschriebenen Hinsicht eingewirkt haben.

Not found (Gast)

Für unsere Zusammenarbeit in dem von Ihnen hier in der Frage angesprochenen Bereich lassen sich die Kriterien etwa auf Argentinien und Brasilien anwenden. Auch dies habe ich vorhin am Beispiel vorgetragen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Horn.

Erwin Horn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000958, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, sehen Sie es nicht als eine Notwendigkeit an, gerade dieses Kriterium besonders hoch anzusetzen, um Inhalt und Geist des Vertrages durchzusetzen, den wir schließlich auch abgeschlossen und ratifiziert haben?

Not found (Gast)

Ja, wir halten dieses Kriterium ja sehr hoch, wie ich an den genannten Beispielen dargelegt habe. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage, Frau Kelly.

Petra Karin Kelly (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ist sich die Bundesregierung bewußt, daß sie in solche Länder wie Brasilien, Argentinien, Indien, neuerdings China, vor einigen Tagen, mit geringeren Kontrollauflagen exportiert als in Mitgliedstaaten des Vertrages?

Not found (Gast)

Ich habe bereits mehrfach dargelegt, Frau Kollegin Kelly, welche Auflagen wir für unverzichtbar gegenüber Staaten halten, die dem Vertrag nicht beigetreten sind. Wir halten diese Auflagen für zureichend.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage, Herr Verheugen.

Günter Verheugen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Hält die Bundesregierung es eigentlich mit der Zielsetzung des Atomwaffensperrvertrages für vereinbar, daß an deutschen Kernforschungszentren und Universitätseinrichtungen Wissenschaftler aus solchen Ländern ausgebildet und weitergebildet werden, Informationen erhalten, die dann in Länder zurückkehren, die dem Atomwaffensperrvertrag nicht beigetreten sind?

Not found (Gast)

Ja, da sie dort nur in der friedlichen Nutzung der Kerntechnologie ausgebildet werden, widerspricht dies auch nicht unseren Bemühungen. Im übrigen, Herr Kollege Verheugen, habe ich vorhin versucht, wirklich mehrfach darzustellen, weshalb für uns der Ansatz der Kooperation nach allen Erfahrungen, die wir gemacht haben, eher Chancen bietet, diejenigen, die dem Vertrag bisher noch nicht beigetreten sind, für ein Verhalten entsprechend dem Regime des Vertrages zu gewinnen oder zu einem Beitritt zu gewinnen, als eine Verweigerungshaltung, und das schlägt sich auch in der von Ihnen angesprochenen Vorgehensweise nieder.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, ohne irgend jemanden das Fragerecht beschneiden zu wollen, darf ich die Kollegen bitten, die zu diesem Fragenkomplex noch sechs Fragen eingebracht haben, ein bißchen zu berücksichtigen, daß da auch noch andere sitzen, die anschließend drankommen möchten. Wir haben jetzt eine Stunde damit hinter uns - nichts dagegen -, alles Ihr gutes Recht -, aber ein bißchen Rücksicht auf die anderen könnten wir unter dem Gesichtspunkt nehmen, daß wir denen auch noch 20 Minuten zubilligen. Ich habe noch eine Zusatzfrage der Kollegin Frau Dr. Hamm-Brücher zu der jetzt behandelten Frage des Abgeordneten Horn. Bitte schön.

Dr. Dr. h. c. Hildegard Hamm-Brücher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000793, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung überhaupt einen Überblick, wie viele Wissenschaftler aus Ländern, die hier bezeichnet worden sind, hier ausgebildet werden, und wird dieser Sachverhalt bei der Entscheidung irgendwie mitbedacht, ob solche Wissenschaftler hier überhaupt arbeiten dürfen?

Not found (Gast)

Ich kann Ihnen die Frage im Augenblick nicht konkret beantworten; ich würde das gern schriftlich tun.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich rufe die Frage 15 des Abgeordneten Dr. Soell auf: Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die Nichterfüllung des Artikels VI des Nichtverbreitungsvertrags solche Staaten, die zwar über die notwendige Technologie, nicht aber über Kernwaffen verfügen, dazu veranlassen könnte, den Atomwaffensperrvertrag zu verlassen?

Not found (Gast)

Herr Kollege Dr. Soell, durch Art. VI des Nichtverbreitungsvertrages wird den Kernwaffenstaaten eine Verhandlungspflicht auferlegt. Sie haben seit dem Inkrafttreten des Vertrages 1970 Verhandlungen über die in Art. VI geforderten Maßnahmen geführt. Diese Verhandlungen brachten Ergebnisse in Teilbereichen. Die Unterbrechung der INF- und START-Verhandlungen durch die Sowjetunion war ein Rückschlag. Die Wiederaufnahme des Rüstungskontrolldialogs der Großmächte eröffnet die Möglichkeit zu neuen Vereinbarungen, die zu einer drastischen Reduzierung der nuklearen Waffen führen sollen. Kein Nicht-Kernwaffenstaat sollte sich daher dazu veranlaßt sehen, sich auf die Nichterfüllung des Art. VI zu berufen und sich so begründet seinen eigenen Vertragspflichten zu entziehen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Soell.

Prof. Dr. Hartmut Soell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002186, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, sind der Bundesregierung Äußerungen von Regierungsvertretern von nicht gebundenen und neutralen Staaten bekannt, daß dieser Vertrag ohne radikale Änderung des Nichtverbreitungsregimes über 1995 hinaus keinen Bestand haben wird, und wie bewertet die Bundesregierung solche Äußerungen, soweit sie ihr bekannt sind?

Not found (Gast)

Ich habe vorhin darauf hingewiesen, daß uns die Kritik aus verschiedenen Unterzeichnerstaaten, die nicht Kernwaffenstaaten sind, am derzeitigen Stand der Rüstungskontrollvereinbarungen und an der Zahl der derzeit vorhandenen nuklearen Systeme bekannt ist, daß wir sie ernst nehmen und daß wir deswegen - aber nicht nur deswegen - mit allem Nachdruck darauf drängen, daß es zu Vereinbarungen der von mir angesprochenen Art über eine drastische Reduzierung der Kernwaffen kommt. Ich glaube, daß diese Haltung mancher Unterzeichnerstaaten auch auf der bevorstehenden Überprüfungskonferenz zum Ausdruck kommen wird und für die in Frage kommenden Kernwaffenstaaten einen besonderen Anreiz darstellen wird, ihre Genfer Bemühungen zu verstärken.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Soell.

Prof. Dr. Hartmut Soell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002186, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Unterstützt die Bundesregierung die Bestrebungen von nicht gebundenen, neutralen Staaten, einen umfassenden Teststopp zu erreichen, und hat sie, wenn sie diese Unterstützung gewährt, auch eigene Vorschläge dazu gemacht?

Not found (Gast)

Das ist nun Gegenstand einer der kommenden Fragen. Wenn Sie ein10824 verstanden sind, würde ich das dann ganz gerne dort beantworten.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Dann rufe ich die Frage 16 des Abgeordneten Dr. Soell auf: Hat die Bundesregierung Anstrengungen unternommen - und wenn ja, mit welchem Erfolg -, um solche Staaten, die entweder über Kernwaffen oder über eine kernwaffenfähige Technologie verfügen und dem Atomwaffensperrvertrag nicht beigetreten sind, zum Beitritt zu bewegen?

Not found (Gast)

Die Bundesregierung bemüht sich mit den Regierungen anderer wichtiger Vertragsstaaten - darunter die USA, die Sowjetunion, Großbritannien, Japan, die Niederlande und die nordischen Länder - solche Staaten, die bislang dem Nichtverbreitungsvertrag abseits stehen, dafür zu gewinnen, daß sie dem Nichtverbreitungsvertrag beitreten. Die Bundesregierung hat in den beiden vergangenen Jahren u. a. Argentinien, Brasilien, Spanien und Pakistan für einen Beitritt geworben. Diese Bemühungen waren jedoch bislang ohne Erfolg.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage, Herr Dr. Soell.

Prof. Dr. Hartmut Soell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002186, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wie intensiv sind die Fragen der Nichtverbreitung mit der französischen Regierung auf dem letzten Gipfeltreffen oder etwa bei den Gesprächen des Außenministers in Paris behandelt worden?

Not found (Gast)

Ich unterstelle, daß Sie mit Ihrer Frage meinen, wie intensiv über einen möglichen Beitritt Frankreichs zu dem Vertrag geredet worden ist. Herr Kollege Soell, die Haltung Frankreichs zu diesem Punkt ist uns so eindeutig bekannt, daß es von einem bestimmten Zeitpunkt an keinen Sinn macht, sie in den Mittelpunkt jeder bilateralen Konsultation zu stellen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Soell.

Prof. Dr. Hartmut Soell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002186, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sind beim Besuch des chinesischen Ministerpräsidenten die Fragen der Nichtverbreitung, also auch die Möglichkeit eines Beitritts Chinas, erörtert worden?

Not found (Gast)

Im Zusammenhang mit der möglichen und von uns durchaus positiv bewerteten Lieferung von Kernkraftwerken an die Volksrepublik China - darüber wurde ja ein Memorandum of understanding unterzeichnet - wurden alle nichtverbreitungspolitischen Aspekte im Sinne unserer Politik erörtert. Das heißt, wir haben unsere Position dazu deutlich gemacht. Die Chinesen haben nun eine andere Position.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Jetzt kommt die Frage 17 des Herrn Abgeordneten Jungmann: Hält die Bundesregierung es für möglich und sinnvoll, noch vor der 3. Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag den Versuch zu unternehmen, eine gemeinsame Position der Nicht-Kernwaffenstaaten zu erarbeiten? Ich weise dabei darauf hin, daß wir diese Frage auch schon als Zusatzfrage ähnlicher Art hier gehabt haben.

Not found (Gast)

Herr Präsident, wenn der Kollege Jungmann einverstanden ist, würde ich die Fragen 17 und 18 zusammenfassend beantworten. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Also, wir fassen zusammen. Ich rufe auch die Frage 18 auf: Hat die Bundesregierung in dieser Richtung Bemühungen unternommen?

Not found (Gast)

Ich fasse die beiden Fragen zusammen und beantworte sie mit Nein. Dabei gehe ich davon aus, daß Herr Kollege Jungmann an eine noch vor Beginn der 3. Überprüfungskonferenz zum Nichtverbreitungsvertrag einzuberufende Vorkonferenz der Nichtkernwaffenstaaten denkt, die einen gemeinsamen Standpunkt in der Frage der Erfüllung des Artikels VI durch die Kernwaffenstaaten festlegt. Diese Frage wird auf der 3. Überprüfungskonferenz eine zentrale Rolle spielen. Ihre Behandlung schon auf einer Vorkonferenz mit Zielrichtung gegen die Kernwaffenstaaten des Vertrages könnte zu einer vermutlich am Ende sehr negativ wirkenden Konfrontation auf der 3. Überprüfungskonferenz beitragen. Im übrigen finden seit dem 12. März die amerikanisch-sowjetischen Verhandlungen in Genf statt. Ihr prioritäres Ziel ist die drastische Reduzierung der vorhandenen nuklearen Waffen zur Erreichung einer dauerhaften Stärkung der strategischen Stabilität. Wir unterstützen die amerikanische Verhandlungsposition, die auf dieses Ziel gerichtet ist, und hoffen, daß auch die Sowjetunion die Flexibilität zeigt, die Ergebnisse möglich macht. Intensive Konsultationen mit den USA im Bündnis aber auch bilateral, geben uns die Möglichkeit, an der Gestaltung der amerikanischen Verhandlungsposition mitzuwirken. Daher sehen wir es weder als zweckmäßig noch als notwendig an, vor der 3. Überprüfungskonferenz eine gemeinsame Position der Nichtkernwaffenstaaten zu erarbeiten. Mir sind auch keine entsprechenden Vorschläge anderer Regierungen bekannt. Im übrigen habe ich, wie der Präsident bereits erwähnt hat, die anderen Aspekte dieses Punktes vorhin schon dargestellt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Erste Zusatzfrage, Herr Jungmann.

Horst Jungmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001047, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich verzichte auf Zusatzfragen, weil es sowieso keinen Zweck hat, sie zu stellen, da immer wieder nur auf die Genfer Verhandlungen abgehoben wird. Schönen Dank.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich rufe Frage 19 des Abgeordneten Voigt ({0}) auf: Bleibt die Bundesregierung bei ihrer Auffassung, daß ein umfassendes Teststopp-Abkommen ein entscheidender Fortschritt bei den Bemühungen um Nichtverbreitung und Reduzierung von Kernwaffen sein würde?

Not found (Gast)

Herr Kollege Voigt, bei der Beantwortung Ihrer Frage bin ich im Gegensatz zu dem, was der Kollege Jungmann soeben sagte, natürlich genauso konkret wie bei den anderen Fragen: Die Bundesregierung mißt einem umfassenden und verläßlich verifizierbaren nuklearen Teststopp unverändert große Bedeutung bei. Bundesminister Genscher hat dies in seiner Rede vor der Genfer Abrüstungskonferenz am 2. April 1985 bekräftigt. Dabei darf aber nicht übersehen werden, daß ein Teststopp allein keine Reduzierung von Kernwaffen bewirkt. Hierzu sind nukleare Abrüstungsverhandlungen notwendig, wie sie von den beiden Großmächten am 12. März 1985 begonnen wurden. Was die Bemühungen um die horizontale Nichtverbreitung von Kernwaffen angeht, ist darauf hinzuweisen, daß inzwischen 129 Staaten dem Nichtverbreitungsvertrag angehören. Es ist fraglich, ob ein umfassender Teststopp den Beitritt der abseits stehenden Schwellenländer fördern würde, die das Nichtverbreitungsregime generell als diskriminierend bezeichnen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage, Herr Voigt.

Karsten D. Voigt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, stimmen Sie den Wissenschaftlern und auch Politikern in den Vereinigten Staaten zu, die der Auffassung sind, daß auf Grund neuer technologischer Entwicklungen inzwischen die Verifizierung eines umfassenden Teststopps erreicht werden kann, ohne daß durch Personen dauernd eine Inspektion an Ort und Stelle erfolgen müßte?

Not found (Gast)

Herr Kollege Voigt, nach meinem Kenntnisstand ist für die Beantwortung dieser Frage das Festlegen von zwei Kriterien notwendig: erstens in welcher Entfernung von möglichen Testorten entsprechende technische Installationen plaziert werden können und zweitens bis zu welchen Größenordnungen Sprengungen registriert und gemessen werden sollen. Es ist zweifellos so, daß Tests oberhalb einer bestimmten Sprengwirkung, die durchgeführt werden, mit den heute vorhandenen technischen Mitteln jedenfalls dann wahrgenommen werden können, wenn diese Mittel in nicht allzu großer Entfernung von denkbaren Testgebieten installiert werden können. Aber erstens ist zwischen denen, die es angeht, noch keine einvernehmliche Regelung über die Aufstellung solcher technischer Mittel in hinreichender Nähe zu Testorten in Sicht, und zweitens gibt es keinen Wissenschaftler, der behauptet, daß man auch relativ kleine Sprengmengen jetzt schon mit diesen Methoden erfassen könne. Wir meinen aber, daß ein genereller Stopp der Erprobung von nuklearen Waffen angestrebt werden sollte und daß er generell, nicht nur in bestimmten Größenordnungen, verifizierbar sein muß.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage, Herr Voigt.

Karsten D. Voigt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, stimmen Sie meiner Befürchtung, die sich inzwischen zu einem Verdacht verdichtet hat, zu, daß das Verifikationsargument zum Teil vorgeschoben wird, weil in Wirklichkeit einige Kernwaffenstaaten daran interessiert sind, miniaturisierte Atomwaffen noch zu testen, wird also auf Grund dieses militärischen Interesses das Argument mit den Problemen der Verifikation - die tatsächlich zu lösen wären - vorgeschoben?

Not found (Gast)

Herr Kollege Voigt, Sie äußern j a mit Ihrer Frage den Verdacht, daß die Sowjetunion so vorgehen würde, denn sie ist diejenige, die sich entsprechenden Verifikationsmaßnahmen entzieht. Solche Staaten, die für Verifikationsmaßnahmen auch vor Ort sind - wie die westlichen Staaten -, können ja von Ihrem Verdacht nicht betroffen sein.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Scheer.

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, Sie haben soeben die Zielsetzungen der Bundesregierung bekräftigt, die bisher von allen Parteien in diesem Hause getragen worden sind, nämlich die für ein umfassendes Teststoppabkommen. Wie beurteilen Sie demgegenüber politische Vorstellungen, die nur noch von einem möglichst weitgehenden Teststopp-abkommen sprechen, weil sie sich auf jeden Fall die Möglichkeit für weitere Tests zur Modernisierung vorhandenen Waffenpotentials reservieren möchten?

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Eine solche Vorstellung ist natürlich in Wahrheit dann gegen ein Teststoppabkommen gerichtet und kann von uns nicht unterstützt werden. Ein Teststoppabkommen umfassender Art, das sich an den Kriterien orientiert, schließt eben bestimmte weitere Vorgehensweisen aus. Insofern kann ich den von Ihnen angesprochenen Vorstellungen nicht beitreten.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage, Frau Kelly.

Petra Karin Kelly (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte in Anknüpfung an die Frage von Herrn Scheer fragen: Was genau, Herr Möllemann, verstehen Sie unter dem Begriff „umfassendes Teststoppabkommen"?

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Ein Abkommen, das jede Art von Test in dem hier angesprochenen Bereich ausschließt und das auf seine Einhaltung hin umfassend überprüft werden kann. Wir benutzen ja dauernd das Wort „Verifizierung", meinen also ein Abkommen, bei dem durch konkrete Kontrollen überprüft werden kann, daß sich alle auch an dieses Abkommen halten, und zwar in allen Größenordnungen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Bahr.

Prof. Egon Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000080, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, ist es richtig, daß man alle Ihre Antworten in der Feststellung zusammenfassen kann: Politik und Haltung der Bundesregierung zu einem umfassenden Teststoppabkommen haben sich nicht verändert?

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Das ist die präziseste Beschreibung, die man zu diesem Punkt vornehmen könnte.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Trotzdem habe ich hier noch eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Voigt, die Frage 20: Welche konkreten Schritte unternimmt die Bundesregierung, um ein umfassendes Teststoppabkommen zu erreichen? Herr Staatsminister, das ist die letzte.

Not found (Gast)

Herr Kollege Voigt, die Bundesregierung setzt sich in der Genfer Abrüstungskonferenz für die Erneuerung des Mandats der Arbeitsgruppe „Nuklearer Teststopp" in der laufenden Sommersitzung der Konferenz ein, nachdem diese sich weder 1984 noch bei der Frühjahrssitzung 1985 auf ein Mandat zur Wiedereinsetzung der Arbeitsgruppe hat einigen können. Die Nichtgebundenen fordern die unmittelbare Aufnahme von Vertragsverhandlungen, während die Länder der westlichen Gruppe die Klärung der Verifikationsalso der Überprüfungsfrage, für nötig halten, bevor in die eigentlichen Vertragsverhandlungen eingetreten werden kann. Der Osten, der sich in der Verifikationsfrage sehr abweisend verhält, unterstützt die nichtgebundenen Staaten, was aus seiner Interessenlage auch verständlich ist. Für den Westen ist aber eine zuverlässige Überprüfung zu schließender Abkommen, also eines umfassenden Teststoppabkommens unverzichtbar. Die Bundesregierung unterstützt ferner die Bemühungen der Konferenz um weitere Fortschritte auf dem Gebiet der Verifikationstechnik. Der von der Konferenz eingesetzten Gruppe seismologischer Experten gehören auch zwei von der Bundesregierung entsandte Wissenschaftler an. Weiter setzt sich die Bundesregierung dafür ein, die Testmöglichkeiten bis zur Erzielung eines umfassenden Verbots wenigstens schrittweise zu beschränken.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage, Herr Voigt.

Karsten D. Voigt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, Sie haben in der Beantwortung der vorhergehenden Fragen immer deutlich auf den Unterschied zwischen Nuklearwaffenstaaten und Nichtnuklearwaffenstaaten abgehoben. Nun gibt es hier in dieser Frage, weil wir als Nichtnuklearwaffenstaat Nuklearwaffen natürlich nicht testen, möglicherweise auch Interessenunterschiede. Deshalb frage ich Sie, ob die Bundesregierung neben ihrer Abstimmung einer gemeinsamen Position innerhalb des westlichen Bündnisses, das ja Nuklearwaffenstaaten und Nichtnuklearwaffenstaaten umfaßt, möglicherweise auch eigenständige und abweichende Vorstellungen vertritt.

Not found (Gast)

In dem Moment, wo wir abweichende Vorstellungen haben, vertreten wir sie auch, weil wir sie ja von der Sache her begründen. Aber hier gibt es keine unterschiedliche Interessenlage. Ich kann auch nicht erkennen, weshalb man darauf verzichten sollte, die Einhaltung eines Abkommens zu überprüfen. Abkommen machen doch keinen Sinn, wenn man sie schließt und die Frage offenläßt, ob sie auf ihre Einhaltung überprüft werden können. Ich habe darauf hingewiesen, daß wir nach Wegen suchen, die modernen Technologien bei der Überprüfung der Einhaltung des Abkommens stärker heranzuziehen, weil wir j a wissen, wo die Empfindlichkeiten im Blick auf die Bewegungen von dem westlichen Bündnis angehörenden Personen im Zuständigkeitsbereich des Warschauer Paktes liegen. Aber ich kann wirklich nicht erkennen, Herr Kollege Voigt, weshalb sich der Westen in diesem Punkt von dem schlichten Ansatz abbringen lassen sollte, daß man ein Abkommen, das man schließt, auch auf seine Einhaltung überprüfen können muß.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage, Herr Voigt.

Karsten D. Voigt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Naturgemäß muß man ein Abkommen ausreichend überprüfen können, und daß das möglich ist, haben ja einige der hier anwesenden Sozialdemokraten gestern gerade mit der Vorlage eines Vorschlages gezeigt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Sie müssen fragen, Herr Kollege Voigt.

Karsten D. Voigt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich frage Sie, ob Sie bereit sind, ein Symposium deutscher Wissenschaftler zu organisieren, die sich mit Fragen der Verifikation in diesem Bereich beschäftigen, um zu prüfen, ob es auf Grund der Erkenntnisse der deutschen Wissenschaft hier eigenständige Vorschlagsmöglichkeiten gibt und ob ein solches Symposium gegebenenfalls auch öffentlich durchgeführt werden könnte.

Not found (Gast)

Herr Kollege Voigt, ich glaube, daß die Erkenntnisse der Wissenschaft sich in diesem Bereich wirklich nicht nach der Zugehörigkeit zu Nationen richten. Die Bundesregierung ist bereit, bei der Definition ihrer Position alle Erkenntnisse heranzuziehen, die von der Wissenschaft präsentiert und seriös begründet werden. Wenn uns von der Oppositionsfraktion in diesem Zusammenhang Hilfestellung gegeben wird, so nehmen wir das gerne an. Ob ein Symposium der richtige Weg ist, wage ich zu bezweifeln. Sie können die Erkenntnisse der Wissenschaft auch auf andere Weise gewinnen und verwerten. Ich will diesem Vorschlag aber gern nachgehen. Ich kann dies hier nicht definitiv beantworten. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Die Frage 21 ist vom Fragesteller, Herrn Abgeordneten Jäger ({0}), zurückgezogen worden. Sie braucht hier somit nicht beantwortet zu werden. ({1}) - Ich glaube, der Fragesteller hat diese Frage gestern in der Fraktion beantwortet bekommen. Ich danke dem Staatsminister im Auswärtigen Amt für die Beantwortung der Fragen. Wir kommen zum nächsten Geschäftsbereich, nämlich dem des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Höpfinger zur Verfügung. Die Frage 45 des Herrn Abgeordneten Lowack soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Die Frage 46 ist von Herrn Abgeordneten Pfuhl eingebracht. - Der Kollege ist nicht im Saal. Dann wird entsprechend der Geschäftsordnung verfahren. Ich rufe die Frage 47 der Abgeordneten Frau Steinhauer auf: Auf welche Weise ist nach Auffassung der Bundesregierung bei den von ihr geförderten Modellversuchen zur Abrechnungstransparenz der Kassenärzte der notwendige Datenschutz gewährleistet worden?

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Frau Kollegin Steinhauer, die Bundesregierung fördert seit 1981 Modellversuche zur Transparenz von Kosten und Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Dabei soll untersucht werden, wie in geeigneten Fällen Krankheitsfälle hinsichtlich der in Anspruch genommenen Leistungen überprüft und Versicherte und behandelnde Ärzte ohne viel Verwaltungsaufwand über diese Leistungen und ihre Kosten von der Krankenkasse unterrichtet werden können. Diese Modellversuche befinden sich gegenwärtig überwiegend in der Phase der Entwicklung und Erprobung von Prüf- und Unterrichtungsverfahren mit anonymisierten Daten. Alle Modellversuche sind von den zuständigen Datenschutzbeauftragten überprüft worden. Eine datenschutzkonforme Durchführung ist sichergestellt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage, Frau Steinhauer.

Waltraud Steinhauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002238, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ich gehe sicher richtig in der Annahme, daß Ihnen die öffentlichen Verlautbarungen insbesondere der Kassenärztlichen Vereinigung hinsichtlich des angeblich nicht gewährleisteten Datenschutzes bekannt sind. Was haben Sie getan, um dem Verband gegenüber klarzustellen, daß der Datenschutz nach Ihrer Auffassung gewährleistet ist?

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Solche Vorstellungen sind bei uns im Hause offiziell nicht vorgetragen worden. Ich kann nur noch einmal hervorheben, daß die anonymisierten Daten nach unseren Feststellungen dazu beitragen, daß der Datenschutz auf jeden Fall gewährleistet ist. Frau Kollegin, ich darf noch einmal darauf hinweisen, daß die zuständigen Datenschutzbeauftragten dieses auch bestätigt haben.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage, Frau Steinhauer.

Waltraud Steinhauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002238, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ich bin einigermaßen erstaunt, daß in Ihrem Hause Pressemitteilungen des Verbandes und darüber hinaus Verlautbarungen offensichtlich nicht verfolgt werden und daß dadurch bei manchen Versicherten und auch bei Krankenkassen eine Unsicherheit entstanden ist, ob der Datenschutz gewährleistet sei.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Kollegin, Sie müssen fragen.

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Frau Kollegin, ich nehme Ihre Zusatzfrage gerne zum Anlaß, um diese Angelegenheit im Hause zu besprechen. Ich werde Ihnen diesbezüglich eine entsprechende Antwort zukommen lassen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Peter ({0}).

Horst Peter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001693, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär Höpfinger, könnten Sie in diesem Zusammenhang auch die Meinung Ihres Hauses im Hinblick auf die Äußerungen des Bundesdatenschutzbeauftragten im 7. Tätigkeitsbericht erkunden, wo er einen Regelungsbedarf im Zusammenhang mit § 223 RVO im Hinblick auf Datenschutz feststellt?

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Wir werden diese Frage mit einbeziehen, Herr Kollege Peter.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Lutz.

Egon Lutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001399, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, Sie sagten gerade, es sei Ihnen offiziell etwas nicht zur Kenntnis gelangt. Wie muß ich mich äußern, damit ich Ihr Ohr erreiche, und welche Verbände müssen sich wie artikulieren, damit die Regierung die Äußerungen zur Kenntnis nimmt?

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Herr Kollege Lutz, ich glaube, wenn dem Ministerium offiziell solche Mitteilungen bekanntwerden bzw. wenn auf Grund von Pressemitteilungen Untersuchungen erforderlich sind, wird das Ministerium dieser Angelegenheit selbstverständlich nachgehen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich rufe die Frage 48 der Abgeordneten Frau Steinhauer auf: Beabsichtigt die Bundesregierung, gemeinsam mit der AOK Dortmund die Frage zu prüfen, ob im Rahmen des Modellversuches „Effizienz und Wirtschaftlichkeit erbrachter und veranlaßter kassenärztlicher Leistungen" unter Ausnutzung von § 223 Absatz 2 RVO den Versicherten Aufschluß über die in Anspruch genommenen Leistungen gegeben werden soll?

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Frau Kollegin Steinhauer, das Forschungsvorhaben „Effizienz und Wirtschaftlichkeit erbrachter und veranlaßter kassenärztlicher Leistungen" ist bei der AOK Dortmund gelaufen. Zusammen mit weiteren Vorhaben sollte geprüft werden, inwieweit regelmäßig bei den Kassen anfallende Daten zur wirtschaftlicheren Steuerung durch die Kassen genutzt werden können. Der gegenwärtig in Dortmund laufende Modellversuch beschäftigt sich dagegen mit Arzneimitteltransparenz und Beratung am Beispiel der Region Dortmund. In diesem Rahmen beabsichtigen die Krankenkassen nach § 223 der Reichsversicherungsordnung im Zusammenwirken mit der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe die in Anspruch genommenen Leistungen zu überprüfen und auch die Versicherten über diese Leistungen und deren Kosten in geeigneten Fällen zu unterrichten. Dabei kann es in zweifacher Hinsicht zu einer Beratung der Versicherten kommen: erstens durch die behandelnden Ärzte, gegebenenfalls im Anschluß an eine vorausgegangene Arztberatung, und zweitens durch die beteiligten Krankenkassen, sofern Versicherte dies beantragen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage, Frau Steinhauer.

Waltraud Steinhauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002238, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, auf Grund der Erkenntnisse im Dortmunder Raum generell zur größeren Transparenz und Effizienz der Leistungen Vorschläge zu machen?

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Frau Kollegin, wie Sie selber wissen, ist über das bei der AOK Dortmund durchgeführte Vorhaben ein Gesamtbericht erstellt worden. Ich glaube, daß gerade die Aussagen dieses Berichts mit dazu beitragen, die Effizienz herauszustellen und die Information zu verbessern.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Weitere Zusatzfragen? - Das ist nicht der Fall. Dann rufe ich die Frage 49 des Abgeordneten Meininghaus auf: Wie beurteilt die Bundesregierung die Notwendigkeit, Transparenz hinsichtlich des Abrechnungs- und Verordnungsgebarens der Kassenärzte herbeizuführen, und welche Rolle mißt die Bundesregierung bei der Herstellung dieser Transparenz der Mitwirkung der Versicherten bei?

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Herr Kollege Meininghaus, die Bundesregierung mißt der Frage der Transparenz im kassenärztlichen Leistungs- und Abrechnungsgeschehen einen hohen Stellenwert bei. Dabei geht es um eine verbesserte Abrechnungskontrolle und eine bessere Information des Versicherten über die von ihm in Anspruch genommenen Leistungen. Auch eine verstärkte Mitwirkung des Versicherten an der kassenärztlichen Abrechnung der Leistungen ist grundsätzlich geeignet, das Kostenbewußtsein fortzuentwickeln und die Abrechnung der Leistungen besser als bisher überprüfen zu können. Die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenversicherungen haben auf der Frühjahrssitzung der konzertierten Aktion im Gesundheitswesen am 27. März 1985 über ihre Bemühungen berichtet, durch vermehrte Transparenz Fehler in der Abrechnung zu korrigieren und Manipulationen einzuschränken. Hierbei haben sie betont, daß Kosten und Nutzen solcher Transparenzbemühungen in einer vertretbaren Relation stehen müssen. Unter diesem Gesichtspunkt findet derzeit ein Modellversuch in Hessen statt; ein weiterer im Rheinland ist geplant. Über Ergebnisse und tatsächlich erzielte Wirkungen kann zur Zeit noch nicht berichtet werden.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage, Herr Meininghaus.

Alfred Meininghaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001458, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, können Sie uns denn schon in etwa sagen, wie Ihre Vorstellungen sind, um hier Manipulationsmöglichkeiten weitergehend auszuschließen? Denn es ist dem Petitionsausschuß auch aus Ihrem Hause mitgeteilt worden - auf Grund einiger Petitionen in diesem Bereich -, daß solche Vorstellungen bei Ihnen entwickelt werden würden.

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Herr Kollege, ich habe in meiner Antwort darauf hingewiesen, daß natürlich diese ganzen Untersuchungen und vor allem diese Transparenz mit dazu beitragen sollen, eine gewisse Kontrolle auszuüben. Aber ich darf jetzt darauf hinweisen: Das ist nicht der ursprüngliche Gedanke für diese Untersuchungen gewesen, sondern das hat sich ergeben. Der Grundgedanke, warum man hier einmal untersuchen will, wie die Transparenz und Effizienz der Leistungen ist, war, daß man den Versicherten darauf hinweisen und ihm zeigen will, was heute das Gesundheitswesen kostet und daß Gesundheit ihren Preis hat. Das ist mit ein Grundgedanke: den Versicherten teilhaben zu lassen, ihn zu unterrichten, welche Kosten durch Krankheit verursacht werden, nicht in einer vorwurfsvollen Art, sondern um damit darzustellen: Das Gesundheitswesen hat heute einen hohen Preis. Das war der Grundgedanke, warum diese Versuche durchgeführt worden sind.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Weitere Zusatzfrage, Herr Meininghaus.

Alfred Meininghaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001458, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, es ist doch sicher auch eine Möglichkeit, hier eine gewisse Kontrollfunktion auszuüben. Sind Sie nicht auch der Meinung, daß man in diesem Zusammenhang dieses mehr berücksichtigen sollte? Denn wenn heute Rechnungen erteilt werden, gibt es immer Kontrollen, nur in diesem Bereich gibt es offensichtlich nichts, womit die Ärzte kontrolliert werden können.

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Herr Kollege Meininghaus, ich darf noch einmal darauf hinweisen: Schon in meiner ersten Antwort habe ich auch diese Kontrollmöglichkeit angesprochen. Natürlich ergibt sie sich auch.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Lutz.

Egon Lutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001399, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, da die Bundesregierung nach Ihrer Auskunft offenbar der Meinung ist, der Versicherte sehe nicht recht, was ihm an Leistungen zugemutet werden kann: Sind Sie auf Grund der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren nicht der Auffassung, daß Transparenz sehr schnell und auf der Seite der Anbieter hergestellt werden muß?

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Herr Kollege Lutz, ich habe deutlich gemacht, daß diese Transparenz auch dazu führen wird, da und dort Unregelmäßigkeiten aufzudecken. ({0}) Aber das ist nicht der Hauptgrund für diese Untersuchungen, die gemacht wurden. Der Hauptgrund für diese Untersuchungen ist, den Versicherten aufzuzeigen, was das Gesundheitswesen heute kostet und was sie persönlich von der Solidargemeinschaft Krankenversicherung beanspruchen. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Fuchs ({0}).

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist es auch Sinn dieses Modells, Auskunft darüber zu bekommen, wie weit der vom Bundesarbeitsminister behauptete Verfall der sozialen Sitten der Kassenärzte zu Kostensteigerungen im Gesundheitswesen geführt hat?

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Sicher wird diese Transparenz eine Vielfalt von Aussagen ermöglichen und sicher auch die Diskussion um die Kostendämpfung im Gesundheitswesen stärker vorantreiben. Auch dazu wird die Transparenz der Kosten im Gesundheitswesen einen Beitrag leisten.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage, Frau Steinhauer.

Waltraud Steinhauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002238, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist Ihnen nicht bekannt, daß die AOK Dortmund, als sie den Modellversuch begann, vor ungeheuren Kosten- und Beitragsproblemen stand und insbesondere die Stabilisierung ein Grund war, um die Anbieter im Dortmunder Bereich unter die Lupe zu nehmen? Das Ergebnis dieses Versuches war ja auch eine Stabilisierung.

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Frau Kollegin, Sie haben die Antwort schon vorweggenommen. Allein die Untersuchung habe zu einer Stabilisierung der Kosten und der Leistungen geführt. Ob das allein der Grund war, muß erst noch untersucht werden.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich rufe die Frage 50 des Abgeordneten Meininghaus auf: Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die in § 223 RVO enthaltene Gesetzesnorm zur Durchführung der bei der AOK Dortmund laufenden und von ihr geförderten Modellversuche ausreichend ist, oder ist die Bundesregierung der Auffassung, daß neue gesetzliche Bestimmungen - nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer inhaltlichen und regionalen Ausweitung der Modellvorhaben - erforderlich sein werden?

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Herr Kollege Meininghaus, die Bundesregierung vertritt die Auffassung, daß das geltende Recht die gegenwärtige Praxis der Datenerhebung und -weitergabe auch insoweit zuläßt, als hiervon Modellversuche betroffen sind, die nach § 223 der Reichsversicherungsordnung gefördert werden. Nach Abschluß der wissenschaftlichen Untersuchungen und vor einer eventuellen Umsetzung der gewonnenen Ergebnisse in praktisches Verwaltungshandeln werden die datenschutzrechtlichen Belange erneut geprüft werden.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage von Herrn Peter ({0}).

Horst Peter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001693, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär Höpfinger, ich muß noch einmal nachfragen: Ist in Ihrem Hause eine Stellungnahme abgegeben worden zu den Anmerkungen des Bundesdatenschutzbeauftragten in seinem siebten Bericht, der nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts über die informationelle Selbstbestimmung einen erheblichen Regelungsbedarf im Hinblick auf § 223 RVO sieht.

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Herr Kollege Peter, wenn eine solche Stellungnahme abgegeben worden wäre, würde ich Sie hier vortragen und dazu Stellung nehmen. Mir ist sie nicht bekannt. Ich bin gern bereit, im Hause danach zu fragen. Aber an sich ist die Vorbereitung für die Fragestunde so gründlich, daß einem eine solche Aussage auf jeden Fall mitgegeben würde.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich rufe die Frage 51 des Abgeordneten Urbaniak auf: Kann die Bundesregierung Aussagen der AOK Dortmund bestätigen, nach denen seit Beginn des Modellversuches „Effizienz und Wirtschaftlichkeit erbrachter und veranlaßter kassenärztlicher Leistungen" am 1. Januar 1981 die Ausgaben dieser Krankenkasse zum Teil fühlbar gesenkt werden konnten, und wenn ja, welche Gründe sind nach Ansicht der Bundesregierung hierfür maßgebend? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Herr Kollege Urbaniak, das Forschungsvorhaben „Effizienz und Wirtschaftlichkeit erbrachter und veranlaßter kassenärztlicher Leistungen" bezog sich im wesentlichen auf die Bereiche ambulante ärztliche Behandlung und physikalische Therapie, also Bäder und Massagen. Seit Beginn des Forschungsvorhabens kann für das Jahr 1981 bei der ambulanten ärztlichen Versorgung und für die Jahre 1981 und 1982 bei der physikalischen Therapie eine Senkung der Ausgaben je Mitglied der AOK Dortmund festgestellt werden. Im Vergleich zur entsprechenden Entwicklung bei allen Ortskrankenkassen in Nordrhein-Westfalen ergibt sich aber kein eindeutiges Bild. Ob und inwieweit die Ausgabenentwicklung bei der AOK Dortmund von einer Beeinflussung des Leistungsgeschehens durch das Forschungsvorhaben abhängt, läßt sich auf Grund der vorliegenden Kenntnisse nicht beurteilen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich lasse noch die beiden Zusatzfragen des fragestellenden Abgeordneten zu; mehr kann ich wegen der Zeit nicht. Herr Urbaniak hat eine Zusatzfrage.

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, da ja nun wirklich Kostenersparnisse herbeigeführt worden sind, muß es Gründe geben. Kann die Bundesregierung diese Gründe angeben? Ich kann mir schon einige vorstellen. Ist es möglich, daß Sie dazu etwas sagen?

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Herr Kollege Urbaniak, die Frage bezog sich auf die Jahre 1981 und 1982. Wie Sie selber wissen, haben wir für die Jahre 1983 und 1984 auch in diesem Bereich eine ganz andere Datenentwicklung. Da kann von Kosteneinsparung leider nicht mehr die Rede sein, weil wir hier geradezu eine Ausweitung von weit über 10% haben.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Letzte Zusatzfrage des Abgeordneten Urbaniak.

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, können Sir mir sagen, ob die Bundesregierung ein ähnliches Modell auch im Bereich der zahnärztlichen Leistungen für sinnvoll hält?

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Ein solches Modell ist bereits in Erprobung, und zwar bei einer Betriebskrankenkasse.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Wir sind am Ende der Fragestunde. Ich danke dem Staatssekretär Höpfinger für die Beantwortung der Fragen. Die aus Zeitgründen nicht aufgerufenen Fragen werden, sofern sie nicht vom Fragesteller zurückgezogen worden sind *), schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Wir fahren in unserer Tagesordnung fort. *) Zurückgezogen sind die Fragen 57 und 58 des Abg. Lutz und 59 des Abg. von Schmude. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 und den Zusatzpunkt 5 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Vogel, Dr. Apel, Frau Fuchs ({0}), Roth, Dr. Jens, Lutz, Dr. Spöri, Wieczorek ({1}) und der Fraktion der SPD Politik zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit und Überwindung der Wachstumsschwäche - Drucksache 10/3431 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft ({2}) Innenausschuß Finanzausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß Beratung des Antrags der Abgeordneten Kleinert ({3}), Dr. Müller ({4}), Suhr und der Fraktion DIE GRÜNEN Ökologischer Nachtragshaushalt - Drucksache 10/3497 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß ({5}) Innenausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jens.

Prof. Dr. Uwe Jens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Scheibchenweise gibt diese Bundesregierung das Scheitern ihrer ökonomischen Politik bekannt. Die Öffentlichkeit muß auf die erneute Wende in der Wirtschaftspolitik vorsichtig vorbereitet werden. Aber, wie wir sehen, kann die angebotsorientierte Politik, eine ausschließliche Verbesserung der unternehmerischen Rahmenbedingungen, seit der Wahl in Nordrhein-Westfalen offenbar nicht mehr so praktiziert werden, wie Sie es ursprünglich einmal vorhatten. Vorgestern verkündete der Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft, Dr. Schlecht, die Korrektur der bisherigen Arbeitsmarktprognosen dieser Regierung. Jetzt wissen wir regierungsamtlich: Die Arbeitslosigkeit wird auch 1985 nicht sinken. ({0}) Wir Sozialdemokraten sind fest davon überzeugt dies ist von wissenschaftlichen Prognosen unterDr. Jens legt -: Die Arbeitslosigkeit wird in diesem Jahr erneut ansteigen. ({1}) Wir Sozialdemokraten fühlen uns also in unserer Aussage bestätigt, daß diese Regierung das innenpolitische Problem Nummer eins nicht in den Griff bekommt. ({2}) Die Regierung ist nicht in der Lage, das Arbeitslosenproblem auch nur annähernd zu verringern. ({3}) Ich füge hinzu und möchte deutlich machen, daß wir uns um das Schicksal der Beschäftigten bei der Firma Sonnenschein starke Sorgen machen. Wir bekunden unsere Solidarität mit den Arbeitnehmern in dieser Firma. Aber diese Selbstgerechtigkeit, diese schreckliche Arroganz des Inhabers dieser Firma, des Herrn Postministers Schwarz-Schilling, ist aus meiner Sicht unerträglich! ({4}) Nach außen propagieren der Generalsekretär Geißler und auch der Graf Lambsdorff ein starres Festhalten an der bisherigen wirtschaftspolitischen Linie. Tatsächlich werden dagegen nachfragebelebende Maßnahmen durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau und beim Städtebau angekündigt. Die Abschreibungserleichterungen - man kann sicherlich darüber diskutieren, ob das etwas bringt - bewirken kurzfristig mit Sicherheit nichts. Auf alle Fälle kosten sie sehr, sehr viel Geld. Man muß hier schon die Frage stellen, ob diese Mittel nicht an anderer Stelle sinnvoller für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit angelegt wären. ({5}) Der CDU-Generalsekretär spricht von einem „Zwischentief" dieser Regierung. Ich kann nicht erkennen, daß sie jemals ein politisches Hoch gehabt hätte. Aber passen Sie nur auf, meine Damen und Herren von der Koalition, daß dieses Zwischentief nicht etwa zu einem Dauertief wird. ({6}) - Die besten Voraussetzungen dafür sind gegeben, Herr Dregger. Die Ausflüchte dieser Regierung nehmen groteske Formen an. Bundeskanzler Kohl bezweifelt öffentlich die Arbeitslosenzahlen seines Parteifreundes Franke von der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg. Der Kanzler versteigt sich zu der Behauptung, sozialdemokratische Gemeinden betrieben eine Verweigerungsstrategie und leisteten keinen Beitrag zum Abbau der hohen Arbeitslosigkeit. Es ist also wirklich schlimm um die Regierung und um den Bundeskanzler bestellt, wenn man zu solchen - im wahrsten Sinne des Wortes - unqualifizierten Äußerungen Zuflucht nehmen muß. ({7}) Aber, meine Damen und Herren, Bühne frei für das Sommertheater dieser Koalitionsregierung! Bundeskanzler Kohl, offenbar erster Staatsschauspieler, zitiert möglicherweise gerne den Weimarer Dramatiker Friedrich Schiller, der einmal gesagt hat: Es liebt die Welt, das Strahlende zu schwärzen und das Erhab'ne in den Staub zu zieh'n, doch fürchte nicht! Es gibt noch schöne Herzen, die für das Hohe, Herrliche erglüh'n. Doch die vielgepriesene moralische Wende dieser Regierung ist leider folgendermaßen gekennzeichnet: die Wörner-Kießling-Affäre ist nicht in Vergessenheit geraten. ({8}) Den Amnestieversuch für Parteispenden-Sünder müssen wir hier erwähnen. Vermögenssteuersenkungen sind ausschließlich für Großunternehmen beschlossen worden. Einkommenskürzungen für breite Schichten - insbesondere für die Rentner - sind vorgenommen worden. Last but not least hört man von Pressesprecher Boenisch, er sei wegen Steuerhinterziehung in Höhe von einer halben Million DM zurückgetreten. ({9}) Meine Damen und Herren, die Lage in der Wirtschaft ist alles andere als rosig. Die Situation hat sich unter Ihrer Ägide überhaupt nicht verbessert; sie hat sich eher verschlechtert. ({10}) Die Regierungskoalition selbst hat durch öffentliches Gerede, durch widersprüchliche Aussagen, durch Ankündigungen verschiedenster Art zu einem erheblichen Vertrauensverlust in der deutschen Wirtschaft beigetragen. ({11}) Die gegenwärtige konjunkturelle Lage ist - wie selbst der konservative Sparkassenpräsident Geiger jüngst festgestellt hat - „so tief gespalten wie nie in der Geschichte der Bundesrepublik". Der Export, die bisher einzige Stütze dieser konjunkturellen Entwicklung beginnt offenbar auch schon zu lahmen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat in seinem jüngsten Bericht festgestellt: Die reale Warenausfuhr hat im ersten Quartal dieses Jahres auf dem gegen Jahresende 1984 erreichten hohen Niveau stagniert. Falls Sie es noch nicht gesehen haben sollten, lesen Sie es doch einmal nach. Von der privaten Investition ist kaum noch ein Ausgleich für die reale Senkung des privaten Konsums zu erwarten. Selbst das Bruttosozialprodukt ist im ersten Quartal 1985 gegenüber dem vierten Quartel des vorigen Jahres real abgesunken. Das sind Tatsachen, über die man überhaupt nicht diskutieren kann. Die Bauwirtschaft befindet sich in der schwersten Krise der Nachkriegszeit. Fast die Hälfte der Bauarbeiter ist mittlerweile arbeitslos oder arbeitet kurz. Daran hat die Bundesregierung durch Kürzungen öffentlicher Investitionen ein gerüttelt Maß an Schuld. ({12}) Faßt man also die Lage im Sommer 1985 zusammen und vergleicht sie mit den Versprechen dieser Regierung - und das sollte doch wohl Maßstab für die Bewertung dieser Regierung sein -, dann muß man feststellen, daß wir heute die seit der Währungsreform höchste Arbeitslosenzahl haben, und zwar 2,2 Millionen Menschen. ({13}) Wir haben die höchste Zahl von Sozialhilfeempfängern in diesem Lande, 2,4 Millionen Menschen. ({14}) Wir haben die höchste Zahl von Konkursen und Vergleichen, vor allem von kleinen und mittleren Unternehmen, 16 700 im vergangenen Jahr. Wir haben mit 17,2 % gegenüber 16,1 % im Jahre 1982 die höchste Lohnsteuerquote. Und wir haben schließlich den höchsten Rentenversicherungsbeitrag in Höhe von 19,2 % ab Juni 1985, statt 18,0 % im Jahre 1982. - Meine Damen und Herren, darauf können Sie wirklich nicht stolz sein. Das müssen die Bürger begreifen. Dann werden sie Ihnen auch bei den nächsten Wahlen wiederum die Quittung erteilen, die Sie wirklich verdient haben. ({15}) Es geht nach unserer Überzeugung nicht um kleine Kurskorrekturen, um zaghafte Belebungsversuche, sondern es geht um eine grundlegende Umkehr in der Wirtschafts- und Finanzpolitik zur Bekämpfung dieser Massenarbeitslosigkeit und zur Überwindung der Wachstumsschwäche. ({16}) Unsere wichtigsten Forderungen sind in dem Antrag, den wir hier und heute diskutieren, festgelegt. Ich halte fest: Notwendig ist danach eine kräftige, und zwar langfristige Belebung der öffentlichen Nachfrage. Mit unserem Programm „Arbeit und Umwelt" wird aber nicht nur die Nachfrage belebt, sondern es werden außerdem die Umweltbedingungen verbessert. Auch die Angebotsbedingungen in der deutschen Wirtschaft werden spürbar verteuert. Notwendig sind zusätzliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und vor allem zur Schaffung von Arbeitsplätzen für Arbeitskräfte, die jetzt verstärkt unmittelbar nach der Ausbildung keinen Arbeitsplatz mehr finden. Wir haben zur Zeit, meine Damen und Herren, ein besonderes demographisches Problem. Das besteht darin, daß mehr junge Menschen in den Arbeitsprozeß drängen als ältere aus dem Arbeitsprozeß herausgehen. Aber dies ist eine vorübergehende Erscheinung. In fünf bis zehn Jahren ist möglicherweise dieses Problem gelöst. Und da ist es doch absolut irrational, wenn man nicht bereit ist, vielleicht nur für eine vorübergehende Zeit, auch einmal zusätzliche Arbeitsplätze durch staatliche Maßnahmen zu schaffen. ({17}) Notwendig ist aber nicht nur die Stärkung der privaten Investitionstätigkeit durch eine baldige Reform der Unternehmensbesteuerung. Der jetzige Zustand, daß risikoarme Finanzanlagen niedriger besteuert werden als risikoreiche Investitionen in den Unternehmen, verhindert die dringend notwendige Aktivität im Bereich der Sachinvestitionen. ({18}) Um die kommunalen Investitionen zu beleben, muß nach unserer Auffassung der Bund mit gutem Beispiel vorangehen. Notwendig erscheint hier vor allem eine Erhöhung des Anteils der Gemeinden an der Einkommensteuer von mindestens 1 %. Schließlich fordern wir die Bundesregierung auf, auf der Sitzung des Europäischen Rates am 28. Juni in Mailand eine Initiative für gemeinsame beschäftigungspolitische Maßnahmen in der Europäischen Gemeinschaft zu ergreifen. Ich füge ferner hinzu: Notwendig ist eine Fülle von Maßnahmen, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Hierzu gehört ebenfalls wirksames Handeln bei der Bundesbank, die endlich ihre restriktive Geldmengenpolitik ein wenig lockern muß. Das kann sie durchaus, ohne die Preisentwicklung zu gefährden. ({19}) Die Hilfen im Bereich der regionalen Strukturpolitik müssen wesentlich stärker als bisher dorthin fließen, wo die Arbeitslosigkeit besonders hoch ist. Wir brauchen auf europäischer oder auch auf nationaler Ebene dringend eine Innovationsoffensive, um zukunftsträchtige Entwicklungen in den Unternehmen anzustoßen. ({20}) Wir Sozialdemokraten sprechen uns im übrigen auch für genossenschaftliche Entwicklungen und alternative Betriebe aus. Sie lösen das Arbeitsmarktproblem nicht; das wissen wir genau. Aber sie können sehr wohl in einer dezentralen marktwirtschaftlichen Ordnung einen Beitrag zur Lösung dieses Problems leisten. ({21}) Selbstverständlich muß alles solide finanziert sein, Herr Graf Lambsdorff. ({22}) Daß die Bundesanstalt für Arbeit in letzter Zeit erhebliche Überschüsse angesammelt hat, ist bei der hohen Arbeitslosigkeit völlig unverständlich. ({23}) Es gibt im übrigen etliche Steuervergünstigungen, die - auch mit unserer Unterstützung - sofort gestrichen werden könnten. Allerdings sind es Steuervergünstigungen, von denen vor allem die Reicheren, die Besserverdienenden in diesem Land profitieren. ({24}) Ein Großteil des Bundesbankgewinns hätte auch nicht zur Schuldentilgung verwendet werden dürfen, wie Sie es gemacht haben, ({25}) sondern hätte durchaus zur Belebung der Wirtschaftstätigkeit und zur Ankurbelung der Konjunktur benutzt werden können. ({26}) Darf ich in diesem Zusammenhang einen Satz zum ökologischen Nachtragshaushalt sagen, den die GRÜNEN uns auf den Tisch gelegt haben. Wir haben ihn angesehen. Wir können beim besten Willen diesem Papier nicht zustimmen. Mit einem Nachtragshaushalt hat das alles wenig zu tun. Das ist alles wenig konkret und sehr verschwommen und verwaschen. ({27}) Wir haben unser Programm „Arbeit und Umwelt". Sie hätten diesem Programm durchaus zustimmen können. Das ist viel exakter und viel deutlicher. Das ist ein sinnvoller Beitrag zur Lösung unseres Problems. ({28}) Es ist völlig absurd, wenn die CDU immer wieder behauptet, wir Sozialdemokraten forderten kurzfristige Konjunkturprogramme. Das ist wirklich nicht in Ordnung. Das sollte der Herr Geißler unterlassen, weil es schlichtweg nicht stimmt. Wir fordern allerdings eine aktive Politik zur Verbesserung der Beschäftigung. Diese Politik - das habe ich deutlich zu machen versucht ({29}) muß alle Möglichkeiten nutzen, die in einer marktwirtschaftlichen Ordnung dem Staat zur Verfügung stehen. Der Staat hat eine zwingende Verantwortung zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Das steht im übrigen auch in § 1 des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes. ({30}) Da sollten Sie vielleicht mitunter einmal hineingukken. Heute erleben wir meines Erachtens ein sehr unehrliches Spiel in der Öffentlichkeit. Die gesellschaftlichen Gruppen schieben sich gegenseitig die Schuld an der Arbeitslosigkeit zu. Die Unternehmer meinen, die Staatsquote müsse weiter sinken, die Steuern seien noch viel zu hoch; die Löhne müßten nach unten gehen. Diese Regierung meint, vor allem die Gewerkschaften müßten ihren Beitrag leisten, und weist vor allem auf die hohen Löhne hin. Wenn wir dieses trickreiche, verantwortungslose Verwirrspiel endlich beseitigen wollen, müssen wir uns, meine ich, alle an einen Tisch setzen. ({31}) Der sozialdemokratische Fraktionsvorsitzende ({32}) hat vor kurzem die kooperative Zusammenarbeit dieser Opposition angeboten. Alle wirtschaftspolitisch relevanten Gruppen gehören in unsere Gesellschaft an den runden Tisch der Vernunft. Diese Regierung macht einen schweren Fehler, wenn sie die dargebotene Hand der Opposition nicht ergreift. Wenn es uns nicht gelingt, die Arbeitslosigkeit bald erheblich und spürbar für alle Menschen zu senken, werden, glaube ich, die Probleme in unserer Gesellschaft erheblich wachsen. Die Radikalität hat bereits deutlich zugenommen. Hat das, was im Fußballstadion von Brüssel passiert ist, nicht auch etwas mit der extrem hohen Arbeitslosigkeit besonders bei jungen Menschen zu tun? ({33}) Warum wagen sich alte Damen in Großstädten nachts nicht mehr durch die Parks? Weil sie Angst haben, daß sie überfallen werden. Versuchen Sie doch einmal, die Ursachen dieser Entwicklung zu analysieren. ({34}) Meine Damen und Herren, wenn es nicht bald gelingt, mehr Arbeitsplätze für alle Menschen, insbesondere aber für die jungen Menschen, zu schaffen, dann wird diese Wirtschaftsordnung, dann wird auch diese Demokratie schweren Schaden nehmen. Schönen Dank. ({35})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dregger.

Dr. Alfred Dregger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000418, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer die Lage auf dem Arbeitsmarkt, Erfolge und Mißerfolge beurteilen will, muß die Tatsachen kennen. ({0}) Beginnen wir mit den Fakten! Im Oktober 1969, als Willy Brandt die Regierung übernahm, wurden in Deutschland - saisonbereinigt - 146 700 Arbeitslose gezählt. Als Helmut Schmidt 1982 das Handtuch warf, waren es - saisonbereinigt - mehr als 2 Millionen. ({1}) Unter der Führung der SPD hatte sich die Arbeitslosigkeit in Deutschland vervierzehnfacht. ({2}) Meine Damen und Herren, wer ein solches Erbe hinterläßt wie Sie, Herr Jens und die Damen und Herren der SPD, sollte hier bescheidener auftreten ({3}) und auch ernsthafter zur Sache reden. Meine Damen und Herren, besonders rasant war der Anstieg der Arbeitslosigkeit in den beiden letzten Jahren vor dem Regierungswechsel. Da lagen wir hinsichtlich des Anstiegs der Arbeitslosigkeit an der Spitze in Europa. ({4}) Zwischen 1980 und 1982 stieg die Arbeitslosigkeit - ich zitiere jetzt nach der offiziellen Statistik Eurostat aus Luxemburg vom 19. Februar 1985 - in Italien um 33,9 %. ({5}) - Sie müssen Tatsachen zur Kenntnis nehmen -, ({6}) in Frankreich um 38,4 %, in Belgien um 45,1 %, in Großbritannien um 75,5 %, in den Niederlanden um 101,2 % und in der Bundesrepublik Deutschland um 106,2 %. Das war das Ende Ihrer 13jährigen Regierungspolitik, meine Damen und Herren. ({7}) Mit Ihrem Namen, dem Namen der SPD, wird das Thema Massenarbeitslosigkeit in Deutschland untrennbar verbunden bleiben; denn unter Ihrer Verantwortung ist sie entstanden. Sie haben sich als hinlänglich ungeeignet erwiesen, ({8}) sie zu bekämpfen, sie zu bremsen, sie zu stoppen oder gar zurückzuführen. ({9}) Herr Präsident, meine Damen und Herren, wäre es im SPD-Tempo weitergegangen, dann hätten wir die Grenze von 3 Millionen Arbeitslosen heute längst überschritten. ({10}) Von einflußreichen Prognostikern wie dem SPDSpitzenberater Professor Krupp und der Prognos AG, Zürich, waren entsprechende Schätzungen vorgelegt worden. ({11}) Ich bezeichne es daher als großen Durchbruch und großen Erfolg der Regierung Kohl, ({12}) den Anstieg der Arbeitslosigkeit schon im Juni 1983, also nach neun Monaten Regierungszeit, gestoppt und seitdem auf einem Niveau zwischen 2,2 und 2,3 Millionen eingedämmt zu haben; das ist ein großer Erfolg. ({13}) Meine Damen und Herren, wir können uns in Europa mit diesen Zahlen sehen lassen. Unsere Arbeitslosenquote betrug 1984 8,4 %, in Dänemark und Frankreich waren es 10 bzw. 10,2 %, in Großbritannien und Italien waren es 11,9 und 12,9 %, in den Niederlanden, Belgien und Irland waren es - alles 1984 - 14,4 bzw. 16,5%. ({14}) Wir sind mit den erreichten Ergebnissen nicht zufrieden; denn die Arbeitslosigkeit ({15}) verharrt auf einem hohen Stand, wenn bei uns auch auf einem niedrigeren als in den anderen europäischen Ländern, aber sie steigt wenigstens nicht mehr. ({16}) - Sie können das doch nicht durch Geschrei aus der Welt bringen. Hören Sie doch mal zu, wenn Ihnen hier Tatsachen vorgetragen werden! Die Arbeitslosigkeit schwankt seit Juni 1983, saisonbereinigt, um 2,2 bis 2,3 Millionen; sie ist eingedämmt. ({17}) Sie eingedämmt zu haben ist schon viel, und um das zu erreichen, ist vieles nötig, sind vor allem viele neue Arbeitsplätze nötig, einmal als Ausgleich für die Freisetzungen in den schrumpfenden Branchen - denken Sie an Stahl, an Bergbau, an Werften, leider auch zunehmend an die Bauwirtschaft - und um die Differenz auszugleichen zwischen den jetzt in das Arbeitsleben eintretenden jungen geburtsstarken Jahrgängen und den vom Krieg dezimierten Jahrgängen, die jetzt aus dem Berufsleben ausscheiden. Der Unterschied in der Stärke der Generationen hat die Zahl der Erwerbspersonen bei uns von 1977 bis 1984 um nahezu 900 000 ansteigen lassen. ({18}) Damit müssen wir fertigwerden, die müssen wir alle unterbringen, um zu erreichen, daß die Arbeitslosigkeit nicht weiter steigt. ({19}) Dazu, meine Damen und Herren, haben wir ein Bündel von Maßnahmen beschlossen. Ich nenne als erstes die Vorruhestandsregelung, die dem Generationenknick, den ich gerade geschildert habe, in geradezu idealer Weise Rechnung trägt. Ich nenne die Ausländerrückführung, durch die es im Jahre 1984 zum ersten mal möglich war, die Zahl der ausländischen Erwerbspersonen in Deutschland spürbar zu vermindern. Hinzu kommen das Eigenkapitalhilfe- und das Existenzgründungsprogramm sowie die Ansparförderung für Existenzgründer. Entscheidend war aber eine konsequente Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik nach den Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft. ({20}) Dabei lassen wir es nicht bewenden. Das Beschäftigungsförderungsgesetz, das die Einstellung von Arbeitslosen erleichtert, und die Tarifentlastung bei der Lohn- und Einkommensteuer ohne Kompensation von nahezu 20 Milliarden DM - meine Damen und Herren, die größte Steuerentlastung seit dem Kriege ({21}) werden neue Impulse für den Konsum, für Investitionen und für die Beschäftigung geben. Einige Falschredner behaupten, uns liege der Abbau der Staatsverschuldung mehr am Herzen als der Abbau der Arbeitslosigkeit. ({22}) Das Gegenteil ist richtig: Die Arbeitslosenrakete ist gestoppt, die Schuldenrakete ist lediglich gebremst. ({23}) - Ich nenne die Zahlen jetzt gerade, Herr Matthöfer, und ich sage dann auch, woran das liegt. - Der Schuldenberg wird in dieser Legislaturperiode nochmals um über 100 Milliarden DM wachsen. Aber das ist ziemlich genau die Summe, die wir benötigen, um die Zinsen für die Schulden bezahlen zu können, die Sie, Herr Matthöfer, in der Ära Brandt und Schmidt aufgenommen haben. ({24}) In diesem Jahr müssen wir aus dem Bundeshaushalt 30 Milliarden DM Zinsen an die Banken zahlen. Nahezu keine Mark des wachsenden Schuldenbergs bleibt für Investitionen in die Zukunft übrig. Alles verpulvert! Das ist das Ergebnis Ihrer Beschäftigungsprogramme, die die Arbeitslosigkeit nicht eingedämmt haben. ({25}) Herr Präsident, meine Damen und Herren, im Haushalt 1986 verstärken wir die Investitionsanreize, insbesondere durch verkürzte Abschreibungszeiten für Wirtschaftsgebäude und durch die Stadt- und Dorferneuerung. Wichtig ist, daß wir bei alledem bei unserem Konsolidierungskurs bleiben, daß wir ihn fortsetzen. Wir halten an unserem Ziel fest, die Gesamtausgaben des Bundeshaushalts auch im nächsten Jahr um weniger als 3% steigen zu lassen. Wir senken den Staatsanteil zugunsten der Bürger, damit sich Anstrengung in Deutschland wieder lohnt. ({26}) Unsere Finanz- und Haushaltspolitik und unsere Wirtschaftspolitik haben nicht nur den Anstieg der Arbeitslosigkeit gestoppt, sie haben auch die D-Mark neben dem Yen zur stabilsten Währung der Welt gemacht. Unser Geld ist wieder etwas wert. ({27}) Unsere Politik hat in Deutschland außerdem ein Zinsniveau bewirkt, das etwa 4 % unter dem amerikanischen liegt. ({28}) ({29}) Beides - Geldwertstabilität und relativ niedrige Zinsen - ist investitionsfördernd, ist arbeitsplatzfördernd. Beides ist auch sozial, insbesondere die Geldwertstabilität. Deshalb halten wir an unserer Linie fest. Wir wären töricht, wenn wir von diesem Erfolgskurs abwichen und Ihre Fehler nachvollzögen, die Sie, meine Damen und Herren der SPD, damals gemacht haben. ({30}) Frau Präsident, meine Damen und Herren, wir setzen auf die Kräfte des Marktes. Wir setzen auf Leistung. Wir setzen auf das Verantwortungsbewußtsein der Tarifpartner, der Arbeitgeberverbände und der Gewerkschaften, denen wir Anerkennung zollen. Ich komme gerade aus einem Gespräch mit der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft, mit der wir regelmäßige Gespräche führen, genauso wie mit dem DGB und den anderen. Was Herr Brandt dort vorgetragen hat, war interessant und befand sich in keinem grundsätzlichen Widerspruch zu der Politik, die wir vertreten und die wir gemacht haben. Wir setzen auf eine enge Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, damit neue Erkenntnisse schnell in neue Produkte und neue Dienstleistungen umgesetzt werden. ({31}) Wir setzen auf die Bereitschaft der Arbeitnehmer zur Aus- und Fortbildung sowie zur Umschulung. Selbst bei der jetzigen Arbeitslosenquote ist es in einigen Regionen nicht einfach, Arbeitskräfte zu finden, die die gesuchten Eigenschaften haben. Deswegen sind Aus-, Fort- und Weiterbildung eine Lebensaufgabe für alle, auch für unsere Arbeitnehmer. ({32}) Wir setzen auf die Solidarität aller Gutwilligen mit den Arbeitslosen, d. h. auf die Eindämmung der Schwarzarbeit, auf die Verminderung der Überstunden zugunsten von Neueinstellungen. ({33}) Das Beschäftigungsförderungsgesetz hat dafür Bedingungen geschaffen, die keine unzumutbaren Risiken für die Betriebe enthalten, wenn sie statt Überstunden Neueinstellungen vornehmen. Ich appelliere an die Geschäftsleitungen und die Betriebsräte, diese Solidarität mit den Arbeitslosen zu verwirklichen. ({34}) Frau Präsident, meine Damen und Herren, wir haben die Rahmenbedingungen verbessert und sind dabei, sie weiter zu verbessern. Wir haben Geldwertstabilität geschaffen. Wir haben ein niedriges Zinsniveau. Wir sind dabei, die Steuerlast zu vermindern. Wir haben konsolidierte Gemeindehaushalte, was deshalb wichtig ist, weil zwei Drittel der öffentlichen Investitionen von den Gemeinden erbracht werden. ({35}) Wir sind überzeugt, daß wir nach den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft nicht nur die Arbeitslosigkeit stoppen können - das haben wir bereits erreicht -, sondern sie auch, wenn auch nur schrittweise, zurückführen können. ({36}) Im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, der größten Fraktion dieses Hauses, fordere ich alle - Unternehmer, Arbeitnehmer, Gewerkschafter, Publizisten, Wissenschaftler, Erfinder, ({37}) Manager ({38}) und Politiker - auf, dazu beizutragen, daß wir das zurückgewinnen, was wir schon einmal hatten und was in den 70er Jahren unter der Verantwortung der SPD verlorengegangen ist, nämlich Vollbeschäftigung in Deutschland! ({39})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Dr. Müller ({0}).

Dr. Joachim Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001553, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren, insbesondere meine Damen und Herren von der Mitopposition, der SPD - es liegen ja Ihr Antrag und der unsrige vor -! Doch vorher ein Satz zu Ihnen, Herr Dregger. Tun Sie uns einen Gefallen: Langweilen Sie uns nicht mehr mit der Erblastlüge, ({0}) und zwar deswegen: Was für eine miserable Opposition müssen Sie in diesen 13 Jahren gemacht haben, wenn die Arbeitslosigkeit in dieser Zeit derart steigen konnte? ({1}) Nun wende ich mich im wesentlichen an Sie, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, weil wir ja gemeinsam feststellen müssen, daß diese Regierung weder eine Beschäftigungspolitik noch eine Umweltpolitik - weder das eine noch das andere - betrieben hat. Das Ausmaß der Umweltzerstörung und die steigenden Arbeitslosenzahlen machen deutlich: Auf beiden Feldern hat diese Koalitionsregierung versagt. Diese Koalitionsregierung ist noch nicht einmal - wie Sie von der SPD jetzt - auf die Idee gekommen, mit Investitionen für notwendige Umweltschutzmaßnahmen Beschäftigungspolitik zu machen. Allerdings reden Sie, meine Damen und Herren von der SPD, über eine beschäftigungswirksame Umweltpolitik auch erst, seit Sie in der Opposition sind. ({2}) Aber darüber will ich gar nicht richten, denn nichts ist für die Erhaltung unserer natürlichen Lebensgrundlagen und für die Erhaltung von Arbeitsplätzen wichtiger als beschleunigte Lernprozesse. Wir GRÜNEN können unsere Umweltpolitik nur dann durchsetzen, wenn diese Lernprozesse in der Bevölkerung und auch in anderen Parteien stattfinden. Bezüglich der Bevölkerung habe ich da gar keine Sorgen. Ich bin mir sicher, daß eine große Mehrheit den Wunsch hat, daß für den Umweltschutz und sogar für einen ökologischen Umbau des Industriesystems mehr Steuergelder verwendet werden können. ({3}) Ich bin mir sogar sicher, daß eine große Mehrheit in der Bevölkerung für den Umweltschutz, d. h. auch für die Lebensgrundlagen unserer Kinder, mehr Steuern zu zahlen bereit wäre; aber das wäre noch nicht einmal notwendig, wenn man das Verursacherprinzip auch finanziell konsequent anwenden würde. Arbeitsplätzeschaffende Investitionen im Umweltbereich zu fordern ist zur Zeit sicher das Populärste, was man tun kann. Die Sozialdemokratie hat das gemerkt. Spätestens in einem halben Jahr wird auch Bundeskanzler Späth - oder wer immer es dann sein wird - davon reden, aber nur reden. Auch Ihr Antrag, meine Damen und Herren von der SPD, auf Einrichtung eines Sondervermögens ist leider nur Gerede und sehr unpräzise und unseDr. Müller ({4}) riös finanziert. Es ist nämlich unseriös, wenn man Einnahmen und Verwendungszweck nicht benennt. Sie sprechen nebulös von 1% des Bruttosozialprodukts, das als Kredit pro Jahr mobilisiert werden soll. Das sind ca. 18 Milliarden DM - als Kredit natürlich! Was Sie von seiten der SPD betreiben, ist nichts anderes als eine Umweltschutzpolitik auf Kredit. So wird es nicht gehen. Wir sind froh, daß Sie in Ihrem Antrag von verlorenen Zuschüssen sprechen. Aber für welche konkreten Maßnahmen? Für welche Schwerpunkte? Und wohin soll das Geld fließen? Da ist nichts zu sehen. Mit einer Ausnahme: Sie nennen einen sehr wichtigen Bereich, nämlich die Beseitigung der Altlasten. Das ist, wie gesagt, wirklich wichtig, und ich kann mir gut vorstellen, daß Sie von seiten der SPD den Umweltschmutz loswerden wollen, der in Ihrer Regierungszeit und in den von Ihnen regierten Bundesländern angefallen ist. Das ist nur Politik der Verdrängung. ({5}) Denn eines muß klar sein: Was nützt eine Altlastsanierung, wenn Sie keine Vorbereitungen dagegen treffen, daß permanent neue Umweltgifte produziert werden? ({6}) Es ist doch grober Unfug, Geld für Altlastsanierung herauszuschmeißen, wenn nicht gleichzeitig die Quellen des Giftes beseitigt werden. Das ist doch unökonomisch. Das ist eine unökonomische Politik, eine Politik der Verschwendung von Steuergeldern. Meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, es ist nun mal so: Ökologische Politik muß radikal sein. Ich weiß, trotz oder gerade wegen Ihrer Geschichte: Das ist nicht bequem. Doch für diese Radikalität braucht es seriös finanzierte Pläne. Da müssen die begrenzten Mittel und Steuergelder sehr präzis eingesetzt werden, und da müssen Verursacher genannt werden. Wenn dies geschieht, wird ein gesellschaftlicher Konsens für Umweltinvestitionen vorhanden sein, und damit werden auch Arbeitsplätze zu schaffen sein. Was Sie in Ihrem Antrag vorgelegt haben, ist nur das Prinzip Gießkanne, ist bestenfalls eine Beschäftigungspolitik, die in die 50er Jahre paßt. ({7}) Ohne Not, meine Damen und Herren von der SPD, wird das Verursacherprinzip fallengelassen, wird den privaten Haushalten und besonders den kleinen Leuten die Last auferlegt, die die Großen verursacht haben. Außerdem fehlt hier offenbar völlig die Einsicht, daß wir nicht in einer Krise der Umwelt, sondern in einer Krise der industriellen Produktion leben. Für uns GRÜNE folgt hieraus nicht der Ausstieg, sondern eben der Umbau dieser Industriegesellschaft. Nicht mehr Filter, Kläranlagen und Kalkdüngung in den Wäldern oder dergleichen sind nötig, sondern selbstverständlich das Anpacken an der Wurzel, um derartige Investitionen wirklich lohnend zu machen. Ihr Antrag, meine Damen und Herren von der SPD, läßt den anspruchsvollen Gedanken einer Verbindung von Arbeitsbeschaffung auf der einen Seite und Umweltpolitik auf der anderen Seite weitgehend fallen. Hier geht es nur noch um die Überwindung der Wachstumsschwäche - eine Formulierung, die mich sehr stark an die Gesundbeterei von Herrn Kohl erinnert. ({8}) Sie trauern genauso wie er einem selbsttragenden Aufschwung nach, und ich habe einfach die Befürchtung, daß Sie Umweltpolitik einzig und allein um der Beschäftigung willen betreiben. Das aber reicht zur Rettung der Umwelt nicht aus. ({9}) Wenn dabei wenigstens eine erfolgreiche Beschäftigungspolitik herausspringen würde! Aber mit einem neokonservativen Ansatz - wie Sie ihn vorschlagen - der Steuerentlastung für Unternehmer, um diese dann zur Überwindung der Wachstumsschwäche beitragen zu lassen, werden Sie doch nicht einmal Ihre eigenen Parteimitglieder begeistern können. Wir haben - ich sage das ganz deutlich - nicht den Anspruch, allein mit der Bekämpfung der Umweltvergiftung auch die Massenarbeitslosigkeit überwinden zu können. Es wäre unehrlich, das zu behaupten. Wir müssen klar und deutlich sagen: Zur Überwindung der Massenarbeitslosigkeit - und dazu habe ich von Ihnen kein Wort gehört - gehören Arbeitszeitverkürzung und eine weit ausgebreitete Sozialpolitik, von der Sie in Ihrem Antrag auch nicht sprechen. Allerdings kann der notwendige ökologische Umbau dieses Industriesystems per saldo in erheblichem Umfang Arbeitsplätze schaffen. Meine Damen und Herren, in diesem Sinne haben wir einen ökologischen Nachtragshaushalt vorgestellt, der sehr wohl viel mit seriöser Finanzierung und sehr viel mit Haushaltspolitik zu tun hat und - was für uns entscheidend ist - dem das Verursacherprinzip zugrunde gelegt ist. Dies folgt aus dem einfachen Prinzip: Wer verschmutzt, soll verdammt noch mal auch zur Kasse gebeten werden. Diese Gelder sollen dann für die Umweltsanierung zur Verfügung gestellt werden. Eine seriös finanzierte Umweltpolitik sieht dann wie folgt aus. Erstens. Über eine Novellierung des Abwasserabgabengesetzes - das liegt bei Ihnen j a noch in der Schublade - bekommen wir 500 Millionen DM noch in diesem Jahr, danach jährlich 3 Milliarden DM. Wie Sie hoffentlich wissen - auch Sie von der CDU/CSU -, fehlen nach wissenschaftlichen Berechnungen zur Zeit noch 50 000 km abgedichtete Abwassersammler. Mit dieser Erhöhung der Abwasserabgabe kann man den notwendigen Ausbau von Abwasserkanälen und Kläranlagen finanzieren. Dies wäre eine notwendige Maßnahme, um die Gifteinleitung beispielsweise in die Nordsee über deutsche Flüsse zu verhindern. Dr. Müller ({10}) Zweitens. Über eine Abgabe auf Grundchemikalien würden wir noch in diesem Jahr 500 Millionen DM, ab 1986 jährlich eine Milliarde DM einnehmen können. Mit diesem Geld könnten die erheblichen Probleme im Bereich der Altlastsanierung angegangen werden. Drittens. Über eine Schadstoffabgabe auf Kohlekraftwerksemissionen kann die längst überfällige Entschwefelung und Entstickung unserer Kraftwerke finanziert werden. Ein Volumen von insgesamt 12 Milliarden DM in drei bis vier Jahren könnte hier ausreichend sein. Viertens. Eine Erhöhung des sogenannten Kohlepfennigs könnte eine weitere Million pro Jahr bringen, mit der neue Impulse für moderne Energiesysteme gegeben werden könnten. Dies ist sicher eine sinnvollere Mittelverwendung als der Ausbau der veralteten Atomenergie. Würde auf den kaum finanzierbaren Ausbau der Atomenergie verzichtet werden, dann würde auch keine Erhöhung des Strompreises für die privaten Haushalte notwendig werden. Fünftens. Eine Anhebung der Mineralölsteuer um nur 5 Pfennig würde 2,25 Milliarden DM bringen. Dies könnte die Investitionskraft der Bundesbahn stärken und die Bundesbahn attraktiver machen. Dies würde dort sehr viele Arbeitsplätze erhalten und in der Produktion eine ganze Menge von ökologisch sinnvollen Arbeitsplätzen schaffen. Meine Damen und Herren, seit Jahren fordern wir GRÜNEN, daß mit Hilfe von Umweltinvestitionen Arbeitsplätze geschaffen werden. Seit Jahren machen wir deutlich, daß das Bisherige nicht ausreicht, sondern daß für eine ökologische Politik sehr viel umgestaltet werden muß, was heute zur Giftproduktion führt. Heute sind wir so weit, daß wir konkret finanzierbare Schritte ohne eine Anhebung der Staatsverschuldung - ich betone das - zur Rettung der Umwelt vorschlagen können. Es ist sehr wichtig, daß diese Schritte finanzierbar sind und jetzt auch getan werden. Ökologie ist zu wichtig, als daß man sie im Parteiengezänk, wie es hier passiert, zerreden sollte. Der Kampf für die Rettung unserer Umwelt ist nämlich ein Kampf gegen die Zeit und erfordert konkrete Maßnahmen jetzt. Deswegen fordern wir den Nachtragshaushalt und die Finanzierung jetzt, nicht aber nur Gerede über Sondervermögen. ({11}) Was heute zerstört wird - deswegen haben wir es mit solchen Anträgen auch eilig -, ist im Umweltbereich unwiederbringbar zerstört. Wenn Arbeitsplätze geschaffen werden können, die mit bewirken, daß diese Umweltzerstörung aufhört, besteht die Möglichkeit, wirklich etwas zu erreichen. Ich komme zum Schluß. Wir wären froh, wenn der Lernprozeß in Sachen Umweltschutz sich bei Ihnen beschleunigte und Sie, statt Propaganda zu betreiben, endlich seriös finanzierbare Konzepte vorlegten. Sollten Sie und auch Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, für Ihren Lernprozeß noch sehr viel Zeit brauchen - das ist ja zu befürchten -, dann stimmen Sie doch bitte einstweilen unserem Nachtragshaushalt zu. Das wäre wenigstens endlich ein konkreter Anfang. Danke schön. ({12})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Bundeswirtschaftsminister.

Dr. Martin Bangemann (Minister:in)

Politiker ID: 11000089

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema „Wachstum und Bekämpfung der Arbeitslosigkeit" ist, glaube ich, wichtig genug, um zu versuchen, sich darüber wenigstens im Ansatz zu verständigen, bevor man parteipolitische Positionen bezieht. Ich will einmal einen solchen Versuch machen. Zunächst einmal ist ohne jeden Zweifel der enge Zusammenhang zwischen Wachstum und Beschäftigung nicht mehr der gleiche wie noch in den 70er Jahren. Dennoch: Es bleibt richtig, daß Wirtschaftswachstum eine Voraussetzung für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist. Wer völlig auf Wirtschaftswachstum verzichten will, verzichtet damit nicht nur auf eine zukünftige Entwicklung, sondern er verzichtet heute schon auf Arbeitsplätze, die entweder nicht mehr sicher sind oder vielleicht noch geschaffen werden können. ({0}) Deswegen ist es wichtig, daß man sich zunächst einmal darüber verständigt, daß Wirtschaftswachstum weiter notwendig sein wird. Es ist auch nicht richtig, daß das Wirtschaftswachstum unbefriedigend sei. Immerhin leben wir jetzt im dritten Jahr eines wirtschaftlichen Aufschwungs, der keine überbordenden Zahlen von Wirtschaftswachstum aufweist. Wir haben nie, auch nicht in einem Monat, wie die Amerikaner 7 % erreicht. Allerdings haben wir ein beständiges Wirtschaftswachstum, das sich in den vergangenen drei Jahren zwischen 2 % und 3 % entfaltet hat. Wir haben ein Wirtschaftswachstum, das von einer ungewöhnlichen Preisstabilität begleitet ist. ({1}) - Der erste Weg des Versuchs einer Verständigung ist zumindest, daß man zuhört. ({2}) Wenn Ihr Sprecher so große Aufrufe erläßt, daß wir dem Nachtragshaushalt zustimmen sollen, dann müssen Sie uns wenigstens die Chance geben, einmal zu sagen, was wir für richtig halten. Übrigens gehört es zu den Grundgesetzen der Demokratie, daß man anderen nicht von vornherein unterstellt, sie sagten etwas Falsches, sondern daß man wenigstens zuhört und sich dann ein Urteil bildet. ({3}) Wir haben eine Preisstabilität, die wir letztmalig 1969 hatten. Es kann niemand bestreiten, daß wir heute eine Inflationsrate - wenn man da überhaupt noch von Inflation sprechen kann - von knapp über 2 % haben. Auch die Aussichten für das nächste Jahr - das sagen jetzt nicht wir, sondern das bestätigen uns die Experten der OECD und der Bundesbank - sind nicht schlecht. Nach dem neuesten Monatsbericht der Deutschen Bundesbank und auch nach dem Investitionstest des Ifo-Instituts gibt es durchaus Aussichten, daß wir im nächsten Jahr das wirtschaftliche Wachstum vielleicht sogar beschleunigen können. Wir haben im verarbeitenden Gewerbe immerhin eine Zunahme der Investitionen von 12 %. Das ist lange Zeit nicht mehr beobachtet worden. Das heißt also, meine Damen und Herren: Dieser Aufschwung ist nicht zu bestreiten. Die Frage, die wir uns gemeinsam stellen müssen, ist: Wie ist es zu erklären, daß trotz dieser unbestreitbar guten wirtschaftspolitischen Daten - das beste Datum muß man noch zusätzlich erwähnen; das ist der Außenhandelsüberschuß von 54 Millionen DM, den wir im vergangenen Jahr erreicht haben und den wir in diesem Jahr übertreffen werden - ({4}) - Das ist nicht nur der starke Dollar! ({5}) - Ja, aber auch nur eine ganz geringfügige. Der Anteil unseres Exports in die Vereinigten Staaten beträgt 10 %. Wir haben aber natürlich auch Export nach anderen Ländern, nach Mexiko, Brasilien, Argentinien. Viele Schwellenländer, die überschuldet waren, mußten ihre Importe zurücknehmen, weil sie ihre Zins- und Tilgungsleistungen im starken Dollar erbringen müssen. Das hat uns dort natürlich Chancen gekostet. Per Saldo ist ein starker Dollar mit Vorteilen im direkten Handelsverkehr mit den USA verbunden, aber mit vielen Nachteilen im Verkehr mit anderen Ländern, übrigens auch beim Import. Wir hatten Anfang des Jahres durch den starken Dollar ein Ansteigen der Preise für importierte Güter von 27 %, was unweigerlich auf das interne Preisniveau durchgeschlagen hätte und dann möglicherweise Maßnahmen hätte zur Folge haben können, die für die Konjunktur viel, viel gefährlicher sind als ein Absinken des Dollars auf eine vernünftige Rate. Deswegen sollte man diese Argumentation sehr genau prüfen. Aber nun lassen Sie mich mit der Frage beschäftigen: Wie kommt es, daß dieser unbestreitbare wirtschaftliche Aufschwung die Arbeitslosenzahl nicht so schnell gesenkt hat, wie wir alle dies wünschen. Ich unterstelle hier niemandem, daß er, aus welchen Gründen auch immer, mit einer solchen Zahl von Arbeitslosen einverstanden ist, auch nicht im geheimen; wir alle wünschen diese Zahl herunterzubringen. Warum ist uns dies nicht so schnell möglich gewesen? Zunächst einmal - auch darüber sollte man sich verständigen - haben wir eine Reihe von Gründen, die sich jeder Regierung gestellt hätten. Wir leben in einem Strukturwandel. Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik ist ein Hochlohnland. Ich weiß, daß die Löhne, vor allen Dingen die Stücklöhne, in den vergangenen Monaten nicht mehr so angestiegen sind wie davor. Aber zusammen mit den USA, Kanada, Norwegen und der Schweiz befinden wir uns, wenn man auch die Lohnnebenkosten hinzuzählt, in der Spitzengruppe von fünf Ländern, die ein ungewöhnlich hohes Lohnniveau haben. Darüber hinaus sind wir auch noch exportorientiert. Ein Drittel unseres Bruttosozialprodukts erwirtschaften wir im Export. Das sei auch einmal den GRÜNEN zum Nachdenken empfohlen; denn Sie wollen j a auf Export verzichten. ({6}) - Ihr wirtschaftspolitischer Sprecher hat das von diesem Pult aus erklärt. ({7}) Wenn Sie auf den Export verzichten wollen, verzichten Sie auf ein Drittel dessen, was wir gemeinsam in der Bundesrepublik erwirtschaften. ({8}) Wir müssen also exportfähig - sprich: wettbewerbsfähig - bleiben. Das können wir nur mit Produkten, die wir trotz unseres hohen Lohnniveaus im Wettbewerb absetzen können. Deswegen haben wir eine Strukturkrise in vielen Branchen, die übrigens auch sehr arbeitsintensiv sind oder waren, wie Stahl, Bergbau, Textilindustrie, Schiffbau, jetzt auch zunehmend die Bauwirtschaft. Eine solche Strukturkrise müssen Sie durchstehen. Sie können sie nicht mit weißer Salbe bekämpfen. Wer jetzt in der Krise der Bauindustrie behauptet, man könne Kapazitäten erhalten, die am Markt keine Nachfrage mehr finden, ist auf dem Pfade, wo er bestehende Arbeitsplätze unsicher macht. Er verhindert nicht nur neue Arbeitsplätze, sondern macht auch noch bestehende Arbeitsplätze unsicher. Das ist das eigentliche Problem einer Strukturkrise. ({9})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Müller ({0})?

Dr. Martin Bangemann (Minister:in)

Politiker ID: 11000089

Nachher. Ich möchte das im Zusammenhang ausführen, damit Sie vielleicht aus der Logik einen gewissen Schluß ziehen können. Der zweite Punkt, meine Damen und Herren, ist folgender. Natürlich schaffen wir auch neue Arbeitsplätze. Im ersten Quartal dieses Jahres ist die Zahl der Beschäftigten wieder angestiegen. Es ist also nicht so, daß nur Arbeitsplätze in diesen alten, von Strukturkrisen befallenen Branchen verlorengehen, sondern wir schaffen auch neue Arbeitsplätze. Aber - das ist der zweite Grund, an dem auch niemand vorübergehen kann - diese neuen Ar10840 beitsplätze weisen ein höheres Qualifikationsprofil auf. Auf gut deutsch gesagt: Sie können heute einen Arbeitsplatz finden, wenn Sie qualifiziert sind. Sind Sie nicht qualifiziert, haben Sie keine abgeschlossene Schulbildung, keine abgeschlossene Berufsausbildung, dann haben Sie es viel schwerer, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, weil diese Arbeitsplätze mehr Anforderungen stellen. ({0}) Das ist nun leider so. Wenn die Hälfte der Arbeitslosen keine abgeschlossene Schulbildung hat, wenn zwei Drittel entweder keine abgeschlossene Schulbildung oder keine abgeschlossene Berufsausbildung haben, dann muß man sich doch nicht wundern, wenn es schwierig ist, für Menschen, die diese Qualifikation nicht haben, auf einem hohen technologischen Niveau neue Arbeitsplätze zu schaffen. Das kann doch niemanden erstaunen. ({1}) - Das hat nichts mit den Lehrern zu tun. Das hat etwas damit zu tun, verehrter Kollege, daß Sie den Leuten jahrelang vorgegaukelt haben, man müsse nichts leisten, am menschlichsten lebe man, wenn man nichts wisse. ({2}) Wer hat denn den Spruch unter die Leute gebracht „Wissen ist Macht; wir wissen nichts - macht nichts!"? Das waren Sie doch! ({3}) Deswegen, meine Damen und Herren, brauchen wir mehr Qualifikation. Wir brauchen eine bessere Schul- und Berufsausbildung. Der Kollege Norbert Blüm wird mit den Haushaltsmaßnahmen, die wir zum 1. Juli vorschlagen, darlegen, wie wir die Maßnahmen der Anstalt in Nürnberg und unsere eigenen Maßnahmen stärker auf die Qualifikation von Arbeitslosen ausrichten können. Wenn wir das nicht schaffen, können wir diesen Menschen auch keine Zukunftshoffnung machen; jedenfalls dann nicht, wenn wir das seriös und vernünftig machen wollen. Der dritte Punkt ist - auch daran geht kein Weg vorbei -: Unser Arbeitsmarkt ist zu inflexibel geworden. ({4}) Das heißt nicht, daß man Löhne senken will, sondern das heißt, daß man die Leistung, die jemand erbringt, als Motivation für ihn erhalten muß. Eine ständige Angleichung von Lohngruppen tötet die Leistungsmotivation und hat denjenigen nicht geholfen, sondern ihnen sogar geschadet, deren Arbeit man durch Automatisation leicht beseitigen konnte. ({5}) Je höher die unteren Lohngruppen angeglichen worden sind, um so höher ist die Arbeitslosigkeit in diesen Bereichen geworden. Das ist auch eine bittere Wahrheit. Daran soll man nicht vorbeigehen. Das vierte ist: Wir leben nun einmal in der Zeit, wo der Baby-Boom die Kinder in das Berufsleben entläßt. Wir haben eine hohe Zahl von Berufsanfängern, die wir auch verkraften müssen. Ich hätte das Herrn Vogel gern persönlich gesagt, wenn er hier gewesen wäre. ({6}) - Ich unterstelle nicht, daß er aus mangelndem Interesse jetzt nicht hier ist. Er wird schon einen Grund haben. - Aber er hat, als er einmal gefragt worden ist, wann und wie er denn die Arbeitslosigkeit abbauen wolle, gesagt: Das dauert eine Legislaturperiode. Meine Damen und Herren, an solchen Äußerungen soll man sich nicht nur dann orientieren, wenn man glaubt, die Regierung übernehmen zu können, sondern auch dann, wenn man sie in ihren Anstrengungen beurteilt. ({7}) Ich kann jetzt nicht im einzelnen auf die Programme eingehen, die die SPD hier vorgelegt hat, weil wir uns schon darüber unterhalten haben und auch meine Zeit nicht reicht. Aber eines, verehrte Kollegen von der SPD, würde ich mir schon zu Herzen nehmen. Wenn ein Vertreter der grünen Fraktion hier herkommt und sagt, dieses Programm sei nicht solide finanziert, dann würde ich doch einmal darüber nachdenken, ob das richtig war. Jetzt würde ich Ihnen gerne Gelegenheit geben, eine Zwischenfrage zu stellen, wenn Sie noch möchten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zu einer Zwischenfrage der Abgeordnete Dr. Müller ({0}).

Dr. Joachim Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001553, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön. - Ich habe eine Abschlußfrage bezüglich der strukturschwachen Gebiete und strukturschwachen Branchen: Sind Sie mit mir der Meinung, daß in bestimmten Regionen nur durch steuerliche Hilfen, staatliche Hilfen, Arbeitsplätze erhalten werden können, wie beispielsweise an der Küste? Ich denke insbesondere an die Hochseefischerei.

Dr. Martin Bangemann (Minister:in)

Politiker ID: 11000089

Nein, dieser Meinung bin ich nicht. ({0}) Wir können selbstverständlich in einem Anpassungsprozeß steuerliche Mittel einsetzen, in der Form von Subventionen oder auf andere Weise, um den Anpassungsprozeß sozial erträglich zu machen. Dies halte ich für eine Pflicht jeder Regierung. Aber die denkbare Lösung, die Sie ansprechen, daß man mit Subventionen Arbeitsplätze erhalten kann, gehört in das Kapitel Ammenmärchen, in dem wir nicht mehr blättern. Meine Damen und Herren, wir machen hier eine vernünftige Wirtschaftspolitik. ({1}) Zu dieser Wirtschaftspolitik gehört auch die Steuerreform. Herr Dregger hat mit Recht darauf verwiesen, daß die Steuerreform, die wir beschlossen haben und die wir umsetzen werden, ein Stück mehr Steuergerechtigkeit bringen wird. Sie muß noch ergänzt werden. Denn wenn man sich einmal überlegt, daß wirtschaftliches Wachstum Investitionen voraussetzt - Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, Schaffung neuer Arbeitsplätze setzt Investitionen voraus -, wenn man dann weiß, daß investiertes Kapital im Durchschnitt mit über 70 % bei uns besteuert wird, daß die Eigenkapitalquote der Unternehmen bedrohlich abgesunken ist - bei kleinen und mittleren Unternehmen auf 10 % -, wenn man außerdem weiß, daß diese Unternehmen Kapital brauchen, um die Herausforderung der Automatisation zu bestehen - denn das wird eine sehr kapitalintensive Produktionsweise -, so müssen wir etwas tun - wir werden auch das tun -, um unternehmerisch tätiges Kapital steuerlich zu entlasten. Wenn wir das nicht machen, bekommen wir keine Investitionen, werden wir die Herausforderungen der Zukunft nicht bestehen und werden wir auch nicht die Arbeitslosigkeit bekämpfen können. ({2}) Dazu müssen Sie etwas sagen. Nur das ist eine ernsthafte Politik. Wenn Sie das nicht können, meine Damen und Herren, dann nützen auch Abertausende von Tonnen von Papier nicht, die Sie hier bedrucken. Herr Jens, Sie wissen das ganz genau. Im Grunde genommen - aus Ihren Ausführungen, wenn man zwischen den Zeilen hören kann, klingt das auch heraus - wissen Sie ganz genau: Zur Wirtschaftspolitik der Regierung gibt es keine Alternative. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Martin Bangemann (Minister:in)

Politiker ID: 11000089

Nein, vielen Dank.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Keine Zwischenfrage.

Dr. Martin Bangemann (Minister:in)

Politiker ID: 11000089

Ich bin am Schluß. ({0}) Weil Sie das wissen, sind Sie in dieser Frage im Grunde genommen an unserer Seite. Wir begrüßen Sie, solange Sie sich offen diesen Fragen stellen. Das heißt, Sie müssen über die Sachprobleme diskutieren, aber Sie dürfen keinen Rauch entfalten, Sie dürfen keine Programme vorlegen, die im Grunde genommen wieder dazu führen - ({1}) - Hat mir jemand von Ihnen einmal erklären können, wie Sie ein Programm Ihren eigenen Wählern und Mitgliedern erklären wollen, das gerade den kleinen Verbrauchern, den Haushalten neue Lasten auferlegt? Das ist das Programm Arbeit und Umwelt der SPD. Das ist ein Programm gegen wirtschaftspolitische Vernunft und durch neue Abgaben finanziert. Genau diese Politik wollen wir nicht mehr fortsetzen. Wir setzen unsere Politik fort, und wir werden damit Erfolg haben. ({2}) Wir werden damit Erfolg haben, und zwar nicht nur beim Wähler, sondern bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, und das ist wichtiger, meine Damen und Herren. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Reimann.

Manfred Reimann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001805, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und meine Herren! Die Wahlen in Nordrhein-Westfalen sitzen der CDU tief in den Knochen. ({0}) Dies wird mit erschreckender Deutlichkeit klar, denn sie sagt: Jetzt muß etwas geschehen, um die Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik zu bekämpfen. Dann ist doch die Frage gestattet: Was haben Sie eigentlich in den vergangenen zwei Jahren in dieser Regierung getan, um Arbeitslosigkeit zu bekämpfen? ({1}) An sich hätte man jetzt erwarten müssen, daß Sie Alternativprogramme vorlegen und wirklich an die Beseitigung der Arbeitslosigkeit herangehen. Aber was geschieht denn wirklich? Der Herr Bundeskanzler leistet sich neben einer satten Selbstzufriedenheit den Luxus, die Kommunen - vor allem die sozial-demokratisch regierten Kommunen - für die Arbeitslosigkeit verantwortlich zu machen. ({2}) - Herr Kollege Kolb, jetzt werden Sie mir sicher zurufen: Das ist dementiert; dem Bundeskanzler ist eine falsche Aussage unterstellt worden. Herr Akkermann hat das Dementi abgegeben. Ich habe daraufhin eine Rückfrage beim „Spiegel" vorgenommen. Dort wurde mir gesagt, daß der Verfasser des „Spiegel"-Artikels die Aussage aufrechterhält und nach wie vor zu diesem Artikel steht. ({3}) Sie dürfen einmal darüber nachdenken, ob das Dementi richtig ist oder falsch. Aber wie immer diese Aussagen auch lauten mögen: Ich habe - jetzt sollten Sie einmal zuhören - eine Umfrage bei allen Bürgermeistern meines Wahlkreises in Ludwigshafen gestartet. Dort habe ich gefragt, ob sie eigentlich Geld hätten, um zu investieren, und wenn das der Fall sei, ({4}) ob sie investieren. Alle haben übereinstimmend gesagt, sie hätten kein Geld. ({5}) - Sehen Sie, so ist das mit der Wahrheit. - Alle haben übereinstimmend gesagt, sie würden sehr wohl Mittel investieren - denn Bedarf sei da -, wenn sie ihnen vom Bund zur Verfügung gestellt würden. ({6}) In diesem Zusammenhang ist auch interessant, daß alle Bürgermeister vorgetragen haben, es würde ihnen helfen, wenn die bürokratischen Hemmnisse bei der Zuweisung von Zuschüssen abgebaut würden. Wenn ich das Feldgeschrei der CDU noch richtig im Ohr habe, dann war es doch wohl so, daß sie beim Amtsantritt der Regierung gesagt hat, sie wolle die bürokratischen Hemmnisse abbauen. Warum tun Sie es denn nicht? ({7}) Sie könnten sich doch hier eine goldene Nase verdienen. Deshalb muß man in diesem Zusammenhang sagen - dabei darf ich wohl den Versuch machen, den Herrn Bundeskanzler und auch den Herrn Arbeitsminister zu belehren, auch an die Adresse von Herrn Dregger gerichtet -, daß die Forderung nach dem Abbau von Überstunden scheinbar genauso erfolglos, was die Beseitigung der Arbeitslosigkeit angeht, bleiben wird. Auch hierzu habe ich - vorrangig bei der chemischen Industrie; ich komme ja, von dort - eine Umfrage durchgeführt. ({8}) Übereinstimmend, so auch die Industrie- und Handelskammern, wurde mir für den dortigen Bereich mitgeteilt, daß der Anteil der Überstunden unter einem Prozent liege. ({9}) - Genauso. ({10}) Darüber hinaus wurde mir mitgeteilt, daß die Industrie noch dazu davon ausgeht, daß der unvermeidbare Anteil von Überstunden für das Reparieren von Anlagen mit mindestens 0,5 % anzusetzen sei. Das heißt, Sie können nicht erwarten, daß Sie durch den Abbau der restlichen Überstunden von 0,5% auch nur einen Arbeitslosen von der Straße holen können. Schieben Sie den Schwarzen Peter nicht immer irgend jemandem zu, sondern lassen Sie ihn dort, wo er ist: bei der Bundesregierung, die untätig bleibt. ({11}) Wo wir gerade bei der Industrie sind - das hat Herr Bangemann gerade wieder deutlich gemacht -, erlaube ich mir mal den Hinweis, daß auch die Aussage der Regierung und des Kanzlers, daß nur die Gewinne hochzugehen bräuchten, um Arbeitslosigkeit zu beseitigen, nicht zu stimmen scheint; denn die chemische Industrie hat Milliardengewinne gemacht. Und darüber hinaus hat die übrige Industrie insgesamt auch hervorragend abgeschnitten. Aber ich kann mich nicht erinnern, daß bisher ein Arbeitsplatz mehr geschaffen worden wäre. ({12}) - Es ändert nichts an der Tatsache, daß die riesigen Gewinne im Moment anscheinend ausschließlich dazu dienen, Eigentumsverhältnisse in den Gesellschaften zu verändern, indem irgendwelche Unternehmen aufgekauft werden. Die veränderten Eigentumsverhältnisse führen aber wiederum nicht im geringsten dazu, die Arbeitslosigkeit zu beseitigen. Also liegt ihr doch mit dieser Argumentation auch daneben. Irgendwann müßtet ihr das doch mal einsehen. Man darf doch die Frage stellen, ob die Forderung, die wir diskutieren, daß die Gewinne der Unternehmer in dieser Gesellschaft mit herangezogen werden müßten, um die Probleme dieser Gesellschaft zu lösen - dabei meine ich nicht nur die Probleme der Arbeitslosigkeit, sondern auch die Probleme des sozialen Sicherungssystems -, berechtigt ist, wenn sich eine Gesellschaft sozial ausgewogen und gerecht weiterentwickeln soll. Die Ratlosigkeit der Regierung und des Bundeskanzlers zu eben dieser Frage der Massenarbeitslosigkeit scheint groß zu sein, wenn man hört, daß mittlerweile sogar die Arbeitsmarktzahlen der Bundesanstalt angezweifelt werden. Jeder weiß doch, daß die Bundesanstalt ihre Zahlen eher nach unten als nach oben ausrichtet. Selbst wenn man da sehr wohlwollend ist, muß man sich jetzt schon fragen: Wer wird der nächste sein, dem der Schwarze Peter in die Tasche geschoben wird, während die Regierung selbst untätig bleibt? Nun habe ich in der Zeitung gelesen, daß mit dem Mangel an Facharbeitern argumentiert wird, daß gesagt wird: Hätten wir Facharbeiter, würden sie eingestellt. ({13}) - Ihr sucht welche, in Baden-Württemberg? Ihr in Berlin auch? - Dann unterhalten Sie sich doch einmal mit der dortigen Industrie darüber, warum sie keine Facharbeiter ausgebildet hat und ob sie in der Zukunft welche ausbilden wird? Ihr könnt doch nicht den Arbeitnehmern den Schwarzen Peter zuschieben, wenn irgendwo ein Facharbeiter fehlt. Was ist denn das für eine hanebüchene Diskussion, die Sie sich hier erlauben? ({14}) Auch Sie wollen doch, daß Ausbildung und Qualifizierung bei der Industrie bleiben. Von Ihnen wird doch immer betont, daß die Industrie da Großartiges geleistet habe. Dann sind wir uns doch einig, daß dort doch Ausbildung, Umschulung und Fortbildung weiter betrieben werden müssen. Natürlich muß das Arbeitsamt auch dazu beitragen, meine Damen und Herren, und zwar durch das Zurverfügungstellen von Mitteln zur Schaffung neuer Qualifikationen. Hier - Herr Arbeitsminister, ich darf Sie mal wieder ansprechen - habe ich den Eindruck, daß der Arbeitsminister ein Kuriosum geschaffen hat; ({15}) denn die bei der Arbeitsverwaltung erwirtschafteten Überschüsse, im letzten Jahr nahezu 3 Milliarden DM, in diesem Jahr 1 bis 2 Milliarden DM, werden zur Sparkasse des Bundesfinanzministers. Da kann man doch nun wirklich nicht mehr sagen, diese Mittel würden nicht zweckentfremdet eingesetzt. ({16}) Meine Damen und Herren, es war Geld da für die Bauern, für die Reichen zur Vermögensteuersenkung, es ist auch Geld da für die Frühpensionierung von Offizieren bei der Bundeswehr, wie wir wissen, über 1 Milliarde DM. Dann muß doch auch Geld für arbeitsmarkt- und beschäftigungspolitische Maßnahmen in dieser Gesellschaft da sein. Herr Dregger, da Sie so gerne zitieren, darf ich mir, der Fairneß halber, das auch gestatten. Sie haben den Sozialdemokraten die Steigerung der Arbeitslosigkeit auf das Vierzehnfache zugerechnet. ({17}) - Zu unserer Zeit. - Meinen Sie nicht, es wäre ein Akt der Fairneß, zu sagen, daß in der meisten Zeit dieser Regierungsjahre die Wirtschaftsminister von der FDP gestellt worden sind, daß Herr Friderichs und Herr Lambsdorff so wie jetzt Herr Bangemann für die Wirtschaftspolitik verantwortlich waren? War die Wirtschaftspolitik dieser Minister so schlecht, daß es zu dieser Arbeitslosigkeit gekommen ist? ({18}) - Das ist doch Ihre Argumentation, nicht unsere. Und weil wir beim Zitieren sind: Der Herr Blüm und der Herr Geißler haben im Mai 1983 - hören Sie genau zu - angekündigt: In zwei Jahren ist die Arbeitslosigkeit um 1 Million geringer geworden. Das haben Sie gesagt. Jetzt sind es 400 000 mehr. So ist das mit dem Zitieren. Das kippt immer wieder zurück. Denn irgendwo hat irgendwann jemand mal etwas gesagt, was man verwenden kann. ({19}) Wenn schon der Herr Staatssekretär Schlecht den Optimismus regierungsamtlich dementiert und wenn es bedauerlicherweise so sein wird, daß die durchschnittliche Arbeitslosigkeit auch in diesem Jahr weiter steigen wird, dann muß ich in diesem Zusammenhang noch mal nachdrücklich auf die Überproportionalität der hohen Jugendarbeitslosigkeit, besonders der Berufsanfänger, hinweisen. ({20}) Die Berufsbildungsprogramme des Bundes und der Länder für die unversorgten Ausbildungsplatzbewerber sollten besser aufeinander abgestimmt werden; denn bei den jungen Menschen im Alter von 20 bis 24 Jahren ist die Arbeitslosigkeit überdurchschnittlich hoch. Dort liegt die Arbeitslosenquote bei 40 %, und das ist eine Schande für diese Gesellschaft. Schreiben Sie sich das mal endlich hinter die Löffel. ({21})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist zu Ende, wenn Sie nicht von Ihrer Fraktion noch etwas hinzubekommen.

Manfred Reimann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001805, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin, ich komme zum Schluß. Ich verweise auf die verschiedenen Programme der Sozialdemokraten zum Lösen der Probleme ({0}) und hoffe, daß Sie lernfähig sind und sie übernehmen. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wissmann.

Matthias Wissmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Da es die Redner der SPD bisher nicht getan haben, meine ich, wir sollten es tun, nämlich den Antrag ernst nehmen, den Sie vorgelegt haben. ({0}) Das heißt, ich spreche im Unterschied zu Ihren Rednern das erste Mal von dem konkreten Antrag, der eigentlich Gegenstand dieser Debatte ist. Dabei fällt zunächst auf, daß drei der an der ersten Stelle stehenden Antragsteller, nämlich die Kollegen Dr. Vogel, Dr. Apel und Roth, Ihren Antrag so ernst nehmen, daß sie heute an der Debatte überhaupt nicht teilnehmen. ({1}) Zum zweiten fällt auf, daß Sie im einleitenden Teil Ihres Antrags wörtlich fordern, es sei eine Umkehr der Wirtschafts- und Finanzpolitik erforderlich, und daß Sie in den danach folgenden Einzelheiten immer wieder den Eindruck erwecken, als forderten Sie dabei auch eine Hinkehr zu Maßnahmen der in Ihrer Regierungszeit verwirklichten Wirtschafts- und Finanzpolitik. Das ist, meine ich, durchaus Anlaß, nachzudenken, wie denn die Wirkungen Ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik gewesen sind. Ich habe mir bei der Vorbereitung der Debatte die Mühe gemacht, zusammenzuzählen, wie viele Konjunkturprogramme die sozialdemokratisch geführte Regierung in den Jahren von 1974 bis zum Ende ihrer Regierungszeit insgesamt zu verantworten hat. Es sind 19 Konjunkturprogramme mit einem Gesamtvolumen von 100 Milliarden DM. Das ist also ein wesentlicher Grund für die enormen Schulden, die wir übernehmen mußten. In derselben Zeit, in der diese Konjunkturprogramme gestartet wurden, ({2}) hat sich die Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland von 582 000 auf saisonbereinigt 2,04 Millionen im Jahr 1982 erhöht. ({3}) Wie kann man eine Wirtschafts- und Finanzpolitik dieser Art erneut fordern, wenn man 1982 vor dem Scherbenhaufen genau dieser Wirtschafts- und Finanzpolitik gestanden ist? ({4}) Der dritte Punkt, der bei Durchsicht Ihrer Antragsformulierungen auffällt und den Sie in Ihren Redebeiträgen auch sonst ({5}) absichtsvoll verschweigen, ist die Art und Weise, wie Sie u. a. Ihre Forderungen, beispielsweise das sogenannte Sondervermögen Arbeit und Umwelt, finanzieren wollen. ({6}) Ich zitiere wieder wörtlich: Für die Finanzierung des Sondervermögens wird ein steuerlicher Zuschlag auf den Verbrauch von Strom, Mineralölprodukten und Erdgas erhoben. ({7}) In einer Zeit, in der die Firmen, aber auch die Bürger über ein Zuviel an Steuerbelastung klagen und in der selbst die sozialistische Regierung in Frankreich Maßnahmen zur Steuersenkung ins Auge faßt, reden die Sozialdemokraten aus der Mottenkiste ihrer Wirtschaftspolitik immer noch von Steuererhöhungen. Haben Sie, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratischen Partei, aus Ihren bisherigen Fehlern denn immer noch nicht gelernt? ({8}) Nun zum vierten Punkt Ihres Antrags - ich folge immer genau Ihrem Antrag; denn ich finde, man sollte über das reden, was Sie hier vorschlagen -: ({9}) Sie haben Anregungen zu dem Thema Jugendarbeitslosigkeit und Berufsanfänger gegeben. Niemand von uns würde dieses Thema nicht ernst nehmen wollen. Denn jeder Jugendliche, der keinen Arbeitsplatz hat, ist jemand, der uns Sorgen machen und unsere Phantasie dahin anregen muß, was wir tun können, um die Lage der Jugendlichen zu verbessern. Jetzt gehe ich wieder einmal Ihren Maßnahmenkatalog durch - ein gutgemeintes Prinzip aufzustellen, ist ja nicht genug - und stelle fest, daß Sie u. a. die Aufstockung der Eingliederungshilfen für arbeitslose Jugendliche fordern. Ich darf Sie darauf hinweisen, daß sich die Zahl der mit Eingliederungsbeihilfen aus dem Haushalt des Bundesarbeitsministers, des heutigen Bundesarbeitsministers, seit 1982 Geförderten um mehr als ein Drittel erhöht hat. Das heißt: Soweit Sie etwas Richtiges fordern, machen wir mehr, als Sie in Ihrer Regierungszeit je getan haben. ({10}) Unterstützen Sie das doch und erwecken Sie nicht den Eindruck, wir würden das Falsche tun. Weiter fordern Sie - auch ein prinzipiell richtiger Gedanke - den Ausbau der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, u. a. für junge Arbeitslose. Auch hier ist, wie gesagt, der Grundgedanke sicher richtig. Aber ich darf Sie darauf hinweisen, daß Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im Jahre 1982 insgesamt 29 000 Menschen, im Jahre 1985 dagegen, unter der Verantwortung dieser Regierung, 80 000 Menschen zugute kamen. ({11}) Das heißt: Die Zahl der über ABM-Geförderten wurde fast verdreifacht. Stellen Sie sich doch an die Seite der Bundesregierung und gestehen Sie ein, daß Sie selbst zu wenig getan haben! Erwecken Sie hier nicht den Eindruck einer Alternative! ({12}) Meine Damen und Herren von der SPD, dort, wo Sie in diesem Antrag den Eindruck des Neuen erwecken, füllen Sie letztlich alten Wein in neue Schläuche, haben Sie aus den Fehlern Ihrer dramatischen Schuldenprogramme und Ihrer fehlgeleiteten Wirtschafts- und Finanzpolitik nicht gelernt. ({13}) Dort, wo Sie im Ansatz Richtiges fordern, beispielsweise bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und des Lehrstellenmangels, müßten Sie eigentlich aufstehen und sagen: Blüm macht in der Sache das Richtige. Das heißt: Ich habe nicht nur optisch den Eindruck, daß Sie Ihren Antrag nicht ernst nehmen - das zeigt sich ja an der mangelnden Präsenz Ihrer Fraktion -, sondern ich habe nach dieser Debatte auch mehr denn je den Eindruck, daß es der sozialdemokratischen Politik an einer ernsthaften Alternative mangelt: Deswegen sage ich Ihnen: Nutzen Sie die Sommerpause, um zu einer vernünftigen Wirtschafts- und Finanzpolitik zu finden! ({14})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Poß.

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Wir erleben hier eine sehr interessante Diskussion: ({0}) Herr Bangemann als Vertreter der kleinen Leute, ein Chamäleon sozusagen, und die GRÜNEN verlangen von der SPD eine seriöse Finanzierung. ({1}) Schaut man sich Ihren Antrag an, dann sieht man schnell, wie seriös der ist. Offenkundig haben Sie, Herr Müller, unseren Antrag „Arbeit und Umwelt" noch nicht gelesen, ({2}) vielleicht infolge der Rotation. ({3}) Aber das können Sie ja in den nächsten Wochen noch nachholen. ({4}) Auf die Zahlenakrobatik von Herrn Dregger möchte ich nicht näher eingehen. Nur so viel, Herr Dregger: Ihre internationalen Vergleiche zur Arbeitslosigkeit, in denen die Bundesrepublik gut abschneidet, beginnen 1982. Die Vergleiche vor 1982 waren für die Bundesrepublik noch günstiger als die von Ihnen zitierten. ({5}) Das haben Sie vergessen hier zu erwähnen. ({6}) Im übrigen will ich Sie an Ihren Ankündigungen mit Zahlen messen, am Beispiel der kommunalen Investitionen und dem, was der Herr Wissmann gesagt hat. Was ist eigentlich die Quintessenz dessen, was Herr Wissmann gesagt hat? Nichtstun ist die Quintessenz, und Nichtstun ist keine Politik. ({7}) Gerade im Umweltbereich, Herr Wissmann, ist Nichtstun keine Politik. Die Umwelt verlangt aktives Tun, und die Menschen sind bereit, dafür auch einen Beitrag zu leisten. Wir wissen das. ({8}) Ich möchte auf ein Gespenst zu sprechen kommen, das in der Bundesrepublik umhergeht, das Gespenst des Investitionsstreiks der SPD-geführten Gemeinden. Da kann die Kohl-Äußerung dementiert werden; Ihr Kollege Sauter hat in der Debatte am 24. Mai einen Zwischenruf gemacht, der in diese Richtung zielte. Aber das ist ein Phantom ähnlich dem Phantom der größten Steuerentlastung aller Zeiten, ähnlich dem Phantom der Verschuldung. Sie tun hier so, Herr Dregger, als würden Sie gänzlich ohne Verschuldung auskommen. Auch heute wird jede zehnte Mark, die Sie ausgeben, kreditfinanziert. Auch das dürfen Sie nicht verschweigen. ({9}) Dann kommen Ihre Patentrezepte: Abschreibungserleichterungen für Wirtschaftsgebäude. Ich prophezeie Ihnen: Das wird einen Null- oder höchstens einen Mitnahmeeffekt und nicht mehr auslösen. ({10}) Sie versuchen doch im Moment, das Thema und die beschäftigungspolitische Verantwortung den Gemeinden zuzuschieben. Die bösen Gemeinden, die nicht investieren wollen und die Sie auf Trab bringen wollen, sollen das beschäftigungspolitische Alibi für Sie sein. Wir Sozialdemokraten wollten und wollen nicht den Eindruck erwecken, als ob mit Hilfe kommunaler Investitionen ein selbsttragender Aufschwung herbeigeführt werden könnte; aber wir haben darauf hingewiesen, daß die Arbeitslosigkeit immer weiter steigen wird, wenn die Talfahrt der gemeindlichen Investitionen anhält, so wie wir das jetzt schon über Jahre erleben müssen. Der Herr Stoltenberg hat schon für 1984 eine Trendwende verkündet. Er sagte: Die kommunalen Investitionen werden zunehmen. Das Gegenteil, meine Damen und Herren, ist eingetreten; denn die Prognosen von Herrn Stoltenberg sind in ihrer Seriosität und Qualität den Arbeitsmarktvoraussagen von Geißler und Blüm vergleichbar. Auch 1984 sanken die kommunalen Sachinvestitionen wieder um 2,8%, und ich könnte Ihnen die Zahlenreihen nennen, in denen es seit 1978 hinaufgegangen ist: 1979 waren es 4,8 Milliarden DM, 1980 10 Milliarden DM, 1981 8,5 Milliarden DM, 1982 noch 3,3 Milliarden DM, und nach der Wende 1983 lagen sie gerade noch um 200 Millionen DM über dem Stand von 1978. 1984 sanken die kommunalen Investitionen um 700 Millionen DM unter den Stand von vor sechs Jahren. Für 1985 hat Bundeskanzler Kohl auf dem Deutschen Städtetag in den letzten Tagen vollmundig verkündet: Wir haben eine Trendwende bei den kommunalen Investitionen. - Wir haben jetzt die Zahlen für das erste Quartal vorliegen, und die Zahlen sind wiederum negativ. Bei den Zahlen für das erste Quartal 1985 haben wir ein Minus von 2,8%, und bei den Bauausgaben haben wir ein Minus von 8%. Das ist die Wirklichkeit, und deswegen sind Sie aufgefordert, sich aus dem Elfenbeinturm der Wendepolitiker zu befreien und die Wirklichkeit zu erkennen, um die es hier geht. ({11}) Was bedeuten denn die täglichen Beschwörungen der Herren Stoltenberg, Blüm, Bangemann im Klartext? Sie fordern Streichung öffentlicher Ausgaben, Zurückfahren des Staatsanteils. Was sollen nun die Gemeinden machen? Soll das wegen Ihrer Konsolidierungsfortschritte für die Gemeinden nun nicht mehr gelten? Meine Damen und Herren, wir werden hier Zeuge eklatanter Rat- und Hilflosigkeit der Bundesregierung. ({12}) Allesamt Artisten in der Zirkuskuppel - ratlos -, und das konservative Krisenlösungskonzept ist gescheitert. Das ist die Quintessenz. Nehmen wir nur mal an, daß die Gemeinden das Investitionsniveau von 1980 wieder erreichen wollen ({13}) - ich muß so laut sprechen, damit Sie das alle verstehen -, ({14}) dann müßten nominell 11 Milliarden DM zugelegt werden, mit der Konsequenz, daß sich die Gemeinden um 11 Milliarden DM zusätzlich verschulden müßten. Herr Stoltenberg schiebt die beschäftigungspolitische Verantwortung den Gemeinden zu. Er selbst versucht, mit Hilfe von zweistelligen Bundesbankgewinnen und reinen Haushaltsumschichtungen als oberster Sparonkel der Nation aufzutrumpfen. Nur, die Solidität und Richtigkeit dieser Politik gerät selbst bei Ihnen, bei seinen politischen Freunden, immer mehr in Zweifel, ist doch seine falsche Konsolidierungspolitik eine der Ursachen für die kommunale Investitionsschwäche. ({15}) Das wissen Sie auch. Hatte nicht letzter Tage sogar Herr Wallmann dem Bundesfinanzminister vorgeworfen, daß er die Lasten der Dauerarbeitslosigkeit systemwidrig auf die Gemeinden verschiebt? Für die Entwicklung der Kommunalinvestitionen ist von großer Bedeutung, daß die Gemeinden eine Perspektive haben, was die Stetigkeit der kommunalen Finanzausstattung angeht. Und da kommen Herr Bangemann und Herr Häfele und verlangen die Abschaffung der Gewerbesteuer bzw. kündigen an, daß demnächst, nach 1987, auch eingegriffen werden könnte. Die Bundesregierung muß mit dieser permanenten Verunsicherung endlich Schluß machen. Auch auf diesem Felde ist sie nämlich inzwischen zum größten Investitionsrisiko geworden. ({16}) Was die Bundesregierung bei der Städtebauförderung angekündigt hat, wird von uns begrüßt. Wir fürchten nur, daß sie auch da wieder zu kurzatmig ist. Will sie eine Mischfinanzierung für zwei Jahre aufbauen und dann wieder auslaufen lassen? Wie soll die Beteiligung der Gemeinden aussehen? Sind die finanzschwachen und strukturschwachen Gemeinden eigentlich in der Lage, die Komplementär-mittel aufzubringen? ({17}) Werden die kommunalen Aufsichtsbehörden da eigentlich mitmachen? Das sind Fragen, von denen der Erfolg dieses Programms abhängen wird. Wir als SPD fordern beschäftigungsfördernde Investitionsprogramme, die das Gegenteil des Aktionismus der Bundesregierung mit ihren Strohfeuerprogrammen darstellen. Sie sollte hier erkennen, daß sie im Grunde mit dem, was sie hier entwickelt, dabei ist, ganz primitiven „Keynes" zu machen - und nicht die SPD. ({18}) - Das kommt noch hinzu. Das Märchen vom fehlenden kommunalen Investitionsbedarf glaubt heute auch die Bundesregierung nicht mehr. Nach unserer Auffassung können die Gemeinden die neuen Aufgabenfelder - Wohnumwelt, Umweltentsorgung und Altlasten - gar nicht alleine bestreiten. Das geht nur mit einer gemeinschaftlichen Aktion von Bund, Ländern, Gemeinden und Industrie. ({19}) Meine Damen und Herren, es sieht so aus, als ob die in Auflösung begriffene Bundesregierung die Voraussetzung für eine solche Gemeinschaftsaktion nicht schaffen wird. Dazu fehlt es ihr an Konzeption und politischer Führungskraft. ({20}) Wir Sozialdemokraten wollen und werden die Gemeinden nicht alleine lassen. Wir wollen sie für ihre notwendigen Aufgaben, für eine verstärkte beschäftigungspolitische Investitionstätigkeit, auch mit den notwendigen Finanzierungsmitteln ausstatten. Wenn Sie das wollen ({21}) und nicht nur Sprüche machen wollen, dann müssen Sie unserem Antrag zustimmen. ({22})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Graf Lambsdorff.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Bundeswirtschaftsminister hat eine Frage angeschnitten, die sich viele im Lande stellen, und das nicht zu unrecht: Wir haben eine ausgesprochen positive konjunkturelle Entwicklung - eine nachhaltige, stabile, gut ansteigende konjunkturelle Entwicklung -, aber dennoch gehen die ArbeitslosenDr. Graf Lambsdorff ziffern nicht in der erwarteten und zufriedenstellenden Weise zurück. Ich glaube, man muß, wenn man sich die Vergangenheit ansieht und Vergleiche anstellt, zu dem Ergebnis kommen, daß diese in der Tat nicht erfreuliche Feststellung keine überraschende Feststellung ist. Gehen Sie einmal zurück und sehen Sie sich an, daß es beim konjunkturellen Aufschwung des Jahres 1975 drei Jahre gedauert hat, bis die Beschäftigtenzahl angestiegen ist, und daß es vier Jahre gedauert hat, bis die Arbeitslosenzahl wieder auf dem Niveau angekommen ist, das es vor der damaligen Rezession gegeben hat. Unsere Arbeitsmärkte in der Bundesrepublik Deutschland - das ist eine Feststellung; wir müssen uns mit den Gründen beschäftigen - reagieren langsam. Sie reagieren langsam, weil sie unflexibel sind. Sie reagieren auch deswegen langsam, weil Arbeit in der Bundesrepublik Deutschland einschließlich der Lohnnebenkosten außerordentlich teuer ist. Die Frage ist, ob man auf diese Entwicklung, die nicht so zufriedenstellend ist, wie sie auch die Koalition gern sehen möchte, in der Weise reagieren sollte, daß man seine Politik ändert, also sozusagen, was gelegentlich gefragt wird, die „Wende in der Wende". Wer das versuchen wollte, würde mit Sicherheit in der Sackgasse enden. Nichts wäre gefährlicher, nichts wäre verkehrter als eine Politik, die richtig konzipiert, die erfolgsträchtig ist, deswegen aufzugeben, weil man auf halber Strecke die Luft verliert und einem der Atem ausgeht. Ich sage ausdrücklich - obwohl jedermann weiß, daß ich in der Frage der steuerlichen Entlastung anderer Meinung gewesen bin als der Bundesfinanzminister -, daß die Konsolidierungspolitik des Bundesfinanzministers ein Kernstück der Wendepolitik, der richtigen Wirtschaftspolitik gewesen ist und bleibt und daß er - das sage ich für mich persönlich - meine volle Unterstützung hat bei seinen erfolgreichen Versuchen, unkeusche Ausgabenwünsehe abzuwehren. Das ist kein einfaches Geschäft, und dabei muß es auch bleiben. ({0}) Ich meine, meine Damen und Herren, auch die Wahlergebnisse, die hier angesprochen worden sind und die natürlich in unsere Überlegungen hineingehören, dürfen uns nicht dazu veranlassen, eine andere Politik zu betreiben. Mit Recht hat der Kollege Dregger gesagt, es ist ein Stopp im Jahre 1983 bei weiterem Anstieg der Arbeitslosigkeit erreicht worden. Das ist ein wesentliches Ergebnis. Ich füge aber hinzu, aus meiner Sicht reicht dies noch nicht, und ich glaube, da sind wir uns auch einig. Die Kurve muß nach unten zeigen, auch wenn wir nicht im Laufe von zwei Jahren zwei Millionen Arbeitslose wieder in Lohn und Brot bringen werden. Die Kurve muß nach unten zeigen, weil damit ein wesentliches psychologisches Moment verbunden ist, nämlich die Befürchtung derjenigen, die noch Arbeit haben, sie könnten ihren Arbeitsplatz vielleicht verlieren, auch der könnte noch gefährdet sein. Das ist in meinen Augen der entscheidende Punkt, der geschafft werden muß, und wir können ihn schaffen, wenn wir das tun, Herr Dregger, was Sie vorhin gesagt haben: Wenn wir die Politik, die wir uns vorgenommen haben, konsequent, nachhaltig und mit großer Intensität fort- und durchsetzen. Aber nicht dann, wenn wir uns Bremsvorgängen hingeben, ganz zu schweigen von dem, was ich die „Wende in der Wende" genannt habe. ({1}) Wenn der Kollege Jens hier die Vorschläge der SPD vertreten hat - über Inhalt und Wünschenswertes, Herr Jens, wollen wir überhaupt nicht miteinander streiten; es gibt tausend Dinge, die man gern machen möchte, die man für notwendig hält und die wichtig sind -, dann heißt das Stichwort, das Sie gegeben haben: Solide finanziert, ja oder nein? Und damit bleibt es dabei - oder Sie bleiben dabei -: Sie sind die klassische Steuer- und Abgabenpartei par excellence. ({2}) Wenn ich hier lese „Revitalisierung der Gewerbesteuer", dann heißt das nichts anders als die Gewerbesteuerlast erhöhen. Das nennen Sie eine Unterstützung der produzierenden Industrie, ausgerechnet die Gewerbesteuerlasten zu erhöhen? Sie reden doch dauernd davon, daß die Erträge der Unternehmen in den Unternehmen begünstigt werden sollten. Das nennen Sie eine mittelstandsfreundliche Politik, wenn Sie die freien Berufe einziehen wollen, wenn Sie die Hinzurechnung von Dauerschulden und Dauerschuldzinsen wieder verdoppeln wollen? Das, meine Damen und Herren, ist die weitere Ausplünderung gerade der Mittelstände, gerade der Handwerker. Das ist eine Politik, die wir nicht mitmachen werden. ({3}) Sie sollten sich, Herr Jens, einmal durchlesen, was unser früherer Kollege Dr. Wagner heute dazu in einem lesenswerten Leitartikel der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" schreibt. Sie wollen den Gemeindeanteil an der Einkommensteuer um einen Prozentpunkt erhöhen? Ausgerechnet bei den Gemeinden sind die Konsolidierungsergebnisses am weitesten fortgeschritten. Hier besteht kein Anlaß, nun dauernd das Lied zu singen, die Gemeinden seien von den Steuerentlastungen besonders betroffen. Das ist deswegen irreführend, weil sie in den vergangenen Jahren auch an den heimlichen Steuererhöhungen partizipiert haben, so daß eine Ausgleichsveranstaltung nicht notwendig ist. Besonders interessant aber wird dies bei dem Thema „Energiesteuer". Alles die alten Rezepte. Immer neue Kostenbelastungen. Wenn ich dazu noch die GRÜNEN sehe - auch in bezug auf das, was Sie heute hier gesagt haben -: Sie, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, wollen die Abschaffung der Industriegesellschaft bei vollem Lohnausgleich. Das ist nicht zu haben. ({4}) Was Sie zur Finanzierung hier vorschlagen, das hat Goethe schon im „Faust", II. Teil, Mephisto am Hofe des Kaisers, beschrieben; das ist das Ingangsetzen der Inflationsmaschine. Bei der Energiepolitik gibt es hochinteressante Vorgänge, nicht nur die sozialdemokratischen Vorgänge zur Einführung einer Energiesteuer, sondern auch die neue Kehrtwende der Sozialdemokratischen Partei und der Sozialdemokratischen Fraktion in Sachen Kernenergie, und das wird auf eine ziemlich perfide Weise betrieben. Dabei wird gesagt: „Kernenergie darf nicht sein, wenn die Entsorgung nicht sichergestellt ist", und dann wird die Entsorgung an allen Ecken und Enden behindert. Ja, es wird sogar die Versorgung der existierenden Unternehmen mit Brennmaterial durch die Aktion NUKEM und ALKEM verhindert. Hier, meine Damen und Herren, können Sie einmal nachlesen, wie Sie mit Arbeitsplätzen umgehen. Gucken Sie sich einmal den Vorschlag an, den die SPD-Fraktion im Hessischen Landtag den GRÜNEN in dem Koalitionsangebot zu der Behandlung der 2 000 Arbeitsplätze bei NUKEM und ALKEM gemacht hat! Wenn es nach Ihrer Ideologie geht, können 2 000 Arbeitsplätze gestrichen werden; dann sind sie weg. ({5}) Das schert Sie überhaupt nicht. Das ist Ihre Arbeitsmarktpolitik. ({6}) Im übrigen haben wir auf der energiewirtschaftlichen Seite ein anderes Problem zu sehen. Es ist keine erfreuliche Sache, daß das RWE beschlossen hat, Investitionen für Braunkohlenkraftwerke in Höhe von 6 Milliarden DM zurückzustellen. Ich will über die Gründe dafür hier nicht rechten. Ich kann die Entscheidung auch weder billigen noch kritisieren; ich kann sie nicht beurteilen. Nur macht sie deutlich: Wenn ein einziges Unternehmen 6 Milliarden DM investiert oder auch nicht, brauchen wir hier nicht über Anreize für öffentliche Investitionen zu reden. Diese machen 14 bis 15 % des gesamten Investitionsvolumens aus. Nur, eine Frage muß man sich wohl stellen, nämlich, ob sich das RWE nicht Gedanken darüber macht, ob es bei der engen Zusammenarbeit zwischen SPD und GRÜNEN ausgerechnet auf dem Gebiet Braunkohle eines Tages dazu kommen könnte, daß den Forderungen der GRÜNEN nachgegeben wird, nämlich den Braunkohlentagebau einzustellen und damit auch die Versorgung von Braunkohlenkraftwerken mit Braunkohle unmöglich zu machen. Sie müssen sich doch einmal die Frage stellen - der Kollege Lennartz, der sich hier gegenüber dem RWE in die Brust wirft, hat diese Zusammenarbeit herbeigeführt -, ob Sie hier noch glaubwürdige Positionen vertreten. ({7}) Wir müssen die Politik, die wir begonnen haben, konsequent fortsetzen, und wir müssen dem Wähler sagen, daß Sie nichts anderes als die alten Hüte anzubieten haben, die uns in die Sackgasse geführt haben, aus der sich diese Koalition mühsam herausgearbeitet hat und sich weiter herausarbeitet. Das ist uns in den letzten Landtagswahlen zugegebenermaßen nicht in ausreichendem Maße gelungen. Sie von der SPD haben aber ihr Erfolgsrezept noch nicht gefunden. Sie werden noch auf die Frage antworten müssen, ob Sie auf der Schiene Lafontaine, auf der Schiene Rau oder auf der Schiene Börner fahren wollen. Das wird 1987 die Frage sein, und wir werden diese Wahl gewinnen. ({8})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Sperling.

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Schönen Dank, Graf Lambsdorff! Sie haben deutlich gemacht, warum wir in der Tat in einer europaweiten Beschäftigungskrise keine gemeinsame Politik machen können. ({0}) Wir haben in unserem Antrag fünf Forderungen erhoben. Zu allen diesen Forderungen sagen Sie offensichtlich nein. Darüber hinaus bringen Sie, indem Sie diese fünf Forderungen zurückweisen, auch noch Fehldarstellungen. Sie werden sich entscheiden müssen, wie wir denn nun eigentlich von Ihnen gesehen werden sollen, Herr Wissmann. Wir seien die klassische Steuerpartei, heißt es, wenn wir das Sondervermögen „Arbeit und Umwelt" über einen Zuschlag zu Energieumsätzen finanzieren wollen, ({1}) weil jeder Umsatz von Energie zugleich ein Stück Umweltgefährdung ist. Aber wenn Sie sich einmal anschauen, was in den vergangenen Wochen zu den Steuergesetzen gelaufen ist, werden Sie erkennen, daß wir ein anderes Entlastungskonzept haben. Wir werfen Ihnen vor, daß Sie ihre Politik nach der „Wende" so gestaltet haben, daß die heimlichen Steuererhöhungen gestiegen sind, daß wir die höchste Lohnsteuerquote haben, die es in der Geschichte der Bundesrepublik je gegeben hat, und daß die Abgabenbelastungen ebenfalls gestiegen sind. ({2}) Dann kann man schon fragen: Wo war denn die „Wende"? Nur bei der Vermögensteuer? Herr Blüm, wenn das soziale Politik sein soll, warum haben wir denn die Vermögensteuer nicht dazu genutzt, die Staatsverschuldung zurückzufahren? Wäre das nicht sozialere Politik gewesen? ({3}) Zum ersten Punkt: Es geht darum, etwas zu tun, was schreiendem Umweltschaden Einhalt gebietet, der nur größer wird, je länger man nichts tut, wobei die zukünftigen Kosten der Schadensbeseitigung nur wachsen werden und zwar schneller als die Zinsrate. Dazu sagen Sie nein. Zweite Forderung: Sie sollten etwas zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit tun. Ich habe dazu von Ihnen nichts gehört. Und wenn ich es richtig verstehe, wird außer Appellen wieder einmal nichts dabei herauskommen. Jetzt ist die Glaubwürdigkeit von Herrn Kohl geschwunden. Das, was er im Wahlkampf gesagt hat, nimmt ihm jetzt niemand mehr ab, wenn er noch einmal versprechen sollte: „Jeder kriegt kraft Appells der Regierung oder ihres Kanzlers eine Lehrstelle." Dritter Punkt: Sie sollen die Investitionsbereitschaft der Unternehmen stärken. Sie können bei uns nachlesen, daß die Unternehmen das in Eigenarbeit gewonnene Kapital bitte schön selber wieder investieren sollen und daß dieses Kapital auch wieder besser behandelt werden soll. Was haben wir denn für eine Situation, die unter Ihrer Regierung gewachsen ist? Kapitalexport! Die Unternehmen, denen es finanziell gutgeht, legen ihre Finanzen woanders an. Wo? In den USA. Und was passiert mit dem Geld dort? Steigerung der Staatsquote und Finanzierung einer steigenden Staatsverschuldung! Das ist Ihre Wirtschaftspolitik, die die Finanzkraft der deutschen Wirtschaft ins Ausland schleust, statt hier damit Beschäftigung zu erreichen. ({4}) Das ist Ihre Wirtschaftspolitik. Das kann man schon als Wende bezeichnen. Vierter Punkt: Wir fordern Sie auf, die Investitionskraft der Gemeinden zu stärken. Wir hören von Ihnen daraufhin wieder Durchschnittszahlen. Das ist Ihre ewige Argumentation: Im Durchschnitt hätten sich die Gemeindehaushalte konsolidiert. - Nun gucken Sie aber einmal nach: Da, wo die Arbeitslosigkeit groß ist, ist zugleich die Finanzkraft der Gemeinden gering. Mit Durchschnittszahlen ist uns nicht gedient. Ich sage es noch einmal: Der Durchschnitt zwischen Mann und Frau ist der Mensch. Dabei kriegen Sie aber keine Durchschnittsfigur hin. Auch mit dem Durchschnitt von reichen und armen Gemeinden kriegen Sie keine Durchschnittsgemeinde hin. Die fünfte Forderung lautet: Sie sollen in Europa etwas tun. Nach den Stoffeleien, die Sie sich in der Europapolitik geleistet haben, dürfte Mailand für die Beschäftigungslosen in Europa auch wieder keine Hoffnung bringen. Schönen Dank. ({5})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kreile.

Prof. Dr. Reinhold Kreile (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001209, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eines hat die Debatte wirklich mit aller Deutlichkeit hervorgebracht: Der Antrag der SPD hat den falschen Titel. Denn hier wird keine Politik zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit und zur Überwindung der Wachstumsschwäche vorgeschlagen, sondern eine Politik zur Verhinderung des Wirtschaftsaufschwungs ({0}) und damit zur Verhinderung neuer Arbeitsplätze. Der neue Plan der SPD und die neuen Rezepte knüpfen an die alte und verfehlte Wirtschaftspolitik der SPD an, die uns im Jahre 1982 leere Kassen, riesige Schulden, zwei Millionen Arbeitslose und ein negatives Wirtschaftswachstum hinterlassen hat. ({1}) Wenn aus dem heutigen SPD-Antrag der nationalökonomische Phrasenteil herausgenommen wird und der Kern, die Zielrichtung herausgeschält wird, bleibt das übrig, was die SPD damals schon zum Offenbarungseid gezwungen hat: der offenbar durch keine Rückschläge zu erschütternde Glaube an einen Dirigismus und an Steuererhöhungen. Angesichts der sehr fortgeschrittenen Zeit will ich mich nur mit den Steuerfragen, die in Ihrem Antrag angesprochen sind, beschäftigen. Für diesen Bereich will ich aber ganz deutlich machen, wo die Unterschiede zwischen Ihnen und uns liegen. Erstens. Ihr Antrag hat im steuerlichen Bereich den alten Grundtenor: Steuererhöhungen. Zur Finanzierung des neuen Allheilmittels, das Sie „Sondervermögen Arbeit und Umwelt" nennen, fordern Sie höhere Steuern. Sie können das nicht bestreiten; es steht in Ihrem Antrag. Sie fordern höhere Steuern für die Verbraucher von Strom, höhere Steuern für die Verbraucher von Heizöl, von Benzin und von Erdgas. Unsere Politik ist dagegen nicht auf höhere Steuern gerichtet, sondern darauf, die hohe Steuerlast der Bürger nachhaltig zu senken. ({2}) Erste Schritte hierzu sind schon getan, allerdings bedauerlicherweise ohne Ihre Stimme. Sie können sicher sein, die weiteren Schritte werden folgen. Zweitens. Die Bundesbankgewinne wollen Sie - das ist heute nachmittag schon deutlich gesagt worden - für letztlich doch nutzlose Programme verpulvern. Durch Ihre Vorschläge werden nicht die von uns allen erstrebten dauerhaften Arbeitsplätze geschaffen. Wir müssen doch eines lernen, erkennen und wissen: Nur eine wachsende Wirtschaft schafft Dauerarbeitsplätze und damit auch Dauerarbeitsplätze für die Jugendlichen. Um dieses Wachstum zu erreichen, werden wir die Bundesbankgewinne zur Rückführung der Neuverschuldung einsetzen, die immer noch zu hoch ist. ({3}) Nur so können wir die Kapitalmarktzinsen, die zu Ihrer Zeit auf 11,5% gestiegen waren, auf dem heutigen Niveau von rund 7% halten oder gar weiter senken. Ich erinnere mich hier an Gespräche mit dem seinerzeitigen Finanzminister Matthöfer, der auf die Bedeutung der niedrigen Zinsen immer besonders hingewiesen hat. Ein Prozentpunkt niedrigere Zinsen bedeutet eine Entlastung im Bereich der Wirtschaft und damit ein Aufschwungpotential von jährlich rund 9 Milliarden DM. ({4}) Diese Erfolge der Konsolidierungspolitik können wir gar nicht hoch genug einschätzen. Wir sind nicht bereit, sie aufs Spiel zu setzen. Die Bürger können nur wünschen, daß Sie keine Gelegenheit haben, das zu versuchen. ({5})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Matthöfer?

Hans Matthöfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001439, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Dr. Kreile, wie erklären Sie sich dann, wenn die Regierung durch Ihre angebliche Konsolidierung - die ja nicht stattgefunden hat - die Zinsen gesenkt hat, wie der Bundesfinanzminister immer behauptet, daß zur Zeit bei dem höchsten Defizit der Geschichte, bei der größten Verschuldung aller Zeiten in den Vereinigten Staaten die Zinsen sinken?

Prof. Dr. Reinhold Kreile (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001209, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesfinanzminister außer Dienst, dies können Sie sich sehr gut selbst erklären. Die Zinsen in den USA sind nicht zuletzt deswegen so hoch, weil die Zinsen in den USA abzugsfähig sind. Das wissen Sie ganz genau. Sie wissen auch, welche Gründe wir und die Bundesbank haben, diese an und für sich sinnvolle Maßnahme aus monetären Gesichtspunkten derzeit nicht ins Auge zu fassen. ({0}) Das ist einer der entscheidenden Gründe. Drittens. Sie beklagen die steuerliche Benachteiligung des im Unternehmen gebundenen Eigenkapitals. Was Sie damit meinen - es ist ein bißchen kryptisch formuliert -, wird aus den nächsten Sätzen Ihres Antrages ganz klar. Was Sie wollen, sind Steuererhöhungen für alle anderen Anlageformen, Steuererhöhungen also für die große Masse der Sparer. Also auch hier Steuererhöhungen statt der gebotenen Steuersenkungen, wie wir sie beabsichtigen! Neu belebt wird durch diesen Ihren Satz in dem Antrag Ihr alter Gedanke einer Quellensteuer für den kleinen Sparer. ({1}) Hoffentlich findet dieser Vorstoß der SPD die nötige Publizität, damit auch die Bürger, deren Sparbuchzinsen unter den Freibeträgen liegen, wissen, was sie zu erwarten hätten, wenn die von Ihnen gewünschte Quellensteuer eingezogen wird. ({2}) Außerdem - und dies ist nahezu unverzeihlich - schaffen Sie mit Ihrem erneuten Vorstoß für eine Quellensteuer eine völlig überflüssige und schädliche Diskussion. Auf der einen Seite beklagen Sie den Kapitalabfluß ins Ausland. Auf der anderen Seite tun Sie alles, um durch so ein dummes Gerede das Kapital aus Deutschland zu verjagen. ({3}) Am Ende werden Sie bei einer solchen Politik Zuflucht zu Kapitalverkehrskontrollen nehmen, wie dies bei anderen, dirigistischen Staaten der Fall ist. - Nein, meine verehrten Herren, hier wird niemand einem Steuerhinterzieher das Wort reden. ({4}) Wir vertrauen hier auf die Anständigkeit auch des kleinen Sparers. Das ist der Sinn unserer Steuergesetzgebung, nicht die von Ihnen gemeinte ständige Kontrolle. Viertens. Sie fordern unter der sehr schillernden Überschrift „Revitalisierung der Gewerbesteuer" neben einer stärkeren Hinzurechnung von Dauerschulden und Dauerschuldzinsen auch eine Ausdehnung dieser Steuer auf die Freiberufler. Also auch hier laufen Ihre Vorschläge letztlich auf eine Steuererhöhung hinaus. Wir sind der Ansicht, daß die Steuerbelastung von Bürgern und Wirtschaft hoch genug ist und gesenkt werden muß. ({5}) Wirtschaftswachstum wird nicht erreichen, wer wie Sie das Steuerniveau anheben will, sondern Wirtschaftswachstum erreicht, wer wie wir die Steuerbelastung senkt. ({6}) Bei der Gewerbesteuer, die die SPD verbreitern und erhöhen will, kommt hinzu, daß sie die deutschen Unternehmen im internationalen Wirtschaftsverkehr benachteiligt. Deshalb müssen wir - und dies ist ganz deutlich zu sagen - für die Gewerbesteuer ein gleichwertiges Instrument finden, das zwei unverzichtbare Elemente hat, nämlich erstens die Interessen der Gemeinden an einem eigenen Einkommen, an eigenen Einnahmen sicherzustellen; zweitens muß dieses neue Instrument zu einer Verstetigung der Steuereinnahmen führen. In dieser Legislaturperiode - dies ist wiederholt vom Bundeskanzler klargestellt worden - wird die Gewerbesteuer so belassen, wie sie ist. Aber in der nächsten Legislaturperiode werden wir ({7}) - ich bin hier sehr zuversichtlich - eine Lösung erreichen, die alle Betroffenen mittragen können. Zu den Betroffenen zähle ich auch die Kämmerer der SPD-regierten Gemeinden. Es war ganz besonders bemerkenswert, daß bei der Berliner Tagung der Kommunalpolitiker auch die SPD-Kämmerer begriffen haben, daß eines dieser neuen InstruDr. Kreile mente unter Umständen etwas ist, was die Stetigkeit der Gemeindefinanzen fördern wird. ({8}) Ich darf zusammenfassen. Ihr Antrag unterstellt eine wirtschaftliche Situation, die wir unter Ihrer Verantwortung hatten, die wir aber überwunden haben. Ihre Vorschläge auf steuerlichem Gebiet liegen in Ihrer Tendenz: immer neue Steuererhöhungen. Sie fordern eine Wiederbelebung der Wirtschaft, empfehlen aber gleichzeitig Rezepte, die genau das Gegenteil bewirken würden. Wie man eine in eine tiefe Rezession abgesunkene Wirtschaft wiederbeleben kann, wie man stetiges Wirtschaftswachstum erreicht, das allen Bürgern zugute kommt, hat diese Bundesregierung nicht nur in Anträgen formuliert, ({9}) sondern durch meßbare Erfolge in den letzten zweieinhalb Jahren bewiesen. ({10}) Auf diesem Weg werden wir weitergehen; Steuersenkungen, nicht Steuererhöhungen sind notwendig zur Gesundung der Wirtschaft und zur Gesundung unseres Arbeitsmarkts. ({11})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. George.

Dr. Haimo George (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000662, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Die sieben Minuten, die mir hier vorgegeben sind, müssen Sie schon noch ertragen. ({0}) Ich beginne mit zwei Zitaten: „Wenn die Politik der Regierung so weitergeführt werde, so wird das nach Ansicht ..." - Sie dürfen raten, wer das gesagt haben könnte - „bei gleichbleibend günstiger Exportkonjunktur und der Zunahme der privaten Investitionen, auch am Arbeitsmarkt Wirkung zeigen. Die Beschäftigung werde langsam und dauerhaft zunehmen. Man solle jetzt nur nicht ungeduldig sein und zuviel erwarten." - Das war Bundesbankpräsident Pöhl, in ddp von heute. Ein zweites Zitat - auch diesen Autor dürfen Sie erraten - zu Ihrem heutigen Antrag: „Aus dem sozialdemokratischen Trödelladen der 70er Jahre präsentiert die SPD ein scheinheiliges Aktionsmäntelchen, aufpoliert mit administrativen Vogel-Federn, grünspanigen Roth-Fuchs-Umsäumungen und sogar mit einigen Spöris von Apel-Vernunft". ({1}) Was zu Ihrem Antrag zu sagen ist, haben meine Kollegen aus der CDU/CSU und aus der FDP gesagt. Ich finde, es muß sichtbar werden, ({2}) daß Ihr Antrag wirklich lauten müßte „Politik zur Erhöhung der Massenarbeitslosigkeit und zur Erzeugung neuer Wachstumsschwächen". ({3}) Ich zitiere aus der Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 die unmißverständlichen Worte des Bundeskanzlers, der drei Signale zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit gesetzt hat: ({4}) Die 80er Jahre sind ein Jahrzehnt des notwendigen Umbaus der deutschen Wirtschaft. - Das haben Sie scheinbar nie erkannt. - Er hat zur SPD-Vergangenheit gesagt: Die Regierungen haben ihr Versprechen, Vollbeschäftigung zu garantieren, nicht halten können. Sogenannte Beschäftigungsprogramme haben Milliarden verschlungen, ohne die Lage am Arbeitsmarkt stabilisieren zu können. ({5}) Sein Schlußsignal in dieser Passage lautet: „Wir werden nicht neue Versprechungen machen, sondern die Ursachen der Fehlentwicklung bekämpfen." Zu den Ursachen der Fehlentwicklung gehören vor allem mehrere Riesenerblasten: eine Hochlohnpolitik mit zweistelligen Raten, eine Hochzinspolitik mit zweistelligen Raten, eine Hochbesteuerungspolitik, bei der heute elf Millionen Arbeitnehmer 71 % der Lohn- und Einkommensteuer bringen müssen, eine Hochbeitragspolitik; die Sozialbeitragslast wurde - ({6}) - Sie können die Wahrheit nicht ertragen! - Die Beitragslast wurde von 26,5 auf über 35 % erhöht -({7})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, einen Moment bitte. - Wir hatten doch eine Selbstverständnisdebatte. Ich bitte doch wirklich, den Redner einigermaßen reden zu lassen. Die Zwischenrufe sind sehr belebend, aber es gibt eine Grenze dafür.

Dr. Haimo George (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000662, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- - eine Inflationspolitik, die jahrelang über der 5-%-Grenze lag, eine Eigenkapitalschrumpfungspolitik - Graf Lambsdorff hat eben schon die Zahlen genannt -, eine Gewinnkomprimierungspolitik. Das Ergebnis war eine dreistellige Milliardenzahl von unterbliebenen Investitionen. ({0}) Auf dem Weg vom Erhard-Wirtschaftswunder zur Schmidt-Wirtschaftssklerose wurden lawinenartig immer mehr Menschen arbeitslos oder gar Sozialhilfeempfänger und immer mehr Unternehmen durch Insolvenzen und Pleiten ausgegrenzt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Spöri?

Dr. Haimo George (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000662, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe nur noch drei Minuten und halte das durch. Die Koalition der Mitte nimmt vier existentielle Wahrheiten ernst, die Sie nie ernstgenommen haben: Über 80 % der Arbeitslosigkeit ist strukturell bedingt. Der demographische Druck muß gebändigt werden, der Geburtenboom ebenso wie der 13-Millionen-Rentnerberg. Neue Erwerbsplätze in nennenswerter Zahl gibt es erst nach Beseitigung dieser genannten Ursachen. Das ist die berühmte Spätindikatorwirkung. Die vierte Wahrheit: Arbeit gibt es genug! Es bleibt zu fragen, warum sie nicht in neue Arbeitsplätze gerinnt. ({0}) Sie wissen, daß die wirtschaftswissenschaftlichen Institute uns im Herbst 1984 bescheinigt haben, daß sich die wirtschaftliche Lage in den letzten zwei Jahren spürbar verbessert hat, daß die Rezession überwunden wurde, daß die Inflationsrate beträchtlich gesenkt wurde und daß die Leistungsbilanz wieder einen Überschuß ausweist. Ich füge hinzu: Die Wende auf dem Arbeitsmarkt wird, wenn auch - zugegeben - noch bescheiden, an den Positivzahlen der abhängig Beschäftigten deutlich. Seit Ende 1984 steigt diese Zahl an. Das Statistische Bundesamt hat vorgestern für April '85 gemeldet, daß die Zahl der Erwerbstätigen im Vergleich zum April des Vorjahres um 0,5 % gleich 130 000 Arbeitsplätze gestiegen ist. Zum Vergleich: Zwischen 1980 und 1983 sank die Beschäftigungszahl um 957 000 Menschen ({1}) gleich 4,2 % bezogen auf 22 Millionen. Ich stehe nicht an zu sagen: Wenn die SPD noch an der Regierung wäre, hätten wir das, was der DGB 1982 prognostiziert hat. Wir hätten über 3 Millionen Arbeitslose heute schon, und zwar allein in den Nürnberger Zahlen. ({2}) Ich sage nichts zu den Lehrstellenrekorden, die die deutschen Unternehmen schon seit drei Jahren erbringen, ({3}) oft mit Hilfe der Gewerkschaften, oft mit Hilfe der Betriebsräte. ({4}) Auch die Dramatisierungsdemagogie von Herrn Reimann, daß es uns nicht gelungen sei, die Jugendarbeitslosigkeit zu senken, kann widerlegt werden. Ich nenne die Zahlen: In den Altersgruppen unter 20 lag im Mai 1985 die Arbeitslosenquote mit 6,2 % weit niedriger als die durchschnittliche Arbeitslosenquote von 8,8 %. ({5}) Ich bekenne überzeugt: Der Kampf der Sozialpolitiker der Regierungsparteien geht in erster Linie gegen die Lohnnebenkosten und für die Flexibilisierung des Arbeitsrechtes. Damit Arbeit wieder bezahlbar wird und damit die Zugbrücken zur Arbeit endlich heruntergelassen werden! Zwischen denen, die „drin sind", und denen, die „draußen warten", muß es wieder mehr Solidarität geben. Jetzt hören Sie gut zu: Was die Tarifpartner - beide Seiten - angeht, so ist es höchste Zeit, sie daran zu erinnern, daß sie ihre Solidaritätspflicht und ihre Gemeinschaftsverantwortung weit mehr als bisher wahrnehmen müssen. ({6}) Wer die volkswirtschaftliche Lenkungsfunktion der Löhne kennt, der muß sich nach dem Lehrsatz richten: Das Lohnniveau und der Lohnfortschritt müssen unterhalb des Produktivitätsfortschritts liegen. ({7}) Denn, Herr Lutz - damit Sie Ihre Frage gleich beantwortet bekommen - die Lampe blinkt -: Nicht hinter jedem Produktivitätsfortschritt liegt die gleiche Masse eines verteilbaren Mehrergebnisses. Die heutige Diskussion hat zweierlei gezeigt: Erstens. Die Koalition der Mitte führt einen - wenn auch sehr mühsamen - erfolgreichen Kampf gegen die hohe Arbeitslosigkeit. ({8}) Sie schafft „Arbeit nach Maß". Zweitens. Die Sozialdemokraten würden mit ihrer rückständigen Schröpfpolitik „Arbeitslosigkeit en masse" schaffen. ({9})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag der Abgeordneten Dr. Vogel, Dr. Apel und weiterer Abgeordneter der SPD und der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/3431 entsprechend dem Ausdruck auf der Tagesordnung an die Ausschüsse zu überweisen. - Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Der Ältestenrat empfiehlt, den Antrag der Abgeordneten Kleinert ({0}), Dr. Müller ({1}), Suhr und der Fraktion DIE GRÜNEN auf der Drucksache 10/3497 ebenfalls entsprechend dem Ausduck auf der Tagesordnung an die Ausschüsse zu überweisen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Vizepräsident Frau Renger Ich rufe die Punkte 6 a bis 6 c der Tagesordnung auf: a) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Schwerbehindertengesetzes ({2}) - Drucksache 10/1731 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({3}) Innenausschuß Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Schwerbehindertengesetzes - Drucksache 10/3138 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({4}) Innenausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO c) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. George, Straßmeir, Lemmrich, Jagoda, Keller, Hinsken, Günther, Pfeffermann, Bühler ({5}), Milz, Hanz ({6}) und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Hoffie, Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Kohn, Cronenberg ({7}), Frau Dr. Segall, Eimer ({8}) und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erweiterung der unentgeltlichen Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr - Drucksache 10/3218 - aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({9}) - Drucksache 10/3495 - Berichterstatter: Abgeordneter Louven bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({10}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 10/3513 Berichterstatter: Abgeordnete Sieler Dr. Friedmann Frau Seiler-Albring Dr. Müller ({11}) ({12}) Der Ältestenrat hat für die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 c eine gemeinsame Beratung mit einer Runde zu je 15 Minuten vereinbart. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Wird das Wort zur Begründung oder Berichterstattung gewünscht? - Wünschen Sie das Wort als Berichterstatter? ({13}) - Bitte, Sie haben das Wort zur Geschäftsordnung.

Egon Lutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001399, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin, wir haben ein Problem. Es sollen zum erstenmal zwei erste Lesungen in verbundener Debatte mit einer zweiten und dritten Lesung eines Gesetzes behandelt werden. Ich halte das für unmöglich. Ich würde sehr darum bitten, das wieder zu entkoppeln. Das kann nicht angehen. Man kann ja über alles streiten, aber eines geht nicht: Man kann nicht die zweite und dritte Lesung eines Gesetzes mit der ersten Lesung von Gesetzen verbinden; die haben miteinander soviel zu tun wie die Kuh mit dem Donnerstag. ({0}) Ich muß Sie dringend ersuchen, meiner Bitte zu entsprechen. Wir hatten in der Fraktion darum gebeten. Ich bin etwas überrascht, daß es offenbar dennoch nicht möglich war, eine Übereinstimmung zwischen den Geschäftsführern herzustellen. Es geht wirklich nicht. Dann müssen wir eben zweimal reden: einmal über die ersten Lesungen und einmal über die zweite und dritte Lesung des Gesetzes zur unentgeltlichen Beförderung Schwerbehinderter, was sowieso ein Unikum ist, weil die unentgeltliche Beförderung 120 DM kostet. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Einen Augenblick mal. Es ist hinter mir und vor mir geredet worden. War von Ihnen ein Antrag gestellt worden? Wie lautet der Antrag? ({0}) - Also das letzte gesondert? ({1}) Da das eine Veränderung der Tagesordnung wäre, muß ich hören, wie die Meinung der anderen Fraktionen ist. Darf ich bitten, Herr Seiters?

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002156, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir hatten unter den Fraktionen eine verbundene Debatte vereinbart. Diese Vereinbarung ist nicht aufgekündigt worden. Für unsere Fraktion darf ich aber sagen: Wenn die SPD-Fraktion statt eines Redners mit 15 Minuten Redezeit gern zwei Redner für diese 15 Minuten entsenden will, sind wir damit einverstanden, wie ich bereits dem Kollegen Porzner gegenüber erklärt habe. Aber an der Vereinbarung einer verbundenen Debatte möchten wir festhalten. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gibt es noch Wortmeldungen dazu, meine Damen und Herren? Es steht der Antrag, die Debatte zu trennen, und es steht der Antrag, bei der Abmachung im Ältestenrat zu bleiben. Wer dem Antrag, bei dem Ältestenratsvorschlag zu bleiben, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit. Ich nehme an, daß der Vorschlag, die 15 Minuten aufzuteilen, angenommen wird. - Das ist nicht der Fall. Wir fahren in den Beratungen fort. Ich eröffne die Debatte. Das Wort hat der Abgeordnete Kirschner.

Klaus Kirschner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001102, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einem Zitat beginnen. Der frühere

Not found (Gast)

Unsere grundsätzlich auf Leistung und Wettbewerb ausgerichtete Gesellschaft ist nur dann in Ordnung, wenn sie behinderten Minderheiten volle Achtung, volle Gemeinschaft und ein Höchstmaß an Eingliederung gewährt. Ich meine, daß das eine Meßlatte ist, an der sich die heute in erster Lesung zu debattierenden Gesetzentwürfe messen lassen müssen. Die Politik für Behinderte hat in diesem Land erst im Jahre 1969 begonnen, als Sozialdemokraten die Hauptverantwortung für die Regierung übernahmen. In der Zeit von 1969 bis 1980 sind die wesentlichen Regelungen getroffen worden, die bei entsprechender Anwendung und Durchführung des Rechts die soziale Lage der Behinderten entscheidend verbessert haben und die Eingliederung bzw. Wiedereingliederung in Arbeit, Beruf und Gesellschaft ermöglichen. Diese Bilanz ist außerordentlich positiv. Sie ist - das darf bei dieser Gelegenheit auch einmal gesagt werden - nicht zuletzt auf unseren Kollegen Eugen Glombig zurückzuführen. ({0}) Diese positive Bilanz ist für uns Sozialdemokraten Verpflichtung, dafür zu sorgen, daß das, was wir im Interesse der Behinderten erreicht haben, nicht zunichte gemacht wird. Die Rechtskoalition hat Arbeitnehmern, Mietern, Wohngeldbeziehern, BAföG-Empfängern, Rentnern, Kriegsopfern, Kranken, Arbeitslosen, Sozialhilfeempfängern und Behinderten rigoros Daueropfer abverlangt. Unsere ständigen Anstrengungen, den Anschlag auf den Sozialstaat abzuwehren, waren zugegebenermaßen nicht erfolgreich. Aber die Rechtskoalition muß inzwischen mit härtestem Widerstand der Betroffenen rechnen. Das haben die letzten Wahlen eindeutig bewiesen. Aber die Wende wird radikal durchgezogen. Nichts wird dabei vergessen. Jetzt sind die Arbeitnehmerrechte an der Reihe. ({1}) Der Jugendarbeitsschutz wurde schon massiv ausgedünnt. Die Rechte der Betriebsräte werden demnächst amputiert. Das sogenannte Beschäftigungsförderungsgesetz oder, besser gesagt: Entlassungserleichterungsgesetz ist in Kraft - ich komme dazu, Kollege Kolb -, ({2}) mit allen negativen Konsequenzen. Das „Heuern und Feuern" wird zur Methode erhoben. ({3}) Was heißt das für die Behinderten? Selbst der besondere Kündigungsschutz der Behinderten, im übrigen auch der der Schwangeren und der der Wehrpflichtigen, wird faktisch eingeschränkt, umgangen. Es ist leider zu befürchten, daß die Unternehmer gerade für die Behinderten in zunehmendem Maß nur noch befristete Arbeitsverträge anbieten werden. ({4}) Das haben Sie so gewollt. Der Abbau von Arbeitnehmerrechten - lassen mich das mit aller Deutlichkeit sagen - schafft keine neuen Arbeitsplätze. ({5}) Den Beweis für das Gegenteil sind Sie bisher schuldig geblieben. ({6}) Den bestehenden Kündigungsschutz zugunsten Schwerbehinderter als überzogen zu kennzeichnen, ist objektiv falsch. Von entsprechenden Einstellungshemmnissen zu reden, ist blanke Ideologie. Mein Vorteil ist, im Gegensatz zu Ihnen das, was ich sage, hier beweisen zu können. Die Hauptfürsorgestellen wurden im Jahr 1963 - leider liegen keine neueren Zahlen vor - in rund 34 000 Fällen um Zustimmung zur Kündigung angegangen. In nicht weniger als 21 000 Fällen gab es Zustimmung, davon in 16 000 Fällen ohne Einwendung der Behinderten. In 4 300 Fällen wurde der Antrag zurückgezogen. In 4 800 Fällen kam es zum Ausscheiden im gegenseitigen Einvernehmen. Die Schlußfolgerung liegt auf der Hand. Von einem überzogenen Kündigungsschutz kann nicht im entferntesten die Rede sein. ({7}) Das Problem ist im Gegenteil, daß Behinderte zu vergleichsweise billigen Abfindungen gedrängt werden, die die auf Dauer verlorenen Arbeitsplätze auch nicht annähernd ersetzen können. Das Schwerbehindertengesetz, seit mehr als zehn Jahren in Kraft, hat sich grundsätzlich bewährt. Es muß ausgebaut werden, um einen wirksameren Beitrag zur Schaffung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen für Schwerbehinderte zu leisten. 135 000 Schwerbehinderte sind arbeitslos - trotz der Programme des Bundes und der Länder zur verstärkten Eingliederung von Behinderten im Arbeitsleben. Die Pflichtplatzquote wird immer noch nicht erfüllt. Nicht weniger als drei Viertel aller ArbeitgeKirschner ber erfüllen ihre Beschäftigungspflicht nicht oder teilweise nicht. ({8}) 37 000 der 128 000 beschäftigungspflichten Arbeitgeber beschäftigen nicht einen einzigen Behinderten. Würden alle Arbeitgeber ihren Verpflichtungen nach dem Gesetz nachkommen, so bräuchten wir über die Arbeitsmarktprobleme Schwerbehindeter kein Wort mehr zu verlieren. Das gerade der öffentliche Dienst seiner Beschäftigungspflicht nicht nachkommt, ist und bleibt ein Skandal, den wir, meine ich, alle zusammen nicht nur beiläufig zur Kenntnis nehmen sollten. ({9}) - Das wissen Sie selber, gucken Sie doch nach! Angesichts der schlimmen Arbeitsmarktprobleme Schwerbehinderter bedarf es gesteigerter Anstrengungen zum Abbau dieser Probleme. Deshalb haben wir bereits Mitte 1984 einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt, der u. a. vorsieht - ich fasse es in fünf Punkten zusammen -: Erstens. Erhöhung der Ausgleichsabgabe auf 400 DM und Anpassung alle drei Jahre. Dieser Betrag ist notwendig, um dem Freikauf von der Beschäftigungspflicht ein Ende zu bereiten. Die Höhe des Betrags wäre für uns nur dann verhandlungsfähig, wenn die steuerliche Absetzbarkeit der Ausgleichsabgabe abgeschafft würde. Die Fachleute sagen dazu: aus steuersystematischen Gründen ist das nicht möglich. Zweitens. Besondere Förderung schwerbehinderter Auszubildender und schwerbehinderter Teilzeitbeschäftigter. Drittens. Überführung der bisherigen Sonderprogramme in dauerhafte gesetzliche Regelungen. Viertens. Verbesserung der Rechtsstellung des Vertrauensmannes der Schwerbehinderten und seines Stellvertreters. Fünftens. Einführung einer erweiterten Berichtspflicht der Bundesanstalt für Arbeit über die Erfüllung der Beschäftigungspflicht durch öffentliche und private Arbeitgeber. Ich sage deutlich: Wir versprechen uns davon auch einen öffentlichen Druck. Voraussetzung ist allerdings, daß die Parlamente, und zwar aller Ebenen, mitziehen und ihre Kontrollrechte tatsächlich wahrnehmen. Was wir zur Fortentwicklung des Schwerbehindertengesetzes fordern, entspricht dem Forderungskatalog der Verbände der Behinderten und der Gewerkschaften. Daß die jetzige Bundesregierung das alles anders sieht, kann nur den überraschen, der immer noch nicht begriffen hat, daß diese Bundesregierung sich der Vertretung der Arbeitgeberinteressen verschrieben hat. ({10}) Der Blüm-Entwurf geht in die falsche Richtung. Wir können uns ja darüber unterhalten. Wir haben ja im Ausschuß in den nächsten Monaten genug Zeit. ({11}) Den besonderen Kündigungsschutz Schwerbehinderter erst nach sechs Monaten beginnen zu lassen und die Ausgleichsabgabe nur um 50 DM zu erhöhen, dies ist doch weniger als die wirtschaftliche Entwertung in den letzten Jahren. ({12}) - Natürlich. Seit 1974 ist das doch in Kraft. ({13}) - Entschuldigen Sie bitte! Sie können es doch jetzt korrigieren. Sie loben doch alles, was Sie hier angeblich alles gemacht haben. ({14}) - Das merken wir! Schauen Sie mal die Arbeitslosenzahlen an, wie gut die sind. ({15}) Auch die Maßnahmen zur Rehabilitation auf den Zusatzurlaub anzurechnen, all das ist kein Beitrag, die Chancengleichheit Behinderter zu fördern. ({16}) Deshalb werden wir - darauf können Sie sich verlassen - gegen den Gesetzentwurf dieser Bundesregierung entschlossen Stellung beziehen. ({17}) Völlig falsch ist auch die Nichtzählung der Ausbildungsplätze bei der Berechnung der Beschäftigungsquote und der Ausgleichsabgabe. ({18}) Im Klartext heißt dies: Hier wird eine Gruppe gegen die andere ausgespielt, d. h., die Nichtbehinderten gegen die Behinderten. ({19}) Zusammen mit der vorgesehenen regelmäßigen Doppelanrechnung schwerbehinderter Auszubildender fallen mehr als 70 000 geschützte Plätze weg. ({20}) Das heißt: Die Beschäftigungspflichtquote wird faktisch um einen Prozentpunkt gesenkt - und das angesichts dieser hohen Zahl arbeitsloser Schwerbehinderter. Das, was Sie hier tun, die Anrechnung, nützt in erster Linie den Großbetrieben und hilft den Behinderten in keiner Weise. Ich will ein Beispiel nennen: Ein Betrieb mit 2 000 Auszubildenden wird von der Beschäftigungspflicht in einer Größenordnung von 120 Behinderten entbunden. Dies muß man mit aller Deutlichkeit sagen. ({21}) - Rechnen Sie sich das doch einmal aus. Wenn Sie es nicht selber ausrechnen können, kaufe ich Ihnen gern einen Taschenrechner. ({22}) Mit dem, was Sie tun - das sage ich Ihnen deutlich -, verletzen Sie das Gebot der Herstellung der Chancengleichheit Behinderter. Die Mahnung von Gustav Heinemann ist bei Ihnen überhaupt nicht mehr präsent. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung stimmt - ausweislich der Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates - mit der Bundesratsmehrheit darin überein, daß die bisherige Praxis ein Bedürfnis nach Überprüfung ergangener Feststellungsbescheide gezeigt habe. Wie es konkret weitergehen soll, ist für mich noch unklar. ({23}) Die Bundesregierung hat sich vorbehalten, im weiteren parlamentarischen Verfahren, das mit dieser ersten Lesung ja erst eröffnet wird, weitere Vorschläge einzubringen, wie die Überprüfung tatsächlich aussehen soll. Wir alle zusammen haben erneut Anlaß, die Bundesregierung - und Sie, Herr Bundesarbeitsminister, sind ja da ({24}) darauf aufmerksam zu machen, daß sie nach Zuleitung des Gesetzentwurfs an den Deutschen Bundestag nun wirklich nicht mehr Herr des Verfahrens ist. Was aus dem Gesetzentwurf der Bundesregierung jetzt wird, ist allein Sache des Parlaments. Auch die Bundestagsmehrheit, auch Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, sollten sich von dieser Bundesregierung nicht länger ins Handwerk pfuschen lassen. ({25}) Zur Sache: ({26}) Die Überprüfung alter Bescheide ist nichts anderes als gigantischer Bürokratismus. Damit will man die Behinderten abschrecken, ({27}) ihre Widerspruchsrechte tatsächlich wahrzunehmen. ({28}) - Das empfehle ich Ihnen. - Alle Experten in diesem Haus, in den Verbänden und sonstwo wissen, daß die Zahl der Behinderten durch die Überprüfung alter Bescheide nicht künstlich verkleinert werden kann. ({29}) Auch die Bundesregierung kennt die einschlägigen Untersuchungen, die klar ergeben haben, daß auch die Feststellungsbescheide ohne gesonderte ärztliche Untersuchungen nicht zu anderen Ergebnisen geführt haben. Denn: Die Zahl der ungerechtfertigten Ablehnungen hat sich mit der Zahl ungerechtfertigter Zuerkennungen der Schwerbehinderteneigenschaft in etwa die Waage gehalten. ({30}) Wir sind also in der Lage - das wissen Sie auch, Herr Dr. George; da sollten Sie sich wirklich einmal ernsthaft prüfen -, weitverbreitete Vorurteile konkret zu widerlegen. Trotzdem ist sich die Bundesregierung nicht zu schade, alte Fälle neu aufrollen zu lassen, um Abschreckungseffekte zu erzielen. Ich sage deutlich: Dies ist ein mieses Spiel mit dem Schicksal der Schwerbehinderten, und außerdem kostet dies mindestens eine halbe Milliarde DM. Wir meinen, daß man dieses Geld anderweitig in eine vernünftige, sinnvollere Schwerbehindertenpolitik stecken kann. ({31}) Lassen Sie mich deutlich sagen, meine Damen und Herren: Die Behinderten haben in der ersten Phase der Wendepolitik, die heute auch so großartig gelobt wurde, nichts als Opfer bringen müssen: Das Übergangsgeld wurde gekürzt, die Rentenanwartschaften von Behinderten in Werkstätten wurden zusammengestrichen. ({32}) - Wir werden darüber - verlassen Sie sich darauf, Herr Kollege Jagoda - zu beraten haben. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einige Ausführungen zur abschließenden Beratung der zweiten und dritten Lesung des Gesetzentwurfs der Koalitionsfraktionen mit dem irreführenden Titel „Erweiterung der unentgeltlichen Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr" machen, irreführend deshalb, weil es seit dem 1. April 1984 eine unentgeltliche Beförderung für die überwiegende Mehrheit der anerkannten Schwerbehinderten nicht mehr gibt. Mit der Einführung der völlig systemfremden Eigenbeteiligung hat die Koalition das Terrain der behindertenpolitischen Einigkeit verlassen, das 1979 bei der erstmaligen Verabschiedung des Gesetzes über die unentgeltliche Beförderung noch auszumachen war. ({33}) - Sie können sich ja melden, wenn Sie was zu sagen haben. Wir Sozialdemokraten haben dem Gesetzentwurf im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung grundsätzlich zugestimmt. Wir hatten dies so angekündigt und werden dem Gesetz auch heute in dritter Lesung zustimmen, weil wir einer Verbesserung der Situation Behinderter nicht im Wege stehen wollen, auch wenn es uns nicht weit genug geht. Nicht zuletzt bedeutet diese Vorlage ein kleines Stück Erleichterung von der Wendelast, die 1984 durch die brutale Rasenmähermethode, die sie zu verantworten haben, gerade den Behinderten auferlegt wurde. Die Erleichterung und die minimale Nachbesserung des Kahlschlags von 1984 können uns jedoch nicht den Blick dafür verstellen, daß Selbstbeteiligungselemente im Recht der Schwerbehinderten völliger Unfug sind. Sie gehören in die sozialpolitische Rumpelkammer des vorigen Jahrhunderts. ({34}) Deshalb werden wir auch hier in der zweiten Lesung erneut den Antrag auf Wegfall der sozialpolitisch völlig unsinnigen, bürokratiebehafteten und unökonomischen Selbstbeteiligung bei der unentgeltlichen Beförderung stellen. Die Eigenbeteiligung trifft nach wie vor diejenigen Behinderten am stärksten, die am meisten auf den Ausgleich ihrer behinderungsbedingten Benachteiligung durch die Gesellschaft angewiesen sind. Ein Wegfall der Eigenbeteiligung könnte wesentlich dazu beitragen, die Verunsicherung der Behinderten über ihre Rechte wieder zu beseitigen und eine solide Grundlage für eine sach- und zeitgerechte Weiterentwicklung des Schwerbehindertenrechts zu schaffen, wie wir sie in unserem hier vorliegenden Gesetzentwurf vorschlagen. Es ist einigermaßen unfaßbar, daß es heute immer noch eine Selbstbeteiligung der Behinderten für ihre sogenannte Freifahrt im öffentlichen Personenverkehr gibt, nachdem Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, seit Inkrafttreten dieses sozialpolitisch groben Unfugs an anderen Stellen das Geld mit vollen Händen zum Fenster hinauswerfen. ({35}) Es ist schon oft genug auf die Vermögensteuersenkung, die Neusubventionierung der Großbauern oder die Frühpensionierung von 1 200 Bundeswehroffizieren hingewiesen worden. ({36}) Hierfür haben die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen Milliardenbeträge zur Verfügung, und das muß man hier auch mal in einen Zusammenhang stellen. Ich sage Ihnen deutlich: Wir werden Sie da nicht aus der Verantwortung lassen. Meine Damen und Herren, helfen Sie mit, dieses Bild zu korrigieren, indem Sie unserem Änderungsantrag zustimmen! ({37})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung. ({0})

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eine dogmatische Sozialpolitik weiß nicht nur alles, sondern sie weiß alles besser. Eine lebensnahe Sozialpolitik ist entwicklungsfähig. Deshalb muß sich eine lebensnahe Sozialpolitik immer wieder überprüfen. Wir treten hier gar nicht mit dem Anspruch auf, Jahrhundertgesetze zu verabschieden; die Jahrhundertgesetze der letzten 13 Jahre waren alle sehr kurzatmig. Wir überprüfen das, was Praxis ist, und nicht alles, was gut gemeint war, hat auch gut gewirkt, und nicht alles, was gestern gut war, muß auch heute noch gut sein. Sozialpolitik hat auch veränderten Umständen Rechnung zu tragen. In Zeiten knapper Arbeitsplätze kann Schutz auch als Sperre wirken. Ich finde, die größte Sorge und die größte Aufgabe für die Behinderten ist es, den Behinderten Arbeit zu schaffen. Wir stimmen doch völlig überein, daß jeder der 135 000 Schwerbehinderten, der keine Arbeit hat, in unserer Sorge stehen muß, daß wir hinter ihm stehen müssen, daß wir ihm helfen müssen. Das kann zwischen den Parteien nicht streitig sein. Es geht hier nicht darum, daß die einen für die Behinderten und die anderen dagegen sind. Wir können uns nur streiten, welcher Weg der beste ist. ({0}) Ich denke, daß es auch ein weit verbreitetes Vorurteil ist, das wir gemeinsam bekämpfen sollten, daß Behindertsein bedeuten würde, in jedem Fall weniger leisten zu können oder gar weniger leisten zu wollen. Das ist ein Mißverständnis. Ich kenne blinde Mitbürger, die mehr leisten als ein Nachbar am Arbeitsplatz, der nicht behindert ist. ({1}) Wir sollten diesen Behindertenbegriff überprüfen, ob nicht in manchem, was sich als Mitleid ausgibt, nichts anderes als eine versteckte Abwertung enthalten ist. Ich denke, keine noch so hohe Unterstützung kann das Recht jedes Menschen, auch des behinderten Menschen, ersetzen, mit seiner Hände Arbeit, mit seines Kopfes Arbeit sich seinen und der Seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Deshalb sollte jedem im Rahmen seiner Möglichkeiten der Zugang zur Arbeit eröffnet werden. Könnte es nicht sein, daß in dem Begriff Minderung der Erwerbsfähigkeit ein Mißverständnis geradezu angelegt ist, nämlich, als sei der Behinderte entsprechend den Prozentsätzen auch leistungsgemindert? Ich denke, daß „Grad der Behinderung" leichter dieses Mißverständnis ausschließt. Das ist nicht allein ein Wortspiel, sondern es ist ein Beitrag für eine neue Partnerschaft mit den Behinderten. Ich will noch einmal klarstellen, ich wünsche mir keine Wirtschaft, die nur Platz hat für die Jungen, Gesunden, Ausgebildeten, eine unbarmherzige Hochleistungsgesellschaft, sondern ich sage noch einmal: ich will Arbeit für jeden. Deshalb geht mein Appell heute auch an die Arbeitgeber, an die Arbeitsverwaltung, an die Betriebsräte, auch in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit bei der Einstellung nicht die Behinderten als Letzte in der Schlange stehen zu lassen. Soziale Marktwirtschaft, die das Wort sozial zu Recht in Anspruch nimmt, muß sich gerade der Verantwortung gegenüber den Schwächeren bewußt sein. Da brauchen wir nicht immer Gesetz, Überwachung; da müssen wir auch an Einsicht und Verantwortung appellieren. Bleiben wir doch auch bei dem, was wir vorschlagen. Sie haben attackiert, daß wir Lehrlinge bei der Zahl der Arbeitnehmer, die für die Pflichtquote maßgebend ist, nicht mehr mitzählen. Ich hole meine Weisheit nicht aus Lehrbüchern, aber die Erfahrung zeigt, daß gerade mancher kleine Handwerksmeister sagt: wenn ich einen Lehrling mehr einstelle, muß ich auch gleich einen Schwerbehinderten mehr einstellen. Ich würde mir wünschen, daß er beide einstellen würde. Nur, es passiert doch häufig, daß er weder Lehrling noch Schwerbehinderten einstellt, wenn er vor diese Alternative gestellt wird. Wir dürfen doch nicht eine Hilfsbedürftigengruppe gegen die anderen ausspielen. Deshalb laßt uns die Lehrlinge nicht mitzählen, damit die Schwerbehinderten bei der Einstellung auch eine größere Chance erhalten. ({2}) Ich denke, in diese Balance gehört auch, daß der behinderte Lehrling, der eingestellt wird, doppelt für die Pflichtplätze gezählt wird. Auch das ist unsere beste Behindertenpolitik, ihnen Ausbildung zu verschaffen, und auch hier den Anreiz zu erhöhen, die Chance des jungen Behinderten auf Ausbildung zu verbessern. Ich kann nicht sehen, was daran behindertenfeindlich ist. Es ist eine Politik aus der Praxis. Wir wollen die Ausgleichsabgabe erhöhen. Herr Kollege Kirschner, Sie haben gleich 400 DM vorgeschlagen. Warum sind Sie denn in Ihrer Regierungszeit auf 100 DM sitzengeblieben. Die „Nachhilfe-Lehrer", die ihre eigenen Hausaufgaben nicht erfüllt haben, sollen sich nicht bei mir melden und uns Vorschriften machen. Ihr seid auf den 100 DM sitzengeblieben. Wir erhöhen die Ausgleichsabgabe. Ich wünsche mir auch, daß dieses Geld dazu verwandt wird, Behindertenarbeitsplätze zu fördern. Ich füge noch einmal hinzu, kein Geld macht die Anstrengung wett, Behinderte einzustellen. So leicht soll kein Unternehmer in Ausgleichsabgabe flüchten. Wir wollen das Geld auch nutzen, um behindertengerechte Arbeitsplätze zu schaffen. Kündigungsschutz! Ich will alle Vorwürfe aufnehmen. Natürlich soll der besondere Kündigungsschutz für die Behinderten aufrechterhalten werden. Natürlich brauchen sie einen besonderen Schutz. Ich warne davor, und zwar wiederum nur aus unserer Erfahrung, diesen besonderen Kündigungsschutz zu früh einsetzen zu lassen. Es könnte nämlich das Gegenteil von dem erreicht werden, was sicherlich mit gutem Willen gemeint war. Es könnte sein, daß ein Unternehmen nicht einstellt, weil er nicht weiß, ob der Behinderte einer Dauerbelastung gewachsen ist. Es könnte sein, daß sozusagen Berührungsängste geradezu erweitert werden. Was wir vorschlagen, sind alles Vorschläge, geboren aus der Praxis und aus Erfahrung, Brücken, Zugbrücken herunterzulassen vor dieser Festung Erwerbsgesellschaft, die Wiedereingliederung zu ermöglichen. Ich stehe auch zu dem Vorhaben, den Behindertenbegriff präziser zu fassen, den Begriff treffsicherer zu definieren, ihn gegen Ausuferung zu schützen. Wenn ich dafür bin, dann um der Behinderten willen. Je größer die Zahl derjenigen wird, die sich in den Besitz eines Behindertenausweises setzen können, um so mehr erhalten die Behinderten Konkurrenten um die wenigen Arbeitsplätze. Eine Politik, diesen Behindertenbegriff in Schach und Proportionen zu halten, ist eine Politik für die Behinderten. Denn wenn dieser Begriff ausufert, wenn sich zehn um einen Arbeitsplatz bewerben, wird der am leichtesten Behinderte genommen und die Rollstuhlfahrer bleiben auf der Strecke. Nein, wir wollen den Begriff gerade präzisieren, damit unsere Hilfe konzentriert sein kann. Auch beim Anerkennungsverfahren haben Sie, Herr Kollege Kirschner, hier wieder einmal die bewährte sozialdemokratische Methode bevorzugt: Sie stellen sich erst einmal eine Vogelscheuche hin, und dann sagen Sie, das sei Blüm, weil Sie mich dann besser als Abschreckungsgespenst benutzen können. Sie haben doch eine Phantomdiskussion geführt! Kein Mensch will alle Behinderten durch eine Überprüfungsbürokratie schleppen. Wir haben nur vorgesehen - was im übrigen auch schon die heutige Rechtslage hergibt -, daß bei begründetem Zweifel in der Tat neu überprüft werden kann. Dieser Zweifel ist eben auch in jenen Zeiten gewachsen, in der bei einem großen Ansturm auf Schwerbehindertenausweise mancher Ausweis auch ohne ärztliche Untersuchung ausgestellt wurde. Ich füge noch einmal hinzu: Dies ist keine Kollektivverdächtigung aller Behinderten. Niemand braucht Angst davor zu haben, wir wollten große Bürokratien in Gang setzen, mit Sicherheit nicht! Ich bleibe dabei, daß wir einen Behindertenbegriff brauchen, der gegen Mißbrauch gefeit ist. Klargestellt werden sollte noch einmal: Eine Behinderung kann sich nicht aus der Summe vieler kleiner Nachteile ergeben, weil sich sonst fast jeder eine solche Summe zusammensetzen kann. Auch füge ich hinzu, daß Alter für mich keine Behinderung ist. Was für ein Menschenbild ist das eigentlich, für das Alter eine Behinderung ist? Merken Sie nicht, daß wir dabei einen Einheitstyp zum Maßstab nehmen, indem wir jeden, der im Alter nicht mehr so vital ist, zum Behinderten erklären? Haben wir denn eine Gesellschaft, die sozusagen am Hochleistungssportler Maß nimmt und alle anderen zu Behinderten erklärt? Ich sehe darin eine große Menschenverachtung. Jedes Lebensalter hat seine Chance und hat seine Belastung. Sicherlich hat das Alter andere körperliche Beschwerden als die Jugend. Lassen Sie uns doch der Welt nicht so einen Einheitstyp als Maßstab vor Augen stellen, der mit Sicherheit unserem natürlichen Lebensablauf nicht entspricht und der uns geradezu zu einer Maskerade der Jugendlichkeit zwingt, zu einer Maskerade der Jugendlichkeit, die Entwicklungen im Leben verdrängt! Wir wollen jene unterstützen, die sich für die Behinderten einsetzen. Herr Kirschner, mit Ihnen bin ich der Meinung: Die Arbeit des Schwerbehindertenvertrauensmanns sollte erleichtert werden, und der Vertrauensmann sollte - auch bei der Besetzung von Arbeitsplätzen - mehr Rechte erhalten. Ich denke, daß wir hier im Parlament auch Gelegenheit nehmen sollten, jenen, die tagtäglich in den Betrieben, in den Heimen, in den Familien ihren Dienst tun, unseren Dank zu sagen. ({3}) Dank sagen möchte ich auch den Schwerbehinderten-Vertrauensmännern- und -frauen und den vielen tausend Mitarbeitern in den Verbänden, beim VdK, beim Reichsbund usw. Da gibt es ein großes Potential ehrenamtlicher sozialer Tätigkeiten. Ein Sozialstaat, der nur auf Profis Wert legt, wäre ja nicht nur sehr kostspielig, sondern auch sehr unmenschlich. Ich denke, daß die Gelegenheit dieser Debatte auch dazu genutzt werden sollte, dem Engagement für die Schwächeren in unserer Gesellschaft unsere Anerkennung zu zollen. Nicht nur die Gesellschaft gibt den Behinderten etwas. Wir sollten von dem hohen Roß herunter, anzunehmen, hier würden die einen Wohltaten verteilen und die anderen nur erhalten. Es wäre eine sehr unbarmherzige Gesellschaft, die nicht herausgefordert wäre, auch Rücksicht zu nehmen. Insofern gibt die Gesellschaft der Unbehinderten nicht nur den Behinderten etwas, sondern die Behinderten sind auch Teil unserer Gesellschaft, einer Gesellschaft, die Sensibilität und Solidarität braucht. ({4})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Wagner.

Marita Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002410, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Novellierung des Schwerbehindertengesetzes nach den Vorstellungen der Bundesregierung schreibt die Ausgrenzung und Ausgliederung Schwerbehinderter fest und verstärkt diesen Prozeß auch noch. ({0}) Mit viel reformerischem Elan wurde das Gesetz 1974 geschaffen - mit dem Ziel, nicht nur Kriegsbeschädigte und Unfallopfer, sondern alle Behinderten unabhängig von der Ursache ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigung einzubeziehen. Lediglich der Grad der Erwerbsminderung, nämlich 50%, sollte entscheidend sein. Bei Gefährdung des Arbeitsplatzes oder besonderen Schwierigkeiten bei der Erlangung eines Arbeitsplatzes sollte dieser Schutz des Gesetzes schon bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30% gelten. Diese Reform führte zu einer nicht erwarteten Zahl von Anerkennungen. Dadurch wurde schon bald Kritik unter dem widerlichen Slogan laut: „Wir werden bald ein Volk von Behinderten sein." Dieser polemischen, die ohnehin schon vielfältig benachteiligten Behinderten auch noch verhöhnende Darstellung folgte eine Kampagne gegen einen angeblichen Mißbrauch bei der Feststellung der Behinderteneigenschaft, die maßgeblich von CDU-Politikern geschürt wurde, allen voran der jetzige Finanzminister Stoltenberg, aber auch der Behindertenbeauftragte Regenspurger, der wohl seine Qualifikation für sein jetziges Amt nachwies. Anstatt über den Gesundheitszustand der Bevölkerung beunruhigt zu sein, wurde Mißbrauch unterstellt und damit die Überprüfung der Bescheide gefordert. ({1}) Dabei geht es nicht um die auch nach dem Sozialgesetzbuch mögliche Berichtigung fehlerhafter Verwaltungsentscheidungen, sondern um das Interesse, mit einer neuen schärferen Untersuchungspraxis möglichst viele aus dem Kreis der unter das Gesetz Fallenden auszugrenzen. Nicht Fehlerberichtigung, sondern strengere Auslese ist das Ziel. Der Auftraggeber der Regierungsparteien ist zwischen den Zeilen allzu deutlich zu erkennen: ({2}) die Industrie, die ungehindert aus ihrem Personal quasi „olympiareife Mannschaften" selektieren will. Dabei ist ihr das Zustimmungsverfahren über die Hauptfürsorgestellen ein Dorn im Auge. Daher auch die Verlängerung der zustimmungsfreien Kündigungsmöglichkeiten bei Neueinstellungen über die tarifliche Probezeit hinaus auf obligatorische sechs Monate. Hier wird zuungunsten Behinderter ein Sonderrecht geschaffen. Der neue § 2 a des Gesetzentwurfes stellt eine eklatante Verschlechterung dar. Hier heißt es: Behinderung ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung, die auf einem körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruht, der von dem für das jeweilige Lebensalter typischen Zustand abweicht. Abgesehen davon, daß schwer zu bestimmen sein dürfte, was denn als typisch für das jeweilige Lebensalter zu gelten hat - ist denn z. B. der seelische oder geistige Zustand von Herrn Strauß typisch für einen 70jährigen? -, wird hier erstmalig eine gesetzliche Definition von Behinderung geliefert, und zwar eine ausgesprochen enge Definition, ({3}) die sich ausschließlich auf etwas scheinbar objektiv medizinisch Feststellbares bezieht. Behinderung wird durch diesen § 2 a zu einem Privatproblem. Wer behindert ist, ist zwar nicht selber schuld, er oder sie ist aber doch ein untypischer Mensch, weicht von der Norm ab, steht bzw. sitzt außerhalb der Gemeinschaft. ({4}) Behinderung bloß als Auswirkung einer Funktionsbeeinträchtigung zu sehen, wird erhebliche Konsequenzen für Rechtsgebiete haben, bei denen es um die soziale und gesellschaftliche Integration Behinderter geht. ({5}) Das Schwerbehindertengesetz hat zum Ziel, die Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft sicherzustellen. Angesichts über 130 000 arbeitsloser Schwerbehinderter, doppelt so hoher Dauerarbeitslosigkeit wie bei Nichtbehinderten, höherer durchschnittlicher Dauer der Arbeitslosigkeit, einer beruflichen Mobilität nach unten bei den häufigeren Arbeitsplatzwechseln als bei Nichtbehinderten und einer wesentlich geringeren Vermittlungshäufigkeit kann dieses Ziel nur als verfehlt bezeichnet werden. Wie drastisch sich die Entwicklung von 1975 bis 1980 verschlechtert hat, wurde z. B. vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung festgestellt. Der Arbeitslosigkeits-Repräsentationsindex - so heißt das - für 1975 hatte noch den Wert von 1,02. Das heißt: Behinderte waren von der Arbeitslosigkeit in gleichem Umfange betroffen wie Nichtbehinderte. Der Anteil der arbeitslosen Schwerbehinderten an der Gesamtzahl der Arbeitslosen im Verhältnis zu dem Anteil der beschäftigten Schwerbehinderten an der Gesamtzahl der Beschäftigten stieg bereits 1979 auf über 2,2. Das bedeutet, daß Schwerbehinderte mehr als doppelt so stark von Arbeitslosigkeit betroffen sind wie Nichtbehinderte. Das Gesetz konnte also nicht entsprechend seinem Auftrag die Eingliederung Schwerbehinderter sicherstellen. Welches sind die Defizite, die das Gesetz daran hindern, den Auftrag zu erfüllen? Wie muß es verbessert werden? Und wie reagiert die Bundesregierung mit ihrem Entwurf darauf? ({6}) Die Eingliederung Schwerbehinderter soll durch die gesetzliche Beschäftigungspflicht sichergestellt werden. 1982 hatten nur 31 000 Arbeitgeber ihre Beschäftigungspflicht erfüllt. Das ist knapp ein Viertel der Arbeitgeber. 126 000, also ca. drei Viertel, verstoßen gegen die gesetzliche Vorschrift des § 4 des Schwerbehindertengesetzes. Abgesehen davon, daß bei einem Anteil Behinderter an der Gesamtbevölkerung von ca. 10 % eine wesentlich höhere Pflichtquote nötig wäre - nämlich 10 statt bisher 6 % mit der Möglichkeit, diesen Prozentsatz auf 12 zu erhöhen bzw. auf 8 zu senken -, muß die Einhaltung dieser Verpflichtung auch sichergestellt werden. Es ist ein Skandal, daß dieser offensichtliche Gesetzesbruch ohne Widerspruch hingenommen und sogar noch mit dem Wort vom Freikauf scheinbar legitimiert wird. Wir fordern, daß in § 65 Schwerbehindertengesetz nicht nur ein Ordnungswidrigkeitenverfahren mit lächerlichen Bußgeldern vorgesehen wird, sondern daß die Verletzung der Beschäftigungspflicht durch ein praktikables Bußgeldverfahren mit drastischen Strafen geahndet wird. ({7}) Das Arbeitsamt hat bisher nicht ein Bußgeldverfahren erfolgreich durchgeführt. Es ist durch seine interessenmäßige Ausrichtung auf Arbeitgeberinteressen auch nicht die richtige Aufsichtsbehörde. Die Verstöße müßten von der Gewerbeaufsicht geahndet werden. Es ist uns klar, daß primär nicht Strafsanktionen, sondern das wirtschaftliche Interesse an der Beschäftigung Schwerbehinderter den Eingliederungswillen der Arbeitgeber befördern könnte. Daher muß dem eindeutigen Gesetzeswillen dadurch Ausdruck verliehen werden, daß die Beschäftigung Schwerbehinderter die Arbeitgeber genauso teuer kommt wie deren Beschäftigung, ({8}) allerdings mit dem Unterschied, daß der Arbeitgeber im Falle der Beschäftigung noch die Arbeitserträge schwerbehinderter Arbeitnehmer zusätzlich zur Verfügung hat. Die vorgesehene Erhöhung der Ausgleichsabgabe von 100 auf 150 DM stellt nicht einmal den Inflationsausgleich seit 1974 her. ({9}) Hinzu kommt, daß die Bundesregierung durch einen üblen Rechentrick - durch Nichtberücksichtigung der Ausbildungsplätze bei der Berechnung der Beschäftigungspflicht und gleichzeitiger Doppelanrechnung - 70 000 Pflichtplätze wegstreichen will. Wir stellen unsere bewußt provokante Forderung von einem Durchschnittsgehalt gegen die ausnahmslos zu niedrigen Forderungen der Behindertenverbände und Gewerkschaften. Die Höhe des Durchschnittsgehalts ist nicht nur wegen des absoluten Vorrangs der Beschäftigungspflicht gegenüber der Zahlung der Ausgleichsabgabe gerechtfertigt. Sie berücksichtigt die unterschiedlichen betrieblichen Lohnsummen ebenso wie die Dynamisierung, die auch vom DGB durch den Bezug zur Beitragsbemessungsgrenze gefordert wird. Mit dieser von uns geforderten drastischen Erhöhung der Ausgleichsabgabe würde nicht nur das Interesse an der Beschäftigung Schwerbehinderter erhöht, sondern es stünden ausreichend Mittel zur Finanzierung tariflicher Entgelte in den Werkstätten für Behinderte und für andere Lebens- und Arbeitsformen zur Verfügung. Ich finde es beschämend, daß trotz der Erfahrung, daß immer Behinderte - insbesondere psychisch und geistig Behinderte - ausgegrenzt werden, die Möglichkeit der Anrechnung von Aufträgen an Werkstätten für Behinderte auf die Ausgleichsabgabe weiter zugelassen wird. Mit dieser Anrechnung wird es den Arbeitgebern noch ermöglicht, ihr gesetzeswidriges Verhalten mit dem Mantel der Wohltätigkeit zu bedecken. Durch die Auslagerung der Arbeitsprozesse hat der Arbeitgeber also nicht nur den Vorteil niedriger Werkstattlöhne - nämlich ca. 1 DM bis 2 DM pro Stunde -, sondern er verlagert das unternehmerische Risiko auch in den Werkstattbereich. Dieses Risiko wird dann nicht etwa von den Betreibern der Werkstätten getragen, nein, von den behinderten Mitarbeitern, deren taschengeldartige Entlohnung auch noch von den Erträgen der Werkstatt abhängt. ({10}) Ein Steigerungsbetrag auf die Grundentlohnung ist nur bei entsprechendem wirtschaftlichen Erfolg zu zahlen. Perfider kann Ausgrenzung nicht organisiert werden. Hinzu kommt, daß behinderten Werkstattmitarbeitern keinerlei Arbeitnehmerrechte zugebilligt werden. ({11}) Strafgefangene sind hinsichtlich Entlohnung und Rechtsstellung bessergestellt. Warum nun dieser Exkurs in die Situation der Werkstatt für Behinderte? Nur wer begreift, wie hier unter diskriminierenden Bedingungen ein Sonderarbeitsmarkt für Behinderte konstruiert wird, kann ermessen, warum die Bundesregierung die beschäftigungspflichtigen Arbeitsplätze reduziert, den Kündigungsschutz zusammen mit dem Bundesarbeitsgericht durch den Wegfall der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs verschlechtert, den Verstoß gegen die Beschäftigungspflicht sanktionslos geschehen läßt, die Ausgleichsabgabe nicht einmal an die Inflation anpaßt und die Stellung der Vertrauensleute der Schwerbehinderten und ihrer Stellvertreter relativ schwach beläßt. Die Zeit der ernsthaft gewollten Integration Schwerbehinderter in die Gesellschaft ist vorbei! Entgegen allen Proklamationen, insbesondere im „Jahr der Behinderten", sollen sie aus dem gesellschaftlichen Leben ausgegrenzt werden und bleiben. Eine solche Politik gegen die berechtigten Interessen der Behinderten werden wir als Fraktion der GRÜNEN bekämpfen. ({12}) Wir sind uns da sicher, daß wir mit unseren Forderungen nach gründlicher Überarbeitung des Schwerbehindertengesetzes die Mehrheit behinderter Arbeitnehmer, Arbeitsloser, Gewerkschaftler und Mitglieder von Behindertenorganisationen hinter uns haben. Wenn von deren Vertretern eher vorsichtige und zaghafte Veränderungsvorschläge unterbreitet werden und eine Überarbeitung des Gesetzgebers auf ängstliche Zurückhaltung stößt, liegt das daran, daß dieser Bundesregierung alles Schlechter, aber nicht eine wirkliche Verbesserung der Wirksamkeit durch Reform des Gesetzes zugetraut wird. ({13}) Wir haben daher zusammen mit Behinderten Veränderungsvorschläge erarbeitet, die wir dann in den gesellschaftlichen Diskussionsprozeß einbringen werden, wenn sie auch eine Chance auf Verwirklichung haben. Das gegenwärtige soziale Klima ist gegen Behinderte gerichtet. Es erinnert viele an den sozialpolitischen Abbau, der in den 20er Jahren die Euthanasiedebatte einleitete. ({14}) Wir haben noch keine solche Situation. Aber ein Gesetzesentwurf, der im Kleide der Reform das Recht auf Eingliederung hintertreibt, ist ein Alarmsignal. ({15})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Louven.

Julius Louven (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001378, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben es in dieser Debatte mit drei Gesetzentwürfen zu tun: mit der weiteren Entwicklung des Schwerbehindertengesetzes - vorgelegt von der SPD-Fraktion -, mit dem ersten Gesetz zur Änderung des Schwerbehindertengesetzes - vorgelegt von der Bundesregierung - und mit der Erweiterung der unentgeltlichen Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr - vorgelegt von den Koalitionsfraktionen. Das Schwerbehindertengesetz ist seit gut zehn Jahren in Kraft. Es hat sich im wesentlichen bewährt. Dennoch bedarf es der Anpassung an die heutigen Gegebenheiten. Wissend darum, daß wegen der Fülle der Beratungsgegenstände das Schwerbehindertengesetz der Bundesregierung auf Drucksache 10/3138 so schnell nicht abschließend beraten werden konnte, haben wir - die Koalitionsfraktionen - einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt, der entstandene Härten im Zusammenhang mit der unentgeltlichen Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr beseitigen soll. ({0}) In diesem Gesetzentwurf haben wir auch Anregungen des Bundesrates aufgegriffen. Der Gesetzentwurf steht heute in zweiter und dritter Lesung zur Verabschiedung an. Im einzelnen ist vorgesehen: Erstens, Gehör- und Hilfslose sollen in den berechtigten Personenkreis einbezogen werden. Zweitens, es wird die Möglichkeit geschaffen, die Eigenbeteiligung von 120 DM jährlich in Teilbeträgen zu zahlen. Drittens, die begünstigte Beförderung Schwerbehinderter soll im Nahbereich auch wieder mit der Eisenbahn möglich sein. ({1}) In der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs hier im Deutschen Bundestag hat Herr Kollege von der Wiesche von der SPD zu unserem Gesetzentwurf drei wesentliche Kritikpunkte vorgetragen. Er forderte für die SPD, erstens, die Eigenbeteiligung von 120 DM abzuschaffen - Herr Kirschner hat dies soeben noch einmal wiederholt -, ({2}) zweitens die Einbeziehung der Heimbewohner in die Freifahrtregelung. Drittens hat er gemutmaßt, der Termin der Vorlage unseres Gesetzentwurfs orientiere sich am 12. Mai, also am Wahltermin in Nordrhein-Westfalen. ({3}) Zu diesen Forderungen darf ich folgendes feststellen, Herr Lutz: Die generelle Streichung der Eigenbeteiligung ist, da immer noch Konsolidierungsbedarf besteht, nicht finanzierbar. Es ist zwar, meine Damen und Herren von der SPD, Ihr gutes Recht, dies zu fordern; Sie sollten sich jedoch daran erinnern, daß die von Ihnen getragene Regierung im Bereich der Freifahrtregelung Änderungen zu Lasten der Behinderten ebenfalls plante. ({4}) In der Frage der Einbeziehung der Heimbewohner, die zur Deckung ihres Lebensunterhalts Sozialhilfe erhalten, konnte - und darüber sind wir sehr froh - dadurch Übereinstimmung erreicht werden, daß eine weitestgehend kostenneutrale Lösung zugunsten dieser Bürger erreicht wurde, was bedeutet, daß diese kostenlos alle öffentlichen Nahverkehrsmittel nutzen können. ({5}) Kostenneutral wurde diese Regelung dadurch, daß wir durch eine klarere Fassung bei der Rückzahlung unverbrauchter Wertmarken zu einer Verwaltungsvereinfachung und somit zu einer Kostenersparnis kommen konnten.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lutz?

Julius Louven (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001378, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ist gestatte keine Zwischenfragen. Im übrigen erlaube ich mir, darauf hinzuweisen, daß ich von Herrn Lutz gelernt habe, wie man darauf reagiert. Herr Lutz hat in einer sozialpolitischen Debatte, als ein Kollege von uns die Bitte um eine Zwischenfrage an ihn richtete, gesagt: „Ich erwarte eine dumme Frage, und deshalb lasse ich sie erst gar nicht zu." ({0}) Aus dem gleichen Grunde lasse auch ich keine Zwischenfrage zu. ({1}) Meine Damen und Herren, daß wir das heute abschließen können, beweist, daß unser Gesetzentwurf kein Schauantrag war. Ich möchte mich an dieser Stelle bei Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, dafür bedanken, daß wir diesen Gesetzentwurf zügig beraten konnten. Dadurch wurde sichergestellt, daß dieses Gesetz, wenn wir es nachher beschließen, am 1. Oktober in Kraft treten kann. Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Eingliederung benachteiligter Bürger in die Gesellschaft ist eine soziale Aufgabe höchsten Ranges. Hilfe für die behinderten Mitbürger ist ein wichtiger Maßstab für die Sozialpolitik. Daß wir trotz leerer Kassen, die Sie uns, meine Damen und Herren von der SPD, hinterlassen haben, mit diesem Gesetz Behinderten wieder helfen können, freut uns ganz besonders. Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Schwerbehindertengesetzes soll nun das seit 10 Jahren geltende Gesetz der veränderten Wirklichkeit angepaßt werden. Um es vorweg zu sagen: Dieses Gesetz ist kein Spargesetz. Wir wollen mit diesem Gesetz unseren Behinderten helfen. ({2}) Da wir, meine Damen und Herren von der SPD, Ihre Argumentation im sozialen Bereich kennen, möchte ich vorsorglich sehr deutlich zum Ausdruck bringen: Dies ist auch kein Gesetz, welches Arme ärmer und Reiche reicher macht. ({3}) In einigen Punkten stimmt dieser Gesetzentwurf mit der Zielsetzung Ihres Gesetzentwurfs, meine Damen und Herren von der SPD, überein.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie dann eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Glombig?

Julius Louven (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001378, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich gestatte keine Zwischenfrage, Herr Präsident.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Gar keine! Das gilt also grundsätzlich. ({0})

Julius Louven (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001378, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

In wesentlichen Problempunkten stellt Ihr Gesetzentwurf jedoch darauf ab, politisch wirkungsvolle Verbesserungen zu erzielen, ohne den Schwierigkeiten Rechnung zu tragen, die sich bei der Durchführung des Schwerbehindertengesetzes ergeben haben. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung hat das wichtige Ziel, die Einstellungs- und Beschäftigungschancen der Schwerbehinderten zu erhöhen. Diesem Vorhaben kommt im Rahmen der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit angesichts der überdurchschnittlich hohen Zahl arbeitsloser Schwerbehinderter besondere Bedeutung zu. Als wichtigste Punkte dieses Gesetzentwurfes möchte ich nennen: die Erhöhung der Ausgleichsabgabe von 100 auf 150 DM, die verstärkte Förderung der Einstellung und Beschäftigung Schwerbehinderter, verstärkte Hilfen für schwerbehinderte Auszubildende, die Beseitigung ausbildungs- und beschäftigungshemmender Vorschriften. Kein Schwerbehinderter hat etwas davon, wenn ihm durch ein Gesetz eine Fülle zusätzlicher Rechte eröffnet werden, er aber keine Arbeit findet, weil Arbeitgeber der besonderen Kostenbelastung bei der Einstellung eines Schwerbehinderten ausweichen. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht hier Lösungen vor, die einerseits die besonderen sozialen Schutzrechte der Schwerbehinderten im Arbeitsleben erhalten, andererseits aber einstellungshemmende Auswirkungen vermindern. Das Aufkommen aus der erhöhten Ausgleichsabgabe wird der Arbeits- und Berufsförderung von Schwerbehinderten zugute kommen. Diese Aufgabe wird künftig vorrangig Sache der Bundesanstalt für Arbeit sein. Sie erhält die hierfür erforderlichen Mittel aus der Ausgleichsabgabe. Dies macht allerdings eine Neuverteilung dieser Abgabe unvermeidlich. Der Ausgleichsfonds, aus dem die Bundesanstalt die nötigen Mittel erhält, soll 50 % betragen. Den gleichen Anteil werden die Hauptfürsorgestellen der Länder bekommen. Bei der Berechnung der Mindestzahl von 16 Arbeitsplätzen sollen die Ausbildungsplätze nicht mehr mitzählen. Dadurch wird die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe erhöht. Umgekehrt wird ein schwerbehinderter Auszubildender regelmäßig auf zwei Pflichtplätze angerechnet werden. Dies erhöht wiederum den Anreiz, schwerbehinderten Jugendlichen eine Ausbildungschance zu geben. ({0}) - Doch, daran glauben wir, Herr Glombig. ({1}) Im Zusammenhang mit den Bemühungen um Beschäftigungsförderung halten wir den Übergang vom Begriff „Minderung der Erwerbsfähigkeit" zum „Grad der Behinderung" für richtig und notwendig; der Minister hierauf ist schon ausführlich eingegangen. Die Novellierung dieses Gesetzes ist notwendig. Dennoch muß ich hier für meine Fraktion erklären, daß es einige für uns äußerst sensible Punkte in diesem Gesetzentwurf gibt. ({2}) Während wir die Anrechnung von Kuren auf den Zusatzurlaub für gerechtfertigt halten, bewegt uns die Frage der Kürzung des Zusatzurlaubes, insbesondere jedoch die Frage der Überprüfung alter Feststellungsbescheide, die ohne ärztliche Untersuchung ergangen sind, wenn Zweifel an ihrer Richtigkeit gegeben sind. Was Sie, Herr Kollege Kirschner, in diesem Zusammenhang und aus diesem Gesetz herausgelesen haben, habe ich allerdings nirgendwo lesen können. ({3}) Wenngleich diese Möglichkeit der Überprüfung schon jetzt nach dem SGB besteht, möchte ich hier sehr deutlich zum Ausdruck bringen, daß es keinesfalls so sein wird, daß alle Bescheide zur Überprüfung anstehen. Diese käme ja in vielen Fällen einer Diskriminierung der Behinderten gleich. ({4}) Ich kündige schon heute an, daß wir zu diesem Gesetz ein Hearing beantragen werden, indem wir insbesondere die von mir genannten sensiblen Punkte ansprechen und abfragen werden. ({5}) Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, da die Zeit noch reicht, noch einmal kurz auf den Gesetzentwurf der SPD und die hierin erhobene Forderung eingehen, die Ausgleichsabgabe auf 400 DM zu erhöhen. ({6}) Dies ist, meine Damen und Herren von der SPD, mit uns nicht machbar. Die Ausgleichsabgabe darf nicht den Charakter einer Strafsteuer bekommen. Daß dies von führenden Vertretern Ihrer Partei genauso gesehen wird, macht ein Brief des Ministers für Arbeit und Soziales des Landes NordrheinWestfalen deutlich. Dieser schlug im August des Jahres 1982, also noch kurz vor der Regierungsneubildung, eine Erhöhung auf allenfalls 200 DM vor. Im übrigen bin ich mit dem Minister der Meinung, daß Sie Gelegenheit genug hatten, diesen Betrag zu erhöhen. Wir erhöhen ihn nun. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, Sie sollten sich auch in der Rolle der Opposition daran erinnern, was Sie noch kurz vor der Ablösung aus der Regierungsverantwortung als richtig angesehen haben. Unser Gesetzentwurf hilft den Behinderten und gibt den Arbeitgebern Anreize, Schwerbeschädigte zu beschäftigen. Dies ist allemal besser, als Unternehmer zu bestrafen und zu verunsichern. Herr Kirschner, Sie haben wie üblich in sozialpolitischen Debatten argumentiert. Sie haben Emotionen und Neidgefühle geweckt ({7}) und vergessen oder verdrängt, was Sie uns hinterlassen haben bzw. was Sie selbst unterlassen haben. ({8})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Cronenberg.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000342, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte eine Vorbemerkung machen. ({0}) - Meine verehrten Kollegen, ich möchte hier eine Vorbemerkung ernster Natur machen. Die Abgeordnete Frau Wagner hat hier soeben den Versuch unternommen, in bezug auf die Novellierung des Schwerbehindertengesetzes einen Zusammenhang zwischen der Euthanasie und den Bemühungen die10864 Cronenberg ({1}) ses Parlaments in der Angelegenheit der Novellierung des Schwerbehindertenrechts herzustellen. ({2}) Verehrte Kollegen von den GRÜNEN, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Ihre Kollegin veranlassen könnten, diese ungeheuerliche Bemerkung zurückzunehmen. ({3}) Zur Sache. Ziel liberaler Behindertenpolitik ist es, die Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit behinderter Mitbürger zu stärken und Bevormundungen abzubauen, um ihnen verbesserte Möglichkeiten - insbesondere im Arbeitsleben - zur eigenen Lebensgestaltung zu geben. Dazu hat das Schwerbehindertengesetz in der Vergangenheit - als der Kollege Kirschner dem Kollegen Glombig von dieser Stelle aus gedankt hat, habe ich dem selbstverständlich Beifall gezollt - durchaus einen sinnvollen Beitrag geleistet. ({4}) - Aber - genau - es hat sich auch gezeigt, daß sich ursprünglich sinnvolle und gut gemeinte Schutzgesetze letztlich als Hemmschuh für die zu Schützenden erweisen können, so auch das Schwerbehindertengesetz. Etwas weniger - insbesondere für diejenigen behinderten Mitbürger, die arbeitslos sind - kann mehr bedeuten. Aus diesem Grunde begrüßen wir den Gesetzentwurf, der liberalen Forderungen Rechnung trägt. ({5}) - Den Gesetzentwurf der Bundesregierung, der Koalition der Mitte, Kollege Kirschner. ({6})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Glombig? - Bitte schön, Herr Glombig.

Eugen Glombig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000690, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Cronenberg, wie kommen Sie darauf, und welche konkreten Beweise gibt es aus Ihrer Sicht dafür, durch den Abbau des Schutzes für Schwerbehinderte könnte mehr Schwerbehinderte eingestellt werden, als es im Augenblick der Fall ist?

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000342, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Kollege Glombig, ich werde später noch einmal darauf eingehen. Meine Kurzantwort lautet: weil diese Schutzrechte im Einstellungsverhalten von nicht wenigen Arbeitgebern - man mag das bedauern oder nicht - ihren Niederschlag finden. Das heißt: Der de facto totale Kündigungsschutz ist ein Einstellungshindernis. Ich meine, unsere Bemühungen, Gesetzesvorschriften, die die Beschäftigung von Behinderten verhindern, so zu verändern, daß diese Hindernisse wegfallen, wären es auch wert, von Ihnen unterstützt zu werden. Das Gesetz soll beschäftigungs- und ausbildungshemmende Vorschriften abbauen, ({0}) das Anerkennungsverfahren straffen und verbessern und - last but not least - die Einstellung von Schwerbehinderten fördern. Auch der SPD-Entwurf - das will ich gar nicht leugnen - verfolgt eine ähnliche Zielsetzung, doch wie so häufig bedient man sich mal wieder falscher Mittel. Die Ausgleichsabgabe soll auf 400 DM - warum eigentlich nicht 500 DM oder noch mehr? - erhöht werden, außerdem soll die Freistellung des Vertrauensmannes erfolgen. All das läuft unter dem Motto: Je teurer, desto besser. Zusätzliche Berichtspflichten sollen, wenn ich es richtig gelesen habe, eingeführt werden. Das läuft unter dem Motto: Je mehr Bürokratie, desto besser. Man dient damit nicht den Behinderten. Will man vielleicht wieder die Belastungsfähigkeit der Wirtschaft erproben?

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Sie gestatten eine Zwischenfrage des Abgeordneten Buschfort?

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000342, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Bitte schön.

Hermann Buschfort (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000315, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Cronenberg, darf ich im Zusammenhang mit der Höhe der Ausgleichsabgabe daran erinnern, daß unser Vorschlag gewesen ist, die steuerliche Absetzbarkeit der Ausgleichsabgabe aufzuheben? Da Sie dies nicht tun wollen, ist es doch logisch, den Betrag zu verändern. Sind Sie nicht auch der Auffassung?

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000342, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein. Kollege Buschfort, mit allem Freimut, Sie haben offensichtlich die Systematik der Kostenrechnung in den Betrieben und der steuerlichen Gesetzgebung nicht begriffen. Entweder das sind Kosten - dann ist das nicht steuerlich absetzbar, sondern dann sind das Kosten wie Lohn und Material, die also in keiner Relation zum Gewinn stehen -, oder es ist eine Sondersteuer - die man nicht abziehen kann. Das wäre - mit Verlaub - mit der Steuersystematik, die ja von Ihnen nicht bestritten wird, überhaupt nicht vereinbar. ({0}) - Herr Präsident, ich will mich, auch im Interesse einer lebhaften Debatte, wirklich nicht verweigern. Aber ich habe so ein paar Gedanken, die ich hier zum Schluß loswerden muß. - Herr Kollege Glombig.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Glombig, bitte schön.

Eugen Glombig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000690, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Cronenberg, wenn wir allgemein anerkennen, daß eine Ausgleichsabgabe von 100 DM der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung nicht mehr Rechnung trägt, aber auch eine von 100 auf 150 DM erhöhte ihr nicht Rechnung tragen kann, sondern ihr erst eine Erhöhung auf 200 DM Rechnung trägt, kann doch erst eine Ausgleichsabgabe von 400 DM diese Belastung des Arbeitgebers von 200 DM erreichen, weil 200 DM steuerlich absetzbar sind. Die wirkliche Belastung wären in diesem Fall für den Arbeitgeber 200 DM. Deswegen die 400 DM in dem Entwurf der SPD-Fraktion.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000342, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich muß das noch einmal deutlich machen: Die Ausgleichsabgabe ist doch nicht Spesen oder Gewerbesteuer, sondern ist nichts anderes als Kosten, zusätzlicher Lohn, sozusagen der für den nicht Eingestellten abzuführen ist. ({0}) - Ich muß das noch einmal sagen: Wenn Sie eine andere steuerliche Behandlung solcher Abgaben fordern, haben Sie die Systematik unseres Steuerrechts nicht begriffen. Es tut mir leid, daß ich das so hart formulieren muß. Mir scheint es in der Tat sinnvoller zu sein, statt Erhöhungen von Ausgleichsabgaben vorzunehmen und damit zusätzliche Kosten zu produzieren und zusätzliche Reglementierungen vorzunehmen, bestehende Hemmnisse abzubauen. Das hilft den Behinderten nach meiner Auffassung mehr. Deswegen begrüßen wir es nachdrücklich, daß finanzielle Anreize für Arbeitgeber, die Behinderte aus besonders betroffenen Gruppen einstellen, vorgesehen sind. Das ist notwendig und sinnvoll im Interesse der besonders schwer betroffenen Gruppen der geistig und seelisch Behinderten. Ebenso begrüßen wir, daß die sogenannten Schwerbehindertensonderprogramme als gesetzliche Dauereinrichtung bestehen bleiben sollen. Alle diejenigen, die ein wenig von unserer Wirtschaft kennen - leider sind das, wie wir gerade wieder gesehen haben, in diesem Parlament zu wenige -, ({1}) wissen auch, welche Negativwirkungen von gesetzlich vorgesehenen Schwellenwerten ausgehen können. Deswegen halten wir es in der augenblicklichen Ausbildungsplatzsituation für dringend notwendig, Auszubildende bei der Ermittlung der Pflichtquote nicht mitzuzählen. Wer wie wir bemüht ist, die Einstellung Schwerbehinderter zu erleichtern, auch dadurch, daß sie nicht bei der Ermittlung des Schwellenwertes berücksichtigt werden, sollte eigentlich viel Verständnis dafür aufbringen, daß in dieser schwierigen Situation die Chancen für Auszubildende nicht eingeschränkt werden. Hier sollen nicht einzelne Gruppen gegeneinander ausgespielt werden. Im Gegenteil, wir sollten die Nachteile für die Einstellung jugendlicher Auszubildender und Schwerbehinderter abbauen. Der Herr Präsident - - Aber ich gestatte dann freundlicherweise, Kollege Kirschner. ({2})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Entschuldigung! Ich muß Sie nur aufmerksam machen: Mehr als dreimal kann er Ihnen nun nicht Zeitrabatte gewähren. Herr Kirschner.

Klaus Kirschner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001102, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Cronenberg, gestehen Sie mir zu, daß durch die Nichtanrechnung der Ausbildungsplätze auf die Zahl der Schwerbehindertenpflichtplätze mit der Größe der Zahl der Ausbildungsplätze entsprechend die Betriebe begünstigt werden und daß das, was Sie immer sagen: Kleinbetrieben sollte man helfen, überhaupt nicht stimmt, wenn Sie mal dieses Beispiel nehmen: ein Großbetrieb, der 2 000 Ausbildungsplätze hat, wird damit von 120 Pflichtplätzen befreit? ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000342, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kirschner, entweder rechne ich nicht an, dann ist der Nachteil gegeben; oder ich tue es, wie wir vorschlagen; dann ist der Vorteil gegeben. ({0}) - Richtig! Natürlich. Nur, dieses Einzelbeispiel ist doch nicht auf sämtliche Unternehmen übertragbar! Das wissen Sie doch genausogut wie ich, Kollege Dreßler. ({1}) Deswegen ist es auch selbstverständlich richtig, daß schwerbehinderte Auszubildende doppelt berücksichtigt werden, wie wir sagen. Ebenso entspricht es einem alten liberalen Petiturn, grundsätzlich den schwerbehinderten Arbeitgeber anzurechnen. Es ist für mich nie einsehbar gewesen, daß der Generaldirektor und der Minister mitgezählt werden, aber der Selbständige dabei unberücksichtigt bleibt. ({2}) - Die Berücksichtigung des Selbständigen nicht! Nein! Allerdings werden die dabei vorgesehenen Verbesserungen von uns noch sorgfältig zu prüfen sein, weil die jetzt gesetzten Grenzen nach unserer Auffassung nicht ausreichend sind. ({3}) - Herr Kollege Buschfort, in dem jetzigen Vorschlag mit der Selbständigen-Regelung sind doch wiederum Grenzen, die uns nicht ausreichend erscheinen. Das geht mehr den nicht anwesenden Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung als Sie an. Ich gehe davon aus, daß es richtig ist, daß Behinderte und Nichtbehinderte möglichst gleichbehandelt werden. Deswegen ist es auch richtig, den besonderen, den verstärkten Kündigungsschutz für Schwerbehinderte erst zu einem Zeitpunkt einsetzen zu lassen, wo der Kündigungsschutz für alle Arbeitnehmer beginnt. Man mag das bedauern. Aber - ich habe es soeben schon einmal gesagt - es ist nun mal so, daß der zu früh einsetzende Kündigungsschutz manchen Arbeitgeber davon abhält, Behinderte, die j a gelegentlich längere Einarbeitungszeiten brau10866 Cronenberg ({4}) chen, einzustellen. Räumen wir den Behinderten die Chance ein, zu beweisen, daß sie mit ihren Leistungen den Nichtbehinderten in nichts nachstehen! ({5}) - Ja, es gibt schon viele Hunderttausende in den Betrieben, die dies beweisen. ({6}) Und damit die Möglichkeiten noch verbessert werden, diesen Beweis anzutreten, ({7}) müssen die Einstellungschancen verbessert werden und dürfen nicht verschlechtert werden. Es geht um den Abbau dieser Beschäftigungshemmnisse. ({8}) Der Gesetzentwurf enthält eine Stärkung der Stellung des Vertrauensmanns und seines Stellvertreters. Die einen sagen, es ist unzureichend. Die anderen sagen, das ist zu weitgehend. Ich nehme an, daß wir uns über diesen Punkt in den Ausschußberatungen noch ausführlich zu unterhalten haben. Kritik und auch Zustimmung hat die vorgesehene Straffung des Anerkennungsverfahrens gefunden. Wir halten es für unbedingt erforderlich, daß normale Alterserscheinungen und geringfügige Gesundheitsstörungen, die, wie der frühere Präsident der Kassenärztlichen Bundesvereinigung einmal ausgeführt hat, bei allen, die über 50 Jahre sind, auftreten - ich gehe davon aus, daß nicht ganz wenige davon hier im Saal sind; hoffentlich fühlt sich niemand auf die Füße getreten -, nicht mit dem Stempel der Schwerbehinderung ausgestattet werden. Bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfs zur Erweiterung der unentgeltlichen Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr hat meine Kollegin Frau Dr. Adam-Schwaetzer auch auf einen anderen, in meinen Augen kritischen Punkt hingewiesen, nämlich die Rechtssicherheit bei Anerkennungsbescheiden im Schwerbehindertengesetz. Hier hat es eine große Unruhe gegeben, die, wie ich merke, auch jetzt noch nicht abgebaut ist. Eine Überprüfung aller Anerkennungsbescheide, wie es der Gesetzentwurf vorsieht, die nicht auf einer vertrauensärztlichen Prüfung basieren, erscheint uns nicht sachgerecht. Mit allem Freimut: Ich halte die Überprüfung von solchen Anerkennungsbescheiden bei 55jährigen für unnützen Aufwand. Abgesehen von der fehlenden Kosten-Nutzen-Relation, auf die auch der Bundesrat, wenn ich das richtig sehe, schon hingewiesen hat, halte ich es für falsch, ältere Menschen in diesem Zusammenhang unnütz zu beunruhigen. Wir wollen, daß die Rechtssicherheit auch in diesem Bereich gewährleistet ist. Am Rande möchte ich noch auf ein Problem hinweisen, dessen Überprüfung mir im Rahmen der Neuordnung des Schwerbehindertengesetzes durchaus sinnvoll erscheint. Ich möchte, Herr Bundesarbeitsminister, einmal geprüft wissen, ob die im AFG angesiedelten Förderungsmaßnahmen für Schwerbehinderte nicht besser in diesen Gesetzentwurf aufgenommen werden. Ich weiß zwar, daß in Ihrem Hause gewisse Bedenken bestehen, könnte mir aber vorstellen, daß wir, wenn sich der Chef des Unternehmens der Frage selber annimmt, möglicherweise zu einem anderen Ergebnis kommen. Zum Schluß, meine Damen und Herren, möchte ich aus einem allgemeinen Schreiben vom 28. Juli 1781 zitieren, in dem Friedrich der Große eine Aufforderung an die Verwaltung richtet. Ich zitiere wörtlich: Ich befehle aber der Verwaltung, daß alle diejenigen Stellen, welche es auch sein mögen, mit Invaliden zu besetzen sind. Damit dieser Befehl pünktlich ausgeführt wird, also nicht andere Personen in diese Ämter eindringen, trage ich der obersten Verwaltungsbehörde auf, sorgfältig darüber zu wachen. Ich würde mich freuen, wenn unsere Bundesbehörden, Landesbehörden und andere Behörden so verfahren würden. Diese ernstgemeinte Mahnung richtet sich selbstverständlich nicht nur an die öffentlichen Hände, sondern auch an die Betriebe. Herzlichen Dank für Ihre Geduld. ({9})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort zu einer Erklärung nach § 30 unserer Geschäftsordnung hat Frau Abgeordnete Wagner.

Marita Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002410, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich muß offensichtlich doch etwas klarstellen, was bei einigen Kolleginnen und Kollegen falsch angekommen ist. Ich möchte darauf hinweisen, daß ich hier keinen direkten Vergleich zwischen der Politik der Bundesregierung - auch nicht, soweit es die Novellierung des Schwerbehindertengesetzes betrifft - und der Euthanasie angestellt habe. Das war nicht meine Intention, das habe ich auch nicht gemacht. Ich möchte den kritischen Satz, so wie ich ihn gesagt habe, kurz zitieren: „Es erinnert viele an den sozialpolitischen Abbau, der in den 20er Jahren die Euthanasiedebatte einleitete." Das ist eine geschichtliche Replik und hat mit dem jetzigen Gesetz nichts zu tun. Das möchte ich doch noch einmal dargestellt haben. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, Meinungen können nicht gerügt werden. Sie sind, auch wenn man sie natürlich kritisieren kann, frei. Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Gesetzentwürfe zu den Tagesordnungspunkten 6 a und 6 b Vizepräsident Westphal an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über Tagesordnungspunkt 6 c, den von den Abgeordneten Dr. George, Straßmeir, Lemmrich, weiteren Abgeordneten und von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Erweiterung der unentgeltlichen Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr auf Drucksache 10/3218. Ich rufe Art. 1 in der Ausschußfassung auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/3503 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Änderungsantrag abgelehnt. Wer Art. 1 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN in der Ausschußfassung angenommen. Ich rufe die Art. 2 bis 4, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit sind die aufgerufenen Vorschriften bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Das Gesetz ist bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Clemens, Gerstein, Maaß, Dr. George, Pohlmann, Keller, Dr. Faltlhauser, Berger, Seehofer, Kraus, Schulhoff, Biehle, Jäger ({0}), Eylmann, Dr. Kunz ({1}), Kolb, Louven, Rossmanith, Dr. Bugl, Schneider ({2}), Echternach, Pesch, Lintner, Seesing, Austermann, Schulze ({3}), Höffkes, Frau Rönsch, Magin, Dr.-Ing. Oldenstädt, Dr. Riedl ({4}), Müller ({5}), Lowack, Pfeffermann, Müller ({6}), Dr. Möller, Sauer ({7}), Glos und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Cronenberg ({8}), Frau Seiler-Albring, Frau Dr. Segall, Dr. Graf Lambsdorff, Dr. Haussmann, Beckmann, Dr. Feldmann, Wolfgramm ({9}) und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verstärkung der Minderheitenrechte in den Betrieben und Verwaltungen ({10}) - Drucksache 10/3384 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({11}) Innenausschuß Ausschuß für Wirtschaft Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. Ich sehe dazu keinen Widerspruch. - Dann ist das so beschlossen. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Müller ({12}).

Adolf Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001542, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die faire Behandlung von Minderheiten ist ein untrügliches Merkmal für die Qualität eines freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaats. ({0}) Aus guten Gründen hat unser Grundgesetz die Rechte und Interessen von Minderheiten unter seinen besonderen Schutz gestellt. Dieses fundamentale Werturteil des Grundgesetzes hat auch der Gesetzgeber bei seinen politischen Entscheidungen zu respektieren. ({1}) Demokratische Rechte von Minderheiten gelten nicht nur im politischen und gesellschaftlichen Raum, sie erfassen auch den gesamten Bereich des Arbeitslebens. Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und angemessene Teilhabe an allen demokratischen Einrichtungen unserer Staats- und Rechtsordnung darf nicht an den Werktoren und Betrieben enden. An diesem Ziel, dem Gütesiegel eines freiheitlichen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates, muß sich auch unser Arbeitsrecht ausrichten. Das gilt in besonderem Maße auch für das kollektive Arbeitsrecht. Im Lichte dieser Anforderungen ist das im Jahre 1972 umfassend novellierte Betriebsverfassungsgesetz, insgesamt betrachtet, ein wichtiger Schritt zur weiteren Demokratisierung des Arbeitslebens und zur verbesserten Teilhabe der Arbeitnehmer an den für sie existentiellen Entscheidungen. Es enthält eine wesentliche Verstärkung der kollektiven Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates in den sozialen, personellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten des Betriebs. Dieses positive Gesamturteil darf aber nicht den Blick dafür verstellen, daß das Gesetz in bestimmten Bereichen Mängel aufweist. Sie sind teilweise erst im Laufe der Jahre in der betrieblichen Praxis aufgetreten; dafür ist nicht oder nicht ausschließlich der Gesetzgeber verantwortlich. Einen besonders augenfälligen und politisch unerträglichen Mangel offenbaren die geltenden Wahlvorschriften. Sie leisten einer verbreiteten Wahlpraxis Vorschub, die mit unserem Demokratie10868 Müller ({2}) verständnis und der pluralistischen Struktur der deutschen Gewerkschaften nicht zu vereinbaren ist. ({3}) In vielen Betrieben sind neben den Einzelgewerkschaften des DGB die DAG und die Gewerkschaften des Christlichen Gewerkschaftsbundes vertreten. Diesen Minderheitsgewerkschaften gelingt es häufig nicht, eine Repräsentanz im Betriebsrat und seinen Organen durchzusetzen, die der zahlenmäßigen Stärke ihrer Anhängerschaft in der Belegschaft in etwa entspricht. ({4}) Das nach geltendem Recht erforderliche Unterschriftenquorum für Wahlvorschläge der Arbeitnehmer wird in der betrieblichen Praxis dazu mißbraucht, konkurrierende Gewerkschaftslisten einer Minderheit bereits im Vorfeld der Zulassung zur Betriebsratswahl auszuschalten. ({5}) Konkurrierende Listen sind bei diesem Vorgehen oft schon faktisch nicht mehr in der Lage, die notwendige Zahl von Unterschriften für ihre Wahlvorschläge zusammenzubringen. In der Praxis führt das in vielen Fällen dazu, daß am Ende nur eine Liste, nämlich die der Mehrheitsgewerkschaft, dem Betrieb vorliegt. ({6}) Außerdem fällt auf, daß in vielen Betrieben auch der Wahlvorstand von der Mehrheit des Betriebsrates allein gestellt wird. Nach geltendem Recht wird über die Besetzung des Betriebsausschusses und der übrigen Ausschüsse durch Mehrheitsbeschluß entschieden. Repräsentanten der Minderheit haben bei einem solchen Verfahren keine Chance. ({7}) Selbst wenn eine qualifizierte Minderheit hinter diesen Kandidaten steht und diese sich durch fachliche Qualifikation und persönliches Ansehen auszeichnen, zeigt sich die Mehrheit davon nicht beeindruckt. ({8}) Im Geltungsbereich des Personalvertretungsgesetzes des Bundes, also bei den Dienststellen der unmittelbaren und mittelbaren Bundesverwaltung, gilt das gleiche. Ein besonders eklatanter Fall des Mißbrauchs des Unterschriftenquorums in einer Dienststelle der Deutschen Bundespost hat schließlich zu einer Wahlanfechtung geführt, die beim Verwaltungsgericht Düsseldorf anhängig war. Dieses Gericht hat gemäß Art. 100 des Grundgesetzes das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht bereits im Jahre 1982 die Frage vorgelegt, ob die geltende Regelung des § 19 des Bundespersonalvertretungsgesetzes über das Unterschriftenquorum gegen Art. 3 des Grundgesetzes verstößt. Bekanntlich hat das Bundesverfassungsgericht dies bejaht. Mit Beschluß vom 16. Oktober 1984 hat es festgestellt, daß das geltende 10-%-Quorum des § 19 Abs. 4 und 5 des Bundespersonalvertretungsgesetzes bei Wahlvorschlägen der Arbeitnehmer zur Personalrats-wahl verfassungswidrig und daher nichtig ist. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts stellt die angegriffene Regelung eine übermäßige Beschränkung der Allgemeinheit und Gleichheit der Personalratswahl dar. Dieser Beschluß zwingt den Gesetzgeber zu entsprechenden Konsequenzen auch im Betriebsverfassungsgesetz, das eine gleichlautende Regelung zum Unterschriftenquorum enthält. Eine Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes und des Bundespersonalvertretungsgesetzes ist also nicht nur politisch, sondern auch verfassungsrechtlich geboten. ({9})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dreßler?

Adolf Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001542, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich lasse keine Zwischenfragen zu. Wir, CDU/CSU und FDP, haben aus den geschilderten Mißständen und dem Vorgang des Bundesverfassungsgerichts folgende Konsequenzen gezogen: Erstens. Das relative Unterschriftenquorum für Wahlvorschläge der Arbeitnehmer wird auf ein Zwanzigstel und das absolute Quorum auf 50 Unterschriften gesenkt. Zweitens. Jede im Betrieb vertretene Gewerkschaft kann einen dem Betrieb angehörenden Beauftragten als nicht stimmberechtigtes Mitglied in den Wahlvorstand entsenden. ({0}) Drittens. Neben den wahlberechtigten Arbeitnehmern können auch die im Betrieb vertretenen Gewerkschaften Wahlvorschläge unterbreiten. Jeder Wahlvorschlag einer Gewerkschaft muß von zwei Beauftragten unterzeichnet sein. Viertens. Jede Gruppe, der im Betriebsrat mindestens ein Drittel der Mitglieder angehört, hat ein Vorschlagsrecht für die Wahl des Vorsitzenden. Die weiteren Ausschußmitglieder im Betriebsausschuß werden vom Betriebsrat aus seiner Mitte in geheimer Wahl nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt. Diese Grundsätze gelten auch bei der Entscheidung über die Freistellungen. Im Bundespersonalvertretungsgesetz werden nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts das relative und das absolute Quorum für Wahlvorschläge der Arbeitnehmer auf die Größen des Betriebsverfassungsgesetzes gesenkt. Nach dem Vorbild von zehn Landespersonalvertretungsgesetzen erhalten die in der Dienststelle vertretenen Gewerkschaften ein eigenes Wahlvorschlagsrecht. DaMüller ({1}) bei sind sie von dem Erfordernis des Unterschriftenquorums befreit. Bei der gesetzlichen Verankerung von Sprecherausschüssen für leitende Angestellte haben wir uns von folgenden Erwägungen leiten lassen. ({2}) Das Betriebsverfassungsgesetz 1972 hat darauf verzichtet, den betriebsverfassungsrechtlichen Standort der leitenden Angestellten zu bestimmen. Die Bildung von Sprecherausschüssen oder Gesprächskreisen für leitende Angestellte wurde bewußt offengehalten und der weiteren Entwicklung überlassen. ({3}) Die Nichteinbeziehung der leitenden Angestellten in das Betriebsverfassungsgesetz hat in der sozialen Wirklichkeit dazu geführt, daß eine Lücke im Geflecht der sozialen Schutzvorschriften zu Lasten der leitenden Angestellten eingetreten ist. ({4}) Schon im Mitbestimmungsgesetz 1976 sind die leitenden Angestellten vom Gesetzgeber anerkannt worden. Die gesetzliche Verankerung von Sprecherausschüssen ist also nur die konsequente Fortschreibung dieser zunächst auf der Unternehmensebene getroffenen Grundsatzentscheidung. Durch die gesetzliche Verankerung der Sprecherausschüsse wird eine Grundlage für die Vertretung der Gruppen und Einzelbelange der leitenden Angestellten geschaffen. ({5}) Die im Betriebsverfassungsgesetz verankerten Befugnisse des Betriebsrats werden dadurch nicht beschnitten; vielmehr wird von einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Unternehmer, Betriebsrat und Sprecherausschuß ausgegangen. Die SPD-Opposition im Deutschen Bundestag hat unsere Initiative mit pauschaler Kritik und Polemik überhäuft. Führende Gewerkschaftsfunktionäre sprechen von einer Kriegserklärung an die DGB-Gewerkschaften. ({6}) Die SPD malt eine drohende Spaltung der Arbeitnehmerschaft an die Wand ({7}) und beklagt einen angeblichen Angriff auf die Einheitsgewerkschaft. ({8}): Sie haben die Einheitsgewerkschaft selber gespalten!) Wir wollen keine Spaltung der Arbeitnehmerschaft. Wir wollen eine gute Zusammenarbeit, aber mit allen Gewerkschaften. ({9}) Wer aber die Stärkung von Minderheitenrechten als Schwächung der Arbeitnehmervertretungen in den Betrieben denunziert, läßt zunächst einmal den anmaßenden Anspruch erkennen, er allein sei imstande, wirksam Arbeitnehmerinteressen wahrzunehmen. ({10}) Von unbedeutenden Splittergruppen kann schon mit Rücksicht auf die relative Stärke der Minderheiten in bestimmten soziologischen Gruppen und Regionen kaum die Rede sein. Die Mehrheitsgewerkschaften sind freiwillig offensichtlich nicht bereit, den Minderheiten gleiche Chancen einzuräumen. ({11}) Deshalb ist der Gesetzgeber aufgerufen, für ein größeres Maß an Chancengerechtigkeit bei den Betriebsratswahlen und den Personalratswahlen zu sorgen. ({12}) Der pauschale Vorwurf der Spaltung der Arbeitnehmerschaft durch die Errichtung von Sprecherausschüssen ({13}) ist ebenfalls unzutreffend. Die leitenden Angestellten sind - durchaus systemgerecht - gemäß § 5 Abs. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes ausdrücklich vom Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes und damit von der kollektiven Vertretung ihrer Interessen durch den Betriebsrat ausgenommen. ({14}) Der Gesetzentwurf über die Sprecherausschüsse macht diese Legaldefinition des § 5 Abs. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes zum Kriterium für das aktive und das passive Wahlrecht der leitenden Angestellten für die Sprecherausschüsse. Damit ist eine Interessenkollision zwischen den leitenden Angestellten und den übrigen Arbeitnehmern ausgeschlossen. ({15}) Dies gilt vor allem für eine Beeinträchtigung der kollektiven Rechte des Betriebsrats. ({16}) Ich weise auch den Vorwurf zurück, daß die von uns geplante Änderung der Wahlvorschriften extremen politischen Gruppen den Zugang in den Betriebsrat wesentlich erleichtert, mit der Folge, daß künftig Fraktionsbildungen eintreten und innerbetriebliche Machtkämpfe ausgetragen werden. Der Hinweis auf die negativen Erfahrungen in der Wei10870 Müller ({17}) marer Republik geht fehl; DAG und DGB sind über jeden demokratischen Zweifel erhaben. ({18}) Was das besonders kritisierte Wahlvorschlagsrecht der Gewerkschaften angeht, so offenbart die Opposition hier verräterische Gedächtnislücken. Zehn Landesgesetzgeber haben bereits für den Bereich ihrer öffentlichen Verwaltung den in der Dienststelle vertretenen Gewerkschaften ein eigenes Wahlvorschlagsrecht eingeräumt. ({19}) Das SPD-geführte Land Nordrhein-Westfalen hat Ende der 60er Jahre die Vorreiterfunktion übernommen. ({20}) Dem vom Bundesverfassungsgericht hervorgehobenen Aspekt der Konzentration der Wahl auf aussichtsreiche Bewerber und der Verhinderung der Stimmenzersplitterung haben wir durch ein ausreichend hohes Quorum von 5% der wahlberechtigten Gruppenangehörigen bei Wahlvorschlägen der Arbeitnehmer Rechnung getragen. ({21}) Im übrigen ist es eine leicht widerlegbare Zweckbehauptung, daß sich über neugegründete Arbeitnehmervereinigungen, die nur das Etikett „Gewerkschaft" tragen, alternative Gruppierungen oder Chaoten den Weg in die Betriebsräte erschleichen könnten. ({22}) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts erwirbt eine neugegründete Arbeitnehmervereinigung erst dann die Rechtsqualität einer Gewerkschaft im Sinne von § 2 des Betriebsverfassungsgesetzes, wenn sie erstens über eine gewisse Organisationsstärke, zweitens über eine finanzielle, sachliche und organisatorische Ausstattung und - das ist das entscheidende Kriterium - drittens faktisch über den Einfluß und die Macht verfügt, sowohl die Arbeitgeberseite zu Tarifverhandlungen zu zwingen als auch im konkreten Betrieb Einfluß auszuüben. Meine Damen und Herren, unabhängig von der gesetzlichen Regelung des Minderheitenrechts befaßt sich die CDU/CSU-Fraktion in einer Arbeitsgruppe mit der Frage der Mitwirkung des Betriebsrates bei neuen Technologien, vor allem bei personengeschützten Daten. Hier besteht Handlungsbedarf. Wir werden Sachverständige hören und Lösungsvorschläge machen. Hier und heute geht es uni den Minderheitenschutz, um allen Arbeitnehmern des Betriebs eine Chance zum Mittun zu geben. ({23})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dreßler. ({0})

Rudolf Dreßler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000420, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dieser Woche waren die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen, ({0}) veröffentlicht durch den Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, zunächst einmal zum beschäftigungspolitischen Offenbarungseid gezwungen. ({1}) , Zweitens. In dieser Woche registrieren wir, veröffentlicht vom Statistischen Bundesamt, einen neuen Rekord an Pleiten und Konkursen. ({2}) Drittens registrieren wir in dieser Woche jüngste Meinungsumfragen und Wahlergebnisse, die belegen, daß die Bürger die Hilflosigkeit und - das ist entscheidend - den Verlust jeder Orientierung dieser Bundesregierung, Herr Kollege Müller, und der sie tragenden Fraktionen erkannt haben. ({3}) Trotzdem gehen Ihre Versuche weiter, das soziale Gesicht dieser Republik ({4}) zu zerstören. ({5}) Angefangen haben Sie mit dem Sozialabbau, mit einer riesigen Umverteilungsaktion von unten nach oben. ({6}) Und jetzt läuft die Strafaktion gegen eine der größten Errungenschaften im Nachkriegsdeutschland, gegen die Einheitsgewerkschaften. ({7}) Statt nun eine Politik zu ändern, die die übergroße Mehrheit der Bevölkerung nicht will, ({8}) die zu schlimmen Ergebnissen geführt hat, legen die Regierungsparteien einen Gesetzentwurf vor, der grundsätzlich stabile betriebliche Verhältnisse zur Instabilität führen soll. ({9}) Sie begreifen in Ihrer tiefen Verachtung überhaupt nicht, daß Sie damit den sozialen Frieden, einen der auch wirtschaftlich entscheidenden Vorteile der Bundesrepublik, zerstören. ({10}) Muß ich denn gerade dem Kollegen Müller sagen, daß jeder, der sich seine Urteilsfähigkeit erhalten hat, weiß, wie sensibel die geordneten Arbeitsbeziehungen sind? ({11}) Und jeder, der sich diese Urteilsfähigkeit erhalten hat, Kollege Müller, weiß auch, daß es zu vernünftigen Kompromissen, zu einem für Arbeitnehmer und Unternehmer tragbaren Kompromiß nur dann kommt, wenn sich handlungsfähige und starke Partner gegenübersitzen. ({12}) Wer die heutige Lage in den Betrieben kennt, wer weiß, was auf Arbeitnehmer und Unternehmen in nächster Zeit zukommt, den muß bei Ihren Plänen, Herr Kollege Müller, zur Aushöhlung ({13}) der Betriebsverfassung und Personalvertretung schaudern. Angesichts des Strukturwandels vor dem Hintergrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage und der neuen Technologien, die die Betriebe verändern, wollen Sie denjenigen, die bei den letzten Betriebsratswahlen 0,6 % der Sitze errungen haben, Tür und Tor öffnen für die Betriebsräte. ({14}) Es ist doch kein Zufall, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, daß wichtige Arbeitgeberverbände mit Grausen auf Ihren Gesetzentwurf blikken. ({15}) Denn was wird in den Unternehmen noch zu lösen sein, Herr Dregger, wenn die Betriebsräte in Fraktions- und Grabenkämpfe verstrickt sind, wenn ein ständiger Profilierungskampf die Suche nach neuen Themen die Arbeit der Betriebsräte beherrscht? Was wird denn dann noch zu lösen sein? ({16}) Sie legen einen Gesetzentwurf vor, der weder den Arbeitnehmern noch den Unternehmen hilft, einen Gesetzentwurf, den weder Unternehmerverbände noch Gewerkschaften, weder Betriebsräte - bis auf die 0,6 %, Herr Müller - noch Arbeitnehmer wollen. Mit diesem Gesetzentwurf wird dem Verlangen dieser 0,6 % Betriebsratsmitglieder - nach dem Ergebnis der Wahlen von 1984 - gefolgt, dem Verlangen von kleinsten Richtungsorganisationen, die besonders - das haben auch wir registriert - ihre parteipolitische Zugehörigkeit zur CDU/CSU in den Vordergrund ihrer Politik stellen, ({17}) von Splitterorganisationen, die bis heute nicht einen einzigen von über 43 000 Tarifverträgen in der Bundesrepublik Deutschland selbständig zustande gebracht haben. Dafür wollen Sie diese Politik machen. ({18}) Und das Argument mit den Minderheiten, Herr Kollege Müller, erledigt sich von selbst. Denn in Wahrheit geht es Ihnen nicht um den Minderheitenschutz an sich, sondern die Förderung politisch genehmer Gruppen unter den Minderheiten ist das Ziel dieses Gesetzentwurfs. ({19}) Ich werde in dieser ersten Runde nur zwei von Ihnen vorgeschlagene Regelungen herausgreifen, um die Abwegigkeit dieser Vorschläge zu belegen. ({20}) Stellen Sie sich einmal vor, bei der Landtagswahl in Niedersachsen könnte jede Partrei kandidieren, die nur ein einziges Mitglied in Niedersachsen hat! Genauso wird es in Zukunft z. B. bei Volkswagen in Wolfsburg mit 58 000 Beschäftigten sein. Wenn es nur ein Mitglied einer Organisation in einem Betrieb gibt, dann sollen zwei Vertreter dieser Organisation, die nicht im Betrieb arbeiten, einen Kandidaten für die Betriebsratswahlen durchsetzen können. ({21}) - Frau Adam-Schwaetzer, daß Sie dazwischenrufen, wundert mich nicht. Das ist nämlich das FDPModell für die Betriebsräte: knapp über 5%, aber jede Menge Minister. Das kennen wir. ({22}) Wenn es dann trotz dieser Absichten gelingt, eine vernünftige Betriebsvereinbarung abzuschließen, kommt der nächste Pferdefuß Ihres Gesetzentwurfes: Dann dürfen nach Ihrem Text die leitenden Angestellten mit ihrem Sprecherausschuß die Betriebsvereinbarung wieder kaputtmachen. ({23}) - Böse Zungen behaupten, Herr Kollege Müller, es sei die Organisation der bei der letzten Beförderung Übergangenen. So weit möchte ich aber nicht gehen. ({24}) Denn eines ist richtig: Gerade in großen Unternehmen geht es ja der sehr weit gefaßten Gruppe sogenannter leitender Angestellter zunehmend an den Kragen. Meine Damen und Herren, besser wäre es, die leitenden Angestellten würden ihre Schwellenängste überwinden und die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften und Betriebsräten suchen. ({25}) 40 Jahre lang haben die Einheitsgewerkschaften und die Betriebsräte ihren wichtigen Beitrag für den Aufbau dieses Landes geleistet. Ich will an dieser Stelle einen unverdächtigen Zeugen zitieren: Unter dem Strich kann man doch - bei aller Unzufriedenheit über die zum Teil selbstverschuldete Abseitsstellung der Christdemokraten in den Gewerkschaften - sagen: Man soll nicht leichtfertig etwas aufs Spiel setzen, um das uns andere beneiden. Wenigstens den Mitgliedern der CDU-Sozialausschüsse sollten bei diesem Zitat von Hans Katzer nachdenkliche Gedanken kommen. ({26}) Uns allen sollte es darum gehen, daß wir in der Bundesrepublik die Instrumente haben, um die Anforderungen der Zukunft zu bewältigen. Warum wohl hat die Bundesrepublik bis jetzt noch jeden Strukturwandel, jede notwendige Anstrengung zur Modernisierung der Volkswirtschaft besser überstanden als viele andere? ({27}) - Weil es gelungen ist, Herr George, den Sozialstaat mit jenen Instrumenten auszustatten, die nötig sind, damit die Arbeitnehmer dabei nicht unter die Räder kommen. Das sind drei Dinge: erstens ein geordnetes Arbeitsrecht, das den Arbeitnehmern ein Mindestmaß an Schutz und Sicherheit gewährt, zweitens starke, vernünftige und handlungsfähige betriebliche Interessenvertretungen ({28}) und drittens Einheitsgewerkschaften, die frei von politischen Richtungsauseinandersetzungen waren. ({29}) Erst vor wenigen Wochen veranstaltete der DGB eine wissenschaftliche Konferenz über Mitbestimmung in Köln. Am letzten Tag gab es eine Podiumsdiskussion, an der auch zwei Vertreter von den Regierungsparteien teilnahmen. Der Vertreter der ehemals liberalen Partei hat in einer bemerkenswerten Offenheit dargelegt, wie das Klima in dieser Koalition ist: Es war eine so tiefe Verachtung gegenüber den Arbeitnehmern und ihren Organisationen zu spüren, wie ich sie noch nirgendwo erlebt habe. Ich habe noch nie einen Vertreter der Arbeitgeber erlebt, der sich zu einem solchen Auftritt hätte hinreißen lassen. An dieser Stelle möchte ich den neuen Kollegen Scharrenbroich begrüßen. ({30}) Er war ja auch auf jener denkwürdigen Veranstaltung. Ihm müßten normalerweise heute noch die Ohren klingen, denn jedesmal, wenn er versuchte, sich für den Gedanken der Gewerkschaften oder gar für Mitbestimmung auszusprechen, fing er sich direkt eine Ohrfeige ein. Er vertrete, so wurde ihm von der FDP dann gesagt, eine hoffnungslose Minderheitsmeinung. Was er wolle, würde es mit dieser Regierung und ihren Fraktionen nie geben. Herr Scharrenbroich, glauben Sie mir: Ihr damaliger Gesprächspartner, Herr Brunner, hatte recht; für Sie ist hier kein Blumentopf zu holen. ({31}) Herr Blüm, Sie hüllen sich seit Wochen zu diesem Gesetzentwurf in Schweigen, Sie tragen politische Verantwortung für die Arbeitsbeziehungen in der Bundesrepublik. Herr Blüm, wenn nicht alles, was Sie in den Jahren Ihrer politischen Tätigkeit gesagt haben, Heuchelei war, dann sind Sie jetzt gefordert. Sie wissen so gut wie wir: Hier geht es um mehr als um kurzsichtige Parteiinteressen. ({32}) Hier geht es darum, ob die einheitliche betriebliche Interessenvertretung der Arbeitnehmer künftig noch einen Platz in unserer Arbeitswelt hat und ob es auf Dauer noch starke überparteiliche Einheitsgewerkschaften gibt. Herr Blüm, sie haben 1982 gesagt, Sie würden mit den Gewerkschaften auf die Straße gehen, wenn es an die Grundfesten unseres sozialen Systems gehe. Heute, Herr Blüm, brauchen Sie nicht einmal auf die Straße zu gehen. Sie können hier handeln - jetzt hören Sie genau zu - und dem „Treiben von Wende-Exzentrikern" - dieses Wort, Herr Blüm, ist nicht von mir; es stand in der Zeitschrift der Organisation, deren Vorsitzender Sie sind - ein Ende bereiten, bevor es zu spät ist. Karriere hin, Karriere her, Herr Blüm, Ihr politisches und auch Ihr menschliches Rückgrat ist gefragt. Ich will Ihnen abschließend sagen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und von der FDP, die SPD-Fraktion wird alsbald einen Gesetzentwurf vorlegen, der nach vorne weist, der den heutigen Erfordernissen entspricht und der vor allen Dingen das beinhalten wird, was der Kollege Scharrenbroich im Namen der Sozialausschüsse gefordert hat, ({33}) nämlich die Mitbestimmung für die Betriebsräte bei der Einführung neuer Technologien. Schönen Dank. ({34})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Adam-Schwaetzer.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Koalitionsfraktionen schaffen mit dem jetzt vorgelegten Gesetzentwurf mehr Demokratie im Betrieb, ({0}) eine angemessene Mitsprache auch für kleine Gruppen und Minderheiten im Betrieb ({1}) und eine angemessene Vertretung für diese Minderheiten, die ihnen bisher vorenthalten worden ist. ({2}) Meine Damen und Herren, ich habe noch nie gehört, und es wird mir immer unbegreiflich bleiben, wieso ein Mehr an Demokratie das soziale Gesicht dieser Republik zerstören soll. Ich möchte gerne wissen, wieso eigentlich ein Mehr an Demokratie Instabilität bringen soll. ({3}) - Frau Fuchs, ich habe Ihnen schon einmal gesagt: Im Gegensatz zu Ihnen habe ich jahrelang im Betrieb in der Industrie gearbeitet. ({4})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Tut mir leid, ich habe zuwenig Zeit. ({0}) - Wenn Sie mir mehr Redezeit einräumen, lasse ich auch Zwischenfragen zu. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Abgeordnete, das wird hier gemacht.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wenn Sie mir die Zeit nicht anrechnen, bitte schön.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das ist eine Regel, die dieses Präsidium schon seit einer ganzen Reihe von Monaten anwendet. ({0}) Das Wort hat der Abgeordnete Reimann zu einer Zwischenfrage.

Manfred Reimann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001805, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke, Herr Präsident. - Frau Kollegin Schwaetzer, sind Sie wirklich der Meinung und Überzeugung, daß die Arbeitnehmer in der Industrie und in den Betrieben untereinander in Konkurrenz treten müssen, um ihre dringenden Probleme zu lösen? ({0})

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Reimann, es geht hier überhaupt nicht um In-KonkurrenzTreten, sondern es geht darum, daß wir in vielen Betrieben die Situation haben, daß DGB-Gewerkschaften mit der Dampfwalze der Mehrheitsentscheidungen unter Mißbrauch der Rechte, die im Betriebsverfassungsgesetz eingeräumt werden, die Kandidatur von anderen verhindern. ({0}) Nur dadurch ist möglich, was der Kollege Dreßler eben so ausführlich hier zitiert hat, daß nämlich tatsächlich andere Gewerkschaften nur in wenigen Betrieben überhaupt mit Listen antreten konnten, ({1}) weil durch Tricks, weil durch viele Möglichkeiten im Vorfeld die Kandidatur anderer Listen von DGB-Gewerkschaften ausgeschaltet und verhindert wird. ({2}) Auf Grund dieser Praktiken ist es notwendig, diejenigen zu schützen, die einen Anspruch darauf haben und sich auch für andere als für DGB-Listen entscheiden. Das ist das eine Ziel unseres Gesetzentwurfes, nämlich das Verfahren für die Betriebsratswahlen und für die Personalvertretungswahlen sowie die Beteiligung auch kleinerer Gewerkschaften an der Betriebsratsarbeit zu verbessern. Das andere Ziel ist, den Sprecherausschüssen der leitenden Angestellten endlich eine gesetzliche Grundlage zu geben. Die Freien Demokraten, meine Damen und Herren, haben bereits in ihren Freiburger Thesen 1972 festgeschrieben, daß es für die Wirklichkeit im Betrieb wichtig ist, nicht mehr davon auszugehen, daß sich Kapital und Arbeit wie Gegner gegenüberstehen, sondern daß die Wirklichkeit des Betriebes schon lange unsere pluralistische Gesellschaft widerspiegelt. Das bedeutet: Es gibt im Betrieb mindestens drei Faktoren: die Faktoren Kapital und Arbeit sowie den Faktor Disposition. ({3}) Wir haben im Mitbestimmungsgesetz 1976 - damals gemeinsam mit den Sozialdemokraten ({4}) diese Funktion der leitenden Angestellten festgeschrieben. ({5}) Wir haben die leitenden Angestellten als Teil der Gruppe der Angestellten dort definiert. Die leitenden Angestellten - das ist ein Punkt, der immer wieder in der Diskussion verschwiegen wird - werden vom Betriebsrat nicht vertreten, d. h. sie haben derzeit keinerlei wirksame Interessenvertretungen im Betrieb. Da muß ich sagen: Wer den leitenden Angestellten die Einrichtung von Sprecherausschüssen verweigert und wer ihnen verweigert, daß dies auf einer gesetzlichen Grundlage geschieht, der verweigert einem Teil der Arbeitnehmerschaft im Betrieb die legitime Wahrnehmung ihrer Interessen. ({6}) Inzwischen haben sich über 400 Sprecherausschüsse auf freiwilliger Basis gebildet. Das ist für viele Argument genug zu sagen: Damit ist klar, wir brauchen keine gesetzliche Grundlage. Aber so erfreulich es ist, daß sich diese Entwicklung bereits abzeichnet - sie kann nicht ausreichen; denn die Sprecherausschüsse auf freiwilliger Basis haben nicht das Recht und die Möglichkeit, verbindlich Verträge oder Absprachen mit der Unternehmensleitung zu treffen. Deshalb ist es notwendig, hier eine gesetzliche Grundlage zu schaffen. Wir möchten nicht, daß die Sprecherausschüsse der leitenden Angestellten zu einer Art zweiter Betriebsrat werden. Deshalb werden Ihnen vorwiegend Informationsrechte eingeräumt. Aber sie müssen auch verbindliche Abmachungen mit der Unternehmensleitung treffen können, was ihre eigene soziale Sicherung und was ihre Arbeitsplatzgestaltung anbetrifft. Unbefriedigend ist nach wie vor die Abgrenzung der leitenden Angestellten, wie sie in § 5 Abs. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes festgelegt ist. Wir haben deshalb in dem jetzt vorgelegten Gesetzentwurf vorgeschrieben, daß an Hand der Funktionsbeschreibung der leitenden Angestellten im Betrieb eine Einigung zwischen Arbeitgeber, Betriebsrat und Sprecherausschuß über die Abgrenzung der einzelnen, den leitenden Angestellten zuzurechnenden Arbeitnehmer getroffen werden muß. Dies, meine Damen und Herren, spiegelt unsere Auffassung von der Notwendigkeit des Konsensprinzips bei der Arbeit im Betrieb wider. Ebenso wichtig ist für uns der zweite Teil unseres Gesetzentwurfs, nämlich die Verbesserung der Wahlverfahren bei der Betriebsratswahl und bei der Personalratswahl. Es ist hier so viel die Einheitsgewerkschaft beschworen worden, die Einheitsgewerkschaft, die die Belange aller Arbeitnehmer wahrnehmen soll. Aber, meine Damen und Herren, ist diese Einheitsgewerkschaft denn nicht schon lange Fiktion in der betrieblichen Wirklichkeit? ({7}) Es gibt auch heute schon nicht kleine andere Gewerkschaften. Ich möchte nur am Rande darauf hinweisen, daß etwa 30 % der Arbeitnehmer in DGB-Gewerkschaften organisiert sind. Das ist zweifellos eine hohe Zahl. Aber es sind eben nur 30 % der Arbeitnehmer in DGB-Gewerkschaften. ({8}) Lassen Sie mich noch ein bißchen darauf eingehen, wie es denn eigentlich die DGB-Gewerkschaften geschafft haben, ihre Position in den Betrieben aufrechtzuerhalten. Seit diese Koalition das jetzt vorliegende Gesetzesvorhaben in Angriff genommen hat, habe ich viele Briefe von Arbeitnehmern aus Betrieben erhalten, die sich bemüht haben, eine Konkurrenzliste zu einer DGB-Liste aufzustellen. Es wurde immer wieder geklagt, daß es durch die jetzt gültigen Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes möglich ist, daß andere konkurrierende Gruppen überhaupt nicht im Wahlvorstand vertreten sind, ({9}) daß im Wahlvorstand nur Mitglieder aus derselben Gewerkschaft vertreten sind, die auch im Betriebsrat das Sagen hat. Wer die Aufgaben des Betriebsrats kennt, weiß, welche subtilen Möglichkeiten der Einflußnahme im Vorfeld der Aufstellung von Listen im Betrieb möglich sind, um zu verhindern, daß sich die Konkurrenz zum DGB etablieren kann. ({10}) Alleine diese Beispiele rechtfertigen, unsere Vorstellungen umzusetzen. ({11}) Darüber hinaus sind wir vom Verfassungsgericht aufgefordert worden, die Anzahl der Unterschriften, die unter den Vorschlagslisten zu stehen haben, zu reduzieren. Wir wollen deshalb das Quorum von 10 % auf 5 % der im Betrieb vertretenen Arbeitnehmer senken. Nun wird uns vorgehalten, wir würden damit Splittergruppen fördern. Ich finde es allerdings merkwürdig - das muß ich als Mitglied einer kleinen Partei sagen; der Kollege Dreßler ist ja eben auch schon über mich hergefallen -, ({12}) eine Gruppierung, die immerhin 5 % der Stimmen hinter sich vereinigt, als eine Splittergruppe zu bezeichnen. Es spricht dafür, daß die Belange kleiner Gruppen mit der Dampfwalze platt gewalzt werden sollen. ({13}) Es ist uns vorgeworfen worden, daß wir mit der Vorschrift, daß auch die Unterschriften von zwei Beauftragten von im Betrieb vertretenen GewerkFrau Dr. Adam-Schwaetzer schaften ausreichen, dazu beitragen würden, daß sich Chaoten im Betriebsrat etablieren. (Immer [Altenkirchen] ({14}) Herr Kollege Dreßler, mit dem, was Sie eben dazu gesagt haben, haben Sie deutlich gemacht, daß Sie entweder den Gesetzentwurf nicht gelesen haben ({15}) oder daß Sie die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes zu der Frage, wer als Gewerkschaft bezeichnet werden kann, nicht kennen. ({16}) Das Bundesarbeitsgericht hat Anforderungen aufgestellt, die eine Gruppe erfüllen muß, bevor sie als Gewerkschaft anerkannt wird. Sie hängen unter anderem damit zusammen, daß sie tariffähig sein müssen, daß sie ihre eigenen Vorstellungen muß durchsetzen können. Das bedeutet, daß sie eine gewisse Größe haben muß. Das alles zusammen legt die Meßlatte so hoch, daß es mich wirklich erstaunt, wie man in dem Zusammenhang noch behaupten kann, damit würde Chaoten Vorschub geleistet. ({17}) Ich frage mich allerdings, auf wie vielen DGBListen nicht bereits Mitglieder in die Betriebsräte eingezogen sind, die unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht freundlich gegenüberstehen. ({18}) Ein letzter Punkt: Es ist uns vorgeworfen worden, wir würden damit die Spaltung der Arbeitnehmerschaft bewirken, wir würden einer Politisierung der Betriebsratsarbeit Vorschub leisten. Aber, meine Damen und Herren von der SPD, bereits jetzt ist alleine durch den engen Schulterschluß der SPD mit dem DGB diese Spaltung der Arbeitnehmerschaft eingetreten, und Sie haben sie bewirkt. ({19}) Wer darüber hinaus, wie Sie das eben und in vielen Veröffentlichungen getan haben, unser Bemühen um mehr Demokratie im Betrieb gegen mehr Mitbestimmung ausspielen will, zeigt doch eigentlich nur, welches Demokratieverständnis er hat. ({20}) Die Auseinandersetzung und die dicken Hämmer, die hier vom DGB geschwungen werden, lassen ein bißchen in Vergessenheit geraten, daß es auch ganz andere Stellungnahmen aus dem Arbeitnehmerlager gibt. Wenn man sich einmal die Stellungnahmen der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft, der DAG, vor Augen führt, so sind sie sehr viel differenzierter, denn die DAG hat schon in vielen Fällen die Dampfwalze des DGB zu spüren bekommen. Wir machen einen wichtigen Schritt zu mehr Demokratie im Betrieb, ({21}) und wir werden auch in der Zukunft dafür sorgen, daß die anderen Belange der Arbeitnehmer, die sich nicht vom DGB vertreten fühlen, angemessen berücksichtigt werden. ({22})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt ({0}).

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002002, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine Damen und Herren! Der Schutz von benachteiligten und unterdrückten Minderheiten ist für die GRÜNEN ein immer und überall zu verteidigender Grundwert. Freilich gleichzeitig zu verteidigen ist das Recht von Mehrheiten, nicht von Minderheiten unterdrückt zu werden. Um beide Punkte geht es bei der Diskussion um die betriebliche Verfassung. Worum es dem Gesetzentwurf der Regierungsparteien geht, ist uns klar; denn dieser Gesetzentwurf ordnet sich ein in eine Reihe von Maßnahmen zum Abbau demokratischer Rechte und sozialer Rechte der Arbeitnehmermehrheit, ({0}) ordnet sich ein in den Abbau von Kündigungsschutz, Jugendarbeitsschutz und in die Ankündigung der Regierungsfraktionen oder einzelner Vertreter, das Tarifvertragsrecht zu zerstören. ({1}) Natürlich geht es auch nicht um Minderheiten im Betrieb, die benachteiligt sind; die gibt es ja. Es gibt Behinderte im Betrieb, die benachteiligt sind, es gibt ältere Arbeitnehmer, es gibt Niedrigqualifizierte, die alle von Arbeitslosigkeit massiv bedroht sind, und es gibt Frauen in Leichtlohngruppen. Über diese Minderheiten findet sich in Ihrem Gesetzentwurf nicht ein Wort. ({2}) Statt dessen haben Sie im wesentlichen eine Minderheit im Auge, die wahrlich nicht benachteiligt ist. Das ist die Minderheit der leitenden Angestellten. Deren wesentliche Funktion ist es, die Interessen der Unternehmensleitung gegen die Mehrheit der Belegschaften durchzusetzen. Zweitens geht es ihnen um die Etablierung von Minigewerkschaften in den Betrieben, die so erbärmlich klein sind, daß sie bisher nicht einmal bei Betriebsratswahlen antreten können. Beides macht deutlich: Im Kern geht es bei dem Entwurf um eine Stärkung einer einzigen betrieblichen Minderheit, nämlich die kleine, radikale Minderheit der Kapitalbesitzer. Ihre Sachwalter und Gefolgsleute in der Belegschaft sollen gestärkt wer10876 Schmidt ({3}) den. Da wir GRÜNEN auf der anderen Seite, auf der Seite der Belegschaften, stehen, lehnen wir das ab. ({4}) An dieser Gesamtbeurteilung des Entwurfs ändert auch die Tatsache nichts, daß einzelne Regelungen akzeptabel oder zustimmungsfähig erscheinen. Zum Beispiel halten wir es für normal, daß beim Unterschriftenquorum das Bundesverfassungsgerichtsurteil zu diesem Punkt akzeptiert wird. Für ebenso vereinbar mit demokratischen Prinzipien halten wir es, daß eine Liste, die 30 bis 40 % der Stimmen bekommen hat, dann auch im Betriebsausschuß angemessen vertreten ist und von Freistellungen profitieren kann. ({5}) Die SPD sagt nun - ich zitiere sinngemäß, was Herr Dreßler geschrieben hat -, mit diesen Regelungen werde es GRÜNEN und Chaoten ermöglicht, in den Betrieben Fuß zu fassen. Das ist, Herr Dreßler, erstens falsch; denn nehmen Sie zur Kenntnis, in aller Regel kandidieren GRÜNE auf DGB-Listen. Wir sind für die demokratische Einheitsgewerkschaft. Auf oppositionellen Listen kandidieren wir nur dort, wo die Einheitsgewerkschaft - nicht zuletzt von Sozialdemokraten - als Einheitspartei mißbraucht wird. ({6}) Zweitens ist Ihre Warnung vor GRÜNEN und angeblichen Chaoten ein erbärmliches Argument in diesem Zusammenhang; denn Sie biedern sich damit bei den Rechten und bei den Arbeitgebern an, und zwar zu Lasten linker Kollegen und Kritiker in den eigenen DGB-Reihen. ({7}) Zum Schluß: Das Betriebsverfassungsgesetz ist in der Tat sehr reformbedürftig; denn es bietet keinen Schutz vor neuen Technologien, es bietet vor allen Dingen keinen Schutz vor Massenarbeitslosigkeit. Der Betriebsrat von Grundig in Nürnberg-Fürth hat uns praktisch gezeigt, worum das geht. Als dort Massenentlassungen angekündigt waren, hat er gesagt: „Wir wollen keinen Sozialplan, wie es nach dem Betriebsverfassungsgesetz vorgesehen ist. Wir wollen einen Beschäftigungsplan." Der Betriebsrat hat die Unternehmensleitung gezwungen, über das Wesentliche, worum es dabei geht, zu verhandeln: über die Investitionspolitik des Unternehmens, über neue Produkte und auch über Qualifizierungsmaßnahmen. Genau diese Punkte sind im geltenden Betriebsverfassungsgesetz zu reformieren. Einführung neuer Technologien, wirtschaftliche Angelegenheiten und Personalplanung sind mitbestimmungspflichtig zu machen. Wir GRÜNEN werden dazu im nächsten Jahr einen umfassenden Gesetzentwurf einbringen. Ich habe gehört, die SPD - Sie, Herr Dreßler, haben das angekündigt - will das auch tun. Lassen Sie uns dann darum streiten, wer wirklich konsequent Arbeitnehmerinteressen vertritt und wer fortschrittliche DGB-Forderungen ins Parlament trägt. Daß der vorliegende Gesetzentwurf das Gegenteil von dem bewirken soll, was uns dabei vorschwebt, ist uns klar, und deshalb lehnen wir ihn ab. ({8})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Pohlmann.

Eberhard Pohlmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001732, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn heute im Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Minderheitenrechte in den Betrieben und Verwaltungen auch - und ich betone hier: endlich - die leitenden Angestellten betroffen sind, dann ist das eine konsequente Folge dessen, was der Deutsche Bundestag in der Vergangenheit beschlossen hat, ({0}) was damals - ich kann es noch deutlicher sagen - die sozialliberale Koalition beschlossen hat. Ich verstehe im Grunde Ihre Aufgeregtheit nicht; denn Sie waren es doch, die die leitenden Angestellten außerhalb des Betriebsverfassungsgesetzes gestellt haben. Sie waren es, die im Mitbestimmungsgesetz 1976 die leitenden Angestellten als selbständige Gruppe anerkannt und ihnen ein Aufsichtsratsmandat eingeräumt haben. ({1}) Heute propagieren Sie wieder den Einheitsarbeitnehmer. Ich halte das für einen schlimmen Rückfall. Wir wollen diesen Einheitsarbeitnehmer nicht. Wir wollen und bejahen den Pluralismus in unserer Wirtschaft. ({2}) Wir sehen auch die Notwendigkeit einer Arbeitsteilung ein, die für eine moderne Wirtschaft einfach unumgänglich ist. Meine Damen und Herren, die leitenden Angestellten nehmen im Rahmen dieser Arbeitsteilung wichtige Funktionen ein: denn sie sind es, die die Signale aus dem Markt empfangen, die Signale in den Markt geben, ohne die im Grunde die soziale Marktwirtschaft gar nicht funktionieren kann. Die leitenden Angestellten sind ein ganz wesentlicher Bestandteil der Infrastruktur unserer Marktwirtschaft. ({3}) Ich bitte um Verständnis, wenn ich mich hier für eine Gruppe einsetze, die durch ihr unternehmerisches Handeln, durch ihr unternehmerisches Denken die Überlegenheit unserer Art zu wirtschaften gegenüber zentral gesteuerten Wirtschaftssystemen tagtäglich freiheitlich beweist. Deswegen setze ich mich für diese Gruppe ein. ({4}) Meine Damen und Herren, leitende Angestellte sind seit Anbeginn der Bundesrepublik Deutschland weder für den Betriebsrat wählbar noch wahlPohlmann berechtigt. Sie kämen auch in einen unlösbaren Konflikt, wenn sie dem Betriebsrat zugehörten. Eine Interessenkollision wäre zwangsläufig. Es gibt also keine gesetzlich abgesicherte Vertretung. Frau Adam-Schwaetzer hat schon auf die 400 Sprecherausschüsse, auf freiwilliger Basis gegründet, hingewiesen. Herr Kollege Rappe war es, der gesagt hat: „Diese Sprecherausschüsse haben sich bewährt." Was wir also mit unserer Initiative tun, ist im Grunde nichts anderes, als der schon bestehenden Wirklichkeit einen Rahmen zu geben, Herr Dreßler, und Grundvoraussetzungen dort zu schaffen, wo es keine freiwilligen Vereinbarungen gibt. ({5}) Zu dem Vorwurf, der besonders vom DGB erhoben wird, das sei eine Spaltung der Arbeitnehmerschaft, ist schon einiges gesagt worden. Diesen Vorwurf halte ich für absurd. Der DGB ist mächtig, der DGB ist stark. Ich finde, der DGB sollte mal auf diese Kraft vertrauen und in einen Wettbewerb eintreten, ({6}) statt uns mit Monopolansprüchen zu überziehen, die wir auch noch hier im Parlament unterstützen sollen. Einem Monopolisten die Schafe in die Hürden zu treiben, kann in keinem gesellschaftlichen Bereich eine richtige und kluge Politik sein. Ich glaube, wir sind gut beraten, wenn wir uns auch hier eindeutig für den Wettbewerb aussprechen. ({7}) - Ich verstehe Ihre Aufgeregtheit. - Jedem Arbeitnehmer räumen Sie das Recht einer Vertretung ein; einer Führungskraft aber, die nicht ihre Vertretung im Betriebsrat finden kann und auch nicht finden darf, der wollen Sie das verweigern. Das ist ein merkwürdiges Verständnis von Demokratie. ({8})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Glombig?

Eberhard Pohlmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001732, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber bitte schön.

Eugen Glombig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000690, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Pohlmann, ist Ihnen im Bereich der Selbstverwaltung der Sozialversicherung auch nur ein einziger Fall bekannt, daß es außerhalb der Liste der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände eine andere Liste von Arbeitgeberverbänden gibt, daß es also nicht ein Abschlußmonopol der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände gibt?

Eberhard Pohlmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001732, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das hat, Herr Kollege Glombig, effektiv mit dieser Sache überhaupt nichts zu tun. ({0}) Auch das Bundesarbeitsgericht hat in einer Entscheidung gesagt, daß jede Gruppe einen Anspruch auf Vertretung hat. Lesen Sie bitte diese Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts. Meine Redezeit läuft ab. ({1}) Ich möchte hier deutlich sagen: Wir wollen mit dem Sprecherausschuß keinen zweiten Betriebsrat. Dieser Sprecherausschuß wird auch nicht mit dem Betriebsrat oder mit den Gewerkschaften konkurrieren. Das ist nicht das Ziel unseres Gesetzentwurfs. Ich fasse zusammen: Wir wollen uns mit unserer Initiative ({2}) nicht gegen die Betriebsräte, nicht gegen die Arbeitnehmer, nicht gegen die Arbeitgeber aussprechen. Was wir wollen, ist, einer kleinen Minderheit eine Chance einer eigenen Vertretung zu geben, die jede andere Gruppe für sich als selbstverständlich in Anspruch nimmt. Das ist unser Verständnis von Demokratie, die eben nicht vor dem Betriebstor endet. Vielen Dank. ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Schreiner.

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als man die Ausführungen von Herrn Müller ({0}) ({1}) und Frau AdamSchwaetzer ({2}) anhörte, hatte man den Eindruck, an einer Geisterstunde teilzunehmen. Man hatte das Gefühl, das drängende aktuelle Problem bestände darin, die Dampfwalze DGB, den Koloß DGB kleinzukriegen. ({3}) Man hatte das Gefühl, als lebten wir in einer Situation, wo der DGB das zentrale Problem wird. Jetzt sage ich Ihnen ein Beispiel aus meinem Wahlkreis, das sich vor wenigen Tagen zugetragen hat. Es ist ein Wahlkreis, wo sich die Quote der Arbeitslosigkeit der 15-%-Grenze nähert. Dort hat vor wenigen Tagen ein Großkonzern gewissermaßen über Nacht ({4}) einen Zweigbetrieb mit etwa 600 Arbeitsplätzen geschlossen ({5}) und wird damit dafür sorgen, daß die Massenarbeitslosigkeit in dieser Teilregion auf 25 % steigen wird. ({6}) Die Politik dieses Großkonzerns sorgt dafür, daß die Verzweiflung, die Angst der Mitbürger in dieser Region unerträgliche Ausmaße annehmen wird. Die bestehenden Möglichkeiten des Betriebsrats reichen auch nicht aus, um in dieser Frage einigermaßen steuernd eingreifen zu können. ({7}) Das heißt: Wenn diese Entwicklung so weitergeht, wenn die gegenwärtige Massenarbeitslosigkeit von real weit mehr als 3,5 Millionen ansteigen wird - und alle Anzeichen sprechen dafür, daß sie ansteigen wird -, wenn Sie - umgekehrt - die Axt an die Wurzeln der Einheitsgewerkschaften legen wollen, wenn die Angst der Mitbürger wachsen wird, dann muß ich die Frage stellen, in welche Zustände Sie steuern wollen. ({8}) Herr Scharrenbroich - ich weiß nicht, ob er anwesend ist - hat das hier zu diskutierende Gesetz vor wenigen Tagen - laut Organ der IG-Bergbau „Die Einheit" vom 2. Juni 1985 - mit Bestürzung zur Kenntnis genommen. Herr Kollege Scharrenbroich, wenn die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft - ich nehme das j a ernst ({9}) den hier heute abend zu behandelnden Gesetzentwurf mit Bestürzung aufnimmt, dann frage ich: Wo bleibt Ihre Reaktion hier von diesem Pult aus? ({10}) Wie können Sie zulassen, daß von seiten Ihrer Fraktion von diesem Pult aus so argumentiert wird, daß man den Eindruck gewinnt, daß sich die CDU/CSU in einer zentralen Frage des Betriebsverfassungsgesetzes zum Büttel von sozialreaktionären Abenteurern der FDP gemacht hat? Das ist der Punkt. ({11}) Herr Soénius, Schatzmeister der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft, sprach vor wenigen Tagen von sogenannten Wendeexzentrikern. ({12}) Er führte weiter aus: Die Pläne zur Auflösung des Tarifrechts gaben abenteuerlichen Rentenplänen die Hand. Ideen für ein gesetzliches Arbeitskampfrecht machen die Runde. Es bleibt die Frage, ob die gesetzliche Einrichtung von Sprecherausschüssen zu den politischen Prioritäten dieser Bundesregierung gehören muß. Die entscheidende Frage wird sein: Welche Rolle spielen die christlich-demokratischen Arbeitnehmer in der CDU? ({13}) Nach dem, was hier heute abend von der CDU/CSU in der Debatte gesagt worden ist, sind die christlichdemokratischen Arbeitnehmer bestenfalls das berühmte Feigenblatt, ({14}) mit dem draußen in der Bevölkerung kaschiert werden soll, daß der überwiegende Teil der CDU/CSUFraktion zutiefst reaktionäre Pläne verfolgt. ({15}) Man wird fragen müssen, wer Sie draußen noch ernst nehmen soll. Man wird an den Bundesarbeitsminister letztlich die Frage richten müssen, wie er als Vorsitzender dieser Organisation ({16}) sein Dilemma noch aushalten will, auf der einen Seite Pläne der Regierungsfraktionen mittragen zu wollen oder zu sollen und auf der anderen Seite eine Gruppierung in der CDU anzuführen, die diese Pläne strikt ablehnt. Herr Bundesarbeitsminister, was wollen Sie denn eigentlich? ({17}) Teilen Sie uns, teilen Sie der Bevölkerung, teilen Sie der Arbeitnehmerschaft endlich einmal mit, was Sie wollen!

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jäger ({0})?

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte schön.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schreiner, können Sie mir einmal erklären, was an einem Vorschlag erzreaktionär, wie Sie sich auszudrücken beliebt haben, sein soll, der erreichen will, daß eine Gruppierung, der es durch den freien Stimmzettel des Arbeitnehmers gelungen ist, 30 % der Sitze im Betriebsrat zu erringen, unter den Freigestellten und bei den Ausschüssen den ihr zustehenden Anteil auch erhält, während es bisher so ist, daß die Mehrheit der 70 % sämtliche Sitze in Anspruch nimmt? Was soll daran erzreaktionär sein? ({0}) Schreiner SPD: Herr Kollege, das kann ich Ihnen gern sagen. Ich will hier überhaupt nicht in Abrede stellen, ({1}) daß es in einzelnen Fällen ({2}) möglicherweise Mißbräuche gegeben hat und noch gibt. Wer das abstreiten würde, trüge nicht gerade zur Seriosität der Debatte bei. Aber wenn Sie eine kleine Kopfschramme haben, werden Sie sich hüten, sich gleich den Hals abzuschneiden. Und exakt dies ist die Situation: Einige wenige Mißbräuche in einigen wenigen Firmen müssen dazu herhalten, quasi als Vorwand, daß Sie die Axt an die Funktionsfähigkeit der betrieblichen Interessenvertretung legen; das ist der Punkt. ({3}) Das will ich Ihnen jetzt in einigen wenigen Sätzen noch erläutern. Sie werden wohl mit mir gemeinsam davon ausgehen können, daß die bestehende Betriebsverfassung, daß die Machtrealitäten in den Betrieben keineswegs so sind, daß die Arbeitnehmerschaft eine dominierende Position hat. Wenn Sie heute vor dem Hintergrund von Massenarbeitslosigkeit in die Betriebe hineingehen, dann werden Sie sehr schnell die Erfahrung machen, daß die Kollegen Angst haben, daß sie und ihre Familien die Arbeitslosen von morgen sind. Mit anderen Worten: Das entscheidende Sagen - daran hat das Betriebsverfassungsgerichtsurteil von 1971 überhaupt nichts geändert, obwohl es in vielen Teilbereichen Verbesserungen gebracht hat, haben nach wie vor mehr oder weniger uneingeschränkt die Unternehmensführungen. ({4}) Wenn Sie in dieser Situation die betriebliche Interessenvertretung der Arbeitnehmerschaft zerfasern und zersplittern, untereinander in Konkurrenz bringen, ({5}) Minoritäten, die über überhaupt keine Legitimation verfügen, ({6}) neue Konsensorgane im Betriebsrat schaffen, neue Zustimmungsorgane im Betriebsrat schaffen, dann sorgen Sie dafür, daß die Reibungsverluste innerhalb der betrieblichen Interessenvertretung zunehmen und daß die andere Seite, die nun in der Tat monopolisiert arbeitet, die keinerlei demokratische Legitimation hat, die von niemandem gewählt worden ist, die von niemandem abgewählt werden kann, die keine Konkurrenz zu befürchten hat, ({7}) noch stärker dominant wird, als sie es ohnehin schon ist. ({8}) Das heißt, Sie sorgen dafür, daß die relativ schwache betriebliche Interessenvertretung der Arbeitnehmer noch schwächer gemacht wird. Das ist die eine Stoßrichtung, und die ist gewollt. ({9}) Die zweite Stoßrichtung ist, daß Sie die Einheitsgewerkschaft, daß Sie den Deutschen Gewerkschaftsbund in der Tat in Konkurrenz zu anderen Gewerkschaften bringen wollen. ({10}) Wenn das so ist, dann müssen Sie hier von diesem Podium erklären, warum Sie sich von dem großen Konsens aller Parteien, aller sozialen Kräfte nach dem Zweiten Weltkrieg verabschieden wollen, ({11}) daß die Einheitsgewerkschaft die einzig richtige Antwort auf die geschwächte Arbeitnehmerschaft der 20er und 30er Jahre ist und daß die Einheitsgewerkschaft ein Garant stabiler demokratischer Verhältnisse ist. ({12}) Sie werden von hier oben begründen müssen, warum Sie aus dieser Gemeinsamkeit aussteigen wollen und aussteigen werden. - Wenn Sie uns vorhalten, daß wir aus der Einheitsgewerkschaft eine Richtungsgewerkschaft gemacht haben, Herr Kollege, dann bitte ich Sie, mal in Düsseldorf anzurufen und zu fragen, wie viele CDA-Kollegen Betriebsratsvorsitzende und freigestellte Betriebsräte sind. Rufen Sie in Düsseldorf bei der Zentrale an, und sagen Sie dann den CDA-Kollegen hier im Raum, wir hätten die DGB-Gewerkschaft zur Richtungsgewerkschaft gemacht. Die Kollegen sind völlig anderer Auffassung.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Link ({0})?

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Helmut Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001347, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte fragen, ob Ihnen bekannt ist, wie viele christlich-demokratische Arbeitnehmer, die dem DGB angehören, auf Grund eigener Listen in zahlreichen Betrieben und Großunternehmungen nur deshalb in Betriebsräte gekommen sind. ({0})

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das kann ich Ihnen nun wirklich nicht beantworten; das müssen die Kollegen von der CDA hier mal sagen. ({0}) - Dann beantworten Sie das doch! ({1}) - Das mag möglicherweise in Ihrem Einzelfall der Fall gewesen sein. ({2}) - Fragen Sie bitte nach, wie die Wirklichkeit aussieht, wie der Normalfall aussieht. Der ganze Trick, mit dem Sie bislang hier gearbeitet haben, besteht darin, daß Sie Randerscheinungen, die gewiß zu mißbilligen sind, verallgemeinern und damit zur Begründung für einen Gesetzentwurf heranziehen. Das ist der ganze Trick. ({3}) Ich komme gezwungenermaßen zum Schluß, weil es hier vor mir rot funkt. Wenn es denn einen Handlungsbedarf geben würde, wenn wir denn vor der Notwendigkeit stünden, unmittelbar zu reagieren, dann gälte es, eine schnelle Antwort auf die Frage zu finden, wie die Mitbestimmungsmöglichkeiten der Belegschaft organisiert werden können in der Frage der Auswirkungen der neuen Informationstechnologien.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, Sie müssen jetzt den letzten Satz sprechen.

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin im letzten Satz. Wir sind nach Auffassung nahezu aller Experten in einer geradezu historischen Umbruchsphase, die vergleichbar sein könnte mit der Entwicklung von der Agrargesellschaft in die mechanische Industriegesellschaft - Komma -, und weil dies so ist -

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Kollege, der Satz war zu Ende.

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- - und weil das so ist, wäre gerade diese Frage, wie wir den Menschen, die vor diesen neuen Technologien Angst haben, die wissen wollen, wie sie vor Rationalisierungseffekten geschützt werden, ein Instrument - ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, ich muß Sie bitten, mit dem Reden aufzuhören. Es tut mir leid, aber die Redezeit ist überschritten. Jetzt hat der Herr Abgeordnete Seehofer das Wort.

Horst Seehofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002140, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer die öffentliche Diskussion in den letzten Wochen verfolgt und heute auch die beiden Kollegen gehört hat, der muß sich schon fragen, warum eigentlich der DGB und die SPD gemeinsam so lauthals protestieren und auch polemisieren. Ich persönlich habe den Eindruck, daß hier die Gegner dieses Gesetzes Ursache und Wirkung verwechseln. ({0}) Sie übersehen nämlich, warum der Gesetzgeber zum Handeln gezwungen ist. Wie sieht denn die betriebliche Praxis aus? Fast überall, wo andere Gewerkschaften neben einer Einzelgewerkschaft des DGB kandidierten, versuchte man doch in der Vergangenheit schon im Vorfeld die Konkurrenz auszuschalten. Wo dies nicht gelang, wurde mit kalter Mehrheit die gewerkschaftliche Minderheit aus den wichtigen Ausschüssen und den Freistellungen ferngehalten. Mein Kollege Peter Keller, der sich sehr für dieses Gesetz engagiert hat, hat mir eine ganze Reihe von Beispielen dafür gegeben. Auf der Schachtanlage Schlägel & Eisen in Herten waren bei der Betriebsratswahl 1984 2 630 Arbeiter beschäftigt. Selbst wenn man unterstellt, daß all diese Arbeitnehmer aktives Wahlrecht besaßen, ist der dortigen Industriegewerkschaft Bergbau und Energie ein wahres Kunststück gelungen. Auf ihrer eingereichten Vorschlagsliste für die Wahl der Arbeiter fanden sich 2 794 Unterstützungsunterschriften. ({1}) Das waren mehr Unterschriften, als Arbeiter in diesem Betrieb überhaupt beschäftigt waren. Genau dies, meine Damen und Herren, ist die Taktik, die uns zum Handeln zwingt, die es in der Vergangenheit unmöglich gemacht hat, daß Minderheiten überhaupt Wahlvorschläge einreichen. ({2}) Da geht es, Herr Kollege Dreßler, nicht um 0,6 % Stimmen, die irgend jemand erhält. Ich kann Ihnen 50 größere Betriebe im Metallbereich nennen, in denen der Christliche Metallarbeiterverband kandidierte und zwischen 15 und 40 % der Stimmen gewann, und die Mehrheit der IG Metall hat den christlichen Betriebsräten keinen einzigen Sitz im Betriebsausschuß und keine einzige Freistellung zugebilligt, Herr Dreßler. ({3}) Ein Wort zur Einheitsgewerkschaft. Wenn andere Listen in geheimer Wahl 40 % der Stimmen bekommen, dann hat niemand von uns das Recht, über einen Paragraphen die Mitwirkung dieser 40 % im Betriebsausschuß und bei den Freistellungen zu verhindern. ({4}) Die Ursache für unseren gesetzlichen Schritt zum Schutz der kleineren Gewerkschaften liegt in Wahrheit in der jahrzehntelangen Mißachtung anderer gewerkschaftlicher Gruppierungen von seiten des DGB. Dies ist der eigentliche Grund, warum wir heute handeln. Für uns ist der Schutz von Minderheiten als demokratisches Grundelement unteilbar. Der Minderheitenschutz kann nicht nur für religiöse, politische, rassische oder andere Gruppen gelten. Er muß auch für gewerkschaftliche Minderheiten gelten, und er muß auch den Belangen von BeSeehofer triebs- und Personalräten Rechnung tragen, die überhaupt nicht gewerkschaftlich organisiert sind, sondern auf freien Listen kandidieren. Im Pressedienst der IG Metall vom 8. Mai dieses Jahres ist zu lesen: Den Umgang mit Minderheiten bezeichnete Preiss - ein Vorstandsmitglied als einen entscheidenden Prüfstein unserer politischen Kultur. Wirkliche Demokratie dürfe sich - so die IG Metall nicht in der Auszählung von Mehrheiten erschöpfen. Deshalb müsse gerade 40 Jahre nach dem Ende des Schreckens den Minderheiten Achtung und Respekt entgegengebracht werden. ({5}) Ich frage Herrn Preiss von der IG Metall: Warum bringt die IG Metall nach mehr als 25 Jahren den anderen, kleineren Gewerkschaften nicht diese Achtung und diesen Respekt entgegen? ({6}) Der Gesetzentwurf zur Verstärkung der Minderheitenrechte in den Betrieben und Verwaltungen schützt - darauf möchte ich noch einmal hinweisen - nicht nur kleinere Gewerkschaften; er stärkt auch in den Betrieben, in denen nur eine oder überhaupt keine Gewerkschaft vertreten ist, die Position solcher Arbeitnehmer, die für Betriebsratswahlen eigene Wahlvorschläge machen.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Adam-Schwaetzer?

Horst Seehofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002140, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte, Frau Kollegin.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Seehofer, Sie zitierten eben Herrn Preiss, Vorstandsmitglied der IG Metall. Ist Ihnen die Äußerung von Herrn Preiss aus der neuesten Zeit bekannt, in der er das Widerstandsrecht des Grundgesetzes in Anspruch nehmen möchte, um gegen den von uns jetzt vorgelegten Gesetzentwurf mobil zu machen, ({0}) und würden Sie mit mir diese Aussage eines IGMetall-Vorstandsmitglieds ({1}) zumindest im Lichte des in den Grundsätzen des DGB festgeschriebenen Demokratieverständnisses als höchst merkwürdig betrachten? ({2})

Horst Seehofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002140, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin AdamSchwaetzer, dies genau unterstreicht die Presseverlautbarung der IG Metall. Dies ist das Demokratieverständnis dieser Herren, die die Demokratie nur dann akzeptieren, wenn sie selbst in der Mehrheit sind. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Gesetzesinitiative zum Minderheitenschutz in den Betrieben und Verwaltungen ist verfassungsrechtlich erforderlich, weil ein entsprechendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Unterschriften-quorum vorliegt. Sie ist auch ordnungspolitisch richtig, weil Minderheitenschutz ein grundlegendes Element einer sozialen Ordnungspolitik ist. Sie ist finanziell unbedenklich, weil sie keine Mehrkosten verursacht, und sie ist auch vom Zeitpunkt her richtig, weil wir ausreichend Zeit zur Beratung haben, damit dieses Gesetz bei der nächsten Betriebsratswahl im Frühjahr 1987 wirksam wird. Unser Gesetz will nicht die Spaltung der Arbeitnehmerschaft, ({1}) sondern die Stärkung der demokratischen Rechte der einzelnen Arbeitnehmer und von deren Vertretern im Betriebs- bzw. Personalrat ({2}) sowie den Schutz von gewerkschaftlichen Minderheiten.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Zander?

Horst Seehofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002140, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn es mir nicht angerechnet wird!

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Nein, ich rechne Ihnen das nicht an, aber Ihre Redezeit geht ohnehin gleich zu Ende. ({0}) Bitte sehr.

Karl Fred Zander (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002581, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, wann können wir denn mit einem Gesetzentwurf rechnen, der die von Ihnen hier eben vorgetragenen Grundsätze des Minderheitenschutzes bei den Ärztekammern, bei den Industrie- und Handelskammern und bei den Handwerkskammern einführt? ({0})

Horst Seehofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002140, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Kollege, Sinn und Zweck dieses Gesetzentwurfes ist es, daß der Wählerwille, der in geheimen Betriebsratswahlen durch den Stimmzettel ganz offenkundig wird, nicht nachträglich über Paragraphen bzw. durch den Mißbrauch dieser Paragraphen verfälscht wird. ({0}) Herr Präsident, ich komme zum Schluß. Die Demokratie darf nicht am Werkstor enden, so argumentierte der DGB in den 70er Jahren. Wir werden ein demokratisches Grundelement, nämlich den Minderheitenschutz, mit diesem Gesetz in den Betrieben und auch in den Verwaltungen verwirklichen. Ich danke Ihnen. ({1})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/3384 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und zur Mitberatung an den Innenausschuß und den Ausschuß für Wirtschaft zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall; dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf: a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Huber, Wischnewski, Voigt ({0}), Bahr, Dr. Corterier, Stobbe, Gansel, Haase ({1}), Herterich, Würtz, Dr. Soell und der Fraktion der SPD Reform des Auswärtigen Dienstes - Drucksachen 10/2068, 10/3316 - b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Klein ({2}), Dr. Marx, Rühe, Dr. Stercken, Schwarz, Graf Huyn, Frau Geiger, Dr. Czaja, Dr. Abelein, Dr. Hupka und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher, Schäfer ({3}), Ertl, Dr. Rumpf und der Fraktion der FDP Reform des Auswärtigen Dienstes - Drucksachen 10/2656, 10/3317 - c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({4}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vierter Bericht des Auswärtigen Amtes über den Stand der Reform des Auswärtigen Dienstes - Drucksachen 10/882, 10/3308 Berichterstatter: Abgeordnete Lowack Frau Huber dazu Bericht des Haushaltsausschusses ({5}) in entsprechender Anwendung des § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 10/3471 Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Rose Hoppe Würtz Kleinert ({6}) Zu Tagesordnungspunkt 8 c liegt ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP auf der Drucksache 10/3493 vor. Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 c und eine Aussprache von zwei Stunden vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Huber.

Antje Huber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000968, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Große Anfragen bezwecken häufig, ganz offenbar notleidend gewordene Felder der Politik vor dem Parlament und auch in der Öffentlichkeit auszubreiten, bei denen es die Bundesregierung nicht gerade zu Lösungen drängt. Dies trifft für den auswärtigen Dienst so, wie die Antworten hier ausgefallen sind und wie die Diskussion im Kabinett offensichtlich gelaufen ist, ganz sicher zu. Drei Jahre hat es gedauert, bis die von Bundesaußenminister Brandt eingesetzte Reformkommission ihr Gutachten vorgelegt hat. Seitdem hat es 14 Jahre gedauert, bis das Parlament, der seither viermal fortgeschriebenen dünnen Vollzugsberichte überdrüssig, heute die Reform des auswärtigen Dienstes auf die Tagesordnung gesetzt hat, wenngleich nur in Form zweier Anfragen, die die entscheidenden Mängel einmal mehr unterstreichen, ohne daß in den Antworten Abhilfe schon echt versprochen würde. Es bereitet nicht gerade Genugtuung, meine Damen und Herren, wenn im Parlament ein Thema zur Sprache kommt, das inzwischen 20 Jahre schwelt. Aber, wie gesagt, es handelt sich um eine Reform, die die Regierung über Jahre hinweg hätte betreiben können, ja betreiben müssen, damit es dort nicht zu einem so skandalösen Problem kommt, wie es jetzt vorliegt. Der Auswärtige Ausschuß empfand es jedenfalls zur Gänze als Zumutung, nach dem vierten Bericht über den Stand der Reform etwa noch einem fünften Bericht entgegensehen zu müssen, der, seinen Vorgängern ähnlich, eigentlich nichts weiter sagt, als daß die Reform weiterhin nicht in Sicht ist. Die SPD-Fraktion hat als erste den Vorstoß dieser heutigen Diskussion unternommen, nachdem bei den letzten Haushaltsberatungen deutlich wurde, daß trotz einiger kleiner Erfolge, die den Empfehlungen des Auswärtigen Ausschusses im Haushaltsausschuß beschieden waren, der Eindruck eines Problemberges verblieb, an den man statt mit dem Bagger mit dem Sandkastenschippchen herangeht. Die „Lust" der Regierung, hier wirklich einmal etwas Entscheidendes zu tun, wird nicht zuletzt dadurch illustriert, daß es sieben Monate gedauert hat, bis wir endlich die Antworten auf die Großen Anfragen erhielten. Die Schuld daran liegt wahrscheinlich weniger beim Auswärtigen Amt, sondern bei den mitbeteiligten Häusern, die keinerlei Formulierungen wünschten, mit denen unglückliche Kompetenzverteilung oder gar notwendigerweise kostenträchtige Reformbemühungen deutlich wurden. Für den auswärtigen Dienst sollte sich aber in der Tat die ganze Bundesregierung verantwortlich fühlen, auch für seine Misere. Schließlich ist dieser Dienst die Visitenkarte der Bundesrepublik in der Welt. Daß er trotz der seit Jahren bekannten und inzwischen noch vermehrten Engpässe und Nöte gerade noch funktioniert, sollte niemanden stolz machen außer den auswärtigen Dienst selbst. Dafür möchte ich ihm im Namen meiner Fraktion heute noch einmal ausdrücklich danken. ({0}) In einer dreitägigen Anhörung konnte sich der Auswärtige Ausschuß - leider ohne den Minister - Anfang des Jahres von der Situation dieses Dienstes ein gar nicht schönes Bild machen. Uneingeweihten stellt sich der auswärtige Dienst j a bekanntlich sehr wirklichkeitsfern und höchst unterschiedlich dar. Während die einen eine Diplomatenkarriere für einen Traumberuf halten, ohne seine täglichen Nöte vor Ort zu kennen, reden andere geringschätzig von Leuten, die ihr Geld hauptsächlich durch das Halten von Cocktailgläsern verdienen. Es ist an der Zeit, in aller Nüchternheit einmal öffentlich zu sagen, daß die große Zahl der Mitarbeiter auf wenig glanzvollen, dafür aber oft mühseligen Posten lebt, einen frustrierenden Alltag hat und dort Dienst zu leisten hat, oft auch unter Lebensgefahr. ({1}) Beirut kann durchaus als aktuelles Beispiel dienen. Es gibt sicher viele solche Beispiele. ({2}) Sowohl die von uns mit Recht erwarteten fundierten Berichte als auch die Repräsentation der Bundesrepublik, die Weitergabe von Informationen und das Knüpfen wichtiger Kontakte zu dem jeweils betroffenen Staat, seiner Wirtschaft und Kultur verlangen gut ausgebildete und sich ständig weiterbildende Mitarbeiter, die ein unstetes Leben für sich und ihre Familien in Kauf nehmen, meist an wenig komfortablen, isolierten Orten an gesundheitsgefährdenden Plätzen. Natürlich besteht kein Zweifel darüber, meine Damen und Herren, daß auch die Bundesrepublik ihren auswärtigen Dienst für unverzichtbar hält. Welche Wertschätzung er allerdings in den Augen der Bundesregierung erfährt, wird durch die Tatsache beleuchtet, daß dieser Dienst seit mehr als einem Jahrzehnt sträflich vernachlässigt wurde, auch - wie wir redlich zugeben müssen - in Zeiten der sozialliberalen Koalition. Wie in den beiden Großen Anfragen dargelegt und bei den Haushaltsberatungen im vergangenen Jahr hier schon einmal vorgetragen, haben sich die Aufgaben des auswärtigen Dienstes in den letzten anderthalb Jahrzehnten enorm vermehrt. Ich kann das heute nur in Stichworten noch einmal wiederholen: Neuaufnahme diplomatischer Beziehungen zu über 40 Staaten der Welt, insbesondere im Osten und in der Dritten Welt, Mitarbeit in vielen internationalen Organisationen auf Europa- und Weltebene, darunter allein neun ständige Vertretungen - UNO, NATO und EG sind nur die wichtigsten Namen -, Mitarbeit bei zahlreichen internationalen Konferenzen, die sich mit Wirtschaftsentwicklung, Rüstungskontrolle, Abrüstung, Entwicklungspolitik, Menschenrechten, Energie, Technologie, Seerecht, Terrorismusbekämpfung und vielen anderen Fragen befassen, Abkommen bilateraler und multilateraler Art mit allen Teilen der Welt und last, not least die Ausweitung der Konsulartätigkeit durch die steigende Zahl von Visaanträgen und die Betreuung von Touristen, Geschäftsleuten und Sportlern. Diese Entwicklung hat unserem auswärtigen Dienst eine globale Dimension gegeben. Dieser wurde während der letzten Jahre allerdings nicht etwa durch Stellenvermehrung, sondern durch Stellenkürzung Rechnung getragen. Insgesamt waren seit 1973 368 Stellen betroffen, die nur zum kleinsten Teil und mit sehr viel kw-Vermerken wieder ausgeglichen wurden, so daß das Auswärtige Amt sich jetzt mit einem Soll von 5 971 Stellen unter dem Stand von 1972 sieht und damit erheblich unter dem Niveau vergleichbarer Länder - Frankreich, England, Italien, Japan, ja selbst Holland und selbstverständlich Amerika -, die an allen wichtigen Plätzen der Welt mit Abstand stärker vertreten sind als die Bundesrepublik Deutschland. Auch diese Länder haben sich finanziellen Engpässen gegenübergesehen, aber sie haben in richtiger Abwägung ihrer Interessen an ihrem auswärtigen Dienst nicht so lange herumgespart, bis er fast zur Hälfte nur noch aus Kleinstvertretungen wie bei uns besteht. Bei Mehrfachakkreditierungen bis zu zwölf Ländern gleichzeitig kann man nur sagen: im Dutzend billiger. Doppelakkreditierungen gibt es im Verhältnis zu 33 Staaten der Welt. Andere Länder fördern z. B. ihre Wirtschafts- und Technologiebeziehungen sehr viel gezielter, was uns in Afrika und Asien kaum noch möglich ist. Das Auswärtige Amt hat, so lernen wir aus den Antworten zu unserer Anfrage, in den letzten zehn Jahren über 1 000 Stellen beantragt, davon 207 erhalten, aber gleichzeitig 404 aus dem Bestand verloren. Damit hat es nach dem Verteidigungsministerium am meisten eingespart, allerdings auf ganz anderer Breite und natürlich auf ganz anderer Grundlage. Der mittlere Dienst, dessen Ausbau schon von der Reformkommission, der Herwarth-Kommission, verlangt worden ist, wurde seit 1970 um 78 statt um die geforderten 200 Stellen ausgeweitet. Daß uns dies alles hier im Parlament nicht früher beschäf10884 tigt hat, kann man wohl nur mit einem Ausspruch von Talleyrand erklären, der einmal gesagt hat: Diplomaten regen sich nicht auf; sie schreiben nur Notizen. - Jedenfalls hat das Auswärtige Amt seine Notrufe erst spät an uns gerichtet. ({3}) - Ja, vielleicht; aber dann müssen sie wahrscheinlich uns aufregen. Dem Amt ist nichts übriggeblieben, als umzudisponieren und zu improvisieren und offenen Auges zuzusehen, wie die Routinearbeit in unseren Vertretungen alles andere an den Rand drängt. Kein Ressort der Bundesrepublik kann seit 1974 eine solche personelle Kontinuität aufweisen wie das Auswärtige Amt, keines zugleich eine solche Aufgabenvermehrung bei nachlassender Effizienz. Denn anders kann man es nicht interpretieren, daß inzwischen auch die Länder angefangen haben, nicht nur auswärtige Kontakte zu knüpfen, sondern sogar eigene Vertretungen im Ausland zu installieren. Es fällt nicht nur Insidern auf, daß es hier Bonn offenbar schwerfällt, das Primat der Außenpolitik aufrechtzuerhalten und die Einheit der Außenpolitik auf Dauer zu wahren. Ich glaube, hier sollten wir glaubwürdiger werden und auch bleiben. Mangels genügender Personalstärke findet auch keine ausreichende Verzahnung zwischen bilateraler und multilateraler Berichterstattung statt. Die immer noch mangelhafte, wenn auch verbesserte technische Ausstattung, die Büropersonal vermindern und Sprachendienst entlasten half, ist nur ein schwacher Trost in einer zusammenrückenden Welt, wo Präsenz und fachkundiger Einsatz über freundschaftliche Beziehungen, wirtschaftliche Aussichten, technologische Zusammenarbeit und kulturellen Austausch von morgen entscheiden. ({4}) Gewiß gibt es keine gesellschaftlichen oder staatlichen Organisationen, in denen keine Fehler gemacht werden. Einerseits gelingt es kaum, Ablösungen bei Auslandsvertretungen ohne Leerlauf zu vollziehen, andererseits ist es gelegentlich auch zu Fehl- und Überbesetzungen gekommen. Das wollen wir redlich zugeben. Hier hat der Bundesrechnungshof schon recht. Daß man allerdings den auswärtigen Dienst so einfach nach dem herkömmlichen REFA-System beurteilen kann, muß sehr bezweifelt werden. ({5}) Das Auswärtige Amt hat begonnen, eine Personalbemessungsmethode zu entwickeln, die speziell für den auswärtigen Dienst geeignet ist. Dem Rechnungshof wäre ein im auswärtigen Dienst erfahrener Mitarbeiter zu wünschen, damit nicht einige wenige Beanstandungen in New York oder Washington verdunkeln, was wir z. B. in den Berichten der sechs Inspektionen in Mittelamerika gelernt haben. Das Auswärtige Amt ist wirklich zu schwach bestückt, meine Damen und Herren, und daher zu unflexibel in Einsatz, Fortbildung und Spezialisierung. Die so wichtige postenbezogene Fortbildung z. B. ist mehr als mangelhaft. Der auswärtige Dienst ist auch nicht mehr attraktiv. Besonders qualifizierte Bewerber gehen woandershin. So sagt es auch die Regierung in ihrer Antwort zu Frage 33 der Koalitionsfraktionen. Die Bewerber gehen woandershin, weil die Bezahlung besser ausfällt, die Gesundheitsgefährdung geringer ist, die Lebenssituation besser überschaubar ist und weil die Frauen ihren Beruf nicht aufgeben müssen. Die weite Welt ist heute für viele nur mehr als Urlaubsziel begehrt. Dann lesen wir noch, daß die Sprachenzulagen - das fand ich besonders beglückend - seit 1928 nicht verändert worden sind. ({6}) Es ist schon ein merkwürdiger Zustand, daß der auswärtige Dienst, dessen ureigenste Aufgabe es ist, auswärtig zu sein, nicht im gleichen Stellenkegel ist wie die gerade im Inland tätigen Mitarbeiter, die vorübergehend nach Hause gekommen sind. Obwohl es vielerlei Widerwärtigkeiten gibt - schließlich arbeiten 47 % der Mitglieder des auswärtigen Dienstes an gesundheitsgefährdenden Plätzen und viele unter schlechten Arbeits- und Sicherheitsbedingungen -, wird die Arbeit der im Ausland Tätigen weniger hoch eingeschätzt als die der im Inland arbeitenden Beamten. Das versteht kein redlich denkender Mensch. Aber es ist sehr bequem, vor allen Dingen für den Finanzminister, weniger für den Außenminister, dem dadurch laufend Probleme bei der Rotation entstehen. Diese - so lernen wir aus den Antworten - erfolgt im Schnitt nach dreieinhalb bis viereinhalb Jahren je nach Dienstgrad. Sie könnte zwar im Interesse kontinuierlicher Arbeit im Auswärtigen Amt und auswärtigen Dienst sicher noch flexibler sein, effizienter und kostensparender. Auf jeden Fall aber ist der einheitliche Stellenkegel ein wichtiger Punkt der Reform, wenn man sie denn ernsthaft will. Es ist ziemlich unerträglich, daß die spezifischen Erfordernisse des auswärtigen Dienstes nicht nur durch die Brille des Innenministers betrachtet, sondern entsprechend diesem durch keine Information vor Ort getrübten Blick - das lernten wir in der Anhörung auch - auch entschieden werden. Alles wird über einen Leisten geschlagen. Die Sonderbestimmungen Ausland sind nach Inlandsvorstellungen gemacht und daher im Grunde völlig unpraktikabel. Das führt dazu, daß sie ständig umgangen werden - müssen. Konnte der Außenminister nach der Kompetenzänderung 1973 noch davon ausgehen, daß sein FDP-Kollege vom Innenressort offene Ohren haben wird, so zeigt sich jetzt der Mangel dieser Entscheidung. Aber selbst wenn es einmal Einigkeit unter den Ressorts gab, bedeutet das noch lange nicht, daß die gefaßten richtigen Beschlüsse auch durchgeführt werden. 1972 beschlossen Finanz-, Wirtschafts- und Außenministerium gemeinsam, eine Personalreserve - auch ein Hauptanliegen der Herwarth-Kommission - von 8 % zu schaffen. Allein ein ordnungsgemäßer Versetzungsrhythmus würde 6 % verlangen - ohne Fortbildung, ohne Krisenmanagement, ohne Rehabilitationslösungen, die man damit auch durchführen könnte, wenn man denn keine anderen Lösungen hat. Genehmigt wurden 54 Stellen. Das entspricht einer Steigerung von 2,3 %. Aufgeschoben wurde ein Nachholbedarf von 130 Stellen. So pflanzen sich die Sünden über Jahrzehnte fort und vermehren die Probleme. Was die Bundesregierung zu Frage 1 der Koalitionsfraktionen über den Vollzug der lange fälligen Reform vermeldet, sind hauptsächlich durch die Entwicklung notwendig gewordene organisatorische Maßnahmen: ein bißchen Informationstechnik, Datenverarbeitung, Verbesserung von Ausbildungs- und Beurteilungssystem, Veränderung von Arbeitsschwerpunkten und Verbesserung der Kulturpolitik. Keines der Hauptprobleme, welche die Reformkommission aufgezeigt hat, ist gelöst. Deshalb mußte die Bundesregierung auch eingestehen, daß die Empfehlungen der Herwarth-Kommission - immerhin 14 Jahre her - heute noch nicht erledigt sind, also noch gültig sind. Sie sind durch den gewachsenen Problemdruck, wie wir uns in der Anhörung überzeugen konnten, eher noch größer geworden. Die Betrachtung muß ergänzt werden, denn es haben sich ganz neue Probleme in den Vordergrund geschoben, die früher nicht wichtig waren. So läßt sich z. B. an einer ganzen Reihe sozialer Probleme der Mitarbeiter des auswärtigen Dienstes nicht mehr vorbeisehen. Das Zulage- und Beihilfenwesen ist über die vorjährigen Ansätze hinaus verbesserungsbedürftig. Es war geradezu schockierend, zu erleben, wie ein Mitarbeiter des einfachen Dienstes in unserer Anhörung seine durch das mangelhafte Umrechnungssystem bei Dollars ausgelöste soziale Notlage beschrieb. Noch schockierender ist aber, mit welch lächerlichen Zugaben unser Finanzminister seine Fürsorgepflicht einem Mitarbeiter gegenüber als erfüllt ansieht, wenn dieser Mitarbeiter weniger bekommt, als die Bundesregierung in ihrer Broschüre für Auswanderer für einen Ledigen als Minimum angibt, obwohl dieser Mann verheiratet ist. ({7}) Was wir da über die Situation von Mitarbeitern erfuhren, die im einfachen und im mittleren Dienst draußen in Hochlohnländern praktisch unter Sozialhilfeniveau arbeiten, ist ein solcher Skandal, daß der Außen-, der Finanz- und der Innenminister überhaupt keine Entschuldigung dafür finden können. Auf unsere Intervention hin kam es im vorigen Herbst zu befristeten Sofortmaßnahmen. Sie sollen nun durch eine Dauerregelung abgelöst werden - sie sollen nicht etwa ergänzt werden; in der Fragestunde ist eine falsche Auskunft gegeben worden -, die so mager ist, daß sich einem die Haare sträuben, wie leichtfertig doch die Regierung riskiert, hier an den Pranger gestellt zu werden. Aber das muß heute geschehen, wenn ein schwerarbeitender Mann mit Familie nicht mehr das Nötigste hat, um durchzukommen, und weniger bekommen soll, als der Minister durch die jährliche Anpassung verdient. ({8}) Es entsteht der Eindruck, daß die Herren Minister gar nicht richtig hinhören, wenn wir über die Nöte der kleinen Angestellten sprechen. Lieber läßt man fortlaufend die verarmten Mitarbeiter nach Hause transportieren und bezahlt statt dessen teurere Ortskräfte, die man vor Ort anwirbt. Es müssen vernünftige Regelungen her. Es gibt sie auch, aber in anderen Ländern, meine Damen und Herren. Die Wohnungsfürsorge muß verstärkt werden. Die schulischen Hilfen müssen verbessert werden. Der Versicherungsschutz für Angehörige und Mitarbeiter des auswärtigen Dienstes darf sich nicht länger auf die Formulierung beschränken, daß, wenn Krieg oder Aufruhr ausscheiden, eine Härteklausel helfen kann. Die baulichen Sicherheitsmaßnahmen sind aus dem Titel von 5,4 Millionen DM für alle Neu-, Um-und Erweiterungsbauten sicherlich nicht zu finanzieren. Auch die persönlichen Sicherheitsmaßnahmen sind noch dürftig, einschließlich der absoluten Unterversorgung mit Regionalärzten: ganze fünf für Asien und Afrika. So etwas kennt kein anderes Land. Da kann man immer nur von einem noch unterentwickelten Verständnis der normalen Fürsorgepflicht eines Dienstherrn sprechen. Ganz ernst zu nehmen ist die relativ neue, aber doch verständliche Unzufriedenheit der Ehefrauen, denen im auswärtigen Dienst Berufs-, Einkommens- und Rentenverzicht, zugleich aber unbezahlte Mitarbeit zugemutet wird. Auch mit diesem Problem hängt die fortschreitende Unattraktivität des auswärtigen Dienstes zusammen. Nicht nur die aus finanziellen Gründen begrenzten Möglichkeiten der Vorbereitung auf den Außenposten werden von den Frauen beklagt, sondern auch die mangelnden Arbeitsmöglichkeiten im Ausland, die beruflichen Anschlußschwierigkeiten bei Heimkehr. Nein, eigentlich kann ich nur sagen: Das ganze System ist von gestern. ({9}) Es vereinnahmt die Ehefrau und gibt dafür ihrem Ehemann - man höre - 17,50 DM oder je nach Land vielleicht 35 DM in die seit Jahren nicht erhöhte Aufwandsentschädigung. Für die Tätigkeit der Frau bekommt er also 17,50 DM. Das kann nicht so bleiben und wird nicht so bleiben. Wenn das Auswärtige Amt nicht für eine durchgreifende Regelung sorgt, werden die Ehefrauen über die Männer für die Ablehnung des auswärtigen Dienstes sorgen. Eine vernünftige Zukunftsbasis stellt die derzeitige Ausstattung des auswärtigen Dienstes also keinesfalls dar. Schon das Reform-Gutachten stellte 1971 erhebliche Mängel fest; die sind nur teilweise oder gar nicht gelöst worden. Inzwischen haben sich die Probleme mit der Arbeit ausgeweitet. Nur der Blick des Ministers dafür hat sich anscheinend verengt, sonst hätte man doch längst Alarm schlagen müssen, und man hätte auch Unterstützung bekommen. Die eingetretene Verschlechterung und der Eindruck, daß sich ohne das Parlament weiterhin nichts bewegen wird, veranlaßten uns zu der Großen Anfrage. Wir wollen im Kern wissen, ob sich die Regierung zu einem arbeitsfähigen, zeitgemäßen, sozial vernünftig abgesicherten Dienst bekennt. Es gibt hier keinen Parteienstreit, sondern nur die ernste Sorge um den auswärtigen Dienst. ({10}) Selbst der Haushaltsausschuß hat j a unsere einstimmige Empfehlung gebilligt, wenn auch aus seiner Funktion heraus mit Prüfungsvermerk. Aber er hat sich doch sehr wohlwollend und allseitig schon seit Jahren zu Verbesserungen im auswärtigen Dienst geäußert. Deshalb bitten wir heute das Parlament, unsere Entschließung nicht nur zu billigen, sondern wir bitten, weiter mitzuhelfen, daß wir eine Verbesserung im Dienste bekommen, in Stufen selbstverständlich. Der auswärtige Dienst hat verdient, daß sich die Regierung hinter ihn stellt. Die Bundesrepublik hat einen guten auswärtigen Dienst verdient. So sollten wir heute die Bundesrepublik vor Schaden bewahren, indem wir die Reform endlich angreifen. ({11})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Marx.

Dr. Werner Marx (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001431, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Nach einigen Verzögerungen, aber, wie ich denke und hoffe, noch rechtzeitig vor den Erörterungen zum Haushalt 1986 kann dieses Haus heute eine längst überfällige Debatte zum Zustand des auswärtigen Dienstes führen. Ich sage „längst überfällig", weil sich im Laufe der letzten 15 Jahre der Deutsche Bundestag nur sehr sporadisch mit dem Instrument unserer Außenpolitik befaßt hat. Doch sind wir uns alle darüber einig, daß die Bundesrepublik Deutschland wegen ihrer geographischen Lage, ihrer politischen und wirtschaftlichen Bedeutung, auch wegen ihrer Geschichte und ihrer kulturellen Aufgaben einen fähigen, rasch und richtig agierenden und reagierenden auswärtigen Dienst braucht, j a daß ihr Ansehen davon abhängt, ob unsere Diplomaten, und zwar auf allen Stufen des Dienstes, in die Lage versetzt werden, ihre Aufgaben mit Hingabe, ja mit Passion und Könnerschaft zu erfüllen. Es ist jetzt bald 15 Jahre her, daß die von der Regierung der Großen Koalition eingesetzte Kommission zur schon damals notwendigen Reform des auswärtigen Dienstes ihren grundlegenden Bericht vorgelegt hat. Dieser ist damals auf, sagen wir: allgemeine Zustimmung gestoßen. Die Bundesregierung, das Parlament und auch die interessierte Offentlichkeit hatten verstanden, daß man nach den Jahren des Aufbaus jetzt zum Ausbau und der notwendigen Modernisierung schreiten müsse. Schon 1978 mußte man über die Konsequenzen nachdenken, die sich aus der gewachsenen Geltung der Bundesrepublik Deutschland in der Welt und aus den tiefgreifenden europäischen und auch aus den gesellschaftlichen Veränderungen ergaben. Der erste Zwischenbericht, den die Herwarth-Kommission vorlegte, war damals konsequenterweise auch überschrieben: „Der diplomatische Dienst in einer sich wandelnden Welt." Die Zustimmung - sagte ich - war allgemein, aber, meine Damen und Herren, mit der Durchführung haperte es von Anfang an. Zwar hat das Auswärtige Amt vieles sozusagen mit Bordmitteln selbst verändert, umgeschichtet, angepaßt und sich durch die ersten Rationalisierungen dort, wo es zu sehr zu drücken begann, Luft geschaffen; aber überall, wo nicht nur das Amt, sondern die gesamte Bundesregierung angesprochen war und auf die Besonderheiten der Inlands- und Auslandsarbeit hätte eingehen sollen, wo sie den mittleren Dienst, der in vielerlei Hinsicht das Rückgrat - insbesondere bei den Auslandsvertretungen - ist, hätte stärker ausbauen sollen, wo eine Personalreserve hätte bereitgehalten werden sollen und z. B. das Besoldungs-, Abrechnungs- und Umzugswesen hätte vereinfacht werden sollen - dies alles waren Empfehlungen in der damaligen Zeit, denen alle zugestimmt hatten -, gab es mannigfache Hemmnisse, Bedenken, ordnungssystematische Einwände, so daß der große Wurf, den man sich erhofft hatte, viel zu kurz und am Ende nicht wirkungsvoll geriet. Ich stelle das hier zu Anfang fest, weil in den drei dem Herwarth-Bericht folgenden Berichten des Auswärtigen Amtes, in denen der jeweilige Stand der Reform - Frau Huber ist darauf eingegangen - dargestellt wurde, allzuoft von seiten der Regierung die bisher erreichten Erfolge großgeschrieben und geschönt worden sind und nicht rechtzeitig auf jene Gefahren hingewiesen wurde, die dann drohen, wenn zwar viel von Reform geredet, aber wenig danach gehandelt wird. Aber auch die Abgeordneten dieses Hauses sollten sich an die eigene Brust klopfen, daß sie zwar 1974 und 1976, 1977 und 1979, 1980 und 1981 in den Ausschüssen die vorhin genannten Zwischenberichte mehr oder weniger - sage ich einmal - intensiv berieten, aber daß sie auch ihrerseits niemals eine Debatte anstrengten. Daher ist die Situation so prekär geworden, wie wir sie heute vorfinden. Ich sage: Die heutige Debatte halten wir für absolut notwendig. Wir hielten es auch für notwendig, Herr Bundesaußenminister, daß nicht nur Sie, sondern auch andere Mitglieder der Bundesregierung bei dieser Debatte dabei sind, zuhören ({0}) und dann auch versuchen, unserem Anliegen durch Ihre eigene Tätigkeit aufzuhelfen. ({1}) Meine Damen und Herren, die Situation des auswärtigen Dienstes, auf die wir aufmerksam machen, ist in der Tat schwierig. Fürchten Sie nicht, daß ich jetzt dramatisiere oder ungebührliche Formeln gebrauche! Das liegt mir fern. Was wir tun, ist auch keine Marotte von Fachidioten, die unkritisch in den auswärtigen Dienst verliebt wären. Es ist Einsicht in die Notwendigkeit, die uns veranlaßt, an dieses ganze Haus, an die deutsche Öffentlichkeit heranzutreten und sie für unsere Probleme, die wir hier vortragen, hellhörig und dünnhäutig zu machen. Wir werden auch nichts Unmögliches fordern, wir werden Augenmaß behalten, aber wir werden nicht nur in diesem Jahr - dies ist nicht die letzte Debatte -, sondern auch in den nachfolgenden Jahren Forderungen stellen, die wirklich dringend sind. Gut Ding hat nun Weile genug gehabt. ({2}) Meine Damen und Herren, wir stützen uns bei der heutigen Debatte und bei unseren Anträgen auf Vorarbeiten, die der Auswärtige Ausschuß - ich möchte uns nicht besonders loben - in, so möchte ich doch sagen, gründlichen und sachkundigen Diskussionen in Beratungen mit dem Auswärtigen Amt und in einer fast dreitägigen Anhörung mit 34 Sachverständigen geleistet hat. Erlauben Sie, daß ich sage: Seit ich selbst die Führung des Auswärtigen Ausschusses übernommen habe, drängte ich auf eine solche systematische Prüfung. Ich hatte dabei die Freude, daß sich die Mitglieder aller Fraktionen mit Interesse und Engagement an dieser Aufgabe beteiligten. Ich hoffe - trotz mancher Enttäuschungen -, daß wir dabei bleiben können. Fast jeder von uns, der öfters im Ausland sein muß und sich dabei nicht nur um die Verhältnisse und die politischen Absichten anderer Staaten, sondern auch um die Effektivität der eigenen Vertretungen und ihrer Mitarbeiter kümmert, kommt mit der Nachricht zurück, daß unsere Auslandsvertretungen mit den ständig anwachsenden Aufgaben bei schwindendem Personalbestand nicht mehr recht fertig werden. Ich füge hinzu, daß Ausnahmen natürlich die Regel bestätigen. Unser Eintritt in die Vereinten Nationen, unser gesteigertes Engagement dort und in ihren Sonderorganisationen, Ausschüssen und Kommissionen hatte natürlich zur Konsequenz, daß Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes an anderen Stellen abgezogen werden mußten. Es sind diplomatische Beziehungen zu den mittelost- und südosteuropäischen Staaten aufgenommen worden. Es wurde eben schon gesagt - aber man kann es nicht oft genug sagen, damit man die Dimension begreift -: Wir haben zu 40 weiteren Ländern, darunter die Volksrepublik China, die Vereinigten Arabischen Emirate, Angola, Simbabwe, mittlerweile diplomatische Beziehungen aufgenommen. Die konsularischen Tätigkeiten mußten vor allem in den zahlreichen Ländern mit Massentourismus enorm ausgedehnt werden. Die Rückführung vieler hunderttausend Deutscher, die Betreuung von Umsiedlern und Flüchtlingen, die Welle der Asylanten, dies alles ist mit demselben Personalumfang erledigt worden. Deshalb ist es, glaube ich, gerechtfertigt, wenn wir an dieser Stelle denjenigen, die ohne zu murren und ohne ihre tägliche Arbeitszeit so präzise einhalten zu können, wie viele Kollegen hier im Lande dies tun können, danke für diese Arbeit zu sagen. ({3}) Meine Damen und Herren, Frau Huber hat auf ein Phänomen hingewiesen - ich will es noch ein wenig erhellen und verdeutlichen -: Wir haben heute trotz all der ausgreifenden neuen Maßnahmen 5969 Mitarbeiter im auswärtigen Dienst. Im Jahre 1975 waren es 6 203. Wir wollen auch nicht vergessen, daß z. B. die 1 %igen Stellenkürzungen Jahr um Jahr dem auswärtigen Dienst ebenfalls aufgedrückt worden sind, so wie einem Ressort, welches seine Mitarbeiter nur in der Bundesrepublik hat. Seit dem Ende der 70er Jahre mußten daher viele Botschaften wiederholt verkleinert und ausgekämmt werden, so daß man heute bei manchen Botschaften nur noch Skelette, kann man sagen, findet, die zurückgeblieben sind, die man verschämt „Kleinbotschaften" nennt. Fast 50 % aller unserer Botschaften haben gerade noch einen höheren Beamten, manche zwei. Was ist, wenn die z. B. in Urlaub gehen oder krank sind? Wie fähig, wie tätig kann dann die Botschaft noch sein? ({4}) - Ja, leider ist das manchmal so. Es gibt manchmal auch Leute, im mittleren und im gehobenen Dienst, wo man stolz sein kann, daß sie so viel an politischem und sachlichem Instinkt haben, daß sie draußen mitunter fast vergessen machen, daß der höchste Beamte, den man eigentlich da haben müßte, fehlt. Meine Damen und Herren, ich will nicht mehr auf die vielen neuen, zusätzlichen Aufgaben eingehen, die schon kurz beschrieben worden sind. Aber ich möchte doch sagen, daß sie alle wahrgenommen werden müssen - auch bei der Flut der Konferenzen, die es heute gibt. Vielleicht sagt mancher, es gebe zu viele dieser Konferenzen. Aber natürlich müssen wir, wenn es Fachkonferenzen gibt, mit unseren Leuten, unseren kenntnisreichen Leuten anwesend sein, unsere Flagge zeigen, unsere Bernerkungen machen, mit abstimmen, dort mithelfen, wo wir gefragt sind. Die Personaldecke ist heute bis zum Zerreißen gespannt, zum Nachteil fast aller Auslandsvertretungen, wo doch, wie einer der Sachverständigen bei unserer Anhörung formuliert hat, der Mutterstoff der Diplomatie eigentlich in den bilateralen Beziehungen liegt. Dort ist am meisten ausgedünnt worden. Was helfen uns z. B. Entschließungen hier in diesem Hause, hat ein anderer Sachverständiger gefragt, wo wir festlegen, daß wir z. B. unsere Beziehungen mit den Vereinigten Staaten auf allen Gebieten weiter ausbauen wollen, wenn wir zur gleichen Zeit in den Vereinigten Staaten fünf Konsulate schließen? Das kann im Grunde genommen niemand verstehen. Bei einem staatsbürgerlichen Unterricht in der Schule können Sie das auch keinem Schüler und keiner Schülerin klarmachen, daß dies eine verantwortliche Haltung sei und man das auch in der Zukunft so weiter führen könne. ({5}) Meine Damen und Herren, wir sind - bleiben wir bei den USA -, was unsere konsularischen Vertretungen in diesem Land, über die ich gerade spreche, betrifft, hinter die Südkoreaner und die Japaner zurückgefallen. Die Südkoreaner haben in den Vereinigten Staaten elf Konsulate, die Japaner 15. Wir haben jetzt noch zehn. Staatssekretär Meyer-Landrut hat im Ausschuß zu unserer Bestürzung Zahlen aus den gehobenen und höheren Wirtschaftsdiensten der Bundesrepublik Deutschland, Japans und Frankreichs in den ASEAN-Staaten genannt, auf die wir mit Recht so großen Wert legen. Ich will Ihnen diese Zahlen nicht vorenthalten. Bei Indonesien lauten sie, was die Wirtschaftsdienste anlangt: Frankreich zehn, Japan 14,5, die Bundesrepublik Deutschland sechseinhalb. Bei den Philippinen: Frankreich sechs, Japan sieben, die Bundesrepublik zweieinhalb. Bei Singapur: sechs, drei, eineinhalb; bei Thailand 28 für Frankreich, acht für Japan, vier für uns; bei Hongkong 25 für Frankreich, 19 für Japan, zwei für uns. Ich denke, diese Hinweise sollten genügen, um deutlich zu machen, daß es dringend notwendig ist, Abhilfe zu schaffen. Es wäre aber - das will ich hinzufügen - ein arges Mißverständnis, wollte man glauben, unter auswärtigem Dienst dürfe man nur den höheren Dienst und dessen Probleme verstehen. Nur etwa ein Sechstel aller Mitarbeiter gehört dem höheren Dienst an, die anderen 5 000 arbeiten in Bereichen, die oft schwierig sind. Aber sie arbeiten dort effektiv. Man kann natürlich nicht immer sagen, daß ihre Arbeit ebenso faszinierend sei wie die der Botschafter. Auch für sie ist - das will ich wiederholen und betonen, weil uns dies ein wichtiges Anliegen ist - die Personalhaut noch straffer gespannt als in den höchsten Beamtenstufen. Ein sehr erfahrener früherer Botschafter hat bei der Anhörung bemerkt, man solle sich einmal darüber Rechenschaft ablegen, was den Leuten des einfachen Dienst alles an Werten in den Missionen draußen anvertraut werde, wo und was sie alles leisten müßten, und er hat scherzhaft, aber ich denke, zu Recht, hinzugefügt, er könne eher einen etwas schwächlichen Legationsrat in einer größeren Botschaft unterbringen als einen schwachen Hausmeister. In unserem Beschlußantrag mit dem Vermerk des Haushaltsausschusses, der eben zitiert worden ist - man solle prüfen, ob dies alles, das was wir dort gesagt haben, auch nötig und möglich ist -, steht erneut der dringende Hinweis auf den mittleren Dienst, der verstärkt werden müsse. Ich sage: Weil das eine alte Forderung ist, die bereits 1969 auftauchte und bei der wenig geschehen ist, müssen wir auf dieses Feld unsere besondere Aufmerksamkeit legen, denn jedes Versäumnis dort rächt sich an vielen anderen Stellen. Der Botschafter z. B. selbst darf nicht mit Arbeiten belastet werden, die dem mittleren oder gehobenen Dienst zukommen. Er muß die Hände und den Kopf frei haben für seine operativen Aufgaben. Er muß auch freier von den zahllosen bürokratischen Schreibarbeiten, Meldungen und Statistiken werden. Er muß die notwendigen Gelder, die nicht jeder so zur Verfügung hat, einsetzen können, um in seinem Gastland herumzufahren, möglichst viele Kontakte zu knüpfen, mit vielen Leuten zu sprechen, Kongresse der Gewerkschaften, der Parteien und der Verbände zu besuchen, sein Bild vom Gastland und dessen Problemen ständig zu überprüfen, so daß er seiner Zentrale zu Hause rechtzeitig die sich anbahnenden Veränderungen im Gastland melden und besser erklären kann, was sich dort eigentlich abspielt, so daß die Politik der eigenen Regierung mit möglichst guten und zutreffenden Analysen ihrer Beamten draußen rechnen kann und auf ihr beruht. Wir müssen also, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, bei unseren Prüfungen und Überlegungen, wie wir am effektivsten helfen können und wo wir sofort helfen müssen, insbesondere an den Mittel- und Unterbau denken. Es ist mir auch wichtig, daß der 1967 eingerichtete Gesundheitsdienst verbessert wird. Wir haben mit einem der Ärzte des Auswärtigen Amtes - einem Regionalarzt - gesprochen, der gerade auf dem Weg nach Indien war. Fünf dieser Ärzte haben wir: In Lateinamerika haben wir gar keinen, fünf in ganz Asien und Afrika. Ich möchte Ihnen zur Abschätzung nur einige andere Zahlen vorlegen: Die Japaner haben dort 20, die Sowjets 20, die Kanadier 16, die DDR 20 - jene DDR, mit der wir im Ausland konkurrieren -, und wir haben fünf. Da kann doch nicht die Rede davon sein, daß die deutschen Angehörigen der Botschaften, der Konsulate usw. wirklich kontinuierlich, was ihre Gesundheit anlangt, auch in tropengefährdeten Gebieten, auch dort, wo die Seuchen mit verheerender Wirkung zurückkommen, dort noch ordentlich betreut werden können. Das ist also sicher eine wichtige Aufgabe. Und es ist keine Aufgabe, die sehr viel Geld kostet, wenn wir versuchen, einige wohlausgebildete Ärzte zu gewinnen. Es gibt j a schon zwei Anträge, 1970 und 1981. Damals hat man gesagt: Zwölf Ärzte brauchen wir. Jawohl, wir brauchen sie, damit wir für die Gesundheit unserer Leute draußen auch einstehen können. Ich hoffe, daß in diesem Hause alle der gleichen Meinung sind, daß wir dieses Thema nicht wieder einige Jahre hintröpfeln lassen, sondern uns darum kümmern und in jedem Jahr nicht nur in Form eines Berichtes, sondern in Form unserer parlamentarischen Verantwortung nachfragen: Ist das jetzt in Ordnung gebracht oder nicht? - Wir wünschen, daß es in Ordnung gebracht wird. ({6}) Meine Damen und Herren, es sind nicht nur die akuten körperlichen Krankheiten, die von Ärzten und Helfern behandelt werden müssen. Ich will einige Stichworte sagen: Umweltschutz, Smogbelastung, Auswirkungen bei manchen schlimmen tropischen Posten, Isolierung in bestimmten totalitären Staaten kommen hinzu, Gefährdungen für das diplomatische Personal und seine Familien, besonders für die Frauen. Unsicherheit und bedrohliche Lebensumstände werden aus einer wachsenden Zahl von Ländern gemeldet, wo Bürgerkriege oder anarchische Zustände herrschen, wie heute im Libanon, Rechtsunsicherheit, Terroranschläge, Unterdrückung wie in Teheran, in Bogota, in Kampala, in Addis Abeba und in vielen anderen Städten. Ich darf vielleicht dabei auch noch an Stockholm und an den Überfall auf unsere dortige Botschaft erinnern. Dies alles müssen wir ebenfalls bedenken. Wir müssen auch daran denken und dürfen nicht verschweigen, daß es durch diese Situation z. B. verdeckten Alkoholismus bei manchen gibt, und wir müssen auch an die auffallend hohe Zahl an Selbstmorden im auswärtigen Dienst denken, an überdurchschnittlich viele Ehen, die unter diesem Druck der Verhältnisse zerbrochen sind, an Kinder, die durch die ständig wechselnden Schulen, Schulsysteme, Sprachen und ganz unterschiedlichen Arbeitsmethoden schlecht abschneiden, durchfallen, entmutigt werden und besonderen Gefährdungen, z. B. den Drogen, ausgesetzt sind. Der Ausschuß hat auch in den beiden Großen Anfragen, desgleichen in seinen vielen internen Diskussionen festgestellt: Der alte Glanz, von dem heute viele noch reden - es ist ziemlich geschmacklos, wenn man das öfters hört -, des diplomatischen Dienstes mag da oder dort in einem zurückgezogenen Refugium noch sein. Aber er ist nicht mehr typisch für diesen Dienst. Wir sollten uns nicht von solchen Bemerkungen, die man immer wieder hören kann, abhalten lassen. Der Ausschuß hat - das sage ich mit Betonung - für die Bundesregierung, wie er denkt und hofft - das war seine Absicht -, hilfreich gehandelt. Wir hatten die Regierung gebeten, bis 15. Juni dem Bundestag auf der Grundlage unserer Empfehlung, die wir natürlich nicht mit finanziellen Zahlen ausgestattet haben - wie sollten wir, das können wir so gar nicht machen -, zu berichten. Der Haushaltsausschuß hat diese Empfehlung zu einer Prüfungsforderung verändert. Wir hoffen, daß rechtzeitig noch darüber gesprochen werden kann, bevor der Haushalt 1986 unter Dach und Fach ist. Lassen Sie mich noch einige Punkte nennen: Wir wollen Maßnahmen für die Personalverstärkung, wir wollen, daß der Stellenkegel für Inland und Ausland vereinheitlicht wird, wir wollen auf eine verbesserte Stellung der Ehepartner und auf soziale Fürsorgemaßnahmen hinwirken und die Aus-und Fortbildung nach den Notwendigkeiten des technischen Fortschritts gestalten. Zum Schluß: Wir hoffen, daß die jetzt erreichten Verzögerungen nicht das Notwendige hindern. Es wäre grotesk, wenn die Bundesregierung der von uns als notwendig empfundenen Hilfe, die das Parlament ihr zur Verfügung stellt, die dem Nutzen der gleichen Regierung dienen soll, entgegenwirkte. Ich bitte Sie, daß Sie tatsächlich etwas tun, was wir leider bei der Fülle der Papiere, die uns überschwemmt, immer seltener tun: Sehen Sie sich bitte einmal die sehr sorgfältig ausgearbeiteten Anfragen und die Antworten auf die Großen Anfragen an, in denen wir auch definiert haben, wie wir in Zukunft den auswärtigen Dienst sehen und wir uns weiter bemühen wollen, ihn als ein handhabbares, praktisches, auch den Frieden sicherndes Instrument unserer Regierung, unseres Landes zu haben. Ich bitte Sie ganz dringend, weil es wirklich wichtig ist, dabei mitzuhelfen. ({7})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Horacek. ({0})

Milan Horacek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000956, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das werde ich nicht alles vorlesen. - Guten Abend, Herr Präsident, liebe Kollegen! ({0}) Ich habe das nur mitgebracht. Ich wollte das nicht auch jemandem um die Ohren schlagen, weil ich als GRÜNER gewaltfrei sein muß. ({1}) Aber manche hätten es verdient. Ich will Ihnen sagen, was dieses dicke Buch ist: Es ist das Protokoll von der nichtöffentlichen Anhörung des Auswärtigen Ausschusses zum Thema auswärtiger Dienst. Da sie nicht öffentlich war, will ich daraus auch nicht direkt zitieren, möchte aber schon ein paar Worte dazu sagen, und zwar deswegen, weil ich natürlich als Neuling hier in diesem Hohen Hause ({2}) - mit der Problematik des auswärtigen Dienstes nach und nach in Berührung gekommen bin. Ich habe das ganz persönlich erlebt, z. B. in Islamabad, als über den Boden im Haus eines Attachés, bei dem wir zu Besuch waren, eine giftige Schlange kroch, die sofort getötet werden mußte. ({3}) - Lassen wir das! ({4}) - Das geht zu weit, liebe Kollegen. Ich habe nur zehn Minuten. Ich bitte Sie - die Vertreter anderer Parteien haben mehr Zeit -, das einfach so hinzunehmen, wie ich es sage. Ich bin erst heute aus Amerika zurückgekommen, wo ich in Washington auch mit Leuten in der Botschaft gesprochen habe. Für mich hat sich das Bild dort abgerundet. Ich war an zwei Botschaften in Osteuropa, ich war in Asien und jetzt auch in Amerika sowie in westeuropäischen Botschaften. ({5}) - Ja, das bringt die Arbeit im Auswärtigen Ausschuß mit sich; dann müssen Sie dorthin. ({6}) Das ist die eine Sache. Die andere Sache ist: Ich habe zunehmend erfahren - und das meine ich in allem Ernst -, daß das, was wir in der nichtöffentlichen Sitzung des Auswärtigen Ausschusses mitgekriegt haben, noch zuwenig war. Ich will jetzt niemanden pauschal beschimpfen, angefangen beim Bundesaußenminister, der in seinem Amt einer der ältesten Minister ist. Es gibt natürlich auch ältere. ({7}) Ich vermisse hier z. B. den Finanzminister oder jemanden vom Finanzministerium, ich vermisse hier den Innenminister oder jemanden vom Innenministerium ({8}) - ich vermisse hier auch einen Vertreter - ich sehe keinen; aber vielleicht kenne ich mich auch nicht so aus - aus dem Bundeskanzleramt. Wer bestimmt denn die Richtlinien der Politik? ({9}) Warum sage ich das alles? Weil ich mich inzwischen von dem, was bei unserer Anhörung herausgekommen ist, worüber wir schon voriges Jahr im Auswärtigen Ausschuß und auch nach dieser Anhörung diskutiert haben - wir waren tatsächlich, wie schon Frau Huber berichtet hat, sehr erschüttert; ich will nicht alle Zahlen wiederholen, die von meinen beiden Vorrednern genannt worden sind -, selbst überzeugt habe. Die Situation ist tatsächlich noch viel schlimmer. Gestatten Sie mir ein paar Anmerkungen zu der aktuellen Situation in Amerika. Seit 1980 fehlte dort das Geld, um das Grundstück ein bißchen in Ordnung zu bringen. Es gab Bäume, die schon fast abgestorben waren. Jetzt ist einer auf die Straße gefallen und hat dabei eine Vietnamesin getötet. Nun hat der auswärtige Dienst natürlich einen Prozeß am Hals, in dem es wahrscheinlich um Schadensersatzforderungen in Millionenhöhe gehen wird. Das ist aber nur der sachliche Rahmen. Jetzt komme ich zu dem menschlichen Bereich. Schon im vorigen Dezember hat der Personalrat an den Bundeskanzler geschrieben, daß sich einige vom unteren Dienst inzwischen als Küchenhilfe oder Aushilfe bei Holzfällern usw. verdingen müßten, weil sie mit ihrem Gehalt, das natürlich nicht angepaßt worden ist, inzwischen unter die Armutsgrenze gefallen sind. Das gilt für mehrere Leute. Was bedeutet das? In den letzten Jahren hat es beim Personal der Botschaft drei Selbstmorde und vier Herzinfarkte gegeben. Wir haben bei der Anhörung Zahlen gehört, die die Selbstmorde, die Infarkte, die Alkoholproblematik, die Scheidungen usw. betrafen. Im Vergleich zu jeder anderen Bundesbehörde, zu jedem anderen Ministerium, stellen wir hier eine Verschlechterung der Situation bei Leuten fest, die für die Bundesregierung die Bundesrepublik, systemimmanent - jetzt spreche ich als Konservativer - einen wertvollen Dienst leisten sollen. Was ist das für ein Zustand? Wo ist die Fürsorgepflicht der Zuständigen, angefangen vom Bundeskanzler, Bundesaußenminister, Bundesfinanzminister und Bundesinnenminister? Ich muß alle diese vier nennen, weil das der Zustand im auswärtigen Dienst ist. Wir haben auch die Zahlen gehört. ({10}) - Und was hat es gebracht? ({11}) Was Sie jetzt mit diesem Änderungsantrag machen, ist im Grunde nur ein Begräbnis dritter Klasse, weil Sie das nur zur Prüfung hereingeben. So habe ich das nicht verstanden, was wir bei der Anhörung und der Diskussion gehört und gesagt haben. Ich sehe, daß der Haushaltsausschuß jetzt im Grunde mit Tricks arbeitet. Man kann sich hinstellen und sagen, wir alle erachten das, was gelaufen ist, als eine Sache, die jetzt nach 14 Jahren, seit dieser Herwart-Bericht da ist und wir wissen, daß da eine Reform gemacht werden muß, in Ordnung gebracht wird, wir erachten das für richtig und werden entweder über einen Nachtragshaushalt oder sofort im Haushalt 1986 die Sache machen, uns ernsthaft damit auseinandersetzen, aber nicht so mit einer Prüfungsgeschichte, bei der wir nicht wissen, wann und was da herauskommt. Wir haben im Auswärtigen Ausschuß selbst gebeten, daß die Bundesregierung bis zum 15. Juni einen Bericht macht. Sie hat ihn nicht gemacht. Was für eine Haltung ist das gegenüber Parlamentariern; das ist doch unmöglich. ({12}) - Ja, aber, Herr Dr. Marx, ich glaube, wir haben einen gewissen Konsens gehabt. Ich habe mich auch bei meiner eigenen Fraktion sehr dafür eingesetzt, daß gerade für den unteren und den mittleren Dienst der auswärtige Dienst nicht so nach den Vorstellungen von Boulevard-Zeitungen betrachtet wird: Da stehen die Leute mit einem Cocktailglas und feiern irgendwie oder spielen Golf. Diese Vorstellung wird aber, das sage ich ganz offen, auch von Konservativen benutzt, wenn es ihnen paßt. Dabei wird vergessen, daß der Botschafter, wenn er so etwas mit dem Cocktailglas macht, das abends in seiner Freizeit machen muß und daß er das oftmals nicht gerne tut, wenn er schon 20 Jahre im Dienst ist und seine Leber schon genug belastet hat, oder ({13}) daß er am Wochenende vielleicht lieber mit seiner Frau im Wald wandern gehen würde, ({14}) statt sich irgendwo auf Parties herumzutummeln. Aber da haben Sie auch schon dazu gesagt, was jetzt dieser ganze Bereich überhaupt für die Bundesrepublik für die Konservativen bedeutet. Jetzt will ich aber noch ein paar Worte dazu sagen, was für Vorstellungen ich als GRÜNER habe, Vorstellungen darüber, was ein auswärtiger Dienst für die Menschen eigentlich leisten müßte. Wir haben von der ganzen Problematik für Touristen gehört, und wir dürfen nicht vergessen, daß 2 Millionen Deutsche in der ganzen Welt leben und arbeiten. Ich nenne auch die etwa 15 Millionen Deutschstämmige, die dann, wenn sie Probleme haben, früher oder später zu den Konsulaten oder zu Botschaften kommen. Wie wird denen geholfen? Es wird sehr oberflächlich oder gar nicht geholfen. Die Leute sagen, wir wissen es nicht, oder sagen, wir haben keine Kapazität. Ich habe das jetzt schon mehrmals erlebt. Die Leute beschweren sich. Ich hätte die Vorstellung, daß sich an den Botschaften oder an den Vertretungen nicht so viele Leute aus dem „Mutterhaus" Pullach, wie das ein Großbotschafter genannt hat, oder von Wiesbaden, vom BKA oder von anderen Polizeistellen herumtummeln sollten, ({15}) sondern Leute, die im grenzüberschreitenden Umweltschutz, in Fragen der Menschenrechte und humanitären Hilfe helfen könnten. Ich denke an das, was den Umweltschutz oder was die Menschenrechte oder was die humanitäre Hilfe betrifft. Da habe ich in Pakistan erlebt, was die Leute uns dazu geschildert haben, bis zu welcher Grenze sie helfen konnten und wo das nicht mehr möglich war. Das alles sind Sachen, die ich in diesem Bericht als Ansatz zu einer Veränderung verstehen würde, als ersten Schritt zur Verbesserung des auswärtigen Dienstes. Das darf kein Dienst sein, der einseitig den Wirtschaftsinteressen - auch des Großkapitals usw. - dient. Es muß ein Dienst sein, der den Menschen dient, sowohl denen, die in der Bundesrepublik, als auch denen, die im Ausland leben und arbeiten. Das waren nur ein paar Bemerkungen; mehr konnte ich in meiner knappen Zeit nicht unterbringen. Gern hätte ich mich länger mit dem Thema auseinandergesetzt. Ich entschuldige mich dafür, daß ich schon überziehen mußte. Präsident. Dr. Jenninger: Aber Sie sind auf dem Wege, zum Schluß zu kommen.

Milan Horacek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000956, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verzeihen Sie mir, Herr Präsident? ({0})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat die Abgeordente Frau Dr. Hamm-Brücher.

Dr. Dr. h. c. Hildegard Hamm-Brücher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000793, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Wie Sie, Herr Kollege Horacek, hatte ich die Vision, daß bei dieser wichtigen Debatte in gleicher Mannschaftsstärke der Finanzminister und der Innenminister und auch die Kolleginnen und Kollegen aus dem Haushaltsausschuß hier anwesend sein würden. ({0}) - Nein, ich muß Ihnen sagen: Wer diese Anhörung mitgemacht hat - ({1}) - Ja, dann müssen sie immer hier sein. Das ist ganz klar. ({2}) - Ich gratuliere, er ist da. Ich freue mich. Ich wollte sagen, wer die Anhörung mitgemacht hat, wer das gehört hat, was jetzt auf über 500 Seiten nachzulesen ist, der weiß, daß die wirklich veränderungsbedürftigen zusätzlichen Belastungen und Schwierigkeiten des auswärtigen Dienstes zu 80 bis 90 % in den verteilten Zuständigkeiten wurzeln, denen das Auswärtige Amt in gewisser Weise ausgeliefert ist. Die Beteiligung des Finanzministers und des Innenministers und das Rotationsprinzip bringen es nämlich einfach mit sich, daß die wohlerzogenen Diplomaten den harten Partnern in den anderen Häusern bei diesen Debatten um die Überwindung all der Bürokratismen einfach überhaupt nicht gewachsen sein können. Das ist eine Kehrseite des Rotationsprinzips, auf die ich hier nur einmal kurz am Rande zu sprechen kommen wollte. Meine Damen und Herren, die Diskussion hat gezeigt, daß die Probleme, die hier durch die Großen Anfragen, durch die Anhörung, durch die Anträge und durch die Wortbeiträge gebündelt worden und zutage getreten sind, eine Herausforderung für uns alle sind, für Exekutive und Parlament, aber eben auch für die Ressorts untereinander. Ich glaube, einseitige Schuldzuweisungen helfen hier überhaupt nicht weiter - nur diese eine kleine Bemerkung zu Ihnen, Frau Kollegin Huber -, denn der schlimmste Einbruch in die Personalsituation des Auswärtigen Amtes ist ja in den Jahren erfolgt, als ich als Staatsminister mit Zähnen und Klauen versucht habe, im Haushaltsausschuß die 1 %ige Stellenkürzung nicht zuzulassen, was dann leider zu recht lautstarken Auseinandersetzungen mit meiner verehrten Kollegin Heide Simonis geführt hat. ({3}) Aber, meine Damen und Herren, das waren keine Stellenkürzungen seitens der Regierung, und deshalb meine ich, wir sollten die Schuld nicht nur dem Amt oder der früheren oder der jetzigen Regierung zuweisen, sondern müssen uns auch sehr an die eigene Nase fassen. Auch unser Parlament hat mit wenig Einfühlungsvermögen und mit wenig Verständnis Stellenkürzungen erzwungen, die das Faß dann vollends zum Überlaufen gebracht haben. Das muß man hier doch noch einmal ganz deutlich sagen. Die Probleme, die schon erörtert worden sind, möchte ich nicht wiederholen. Für meine Fraktion möchte ich ankündigen: Wir werden alle Kräfte dareinsetzen, den Außenminister, das Amt, die Regierung zu unterstützen in den Maßnahmen, die nun überfällig sind. Wir werden das mit Entschlossenheit tun, aber ohne Panikmache. Wir wollen eine sachliche Auseinandersetzung, keine Sensationsmache. Wir wollen Offenheit in dieser Diskussion, aber keine Beschädigung dieses Amtes, das so außerordentlich viel geleistet hat trotz der schweren Bedingungen, von denen wir nun sehr viel Ernsthaftes gehört haben. ({4}) Für meine Fraktion, verehrte Kolleginnen und Kollegen, möchte ich Dank abstatten. Dank vor allem dem Personalrat. Er hat nämlich das Verdienst, nun über Jahre nicht lockergelassen und erreicht zu haben, daß diese Debatte heute stattfindet. Wir möchten Dank sagen den 34 Sachverständigen, die mit außerordentlicher Sachkunde ihren Beitrag geleistet haben. Es ist übrigens auch ein Zeichen für die Toleranz und Offenheit des auswärtigen Dienstes, wenn Bedienstete vor ihren Vorgesetzten so offen und kritisch über ihre Arbeit sprechen konnten. Ich möchte dem Amt und dem Minister auch sagen, daß sie sich auf die Freien Demokraten verlassen können. ({5}) - Sie unterstützen doch den Minister? ({6}) - Ja, gut. Zum Befund: Es handelt sich - wir müssen das ganz klar sehen - nicht um ein einzelnes großes Problem, das den auswärtigen Dienst sozusagen blockiert, es handelt sich um eine Summe ungezählter Probleme, die sich am Ende - darüber waren sich die Sachverständigen einig - zu einer Krise des auswärtigen Dienstes auswachsen könnte, wenn wir jetzt nicht sehr schnell und sehr entschieden etwas tun. Als Fazit hat sich, wie ein Sachverständiger sagte, die Schere zwischen wachsenden Aufgaben und zurückgehendem oder gleichbleibendem Personalstand so weit geöffnet, daß die Grenze, an der die Aufgaben des auswärtigen Dienstes nicht mehr optimal erfüllt werden können, erreicht, in vielen Fällen sogar überschritten ist. Die Zahlen wurden genannt. Ich werde die Fülle und Vielfalt der Aussagen, Eindrücke und Überlegungen zur Lage des auswärtigen Dienstes unter vier Kategorien ordnen und die Vorstellungen meiner Fraktion dazu kurz vortragen. Ich nenne die Quantitätsprobleme, die Qualitätsprobleme, die Funktionalitätsprobleme und nicht zuletzt die Attraktivitätsprobleme, die heute mit dem auswärtigen Dienst zusammenhängen. Die Planstellenmisere wurde vielfach angesprochen. Ich möchte sagen, daß die Personalreserve, eines der Kernstücke der Personalführung und Personalwirtschaft, von 8 % nicht zu hoch ist. Wir haben knapp 2 % erreicht. Von den 271 Stellen, die hier erforderlich wären, fehlen immer noch 217. Dies ist in mehrfacher Hinsicht von großem Nachteil, vor allem auch für das Problem der vielen Bediensteten, die nun nach vielen Jahren aus Härteposten wieder ins Inland zurückkehren und eine Zeitlang brauchen, um sich wieder zu stabilisieren. Hier ist der zweite Grund, weshalb wir Freien Demokraten darauf bestehen werden, daß diese Personalreserve, wie sie schon vor Jahrzehnten von der Reformkommission gefordert wurde, endlich aufgefüllt wird. Der Stellenkegel ist ein Unikum, meine Damen und Herren. Den auswärtigen Dienst in zwei getrennten, ungleich gewichteten Stellenplänen für das Inland und für das Ausland zu organisieren, ist ein Anachronismus; denn das behindert nicht nur den notwendigen Personalaustausch zwischen Zentrale und Auslandsvertretung, das bedeutet eine ganz krasse Verschlechterung der Berufschancen für die Angehörigen des auswärtigen Dienstes. Allein der Ausgleich, die Gleichgewichtigkeit der Stellenpläne würde 470 Stellenhebungen erfordern. Das ist unsere zweite Priorität. Die dritte Priorität hat der mittlere Dienst. Hier bedürften wir 200 Stellen, von denen wir, wenn wir Glück haben, zunächst einmal vielleicht 20 bekommen können. Meine Damen und Herren, es leuchtet doch ein, daß der Engpaß im mittleren Dienst bedeutet, daß der gehobene Dienst Aufgaben des mittleren Dienstes und der höhere Dienst dann wieder Aufgaben des gehobenen Dienstes erfüllen muß. Deshalb muß dieses Quantitätsproblem so rasch als möglich angegangen werden. Die Qualitätsprobleme des auswärtigen Dienstes, die sich wie ein roter Faden durch das 500 Seiten umfassende Protokoll über die Anhörung ziehen, sind teilweise eine Folge dieser Quantitätsprobleme. Dies wurde auch deutlich gesagt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ein Unding und nicht zu verantworten, daß es bei der Rotation fast nie eine Zeit des Überlappens gibt. Das heißt, nur selten kann der Stelleninhaber seinen Nachfolger wirklich einarbeiten, oft entstehen sogar Vakanzen - mit der Folge, daß mühsam geknüpfte Kontakte verdorren, daß Fortbildung nur in unzureichendem Maße stattfindet, daß die Möglichkeit, seltene Sprachen zu lernen, nur noch selten gegeben ist und daß in den nichtklassischen Feldern unserer Außenpolitik oft auch die hochqualifizierten Fachleute fehlen. Dies wurde für den Wirtschaftsbereich und den Kulturbereich immer wieder unterstrichen. Deshalb fordert die Fraktion der Freien Demokraten nachdrücklich, daß wir in ausgewählten Ländern die Fachkräfte aus der Privatwirtschaft einschließlich lokaler Fachkräfte einsetzen. Wir brauchen dringend eine verstärkte und praxisorientierte Aus- und Fortbildung im Wirtschaftsbereich. Das ist das Kernstück einer Problematik in unserem auswärtigen Dienst, das wir angehen müssen. ({7}) Meine Damen und Herren, auch der Vorschlag - das ist etwas, was in anderen auswärtigen Diensten längst selbstverständlich ist -, ein sogenanntes mid-career-Training vorzusehen, also nach der Hälfte der Berufslebenszeit eine Art Sabbatjahr einzuschalten - wenn es ein Vierteljahr wäre, wäre es schon eine ganze Menge -, scheint uns sinnvoll zu sein. Hierzu haben die Sachverständigen eindeutig gesagt, daß es eine Kernaufgabe ist, den Sachverstand zu erhalten, und daß man dafür eben viel mehr Fortbildungsmaßnahmen und anderes anbieten muß, als das im Augenblick möglich ist. Von solchen und anderen Qualitätsproblemen, d. h. von der notwendigen Stärkung der eigentlichen Tätigkeit des auswärtigen Dienstes war bei fast allen Sachverständigen die Rede. Die notwendigen Qualitätsverbesserungen werden auch - das muß man leider sehen - durch administrative, organisatorische und bürokratische Überreglementierung erschwert oder beeinträchtigt, oft sogar verhindert. Damit komme ich zur dritten Kategorie, nämlich zu den Kalamitäten der Bürokratie, die unseren auswärtigen Dienst vor allem im Ausland so ungeheuer belasten. Was hier an Klagen und auch an Anklagen vorgebracht wurde, möchte ich nur an einigen Beispielen kurz illustrieren. Ein Sachverständiger sagte: Was die Bürokratie durch Regeln, die im Inland vielleicht sinnvoll sind, aber an der Auslandsvertretung unsinnig sind, den Staat gekostet haben, kann ich Ihnen auf Heller und Pfennig ausrechnen. Das habe ich auch gegenüber dem Amt in vielen Berichten getan. Das ging in die Zigtausende DM. Ein anderer aus einer Kleinstbotschaft sagte: Ich möchte festhalten, daß in einer Kleinstbotschaft - Minimum: drei Personen - zwei Personen von diesen drei fast ausschließlich mit Verwaltung beschäftigt sind. Allein die Kassenangelegenheiten sind so umfangreich, daß einer dieser zwei Männer fast ausschließlich mit Kassendingen beschäftigt war. Die Vorschriften, die hier beachtet werden müssen, stammen noch aus der Reichsrechnungslegungsordnung. Man denke, meine Damen und Herren, allein im Bereich von Umzugs- und Reisekosten und Beihilfen gibt es zwanzig verschiedene Richtlinien. Bei keiner dieser Vorschriften hat das Auswärtige Amt genügend Ermessensspielraum, um bei neueren Entwicklungen oder in besonderen Einzelfällen selbst zu entscheiden. Ich weiß aus den sechs Jahren meiner Tätigkeit, wie oft ich mich um solche Einzelfälle - leider vergebens - bemüht habe. Hier liegen die wesentlichen Kernpunkte der Beschwernisse des auswärtigen Dienstes und die zunehmende Unzufriedenheit. Es sind die vermischten Zuständigkeiten verschiedener Ressorts, die zusätzliche Verbürokratisierung zu den ohnehin schon überreichlichen Bestimmungen erbringen und die zu den beklagten Reibungs- und Verzögerungsverlusten führen. Das besonders eklatante und beinahe beschämende Beispiel des Kaufkraftausgleichs in den Dollarländern wurde schon erwähnt. Zu der Kategorie der Funktionalitätskalamitäten wäre noch viel zu sagen: die ungenügende Ausstattung vieler Konsulate vor allem in den Vereinigten Staaten mit Informationsdiensten und Materialien, die immer wieder beklagten unzulänglichen Sicherheitsmaßnahmen für Bedienstete und ihre Angehörige, aber auch, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Folgen von Baumaßnahmen, die vom Bund im Ausland durchgeführt wurden. Das muß hier auch einmal erwähnt werden. Eine offenkundig leidgeprüfte Botschafterfrau hat - für alle Frauen - festgestellt, daß die Architekten und die Bundesbaudirektion bei ihren Plänen nicht auf .die Nachfolgekosten, nicht auf Energiekosten, nicht auf das Personal, oft nicht einmal auf die Klimabedingungen in geeigneter Weise Rücksicht nehmen. ({8}) - Ja, das ist ein Steckenpferd von mir, Herr Kollege Graf Huyn, was hier so alles geschieht. ({9}) Die vierte Kategorie ist die Folge der dritten. Das ist die Frage der Attraktivität. Die Vorschläge, die hierzu vom Frauen- und Familiendienst gemacht worden sind, sehr sachliche, sehr kompetente, werden wir voll unterstützen. Ich kann sie jetzt nicht mehr im einzelnen aufzählen.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Dr. Dr. h. c. Hildegard Hamm-Brücher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000793, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich komme zum letzten Satz, Herr Präsident. Die FDP begrüßt die Zusicherung des Außenministers. Sie hofft auf die Unterstützung des Finanzministers ({0}) und des ganzen Hauses und wird ihrerseits alles in ihren Kräften Stehende tun, um den Prozeß der Überwindung und Bewältigung der Probleme zu fördern und zu unterstützen. Seien wir uns bewußt und machen wir uns bewußt, daß von der Leistungsfähigkeit des auswärtigen Dienstes das außenpolitische Ansehen unseres Landes weitgehend geprägt und gepflegt wird. Das ist seit 1950 die große bleibende Leistung dieses Dienstes, die wir anerkennen. Die Voraussetzungen, daß es so weitergeht, müssen wir jetzt schaffen. Die ersten Schritte sind getan. Viele weitere schwere stehen vor uns. Vielen Dank. ({1})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Verheugen.

Günter Verheugen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die überraschende Einigkeit in dieser ersten Runde ({0}) - ja, doch, Herr Horacek; für unsere Verhältnisse war das schon sehr einig - veranlaßt mich dazu, eine Hoffnung auszudrücken, nämlich, daß wir jetzt auch gemeinsam etwas daraus machen, ({1}) d. h., nicht nur an ein paar Symptomen herumdoktern, sondern die strukturellen Ursachen der Krise des auswärtigen Dienstes erkennen und beseitigen. Dazu muß man wissen, was er eigentlich ist, dieser auswärtige Dienst: eben kein Ambassador-Club, sondern in der Masse Nicht-Diplomaten, denen die durchaus vorhandenen Vorteile und Vorrechte des Diplomatenstatus fehlen. Als Zweites halte ich für erforderlich, daß die Fiktion aufgegeben wird, der auswärtige Dienst sei eine Verwaltung wie jede andere und müsse im Prinzip so behandelt werden wie eine Flurbereinigungsbehörde oder eine Kraftfahrzeugzulassungsstelle. ({2}) Der auswärtige Dienst ist keine Verwaltung. Er braucht eine und hat eine. Er selber aber ist ein Instrument der Politik, und zwar ein besonders empfindliches und kompliziertes. ({3}) Wir sind ein Land, das in wenigstens zwei ganz elementaren Bereichen von seinen Außenkontakten lebt, also auch von seiner Fähigkeit zu Kontakten mit der Außenwelt. Ich meine die äußere Sicherheit und die wirtschaftliche Stabilität. Zur Wahrnehmung unserer Interessen draußen und auch zur Wahrnehmung unserer Verantwortung für die internationale Politik brauchen wir einen qualifizierten leistungsfähigen auswärtigen Dienst. In einer Welt, die sich so schnell verändert, muß er flexibel sein. Das gilt für den einzelnen Angehörigen und für das Instrument insgesamt. Nach dem übereinstimmenden Urteil aller Fachleute, die wir gehört haben, ist der auswärtige Dienst der Bundesrepublik Deutschland an der Grenze seiner Leistungsfähigkeit. Daß er noch nicht zusammengebrochen ist, liegt wohl nicht an einer umsichtigen Führung, sondern an der Tatsache, daß viele Bedienstete ihren Dienst mit mehr Hingabe und Opferbereitschaft versehen, als man selbst nach unserem strengen Beamtenrecht verlangen kann. Aber ich denke, daß es eines sozialen Rechtsstaats nicht würdig ist, daß er sich einen Teil seiner Funktionsfähigkeit dadurch erhält, daß er Bedienstete auspreßt. Es wird gelegentlich darauf hingewiesen, man solle sich da nicht so anstellen, es gebe schließlich noch mehr im Ausland beschäftigte Angehörige des öffentlichen Dienstes. Das ist richtig. Der auswärtige Dienst macht etwa 20 % der Auslandsbeschäftigten aus. Aber das Argument führt in die Irre; denn der auswärtige Dienst spielt auch unter den Auslandstätigkeiten eine Sonderrolle. Seine Angehörigen müssen gewöhnlich ihr ganzes Berufsleben lang im ständigen Wechsel zwischen dem Inland und verschiedensten Auslandsposten verbringen; im Inland etwa ein Drittel, im Ausland etwa zwei Drittel der Zeit. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, wie schwierig diese Auslandsposten heute sind in bezug auf Wohnverhältnisse, Versorgung, Sicherheit, schulische Bedingungen, medizinische Risiken, Klima usw. Anders als für andere Auslandsbeschäftigte kommt für die Angehörigen des auswärtigen Dienstes dazu, daß in der Regel die Berufstätigkeit des Ehepartners ausgeschlossen ist, auch wenn dieser über eine hochqualifizierte Ausbildung verfügt. Das Opfer ist in solchen Fällen materiell - Verzicht auf ein zweites Einkommen -, aber auch immateriell - Verzicht auf freie berufliche Entfaltung -. Wir haben die Klage gehört, daß der auswärtige Dienst für hochqualifizierte Bewerber nicht mehr attraktiv genug sei. Diese Klage ist natürlich alarmierend. Man darf es nicht bei der schlichten Feststellung belassen, sondern bei der Reformarbeit werden wir mit allem Nachdruck darangehen müssen, die Lebens- und Arbeitsbedingungen für den einzelnen Bediensteten entscheidend zu verbessern. An Instrumenten - das haben wir gelernt in der Anhörung - ist kein Mangel. Das Problem liegt darin, daß die allgemeinen dienstrechtlichen und haushaltsrechtlichen Bestimmungen die Anwendung dieser Instrumente unmöglich machen oder zumindest so erschweren, daß die Abhilfe meistens zu spät kommt. Das sehr enge Korsett, in das dieser Dienst eingespannt ist, betrifft nicht nur die Bediensteten selbst und macht ihnen das Leben sauer, sondern auch die Familienangehörigen, also die Ehepartner - in der Regel die Frauen - und die Kinder. Die Tradition des auswärtigen Dienstes, daß die Ehefrau als mithelfender Familienangehöriger betrachtet wird und zu unentgeltlichen Dienstleistungen herangezogen wird - man ist fast versucht, an feudale Hand- und Spanndienste zu denken -, entspricht nicht mehr dem Selbstverständnis der Frau in einer modernen Gesellschaft. ({4}) Vielleicht geht das Ehegattengehalt wirklich zu weit, aber die Berücksichtigung dieser besonderen Situation bei der Aufwandsentschädigung, beim Kaufkraftausgleich, bei der Heimfahrtregelung, bei der sozialen Absicherung, bei den Mietzuschüssen, den Umzugskostenbestimmungen, der medizinischen und der schulischen Versorgung kann und muß verlangt werden. ({5}) Der jetzige Zustand führt auch zu einer schweren Benachteiligung der weiblichen Bediensteten. Ihre Karrierechancen im auswärtigen Dienst sind schlecht; nicht weil Frauen schlechtere Diplomaten wären - das Gegenteil soll ja der Fall sein; (Frau Fischer [CDU/CSU]: Nicht nur ich weiß es nicht, Frau Kollegin, ich nehme es an -, sondern weil Frauen auf Grund der gegebenen Verhältnisse auf die Karriere im auswärtigen Dienst meistens schon von vornherein verzichten müssen. Die geringe Zahl von Botschafterinnen, die übrigens interessanterweise meistens unverheiratet sind, und die geringe Zahl von Referatsleiterinnen im Amt sprechen eine deutliche Sprache. Die Frauen können deshalb keine Botschafterinnen werden, wenn sie verheiratet sind, weil der Mann normalerweise nicht mitgeht, wenn die Frau nach draußen versetzt wird. Alle erwähnten Besonderheiten des auswärtigen Dienstes bringen mich dazu, den Gedanken eines besonderen Gesetzes für den auswärtigen Dienst nachdrücklich zu unterstützen. Ein solches Gesetz muß das Amt in die Lage versetzen, die mehrfach aufgezeigten quantitativen und qualitativen Probleme zu lösen. Beispiele sind genannt worden: die Überlastung zahlreicher Auslandsvertretungen. Aber, Herr Bundesminister, hier ist natürlich auch eine politische Entscheidung hinsichtlich der Klein-und Kleinstvertretungen und hinsichtlich der Vertretungen mit Mehrfachakkreditierungen nötig. Wir halten es für richtig, daß unser Land überall dort mit einer eigenen Vertretung präsent ist, wo diplomatische Beziehungen bestehen. Man muß sehen, daß auch das kleinste und scheinbar unbedeutendste Land ernstgenommen werden will. Dazu brauchen die Vertretungen eine Mindestausstattung an Personal, die deutlich über dem jetzigen Standard liegt. ({6}) Ein anderer Punkt: Die effektivere Nutzung der vorhandenen Qualifikationen, die oft nicht da eingesetzt werden können, wo sie gerade gebraucht werden. Auch hier eine politische Frage: Kann das Leitbild des universell gebildeten und ausgebildeten Diplomaten, der überall, auf jedem Dienstposten, an jedem Ort der Welt einsetzbar ist, wirklich noch aufrechterhalten werden? Ich glaube, schon in der hochspezialisierten multilateralen Diplomatie ist das nicht mehr so. Wir haben gestern im Unterausschuß für Abrüstung und Rüstungskontrolle einen Beamten Ihres Hauses gehört, Herr Genscher, der uns wirklich mit einem frappierenden Präsenzwissen über die kompliziertesten Fragen der Nukleartechnologie überrascht hat. Aber ich möchte einmal fragen: Wie viele von dieser Art haben Sie? Könnte dasselbe uns morgen der Kulturreferent in Peking bieten? Natürlich nicht. Die notwendige Spezialisierung, muß dann, meine ich, auch Auswirkungen auf das Rekrutierungsschema haben. Ich denke, das Amt sollte auch nicht jeden wegheißen, der den Versuch macht, als Seiteneinsteiger in diese Karriere zu kommen. Dritter Punkt - auch bereits erwähnt -: Konzentration auf die eigentlichen Aufgaben durch Verminderung der Insichverwaltung. Das ist kein typisches Problem des auswärtigen Dienstes, aber hier ist es besonders ärgerlich. Die Reichshaushaltsordnung oder die von Frau Hamm-Brücher erwähnte Reichsrechnungslegungsordnung ist über jeden Zweifel erhaben. Aber versuchen Sie einmal, in einem afrikanischen Entwicklungsland eine Quittung mit Stempel zu bekommen, in dem es überhaupt keine Stempel gibt. Wahrscheinlich wird man den Vertretungen draußen mehr haushaltsmäßige Autonomie zubilligen müssen. Ich will viertens auch auf die Verbesserung bei der Aus- und Fortbildung hinweisen. Der Mangel an qualifizierten Bewerbern kann damit zusammenhängen, daß die Eingangsämter in der Sonderausbildung für den auswärtigen Dienst zu niedrig besoldet sind, angesichts der Qualifikationen jedoch verlangt werden. Im Bereich der Fortbildung wäre es in der Tat angebracht, Bedienstete auch einmal oder mehrmals während der Karriere herauszuholen und ihnen Gelegenheit zu geben, geistig aufzutanken. Das täte auch anderen Behörden gut. Ich will noch einen letzten Punkt anschneiden. Die Reform muß auch der Zerfledderung und Zerfaserung bei der Vertretung unserer auswärtigen Interessen ein Ende setzen. Ich habe große Zweifel, ob das Auswärtige Amt wirklich noch den Anspruch erheben kann, die auswärtige Politik der Bundesrepublik Deutschland in allen Teilen zu steuern und zu koordinieren. Wenn man sich die ganzen Heerscharen von Beamten aus allen möglichen Ressorts betrachtet, die in der Weltgeschichte herumreisen und Delegationen bei internationalen Konferenzen bilden - immer nach dem Motto: Deutsch sein heißt vor allem im Ausland zahlreich sein -, dann kann man zu dem Gedanken kommen, daß wir nicht ein Auswärtiges Amt haben, sondern deren zwanzig. Daß es auch Bundesländer gibt, die eine eigene Außenpolitik betreiben und unter verschiedenen Tarnungen eigene Außenvertretungen unterhalten, will ich nur anmerken. In Ordnung ist das nicht. Meine Damen und Herren, wir sind bereit, eine Anstrengung zu unternehmen, um unseren auswärtigen Dienst zu dem leistungsfähigen Instrument zu machen, das wir brauchen. Wir sind auch bereit, den Kopf hinzuhalten; denn wir werden kritisiert werden, weil das Geld kostet, was wir jetzt wollen. Wir erwarten aber auch, daß die von hoher personeller Kontinuität geprägte politische Leitung des Auswärtigen Amtes ihr Gewicht, früher hätte ich gesagt: ihr Schwergewicht - aber Sie haben etwas abgenommen - in der Regierung und in der Koalition auch wirklich einsetzt, damit jetzt etwas geschieht. Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie bereits mit dem Haushaltsentwurf für 1986 ein deutliches Zeichen für ihren Reformwillen setzt. ({7})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Stercken.

Dr. Hans Stercken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002246, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer über eine Reform des aus10896 wärtigen Dienstes nachdenken will, muß nach dem Sinn der Außenpolitik und der Aufgabenstellung der Diplomatie fragen. Wer so denkt, wird nicht in der Gefahr stehen, die Cocktailparty in den Mittelpunkt seiner Vorurteile zu stellen, sondern eher an den Widerstand deutscher Diplomaten gegen die Tyrannei denken, an die in der Ausübung ihres Dienstes Ermordeten, an die Frauen und Männer, die unter schwierigsten Bedingungen in tropischen Ländern Einsatz leisten, in Kriegen und Hungersnöten, mit Hingabe und Pflichtbewußtsein. Fragen wir also nach dem Sinn von Außenpolitik. Außenpolitik ist Sicherheitspolitik. Wirtschafts- und Finanz- und Sozialpolitik können nicht erfolgreich entwickelt werden, wenn die Außenpolitik nicht die Stabilität sichert, die Voraussetzung für ökonomische und soziale Entfaltung ist. Das Grundgesetz weist in Art. 45.a dem Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten eine herausgehobene Aufgabenstellung zu. Daran muß heute erinnert werden, denn die unverkennbare Unterbewertung dieser konstitutionellen Aufgabe ist ein Grund dafür, daß die Reform des auswärtigen Dienstes lange Zeit nicht vorangekommen ist. ({0}) Ranke hat einmal vom Primat der Außenpolitik gesprochen. Er wollte damit begründen, daß das Schicksal der Völker maßgeblich von der Außenpolitik bestimmt wird. Der deutsche auswärtige Dienst hat es als Exekutive der Außenpolitik - Herr Verheugen, auch die Exekutive leistet politische Aufgaben und ist dennoch Verwaltung - seit seiner Wiederbegründung als vorrangige Aufgabe betrachtet, der Erhaltung des Friedens zu dienen. Meine Damen und Herren, Außenpolitik ist Friedenspolitik. In der Öffentlichkeit ist dies jedoch weithin nicht so erkannt und empfunden worden. Dabei hatte nach dem Krieg ein Friedensbüro das Ziel des auswärtigen Dienstes in diesem Sinne schon präjudiziert und qualifiziert. Wenn also das oberste Gebot der Politik die Bewahrung des Friedens ist, dann muß dies gerade bei den Arbeitsmöglichkeiten des auswärtigen Dienstes zum Ausdruck kommen. Der internationale Vergleich zeigt uns, daß manche Staaten zu ganz anderen Bewertungen gelangt sind. Gerade die Staaten, die sich im wirtschaftlichen und technologischen Bereich expansiv betätigen, erweitern ihren auswärtigen Dienst zu diesem Zweck. Die Wahrung unserer Interessen bestimmt den Gradmesser für den Umfang unserer Vertretung im Ausland. Meine Damen und Herren, wir fordern mehr Investitionen für die Erweiterung unserer Märkte. Der auswärtige Dienst schafft dazu eine wichtige Voraussetzung. Diese Debatte verzeichnet Mängel im sozialen Bereich. Vieles muß gerechter und menschlicher werden. Ich denke dabei insbesondere auch an Frauen und Kinder. ({1}) Die personelle und sachliche Ausstattung ist kein Zufallsprodukt; sie hängt von den Aufgaben ab, auf deren Erfüllung wir alle angewiesen sind. St. Bürokratius ist uns bei der Anhörung immer wieder begegnet. Man kann nur mit August Dresbach fragen: „Was muß denn noch passieren, damit mal was passiert?" Die erforderlichen Kurskorrekturen sind erkannt. Wir müssen heute bedenken, wie kurz- und mittelfristig verfahren werden soll: Erstens. Vieles kann in der Organisationsgewalt des Auswärtigen Amtes verändert werden. Das zentrale Verwalten muß eingeschränkt werden. Die Botschaften dürfen mitdenken. Es bedarf dazu keiner zusätzlichen Mittel. Wir erwarten, daß sich der Elan des Nachdenkens in die Kraft der Tat umsetzt. Zweitens. Es gibt einige Vorschläge, die nur im Einvernehmen mit anderen Ressorts verwirklicht werden können. Die Berechnung der Umzugskosten beschäftigt im Auswärtigen Amt mehr als 100 Bedienstete. Länder, die sich neuen Aufgaben stellen, wie die USA und Japan, haben diese Verfahren längst pauschaliert. Sie wollen sich solche Beschäftigungstheorien nicht mehr zumuten. Für die frei werdenden Mitarbeiter gäbe es gewiß interessante Aufgaben. ({2}) Drittens. Ohne eine Erweiterung der Ausstattung geht es auf die Dauer nicht. Die Erkenntnisse vergleichbarer Staaten und deren Folgerungen können nicht ignoriert werden. Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Die Ausstattung der Bundeswehr ist nicht allein eine Etatfrage; sie richtet sich nach dem Erfordernis der Sicherheit. Auch die Vertretung unserer außenpolitischen Interessen wird von Notwendigkeiten bestimmt. Wachsamkeit ist auch hier der Preis für Frieden und Freiheit. ({3})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Gansel.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der deutsche Geschäftsmann, der im Ausland Verträge abschließen will, die türkische Familie, die zu ihrem arbeitenden Vater in die Bundesrepublik kommen will, der deutsche Tourist, dem in Neapel Portemonnaie und Ausweise abhanden gekommen sind, sie alle erwarten die Hilfe des auswärtigen Dienstes. ({0}) Von 1970 bis heute hat sich unser Export von jährlich 150 auf 650 Milliarden DM entwickelt. Jährlich nehmen 60 000 Deutsche im Ausland ihren ständigen Wohnsitz und kommen fast eine halbe Million Ausländer zum Ständigwohnen oder zum Arbeiten in die Bundesrepublik. 1970 reisten 12 Millionen deutsche Touristen für mehr als eine Woche ins Ausland. Und heute sind es fast 25 Millionen. Man kann also davon ausgehen, daß sich jene Fälle für individuelle Hilfen in diesen Jahren verdoppelt, in manchen Bereichen verfünffacht haben. Und dennoch werden diese Dienstleistungen mit demselben, ja mit weniger Personal erfüllt als vor 15 Jahren. Daß die Bürger eine gut funktionierende Dienstleistungsorganisation verlangen, ist ihr gutes Recht. Und gutes Recht ist, daß der Dienst entsprechend personell und materiell ausgestattet wird. Das ist einsichtig. Aber es darf dabei nicht übersehen werden, daß der auswärtige Dienst auch ein Instrument zur Vertretung gesamtgesellschaftlicher und staatlicher Interessen ist. Es wäre falsch, einfach von nationalen Interessen zu sprechen; denn unsere Interessen sind internationaler Art. ({1}) Entspannung und Friedenssicherung, wirtschaftliche Zusammenarbeit, Entwicklungshilfe, europäische Integration, Organisation kollektiver Sicherheit, das sind gewiß deutsche Interessen, die aber nur international verwirklicht werden können. ({2}) Das dazu erforderliche Instrument muß einsatzfähig gehalten werden. Ihm fällt eine ganz besondere friedensgestaltende Funktion zu, auf die auch der Kollege Stercken hingewiesen hat. In einer Zeit, in der die internationale Politik Gefahr läuft, von Sicherheits- und Militärpolitik insgesamt überlagert zu werden, kommt dem auswärtigen Dienst eine noch größere Bedeutung zu. Während wir uns hier ständig mit der Struktur und der Anpassung der Bundeswehr an veränderte Verhältnisse befassen, ist die Beschäftigung mit dem auswärtigen Dienst und mit dem Problem, ob und wie dieser Dienst der internationalen Weiterentwicklung gerecht werden kann, sträflich vernachlässigt worden. ({3}) Und im auswärtigen Dienst gibt es - weiß Gott - größere Probleme als Verwendungsstau. Das Ergebnis solchen Versäumnis: Zuwenig Personal, zuwenig Sachmittel, zuwenig Anpassung in Organisation und Statusrecht an veränderte Bedingungen. Darunter leidet der Dienst. Und er leidet darunter, daß in dieser Mangelsituation seine Mitarbeiter nicht, nein, noch nicht einmal, die erforderliche und gebotene soziale Fürsorge erhalten. So ist es denn eine wahrhaft diplomatische Antwort, wenn ein Botschafter in der Anhörung auf die Frage nach der Leistungsfähigkeit des auswärtigen Dienstes, entgegenet: „Der auswärtige Dienst ist gerade noch leistungsfähig". Und es stimmt: Er ist es, „weil immer mehr seiner Mitarbeiter ohne Rücksicht auf persönliche Belastungen, Dienststunden und Tätigkeitsmerkmale die Lücken füllen, die funktionswidrige Verwaltungsstrukturen, schlechte Arbeitsbedingungen, mangelnde technische Ausrüstung aufreißen. Hinzu kommt bei wachsender Arbeitsbelastung weit verbreitete Unklarheit über seine Aufgabe und seine Stellung." Manch einer meint, eine Lösung dieser Misere sei ein Gesetz. Auch ich bin der Meinung, daß es notwendig ist. Der Kollege Verheugen hat dazu einiges ausgeführt. Aber dieses Gesetz darf sich natürlich nicht auf die Festschreibung des Bestehenden beschränken, nein, gerade nicht. Es muß neue Grundlagen und Perspektiven entwickeln, und das bedarf einer intensiven Vorbereitung und Diskussion. Aber es gibt eine Menge Dinge, die sofort gemacht werden könnten, zu denen man kein Gesetz braucht. Erstens. Man braucht kein Gesetz, damit in manchen Botschaften Antragsteller nicht drei Monate auf ein Visum warten müssen. Dazu braucht man mehr Personal. Zweitens. Man braucht kein Gesetz, damit Botschaften über funktionierende Fotokopiergeräte verfügen, große Botschaften vielleicht sogar über zwei. Dafür braucht man Sachmittel. Drittens. Man braucht kein Gesetz, um den Wirtschaftsdienst an den Botschaften zu verstärken - wahrlich wichtig für unseren Export. Dazu braucht man Personal. Viertens. Man braucht kein Gesetz für moderne Datenverarbeitungs- und Kommunikationstechniken in unseren Botschaften. Dazu braucht man Sachmittel. Nun sagen Sie nicht, Herr Minister, das haben Sie nie bewilligt gekriegt. Und Frau Kollegin Hamm-Brücher, sagen Sie nicht, meine Kollegin Heide Simonis sei für die Personalprobleme im auswärtigen Dienst verantwortlich. Wissen Sie: Ein Minister, der sich, wie berichtet wird, im Kabinettsreigen damit gebrüstet hat, daß das Auswärtige Amt immer mehr Aufgaben mit immer weniger Personal ausführt, der trägt auch die Verantwortung. Hier wird Politik eindeutig auf Kosten und zu Lasten der Mitarbeiter gemacht. Wo, Herr Minister, sind Ihre Anträge, bei denen die Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses, und zwar alle Mitglieder, Sie gern unterstützt hätten? Fünftens. Man braucht auch kein Gesetz, um zu verhindern, daß die Kaufkraft der Einkommen von Mitarbeitern des einfachen Dienstes unter den Sozialhilfesatz absinkt. ({4}) Um das zu verhindern, braucht man soziale Verantwortung und Durchsetzungskraft gegenüber dem Finanz- und Innenminister. Helfen Sie dem Auswärtigen Dienst, Minister Genscher, über den Stoltenberg, und nutzen Sie das Loch, das der Zimmermann gelassen hat. Es ist doch gerade ein Einfallstor, das er Ihnen mit jenem Flugblatt für deutsche Auswanderer eröffnet hat, das darlegt, daß mit dem, was ein Mitarbeiter des einfachen Dienstes an der deutschen Vertretung in New York verdient, ein Auswanderer nach Vorstellung des Innenministers dort nicht existieren kann. Nutzen Sie das! Kämpfen Sie! ({5}) Was ist denn, Herr Minister, heute morgen bei Ihrem Gespräch mit dem Finanzminister herausgekommen? Und konnte dieses Gespräch erst heute geführt werden? Sorgen wir uns nicht schon seit Wochen, nein, seit Monaten um dieses Problem, für das dringender Handlungsbedarf besteht? Nein, man braucht auch kein Gesetz - sechstens -, um zu helfen, daß Ehepartner von Mitarbeitern auch im Ausland eine berufliche Chance erhalten. Hier geht es ja vor allem um die Frauen. Ich würde es als diskriminierend empfinden, wenn der Frau eines Diplomaten die Arbeit an der Botschaft mit der Begründung verwehrt würde, ihr Mann sei dort tätig. Um solchen Einstellungen entgegenzutreten, haben Sie vor wenigen Tagen einen Runderlaß veröffentlicht. Ich begrüße das. Wir unterstützen Sie darin. Aber es ist vielleicht kein Zufall, daß dies erst beim Nahen dieser Debatte geschehen ist. Das allein zeigt schon, wie wichtig sie ist. Siebtens. Man braucht wohl auch kein neues Gesetz, um bei der Vorbereitung auf den Auslandsaufenthalt behilflich zu sein, der zusammen mit dem Ehepartner angetreten wird. Da gibt es eine interessante Antwort auf eine Anfrage der CDU/CSU. Sie weisen darauf hin, daß es am Geld gescheitert sei. Herr Minister, Sie sind zwölf Jahre im Amt. Diese Erkenntnis kann Ihnen nicht erst jetzt gekommen sein. Wir wären gern bereit gewesen, Ihnen zu helfen, wenn Sie entsprechend aktiv geworden wären. Viele dieser Probleme mag Minister Genscher nicht bemerkt haben. Es ist bekannt, daß er immer mit tüchtigen Mitarbeitern im engsten Kreis umgeben gewesen ist, die entsprechend motiviert waren und sehr schnell Karriere im auswärtigen Dienst gemacht haben. Nur, das hat vielleicht den Weg der Kritik etwas verbaut und den Blick für Probleme der Masse Ihrer Mitarbeiter verstellt. Sie sind aber, Herr Minister Genscher, für den ganzen Dienst verantwortlich. Es ist nicht Ihr Dienst, sondern es ist unser Dienst. Sie müssen nun auf Grund dieser Debatte Vorschläge machen. Schieben Sie das nicht in das Parlament zurück! Das ist Ihre Verantwortung. Legen Sie konkrete Vorschläge auf den Tisch! Stellen Sie konkrete Anträge! Sie können der Unterstützung des gesamten Auswärtigen Ausschusses sicher sein. Ich greife ausdrücklich einen Vorschlag meines Kollegen Wischnewski auf, der heute abend bei der Debatte nicht dabei sein kann, indem ich Sie auffordere, einen Stufenplan vorzulegen, damit wir schrittweise das in Angriff nehmen können, was heute vorgeschlagen worden ist, damit nichts wieder vertagt wird, damit endlich etwas geschieht. Kämpfen Sie für den auswärtigen Dienst! Wir werden Sie dabei unterstützen. Herr Präsident, es ist heute auch viel Lobendes über den auswärtigen Dienst gesagt worden. Vielleicht hätte man - dies zum Schluß - auch das Wort „Tapferkeit" nennen müssen. Ich denke gerade in diesen Tagen wieder an die Frauen und Männer in der Botschaft in Beirut und auch im dortigen Goethe-Institut, die ihren Dienst mit einer Tapferkeit versehen, die bewundernswert ist. ({6}) Ich denke jetzt auch an einen Mann, der sich im auswärtigen Dienst als Diplomat und als Parlamentarier verzehrt hat, so muß man wohl sagen, und den wir auf der Regierungsbank heute alle sehr vermissen: den Kollegen Mertes. ({7}) Mit ihm haben wir in politischer Gegnerschaft oft die Klinge gekreuzt, aber wir haben ihn in seiner Kollegialität und in seiner persönlichen Freundlichkeit alle sehr geschätzt. Wir vermissen ihn sehr und trauern um ihn. Das möchte ich Ihnen als dem Chef des Amtes im Namen der Sozialdemokraten - sicher auch im Namen aller Kolleginnen und Kollegen - gerade bei dieser Debatte sagen. Ich bedanke mich dafür. ({8})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Lowack.

Ortwin Lowack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001379, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Herrn Außenminister müssen die Ohren geklungen haben, weniger bei den Äußerungen des Kollegen Gansel als vielmehr bei der Woge der Unterstützung, die er in dieser Debatte heute für den auswärtigen Dienst erhalten hat. Den letzten Glanz habe ich in Ihren Augen, Herr Außenminister, noch nicht entdeckt, aber vielleicht kommt er in den weiteren Beratungen noch. Die Effektivität des auswärtigen Dienstes ist ja leider noch kein besonders bewegendes Thema. Wir können aber hoffen, daß ein objektiver Beobachter nach dieser Debatte zu dem Ergebnis kommt, daß sie eine bessere Zeit und eine bessere Beachtung, Berücksichtigung im Ältestenrat verdient gehabt hätte. Wir dürfen die Probleme - auch die Strukturreform - des auswärtigen Dienstes nicht auf die lange Bank schieben. ({0}) Wegen seiner besonderen politischen Situation und seiner Exportabhängigkeit ist kein Land der Welt auf einen effektiven auswärtigen Dienst so angewiesen wie die Bundesrepublik Deutschland. Der auswärtige Dienst muß ein schlagkräftiges Instrument der deutschen Politik sein, nicht nur der Außenpolitik - das ist eine völlig falsche Formulierung -, sondern der deutschen Politik, in welcher Form sie auch immer nach außen dringt. Er muß schnell umsetzen können, er darf mit eigenen Problemen nicht so sehr beschäftigt und belastet sein, daß man sich den wirklich anstehenden Problemen teilweise nicht mehr widmen kann. Das ist eine Frage der Führung, eine Frage der Eigenverantwortlichkeit der Auslandsvertretungen, eine Frage der klaren Aufgabenstellung und eine Frage der persönlichen und sachlichen Ausstattung. Der erste Reformbericht - darauf ist hier bereits mehrfach hingewiesen worden - hatte auf einige Mängel eindringlich hingewiesen. Es hieß bereits damals, 1971 - ich zitiere -: Der auswärtige Dienst lebt heute personell von der Hand in den Mund. An die Stelle der Personalplanung tritt deshalb weitgehend der Zwang, Löcher zu stopfen. An anderer Stelle heißt es: Die Wirtschaftsreferate sind vielmehr weitgehend noch so organisiert, wie es den Bedürfnissen der Nachkriegszeit entsprach. Wir haben heute gehört, daß - leider - viele Probleme, vor allem die strukturellen Probleme, bis heute nicht gelöst werden konnten, daß sich die Situation seit 1971 teilweise verschärft hat und daß wir zum großen Teil noch mit den gleichen Pauschalen auskommen müssen wie im Jahre 1975 und früher. Der auswärtige Dienst ist für gute Leute zunehmend unattraktiv geworden. ({1}) Es gibt Detailprobleme. Herr Außenminister, wir wickeln 7 % unseres Außenhandels mit dem großen asiatisch-ozeanischen Bereich mit 2,5 Milliarden Menschen ab. Dort liegt eines der zukünftigen Zentren der Welt und des Handels. Es soll nicht eines Tages heißen: Die Deutschen sind nicht oder nur ungenügend dabei gewesen. Wir müssen daher heute die Voraussetzungen dafür schaffen, daß auch das kleinere Unternehmen bei uns an Informationen sehr schnell herankommt, in die Lage versetzt wird, mit diesem Bereich, mit Industrien, mit Fertigungsanlagen dort in Verbindung zu treten. Wir kennen die Probleme seit langer Zeit, aber ich darf doch vielleicht auf eines hinweisen, weil Frau Kollegin Huber, was ich durchaus einräumen möchte, die besondere Bedeutung für Ihre Fraktion erwähnt hat. Die Entwicklung geht weiter. Kollege Dr. Marx hatte von Anfang an versucht, diese Reform mit anzuleiern. ({2}) Wir hatten spätestens seit der Verabschiedung des früheren Staatssekretärs von Staden und seinem Hinweis auf bestimmte Probleme und der Bitte, sich Gedanken über ein Gesetz für den auswärtigen Dienst zu machen, bereits eine Anfrage von Unionsseite an die Bundesregierung, wie sie diese Bitte, dieses Ersuchen einschätzt. Wir hatten den vierten Reformbericht am 17. Januar 1984, wir hatten dann die Verweisung an die Ausschüsse, und hier haben bereits bei den Haushaltsberatungen zum Haushalt 1985 die angesprochenen Probleme eine Rolle gespielt. Dankenswerterweise kann ich anerkennen, daß hier über alle Fraktionen und - Frau Kollegin Huber müßte es einräumen - sicher ausgehend von der Union bereits ein Beschluß möglich war, und ich glaube, das war das erste Mal in der Geschichte des Auswärtigen Ausschusses so, daß für den Haushalt 1986 bestimmte Konsequenzen gezogen werden sollen. Diesen Beschluß hatte der Haushaltsausschuß dankenswerterweise damals bereits akzeptiert. In dem Augenblick, in dem dieser Beschluß feststand, kamen dann die Große Anfrage der SPD und damit im Verbund die Große Anfrage der Union. Ich darf nur festhalten: Die Union hat ihre Aufgabe erkannt. Wenn heute das Auswärtige Amt in einem ersten Schritt verschiedene soziale Besserungen, z. B. im Rahmen der Vierten Besoldungsnovelle, sowie in einem ersten Schritt 85 neue Stellen im Haushalt 1984 erbittet und dabei besondere Schwerpunkte bei der Verstärkung der Außenwirtschaftspolitik, im Bereich der Sicherheits- einschließlich Rüstungskontrollpolitik, im Rechts- und Konsularbereich, der Bürokommunikation und der Datenverarbeitung setzt, so hat es dabei - vorbehaltlich der Prüfung im Haushaltsausschuß - unsere volle Unterstützung. Das gleiche gilt für die Personalreserve. Wir brauchen die Personalreserve, um auch ein Hauptproblem lösen zu können, das im Reformbericht angesprochen ist, nämlich das des Wartestands. Ich persönlich halte vom Wartestand nicht viel, weil er die älteren Diplomaten zwingen würde zu bekennen, daß sie zu dumm sind, um bestimmte Funktionen wahrzunehmen. Aber mit der Personalreserve, mit der Möglichkeit, mal rauszugehen, sich weiter ausbilden zu lassen, mal an eine Universität, in Verbände zu gehen, könnte man mit diesem Problem auf eine elegante und gute Art und Weise fertig werden.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluß.

Ortwin Lowack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001379, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lassen Sie mich mit einem letzten Satz, Herr Präsident, darauf hinweisen, daß wir bei der Erörterung, ob die Probleme des auswärtigen Dienstes besser über ein eigenes Gesetz gelöst werden könnten, durchaus anerkennen müssen, daß bei den vielfältigen Aufgaben, insbesondere der Auslandsvertretungen, mit völlig unterschiedlichen Bedingungen, bei dem Zwang, schnell und flexibel reagieren zu können, bei den Problemen, die zu einem doppelten Stellenkegel führen, bei der Notwendigkeit, die Auslandsvertretung zu einer Einrichtung zu machen, die in das jeweilige Gastland hineinwirken kann, an die Grenzen des herkömmlichen Beamtenrechts stoßen und daß wir das als Option aufrechterhalten müssen, notfalls mit einem Gesetz für den auswärtigen Dienst, diese Probleme besser zu lösen, als sie bisher gelöst sind und lösbar wären. ({0})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Repnik.

Hans Peter Repnik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich zum Schluß noch ein kurzes Schlaglicht auf etwas werfe, worauf wir heute noch nicht zu sprechen gekommen sind. Nach wie vor ist das Thema, das ich kurz ansprechen möchte, ein Randthema, von dem ich allerdings glaube, daß es zunehmend Bedeutung gewinnt. Es ist die Frage der Stellung der Entwicklungshilfereferenten an den Botschaften in den Ländern. Gestatten Sie mir, daß ich Ihnen einige wenige Fakten hierzu aufzeige. Im Jahre 1973 hat das Auswärtige Amt seinerzeit mit dem BMZ zusammen beschlossen, daß die BMZ-Beobachter abgebaut werden und Stück für Stück 25 offizielle Planstellen für Entwicklungshilfereferenten im Haushalt des Auswärtigen Amtes ausgewiesen werden. Dies war vor zwölf Jahren. Heute, nach zwölf Jahren, sind wir nach wie vor nicht bei 25 Stellen, sondern bei 17 angelangt, wobei nur 15 im Bereich des Auswärtigen Amtes und zwei beim BMZ etatisiert sind, und dies, obgleich das Mittelvolumen, das diese Entwicklungshilfereferenten draußen mit zu betreuen haben, von 4,3 Milliarden DM im Jahre 1973 auf heute 6,6 Milliarden DM gestiegen ist, obgleich wir draußen mehr Empfängerländer haben, deren Entwicklungshilfeleistungen betreut und abgewickelt werden müssen, obgleich wir einen weitaus höheren Koordinationsbedarf vor Ort in den Ländern, vor allen Dingen der Dritten Welt, haben, und obgleich wir einen Trend zu kleineren und damit zu mehr Projekten zu verzeichnen haben, die alle verwaltet werden wollen. Unsere erste Forderung lautet daher, nicht nur so schnell wie möglich auf diese 25 Stellen, die seinerzeit im Jahre 1973 ausgemarkt waren, aufzustocken, sondern merklich darüber hinaus - angepaßt an den Bedarf - zu erhöhen. ({0}) Eine zweite Anmerkung betrifft den Status der Entwicklungshilfereferenten in diesen Ländern. Wir wissen, daß sich die Probleme in den Ländern der Dritten Welt verstärkt haben und nicht weniger geworden sind. Dazu wird auf der politischen Ebene verstärkt der Dialog geführt. Er kann auf Dauer aber nur dann Erfolg haben, wenn er auch vor Ort in den Entwicklungsländern mit den dort Betroffenen geführt wird. Hauptansprechpartner ist neben dem Botschafter der Entwicklungshilfereferent. Es hat sich aber auch die Qualität der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit in den letzten Jahren verbessert. Dies führt dazu, daß auch an die Qualität des Entwicklungshilfereferenten höhere Anforderungen gestellt werden. Dem BMZ fällt es zunehmend schwerer, entsprechend qualifizierte Mitarbeiter für diese Positionen zu bekommen, weil die Positionen so schlecht dotiert sind. In aller Regel nämlich wird ein Regierungsdirektor - ein A15-Mann - heruntergestuft, weil diese Stellen draußen A-13- oder, wenn es gut geht, A-14-Stellen sind. Daß es dann schwer wird, entsprechend gute Leute zu bekommen, liegt auf der Hand. Gestatten Sie mir auch noch einen Vergleich mit dem Wirtschaftsreferenten. In vielen Vertretungen in den Ländern der Dritten Welt haben die Entwicklungshilfereferenten eine ähnlich wichtige oder vielleicht sogar eine noch wichtigere Funktion als der Wirtschaftsreferent. Tatsache ist jedoch, daß sie in aller Regel eine oder gar zwei Gehaltsstufen unter dem Wirtschaftsreferenten angesiedelt sind. Wir wollen kein Darüber, aber auch kein Darunter. Was wir wollen, ist ein Nebeneinander. Unsere zweite Forderung also: Anhebung der meisten Stellen entsprechend den tatsächlichen Anforderungen vor Ort. Die dritte und letzte Anmerkung betrifft die Ausstattung. Wir beklagen immer wieder, daß diese Entwicklungshilfereferenten kaum über Mittel verfügen, entsprechende Reisen im Lande zu unternehmen. Sie sollen doch auch ein Stück weit die Kontrolle über das ausüben, was wir draußen in diesen Ländern entwicklungspolitisch leisten, sie sollen die Projekte kontrollieren, sie sollen zu diesen Projekten fahren können. Es mangelt ihnen aber regelmäßig an Geld für die Reisekosten und damit auch an den Kontrollmöglichkeiten. Das Eigenartige an dieser Situation ist, daß die, die draußen unsere Projekte machen - die Experten z. B. der DGZ - in aller Regel über diese Mittel verfügen, die Entwicklungshilfereferenten aber nicht. Die Kollegen hier können dies bestätigen: Oftmals ist ausschließlich die Tatsache, daß eine Delegation von Abgeordneten in diese Länder kommt und sie sich an diese Delegation anhängen können, für sie die Möglichkeit, in diese Projekte zu gehen und die Kontrolle auszuüben. Ich darf daher die dritte Forderung erheben: spürbare Erhöhung der Reisekostenansätze, ebenfalls entsprechend den Erfordernissen, damit sie ihren Kontrollmöglichkeiten nachkommen können. Wir appellieren an die Bundesregierung, diesen Anliegen auch entsprechend der Beschlußempfehlung Rechnung zu tragen, die der Haushaltsausschuß auch im Hinblick auf den Entwicklungshilfereferenten in den Botschaften gegeben hat. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister des Auswärtigen.

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf Ihnen unter Einschluß auch der Bemerkungen, die hier kritisch an die Bundesregierung und an den Bundesminister des Auswärtigen gemacht worden sind, für die Mitarbeit und für das Interesse danken, das an der Arbeit und den Problemen des auswärtigen Dienstes zum Ausdruck gebracht worden ist. In der Tat, diejenigen haben recht, die gesagt haben: Die Debatte war fällig; sie war überfällig. Das müssen wir uns alle sagen. Herr Kollege Gansel, Sie haben mir zugesichert, daß die Mitglieder der sozialdemokratischen Fraktion im Auswärtigen Ausschuß die Anliegen, die wir vorbringen, unterstützen werden. Ich begrüße das. Noch lieber wäre mir gewesen, wenn Sie das für die ganze Bundestagsfraktion der SPD hätten sagen können; denn natürlich haben wir alle, meine Damen und Herren, unsere Gesamtverantwortung zu beachten, in die wir die Aufgaben des auswärtigen Dienstes hineinzustellen haben. Da geht es uns nicht darum, Privilegien für den auswärtigen Dienst zu erreichen, sondern wir möchten jene Besonderheiten berücksichtigt und gewürdigt haben, die der auswärtige Dienst seinen Mitarbeitern auferlegt. Das ist mehr als das, was wir gelegentlich dazu hören und lesen. Heute ist ein ganz anderes Bild vor dem Deutschen Bundestag vom auswärtigen Dienst entfaltet worden, als dasjenige, was wir gelegentlich in der Presse dargelegt bekommen, aber auch in kritischen Stimmen aus dem eigenen Hause. Meine Damen und Herren, alle diejenigen, die heute dieser Debatte beigewohnt haben, sind, so glaube ich, wirklich dazu berufen, auch bei den anderen Kollegen um Verständnis für die Probleme zu werben, die nicht von vornherein aus der Tätigkeit erkennbar sind. Wenn wir über die Arbeitsmarktprobleme in der Bundesrepublik Deutschland sprechen, wird oft gesagt, dieses und jenes Problem könne man lösen, wenn mehr Mobilitätsbereitschaft innerhalb des eigenen Landes vorhanden wäre. Was aber bedeutet es für Menschen, die in ihrem ganzen beruflichen Leben Bereitschaft zur Mobilität nicht im eigenen Lande, sondern unter höchst unterschiedlichen Lebensverhältnissen zeigen müssen? Das ist eine besondere Belastung, die viele Probleme für die Familien aufwirft. Herr Kollege Gansel, da ist nicht allein die Frage, ob zwei Angehörige des auswärtigen Dienstes an derselben Vertretung beschäftigt werden können. Vielmehr macht uns die Frage Sorge, wie wir unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen, in denen beide Ehegatten einen Beruf ausüben, noch Versetzbarkeit ins Ausland erreichen können, weil von dem einen Ehegatten, der dem auswärtigen Dienst nicht angehört, erwartet wird, daß er auf Grund dieser Versetzung in einen Dienstposten im Ausland auf seine eigene berufliche Tätigkeit verzichtet. Das bedeutet Verzicht auf Einkommen, auf Selbstverwirklichung, auf eigene berufliche Tätigkeit, und zwar nicht deshalb, weil der auswärtige Dienst untersagt, daß Angehörige, daß Ehegatten ihren Beruf ausüben, sondern deshalb, weil vielfach gar nicht die objektiven Möglichkeiten vorhanden sind, den Beruf auszuüben und - das muß ich Ihnen dazusagen - weil gerade in den Auslands-dienstposten eine unbezahlte Mitarbeit der Ehegatten erwartet wird, die die höchste Anerkennung verdient, und das gilt nicht nur für den höheren Dienst. ({0}) Wir kennen die Belastungen für die Familien, wir kennen die Belastungen für die Kinder. Schon in der Bundesrepublik ist es schwierig, wenn beim Umziehen von einem Bundesland in das andere Kinder mit unterschiedlichen schulischen Bedingungen konfrontiert werden. Wieviel stärker ist das bei unseren Mitarbeitern im Ausland! Und wieviel kritische Entwicklungen von Kindern von Angehörigen des auswärtigen Dienstes beruhen darauf, daß sie im Interesse der Vollendung ihrer schulischen Ausbildung in manchmal sehr schwierigen Jahren, wo sie gerade den Beistand der Eltern, die Wärme der Familie brauchen, ohne ihre Eltern im Inland verbleiben müssen, um hier zum Abitur geführt werden zu können! Das alles sind zusätzliche Belastungen, die die Arbeit der Mitarbeiter des auswärtigen Dienstes nicht leichter, sondern so unendlich schwer machen. Das sollte hier anerkannt werden, weil das überwiegend Probleme sind, die auch mit der besten Besoldungsreform im auswärtigen Dienst nicht oder nicht vollständig abgegolten werden können. Erleichtern sollten wir dies, wo es möglich ist. Wenn wir in der Lage sein werden, auch durch eine Verbesserung des Personalbestandes des auswärtigen Dienstes dazu beizutragen, daß die Erfüllung der Dienstpflichten vor allem an den ausländischen Dienstorten erleichtert wird, dann wird das dankbar aufgenommen werden. Was die auswärtigen Dienstorte angeht, meine Damen und Herren: Die in den letzten 20 Jahren hinzugekommenen Dienstorte waren nicht die leichteren, sondern hinzugekommen sind immer solche unter schwierigeren Bedingungen: schwieriger in klimatischer Hinsicht, in bezug auf die allgemeinen Lebensbedingungen und auch unter Sicherheitsbedingungen. All das sind zusätzliche Belastungen, die wir im Grunde nicht verändern können, aber deren Ertragen wir zu erleichtern haben. Hier stellt sich die Frage: Wie kann das geschehen? Zur Frage eines besonderen Gesetzes über den auswärtigen Dienst kann man mit guten Gründen - das sage ich als ehemaliger Innenminister - auch darüber streiten, ob ein solches Gesetz richtig und notwendig ist, weil andere Ressortminister natürlich die Sorge haben, daß sich andere Beamtengruppen darauf berufen. Ich will auf der anderen Seite sagen, daß ich bei aller Würdigung dieser Argumente im Augenblick noch keinen besseren Weg als diesen erkenne. Wir werden darüber sprechen müssen, ob es wirklich einen anderen, besseren Weg gibt. Es kann nicht darum gehen, auf einem bestimmten Weg zu beharren; es geht darum, daß jetzt und durchgreifend geholfen wird. Dazu wird es notwendig sein, daß wir dann auch dem Innenminister und dem Finanzminister zur Seite stehen, wenn sie Verständnis für die Probleme des auswärtigen Dienstes zeigen, aber auch Berufungen anderer Beamtengruppen abzuwehren haben. Ich denke, daß Sie mir und damit auch dem Kollegen Zimmermann sowie dem Kollegen Stoltenberg helfen können, wenn Sie in Ihren Fraktionen für das werben, was heute hier in so großer Übereinstimmung zum Ausdruck gekommen ist. Ich jedenfalls will diese Debatte als Ermutigung für meine Bemühungen sehen. Ich denke, daß sie auch dazu beitragen wird, daß die Kollegen in der Bundesregierung die Unterstützung durch das Parlament erkennen. Daß sie hier nicht auf der Regierungsbank sitzen, ist nicht Ausdruck von Desinteresse. Die Gründe für ihre Abwesenheit sind nicht geringer einzuschätzen als die Gründe für die Abwesenheit auch vieler Mitglieder des Deutschen Bundestages in dieser Debatte. ({1}) Ich denke, hier sollten wir jetzt gegenseitig nicht etwas aufrechnen. Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren, für die Unterstützung der Anliegen des auswärtigen Dienstes. Ich tue das vor allem im Namen der Mitarbeiter. Ich hoffe auf Ihre weitere kritische Begleitung und dort, wo es notwendig ist, auch auf Ihre Unterstützung. Danke sehr. ({2})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Zu einer kurzen Erwiderung erteile ich dem Abgeordneten Becker ({0}) das Wort.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000127, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister, Sie dürfen davon ausgehen, daß das, was die Kollegen Gansel und Verheugen sowie die Frau Kollegin Huber heute abend in bezug auf die Mithilfe bei der Verbesserung der Situation im auswärtigen Dienst und insbesondere im mittleren Dienst erklärt haben, nicht nur die Meinung der drei Kollegen, sondern die Meinung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion ist. ({0})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 8 c, und zwar zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU, SPD und FDP auf Drucksache 10/3493. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist bei einigen wenigen Gegenstimmen angenommen. Wer der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf der Drucksache 10/3308 mit der soeben beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist mit der Änderung angenommen. ({0}) Tagesordnungspunkt 10 - Ergebnis der ärztlichen Vorprüfung im März 1985 - ist auf Grund einer interfraktionellen Vereinbarung abgesetzt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Wiener Übereinkommen vom 23. Mai 1969 über das Recht der Verträge - Drucksache 10/1004 Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({1}) - Drucksache 10/3468 Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Czaja Herterich ({2}) Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? Herr Kollege Horacek, haben Sie die Absicht ({3}) - Sie müssen sich hier vorher melden. Die Schriftführer sind eingeteilt, um Wortmeldungen entgegenzunehmen. ({4}) - Es tut mir leid, Sie müssen hier heraufkommen und sich hier zu Wort melden. Wir sind jetzt bei Punkt 11 der Tagesordnung. Ich kann in der Tagesordnung nicht wieder zurückgehen. ({5}) Das Wort zur Berichterstattung wird nicht gewünscht. - Das Wort zur Aussprache wird ebenfalls nicht gewünscht. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Das Gesetz ist angenommen. Es ist noch über eine Beschlußempfehlung des Ausschusses abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/3468 unter Ziffer 2 die Annahme einer Entschließung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Entschließung ist angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 und 13 auf: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Personenbeförderungsgesetzes ({6}) - Drucksache 10/3425 Überweisungsvorschlag des Altestenrates: Ausschuß für Verkehr ({7}) Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Präsident Dr. Jenninger Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften - Drucksache 10/3433 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr ({8}) Ausschuß für Wirtschaft Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO Das Wort wird nicht gewünscht. Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 10/3425 und 10/3433 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf: Beratung der Sammelübersicht 81 des Petitionsausschusses ({9}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 10/3464 Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ist angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 und 16 auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({10}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Mitteilung der Kommission an den Rat über die Verwendung bestimmter Stoffe mit hormonaler Wirkung in der tierischen Erzeugung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 81/602/EWG über ein Verbot von bestimmten Stoffen mit hormonaler Wirkung und von Stoffen mit thyreostatischer Wirkung - Drucksachen 10/1946 Nr. 17, 10/3060 Berichterstatter: Abgeordneter Bayha Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({11}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung über die Integrierten Mittelmeerprogramme - Drucksachen 10/3352 Nr. 7, 10/3465 Berichterstatter: Abgeordneter Auhagen ({12}) Das Wort wird nicht gewünscht. ({13}) - Sie wünschen eine getrennte Abstimmung. Das Wort wird von Ihnen aber nicht gewünscht? ({14}) Die Beschlußempfehlungen sind einvernehmlich in den Ausschüssen verabschiedet worden. Ich lasse über die Vorlagen nun getrennt abstimmen. Ich rufe zunächst die Beschlußempfehlung auf der Drucksache 10/3060 auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung auf der Drucksache 10/3060 ist angenommen. Ich rufe die Beschlußempfehlung auf der Drucksache 10/3465 auf. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung auf der Drucksache 10/3465 ist bei einigen Enthaltungen angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({15}) zu der Verordnung der Bundesregierung Zustimmungsbedürftige Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs ({16}) - Drucksachen 10/3173, 10/3415 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Graf Lambsdorff Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wird der Beschlußempfehlung des Ausschusses auf der Drucksache 10/3415 widersprochen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({17}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Uberplanmäßige Ausgaben bei Kap. 23 02 Tit. 686 08 und 686 24 ({18}) - Drucksachen 10/3234, 10/3398 Berichterstatter: Abgeordnete Esters Borchert Frau Seiler-Albring Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Das Wort zur Aussprache wird ebenfalls nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt in Drucksache 10/3398, von der Unterrichtung Kenntnis zu nehmen. Erhebt sich hiergegen Präsident Dr. Jenninger Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen. Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 21. Juni 1985, um 8 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.